Deutsche Umschau 1/2019

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Nr. 1/2019 Jahrgang 03

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Deutsche Umschau

Zeitung für gesamtdeutsche und europäische Politik, Wirtschaft und Kultur

Politik: 65 Jahre Bundesvertriebenengesetz

Hessen: BdV begrüßt Koalitionsvertrag

Kultur: Schlesische Osterbräuche

Herausgeber:

Landesverband Hessen e.V. www.bdv-hessen.de www.facebook.com/bdvhessen


Inhalt 3 65 Jahre Bundesvertriebenengesetz 6 BdV-Bundesversammlung tagte in Berlin: Fabritius bleibt Präsident 8 Benachteiligung der Spätaussiedler im Rentenrecht soll überprüft werden 9 BdV zufrieden mit dem schwarzgrünen hessischen Koalitionsvertrag 9 Ungarn begeht Gedenktag für die vertriebenen Deutschen 10 BdV-Landesverband Hessen traf sich zur Organisationstagung 11 Die neue BdV-Jugendreferentin Alexandra Dornhof stellt sich vor 12 Treffen unter BdV-Nachbarverbänden 12 Kultur der Vertreibungsgebiete in exemplarischen Projekten vermitteln 13 Deutsch-Europäisches Bildungswerk: Seminarangebot 2019 14 Landsmannschaft Weichsel-Warthe feiert 70-jähriges Jubiläum 15 Barbarafeier mit Steigermarsch in vorweihnachtlicher Atmosphäre 16 Fotoausstellung über das deutsche Wolgagebiet im Hanauer Rathaus 17 Buchgeschenk an die Stockstädter Gemeindebücherei 18 Kulturerbe Kirchenburgen 19 Oberschlesische Osterbräuche 20 Sudetendeutsche erinnern an die Opfer des 4. März 1919 22 Klänge aus dem Musikwinkel 23 „Friedländer-Kaffeerunde“ verbindet

Angemerkt…

Die Kultur der Vertreibungsgebiete erhalten Unbestreitbar sind Wirkung und Bedeutung der Leistungen der Deutschen aus den deutschen Ostgebieten, Sudetenland und deutschen Siedlungsgebieten in Ost-, Ostmittelund Südosteuropa. Flucht und Vertreibung aus den genannten Gebieten, die Teilung Deutschlands und Europas sowie die darauf folgende Unterdrückung deutscher Kultur in den deutschen Kulturlandschaften des Ostens haben diese kulturelle Entwicklung in den angestammten Gebieten jäh beendet. Im Koalitionsvertrag vom April 2018 bekennt sich die jetzige Bundesregierung dazu, die im Sinne des § 96 des Bundesvertriebenengesetzes tätigen Einrichtungen der Heimatvertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten als Träger des deutschen Kulturerbes des Ostens sowie im Geiste der europäischen Verständigung für die Zukunft zu ertüchtigen. Unter dem Thema „Heimat bewahren – Kultur vermitteln – Zukunft gestalten“ möchte die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen daher bei enger Abstimmung mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Prof. Monika Grütters, MdB, ein Förderkonzept mit dem Schwerpunkt der Stärkung der eigenständigen Kulturarbeit der deutschen Heimatvertriebenen entwickeln, das sich an der weiterentwickelten Konzeption aus dem Jahre 2016 orientiert. Ein solches Förderkonzept soll im Jahre 2019 erarbeitet werden.

24 Schlesische Bräuche – Fastnacht 24 Sammelleidenschaft im Kreisverband Limburg-Weilburg 25 Horst Gömpel wurde 80 Jahre 26 Gedenken an Rosel Koberg 27 Termine

Titelbild

Ostermarkt im Oberschlesischen Landesmuseum Ratingen: Der Brauch, zu Ostern Eier kunstvoll zu verzieren – oft auch in oberschlesischer Kratztechnik – und zu verschenken, ist weit verbreitet und wird heute vielerorts durch Ausstellungen, Ostermärkte und Wettbewerbe neu belebt. (Fotos: Oberschlesisches Landesmuseum) Seite 2

Angemerkt

ISSN 0723-4295 Organ des Bundes der Vertriebenen: Landesverband Hessen Herausgeber / Verlag: Bund der Vertriebenen – Landesverband Hessen e.V. Die Ausgabe wird durch das Hessische Sozialministerium gefördert. BdV-Landesverband Hessen e.V. Friedrichstraße 35 · 65185 Wiesbaden Telefon: 0611 36019-0 · Telefax: 0611 36019-22 E-Mail: buero@bdv-hessen.de Bankverbindungen: Volksbank Wiesbaden IBAN DE17 5109 0000 0000 3459 03

Dies kann nur gelingen, wenn sich möglichst viele der relevanten Träger der Kulturarbeit der deutschen Heimatvertriebenen und Spätaussiedler hieran beteiligen. Nach einer Auftaktveranstaltung zur Erarbeitung eines solchen Förderkonzepts im Februar 2019 sollen in den Folgemonaten vier Workshops zu einzelnen Themenbereichen sowie eine „Zukunftswerkstatt“ stattfinden. Parallel zu den Workshops sollen in einer Online-Umfrage Hauptherausforderungen konkretisiert und konkrete Unterstützungswünsche an die Kulturstiftung der deutschen Heimatvertriebenen formuliert werden. Bei der Auftaktveranstaltung steht zunächst die Klärung der Frage im Vordergrund, was überhaupt gegenwärtig unter der Kulturarbeit der Heimatvertriebenen zu verstehen ist. Abschließend sollen die Ergebnisse diskutiert und darauf aufbauend in einem abschließenden Dokument die wesentlichen Inhalte zur strategischen Zukunftsausrichtung der Kulturarbeit der Heimatvertriebenen insgesamt und der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen im Speziellen zusammengefasst werden. Ein ausführlicher Projektbericht wird der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie den Verbänden, Organisationen und Medien der Heimatvertriebenen/Aussiedler als auch weiteren Kultureinrichtungen zugeleitet werden. Helmut Brandl Redaktion: Siegbert Ortmann (V.i.S.d.P.), Carsten Becher (Leitung), BdV-Landesverband Hessen Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Mit Signum oder Namen gezeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers wieder. Satz & Layout: Eva Zschäbitz, Bonn Druck & Vertrieb: Medienhaus Plump GmbH Rolandsecker Weg 33 53619 Rheinbreitbach Erscheinungstermine: Vier Ausgaben p. a. 31. März 2019, 30. Juni 2019, 30. September 2019 und 15. Dezember 2019 Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: 30. April 2019 Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019


Politik

65 Jahre Bundesvertriebenengesetz Koschyk würdigt Beitrag der Heimatvertriebenen beim Aufbau der jungen Bundesrepublik Das Jahr 2018 war das Jahr des 65. Jubiläums des BVFG. Dieses Gesetz hat die erfolgreiche Integration von Millionen Vertriebenen in der jungen Bundesrepublik in die Wege geleitet. Am 22. Mai 1953 wurde das Bundesvertriebenengesetz (BVFG) im Bundesgesetzblatt verkündet. Es regelte die Verteilung, Rechte und Vergünstigungen von Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und anderen Vertreibungsgebieten sowie von Flüchtlingen aus der Sowjetzone in die Bundesrepublik Deutschland. Um den 65. Jahrestag des Gesetzes zu würdigen, veranstaltete die Deutsche Gesellschaft am 26.11.2018 in Zusammenarbeit mit dem Bund der Vertriebenen (BdV) in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund in Berlin eine wissenschaftliche Tagung unter dem Motto „65 Jahre Bundesvertriebenengesetz im Kontext europäischer Verständigung“. Gefördert wurde die Tagung vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. An der Tagung nahmen neben dem stv. Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft und ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk, auch der amtierende Bundesbeauftragte und Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV), Dr. Bernd Fabritius, der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat und BdV-Vizepräsident, Stefan Mayer MdB, die Leiterin der Gruppe K4 „Geschichte und Erinnerung“ bei der Beauftragten der Bundes-

regierung für Kultur und Medien, Maria Bering, der Geschäftsführer der Kulturstiftung der deutschen Heimatvertriebenen, Dr. Ernst Gierlich, der stellvertretende Direktor des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Dr. Dr. Gerald Volkmer, der Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa, Dr. Harald Roth, die Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, Dr. Gundula Bavendamm, der Vorsitzende des Verbands der deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaften in Polen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten (AGDM) in der FUEN, Bernard Gaida, der Gründungsdirektor der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und Professor in Regensburg, Prof. Dr. Manfred Kittel und der Bevollmächtigte des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft, Dr. Andreas Apelt, teil. Der Bundesbeauftragte a.D. Hartmut Koschyk würdigte in seinem Grußwort den großen Beitrag, den die Heimatvertriebenen beim Aufbau der jungen Bundesrepublik geleistet haben und dass diese trotz des erlittenen Unrechts und dem Schmerz über den Verlust der angestammten Heimat und des Hab und Guts nicht verbittert und unversöhnlich geworden seien, sondern eine große Geste des Friedens und der Versöhnung ausgesandt hätten, die in der Charta der Heimatvertriebenen von 1950 eindrucksvoll zum Ausdruck komme. Koschyk erklärte, dass das Bundesvertriebenengesetz immer wieder an die aktuellen Entwicklungen angepasst wurde.

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius (Fotos: BdV-Archiv/M-PH)

Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019

Ging es zunächst um eine rasche Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge, trat später mehr und mehr die Aufnahme von deutschen Aussiedlern und ihren Angehörigen im damaligen Ostblock in den Vordergrund. Er bedauerte, dass nach dem Regierungswechsel im Jahr 1998 die finanzielle Förderung für die Kulturarbeit der deutschen Heimatvertriebenen, insbesondere auch im Hinblick auf eine institutionelle Förderung, drastisch gekürzt wurde. „Eine Wiedergutmachung des Subtanzverlustes“ sei bis heute nicht erreicht worden, wenngleich dank der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Prof. Dr. Monika Grütters, wichtige Weichen für einen Kurswechsel gestellt wurden, insbesondere auch dafür, die Kulturarbeit nach § 96 Bundesvertriebenengesetz zu stärken. So wurde beispielsweise der Vorschlag von Staatsministerin Grütters zur „WeiterentFortsetzung auf Seite 4 ➤

Podiumsdiskussion: (v.l.) Dr. Bernd Fabritius, Moritz Gathmann, Dr. Dr. Gerald Volkmer und Prof. Dr. Manfred Kittel Seite 3


Politik

Ankunft von Flüchtlingen aus Ostpreußen in Schleswig-Holstein am Bahnhof Meldorf. (Foto: Bundesarchiv, Bild 146-2004-0130 / CC-BYSA 3.0 via Wikimedia Commons) ➤

Fortsetzung von Seite 3

wicklung der Konzeption zur Erforschung, Bewahrung, Präsentation und Vermittlung der Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa nach § 96 Bundesvertriebenengesetz (BVFG)“, der in enger Abstimmung mit ihm in seiner Funktion als damaliger Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten sowie mit BdV-Präsident Bernd Fabritius entstand, im Jahr 2016 vom Deutschen Bundestag beschlossen. Auch im Koalitionsvertrag von 2017 komme der klare Wille zum Ausdruck, „die nationalen Minderheiten in Deutschland und die deutschen Minderheiten in Dänemark, in Mittelost- und Südosteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion weiter zu fördern“ und „die im Sinne des § 96 des Bundesvertriebenengesetzes tätigen Einrichtungen gemeinsam mit den Heimatvertriebenen, Aussiedlern und deutschen Minderheiten als Träger dieses Erbes sowie im Sinne der europäischen Verständigung für die Zukunft zu ertüchtigen und die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen zu stärken.“ Diese politischen Leitlinien und damit die kulturelle Breitenarbeit müssten jetzt mit Leben erfüllt werden, so Koschyk. Um die Kulturförderung im Sinne des Koalitionsvertrages weiter zu intensivieren, habe Prof. Grütters das Gespräch mit der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen aufgenommen und diese gebeten, ein Förderkonzept mit dem Schwerpunkt der Stärkung der eigenständigen Kulturarbeit der deutschen Heimatvertriebenen zu entwickeln, das sich an der weiterentwickelten Konzeption von 2016 orientiert. Seite 4

In Richtung Westen bewegen sich die zahllosen Flüchtlinge 1945. (Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1985-021-09 / Unknown / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Koschyk: „Als ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, aber auch als ehemaliger Generalsekretär des Bundes der Vertriebenen, begrüße ich ausdrücklich diese Initiative von Kulturstaatsministerin Prof. Grütters, vor allem die Beauftragung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, ein Förderkonzept zur Stärkung der eigenständigen Kulturarbeit der deutschen Heimatvertriebenen zu erarbeiten. Damit erfolgt endlich wieder eine Aufwertung der in der Vergangenheit stark vernachlässigten Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen. Ein entsprechender Projektantrag der Kulturstiftung mit dem Titel ,Durchführung eines Arbeitsprogramms der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen im Jahre 2019 mit dem Ziel der Entwicklung eines Förderkonzepts mit dem Schwerpunkt der eigenständigen Kulturarbeit der deutschen Heimatvertriebenen‘ wurde der Beauftragten für Kultur und Medien mittlerweile zugeleitet. Mit Erarbeitung des genannten Förderkonzepts und mit weiterer Unterstützung von Frau Staatministerin Prof. Grütters, aber auch des Deutschen Bundestages wird die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen hoffentlich alsbald ihr ,Schattendasein‘ beenden und wie bis 1998 unter den Bundesregierungen von Helmut Kohl auch wieder institutionell vom Bund und den Ländern gefördert werden.“ Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten und Präsident des Bundes der Vertriebenen, Dr. Bernd Fabritius, erklärte, dass der 65. Jahrestag des Bundesvertriebenengesetzes beispielhaft für die Solidarität der Bundesrepublik mit den Heimatvertriebenen und mit den in der angestammten Heimat verbliebenen Deutschen stehe. Damit

kam die Bundesrepublik ihrem Auftrag gemäß § 116 Absatz 1 des Grundgesetzes nach, dass „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung ist, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“ Ging es anfänglich darum, die Herausforderungen im zerstörten Nachkriegsdeutschland zu lösen, wurde das Bundesvertriebenengesetz in den Folgejahren aus einem tiefen Verantwortungsbewusstsein für die Heimatvertriebenen – zuletzt durch die von Koschyk angesprochene Neukonzeption nach § 96 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) – sowie für Aussiedler, Spätaussiedler und die in der angestammten Heimat verbliebenen deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa ständig angepasst. Fabritius erinnerte in diesem Zusammenhang an die Worte des ersten Bundesbeauftragten Horst Waffenschmidt, der 1998 erklärte, „dass auch weiter Aussiedler zu uns kommen dürfen“ und dass das „Tor nach Deutschland offen bleibt“. Im Zusammenhang mit den nach Deutschland kommenden Spätaussiedlern verwies Fabritius auf die Novelle des Bundesvertriebenengesetzes im Jahr 2013, mit der Familienzusammenführungen erleichtert wurden. Er wies auch darauf hin, dass die Gefährdung der kulturellen Identität der deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa und den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion immer noch Realität sei. Die Bundesregierung stehe in diesem Zusammenhang unverändert zu ihrer Solidaritätsverpflichtung auch die in der angestammten Heimat verblieDeutsche Umschau Nr. 1 – 2019


Politik

benen deutschen Volksgruppen nachhaltig bei der Bewahrung der eigenen kulturellen Identität zu unterstützen. Gründungsdirektor der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und Professor an der Universität Regensburg, Prof. Dr. Manfred Kittel, hielt einen Impulsvortrag zum Thema „Umgang mit den Vertriebenen in der frühen Bundesrepublik“. Entscheidende Weichenstellungen waren Prof. Kittel zufolge die maximale Zerstreuung der Vertriebenen, das bis 1949 bestehende Koalitionsverbot für Flüchtlinge und Vertriebene in den westdeutschen Besatzungszonen, die Entscheidung des Parlamentarischen Rates, keine Flüchtlingswahlkreise zur Wahl des 1. Deutschen Bundestages zu bilden, und der parteipolitische Konsens, dass die Vertreibung nicht als endgültig anzusehen sei. Die zerstreuten Ansiedlungen der Ortsvertriebenen seien Ausdruck des Willens gewesen, die Heimatvertriebenen in die Gesellschaft „einzuschmelzen“ und kollektive Protestformen zu verhindern, so Kittel. Bedenkt man den wirtschaftlichen Erfolg, den beispielsweise die „Gablonzer“ in Kaufbeuren erzielten, lasse sich erahnen, was es bedeutet hätte, wenn es viele Hundert solcher Siedlungen gegeben hätte. Das Koalitionsverbot für Flüchtlinge und Vertriebene in den westdeutschen Besatzungszonen hingegen sollte eine soziale Polarisierung aktiv verhindern, stellte aber gleichsam eine „Hypothek“ für die in ihren Anfängen befindliche Demokratie dar, waren die Heimatvertriebenen doch im Parlamentarischen Rat durch fehlende Wahllisten unterrepräsentiert. Die Ablehnung des Parlamentarischen Rats von Flüchtlingswahlkreisen bei der Wahl des 1. Deutschen Bundestages führte schließlich dazu, dass die Heimatvertriebenen wie zu erwarten im Bundestag unterrepräsentiert waren. Nach dem Gesetz von 1951 zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen, das die Wiedereingliederung von Beamten einschließlich derer aus den Reihen der Flüchtlinge und Vertriebenen zum Inhalt hatte, stand bei den Beratungen zum Lastenausgleichsgesetz die Frage der Art der Entschädigung der Heimatvertrieben im Vordergrund. Der parteipolitische Konsens, dass die Vertreibung nicht als endgültig anzusehen sei, hatte schließlich entscheidende Auswirkungen auf das Lastenausgleichsgesetz, lieferte es doch erfolgreich Argumentationshilfe gegen eine Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019

individuelle quotale finanzielle Entschädigung der Heimatvertriebenen, was insbesondere heimatvertriebene Handwerker und Bauern traf. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion an der neben Hartmut Koschyk auch der Vorsitzende des Verbands der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten in der FUEN, Bernard Gaida, sowie Jaroslav Ostrčilík, Projektmanager bei „Meeting Brno“, teilnahmen, erklärte Gaida, dass er von der Rolle der deutschen Minderheiten als Brückenbauer überzeugt sei. Alle Umfragen der letzten 30 Jahre hätten ergeben, dass die Polen ein positives Deutschlandbild haben, wozu auch die deutsche Minderheit einen wichtigen Beitrag geleistet habe. Leider habe die gegenwärtige polnische Politik im Hinblick auf den europäischen Integrationsprozess dazu beigetragen, dass die Umfragewerte leicht zurückgegangen seien und die positive Entwicklung für die deutsche Minderheit gebremst wurde, was auch durch das Aussetzen des „Runden Tisches“ zum Ausdruck komme. Jaroslav Ostrčilík, Initiator des „Marsches der Lebenden“ in Brünn, erklärte, dass sich in Tschechien ein wachsendes Interesse an der historischen Vergangenheit und damit auch an der ehemaligen deutschen Bevölkerung und deren Schicksal feststellen lasse. Der „Marsch der Lebenden“ in Brünn in Erinnerung an den „Brünner Todesmarsch“ von 1945 verdeutliche dies eindrucksvoll. Die deutsche Minderheit vor Ort sei aufgrund ihrer Größe in Tschechien eher irrelevant, so dass anstelle dessen die Landsmannschaften und Vertriebenenverbände eine „Brückenfunktion“ einnehmen würden. Der Vorsitzende der Kulturstiftung, Reinfried Vogler, wies darauf hin, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des Tages der Heimat 2015 in Berlin die Zielvorstellung des § 96 eindrucksvoll und plastisch wie folgt beschrieben habe: „Auch Deutsche, die keine familiären Wurzeln östlich der Oder haben, sollten wissen, dass Breslau, Königsberg und Stettin einmal deutsche Städte waren, dass die Ostpreußen Johann Gottfried Herder, Immanuel Kant und Käthe Kollwitz das deutsche Kultur- und Geistesleben ebenso geprägt haben wie der Schlesier Gerhart Hauptmann oder der in Prag geborene Rainer Maria Rilke und dass die Siebenbürger Sachsen oder die Russlanddeutschen ihre eigene Kultur und

ihr eigenes Brauchtum haben wie die Bayern, Sachsen oder Württemberger. Dieses Erbe ist nicht wegzudenken. Es ist ein Teil unserer kulturellen Identität in Deutschland und darüber hinaus in ganz Europa.“ Was in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten von unzähligen Heimatvertriebenen an Leistungen im Rahmen des § 96 erbracht worden sei, suche seinesgleichen, so Vorsitzender Vogler. Eine grundsätzlich positive Bilanz der Arbeit in den vergangenen Jahren und heute dürfe aber die Frage nach möglichen Veränderungen oder Verbesserungen in der Zukunft nicht ausschließen. Es stelle sich beispielsweise die Frage, wie junge Menschen in ausreichendem Maße gewonnen werden könnten, da die Generation, die die Arbeit vor allem im ehrenamtlichen Bereich getragen hat, zunehmend in den Hintergrund oder ganz abtritt. Auch müsse geklärt werden, welche Kooperationen der Kultureinrichtungen der deutschen Heimatvertriebenen untereinander zum Zweck der Erzielung von Synergieeffekten und welche Kooperationen mit wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen im östlichen Europa, insbesondere mit solchen der deutschen Minderheiten unter diesem Aspekt sinnvoll und möglich sind. Die Tagung zeigte auf, wie erfolgreich das Bundesvertriebenengesetz doch die Integration von Millionen Vertriebenen und Spätaussiedlern in die Bundesrepublik in die Wege geleitet hat und zur europäischen Verständigung und zur Verständigung der deutschen Minderheiten mit der Mehrheitsgesellschaft bis heute beiträgt. Zudem verdeutlichte die kulturelle Dimension des Bundesvertriebenengesetzes, dass um die Worte von Hartmut Koschyk zu zitieren die „politischen Leitlinien und damit die kulturelle Breitenarbeit mit Leben erfüllt werden müssen“, wobei Koschyk auch der Stärkung der Kulturstiftung der Vertriebenen im Sinne des Koalitionsvertrages eine ganz besondere Bedeutung beimisst. ■ Seite 5


Politik

Mit frischer Kraft weiter auf Kurs BdV-Bundesversammlung tagte in Berlin: Dr. Bernd Fabritius bleibt BdV-Präsident Mit frischer Kraft weiter auf Kurs ist der Bund der Vertriebenen (BdV) nach seiner letzten Bundesversammlung, die am 30. November 2018 in der Katholischen Akademie/Tagungshotel Aquino in Berlin stattfand. Satzungsgemäß wurde ein neues Präsidium gewählt. Die Delegierten verabschiedeten zwei Entschließungen – zur Altersarmut bei Spätaussiedlern und zur Kulturpolitik nach § 96 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes. Die Verbandsarbeit wurde gleichermaßen bilanziert wie mit einem Blick in die Zukunft konstruktiv und lebendig diskutiert. Neuwahl des Präsidiums Die Neuwahl des Präsidiums stand im Zeichen der Kontinuität, brachte aber auch ein paar Veränderungen mit sich. So wurde der Präsident, Dr. Bernd Fabritius, dessen erneute Kandidatur schon im Vorfeld von zahlreichen Landsmannschaften und Landesverbänden unterstützt worden war, mit 141 von 146 Stimmen in seinem Amt bestätigt. Das sind hervorragende 96,6 Prozent. Fabritius erklärte: „Dieses Wahlergebnis erfüllt mich mit großer Dankbarkeit und stärkt mein Vertrauen in den eingeschlagenen Kurs.“ Zu Vizepräsidenten des Verbandes wurden abermals Stephan Grigat, Renate Holznagel, Christian Knauer, Stephan Mayer MdB und Albrecht Schläger sowie erstmals Siegbert Ortmann gewählt. Zu weiteren Präsidialmitgliedern wählten die Delegierten abermals Raimund Haser MdL, Milan Horáček, Egon Primas MdL und Stephan Rauhut sowie erstmals Brunhilde Reitmeier-Zwick und Johann Thießen. Die Präsidentin des Frauenver-

bandes im BdV, Dr. Maria Werthan, und der Präsident des Bauernverbandes der Vertriebenen, Christian Walter, gehören kraft Amtes dem Präsidium an. Der BdV-Präsident richtete einen besonderen Dank an die aus dem Präsidium ausgeschiedenen bzw. in der Wahl unterlegenen Kandidaten. Der Verband lebe von einem engagierten und ambitionierten Ehrenamt. Aus der Zusammensetzung des Präsidiums werde die Vielfalt der Mitgliedsorganisationen sowie das breite Aufgabenspektrum deutlich. Erinnerungs- und Verantwortungstransfer seien innerverbandlich bereits gelungen, so Fabritius. Wichtige Entschließungen „Altersarmut ist eines unserer drängendsten sozialen Probleme“, erklärte der BdV-Präsident zur Debatte über die Entschließung „Altersarmut abmildern – Lebensarbeitsleistung anerkennen“. „Daher freue ich mich, dass die Bundesversammlung sich erneut so klar zu den Anliegen unserer Spätaussiedler bekannt hat.“ Mit der Entschließung empfiehlt der Bund der Vertriebenen zum wiederholten Male eine Reihe von Maßnahmen, um „die bestehende Generationenungerechtigkeit im Rentenrecht für diesen Personenkreis zu beseitigen“. Dies sei nötig, weil weder die Lebensarbeitsleistung der Betroffenen noch deren für das deutsche Rentensystem positiv wirkenden Familienstrukturen in die Rentenberechnung einbezogen würden. Bei den Maßnahmen handelt es sich etwa um eine Anhebung der laut Fremdrentengesetz (FRG) anrechenbaren Entgeltpunkte, eine Aufhebung der pauschalen Kürzung im FRG-Bereich oder

Kirchenpräsident i.R. Helge Klassohn und BdV-Präsident Fabritius mit der Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen. Seite 6

eine Verlängerung der Erklärungsfrist für Kindererziehungszeiten. Die zweite Entschließung „Kulturarbeit nach § 96 BVFG und partizipativen Ansatz in der Förderung weiter stärken“ beurteilte Bernd Fabritius als notwendige Forderung, um die Beteiligung der Vertriebenen und ihrer Verbände an der konkreten Kulturarbeit weiter zu stärken. Wichtige Grundsteine seien sowohl durch die „Weiterentwicklung der Konzeption zur Erforschung, Bewahrung, Präsentation und Vermittlung der Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes“ aus dem Jahr 2016 als auch durch den aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD gelegt worden. Darauf gelte es aufzubauen, um „für die Kulturträger und ihre Organisationen baldmöglichst eine zukunftsfähige finanzielle Basis zu schaffen“. Die Delegierten betonten, dass die direkte Zuordnung der regional zuständigen Kulturreferenten an die Landsmannschaften einen wichtigen Beitrag hierzu leisten könne. Detaillierte Arbeitsbilanz Überdies lieferte Fabritius eine detaillierte Arbeitsbilanz, in der er Aktivitäten des Präsidiums und positive Entwicklungen ebenso wie offene Anliegen herausstellte. So dankte er etwa den Verbandsgliederungen dafür, dass seine in diesem Jahr angestoßene Zukunftsdiskussion an- und aufgenommen worden sei und empfahl, diesen fruchtbaren Prozess fortzusetzen. Außerdem lobte er die verständigungspolitische Arbeit der Mitgliedsorganisationen, die weiter intensiviert und ausgebaut habe werden können. Beson-

Vizepräsident Stephan Grigat gratuliert Präsident Fabritius, im Hintergrund Vizepräsident Stephan Mayer MdB. Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019


Politik

ders hob er die Mitgliedschaft des Bundes der Vertriebenen im „Deutschen Institut für Menschenrechte“ hervor. Der BdV sei damit „auch offiziell“ ein Menschenrechtsverband. „Unsere Beteiligung an der Förderung und am Schutz der Menschenrechte wird anerkannt“. Schon deswegen bleibe ein wichtiger Schwerpunkt der Verbandsarbeit die Situation der „Heimatverbliebenen“ – der deutschen Minderheiten in ihren Heimatgebieten in den europäischen Nachbarländern sowie in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Sich gemeinsam mit deren Selbstorganisationen für Identitäts-, Sprach-

und Kulturerhalt einzusetzen, bestehe als wichtiges Arbeitsfeld des BdV und insbesondere seiner Landsmannschaften fort, betonte Fabritius. Seine Bilanz wurde in der Aussprache ergänzt durch vielfältige Wortmeldungen und Kurzberichte aus den einzelnen Gliede- BdV-Präsident Fabritius begrüßt die Delegierten der Verbände. Fotos: rungen. ■ BdV-Archiv/Bildkraftwerk

Neue Aufgabe Hessischer BdV-Landesvorsitzender zum BdV-Vizepräsidenten gewählt Siegbert Ortmann gehörte schon als Beisitzer dem 15-köpfigen BdV-Präsidium in der Bundeshauptstadt an. Ortmann, der seit sechs Jahren auch BdV-Landesvorsitzender in Hessen ist, kann somit in den nächsten beiden Jahren an oberster Stelle des BdV, als der repräsentativen Interessenvertretung der Vertriebenen, Flüchtlinge, Aussiedler und Spätaussiedler in Deutschland, seine vielfältigen Erfahrungen aus über vierzig Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit in leitenden Positionen der BdV-Untergliederungen einbringen. „Auf diese neue interessante Tätigkeit an der Spitze des BdV in der Bundesrepublik freue ich mich sehr und werde dort gerne nach besten Kräften meinen Beitrag zu einem gesicherten Zukunftsbestand des Bundes der Vertriebenen in der Mitte der Gesellschaft leisten“, so Ortmann nach der Wahl zum BdV-Vizepräsidenten auf Bundesebene.

Das neugewählte Präsidium des Bundes der Vertriebenen. Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019

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Politik

Benachteiligung der Spätaussiedler im Rentenrecht soll überprüft werden Die Landsmannschaften der Banater Schwaben und der Deutschen aus Russland sowie der Verband der Siebenbürger Sachsen haben eine gemeinsame Resolution erstellt, um die Benachteiligung von Spätaussiedlern im Rentenrecht zu beenden. Als Folge des Zweiten Weltkriegs kamen insgesamt 4,54 Millionen Aussiedler und Spätaussiedler (Quelle: Bundesverwaltungsamt, Stand: Dezember 2017) in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Diese Gruppe von deutschen Staatsbürgern, für die die Vorgaben des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) gelten, beiteiligen sich nach ihrer Integration aktiv am wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Leben der Bundesrepublik Deutschland. Dies ist für die Bundesrepublik beispiellos. Umso mehr schmerzt es die Betoffenen, dass sozialrechtliche Einschnitte aus der Vergangenheit bis heute keine Korrektur erfahren haben. Die genannten Landsmannschaften haben daher die Bundesregierung aufgefordert, das Risiko der Altersarmut bei (Spät-)Aussiedlern mit geeigneten Maßnahmen abzumildern und damit die bestehende Generationenungerechtigkeit im Rentenrecht für diesen Personenkreis zu beseitigen. In dem von der Bundesregierung im Jahre 2018 erlassenen Rentenpaket findet der Personenkreis der Spätaussiedler keine Berücksichtigung und deren Lebensarbeitsleistung ungenügende Anerkennung. Der BdV-Bundesverband hat bereits am 30.11.2018 während seiner letzten Bundesversammlung in Berlin eine Resolution

erstellt und der Bundesregierung darin vorgeschlagen, bisherige Nachteile für den betroffenen Personenkreis zu beseitigen. Darin werden vor allem Rentenkürzungen durch Gesetze der 1990er Jahre bemängelt, die eine Altersarmut bei Spätaussiedlern erkennen lassen, wie die 40-Prozent-Kürzung der Entgeltpunkte aus den Zeiten im Herkunftsgebiet und die Einführung der lebensleistungsunabhängigen Deckelung der Entgeltpunkte auf einen Betrag unterhalb der Armutsgrenze. Der BdV begrüßt den vom Freistaat Bayern eingebrachten Antrag zur Überprüfung der Fremdrenten von Spätaussiedlern nach Zustimmung der drei vorberatenden Sozial-, Innen- und Finanzausschüsse für eine abschließende Beratung im Plenum des Bundesrates. Danach möge der Bundesrat zur Neubewertung der rentenrechtlichen Vorgaben für Spätaussiedler beschließen: 1. Die Spätaussiedler mussten im Zuge der Deutschen Einheit mit Rücksicht auf die Rentensituation in den neuen Bundesländern sukzessive Leistungsverschlechterungen nach dem Fremdrentenrecht hinnehmen. Diese Leistungsbeschränkungen haben sich erheblich auf die Rentenhöhen der Spätaussiedler ausgewirkt. Die Vertriebenenverbände weisen auf eine drohende Altersarmut der Betroffenen hin. 2. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die damals getroffenen Einschränkungen für Spätaussiedler im Interesse der sozialen Gerechtigkeit spätestens mit dem Rentenüberleitungsabschlussgesetz

2017 insgesamt auf den Prüfstand hätten gestellt werden müssen. 3. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung deshalb auf, die für Spätaussiedler geltenden rentenrechtlichen Vorgaben insgesamt auf den Prüfstand zu stellen, umfassend neu zu bewerten sowie festgestellte etwaige Nachteile im Sinne der sozialen Gerechtigkeit auszugleichen. Mitte Februar 2019 hat nun der Bundesrat aufgrund des vorgelegten bayerischen Entschließungsantrages mehrheitlich eine Entschließung angenommen, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, die für Spätaussiedler geltenden rentenrechtlichen Vorgaben insgesamt zu überprüfen. Festgestellte etwaige Nachteile sollen danach im Sinne der sozialen Gerechtigkeit ausgeglichen werden. Nachdem in letzter Zeit mehrere Landsmannschaften mit gemeinsamen Resolutionen immer wieder den Finger in diese noch zu heilende Wunde gelegt haben, ist dies auch ein erster sichtbarer Erfolg des verbandlichen Engagements auf allen Ebenen. BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius erklärte dazu: „Ich bin der bayerischen Staatsregierung und auch Ministerpräsident Dr. Markus Söder persönlich sehr dankbar, dass der Freistaat hartnäckig die Beseitigung der herrschenden Rentenungerechtigkeit für Spätaussiedler fordert und hierzu seinen Vorschlag von 2017 erneut in den Bundesrat eingebracht hat. Damit zeigt sich einmal mehr, dass die deutschen Heimatvertriebenen und Spätaussiedler mit ihren Anliegen dort starke politische Partner haben.“ ■

Neujahrsempfang des VdK Hessen-Thüringen Beim diesjährigen Neujahrsempfang des Sozialverbandes VdK Hessen-Thüringen thematisierte der Landesvorsitzende Paul Weimann bei seiner Ansprache vor allem eine Neuausrichtung des Rentensystems und eine Verbesserung der Pflegedienste in unserem Land. In diesem Zusammenhang ging Weimann auch auf die zunehmende Gefahr einer Altersarmut ein und forderte die Politik zu entsprechenden Gegenmaßnahmen auf. Ehrengast Siegbert Ortmann, Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen (BdV) Hessen, wies bei diesem Anlass auch auf die derzeitige Resolution der Landsmannschaften der Banater Schwaben e.V., der Deutschen aus Russland e.V. und der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V. hin, die zur Beseitigung der Spätaussiedlerbenachteiligung im Rentenrecht um Unterstützung durch den Sozialverband VdK bitten. Seite 8

Neujahrsempfang: (v.l.) BdV-Landesvorsitzender Siegbert Ortmann, Staatsminister a. D. Stefan Grüttner und VdK-Landesvorsitzender Paul Weimann Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019


Politik

Bedeutsame Themen BdV zufrieden mit dem schwarz-grünen hessischen Koalitionsvertrag Rechtzeitig vor Weihnachten wurden die nach der hessischen Landtagswahl Ende Oktober 2018 aufgenommenen Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und Bündnis 90/Die Grünen zu ihrem erfolgreichen Abschluss gebracht. Das seit 2014 regierende schwarz-grüne Bündnis hat sich auf eine gemeinsame Fortsetzung der Regierung geeinigt. Kurz vor Weihnachten 2018 wurde der Koalitionsvertrag der Öffentlichkeit vorgestellt. Dort heißt es: „Nach dem jetzt vorliegenden Koalitionsvertrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen nach der letzten Hessenwahl sind die Themen Flucht und Vertreibung für unsere Gesellschaft von großer Bedeutung und deshalb soll den sich daraus ergebenden Bedürfnissen in besonderer Weise Rechnung getragen werden.“ Diese Einschätzung nimmt der Landesvorsitzende des Bundes der Vertriebenen(BdV) in Hessen, Siegbert Ortmann, zum Anlass, auf einer Veranstaltung seiner Organisation den Koalitionsparteien der bevorstehenden Legislaturperiode für ihr ausdrückliches Verständnis zur Pflege über den Austausch der kulturellen Identität und der Erhaltung der Erinnerungskultur von Heimatvertriebenen und Spätaussiedlern in Hessen besonders zu danken. „Wenn von der Landespolitik bei Integrationsmaßnahmen neben den bislang bereits gewährten Projektförderungen darüber hi-

naus noch eine kontinuierliche Strukturförderung in Aussicht gestellt werden, wird der bereitwillige Einsatz in den bestehenden Vertriebenenorganisationen auch für die Zukunft erhalten bleiben. Für die zukünftige Festlegung von mehr Gewicht zum Thema Flucht und Vertreibung und dem damit verbundenen kulturellen Erbe in den Schulfächern und den Politikwissenschaften gebührt dem schwarz-grünen Regierungsbündnis dafür ein ganz besonderer Dank“, so der BdV-Landesvorsitzende. Nicht unerwähnt soll auch bleiben, dass der vorliegende Koalitionsvertrag drei jahrelange Forderungen des BdV ausdrücklich zur politischen Umsetzung enthält, nämlich die Einrichtung eines Lehrstuhls an einer hessischen Universität zur wissenschaftlichen Aufarbeitung von Kultur und Geschichte der Vertriebenen und Spätaussiedler, einer vom Land Hessen getragenen Dauerausstellung zu diesem Thema und schließlich die auf Bundesebene notwendige Unterstützung für eine Verbesserung der Rentenregelung für spät ausgesiedelte Deutsche. „Aufgrund dieser hervorragenden politischen Vorgaben im schwarz-grünen Koalitionsvertrag werden die Vertriebenenorganisationen in Hessen in den bevorstehenden Jahren weiterhin gern ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung zugunsten der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler nachkommen“, so Ortmann abschließend.

Ministerpräsident Volker Bouffier und Staatsminister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen Tarek Al-Wazir (Foto: Hessischer Landtag) Auch die hessische Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf, zeigte sich hochzufrieden mit dem Ergebnis: „Der Koalitionsvertrag enthält ausgesprochen gute Botschaften für uns. Es ist sehr erfreulich, dass die Maßnahmen zur Förderung der Eingliederung von Heimatvertriebenen und Spätaussiedlern erhalten und fortgeführt werden. Rund ein Drittel aller hessischen Bürger haben selbst oder über ihre Familie einen Vertreibungs- oder Spätaussiedlerhintergrund. Die weitreichenden Ausführungen im Koalitionsvertrag spiegeln somit auch die gesellschaftliche Bedeutung dieses Themas wider. Es hat einiger Vorbereitungen und vieler Gespräche bedurft, die nun zu diesem Erfolg geführt haben. Die Anstrengungen haben sich gelohnt. Wir können feststellen: Die Pflege der Kultur der Vertreibungsgebiete und die Eingliederung der Spätaussiedler sind bei der hessischen Landesregierung in den besten Händen.“ ■

Kulturelle Vielfalt gegen ideologische Einfalt Ungarn begeht Gedenktag für die vertriebenen Deutschen Am 19. Januar begeht Ungarn seinen jährlichen Gedenktag zur Erinnerung an die Vertreibung der Ungarndeutschen. Im Dezember 2012 einstimmig in der ungarischen Nationalversammlung verabschiedet, wurde der Gedenktag im Januar 2013 zum ersten Mal feierlich begangen. BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius erklärte zum diesjährigen Gedenken: „Ungarn hat früh erkannt, dass mit einer konsequenten Aufarbeitung dunkler Kapitel der eigenen Geschichte große Chancen verbunden sind. Ich bin dankbar für die Anerkennung, dass nach dem Zweiten Weltkrieg Menschenrechte verletzt wurden und dass kulturelle Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019

Vielfalt – nicht ideologische Einfalt – schon immer Teil des Landes war. Heute gehören die angestammten Minderheiten ganz selbstverständlich zur ungarischen Gesellschaft. Ihre Sprache, ihre Identität und ihre politische Vertretung werden gefördert.“ Zwischen den vertriebenen Ungarndeutschen und den Deutschen in Ungarn erleichtere dies den seit Jahrzehnten auf der Verbandsebene geleisteten Brückenbau und wirke dadurch in die übrige Gesellschaft hinein. „Menschenrechte sind aber unteilbar“, mahnt Fabritius. „Gerade in Zeiten spal-

tender nationalistischer Tendenzen überall auf der Welt und auch in Teilen Europas wird sich der Bund der Vertriebenen daher auch weiterhin für eine Verständigung auf der Basis von Wahrheit und für die Einhaltung sämtlicher Menschenrechte einsetzen.“ Dies sei seit der Charta der deutschen Heimatvertriebenen vor rund sieben Jahrzehnten ein wichtiger Beitrag zur Friedenssicherung in Europa, betont BdV-Präsident Fabritius und weist damit auf das Leitwort des Verbandes für 2019 „Menschenrechte und Verständigung – Für Frieden in Europa“ hin. ■ Seite 9


Landesverband

„Werkstattgespräche“ mit viel Engagement BdV-Landesverband Hessen traf sich zur Organisationstagung Vertreter aus den hessischen BdV-Kreisverbänden und mehreren Landsmannschaften trafen sich zu Beginn des neuen Jahres zu ihrer jährlichen Organisationstagung im Wappensaal des Wiesbadener Hauses der Heimat, um anstehende Aufgaben und Projektziele des BdV-Landesverbandes in Hessen zu diskutieren und daraus mögliche Vorschläge zur Umsetzung abzuleiten. Dabei berichteten die einzelnen Referate des BdV-Landesverbandes über anstehende Planungsziele in den Bereichen Personal, Finanzen, Öffentlichkeits- und Kulturarbeit sowie Vorschläge zur Umsetzung der neuen Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Einen wesentlichen Teil der für die Teilnehmer zur Verfügung stehenden Zeit nahmen dabei die Bereiche Öffentlichkeits- und Kulturarbeit sowie Vorschläge zur Umsetzung der neuen Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ein. Unter dem Leitwort „Spuren hinterlassen – auf neuen Kommunikationswegen“ ging man dabei näher auf diesen eingetretenen Wandel ein. Durch die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung hätten sich in letzter Zeit die Wege und Prozesse der Kommunikation als Teil der Öffentlichkeitsarbeit auch beim BdV-Landesverband Hessen in wichtigen Bereichen verändert. Diesen möglichen Vorteil möchte auch der BdV-Landesverband Hessen im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit bei der Informationsweitergabe nutzen und dabei bisherige Strukturen seiner redaktionellen Abhängigkeit unter Nutzung direkter und teilweise unabhängiger

Kommunikationsmöglichkeiten zu überwinden versuchen. Dabei gelte es, Informationen über ein Unternehmen oder eines Verbandes zu vermitteln. Abgeleitet davon sei das Ziel von Öffentlichkeitsarbeit: Vertrauen stärken, Aufmerksamkeit wecken, Glaubwürdigkeit und Sympathie aufbauen. Bei der Öffentlichkeitsarbeit gehe es also darum, eine Organisation und ihre Arbeit in der Öffentlichkeit positiv darzustellen. Mit der auf die heutigen Möglichkeiten angepassten Pressearbeit können viele Empfängergruppen mit Verbandsinformationen auf einmal erreicht werden. Die so angepasste Pressearbeit sei daher ein wichtiger Bestandteil der betriebenen Öffentlichkeitsarbeit. Egal ob in Ortsverbänden, Kreisverbänden, im Landesverband oder in landsmannschaftlichen Gruppen: Die Kommunikation untereinander oder mit Außenstehenden wird von Tag zu Tag wichtiger. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist heute viel mehr als nur das Schreiben einer Pressemitteilung. Der BdV-Landesverband Hessen ist daher unter Abwägung aller in diesem Bereich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Informationsweitergabe über seine Verbandsarbeit in letzter Zeit vier wesentliche Bereiche verstärkt angegangen: Der weitere Ausbau eines Newsletter-Verfahrens, die alleinige Herausgabe des Verbandsorgans „Deutsche Umschau“, das Betreiben der Internet-Präsentation auf einer modernen Software-Plattform sowie die Gestaltung und Pflege der Facebook-Anwendung. Alle diese vier genannten Bereiche sind über die derzeit erstellte zentrale Internet-Prä-

Bericht des BdV-Landesvorsitzenden Siegbert Ortmann. Seite 10

senz www.bdv-hessen.de für die Besucher einsehbar. Darüber hinaus gab BdV-Landesvorsitzender Siegbert Ortmann einen Situationsbericht über den derzeitigen Stand der Fördermaßnahmen durch das Land Hessen (BVFG, § 96), ging lobend auf den schwarz-grünen Koalitionsvertrag für eine neue Hessische Landesregierung hinsichtlich der Themen zu Flucht und Vertreibung ein, stellte Konzepte zum landesweiten Erhalt von Heimatstuben nach einem Treffen mit dem Hessischen Museumsverband in Kassel vor und warb für die in diesem Jahr anstehenden verständigungspolitischen Seminarreisen des Deutsch-Europäischen Bildungswerkes, einer Einrichtung des hessischen Vertriebenenverbandes, zu deutschen Minderheiten in osteuropäischen Ländern. Reges Interesse fanden bei den Teilnehmern auch mögliche Überlegungen über eine zukünftige Neuausrichtung des Vertriebenenverbandes. Überlegungen hierzu sollen in Kleingruppen in Verbindung mit BdV-Verbänden anderer Bundesländer weitergeführt und Vorschläge dazu erarbeitet werden. ■ Bund der Vertriebenen Landesverband Hessen e.V. Friedrichstraße 35 65185 Wiesbaden Telefon 0611 / 3 60 19-0 Telefax 0611 / 3 60 19-22 E-Mail buero@bdv-hessen.de Web www.bdv-hessen.de und www.bund-der-vertriebenen-hessen.de

Organisationstagung im Haus der Heimat (Fotos: BdV Hessen) Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019


Landesverband

„Ich möchte etwas bewegen“ Die neue BdV-Jugendreferentin Alexandra Dornhof stellt sich vor Alexandra Dornhof wurde von den Delegierten beim Landesverbandstag des hessischen BdV-Landesverbandes im Frühjahr des vergangenen Jahres zur Landesjugendreferentin gewählt. Sie schildert hier ihre Vorstellungen zu den Aktivitäten der Deutschen Jugend aus Russland als gewählte Jugendreferentin des BdV-Landesverbandes Hessen: „Ich darf jetzt als Jugendreferentin beim BdV mitwirken“, berichtete ich voller Stolz meinen Freunden und Verwandten. Fragend schauten mich doch viele an und wussten dabei nicht so recht, etwas mit der Abkürzung BdV anzufangen. Diesen Moment ergreife ich in solchen Situationen immer wieder, um über den BdV und seine Hintergründe zu erzählen. Wie bin ich eigentlich dazu gekommen, mich ehrenamtlich beim Bund der Vertriebenen einzusetzen? Zu Beginn möchte ich Sie dazu einladen, mich auf eine kleine Reise in die Vergangenheit zu begleiten. Als Kind einer Spätaussiedlerfamilie wanderte ich gemeinsam mit meinen Eltern und meinem älteren Bruder 1998 nach Deutschland aus. Für mich als neunjähriges Mädchen war dieser Umzug ein großes Abenteuer. Damals interessierte ich mich nicht für meine russlanddeutsche Identität und wusste damals noch nicht, dass meine Vorfahren einst aus dem Rheinland nahe Trier dem Ruf der Zarin Katharina der Großen gefolgt waren und sich in Russland ansiedelten. Mich interessierte zu diesem Zeitpunkt nur die Frage, woher die ganzen Käse- und Wurstsorten herkommen und wie man es schaffen soll, diese zu probieren. Lange Zeit hatte mich nicht die Geschichte meiner Vorfahren interessiert, das Ganze war eher ziemlich nebensächlich. Erst mit Anfang 20, und ja es kam eher schleichend, fing ich an, darüber nachzudenken, wer ich eigentlich bin und warum ich von Dritten mal so und mal anders genannt werde. Lange Zeit störte ich mich daran, diese ständigen Rechtfertigungen, warum ich eine Deutsche bin, obwohl ich in Sibirien geboren wurde. Heute weiß ich, dass ich wohl eine Art Identitätskrise hatte, die mich jedoch nicht zerbrechen ließ, sondern mich dazu brachte, sogar meine Bachelor-Arbeit diesem Thema zu widmen. Mit der Bacherlor-Arbeit war dann auch der Grundstein für meine Karriere gelegt. Interessant war auch die Entwicklung Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019

meiner Selbstbezeichnung, als Bildungsreferentin treffe ich nun oft auf solche Selbstfindungsphasen junger Menschen. Zunächst „schimpfte“ man mich Russin, umso mehr bestand ich darauf, dass ich Deutsche bin. Oft musste ich dabei um diese Bezeichnung wortwörtlich kämp- Alexandra Dornhof, BdV-Jugendreferentin und DJR-Bildungsreferentin fen. Heute bezeichne ich mich selbst als Deutsche aus Russland, wirksam zu präsentieren. Denn es ist nicht denn ich weiß nun ganz genau, was das für nur wichtig zu wissen, wo man sich selber meine Familie heißt, und ich kann mich da- verorten kann, sondern diese Erkenntnisse mit auch identifizieren. auch der Gesamtgesellschaft zu vermitteln. Menschen die sich ihrer Identität bewusst Voller Ansporn und Vorfreude entwickelte sind, sind auch im Umgang mit anderen ich mich langsam selber zur Expertin der Menschen sicherer. So schaffen wir Vorurrusslanddeutschen Identitäten, und bevor teile ab und bauen Brücken. Diese Aufgabe ich mich versah, wurde ich als Bildungsre- liegt mir auch als Jugendreferentin des BdV ferentin bei der Deutschen Jugend aus Russ- Hessen ganz besonders am Herzen. land (DJR) eingestellt. Schicksal, würde ich nun behaupten. Durch meine Arbeit bei der Aus persönlicher Überzeugung und ErfahDJR habe ich umso mehr die Signifikanz rung möchte ich gemeinsam mit anderen der identitätsstiftenden Bildungsarbeit für jungen Menschen, unabhängig davon, ob mich entdeckt und verstanden; dies ist aber sie selber deutschstämmig sind oder nicht, nur ein Aspekt. Vor allem geht es auch da- das „Kulturerbe des Ostens“, somit auch die rum, die Geschichte unserer Landsleute, der dazugehörigen Sitten, Bräuche, Tänze, aber deutschen Minderheiten, die auf der gan- auch die traurigen Schicksale der deutschen zen Welt verstreut sind oder waren, breiten- Aussiedler, erhalten und weitergeben. ■

Hohe Auszeichnung Altbundespräsident Gauck mit Wilhelm-Leuschner-Medaille geehrt Aus Anlass des Verfassungstages des Landes Hessen wurde im Dezember 2018 dem ehemaligen Bundespräsidenten Dr. Joachim Gauck die Wilhelm-Leuschner-Medaille, die höchste Auszeichnung des Bundespräsident a. D. Dr. Joachim Gauck Landes Hessen, verliehen. Der Hessische mit Siegbert Ortmann (Foto: Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier würdigte Staatskanzlei) während einer Feierstunde im Kurhaus zu Wiesbaden damit die Lebensleistung von Joachim Gauck für seinen Einsatz für Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Unter den zahlreichen Ehrengästen dieser Veranstaltung war auch Siegbert Ortmann, Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen (BdV) in Hessen. Beim festlichen Empfang hatte Ortmann Gelegenheit, dem Geehrten zu dieser hohen Auszeichnung auch im Namen des hessischen BdV-Landesverbandes herzlich zu gratulieren. Seite 11


Landesverband

Gemeinsame Strategie Treffen unter BdV-Nachbarverbänden Kürzlich trafen sich Mitglieder der beiden Landesverbände des Bundes der Vertriebenen (BdV) aus Hessen und Rheinland-Pfalz mit ihren Landesvorsitzenden Siegbert Ortmann (Hessen) und Tobias Meyer (Rheinland-Pfalz) zu einem weiteren Gedankenaustausch im Wiesbadener Haus der Heimat. Dabei standen Abstimmungen für ein gemeinsames Vorgehen bei der Behandlung und Bewältigung folgender Themenbereiche im Mittelpunkt: verbandsinterne Zusammenarbeit mit dem BdV-Bundesverband, regelmäßiger Austausch bei Zusammenkünf-

ten mit Vertretern politischer Parteien, Zukunftsperspektiven und eine daraus resultierende mögliche Neuausrichtung des Vertriebenenverbandes, Möglichkeiten für eine effiziente Öffentlichkeitsarbeit Mitglieder beider BdV-Landesverbände mit den beiden Landesvorsitim Zeitalter des di- zenden Siegbert Ortmann (4.v.li.) und Tobias Meyer (5.v.li.). gitalen Wandels und notwendige institutionelle Förderung des füllung gemäß § 96 des BundesvertriebenenVertriebenenverbandes für die Aufgabener- gesetzes (BVFG) durch die Bundesländer. ■

Wichtige Themen für die Zukunft Kultur der Vertreibungsgebiete in exemplarischen Projekten vermitteln Flucht und Vertreibung sind die großen Themen des 20. und 21. Jahrhunderts! Die Erlebnisgeneration der Heimatvertriebenen, Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten nimmt aus natürlichen Gründen ab. So haben wir die Verpflichtung, das Kulturerbe des Ostens den jungen Menschen zu vermitteln, indem wir ihnen konkret exemplarische Projekte ermöglichen. Ein solches Projekt kann in Form einer Reportage oder eines „YouTube“-Beitrages in Zusammenarbeit mit Schülerinnen und Schülern unter Einbindung von Zeitzeu-

gen entstehen. Ein weiters Projekt „Kulturerbe Osten“ kann als Veranstaltungsreihe in Städten etabliert werden. Den Rahmen könnten Projektwochen in Schulen mit einzelnen Veranstaltungen wie Lesungen, Filme, Ausstellungen oder Konzerte anbieten. In diesem Sinn ist der Dialog mit Universitäten wünschenswert. Auch die Nutzung und die Zusammenarbeit mit allen denkbaren Medien sind hier unbedingt notwendig. Die schwarz-grüne Koalition des Landes Hessen unterstützt diese Überlegungen, indem sie in ihrem Vertrag ausdrücklich

festhält: „Die Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht und Vertreibung, ihren Folgen und dem damit verbundenen kulturellen Erbe ist von nicht nachlassender Relevanz.“ Und weiter: „Wir werden auch in Zukunft die Strukturen einer/eines Landesbeauftragten für Heimatvertriebe und Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler, den Landesbeirat für Vertriebene-, Flüchtlingsund Spätaussiedlerfragen sowie den Hessischen Preis ,Flucht, Vertreibung, Eingliederung‘ erhalten“. ■ Rose-Lore Scholz, kommissarische Kulturreferentin des BdV-Landesverbandes Hessen

Auszug aus dem Koalitionsvertrag zwischen der CDU Hessen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen für die 20. Legislaturperiode Heimatvertriebene und Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler Die Themen Flucht und Vertreibung sind für unsere Gesellschaft von großer Bedeutung (…) Viele Menschen in unserem Land haben durch Flucht und Vertreibung Leid erfahren oder sind als Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler besonderen Belastungen ausgesetzt. (…) Wir wollen ihren Bedürfnissen in besonderer Weise Rechnung tragen und ihnen die Möglichkeit geben, den Austausch über ihre kulturelle Identität zu pflegen, sich ihrer Geschichte zu erinnern und unsere Gesellschaft gleichzeitig als ihre Heimat zu empfinden. Neben Verständigung und Versöhnung wollen wir gerade jungen Menschen Perspektiven eröffnen. (…) (…) Weil die Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht und Vertreibung, ihren Folgen und dem damit verbundenen kulturellen Erbe von nicht nachlassender Relevanz ist, wollen wir ihr in den Schulfächern Deutsch, Geschichte, Ethik und Politikwissenschaften Raum geben und einen besonderen Platz einräumen. Damit und auch darüber hinaus wollen wir dazu beitragen, Vorurteile durch Information abzubauen. Wir werden Präventions- und Aufklärungsprogramme zielgruppenspezifisch weiterentwickeln und diese stärker berücksichtigen. Auf Bundesebene werden wir uns für eine Verbesserung der Rentenregelung für spätausgesiedelte Deutsche einsetzen. Seite 12

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DEBW

Verständigungspolitische Seminare im Jahr 2019 Deutsch-Europäisches Bildungswerk in Hessen e.V. lädt dazu ein

Deutsch-serbisch-ungarisches Verständigungsseminar in der Vojvodina und in Szeged (Serbien und Ungarn) vom 22. bis 28.09. mit dem Thema: „Vielvölkerregion an der Donau und die Deutschen: gemeinsame geschichtliche Erfahrung als Grundlage für die Verständigung und Erneuerung“

hintergrund, Vertreter der hessischen BdV-Gliederungen wie z. B. Mitglieder der Landesgruppen Hessen der Landmannschaft der Donauschwaben und der L a nd sma nnschaft der Ungarndeutschen. Über 120 serbische und ungarische Teilnehmer an Begegnungen, inklusive Referenten und Dolmetschern, Kommunalpolitik Blick über die Altstadt Rigas (Foto: David Holt, via Wikimedia und Medien, Be- Commons / CC BY-SA 2.0) wohner von Novi Sad, Subotica, Sombor, und Szeged, inkl. stadt Wiesbaden, u. a. hessischen Städten Kommunalpolitikern, Hochschuldozen- und Gemeinden, BdV-Verbandsmitglieder, ten und Lehrern, Studenten und Schülern, inkl. Mitglieder des Bundes der Danziger Buchautoren und Priestern, Repräsentan- und der Landsmannschaft Westpreußen. ten mehrerer serbisch-deutscher und un- Bis annähernd 160 ausländische Teilnehgarisch-deutscher Partnerschaftsvereine, mer an Begegnungen inkl. Referenten, Jugendvertreter aus der Region u. a. Das Dolmetschern und Grußwortrednern. Seminar beinhaltet Vorträge von Bürger- Sprechern der polnischen Öffentlichkeit meistern sowie von Wirtschaftsvertretern, wie z. B. der Bürgermeister von Danzig, Schriftsteller und Philosophen von den Uni- Bewohner von Danzig und der anderen versitäten in Novi Sad, Subotica und Szeged. Städten und Gemeinden in der Kaschubei, Am Seminar werden auch die in der Region einschließlich Kommunalpolitiker, Hochverbliebenen Deutschen teilnehmen. Das schuldozenten, Gymnasial- und GrundSeminar wird in Zusammenarbeit mit dem schullehrern, Studenten und Schülern, Deutschen Volksverband und dem Deut- Repräsentanten sozialer und kirchlicher schen Nationalrat in Serbien, dem Begeg- Einrichtungen, Vertretern polnischer Junungszentrum in Sombor und der Selbst- gendorganisationen und Wirtschaftsunterverwaltung der deutschen Nationalität in nehmen, Buchautoren und Journalisten soSzeged sowie mit den Stadtverwaltungen wie grenzüberschreitend beteiligte Vereine von Novi Sad und Szeged vorbereitet und der deutschen Minderheit in Danzig. Das durchgeführt. Seminar wird in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaft Deutsch-polnisches Verständigungsseminar in Danzig, dem Europäischen Zentrum der in Gdańsk/Danzig und in der Kaschubei Solidarność und dem Kaszëbskò-Pòmòr(Polen) vom 20. bis 26.10. mit dem Thema: sczé Zrzeszenié sowie mit der Universität „Zusammenwirken in der Geschichte als und der Stadtverwaltung Danzig vorbeGrundlage für das Zusammenleben in der reitet und durchgeführt. ■ Gegenwart“

Zielgruppen im In- und Ausland bis max. 160 Personen, inklusive 35 Personen aus Deutschland mit Tagungsleitungs- und Referententeam, einschl. kommunalpoltisch- und verständigungspolitisch engagierte Teilnehmer aus der Landeshauptstadt Wiesbaden, der Partnerstädte Dortmund und Darmstadt mit einem Vertriebenen-

Zielgruppen im In- und Ausland bis max. 160 Personen, einschIießlich 35 Personen aus Deutschland mit Tagungsleitungs- und Referententeam, Vertreter des Partnerlandes Bremen, Bürger der Partnerstädte Stein und Duderstadt, kommunalpolitisch engagierte Heimatvertriebene und ihre Nachkommen aus der Landeshaupt-

Deutsch-lettisches Verständigungsseminar in Riga (Lettland) vom 14. bis 20.07. mit dem Thema: „Geschichtlicher Erfahrungsaustausch zwischen Letten und Deutschen als Grundlage für die Zusammenarbeit“ Zielgruppen im In- und Ausland bis max. 160 Personen, inklusive 35 Personen aus Deutschland mit Tagungsleitungs- und Referententeam, einschl. kommunalpoltisch- und verständigungspolitisch engagierten Teilnehmern aus der Landeshauptstadt Wiesbaden und der Partnerstädte Bremen. Rostock und Schmölln, Vertreter der hessischen BdV-Gliederungen wie z. B. Mitglieder der Deutsch-Baltischen Gesellschaft, Landesgruppe Hessen, Repräsentanten der baltischen Heimatortsgemeinschaften. Über 120 lettische Teilnehmer an Begegnungen, inklusive Referenten und Dolmetschern, Vertreter der lokalen Öffentlichkeit, Kommunalpolitik und Medien, Bewohner der lettischen Städte und Gemeinden, inkl. Kommunalpolitikern, Hochschuldozenten und Lehrern, Studenten und Schülern, sowie Geistlichen und Jugendvertretern. Am Seminar werden auch die in Lettland verbliebenen Deutschen, Vertreter des Verbandes der Deutschen in Lettland teilnehmen. An der Organisation und Durchführung des Seminars werden außerdem das Deutsch-Lettische Zentrum Domus Rigensis, die Jugendorganisation „Jugendbühne“, die deutschen Kulturvereine in Saldus, Dobele, Valmiera und Ventspils sowie die deutsche Botschaft in Riga mitwirken.

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Deutsch-Europäisches Bildungswerk in Hessen e. V. Friedrichstraße 35 65185 Wiesbaden Telefon 0611 3601917 Telefax 0611 3601922 E-Mail info@debwh.de Web www.debwh.de Seite 13


Landsmannschaften

70 Jahre „Brücke der Verständigung“ Jubiläum der Landsmannschaft Weichsel-Warthe mit Grußwort von Ministerpräsidenten Volker Bouffier Es ist unüberseh unübersehbar: Das politische und gesellschaftli gesellschaftliche Miteinander ist rauer geworden. Populismus, stark vereinfachte Lösungen und Problemdarstellungen sind an der Tagesordnung. Obwohl wir im Informationszeitalter leben, wird es immer schwieriger, sich eine umfassende Meinung bilden zu können. Das Wort „Fake-News“, gefälschte Nachrichten, ist zum Unwort der letzten Jahre geworden. Diejenigen, die „Social Media“ nutzen, also Internetforen wie Facebook, auf denen jeder seine Meinung veröffentlichen kann, scheinen oft ohne soziale Kontrolle zu agieren. Diffamierungen und Mobbing, bis hin zu Drohungen und Rufmord können hier „gepostet“ werden, wie man das Neudeutsch nennt. Der Populismus und die unübersehbaren Probleme mit der Globalisierung, Digitalisierung, Migration jeder Form und der umstrittene Klimawandel verunsichern die Menschen und schaffen ideologisch geprägte Meinungsbilder. Die Landsmannschaft Weichsel-Warthe (LWW) hat sich zu diesem Thema bewusst zurückgehalten, denn die Wahrheit und eine realistische Beurteilung sind so vielschichtig, dass wir dies nicht leisten können und auch gar nicht wollen, da es bereits genügend Meinungsäußerungen von allen gesellschaftlichen Seiten gibt. Wir glauben an den mündigen Bürger, der sich selbst seine Gedanken macht und seine Meinung bildet. Aus unseren Erfahrungen wissen wir, dass die Mitglieder der LWW dazu in der Lage sind. Die Deutschen aus dem Vorkriegspolen haben sich selbst organisiert und ihr Wissen bewahrt, dokumentiert und weiterentwickelt. Die Frage nach der eigenen Geschichte und Herkunft, die Frage nach dem Warum des selbst Erlebten und Erlittenen prägt die LWW – und in diesem Jahr begeht die Landsmannschaft Weichsel-Warthe das 70-jährige Jubiläum ihres Bestehens. Es waren 70 Jahre Diskussion, neubewerten, überlegen und bewahren der Traditionen. Seite 14

Symptomatisch ist die Aussage „Wir müssen uns selber helfen, an unsere Geschichte erinnern, erforschen und darstellen“. Hierzu wurden Geschichtsvereine gegründet, die Familienforschung geht in dieselbe Richtung und das jährliche Erinnerungswerk ist das „Jahrbuch Weichsel-Warthe“. Die LWW hat mit all ihren Gliederungen seit 70 Jahren viele Wege beschritten. Heute, in der Retrospektive, sieht man diejenigen Wege, die große wegweisende Themen und Erfolge waren. An dieser Stelle ist bereits kurz nach der Gründung der LWW die Mitunterzeichnung der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ im Jahr 1950 zu nennen. Dem Ziel eines gemeinsamen Europas blieb die LWW bis heute verbunden. Die Kontakte zum ehemaligen Nachbarn reichen heute von Polen, der Ukraine bis nach Weißrussland. Ein wichtiges Thema seit 1989 waren und sind auch die Belange der Landsleute in der ehemaligen DDR. Die LWW gab sich im Jahr 1961 für ihr Bundestreffen im hessischen Frankfurt am Main das Motto „Brücke der Verständigung“, das in der Folgezeit zum Arbeitsmotto der LWW wurde. Die Mitglieder in der LWW sind natürlich Teil der Gesamtbevölkerung, daher verwundert es nicht, dass deren Entwicklungen sich auch in der LWW zeigen. In seinem Grußwort anlässlich des 70-jährigen Bestehens der Landsmannschaft Weichsel-Warthe richtete Ministerpräsident Volker Bouffier herzliche Grüße an die Mitglieder mit den Worten: „Ohne die Tatkraft, ohne den Fleiß der Vertriebenen wären der Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder in unserem Land so nicht erreichbar gewesen. Nach wie vor wirken Sie mit der Pflege ihrer Traditionen wesentlich am kulturellen Reichtum unseres gemeinsamen Landes mit. Ebenso widmen Sie sich in unserem Nachbarland der Erhaltung, Pflege und Vermittlung des kulturellen Erbes der Deutschen aus Polen. Seit sieben Jahrzehnten halten Sie die Erinnerung an Ihre Wurzeln und an Ihre Herkunft lebendig. Dabei verstehen Sie sich als ,Brücke der Verständigung‘ zwischen Deutschen und Polen. Für diesen Einsatz möchte ich Ihnen herzlich danken. Für die Hessische Landesregierung hat die Politik für Heimatvertriebene und Spätaussiedler einen hohen Stellenwert. Von Anfang an fühlte sich Hessen eng mit Ihnen verbunden. Über die

Ministerpräsident Volker Bouffier

Dr. Martin Sprungala Jahrzehnte wurden in unserem Land zahlreiche Gremien und Funktionen eingerichtet, die sich bis heute bewähren und für eine erfolgreiche Vertriebenen- und Aussiedlerpolitik stehen. Zu ihnen gehört auch die Übernahme von Patenschaften, eine davon mit der Landsmannschaft Weichsel-Warthe. Diese Praxis trägt dazu bei, kulturelle Traditionen zu bewahren, lebendig zu erhalten und weiter zu entwickeln. Eine solche Patenschaft ist zum einen eine mahnende Verpflichtung zum Erinnern. Sie bietet zum anderen aber auch eine Möglichkeit, Raum für Versöhnung, für Verständnis und für Vertrauen zu schaffen. Raum für eine gute gemeinsame Zukunft in Frieden mit unseren Nachbarn in Europa. Vertriebenenarbeit, das war und das ist vor allem ehrenamtliche Arbeit. Das Jubiläum nehme ich daher gerne zum Anlass, allen Mitgliedern für ihr beeindruckendes Engagement zu danken.“ ■ Dr. Martin Sprungala Bundessprecher der LM Weichsel-Warthe Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019


Landsmannschaften

„Oberschlesien ist mein Heimatland“ Barbarafeier mit Steigermarsch in vorweihnachtlicher Atmosphäre Ende November 2018 hatte die Landsmannschaft der Oberschlesier zur traditionellen Barbarafeier, dem Fest der Heiligen Barbara, bei schlesischem Mohn- und Streuselkuchen in den Martinssaal der katholischen Liebfrauen-Gemeinde in Darmstadt eingeladen. Der Vorsitzende der Oberschlesier Südhessen, Kurt Ulfik, konnte hierzu zahlreiche Ehrengäste und Besucher in einem vorweihnachtlich geschmückten Saal begrüßen. Schon zu Beginn hörte man gesanglich das Bekenntnis zur alten Heimat mit dem Lied: „Oberschlesien ist mein Heimatland, wo vom Annaberg man schaut ins weite Land; halte uns die Treue, oberschlesisch‘ Land, wie wir in der Fremde uns zu dir bekannt.“ Die Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf, überbrachte zu Beginn der Zusammenkunft die Grüße des Ministerpräsidenten Volker Bouffier sowie des Hessischen Ministers für Soziales und Integration, Stefan Grüttner. In ihrer Ansprache ging die Landesbeauftragte auf die besondere Bedeutung der Heiligen Barbara für Oberschlesien ein, als dessen Schutzheilige sie seit dem 16. Jahrhundert gilt. „Wir erinnern uns bei der heutigen Feier an eine bemerkenswerte junge Frau, die über viele Jahrhunderte hinweg den Menschen durch ihre standhafte Haltung im Angesicht des Todes immer ein Vorbild und auch Trost in schwerer Zeit gewesen ist.“ Oberschlesien und die Verehrung der Heiligen Barbara seien daher eng miteinander

verbunden. Nachdem hier bereits im 12. Jahrhundert Silber- und Bleierze abgebaut worden waren, wurde die heilige Barbara im 16. Jahrhundert zur Schutzheiligen der Bergleute in Oberschlesien. Aufgrund ihres traurigen Schicksals als Märtyrerin, würden die Menschen mit ihr seit Generationen Hoffnung auf Trost in dunklen Stunden und schweren Zeiten verbinden. „Und diese mussten gerade die Oberschlesier im 20. Jahrhundert reichlich durchleiden“, erklärte die Landesbeauftragte auch mit Blick auf das Ende des Ersten Weltkriegs vor einhundert Jahren. Dieser habe das Land mit seiner gemischten deutsch-polnischen Bevölkerungsstruktur gespalten. „Während die einen den Anschluss an den wieder erstandenen polnischen Staat anstrebten, wollten die anderen bei Deutschland verbleiben“. Der tiefe Riss sei mitten durch Wirtschaftsstrukturen, Siedlungen und teilweise sogar durch die Familien gegangen. Schließlich hätten sich die Spannungen mancherorts auch gewaltsam entladen. So sei der Annaberg als Ort schwerer Kämpfe des Jahres 1921 in die Geschichte eingegangen und nach den Vertreibungen infolge des Zweiten Weltkriegs bis heute ein Wallfahrtsort in der verlorenen Heimat geblieben. Die damaligen Verwerfungen spüre sie bei ihrer Arbeit als Landesbeauftragte sogar bis heute, wenn sich Menschen aus Oberschlesien beispielsweise in Fragen der Staatsbürgerschaft oder Pass-Angelegenheiten an sie wenden würden. „Das 20. Jahrhundert hat mit seinen beiden Weltkriegen gezeigt,

Barbarafeier: (v. l.) Margarete Ziegler-Raschdorf, Kurt und Waltraud Ulfik in Schlesiertracht (Fotos: LBHS) Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019

welch unermessliches Leid mit Nationalismus und daraus resultierenden Vertreibungen verbunden ist. Unsere Zukunft kann daher nur in einem geeinten Europa der Partner und Freunde gut werden“, zeigte sich Margarete Ziegler-Raschdorf überzeugt. Dialog und gegenseitiges Verständnis seien heute angesichts verschiedener besorgniserregender Entwicklungen in Europa wichtiger denn je. Gerade auch die Oberschlesier könnten hier durch ihre Verbindungen in die alte Heimat zu kulturellem Austausch und stabiler Partnerschaft beitragen. Die Landesbeauftragte dankte den Mitgliedern der Landsmannschaft, ihrer Landesvorsitzenden Monika Mucha und dem Kreisvorsitzenden Kurt Ulfik für ihre Arbeit und die erbrachten Leistungen auf dem Gebiet der Kulturpflege. Mit dem Steigerreigen im Kerzenschein, dem gemeinsamen Singen der Lieder aus den Heimatgebieten mit der BdV-Musik- und Gesangsgruppe Biebesheim/Dornheim und der Verteilung der Barbarazweige endete ein stimmungsvolles Beisammensein. ■

Landsmannschaft der Oberschlesier Landesvorsitzende: Monika Mucha Sauerberg 6 65307 Bad Schwalbach E-Mail mucha.monika@t-online.de

Mitglieder der BdV-Musik- und Gesangsgruppe mit Lichterpyramide und Kerzengruß an die Heimat. Seite 15


Kreisverbände

Ein Land, dass es nicht mehr gibt Fotoausstellung über das deutsche Wolgagebiet im Hanauer Rathaus Anfang Februar 2019 wurde im Hanauer Rathaus eine Ausstellung mit dem Thema „Das deutsche Wolgagebiet – Eine unvollendete Fotogeschichte“ eröffnet, die bereits in Moskau, Saratov, Bayreuth sowie im vergangenen Herbst im Wiesbadener Haus der Heimat zu sehen war und nach Hanau im Berliner Bundesinnenministerium gezeigt werden wird. Der stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbandes Main-Kinzig des Bundes der Vertriebenen (BdV), Lothar Streck, konnte dazu mehrere Ehrengäste begrüßen: die Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf, Konsul Andrei Bassow von der russischen Föderation, Helmut Kaltenhauser, MdL Bayern, Sprecher für Heimatvertriebene der FDP-Fraktion, Stadtrat Peter Jurenda, Olga Martens, 1. stv. Vorsitzende des Internationalen Verbands der deutschen Kultur und Herausgeberin „Moskauer deutsche Zeitung“, Alexandra Dornhof, BdV-Jugendreferentin und Bildungsreferentin der deutschen Jugend aus Russland (DJR), Markus Harzer, Vorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) in Hessen, Dennis Harff, Bundesaussiedlerbeauftragter im BMI, Oberstudiendirektor Jürgen Scheuermann und Schulleiter des Karl-Rehbein-Gymnasiums. Margarete Ziegler-Raschdorf, die die Ausstellung eröffnete und dabei in die Ausstellung einführte, überbrachte die Grüße der Hessischen Landesregierung und des Minis-

terpräsidenten Volker Bouffier. Zu Beginn ihrer Ausführungen wandte sie sich an anwesende Schülerinnen und Schüler des Hanauer Karl-Rehbein-Gymnasiums, die im Rahmen eines Schulprojektes das Thema Flucht und Vertreibung behandelt hatten. Nach dem Besuch der Wiesbadener Ausstellung im vergangenen Herbst waren sich die Jugendlichen der beiden Leistungskurse einig, dass diese Ausstellung auch nach Hanau geholt werden müsste, da in der Region zahlreiche Deutsche aus Russland leben. Darüber hinaus wollte man die Ausstellung für Außenstehende mit Informationen über die Vorgeschichte seit dem 18. Jahrhundert mit regionalem Bezug in Büdingen, wo noch Namenslisten von damaligen Auswanderern eingesehen werden können, sowie einen Überblick über die Entwicklung seit der Deportation im Jahr 1941 erweitern. „Liebe Schülerinnen und Schüler, besonders bei Ihnen möchte ich mich bedanken, dass Sie heute morgen hier sind und freue mich, dass Sie auf Initiative Ihres Lehrers Markus Harzer so zahlreich hierher gekommen sind, um sich einmal mit einem Thema zu beschäftigen, dass vielen Bürgern vollkommen unbekannt ist, nämlich der Geschichte der Wolga-Deutschen, also der Deutschen, die sich vor Jahrhunderten in Russland an der Wolga angesiedelt haben“, so Ziegler-Raschdorf. Weiter sagte sie: „Sie haben im vergangenen Herbst gemeinsam die Ausstellung in Wiesbaden besucht und das Thema im Unterricht aufgearbeitet. Daraus sind zwei selbst erstellte Texttafeln mit zusätzlichen Informationen entstanden, die

Veranstalter und Ehrengäste nach der Eröffnungsfeier (Fotos: Dornhof, DJR) Seite 16

nun die Ausstellung hier in Hanau ergänzen und bereichern. Das finde ich wirklich bemerkenswert. Dafür gilt Ihnen mein ganz besonderer Dank! Ich finde es toll, dass sich gerade junge Menschen mit Geschichte und Kultur sowohl der Heimatvertriebenen als auch der Spätaussiedler befassen. Dieses Projekt kann Vorbild sein auch für weitere Veranstaltungen. Deshalb mein Dank auch an den Schulleiter des Karl-Rehbein-Gymnasiums, Herrn Oberstudiendirektor Jürgen Scheuermann.“ „Es ist mir eine große Freude, hier bei Ihnen in Hanau zu sein, um mit Ihnen gemeinsam die Ausstellung ,Das deutsche Wolgagebiet. Eine unvollendete Fotogeschichte‘ zu eröffnen. Was ist das für eine Ausstellung? Was zeigt sie uns? Wir sehen in der Ausstellung seltene bildliche Zeugnisse vom Leben der Deutschen an der Wolga. Es sind Foto-Dokumente, die erst mühsam in russischen und deutschen Archiven recherchiert werden mussten. Vor 250 Jahren gab es noch keine Fotografie und im Gegensatz zu heute, wo uns täglich unzählige Bilder, Selfies, Videos aufs Handy gespült werden, gab es natürlich in jenen Zeiten auch später nur wenige Fotodokumente. Die Bilder, die erhalten sind, führen uns in ein fernes Land und in eine längst vergangene Zeit. Es ist ein Land, das es nicht mehr gibt. Die historischen Aufnahmen lassen den Alltag der Menschen damals an der Wolga für den Betrachter wiederaufleben und dokumentieren die wechselhafte Geschichte des autonomen Gebietes der Wolgadeutschen. Etwas mehr als 20.000 Siedler – ein großer Teil davon aus Hessen – waren dem Aufruf der Zarin Katharina der Großen im Jahr 1763 gefolgt und wegen ihrer damals von Armut geprägten Lebensverhältnisse in das bis dahin wenig besiedelte Gebiet an der unteren Wolga gezogen. Die Ausstellung lässt die Besucher teilhaben an der Gründung einer deutschen Wolgarepublik bis zum traumatischen Beginn dieser Menschen im Jahr 1941 nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion. Josef Stalin beschuldigte die Deutschen in Russland kollektiv der Kollaboration, der Zusammenarbeit mit dem Hitler-Regime und verfügte am 28.8.1941 die Auflösung der Wolgarepublik sowie die Deportation und Verbannung ihrer Bewohner. Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019


Kreisverbände

Lothar Streck, stv. BdV-Kreisvorsitzender Main-Kinzig, bei der Begrüßung.

Die Geschichte des deutschen Wolgagebietes ist daher in der Tat eine unvollendete, so wie es der Untertitel dieser Ausstellung deutlich macht. Die Deutschen mussten ,ihr‘ Wolgagebiet verlassen, mussten alles zurücklassen, ihre Häuser, Felder und ihr Vieh und sie durften nicht mehr zurückkehren. Heute ist es zwar möglich, in die ehemalige Wolgarepublik zurückzukehren, aber dort leben nur noch vereinzelt Deutsche und eine offizielle Wiedererrichtung der Wolgarepublik wurde von russischer Seite abgelehnt.

Das Land Hessen hat aufgrund der besonderen historischen Verbundenheit im Jahr 1985 die Patenschaft über die Wolgadeutschen übernommen. Als Patenland haben wir das Ereignis der 100. Wiederkehr der Begründung der Wolgarepublik aus diesem Grund im vergangenen Jahr in besonderer Weise gewürdigt. Unter der Schirmherrschaft unseres Ministerpräsidenten erlebten wir im vergangenen September eine eindrucksvolle Festveranstaltung im Hessischen Landtag, die uns noch lange in Erinnerung bleiben wird“, so die Landesbeauftragte. ■

Die Donauschwaben Buchgeschenk an die Stockstädter Gemeindebücherei In den letzten Jahren hat der Ortsverband des Bundes der Vertriebenen (BdV) Stockstadt im Kreis Groß-Gerau aufgrund eines Vorstandsbeschlusses der Stockstädter Gemeindebücherei Bücher über die deutschen Vertreibungsgebiete gespendet. Inzwischen wurden Bücher mit geschichtlichen Abhandlungen über das Sudetenland, Pommern,

Schlesien und Ostpreußen übergeben. Damit sollen die Leser auf die Geschichte, die Kultur und das Brauchtum dieser Menschen und Regionen als Bestandteil der deutschen und europäischen Kultur informiert werden.

Im letzten Jahr übergaben Vertreter des Stockstädter BdV-Ortsverbandes kurz vor den Weihnachtstagen der Gemeindebücherei im Besein von Bürgermeister Thomas Raschel und der Leiterin der Gemeindebücherei, Renate Lautenschläger, ein Buch mit dem Titel „Geschichte der Donauschwaben – Von den Anfängen bis zur Gegenwart“. In diesem Buch beschreibt BdV-Ortsvorsitzender Helmut Brandl (4.v.li) mit Mitgliedern des der donauschwäbiBdV-Ortsvorstandes Stockstadt, Bürgermeister Thomas Raschel, Leiterin sche Autor, HeimatRenate Lautenschläger und Donauschwaben bei der Buchübergabe. und Volksforscher Josef Volkmar Senz ausführlich die wechselvolle Geschichte von deutschen Siedlern im Donauraum. Senz war eine herausragende donauschwäbische Persönlichkeit, Gründer der Donauschwäbischen Kulturstiftung und deren erster Vorsitzender. Er wurde 1912 in Apatin geBürgermeister Thomas Raschel und Büchereileiterin Renate Lauten- boren und verstarb schläger (Fotos: BdV Hessen) 2001 in Straubing. Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019

Sein Buch ist gleichsam ein geschichtliches Vermächtnis vom Beginn der Ansiedlung der Donauschwaben, über das Leben in der neuen Heimat, das Werden einer nationalen Bewegung, die Veränderungen und Folgen durch den Ersten und Zweiten Weltkrieg, die daraus resultierenden Umbrüche wie Neubeginn durch Auswanderung und Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland. Diese Menschen bestiegen die „Ulmer Schachteln“ – Boote auf der Donau – in der Hoffnung auf ein besseres Leben im Osten. Es waren Franken, Pfälzer, Hessen, Aargauer, Elsässer, Lothringer, Luxemburger, Thüringer und die Auswanderer aus vielen österreichischen Ländern, die vom Ende des 17. Jahrhunderts an in einigen großen Wellen, den später so genannten „Schwabenzügen“, tief nach Südosteuropa gelangten. Sie kamen nach einer schier endlosen Folge von Schlachten zwischen dem Osmanischen und dem Habsburgischen Reich in ein verödetes Gebiet. Den Nationalismus lernten sie erst spät kennen. Dennoch wurden sie nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Batschka, aus Slawonien, Syrmien und dem Banat vertrieben. Heute leben sie in aller Welt verstreut. ■

BdV-Ortsverband Stockstadt Vorsitzender: Helmut Brandl Südstraße 67 64589 Stockstadt Web www.bdv-kvb-gg.de

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Kultur

Kulturerbe Kirchenburgen Einzigartige Baudenkmäler in Siebenbürgen Siebenbürgen in Rumänien ist bekannt für seine hohe Dichte und Vielfalt an Kirchenburgen. Mehr als 160 dieser weltweit einzigartigen aus dem Mittelalter erhaltenen architektonischen Besonderheiten finden sich dort bis heute. Für viele Orte sind sie zum Wahrzeichen geworden. Sieben Kirchenburgen zählen inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen Hessen widmete dem für ihre Volksgruppe so wichtigen und identitätsstiftenden Thema kürzlich eine eigene Veranstaltung in Darmstadt. Seit Mitte des 12. Jahrhunderts hatten die ungarischen Könige gezielt deutschstämmige Kolonisten – pauschal als Sachsen bezeichnet – in Siebenbürgen angesiedelt, um das raue Grenzland weiter zu erschließen und gegen äußere Angriffe zu sichern. Sowohl der Mongolensturm der Jahre 1241/42 als auch die Türkeneinfälle ab 1395 führten dazu, dass die Bewohner ihre Siedlungen schützen mussten. Städte und Dörfer wurden entsprechend befestigt. Kirchen, die oftmals die einzigen aus Stein errichteten Gebäude waren, wurden zu Schutzanlagen ausgebaut. In den Kirchenburgen vereinigen sich sowohl bauliche Ästhetik als auch dem historischen Kontext geschuldete Notwendigkeiten militärischer Architektur. Umgeben von starken Mauern und versehen mit Wehrgängen und Wehrtürmen, waren diese Gebäudekomplexe eingebettet in eine Strategie der dörflichen Befestigung, wie sie in Europa einzigartig ist. Die Bewohner eines Dorfes konnten sich bei Gefahr in ihrer Kirchenburg für längere Zeit in Sicherheit bringen und darin überleben.

Kulturerbe Kirchenburgen: (v.l.) Referent Dr. Walter Jakobi, Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf, die Landesvorstandsmitglieder der Siebenbürger Sachsen Heidrun Depner und Karin Scheiner, Vorsitzende der Kreisgruppe Darmstadt Sieglinde Schrädt, Eleonore Gopper, Stv. Landesvorsitzender Helmut Schaaser. (Foto: LBHS) Im Rahmen dieser Veranstaltung zum Thema „Kulturerbe Kirchenburgen“ berichtete der Siebenbürger Arzt Dr. Walter Jacobi über seine Anstrengungen, die Kirchenburg in Streitfort vor dem gänzlichen Verfall zu retten, sie wiederaufzubauen und einer neuen Nutzung zuzuführen. So sei eine Zukunft als Begegnungsstätte, als Seniorenheim und als Ausbildungs- und Werkstatt für traditionelles Handwerk denkbar. „Aufgrund der historischen und kulturellen Bedeutung für Siebenbürgen ist es mehr als lohnenswert, sich mit dem Thema Kirchenburgen näher zu befassen“, erklärte die Beauftragte des Landes Hessen für Hei-

Kirchenburg in Königburg (Härman) in der historischen Region Burzenland (Foto: privat) Seite 18

matvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf, in ihrem Grußwort. Eine größere europäische Aufmerksamkeit wäre notwendig, um diese phantastischen Zeugnisse vergangener deutscher Siedlungsgeschichte zu erhalten. Ebenso wünschenswert sei aber auch das Bekenntnis Rumäniens selbst zu diesem Teil seiner Geschichte. Die Landesbeauftragte dankte der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen ausdrücklich für ihre zahlreichen Bemühungen um die Kulturarbeit: „Mit Veranstaltungen wie der heutigen tragen Sie erheblich zur Sichtbarmachung und zum Erhalt des Erbes der Vertreibungsund Siedlungsgebiete bei.“ ■

Evangelische Kirchenburg in Streitfort/Mercheașa (Foto: Andrei Kokelburg, via Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0 ro) Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019


Kultur

Oberschlesische Osterbräuche Kroszonki – gekratzte Ostereier und andere Ostertraditionen Weltweit verbreitet ist der Brauch, zu Ostern Eier kunstvoll zu verzieren und zu verschenken. Dieser alte Osterbrauch heidnischen Ursprungs wurde später mit dem Osterfest verbunden. Das Ei ist Symbol des Lebens, der Fruchtbarkeit und der Erneuerung. In früheren Zeiten wurden die Ostereier der Frühlingsgöttin Ostara zum Opfer gebracht. Heute gelten sie als Zeichen der Freundschaft, als Geschenk und sind besonders bei Kindern beliebt. In Oberschlesien gibt es diesen Brauch seit dem 10. Jahrhundert. Verschiedene Museen, z. B. das Museum des Oppelner Dorfes in Oppeln (Muzeum Wsi Opolskiej), halten diesen Brauch durch die Ausrichtung von künstlerischen Osterei-Wettbewerben und Ausstellungen lebendig. Bewertet werden ausschließlich Arbeiten, die in den für die Region charakteristischen traditionellen Techniken hergestellt werden. Im Oppelner Schlesien besonders beliebt ist die Kratztechnik. Nach dieser Methode verzierte Ostereier nennt man „kroszonki“. Nach dem Einfärben der Eier in der jeweiligen Grundfarbe wird das Ornament in das gefärbte Ei eingeritzt. Für diese Technik eignen sich verschiedenste Ritz- und Schabeinstrumente, z. B. Rasiermesser und spezielle Klingen aus gehärtetem Stahl, mit denen unterschiedlich breite Linien erzielt werden. Geübte Künstler verwenden oft mehrere Klingen von unterschiedlicher Dicke und mit verschiedenen Schnittwinkeln. So können verschiedene Strukturen und Schattierungen erzeugt werden.

Mit dem Osterfest verbinden sich viele regionale Bräuche und Traditionen, die zum Teil älter als das Christentum sind und sich auf die Fruchtbarkeit in der Frühlingszeit beziehen. Darauf verweisen zwei spezielle Bräuche am Ostermontag bzw. Osterdienstag, die noch heute gepflegt werden: das schlesische „Schmackostern“ und der oberschlesische „Schmigus Dingus“ (Śmigus Dyngus). „Schmackostern“ bezeichnet das Schlagen von jungen Frauen am Ostermontag mit einer bunt geschmückten Lebensrute. Dazu gibt es einen Spruch und als Geschenk bunte Ostereier. Dieser Brauch ist ein Symbol. Durch das Schlagen mit den jungen Zweigen der Rute gehen die vitale Kraft und Fruchtbarkeit auf die Mädchen über. Dieses Ritual ist in Mittel- und Ostdeutschland wie auch in Schlesien bekannt. In ganz Polen verbreitet ist der „Nasse Montag“ (lany poniedziałek), an dem junge Frauen und Mädchen mit Wasser begossen werden. Ursprünglich bereiteten junge Männer für den auch „Schmigus Dingus“ genannten Brauch Duftwasser in Flaschen vor. Mit dem Wasser wurden die Mädchen bespritzt. Dafür erhielten die Jungen handgemalte Ostereier und die älteren Burschen wurden von den Mädchen mit Kaffee und Kuchen bewirtet. Vermutlich geht dieses Ritual auf heidnische Traditionen zurück und erinnert an die symbolische Reinigung junger Frauen, die zum Frühlingsbeginn mit Wasser besprengt wurden. Die christliche Überlieferung verbindet diesen Brauch mit der Taufe von Herzog Mieszko I., die am Ostermontag im Jahr 966 stattgefunden haben soll.

Früher hat man dafür die Eier nicht ausgeblasen, sondern bis zu vier Stunden in Salzwasser gekocht. Außerdem verwendete man Naturfarben, während heute vorwiegend chemische Farbstoffe, z. B. Textilfarben, Tinte oder der Sud von eingeweichtem, farbigem Seidenpapier, bevorzugt werden. Zwei Hauptmotive sind für die „kroszonki“ aus dem Raum Oppeln charakteristisch: florale und pflanzliche Elemente sowie Tiermotive, z. B. Lämmer, Hühner, Hasen, Hirsche, Pferde und Vögel. Darüber hinaus werden auch Ostermotive wie der auferstandene Christus sowie Herzen und Sprüche dargestellt. Beliebt sind doppelseitige, symmetrisch angelegte Kompositionen, seltener werden geometrische Formen und asymmetrische Kompositionen gewählt.

Das Oberschlesische Landesmuseum in Ratingen präsentiert seit 2010 zur Osterzeit seine Osterei-Ausstellung mit jeweils wechselnden Themen in stets neuer Inszenierung und mit unterschiedlichen Kooperationspartnern aus Polen und Deutschland. So findet die beliebte Osterschau in diesem Jahr bereits zum 10. Mal statt. Aus diesem besonderen Anlass blickt das Oberschlesische Landesmuseum auf die vergangenen Ausstellungen zurück. Selbstverständlich stehen dabei auch die schönen Ostereier im Mittelpunkt, von denen das Museum fast 600 Stück besitzt. Für das Museum ist es ein besonderes Anliegen, diese oberschlesische, in Deutschland jedoch weitgehend unbekannte Tradition dem Publikum am Standort in Ratingen

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Fotos: Oberschlesisches Landesmuseum Ratingen näherzubringen und unmittelbar erlebbar zu machen. Zur Ausstellung erscheint eine bebilderte Handreichung: Das schlesische Osterfest mit Beiträgen zu schlesischen Osterbräuchen und typischen Verziertechniken sowie mit einem Rückblick auf alle Osterei-Ausstellungen im OSLM. Die Broschüre ist eine Kooperation des Kulturreferenten für Oberschlesien und des Oberschlesischen Landesmuseums mit dem Museum des Oppelner Dorfes in Oppeln (Muzeum Wsi Opolskie). ■ Dr. Susanne Peters-Schildgen, Oberschlesisches Landesmuseum Seite 19


Kultur

Gedenken der Sudetendeutschen 4.-März-Geschehen als Aufgabe für Europa Die Sudetendeutschen betonen gerne die 8erReihe historischer Ereignisse in ihrer alten Heimat. Mit den Jahren 1618, 1848, 1918, 1938, 1948 und 1968 verbinden geschichtsbewusste Vertriebene Schicksalsjahre der Geschichte Böhmens, Mährens und Schlesiens: den Beginn des Dreißigjährigen Krieges, das Revolutionsjahr 1848 und den Slawen-Kongress, das Ende der Donaumonarchie, das Münchner Abkommen, den Februar-Putsch der Kommunisten und den Prager Frühling.

schaft jedes Jahr ein Geschehnis auf, das nach dem Großen Krieg 1914 bis 1918 bis heute in seiner Tragik für Europa verdrängt wird. Wenn in München am 10. März dieses Jahres der Bundesverband der SL bei seiner Gedenkveranstaltung in der Münchner Allerheiligen Hofkirche als Thema wählte „Für ein Europa freier Völker und Volksgruppen“, so machen die Sudetendeutschen ein Problem deutlich, das auch ein Jahrhundert später bis heute nicht gelöst ist.

Man kann aber auch von einer 9er-Reihe in den böhmischen Ländern sprechen: 1419 brachen mit dem ersten Prager Fenstersturz die Hussitenkriege aus, 1819 stärkten die Karlsbader Beschlüsse der Heiligen Allianz Metternichs Reaktion und Restauration und 1919 war eine erneute Katastrophe nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges. Auch 1939 und 1989 gehören dazu: der Beginn des Zweiten Weltkrieges und die „Samtene Revolution“, die politische Wende nach dem Kalten Krieg.

Was war am 4. März 1919 geschehen? Die mehr als drei Millionen Deutschen in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien glaubten den Worten des amerikanischen Präsidenten Wilson vom Selbstbestimmungsrecht der Völker und Volksgruppen. Als am 28. Oktober 1918 in Prag die Tschechoslowakische Republik ausgerufen wurde, gab es in diesem geplanten Staat eine Million mehr Deutsche als Slowaken, die aber mit den Tschechen dem neuen Staat den Namen Tschechoslowakei gaben. Dem Wort Wilsons glaubend, wollten sich die Deutschen der böhmischen Länder an das verbliebene Deutsch-Österreich anschließen: Als zwei Provinzen Sudetenland (Mähren

Durch das Gedenken an den 4. März 1919 greift die Sudetendeutsche Landsmann-

und Schlesien) und Deutschböhmen, während Südböhmen und Südmähren mit Oberösterreich und Niederösterreich vereinigt werden sollten. Die sudetendeutschen Abgeordneten aber wurden von den Alliierten aus der Österreichischen Nationalversammlung in Wien ausgeschlossen, die am 4. März ohne sudetendeutsche Vertreter zusammentrat. Für diesen Tag hatten die sudetendeutschen Parteien und Organisationen in vielen Gemeinden zu friedlichen Demonstrationen aufgerufen, die aber blutig endeten, weil tschechisches Militär in die Menge schoss und es in mehreren Städten insgesamt 54 Tote gab. Damals tagten in Paris bereits die Sieger des Krieges zu Friedensverhandlungen, bei denen die Unterlegenen kein Mitspracherecht hatten. Was am 4. März im Sudetenland geschah, hatte sich in der Untersteiermark in Marburg bereits ähnlich ereignet, als es bei einer Demonstration der Slowenien-Deutschen 13 Tote gab. Der 19. Januar ging als Marburger Blutsonntag in die Geschichte ein. Man muss klar feststellen: Das von Wilson propagierte Selbstbestimmungsrecht galt nur für die Sieger, nicht für die Unterlegenen, die

Das Ende Österreich-Ungarns nach den Pariser Vorortverträgen. (Foto: AlphaCentauri, via Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0) Seite 20

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Kultur

Minority SafePack – Was ist das? Die Europäische Bürgerinitiative ist ein Instrument der direkten Demokratie, das von der Europäischen Union im Jahr 2012 eingeführt wurde. Wenn mehr als eine Million Europäer aus mindestens sieben Mitgliedstaaten eine von einer Gruppe von Bürgern vorgeschlagene Initiative unterstützen, muss die Europäische Kommission den Antrag annehmen. Die Minority SafePack Initiative ist ein Paket von Gesetzesvorschlägen, die den Schutz nationaler Minderheiten gewährleisten soll bzw. eine Reihe von EU-Rechtsakten, die die Förderung von Minderheitenrechten, Sprachrechten und den Schutz ihrer Kultur ermöglichen. Kurz gesagt fasst sie die Hauptziele zusammen: die Sicherheit von Minderheiten und gesetzliche Regelungen für Minderheiten. Mehr Infos unter: www.minority-safepack.eu

Beanspruchtes Gebiet der Republik Deutschösterreich: mehrheitlich deutsch besiedelte Gebiete der österreichischen Länder (Foto: Wiki- derheitenfeindlichkeit hof und Minority SafePack hofft nun, dass media Commons, gemeinfei) aufgibt, denn nur ein endlich eine Reihe von EU-Rechtsakten Europa freier Völker beschlossen werden, durch die der Schutz bei den Verhandlungen in den Pariser Vor- und Volksgruppen kann für Europa dauer- der Minderheitenrechte, die Förderung der ortsverträgen systematisch gedemütigt wur- haft Bestand garantieren. Kultur und der Sprache der Minderheiten den. Heute ist vergessen, dass der Erste Welterreicht wird. Sudetendeutsche Fachleute krieg nach dem Waffenstillstand am 11. No- Die Europäische Bürgerinitiative Minority waren bei Bemühungen um die Schaffung vember 1918 in lokalen Kämpfen weiterging: SafePack hat im Vorjahr eine Million Un- eines internationalen Volksgruppenrechtes Polen und die Tschechoslowakei führten Krieg terschriften für die Vielfalt Europas gesam- seit Jahrzehnten Vorreiter und die Sudetenmit Toten und Verwundeten um die Gegend melt. Nachdem die Europäische Kommis- deutsche Zeitung hatte im Vorjahr in eivon Teschen, die Regierung in Prag ließ Preß- sion die Eingabe von Gesetzesvorschlägen ner Serie von Beiträgen das Bemühen von burg besetzen, das eigentlich zum Burgenland zum Schutz der nationalen Minderheiten Minority SafePack unterstützt.. ■ gehören sollte. Polen kämpfte gegen die Uk- abgelehnt hatte, klagte die Bürgerinitiative Rudolf Grulich raine und besetzte und annektierte erfolg- erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtsreich die litauische Hauptstadt Wilna, ohne dass die Alliierten eingriffen. Die MinderBernd Posselt erzählt Europa heitenklauseln der „Friedensverträge“ waren nur Makulatur. Die Prager Regierung verGeschichte und Personen, Bauplan und Visionen sprach zwar in Versailles und St. Germain eine zweite Schweiz, diskriminierte aber die Europa gibt es wirklich! Es entwickelte sich in mehr als tausend Sudetendeutschen, die als „Minderheit“ wie Jahren zur Vielfalt seiner Menschen und ihrer Kulturen, seines Lebensraums und dessen Erhalt. Gleichwohl ist seine Geschichte ein bereits erwähnt stärker waren als die SlowaAblauf von Mit- und Gegeneinander, eine Chronik von Bündnisken, die mit den Tschechen ein künstliches sen, Kriegen, Friedensschlüssen und wieder Kriegen. Nach diesen „Staatsvolk“ bildeten. Die Demütigung der Unterlegenen durch die Alliierten ist auch bei den Ungarn und Bulgaren ersichtlich. Die Friedenverträge in Trianon und Neuilly waren wie die Verträge von Versailles und St. Germain Grundlagen der Erstarkung damaliger Populisten und boten den Regierenden in Budapest und Sofia Anlass, sich im Zweiten Weltkrieg auf Seiten Hitlers zu stellen. In seinem neuen lesenswerten Buch „Europa erzählen“ bescheinigt der Europapolitiker, Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft und Sprecher der Sudetendeutschen, Bernhard Posselt, den Politikern und den Eurokraten der Europäischen Union in Brüssel „Minderheitenfremdheit“ und hofft, dass die EU endlich ihre Min-

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Jahrhunderten der Zersplitterung versucht Europa nun zusammenzuwachsen. Bernd Posselt, erfahrener Europapolitiker und Publizist, erzählt Europa – historisch, kulturell, religiös, kulinarisch und politisch. Bernd Posselt, geb. 1956, streitet seit Jahrzehnten für die Europäische Einigung: als Paneuropäer, bayerischer Europaabgeordneter und Publizist. Laut „Zeit“ ist er „das Gedächtnis des Europaparlamentes“.

Kritisch sieht er, dass das europäische Einigungswerk in Vielem stecken geblieben ist und es von Nationalisten und Populisten, aber auch von Renationalisierungstendenzen in den Einzelstaaten bedroht wird. Tief taucht er in die Geschichte Europas ein, erzählt von prägenden Persönlichkeiten der europäischen Einigung, befasst sich mit den Grundlagen von Demokratie und europäischem Lebensmodell und legt Entwürfe für die Zukunft der EU vor. ISBN/EAN: 9783791730424 Sprache: Deutsch Umfang: 240 Seiten Einband: kartoniertes Buch Kosten: 20,00 € (inklusive MwSt.) Erschienen am 10. Oktober 2018 Bestellungen an: Paneuropa-Union Deutschland Dachauer Straße 17 · 80335 München Telefax 089 554683 · E-Mail paneuropa-union@t-online.de

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Klänge aus dem Musikwinkel Industriezweige aus der ehemaligen Heimat Informiert man sich heute über die „Musikgemeinde“ Nauheim im Kreis Groß-Gerau, so fällt einem auf, dass diese hessische Gemeinde im Jahre 1946 von damals 3290 Einwohnern 565 Heimatvertriebene beherbergte. Das waren 17,2 Prozent der örtlichen Bevölkerung. Und glaubt man der im Jahre 1990 entstandenen Dokumentation über die Heimatvertriebenen im Kreis Groß-Gerau „Geflüchtet, Vertrieben, Aufgenommen“ der Autorin Ortrud Becker, so erreichte in manchen Riedorten der Bevölkerungsanteil der deutschen Heimatvertriebenen einen Anteil von bis zu 30 Prozent. Besonders zu Beginn der Ankunft dieser Menschen war die Eingliederung in die gewerbliche Wirtschaft oft nicht problemlos. Schaut man in diese Zeit zurück, so hatten es die früheren vertriebenen Kaufleute, Unternehmer und Handwerker wie auch die Landwirte gegenüber den unselbständigen Arbeitnehmern ungemein schwerer, im neuen Zuhause wieder Fuß zu fassen. Fast die Hälfte aller Berufstätigen im Sudetenland war in Industrie und Gewerbe beschäftigt. Eine Anfang 1947 vorgenommene provisorische Zählung ergab, dass sich unter den bis zu diesem Zeitpunkt nach Hessen eingewiesenen rund 640.000 Heimatvertriebenen zahlreiche selbständige Unternehmer befanden. Dazu gehörte auch die Musikinstrumentenindustrie aus den westböhmischen Orten Graslitz und Schönbach. In einem

Beitrag der Industrie- und Handelskammer Frankfurt aus dem Jahre 1963 heißt es: „Die Heimatvertriebenen- und Flüchtlingsbetriebe haben auf ihren Gebieten zum wirtschaftlichen Aufstieg beigetragen und dabei aus dem Nichts heraus beginnend ein Beispiel unternehmerischer Arbeit geboten.“ Die Dokumentation „15 Jahre heimatvertriebene Wirtschaft in Hessen“ nennt die im Jahre 1963 im Kreis Groß-Gerau angesiedelten Gewerbetreibenden, soweit sie Mitglied in diesem Verband waren. Danach hatten sich in Nauheim insgesamt neun Betriebe der Musikinstrumentenindustrie angesiedelt, die ihre Wurzeln im sogenannten westböhmischen „Musikwinkel“ hatten. Als „Musikwinkel“ bezeichnet man noch heute mehrere Gemeinden im sächsischen Vogtland. Bis zum Zweiten Weltkrieg bildete diese Region zusammen mit Schönbach und Graslitz auf böhmischer Seite das globale Zentrum des Musikinstrumentenbaus. Der Begriff Musikwinkel für diese Gegend geht ursprünglich auf den Zwotaer Heimatdichter Max Schmerler zurück, der diese in zwei Publikationen 1914 und 1923 als sächsischen Musikwinkel bezeichnete. Schaut man in die Geschichte zurück, so begann der Musikinstrumentenbau im Vogtland in der Stadt Markneukirchen. Hier siedelten sich böhmische Exulanten aus dem Grenzort Graslitz an, die im Zuge der Gegenreformation aufgrund ihres evangelischen Glaubens ihre Heimat

Altes Foto von Graslitz, heute Kraslice: Lange Gasse, vormals Goethestraße, heute Pohraniční stráže (Foto: Wikimedia Commons, gemeinfrei) Seite 22

verlassen hatten. Sie brachten die Kunst des damaligen Geigenbaus in die Stadt. Bereits 1677 schlossen sich zwölf Meister in Markneukirchen zu einer Innung zusammen. Schlendert man heute durch die südhessische Gemeinde Nauheim, so ist es gegenüber der „Gründerzeit“ der Musikinstrumentenindustrie der Heimatvertriebenen in den letzten Jahren spürbar ruhiger geworden. Es gibt zwar noch eine „Graslitzer Straße“, die an die ehemaligen Bewohner der westböhmischen Musikstadt erinnert, Entwicklungen in diesem Marktsektor durch Globalisierung und konkurrierende ostasiatische Billigprodukte haben jedoch für manche der damaligen Betriebe eine wirtschaftliche Weiterführung erschwert und oft auch zur Aufgabe gezwungen. Dass aber einige Musikinstrumentenbetriebe von damals bis heute überlebt haben, zeigt das Beispiel der Firma J. Püchner Spezial-Holzblasinstrumentebau GmbH bereits in der vierten Generation in Nauheim. In der Chronik anlässlich der Festschrift zu Firma Püchners 100-jährigem Firmenbestehen heißt es: „Am 25. August 1897, als Josef Püchner im böhmischen Graslitz, damals Teil der österreich-ungarischen Donaumonarchie, das Licht der Welt erblickte, meldete sein Vater Vinzenz Püchner gleichentags ein selbständiges Gewerbe als Holzblasinstrumentenmacher an. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Graslitz Hauptsitz der österreichischen Instrumentenfabrikation.“ Der Enkelsohn Walter Püchner erinnert sich an diese Zeit: „Die Erlebnisse nach dem Kriegsende 1945, das ich fünfzehnjährig als Zusammenbruch erlebte, und die Zeit bis April 1948, als unsere ,Aussiedlung‘ stattfand, würden einen Abenteuerroman ergeben. Eine Situation scheint mir erwähnenswert. 1947 kam eine Kommission aus Prag und verkündete die Liquidation unserer Firma. Mein Großvater Vinzenz nahm seine Mütze ab und sagte zu dieser Kommission folgende Worte: „Der Herr hat´s gegeben und die Herren können es nehmen“. Die Stille, die nach Großvaters Abgang herrschte, vergesse ich nie.“ Heute betreiben die im Jahre 1988 gegründete „J. Püchner Spezial Holzblasinstrumentebau GmbH“ die beiden Kinder von Walter Püchner, Gabriele und Gerald, als vierte Püchner-Generation. ■ Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019


Kultur

Legende oder Wahrheit? King of Rock bei den Graslitzer Gitarrenbauern Nicht nur in Nauheim soll Elvis Presley damals bei Instrumentenmachern reingeschaut haben. Die Seniorchefin der Firma KLIRA, Rosa Klier, erinnerte sich, dass Elvis während seiner Militärzeit in Deutschland auch einmal den Bubenreuther Gitarrenbauern einen Besuch abstattete. Er sei damals auf dem Weg von Hessen zu einem Manöver nach Grafenwöhr in Ostbayern gewesen. Es habe sogar ein Bild existiert, das diesen Besuch dokumentierte.

Walter Püchner beim Ausstimmen einer Klarinette (Fotos: Privatarchiv)

Dass etwas Wahres an dieser Geschichte ist, dafür spricht auch die im Hard Rock Café in Tampa, Florida, ausgestellte Gitarre, die Elvis nachweislich gehört hat. Es handelt sich nämlich tatsächlich um eine KLIRA-Gitarre.

Zusammen Heimat sein „Friedländer-Kaffeerunde“ verbindet Bereits zum elften Mal lud die „Friedländer-Kaffeerunde“ im Hünfelder Land zum Neujahrsempfang. Im vollbesetzten Saal des Landgasthofs „Zum Adler“ überbrachte die Hessische Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler Margarete Ziegler-Raschdorf rund 80 anwesenden Gästen die Neujahrsgrüße der Landesregierung. Offiziell besteht die „Friedländer Kaffeerunde“ seit dem Jahr 1990, ihre Ursprünge reichen jedoch zurück bis in die 1950er Jahre. Viele der 1.200 Heimatvertriebenen, die 1946 aus Stadt und Kreis Friedland im nordböhmischen Isergebirge nach Hünfeld kamen, hatten damals mit ihren regelmäßigen Treffen begonnen. Bis heute finden sich an jedem Dienstag zwischen 15 und 25 Friedländer in trauter Runde ein. 2006 ist das Ehepaar Monika und Franz Hanika hinzugestoßen. Zwei Jahre darauf hatten beide erstmals zu Jahresbeginn Gäste zu sich nach Hause eingeladen, um Filme von ihren Reisen in die alte Heimat vorzuführen. Während die Eltern von Monika Hanika selbst aus Friedland stammen, ist der 74jährige Franz Hanika gebürtiger Egerländer. Als Leiter der Friedländer Heimatstube in Hünfeld im Landkreis Fulda ist er der Heimat seiner Schwiegereltern jedoch eng verbunden. Aufgrund der stetig wachsenden Zahl der Teilnehmer der Neujahrstreffen reichte das eigene Heim bald nicht mehr aus. So werden die Treffen seit 2013 in Gaststätten organisiert. Inzwischen kommen in zunehmender Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019

Zahl auch zahlreiche Freunde, Nachbarn und Angeheiratete ohne Vertreibungshintergrund zu den jährlichen Empfängen. Das von den Eheleuten Hanika organisierte und gestaltete Neujahrstreffen 2019 ging weit hinaus über ein fröhliches Miteinander bei Kaffee, Tee, Kuchen, Wurst und Brot. In einem anregenden Lichtbildervortrag berichtete die aus München angereiste Heimatpflegerin der Sudetendeutschen, Dr. Zuzana Finger, den interessierten Besuchern von grenzüberschreitenden deutsch-tschechischen Projekten zum Erhalt sakraler Bauten und deutscher Friedhöfe in der Tschechischen Republik. Gemeinsam vom Land Bayern und der Sudetendeutschen Landsmannschaft finanziert, bemüht sich die Heimatpflegerin darum, das kulturelle Erbe der Deutschen aus und in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien zu dokumentieren, zu bewahren und zu fördern. Dabei zählt vor allem die grenzüberschreitende Kulturarbeit zu ihren wichtigsten Aufgaben. Ergänzt wurde das Programm zur Freude der Anwesenden durch musikalische Beiträge aus dem Egerland sowie verschiedene Mundartvorträge. Zur Kurzweil der Anwesenden wurden Dialekte aus dem Isergebirge, dem Egerland und aus Hessen einander gegenübergestellt. Die hessische Landesbeauftragte sprach dem Ehepaar Hanika ihren herzlichen Dank aus: „Nur, wenn die Kultur und das Brauchtum der alten Hei-

Traditionelles Neujahrstreffen der „Friedländer-Kaffeerunde“ in Burghaun-Steinbach: (v. l.) Franz Hanika, Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf, Dr. Zuzana Finger und Monika Hanika. (Foto: LBHS) mat gelebt und gepflegt werden, bleiben sie der Nachwelt erhalten. Veranstaltungen wie diese haben einen erheblichen Anteil daran, die Erinnerung an das geistige Erbe der Vertreibungsgebiete zu pflegen. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Vorbereitung und bin begeistert, wie viele Heimatvertriebene und gleichermaßen Einheimische so großes Interesse und Freude an diesem Nachmittag haben“, erklärte Margarete Ziegler-Raschdorf. Das Treffen wirke nicht nur verbindend und identitätsstiftend auf den Kreis der Betroffenen, sondern führte diese darüber hinaus auch mit den Einheimischen zusammen. Beide Seiten kämen zusammen, könnten ihre Erfahrungen austauschen und ihre jeweilige Heimat besser kennen und verstehen lernen. Dies wurde auch von Monika Hanika ausdrücklich betont: „Zusammen Heimat sein“, das wollen wir nicht nur am heutigen Tag, sondern es möglichst auch weiterhin immer wieder aufs Neue in die Tat umsetzen.“ ■ Seite 23


Kultur

Schlesische Bräuche – Fastnacht Das erste Fest im Jahresrhythmus war die Fastnacht, damit begann das Jahr für die Bauern, konnte man doch an den Tagen, die durch Fastnachtsbräuche gekennzeichnet waren, auch die ersten Frühlingsanzeichen sehen. Nach altem Volksglauben zogen zu der Zeit dunkle Dämonen, vielleicht unruhige Seelen, durch die Natur. Diese versuchte man durch die Fastnachtsmasken zu verjagen. Im 15. Jahrhundert wurden solche Masken auch als „Teufelshauben“ bezeichnet.

Dem peitschenknallenden Schimmelreiter – leider ohne Schimmel, sondern vielmehr mit Getreidesieben, Handfegern und alten Bettlaken „geschmückt“ – folgten ein

Bescheiden wie die Schlesier sind, feierten sie die Fastnacht nicht so ausgiebig wie andere deutsche Volksgruppen, man gab sich meist mit einem Tag zufrieden. Dann wurden für die Dämonen alte Opfergebäcke Fasching in Breslau auf einer alten Postkarte. gefertigt, immer Schmalzgebackenes, Pfannkuchen, Kreppli. Die Pfannkuchen Eisbär mit einem Bärenführer, ein Schornwaren mit Marmelade gefüllt – zumindest steinfeger, ein altes Weib mit einer großen meistens, hin und wieder kam auch Senf hi- Kiepe auf dem Rücken sowie Musikanten. nein. Bei allen schlesischen Bräuchen stan- War der Schimmelreiter nur laut, konnte den Schabernack und Schadenfreude, halt der Schornsteinfeger mit seiner Schuhsympathische menschliche Eigenschaften creme schon richtig fies werden, so öffim Vordergrund. neten sich die Hoftüren und –fenster nur sehr vorsichtig. Die mitziehende Jugend Im nördlichen Schlesien sah man am Sonn- des Dorfes sammelte Eier, Speck, Wurst, tag vor Fastnacht den „Schimmelreiter- Schinken, aber auch Schnaps und Geld, zug“ durchs Dorf gehen. Dazu sprach man sie „zamperten“. Hatte man alle Höfe so gerne: „Foastnacht, Foastnacht is nie olle „besucht“, traf man sich zum gemeinsaTage, jeder Tag hott seene eegene Plage!“ men Verzehr, wobei die Kinder gerne rie-

fen: „Schimmel, du Limmel, du putziges Ding, zum Frassen, zum Soafn da biste goar flink!“ Ein Brauch, der sich bis heute in der Niederlausitz hält. Im Riesengebirge ging man praktisch zur Sache: hier gab es den Brauch des „Ofenrohrausräumen“. Was wurde da nicht alles gefunden und mitgenommen, Kaffeekannen, Bratäpfel, Bettwärmer, alles wurde abgeschleppt und dies teilweise recht weit! In Mittelschlesien wurde am Sonnabend vor Fastnacht ein Maskenball gefeiert. Da dabei möglichst das ganze Gesicht hinter der Maske versteckt war, konnte man bis Mitternacht, wenn die Masken abgenommen wurden, rätseln, wer sich wohl dahinter verbirgt. In Oberschlesien konnte man am Aschermittwoch ungestraft jedermann etwas anhängen. Man beendete die Fastnacht dort gerne mit dem „Aschesäckelanhängen“: ein kleines, mit Asche gefülltes Säckchen wurde mit einem Draht anderen an die Jacke gehängt. Manch einer merkte dies nicht und lief den ganzen Tag damit herum. ■ Nachdruck mit freundlicher Genehmigung, Schlesische Nachrichten 2/2019.

Sammelleidenschaft im Kreisverband Limburg-Weilburg Kulturgüter und Gegenstände aus den deutschen Siedlungsgebieten Die Brüder Hermann und Robert Bandt aus Limburg, früher Arnsdorf im Kreis Römerstadt/Nordmähren, sind ob ihrer Sammelleidenschaft für Kulturgüter und anderer Gegenstände aus den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten in Mittelostund in Osteuropa weit über die Grenzen des Kreises Limburg-Weilburg bekannt. In der Sammlung sind auch viele Krippen und Weihnachtsgegenstände aus Böhmen, Mähren sowie aus dem Egerland und dem Erzgebirge, die das einstige Weihnachtsbrauchtum wieder aufleben lassen. Diese Gegenstände sind so zahlreich, dass sie im Gemeindemuseum des Geschichts- und Museumsvereins Elz ausgestellt werden. Der Vorsitzende des Vereins Josef Schmitt zeigte sich erfreut über die Bereitschaft der Seite 24

beiden Brüder, ihre Gegenstände der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Ausgestellt waren an den letzten Weihnachtstagen eine Krippe aus Gruhlich, eine Schwibbogenkrippe aus den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, böhmische Glaskunst, ein Moosmann aus dem Vogtland, ein Gemälde über Rübezahl, eine Nachbildung des Prager Jesuleins und ein Buckelbergwerk aus dem Erzgebirge sowie kleinere Weihnachtsgegenstände. Zur Eröffnung war auch der emeritierte Weihbischof Gerhard Pieschl (Limburg) gekommen, der für die Ausstellung ein Original-Priestergewand aus seiner Heimatstadt Mährisch-Trübau mitbrachte, welches Frauen damals aus der dortigen Kirche ret-

Gebrüder Robert und Hermann Bandt (Foto: privat) teten und ihm schenkten, ferner eine Kopie eines Bronze-Türklopfers vom Veitsdom in Prag sowie einen Bischofsstab mit der Schutzmantelmadonna. ■ Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019


Personalia

Ein Freund der Heimatvertriebenen Horst Gömpel wurde 80 Jahre Kaum ein Tag, an dem er nicht mit einem Stapel Papiere unterm Arm durch die Treysaer Bahnhofstraße geht. Kaum ein Tag, an dem er nicht in etliche Gespräche verwickelt ist. In Schwalmstadt und Umgebung ist er bekannt wie ein bunter Hund: Horst W. Gömpel. Stolze 96 Vorträge und Buchlesungen hat er gehalten, fünf Gedenktafeln initiiert, zwei Ausstellungen präsentiert und etliche Auszeichnungen erhalten. Gömpel ist begeisterter Geschichtsforscher, Autor, Ehrenamtler und ehemaliger Geschäftsmann. Anfang des Jahres 2019 durfte Gömpel Geburtstag feiern. Stolze 80 Jahre wurde er alt. Eine große Feier aber gab es nicht. „Aus gesundheitlichen Gründen wollten es meine Frau und ich etwas ruhiger angehen lassen. Außerdem leben viele meiner Wegbegleiter inzwischen leider nicht mehr“, sagt Gömpel nachdenklich. Auf die Frage, was sich jemand, der solch ein bewegtes Leben geführt und bereits durch etliche Auszeichnungen große Anerkennung erhalten hat, für sich selbst wünscht, antwortet er knapp: „Nichts anderes als Gesundheit.“ Horst W. Gömpel wurde am 11. Januar 1939 geboren. Er besuchte die Grundschule Treysa und anschließend das Schwalmgymnasium, das er mit dem Abitur abschloss. Als gelernter Einzelhandelskaufmann studierte er Volks- und Betriebswirtschaft in Marburg und Frankfurt mit Abschluss als Diplom-Volkswirt. 1964 trat er in den elterlichen Betrieb, das Modehaus Gömpel in Treysa, ein. Sieben Jahre lang war er nebenberuflich als Lehrer an der Kreisberufsschule in Ziegenhain tätig, ehe er 1977 das Modehaus übernahm und das Geschäft erweiterte. Auch politisch war Gömpel nie untätig. Der emsige Geschäftsmann trat 1968 in die FDP ein. Von 1971 bis 1977 gehörte er dem Treysaer Ortsbeirat an. Später war er Stadtverordneter und Magistratsmitglied. Gömpels Anerkennung ist auch deshalb bis heute ungebrochen, weil er sich in etlichen ehrenamtlichen Positionen verdient gemacht hat und noch immer macht. Die größte Würdigung seines Wirkens erhielt der Schwälmer 2005 durch Staatssekretärin Oda Scheibelhuber. Sie überreichte das Bundesverdienstkreuz am Bande. Deutsche Umschau Nr. 1 – 2019

Zuletzt richtete sich das öffentliche Interesse auf Gömpels jüngste Beschäftigungen. Er setzte sich intensiv mit den Themen Flucht und Vertreibung auseinander. Dazu erzählt Gömpel gegenüber unserer Zeitung: „1986 war ich zum ersten Mal in Reischdorf, wo meine Frau geboren wurde. Sie wurde als Kind mit ihrer Familie vertrieben. Ich war geschockt, als ich in ihrer Heimat ankam. Vom einst belebten Örtchen waren nur der Bahnhof und ein toter Wald übrig geblieben. Es kam mir vor, als würde die Landschaft um den Verlust ihrer Gemeinde trauern.“

Horst W. Gömpel (Foto: privat)

Von dort an zog es das Ehepaar oft nach Tschechien. Er machte Fotos und befragte Zeitzeugen im ehemaligen Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien.

vielen Ämtern so stark engagieren konnte. „Meine Frau hat mir immer den Rücken freigehalten“, weiß der Treysaer zu schätzen.■ Michael Seeger, Schwälmer Bote

Während Horst W. Gömpel vor allem in Archiven die geschichtlichen Daten und Fakten recherchierte, schrieb Ehefrau Marlene Be- ... angekommen! richte von Zeitzeugen Vertrieben aus dem Sudentenland. nieder. Nach zweijähAufgenommen in Nordhessen. riger, intensiver Arbeit feierten beide die Vereint in der Europäischen Union. Veröffentlichung ih- Verlag: Preußler, H (1. März 2014) res Buches „...ange- Preis 24,50 €, erhältlich bei den Autoren, die das Buch auch persönlich signieren kommen. Vertrieben Porto 1,65 € aus dem Sudetenland – Aufgenommen in ISBN 978-3-934679-54-2 Nordhessen – Vereint Horst W. und Marlene Gömpel in der Europäischen Auf der Windmühle 16 · 34613 Schwalmstadt Union“. Beim Tag der Telefon 06691 21562 Vertriebenen im Rah- E-Mail horstgoempel@gmx.de men des Hessentages Web www.mitteleuropa.de/angekommen 2017 in Rüsselsheim wurde das Ehepaar Marlene und Horst Gömpel von Ministerpräsident Volker Bouffier für ihre Bemühungen um die Integration der deutschen Heimatvertriebenen mit dem hessischen Landespreises „Flucht, Vertreibung, Eingliederung“ ausgezeichnet. Apropos Marlene Gömpel: Ihr sei es zu Im Jahr 2017 wurde das Ehepaar Marlene und Horst Gömpel (Mitte) verdanken, dass sich beim Hessentag mit dem zweiten Preis des hessischen Landespreises Gömpel in seinen „Flucht, Vertreibung, Eingliederung“ ausgezeichnet. (Foto: BdV Hessen) Seite 25


Personalia

Wir sind nur Gast auf Erden Eine überzeugte Egerländerin ist von uns gegangen Anfang Februar 2019 haben sich Angehörige, Freunde und Weggefährten von Rosel Koberg, geb. Felbinger, auf dem Friedhof in Heppenheim an der Bergstraße verabschiedet. Rosel Koberg war am 30.01.2019 im Alter von 88 Jahren verstorben. Pfarrer Thomas Meurer hatte in seiner Traueransprache den Weg der Verstorbenen aufgezeigt: „Nun sind wir hier, um Abschied zu nehmen und sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten. So sagen wir es. Der letzte Weg. Er ist es vielleicht in dieser Welt. Aber wir sind im Glauben davon überzeugt, dass der Weg weitergeht: durch den Tod hindurch in das Leben bei Gott. Das war auch der feste Glaube von Rosel Koberg. Wir sind nur Gast auf Erden. Gerade diejenigen, die die Heimat entbehren und schmerzlich vermissen, werden einen besonderen Sinn dafür haben, dass das letztlich für alle Menschen zutrifft, dass wir alle in einer Welt leben, die uns keine letzte Heimat sein kann, und die wir einmal wieder verlassen müssen. So wird Rosel Koberg sicherlich Apostel Paulus gut verstanden haben, wenn er unser Leben mit einem Zelt vergleicht. „Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird“, so sagt er. Ein Zelt, ein Provisorium. Nehmen wir mit auf Wanderung. Bietet ein Obdach auf Zeit, aber nichts für die Ewigkeit. Wird aufgeschlagen und auch wieder zusammengelegt, wenn es heißt: aufbrechen, weiterziehen. Das heißt auch immer: loslassen, zurücklassen.

Rosel Koberg hat loslassen müssen: ihren Mann, der 2008 gestorben ist, nach und nach ihre politischen und verbandlichen Ämter und Tätigkeiten, und ihre körperlichen und geistigen Kräfte. Und am Schluss das Leben hier selbst. Dann wurde das Zelt ihres Lebens endgültig abgebrochen, der letzte Aufbruch kam.“ Als der Zweite Weltkrieg am 8.5.1945 zu Ende ging, war Rosel Felbinger gerade 15 Jahre alt geworden. Der Krieg war aus, das Leiden ging für sie weiter und für viele ihrer sudetendeutschen Landsleute. Es kam die Vertreibung aus ihrem Heimatort Promenhof (Westböhmen), die sie nach Heppenheim nach Hessen führte. Offenbar hat sie das tief geprägt. So sehr, dass sie sich in ihrem weiteren Leben für das Schicksal ihrer Landsleute engagierte, aktiv im Bund der Vertriebenen (BdV) und in der Sudetendeutschen Landsmannschaft, auf Orts-, Kreis, Landes- und Bundesebene mitwirkte, oft auch dabei leitende Ämter begleitete. Gerhard Kasper, BdV-Kreisvorsitzender des Kreises Bergstraße, ging in seinem Nachruf auf das große Engagement einer bemerkenswerten Frau ein: „Sie war diejenige, die nie den Kontakt zu der alten Heimat verloren hat. Ihre Verbindungen hat sie immer durch regelmäßige Besuche in der alten Heimat aufrechterhalten. Die jährlichen Besuche zum Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft sowie zum

Bundestreffen des BdV in Berlin waren fest in ihrem K alender verankert. Auch die Verbin- Rosel Koberg dungen zur Heppenheimer Patenstadt Bubenreuth mit Schönbach lagen ihr sehr am Herzen. Hier hat sie viele Freundschaften mit Schicksalgefährten geschlossen und diese durch regelmäßige Besuche gepflegt. Wir haben in Rosel Koberg eine Frau kennengelernt, die sich wie keine Zweite um die Belange, Sorgen und Nöte ihrer heimatvertriebenen Landsleute eingesetzt hat. Dafür hat sie zahlreiche Auszeichnungen der Heimatvertriebenenverbände erhalten.“ Aber nicht nur in den Gremien der Heimatvertriebenen hat sich Rosel Koberg eingebracht. Sie war viele Jahre Mitglied der Christlich Demokratischen Union (CDU), der Stadtverordnetenversammlung, des Kreistags und Kreisvorsitzende der CDU-Frauenunion. Darüber hinaus übte sie viele Jahre die ehrenamtliche Tätigkeit als Patientenfürsprecherin im Kreiskrankenhaus aus. Für ihr beispielhaftes Eintreten für das Gemeinwohl wurde ihr im Jahre 2009 das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland am Bande verliehen. ■

Hans-Günther Parplies/Ulrich Hutter-Wolandt (Hrsg.)

Der Durchbruch kam im Osten. Die Reformation in Ostpreußen, Pommern, Schlesien, den böhmischen Ländern und in Siebenbürgen Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn 2018, 160 S., broschiert, ISBN 978-3-88557-240-4, 11,90 € Das Lutherjahr 2017 war geprägt von einer breiten öffentlichen Reflexion über das Reformationsgeschehen vor 500 Jahren und seine Folgen. Die große Aufmerksamkeit war dem Anlass, dem Thesenanschlag Martin Luthers am 31. Oktober 1517 in Wittenberg, angemessen. Die einseitige Westorientierung führte jedoch dazu, den Blick auf die Heimatregionen der Vertriebenen weitgehend auszusparen, obwohl gerade diese Regionen Wesentliches zum Durchbruch der reformatorischen Ideen beigetragen haben. Besonders sinnfällig zeigt das die Entwicklung in Preußen. Ausgerechnet der geistlich geführte Staat des Deutschen Ordens tritt als erstes Territorium zu der neuen Lehre über und wird 1525 das erste protestantische Fürstentum. Erst drei Jahre später folgt die Landgraf Landgrafschaft Hessen und mit weiterem Abstand dann Kursachsen. In diese Lücke zielte eine Veranstaltungsreihe, die die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen 2016 und 2017 im Collegium Albertinum in Göttingen durchgeführt hat. Der vorliegende Band vereinigt die fünf Hauptreferate der Reihe – neben Preußen weitere innerhalb und außerhalb der damaligen Reichsgrenzen gelegene Landschaften des historischen deutschen Ostens beleuchtend – die von den Autoren für die Veröffentlichung zum Teil erheblich ausgebaut worden sind. Der Band kann über den Buchhandel oder direkt bei der Kulturstiftung bezogen werden: Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen Godesberger Allee 72 – 74, 53175 Bonn, Tel.: 0228 915120, E-Mail: kulturstiftung@t-online.de Seite 26

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und Termine

Kontakt

Landesverband Hessen e.V. Bund der Vertriebenen Landesverband Hessen e.V. Friedrichstraße 35 · 65185 Wiesbaden Telefon 0611 36019-0 Telefax 0611 36019-22 E-Mail buero@bdv-hessen.de Web

www.bdv-hessen.de www.bund-der-vertriebenen-hessen.de www.facebook.com/bdvhessen

BdV-Landesverband 23. März 2019

Bund der Egerländer Gmoin, Landesverband Hessen Landeskulturtagung/Frühjahrstagung Hungen, Gmoistuben, 10.00 Uhr BdV Hessen 71. Landesverbandstag Wiesbaden, Haus der Heimat, Großer Saal, 10.00 Uhr

30. März 2019

Landsmannschaft Schlesien – Landesgruppe Hessen e. V. – Nieder- und Oberschlesien – Landesdelegierten-Versammlung Haus der Heimat, Wiesbaden, 13.00 Uhr

09. April – 19. Mai 2019 BdV Hessen Ausstellung „In Lagern. Schicksale deutscher Zivilisten im östlichen Europa 1941-1955“ 13. April 2019

Gemeinschaft evangelischer Schlesier Hessen und Rheinland-Pfalz Jahreshauptversammlung Mainz, Martinsstift, 10.30 Uhr Sudetendeutsche Landsmannschaft, Landesgruppe Hessen Landesversammlung Wiesbaden, Haus der Heimat

27. – 28. April 2019

Ackermann-Gemeinde Hessen Landestagung in Heppenheim

3. – 4. Mai 2019

Landsmannschaft Schlesien – Nieder- und Oberschlesien e. V. Bundesvorstands- und Bundesdelegiertentag Fulda, Bonifatiushaus

19. Mai 2019

Ackermanngemeinde im Bistum Limburg Nepomukfeier a.d. Marmorbrücke mit Lichterschwimmen Villmar/Lahn, 20.45 Uhr

24. Mai 2019

LM Weichsel-Warthe – Bundesverband Bundesversammlung Fulda, Bonifatiushaus

25. – 26. Mai 2019

LM Weichsel-Warthe – Bundesverband Bundeskulturtagung Fulda, Bonifatiushau

26. Mai 2019

Eichendorff-Gilde Frankfurt, Heimatwerk katholischer Schlesier 33. Zentrale Schlesische Maiandacht Frankfurt/Main, Kaiserdom, 16.00 Uhr

07. –09.06.19

Sudetendeutsche Landsmannschaft Sudetendeutscher Tag in Regensburg

15. Juni 2019

Tag der Vertriebenen beim 59. Hessentag 2019 in Bad Hersfeld

14. – 16. Juni 2019

Landsmannschaft Schlesien, Nieder- und Oberschlesien Deutschlandtreffen der Schlesier in Hannover

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Absender:

Bund der Vertriebenen – Friedrichstraße 35 – 65185 Wiesbaden – Postvertriebsstück Entgelt bezahlt H 13 18 F

BdV – Bund der Vertriebenen Landesverband Hessen e.V. 65185 Wiesbaden Postvertriebsstück Entgelt bezahlt H 13 18 F

Haus des Deutschen Ostens (HDO) Das Haus des Deutschen Ostens besteht seit 1970 als eine Kultur-, Bildungs- und Begegnungseinrichtung des Freistaates Bayern im Sinne des § 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG). Dieser verpflichtet die Regierung und die Länder der Bundesrepublik, die Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa, einschließlich der Geschichte ihrer Flucht und Vertreibung, im Bewusstsein unserer Gesellschaft und des Auslandes zu erhalten. Zugleich sollten die gesellschaftlichen und kulturellen Leistungen der Vertriebenen und Spätaussiedler nach 1945 gewürdigt werden. Europa, vor allem sein östlicher Teil, war vor den beiden Weltkriegen ein Raum der Multiethnizität und der Mehrsprachigkeit, eines Neben- und Miteinanders von Völkern und Kulturen, Sprachen und Konfessionen, die sich gegenseitig beeinflussten. Die Deutschen, ihre Sprache und Kultur gehörten jahrhundertelang zu diesem Neben- und Miteinander. Ihre Geschichte in dieser Region bietet viele faszinierende AnknüpfungsAnknüpfungs punkte für The Themen, die die aktuellen politischen Diskussionen in unse-

rem Land bestimmen. So zeigt sie, dass Multiethnizität keine Ausnahme, sondern ein historischer „Normalfall“ ist. Diese facettenreiche Geschichte der Deutschen im multinationalen und mehrsprachigen Ostmittel- und Osteuropa als einen positiven Wert der Vergangenheit darzustellen, ist das zentrale Anliegen des Hauses des Deutschen Ostens. Dabei will es dem wissenschaftlichen Anspruch gerecht werden und auch die Schattenseiten dieser Geschichte nicht ausblenden. Ebenso wichtig für das HDO ist das Aufrechterhalten der Erinnerung an Flucht und Vertreibung der Deutschen aus dem östlichen Europa. Das Nachdenken, Forschen und Sprechen über die Geschichte jener Räume des östlichen Europas, in denen die Deutschen vor 1945 lebten oder die zu deutschen Staatsge-

bieten gehörten, kann nur gemeinsam mit östlichen Nachbarn der Bundesrepublik geschehen. Erst bei einem solchen Austausch können die „Geschichtsgräben“ überwunden, kann der „deutsche Osten“ zu einem „europäischen Erinnerungs- und Verständigungsort“ werden. Über diese Aufgaben hinaus ist das HDO in europapolitischen Feldern tätig und nimmt eine Brückenfunktion für die Beziehungen des Freistaates Bayern zu Ostmitteleuropa und Osteuropa wahr. Im Rahmen eines nationenübergreifenden Dialogs pflegt es seit mehreren Jahren eine enge Zusammenarbeit mit den Generalkonsulaten der osteuropäischen Staaten und ihren Kultureinrichtungen in Bayern. Damit das HDO über seine Kernzielgruppe, die Deutschen mit biographischen Wurzeln im östlichen Europa, hinaus Beachtung und Besucher findet, versucht es den Themenhorizont unserer Kultur- und Bildungsveranstaltungen zu erweitern und das Haus für ein allgemein historisch und kulturell interessiertes Publikum zu öffnen. Dabei rückt die gesamte Geschichte des multikulturellen und mehrsprachigen Ostmittelund Osteuropa in den Blickwinkel seines Veranstaltungsprogramms. ■

Haus des Deutschen Ostens Am Lilienberg 5 81669 München Telefon 089 449993-0 E-Mail poststelle@hdo.bayern.de Web www.hdo.bayern.de


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