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Griechenland: Aus Fehlern lernen

Unbeeindruckt von den Höhen und Tiefen der weltweiten Krisen schien die deutsche Wirtschaft jahrzehntelang immer weiter zu wachsen. Nun könnte die Bundesrepublik von einem eher unscheinbaren Partner lernen.

Text Efthymis Angeloudis

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„Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD“, sagte der ehemalige Sprecher der AfD-Fraktion Christian Lüth bei einem vermeintlich vertraulichen Treffen mit einer YouTuberin im Februar dieses Jahres, das Journalisten mit verdeckter Kamera filmten.

Ökonomisch betrachtet ging es Deutschland in den letzten Jahren nie besser. Fast unversehrt von der Weltwirtschaftskrise von 2008, wuchs die Wirtschaft der Bundesrepublik bis 2019 zehn Jahre in Folge – die längste Wachstumsphase im wiedervereinten Deutschland. Die Arbeitslosigkeit lag 2019 mit rund fünf Prozent auf dem niedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung.

Während die Bundesrepublik ein zweites „Wirtschaftswunder“ erlebte, brach die Wirtschaft meines Heimatlands Griechenland um 25 Prozent ein. Die Arbeitslosigkeit erreichte 28 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit sogar 60 Prozent. Auch ich gehöre zu den 400.000 jungen Griechen, die in Folge der Krise das Land verließen. Deutschland war wegen seiner robusten Wirtschaft für die meisten, auch für mich, beruflich ein Selbstläufer.

Je schlechter es Griechenland ging, desto mehr profitierte die neofaschistische Partei „Goldene Morgenröte“. 2012 zog sie mit 8,5 Prozent der Stimmen ins griechische Parlament ein. 500.000 Griechinnen und Griechen wählten die auf dem nationalsozialistischen „Führerprinzip“ basierende Partei. Erst acht Jahre später wurde die Führungsriege der „Goldenen Morgenröte“ am 7. Oktober 2020 für die Bildung und Leitung einer kriminellen Vereinigung schuldig gesprochen. Die Rädelsführer erhielten Haftstrafen zwischen zehn und dreizehn Jahren.

Ewige Schulden – ein Graffiti, bezogen auf Griechenlands Schuldenberg, vor der Akademie von Athen

Ewige Schulden – ein Graffiti, bezogen auf Griechenlands Schuldenberg, vor der Akademie von Athen

© picture alliance/NurPhoto/W. Aswestopoulos

Zehn Jahre nach Ausbruch der Krise und zwei Jahre nach dem Ablauf des dritten wirtschaftlichen Anpassungsprogramms beträgt Griechenlands Staatsverschuldung aktuell knapp 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Sie ist genauso hoch wie zum Höhepunkt der Krise, als die Schuldenlast als untragbar galt. Die Wirtschaftsleistung des Landes beträgt 23 Prozent unter dem Vorkrisenniveau. „Es wurden von Anfang an Fehler gemacht“, räumte EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici ein. Aus Deutschland, das die Krisenpolitik der EU maßgeblich mitbestimmte, war bislang nicht so viel Einsicht zu vernehmen.

Anders als noch vor zehn Jahren kriselt es jetzt nicht nur an der Peripherie Europas. Die aus der Corona-Pandemie entstehenden wirtschaftlichen Folgen treffen auch den „harten Kern“ der EU. Ganze Berufsgruppen und Wirtschaftszweige sind betroffen und damit das soziale Gefüge.

Die Entwicklung in Griechenland zeigt, dass man auf Krisen nicht mit Sparmaßnahmen antworten kann, ohne die Gesellschaft vor eine Zerreißprobe zu stellen. Man kann nur hoffen, dass wir in Griechenland wie in Deutschland aus den Fehlern der jüngeren Vergangenheit lernen, damit es keinem Land so schlecht geht, wie sich das manche wünschen.

Efthymis Angeloudis

Efthymis Angeloudis

Efthymis Angeloudis

© Martin Gommel

ist Reporter und Redakteur beim rbb in Berlin. In Griechenland geboren und in Stuttgart aufgewachsen, berichtete er von 2015 bis 2018 als freier Journalist aus Athen über die Staatsschulden- und Flüchtlingskrise unter anderem für DW, Zeit Online und Krautreporter.