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QZ Q1 / 2022

HZV

MITGLIEDSCHAFT UND TEILNAHME JEDEN ÜBERZEUGT EIN ANDERER GRUND PATIENTEN RICHTIG ANSPRECHEN IN 4 SCHRITTEN ZUR KORREKTEN ABRECHNUNG SCHWERPUNK

T

MEDIKATION

PHARMAKOTHERAPIE-THEMA

MULTIMEDIKATION DEPRESCRIBING: WENIGER IST MEHR


INHALT 1 FORTBILDUNG

5

PTQZ-Fortbildung: Deprescribing: Wenn weniger mehr ist.

2 3 4

HZV Jeden überzeugt ein anderer Grund MITGLIEDSCHAFT . . . und HZV-Teilnahme jetzt noch einfacher HZV-TEILNAHME Patienten richtig ansprechen HZV In 4 Schritten zur korrekten HZV-Abrechnung

SERVICE

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QZ

So ist es leicht, an der HZV teilzunehmen.

Q1 / 2022

EIN SERVICE DER

HÄVG

-THEMA

MULTIMEDIKATION PHARMAKOTHERAPIE

E-PAPER HAUSARZT.LINK/ QZ-KOMPAKT

IHRE SERVICEANGEBOTE DES HZV-TEAMS INFORMATIONEN UND SCHULUNGEN ZUR HZV VOR ORT UND ONLINE

• Individuelle Praxisschulungen • Infoveranstaltungen für Hausärztinnen und Hausärzte sowie MFA • Zahlreiche unterschiedliche Online-Schulungen zur erfolgreichen Umsetzung der HZV im Praxisalltag Schnell, einfach und unkompliziert: Jetzt online und sofort Mitglied im Hausärzteverband werden und zeitgleich die Teilnahme an den HZV-Verträgen beantragen: www.hausarztservice-online.de Für Ihre Praxis sowie Ihre Patientinnen und Patienten: Wir bieten Ihnen Info- und Werbematerialien wie z. B. Filme für Ihr Wartezimmer, Printmaterialien und verschiedene Give-aways: www.hzv.de

Fotos: natasaadzic / andy / skynesher - iStockphoto, natasaadzic

ER IST MEHR

DEPRESCRIBING: WENIG


HZV: Jeden überzeugt ein anderer Grund Eine Teilnahme an Hausarztverträgen lohnt sich für Praxen nicht nur finanziell, sie stärkt sie auch als zentralen Ort der Versorgung. Das spielt ebenso bei der Nachfolgersuche eine wichtige Rolle.

Die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) ist die größte Innovation für die Hausärztinnen und Hausärzte in den letzten Jahren und bietet für Praxisteams viele Vorteile. So stärkt sie die Rolle der Hausärzte als erste Ansprechpartner für Patienten. In dieser Funktion lösen sie nicht nur den Großteil der Beschwerden des Patienten selbst, sondern helfen ihnen auch, im unübersichtlichen Dickicht aus Fachärzten, Krankenhäusern und weiteren Heilberufen den für ihr Anliegen richtigen Ansprechpartner zu finden. Darüber hinaus behalten sie für Patienten den Überblick über alle Befunde der verschiedenen Leistungserbringer.

Vorteile für Hausärzte ▪ Die Stärkung der Hausarztpraxis als

zentraler Ort der Versorgung

Foto: stokkete - stock.adobe.com

▪ Eine faire Vergütung, die im Schnitt

knapp 30 Prozent über der Vergütung im KV-System liegt ▪ Weniger Bürokratie und einfachere Abrechnungen, keine Regresse ▪ Eine langfristige Planungssicherheit für die Praxis durch lange Vertragslaufzeit ▪ Eine Stärkung des Arzt-Patienten-­ Verhältnisses ▪ Bessere Chancen, einen Praxisnach­ folger zu finden

Inzwischen werden die HZV-Verträge in (fast) allen Regionen in Deutschland angeboten. Bundesweit nehmen bereits heute etwa 16.000 Hausärzte an den Verträgen teil. Sie sind damit eine funktionierende Alternative zu den Strukturen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) – und das aus guten Gründen! Als Mitglied in einem Landesverband des Deutschen Hausärzteverbandes profitiert man darüber hinaus von weiteren Vorteilen, zum Beispiel einer günstigeren Verwaltungsgebühr für die Teilnahme an Hausarztverträgen. Ebenso spart man bei auf Hausarztpraxen zugeschnittenen Versicherungen wie etwa einer Berufshaftpflicht, Fortbildungen des Instituts für hausärztliche Fortbildung (IHF) sowie Praxisausstattung, Berufsbekleidung oder Kraftfahrzeugen. Mehr Informationen finden Sie auf www.hausaerzteverband.de

Wir helfen Ihnen weiter Interessierte berät das HZV-Team des Deutschen Hausärzteverbandes: Tel. 02203-5756-1210; E-Mail: info@hzvteam.de

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Mitgliedschaft und HZV-Teilnahme jetzt noch einfacher Mit „Hausarztservice Online“ können Hausärztinnen und Hausärzte bereits in fast allen Regionen schnell und unkompliziert Mitglied im Hausärzteverband werden und an den Verträgen zur Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) teilnehmen.

Eine Mitgliedschaft im Hausärzteverband hat viele Vorteile und diese zu beantragen geht jetzt in einigen Regionen noch einfacher. Denn inzwischen gibt es „Hausarztservice Online“, alles erfolgt papierlos. Offensichtlich wird dieses Angebot von den Hausärztinnen und Hausärzten geschätzt, denn die Zahl der Online­anträge nimmt stetig zu.

Was ist „Hausarztservice Online“? In vielen Regionen können Sie als Hausärztin/Hausarzt einerseits ihre Mitgliedschaft im Hausärzteverband, andererseits ihre Teilnahme an den ­HZV-Verträgen ­unkompliziert online erklären. Dadurch sparen Sie viel Zeit und es entsteht weniger Bürokratie in der 2

Praxis. Der Deutsche Hausärzteverband und die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft (HÄVG) haben dazu die Webseite www.hausarztservice-online.de entwickelt.

Einfach und unbürokratisch Auf dem Portal können Sie sich über die HZV-Verträge informieren und direkt Ihre Teilnahme beantragen. Dafür benötigen Sie nur die folgenden Stammdaten: ▪ Praxisadresse ▪ BSNR ▪ Bankverbindung ▪ Ärztliche Qualifikationen Durch die Online-Beantragung entfällt jede Menge Bürokratie. Denn bislang musste die Teilnahmeerklärung auf Pa-

pier ausgefüllt und dann an die HÄVG gefaxt werden. Dies war für jeden einzelnen HZV-Vertrag nötig, an dem Sie als Hausärztin/Hausarzt teilnehmen wollten. Nun ist die Eingabe der Daten über die Webseite nur noch einmal erforderlich. Wer also zum Beispiel fünf Verträgen beitreten möchte, muss online trotzdem nur einmal das Formular ausfüllen. Per Klick können Sie einfach die HZV-Verträge auswählen, an denen Sie eine Teilnahme beantragen möchten. Sobald die Daten an die HÄVG übermittelt wurden, erhalten Sie eine Eingangsbestätigung per E-Mail. Bei Vorliegen aller Teilnahmevoraussetzungen bekommt die Praxis wie bisher ­eine ­Bestätigung je HZV-Vertrag per Fax für ihre Unterlagen. jvb

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Kennen Sie bereits dieses Angebot?


Informationen zur HZV Sollten Sie Fragen oder Interesse an der HZV-Teilnahme haben, wenden Sie sich gerne an das HZV-Team des Hausärzteverbandes unter 02203 5756-1210 oder per E-Mail unter info@hzv-team.de

HZV-Teilnahme: Patienten richtig ansprechen

Vorteile der HZV ▪ Einfache & zeitsparende Abrechnung ▪ Praxis im Zentrum der Versorgung ▪ Gestärkte Patientenbindung & mehr Zeit ▪ Betriebswirtschaftliche Attraktivität der Praxis ▪ Planungs- & Zukunftssicherheit durch lange Vertragslaufzeit

Die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung (HZV) bietet zahlreiche Vorteile für Patienten und Hausärzte. Ein Video zeigt, wie die Einschreibung und die Patientenansprache gelingt.

Foto: Zinkevych - iStockphoto

VIDEO Tipps und Tricks verraten wir Ihnen in unserem Video unter folgendem Link: www.hausarzt.link/aTfW1 oder indem Sie den QR-Code einscannen.

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P atientinnen und Patienten, die an der hausarztzentrierten Versorgung (HZV) teilnehmen, fühlen sich besser versorgt, da ihre Hausärztin oder ihr Hausarzt sie intensiver betreuen kann und ihre gesamte medizinische Versorgung koordiniert. Insbesondere Diabetiker und Herzpatienten profitieren laut Studienergebnissen von einer Teilnahme an der HZV. Mittlerweile bietet der Großteil der Krankenkassen in fast allen Regionen einen HZV-Vertrag an. Genauere Informationen sowie wichtige Vertragsunterlagen finden Sie auf der Website hzv.de unter Rubrik „HZV-Verträge Schnellsuche“. Für Ihre Teilnahme an der HZV schicken Sie die ausgefüllte Teilnahmeerklärung an das HÄVG Rechenzentrum. Nachdem Sie ein Bestätigungsschreiben sowie ein Starterpaket mit den Aufklärungs- und Einschreibeunterlagen für Ihre Patienten erhalten haben, kann es losgehen.

Damit auch Ihre Patienten über die Vorteile der HZV informiert werden, ist die geeignete Patientenansprache maßgeblich (siehe Video). So schreiben Sie Patienten in die HZV ein: 1. Klären Sie Ihre Patienten über die Inhalte und Vorteile der HZV auf und händigen Sie ihnen die Teilnahme- und Einwilligungserklärung aus. 2. Ermöglichen Sie Ihren Patienten, diese sorgfältig durchzulesen und gehen Sie auf mögliche Fragen der Patienten ein. 3. Nachdem Ihre Patienten die Unterlagen verstanden und unterschrieben haben, erhalten diese ebenfalls ein Exemplar für deren Unterlagen. 4. Je nach HZV-Vertrag kann der Teilnahmewunsch Ihrer Patienten entweder online oder offline an das HÄVG Rechenzentrum übermittelt werden. Die Patiententeilnahme an der HZV ist für diese selbstverständlich freiwillig sowie kostenfrei und beginnt mit der Bestätigung im Informationsbrief Patiententeilnahmestatus.

Diese Vorraussetzungen müssen die Patienten für eine Teilnahme an der HZV erfüllen: ▪ Ihr Patient wählt Sie als Hausarzt verbindlich für mindestens ein Jahr. ▪ Sie sind erster Ansprechpartner für medizinische Fragen und übernehmen bei Bedarf die Koordination mit weiteren Fachärzten. Diese dürfen nur auf Überweisung aufgesucht werden (Ausnahmen: Augenarzt, Gynäkologe, Kinderarzt, Notfälle). ▪ Im Vertretungsfall muss Ihr Patient einen anderen HZV-Hausarzt aufsuchen, der vorab von Ihnen benannt wurde. red

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In 4 Schritten zur korrekten ­HZV-Abrechnung Am Ende eines jeden Quartals steht die Abrechnung der Hausarztverträge an. Das HZVTeam erinnert, wie diese erfolgreich gelingt.

LINK-TIPP Wichtige Fragen und A ­ ntworten zu den HZV-­Verträgen (FAQ) sowie die jeweiligen Vertrags­ unterlagen finden sich auf den Webseiten des Deutschen Hausärzteverbandes unter www.hzv.de sowie bei ihrem jeweiligen Landeshausärzte­ verband.

D ie Abrechnung der Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung (HZV) findet in vier Schritten statt. An diesen können sich Hausärztinnen und Hausärzte „entlanghangeln“:

1.

Im „Informationsbrief Patienten­ teilnahmestatus“, den Sie vor Quartalsbeginn erhalten, sind alle Ihre Patienten aufgeführt, die am jeweiligen HZV-Vertrag teilnehmen. Bitte übernehmen Sie diese Informationen unbedingt in Ihre Vertragssoftware. Mit der Software-Funktion „Patiententeilnehmerverzeichnis (PTV)“ in der Vertragssoftware können Sie die Inhalte des „Informationsbrief Patiententeilnahmestatus“ auch direkt in Ihre

Praxissoftware importieren und müssen dies nicht mehr manuell vornehmen. Nutzen Sie auch den HZV Online Key (HOK), um zu überprüfen, ob ein Patient in die HZV eingeschrieben ist. Sie erhalten umgehend eine Rückmeldung aus dem HÄVG Rechenzentrum über den HZV-Teilnahmestatus eines Vertretungspatienten oder auch eines neuen Patienten.

2.

Die Honoraranlage (meist Anlage 3) eines HZV-Vertrags enthält alle Leistungen, die im Rahmen des jeweiligen HZV-Vertrags abgerechnet werden können.Vergleichen Sie auch hierzu unsere vertragsübergreifenden Gegenüberstellungen und Ziffernspicker. Alle HZV-Leistungen für Ihre HZV-Patienten übermitteln Sie dann online oder via CDROM im Rahmen der HZV-Abrechnung an die HÄVG Rechenzentrum GmbH bis zum Ablauf des 5. oder 10. Kalendertags (abhängig vom HZV-Vertrag) des auf das jeweilige Abrechnungsquartal folgenden Monats: 5./10. Januar, 5./10. April, 5./10. Juli und 5./10. Oktober.

Weitere Infos Für weitere Fragen zu den HZV-Verträgen steht Ihnen der Kundenservice der HÄVG Rechen­ zentrum GmbH unter 02203 / 5756 1111 sowie das HZV-Team des Hausärzteverbandes unter 02203 / 5756 1210 gerne zur Verfügung.

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Die Abrechnung der im HZV-Ziffernkranz (meist Anhang 1 zur Anlage 3) aufgeführten EBM-Leistungen darf für die eingeschriebenen HZV-Patienten nicht über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) erfolgen. Ihre Vertragssoftware unterstützt Sie mit einem Hinweis bezüglich der Abrechnung im korrekten Versorgungssektor, sofern Sie HZVLeistungen versehentlich über die KV abrechnen möchten.

4.

Alle weiteren EBM-Leistungen, die nicht im HZV-Ziffernkranz enthalten sind, können Sie für Ihre HZV-Patienten über die KV abrechnen. • red

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Foto: contrastwerkstatt - stock.adoe.com

3.


F   ORTBILDUNG Deprescribing:

Wenn weniger mehr ist Werden bei Patienten mit Multimorbidität mehrere Leitlinien gleichzeitig befolgt, steigt die Zahl der verordneten Arzneimittel schnell auf fünf oder mehr (= Multimedikation). Damit wächst das Risiko für Neben- und Wechselwirkungen. Zudem kann ein Wirkstoff, der für eine der Erkrankungen des Patienten indiziert ist, wegen eines gleichzeitig bestehenden anderen Leidens kontraindiziert sein. Daher sollten regelmäßig alle Medikamente, die ein Patient einnimmt, einem Check unterzogen werden. Die neue „Hauzsärztliche Leitlinie Multimedikation“ erklärt, wie man entbehrliche oder schädliche Medikamente aufspürt und absetzt (= Deprescribing). INHALT

• Verordnen und Absetzen als wiederholt zu durchlaufende zyklische Prozesse

Foto: Schlierner – stock.adobe.com

• Bestandsaufnahme: Ist die Medikation angemessen?

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– Stimmen Indikation und Dosierung (Nierenfunktion)? – War eine Nebenwirkung Grund für die Verordnung? – Erhält der Patient alle notwendigen Medikamente? – Wird der Medikationsplan korrekt geführt? • Potenziell inadäquate Medikationen erkennen: – Einfluss auf QTc-Zeit, anticholinerge Last – Interaktionscheck – FORTA-Liste • Präferenzen der Patienten: Prognose – Symptomlinderung – Selbstständigkeit – Lebensqualität • Praxis des Deprescribing: – Welche Wirkstoffe sind oft verzichtbar? – Wann muss ausgeschlichen werden? – Beispiele für erfolgreiches Absetzen • Schnittstellen: Apotheke, Krankenhaus, Pflege

E-PAPER

Den Beitrag können Sie auch online im E-Paper lesen: https://hausarzt.link/ qz-kompakt

AUTOR

• Dr. med. Ulrich Scharmer (Interessenkonflikte: keine)

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ZUSAMMENFASSUNG

Naturgemäß sind von Multimedikation vor

Medikament bekämpft, liegt eine Verord-

allem ältere Patienten mit mehreren

nungskaskade vor.

chronischen Erkrankungen betroffen. Nach den Zahlen des Barmer Arzneimittelreports 2018 erhalten fast 90 % aller Patienten über 80 Jahre mehr als fünf Wirkstoffe. Da etwa 6,5 % aller notfallmäßigen Krankenhausaufnahmen auf UAWs zurückgehen, ist es wichtig, unnötige Medikamente bzw. potenziell gefährliche Interaktionen zu identifizieren und problematische Wirkstoffe wegzulassen – ohne dabei Unterversorgung zu riskieren.

• Unabhängig von Anlässen sollte bei Patienten mit Multimorbidität/Multimedikation mindestens einmal jährlich die gesamte Medikation einschließlich selbst gekaufter Mittel erfasst und bewertet werden. Für jede Substanz ist zu klären, ob die Indikation noch besteht und die Dosierung angemessen ist, insbesondere mit Blick auf die Nierenfunktion. Ist eine weitere chronische Erkrankung hinzugekommen, muss geprüft werden, ob eines

Eine allgemein bekannte Schwachstelle ist

der bisher verordneten Medikamente jetzt

das Entlassmanagement nach einem

kontraindiziert oder zumindest problema-

stationären Aufenthalt. Laut Barmer

tisch ist. Ferner sind die Wünsche der

Gesundheitsreport 2020 sind weniger als

Patienten zu erfragen: Hat die Verbesse-

20 % aller Hausärztinnen und Hausärzte

rung der Prognose (ggf. unter Inkaufnahme

mit der Informationsweitergabe durch die

von UAWs) oberste Priorität oder ist die

Krankenhäuser zufrieden. Nach einem

Lebensqualität (Linderung von z. B.

stationären Aufenthalt steigt der Anteil

Schmerzen oder Atemnot, Erhalt der

von Patienten mit Multimedikation. Über

Selbstständigkeit) wichtiger? Zur Medika-

40 % der Patienten erhalten im Kranken-

tionsprüfung gehört auch ein Check auf

haus mindestens eine zusätzliche Verord-

Interaktionen. In der FORTA-Liste kann

nung, in jedem zweiten Fall davon wird

man für einzelne Indikationen nachschla-

mehr als ein neuer Wirkstoff angesetzt. Im

gen, wie gut ein Wirkstoff im Alter geeignet

Sinne der Arzneimitteltherapiesicherheit

ist, und ggf. nach Alternativen suchen.

besonders bedenklich ist, dass dabei der Anteil von Patienten steigt, die ein für ihr Alter potenziell inadäquates Arzneimittel erhalten.

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• Wenn ein Medikament aus ärztlicher Sicht abgesetzt werden soll, muss man dies mit dem Patienten besprechen und mit ihm gemeinsam darüber entscheiden. Es sind

Nach einer stationären Behandlung sollte

regelmäßige Kontrollen zu vereinbaren, um

daher immer ein Medikationscheck

mögliche Absetzreaktionen oder das

erfolgen. Weitere Anlässe für eine

Wiederauftreten von Symptomen rechtzei-

Bestandsaufnahme sind Stürze sowie neu

tig zu erkennen. Den Patienten sollte man

aufgetretene Symptome bzw. Erkrankun-

erklären, dass sie den Absetzversuch

gen. Ein erstmals manifest gewordenes

jederzeit beenden können. Bei einigen

Symptom könnte die UAW eines Medika-

Wirkstoffen, z. B. Betablockern, ist zu

ments sein. Wird eine UAW nicht als solche

beachten, dass die Dosis langsam verringert

erkannt, sondern mit einem weiteren

werden muss.

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PTQZ

Hausärztliche Leitlinie Multimedikation: Hilfe beim Deprescribing Die neue „Hausärztliche Leitlinie Multimedikation“ (Leitliniengruppe Hessen, DEGAM, 2021) spricht von Multimedikation, wenn Patienten dauerhaft, d. h. länger als 90 Tage, fünf oder mehr Medikamente erhalten. Multimedikation (synonym: Polypharmazie) ist eng mit Multimorbidität verknüpft. Multimorbidität wird in der LL als das Vorliegen von drei oder mehr chronischen Erkrankungen definiert. Behandelt man alle Erkrankungen multimorbider Patienten leitliniengerecht, kommt man bei simpler Addition der Leitlinien schnell auf fünf oder mehr Arzneimittel. Multi­medikation ist per se nichts Negatives: Es kommt nicht darauf an, wie viele Medikamente ein Patient erhält, sondern dass es die richtigen sind. Probleme können entstehen, wenn z. B. Interaktionen auftreten oder UAWs eines Medikaments nicht als solche erkannt werden und gegen die neu aufgetretenen Beschwerden ein weiteres Medikament verordnet wird (Verordnungskaskade). Beispiel: Kalziumantagonist → Knöchelödeme → Diuretikum → Anstieg der Harnsäure→ Urikostatikum. Ferner kann die Leitlinie für eine Erkrankung des Patienten einen Wirkstoff empfehlen, der wegen einer

anderen Erkrankungen des Patienten kontraindiziert ist. Nicht selten werden Medikamente, für die nur eine temporäre Indikation bestand, ungeprüft auf Dauer weiterverschrieben. Beispiel: ein PPI, der ursprünglich als Magenschutz während der befristeten Einnahme eines NSAR gedacht war. Liegt Multimedikation vor, sollte daher regelmäßig sowie bei bestimmten Anlässen (z. B. nach Sturzereignis, Krankenhausaufenthalt) geprüft werden, ob alle Medikamente (noch) indiziert und nützlich sind. Primäres Ziel ist dabei nicht das Einsparen von Medikamenten, sondern durch Weglassen entbehrlicher oder gar ungünstiger Wirkstoffe das Behandlungsergebnis zu optimieren. Dazu ist es nötig, unangemessene oder nicht geplante Medikationen zu erkennen und zu beenden. Dieses Absetzen (Deprescribing) ist ein strukturierter Prozess und folgt prinzipiell denselben Regeln wie das Verordnen von Medikamenten. Aber: Trotz Multimedikation kann Unterversorgung bestehen, d. h. therapiebedürftige Erkrankungen/Symptome werden nicht behandelt (z. B. kein Laxans bei Dauermedikation mit einem stark wirk­samen Opioid).

Vorsicht vor ­Verordnungskaskaden.

Multimedikation schließt Unter­ versorgung nicht aus.

ABKÜRZUNGEN

ACh = Acetylcholinesterase ADL = Activities of Daily Living BfArM = Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BMP = Bundeseinheitlicher Medikationsplan CSE-Hemmer = Cholesterin-Synthese-EnzymHemmer („Statin“) CYP = Cytochrom P₄₅₀ DEGAM = Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin DOAK = Direkte orale Antikoagulanzien = NOAK = neue orale Antikoagulanzien DMP = Disease-Management-Programm FORTA = Fit FOr The Aged FRID = Fall Risk Inducing Drug GFR (eGFR) = errechnete/geschätzte glomeru­läre Filtrationsrate IQWiG = Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen

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INR = International Normalized Ratio MAI = Medication Appropriateness Index MAO = Monoaminoxidase MC = Medikationscheck NNH = Number Needed to Harm NNT = Number Needed to Treat NSAR = Nichtsteroidales Antirheumatikum NVL = Nationale Versorgungsleitlinie PCSK-9-Hemmer = Hemmer der Proteinkonvertase PCSK9 PIM = Potenzielle inadäquate Medikation PPI = Protonenpumpeninhibitor PPO = Potential Prescribing Omission SNRI = Selektiver Noradrenalin-Reuptake Inhibitor SSRI = Selektiver Serotonin-Reuptake Inhibitor TIA = Transitorische ischämische Attacke UAW = Unerwünschte Arzneimittelwirkung

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Multimedikation – eher Regel als Ausnahme

Fast 90 % der ≥ 80-Jährigen erhalten mehr als fünf ­Medikamente.

der Versicherten mit Multimedikation von drei oder mehr Ärztinnen und Ärzten stammten, nur 12 % erhielten alle ihre Verordnungen aus einer Hand.

Laut Barmer Arzneimittelreport 2018 (Grandt, 2018) hatten etwa 45 % aller Versicherten dieser Krankenkasse drei oder mehr chronische Erkrankungen (= in mindestens drei Quartalen dokumentiert), bei etwa 33 % bestanden sogar fünf oder mehr chronische Erkrankungen. Der Anteil von Versicherten mit drei oder mehr chronischen Erkrankungen steigt gemäß den Zahlen des Reports mit dem Alter: Bis 64 Jahre beträgt er 31,2 %, zwischen 65 und 69 Jahren 78,8 % und ab 80 Jahren 87,3 %. 13 % aller bei der Barmer Versicherten wurden über einen Zeitraum von > 90 Tagen mit mindestens fünf Arzneimitteln behandelt. Multimedikation wurde bei 18,9 % der Patienten mit drei chronischen Erkrankungen beobachtet, bei fünf und mehr chronischen Erkrankungen betrug der Anteil über 58 %. Schließlich wurde ermittelt, dass die Verordnungen bei 65,6 %

Medikation als ­zyklischer Prozess Schon die Vorgängerversion der Neuauflage der LL Multimedikation stellte die Verordnung und das Deprescribing von Medikamenten als zyklische Prozesse dar, die wiederholt zu durchlaufen sind. Die neue Fassung der LL unterscheidet dabei sechs Schritte (Abbildung 1): Schritte 1 bis 3 = Medikationsüberprüfung („Review“): (1) Bestandsaufnahme und Bewertung, (2) Abstimmung mit dem Patienten, (3) Verordnungsvorschlag und Kommunikation (entsprechend beim Deprescribing der Vorschlag, welche(s) Medikament(e) weggelassen werden kann/ können).

Abb. 1: VERORDNEN BZW. ABSETZEN ALS ZYKLISCHE PROZESSE [nach Leitliniengruppe Hessen, DEGAM, 2021]

1 Zielgruppe für

0 Deprescribing

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Bestandsaufnahme und Bewertung

Monitoring/ Follow-up

Abstimmung mit dem Patienten

2

Verordnungsvorschlag und Kommunikation

3

Verordnen/ Absetzen

5 Arzneimittelanwendung/ Selbstmanagement

Arzneimittelabgabe

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Schritte 4 bis 6: (4) Arzneimittelabgabe (bzw. beim Deprescribing die Anleitung, was der Patient beim Absetzen eines Medikaments beachten soll), (5) Arzneimittelanwendung/ Selbstmanagement, (6) Monitoring/ Follow-up. Für das Deprescribing geht diesem Prozess als Schritt 0 das Erfassen der Zielgruppe voraus. Multimedikation birgt eine Reihe von Risiken: • Jedes neu angesetzte Medikament erhöht die Wahrscheinlichkeit für UAWs (mit der Gefahr, dass dadurch Verordnungskaskaden angestoßenen werden), Einnahme­ fehler und Wechselwirkungen. • Etwa 6,5 % aller Krankenhauseinweisungen erfolgen aufgrund von UAWs, die in bis zu 80 % schwerwiegend sind (Schurig, 2018). • Multimedikation kann unspezifische Beschwerden verursachen, deren Ursache oft schwer zu erkennen ist. Eine Liste (siehe Kasten) ist im Anhang der LL Multimedikation in mehreren Sprachen enthalten und kann den Patienten von MFA/VERAH zum Ausfüllen ausgehändigt werden. • Je mehr Medikamente ein Patient einnehmen muss und je komplexer die Vorschriften dafür sind, desto schlechter wird die Adhärenz.

Die Zielgruppe für ­Deprescribing (Schritt 0) Bei Patienten mit Multimorbidität/Multimedikation sollte mindestens einmal jährlich eine Bestandsaufnahme und Bewertung der Medikation erfolgen, heißt es in der LL. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, DMP-Termine oder einen Gesundheits-Check-up dafür zu nutzen. Eine anlassbezogene Prüfung der gesamten Medikation sollte immer dann erfolgen, wenn Patienten über ein neues Symptom berichten sowie allgemein bei einer wesentlichen Medikationsänderung. Weitere wichtige Anlässe sind neu hinzugekommene Erkrankungen (ist ein bisher verordnetes

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UNSPEZIFISCHE SYMPTOME, DIE FOLGE EINER THERAPIE­ ÄNDERUNG SEIN UND/ODER AUF EINE UAW HINWEISEN KÖNNEN [nach Leitliniengruppe Hessen, DEGAM, 2021] • Trockener Mund • Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Schläfrigkeit oder reduzierte ­Wachsamkeit • Schlafstörung • Schwäche • Bewegungsstörungen, Tremor, Stürze • Obstipation, Diarrhö oder Inkontinenz, Appetitlosigkeit, Übelkeit • Hautausschläge, Juckreiz • Depression oder mangelndes Interesse an den üblichen Aktivitäten • Verwirrtheit (zeitweise oder dauerhaft) • Halluzinationen • Angst und Aufregung • Nachlassen des sexuellen Interesses • Schwindel • Ohrgeräusche

Medikament jetzt kontraindiziert?), ein Krankenhausaufenthalt oder ein Sturz. Schließlich sollte man bei jedem Erstkontakt alle Medikamente erfassen. Eine Reihe von Faktoren erhöht das Risiko von Problemen unter Multimedikation. Die LL unterscheidet u. a.: • Erkrankungs-/Zustandsbezogene Faktoren: Depression, Demenz/kognitive Einschränkungen, Kombination aus psychischen und somatischen Erkrankungen (z. B. Diabetes plus Schizophrenie), Gebrechlichkeit (Frailty), Stürze, schlechter werdender Gesundheitszustand. • Medikationsbezogene Faktoren: geringe therapeutische Breite, hohes Interaktionspotenzial, hoher Monitoringbedarf. • Patientenbezogene Faktoren: mangelnde Adhärenz (Hinweise darauf: Patient fragt früher oder später als erwartet nach erneuter Verordnung, Therapie bleibt unwirksam), Probleme beim Selbstmanagement, hohe Belastung durch Therapie. • Soziale Faktoren: Probleme bei Aktivitäten des täglichen Lebens (Activities of Daily Living, ADL), Verständnisprobleme (sprachlich).

Mindestens einmal pro Jahr ein kompletter Medikationscheck.

Als wichtiger Prognosefaktor für Probleme bei Multimedikation hat sich darüber hinaus die vom Patienten wahrgenommene

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Zum Medikationscheck alle Medikamente ­mitbringen lassen.

Lebensqualität erwiesen. Gibt ein Patient hier eine deutliche Verschlechterung an, sollte ein Medikationscheck (MC) vorgesehen werden. In die Praxisroutine lässt sich ein Medikationscheck implementieren, indem z. B. die Patientenakte so eingerichtet wird, dass sich beim Aufruf ein Warnfenster mit dem Hinweis auf einen MC öffnet. Hilfreich kann auch sein, einen Eintrag in der Patientenleitschiene einzurichten, der das Quartal für den nächsten MC nennt.

Bestandsaufnahme und ­Bewertung (Schritt 1) Zur Bestandsaufnahme sollten Vorerkrankungen und aktuelle Beschwerden (mit Schweregrad und resultierenden Beeinträchtigungen von Lebensqualität und Funktionen), klinischer Status sowie relevante Laborwerte (insbesondere die Nierenfunktion) bekannt sein. Sind die Patienten einverstanden, sollte man ggf. Angehörige und andere an der Therapie Beteiligte in die Bestandsaufnahme einbinden.

Stiefkind Medikationsplan Der Medikationsplan ist oft unvollständig (es fehlen z. B. OTC-Präparate) und nicht aktuell (Grandt, 2020). Man sollte die Patienten daher bitten, in einem Beutel alle Medikamente, die sie aktuell einnehmen, mitzubringen (in der Literatur oft als „Brown-Bag-Methode“ bezeichnet). Beim Erfassen kann das Praxispersonal (MFA/ VERAH) unterstützen. Einen Überblick über die Medikation kann man sich auch bei Hausbesuchen verschaffen, z. B. anhand von Packungen, die in Küche, Bad oder Schlafzimmer liegen. Auch hierbei kann das Praxispersonal eingebunden werden. Bisweilen werden dem seit Oktober 2016 vorgeschriebenen bundeseinheitlichen Medikationsplan (BMP) modifizierte und erweiterte Versionen vorgezogen. Diese haben jedoch den Nachteil, dass sie nicht oder nur eingeschränkt mit anderen EDV-Systemen von Praxen oder Kliniken kompatibel sind. Der BMP dagegen kann – gleichsam als kleinster gemeinsamer Nenner – überall genutzt werden.

Tab. 1: MEDIKATIONSANGEMESSENHEITSINDEX (MEDICATION APPROPRIATENESS INDEX, MAI) [nach Hanlon, 1992; mod. durch Leitliniengruppe Hessen, DEGAM, 2021]

Bewertungsdimension

Leitfragen

1. Indikation – Evidenz – ­Therapiedauer

• Gibt es eine Indikation für das Medikament? • Ist das Medikament wirksam für die Indikation und die Patientengruppe? • Ist die Dauer der medikamentösen Therapie adäquat? (Seit wann verordnet?*)

2. D osierung – Arzneimittel­ wechsel­wirkungen – ­Gegenanzeigen und Anwendungsbeschrän­kungen

• Stimmt die Dosierung? Besteht eine relevante Einschränkung der ­Nieren- und/oder Leberfunktion?*

3. M edikationsplan – Einnahme­ vorschriften –Anwendbarkeit – Doppelverordnungen – ­Adhärenz

• Liegt ein aktueller und schriftlicher Einnahmeplan vor? Sind die Ein­nahmevorschriften korrekt?

• Gibt es klinisch relevante Interaktionen mit anderen Medikamenten? • Gibt es klinisch relevante Interaktionen mit anderen Krank­heiten/Zuständen? Bestehen kardiale

­Vorschäden bzgl. Long-QT-Syndrom? Gibt es Altersbeschränkungen (PIM, FRID, ACh)?* (Applikationsmodus, Einnahmefrequenz, Einnahmezeit, Relation zu den Mahlzeiten) • Sind die Handhabung und Anwendungsvorschriften praktikabel? • Bestehen Doppelverschreibungen? • Ist die Adhärenz zur Therapie gegeben?†

4. Unterversorgung

• Wird jede behandlungsbedürftige Indikation therapiert?†

5. Wirtschaftlichkeit

• Wurde die kostengünstigste Alternative vergleichbarer Präparate ausgewählt?

*  Leitfragen in kursiv betreffen Operationalisierungen bzw. Ergänzungen des MAI-Items durch die Leitliniengruppe Hessen. † Items, die im ursprünglichen MAI nicht enthalten waren und von der Leitliniengruppe ergänzt wurden. Abkürzungen: ACh = Medikamente mit anticholinergen Effekten; FRID = Fall Risk Inducing Drugs (sturzrisikoinduzierende Medikamente); PIM = Potenziell Inadäquate Medikamente

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Tab. 2: SITUATIONEN, BEI DENEN TROTZ GEGEBENER INDIKATION OFT EINE MEDIKATION FEHLT [nach Kuijpers, 2007; mod. durch Leitliniengruppe Hessen, DEGAM, 2021]

Symptom/Diagnose/ Situation

Oftmals fehlende Medikation trotz Evidenz für Wirksamkeit

Schmerzbehandlung mit Opiaten

Laxans

Myokardinfarkt

Betablocker

Herzinsuffizienz

ACE-Hemmer

Vorhofflimmern

Orales Antikoagulans

Manifeste Osteoporose

Bisphosphonat

Hypercholesterinämie*

Statin

Hypertonie

Antihypertensiva

Angina Pectoris, Schlaganfall, TIA, PAVK

Thrombozytenaggregationshemmer

NSAR bei Risikopatienten (z. B. Ulkusanamnese)

PPI

*  Bei kardiovaskulärem Risiko; siehe hierzu DEGAM-Leitlinie „Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention“ (DEGAM, 2017)

Bei der Bestandsaufnahme ist ferner zu klären, ob die Patienten die Angaben im BMP (u. a. den Grund für die Anwendung, die Dosierung sowie besondere Einnahmehinweise, z. B. für Bisphosphonate) verstehen.

Belastung durch die Therapie Die LL empfiehlt ferner, im Rahmen der Bestandsaufnahme zu klären, ob und ggf. wie stark bzw. in welcher Form sich die Patienten durch die Therapie belastet fühlen. Ggf. sollte man fragen, welche Erleichterungen sich ein Patient wünscht, z. B. ob er bestimmte Medikamente weglassen möchte.

Ist die Medikation (noch) ­angemessen? Letzter und wichtigster Schritt der Bestandsaufnahme ist die strukturierte Bewertung der Medikation. Dabei kann man sich am Medikationsangemessenheitsindex (Medication Appropriateness Index, MAI, siehe Tabelle 1) orientieren. Eine Indikation (Punkt 1 in Tabelle 1), die einmal bestanden hat, kann wieder entfallen, etwa wenn sich das Risikoprofil oder die Lebenssituation geändert hat. Beispiel: Bei fortgeschrittenem Malignom ist die Sekundärprävention bei KHK mit einem CSE-Hemmer möglicherweise nicht mehr indiziert, weil der Patient von der Risiko­ reduktion nicht mehr profitiert. Ebenso

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kann die Indikation für Osteoporosemittel, Antikoagulanzien, Diuretika, Antidiabetika, Blutdrucksenker, Gichtmittel oder Protonenpumpenhemmer (PPIs) entfallen (siehe auch Punkt 3 „Verordnungsvorschlag“). Selbst bei Multimedikation zeigt ein Medikationscheck nicht selten, dass indizierte Medikationen fehlen (Potential Prescribing Omissions, PPO). Beispiele sind in Tabelle 2 genannt. Um mögliche Verordnungskaskaden (siehe Abbildung 2 übernächste Seite) zu erkennen, sollte immer geprüft werden, ob ein Medikament gegen die Nebenwirkung eines anderen Wirkstoffs verordnet wurde.

Indikationen können auch wieder wegfallen.

Dosis und Nierenfunktion Für jedes Medikament sollte geklärt werden, ob die Dosis an die Nierenfunktion angepasst werden muss. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die eGFR des Patienten unter 50 ml/min/1,73 m² liegt und der Q₀-Wert eines Wirkstoffs < 0,5 ist. Q₀ ist der Anteil (Quotient) einer Substanz, der bei normaler Nierenfunktion extrarenal (z. B. über die Leber) ausgeschieden wird. Ein Q₀ von 0,3 (z. B. Ramipril) bedeutet, dass 70 % über die Nieren ausgeschieden werden. Informationen zum Dosieren bei Niereninsuffizienz findet man auf https://dosing.de/. Die LL diskutiert auch, bei Niereninsuffizienz auf überwiegend lebergängige

Wurde ein Medikament gegen die UAW eines anderen verordnet?

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Bei allen ­ edikamenten darauf M achten, ob die Dosis an die Nierenfunktion anzupassen ist.

Alternativsubstanzen auszuweichen, etwa von Digoxin auf Digitoxin sowie von Dabigatran auf Edoxaban oder Apixaban. Bei Leberzirrhose in den Child-Pugh-Stadien B und C sollten generell alle Medikamente geprüft werden. Phase-II-Reaktionen (Glukuronidierung) sind weniger stark vermindert als Phase-I-Reaktionen (Cytochrom P450, CYP). Auch hier diskutiert die LL das Ausweichen auf Alternativsubstanzen, etwa von Diazepam auf Oxazepam sowie von den vorwiegend lebergängigen DOAKs Edoxaban und Apixaban auf das stärker nierengängige Dabigatran (spiegelbildlich zum Vorgehen bei Niereninsuffizienz, siehe oben). Da die Gerinnung bei Leberzirrhose ohnehin verringert sein und dies den Einsatz von DOAKs riskant machen kann, ist zu überlegen, auf das anhand der INR steuerbare Phenprocoumon umzustellen.

PIM-Listen Bislang nicht belegt ist, ob Listen potenziell inadäquater Medikamente (PIM) das Behandlungsergebnis für die Patienten verbessern. In Deutschland verbreitet sind die P ­ RISCUS-Liste (derzeit in Überarbeitung) und FORTA (Fit fOR The Aged; Wehling, 2018). Als Vorteil von FORTA wird gesehen, dass sie die Mittel für einzelne Indikationen mit A („Nutzenbewertung eindeutig positiv“) bis QTc-VERLÄNGERNDE WIRKSTOFFE (AUSWAHL) [nach https://www.crediblemeds.org*]

Antiarrhythmika: Amiodaron, Dronedaron, Flecainid, Sotalol Antibiotika: Makrolide (Azithromycin, Chlarithromycin, Erythromycin, Roxithromycin); Fluorchinolone (Ciprofloxacin, Levoflox­ acin, Moxifloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin) Antidementiva: Donepezil, Memantin Antidepressiva: Citalopram/Escitalopram, Imipramin, Maprotilin, Mianserin, Mirtazapin, Nortriptylin, Trimipramin, Venlafaxin HIV-Medikamente: Efavirenz, Lopinavir/Ritonavir, Saquinavir Neuroleptika: Aripiprazol, Clozapin, Flupentixol, Haloperidol, Melperon, Levomepromazin, Paliperdon, Perphenazin, Pimozid, Pipamperon, Promethazin, Sertindol, Thioridazin Weitere: Alfuzosin, Apomorphin, Buprenorphin, Domperidon, Fingolimod, Fluconazol, Isradipin, Levetiracetam, Lithium, Sulpirid, Tacrolimus, Tamoxifen, Tiaprid, Tizanidin, Terfenadin, Tolterodin, Tramadol *  Es werden nur praxisrelevante Substanzen mit erwiesenem („known“) oder potenziellem Risiko für Torsade-de-Pointes-Arrhythmien genannt.

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MEDIKAMENTE MIT ANTICHOLINERGEN EFFEKTEN (AUSWAHL) [nach Leitliniengruppe Hessen, DEGAM, 2021]*

Stark: Amitriptylin, Atropin, Chlorphenamin (u. a. in „Grippostad“), Diphenhydramin, Hydroxyzin, Imipramin, Oxybutynin, Tizanidin Mittelstark: Amantadin, Baclofen, Cetirizin, Clozapin, Loperamid, Loratadin, Nortriptylin, Olanzapin, Pseudoephedrin, Tolterodin Schwach: Carbidopa-Levodopa, Entacapon, Haloperidol, Metoclopramid, Mirtazapin, Paroxetin, Quetiapin, Ranitidin, Risperidon, Selegilin, Trazodon, Ziprasidon Wichtig: Diese Aufstellung berücksichtigt nur die Stärke der zerebralen anticholinergen Effekte, die das Risiko für kognitive Störungen und Delir erhöhen. Daneben gibt es eine Reihe von Anticholinergika, die nicht liquorgängig sind und daher nur periphere Effekte haben, wie z. B. Butylscopolamin oder inhalative langwirksame Muskarinrezeptor­antagonisten (z. B. Tiotropiumbromid). Nebenwirkungen können u. a. Mundtrockenheit, Obstipation oder Harnverhalt sein.

D („sollte fast immer vermieden werden“) bewertet und Alternativen erkennbar macht. Beachtet werden sollten schließlich die anticholinerge Last einer Substanz und das Risiko einer Verlängerung der QTc-Zeit (siehe dazu die beiden Kästen). Diese Effekte sind jeweils kumulativ: Während z. B. ein einzelner anticholinerger Wirkstoff gut vertragen wird, treten bei Zugabe einer weiteren anticholinergen Substanz kognitive Störungen zutage (pharmakodynamische Interaktion). Analog addieren sich Effekte auf die QTc-Zeit und erhöhen das Risiko für Torsade-de-Pointes-Tachykardien. Angesichts der zahlreichen Medikamente mit anticholinerger Last bzw. QTc-verlängernder Wirkung ist es ratsam (Grandt, 2021), sich bei der Verordnung auf wenige Medikamente zu beschränken, die man hinsichtlich dieser Risiken genau kennt. * Im PTQZ-Beitrag „Neuroleptika bei Demenz“ in Quartal II/2021 wurde eine andere Quelle für Substanzen mit anticholinergen Wirkungen zugrunde gelegt. Es bestehen daher für einzelne Substanzen Unterscheide in der Einstufung der anticholinergen Wirkstärke.

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PTQZ

Abb. 2: BEISPIELE FÜR VERORDNUNGSKASKADEN [nach Arafat, 2017; Leitliniengruppe Hessen, DEGAM, 2021]

Amlodipin

Ödeme

Diuretikum

Amitriptylin

Schwindel Kopfschmerzen

Betahistin

Kognitive ­ Störungen

Paracetamol Rivastigmin

Tiotropiumbromid

ACE-Hemmer

Bisphosphonat

Cholinesterase­ hemmer

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Parkinsonoid

Diphenhydramin

Kognitive ­Verschlechterung

Schwindel

Blutdruck­anstieg Weiteres Antihyper­tensivum

Thiazid

Neuroleptikum Harnverhalt

Tamsulosin

NSAR

Agitiertheit

Schwindel

DEMENZ

DURCHFALL

DELIR

[nach Rochon., 2020]

Sekundäre ­Hyperurikämie Allopurinol

StevensJohnson-Syndrom

Hustenblocker

Benommenheit, Sturzrisiko

Husten

Refluxsymptome Protonenpumpen­ hemmer

Obstipation

Loperamid

Delir (siehe Kasten)

Durchfall

Einer 71-jährigen Patienten mit leichter Demenz wird ein Cholinesterasehemmer verordnet. Nach zwei Wochen wird die Dosis erhöht. Danach kommt es bei der Patienten zu wiederholten Durchfällen. Dagegen erhält sie Loperamid. Einige Tage später wird sie wegen eines Delirs stationär eingewiesen. Dort erkennt man, dass die anticholinergen Eigenschaften von Loperamid vermutlich das Delir ausgelöst haben. Nach Absetzen des Durchfallmittels klingt das Delir ab. Die Durchfälle bleiben aber bei fortgesetzter Gabe des Cholin­ esterasehemmers bestehen und werden nicht als UAW des Antidementivums erkannt. Stattdessen folgen mehre Untersuchungen des Gastointestinaltrakts. Im Verlauf des fortgesetzten stationären Aufenthalts kommt es bei der Patientin zu einer deutlichen funktionellen Verschlechterung.

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Manche Interaktionen lassen sich durch eine Medikamentenpause umgehen.

Alternative: Medikamentenpause

„NO-GOS“ BEIM KOMBINIEREN VON

Eine Möglichkeit, die kumulative QTc-Zeit-Verlängerung zu umgehen, ist das vorübergehende Pausieren eines Medikaments während der temporären Gabe eines ebenfalls auf diesen EKG-Parameter wirkenden Stoffs. Beispiel: Während der Einnahme von Azithromycin wird ein Antidepressivum ausgesetzt – oder man wählt gleich ein Antibiotikum ohne Einfluss auf die QTc-Zeit (Grandt, 2021). Zur Bestandsaufnahme gehört auch die Prüfung der Adhärenz. Je nach Quelle wenden bis zu 50 % der Patienten Medikamente nicht wie verordnet an. Fast zwangsläufig bleibt die Adhärenz auf der Strecke, wenn die Patienten mit der Anwendung nicht zurechtkommen (Tabletten aus dem Blister drücken, Tropfflasche aufschrauben und Tropfen zählen, Pen mit Misch- oder Verzögerungsinsulinen vor der Injektion schwenken, Inhaler richtig halten und bedienen). Auch ein komplexes Einnahmeschema kann die Therapietreue mindern. Wichtig ist es, ggf. durch wiederholte Aufklärung Verständnis für den Nutzen einer Medikation zu schaffen und so mögliche Vorbehalte aufseiten der Patienten abzubauen. Relevante zu erwartende Nebenwirkungen sollten angemessen erklärt werden, d. h. ohne zu verharmlosen oder zu dramatisieren (cave Noceboeffekt). Ggf. ist zu prüfen, ob das Umfeld des Patienten bei der Therapie helfen kann, z. B. durch Erinnern bzw. Hilfe bei der Einnahme/Anwendung.

MEDIKAMENTEN [nach Hasenfuß, 2021]

Abb. 3: VIER FELDER FÜR PRÄFERENZEN DER PATIENTEN [nach Leitliniengruppe Hessen, DEGAM, 2021]

So lange leben wie möglich

Aktivitäten des täglichen Lebens aufrechterhalten

• Citalopram/Escitalopram nicht zusammen

mit einem Makrolidantibiotikum. • ACE-Hemmer nicht mit Sartan kombinieren;

ACE-Hemmer/Sartan nicht zusammen mit Reninhemmer. • Wenn Diuretikum plus ACE-Hemmer/

Sartan: kein NSAR zusätzlich (Gefahr des akuten Nierenversagens). • Bestimmte Opioide nicht mit Hemmern von

CYP 3A4 kombinieren (z. B. Clarithromycin). • NSAR plus systemisches Glukokortikoid

immer unter Schutz durch PPI.

Interaktionscheck Die LL empfiehlt, mindestens einmalig mit der Praxissoftware einen Interaktionscheck auszuführen (siehe Kasten „No-Gos“ und Tabelle 3). Dabei gemeldete Gegenanzeigen und Anwendungsbeschränkungen sollten beachtet werden, bei schwächeren Warnhinweisen empfiehlt die LL, die Notwendigkeit der Verordnung zu prüfen. Wie zum Vermeiden von additiven Effekten auf die QTc-Zeit (pharmakodynamische Interaktion, siehe oben) kann man auch zum Umgehen von pharmakokinetischen Interaktionen (z. B. über CYP-Enzyme) einen Wirkstoff während der Gabe des nur vorübergehend notwendigen anderen Medikaments aussetzen, z. B. ein Statin während der Gabe eines Makrolids. Eine vorweggenommene Dosisanpassung bei Interaktionen wird in der Leitlinie kritisch gesehen, denn sie ist im Allgemeinen schlecht steuerbar. Ausnahme: Eine Dosisanpassung wird in der Fachinfo ausdrücklich empfohlen. Wichtig: Für den Interaktionscheck müssen auch selbst gekaufte Mittel (u. a. Johanniskraut) berücksichtigt werden.

Abstimmung mit dem Patienten (Schritt 2) Beeinträchtigende Symptome beseitigen/lindern (Schwindel, Atemnot, Schwäche usw.)

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Schmerz verringern/ ausschalten

Patienten können nur dann sinnvoll in die Entscheidungsfindung für oder gegen das Beginnen/Absetzen einer Medikation eingebunden werden (partizipative Entscheidungsfindung, Shared Decision-Ma-

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PTQZ

Tab. 3: AUSGEWÄHLTE RELEVANTE MEDIKAMENTENINTERAKTIONEN [zitiert nach Leitliniengruppe Hessen, DEGAM, 2021]

Wirkstoff 1

Wirkstoff 2 (neu)

ACE-Hemmer/ AT₁-Blocker

NSAR/Coxibe (z. B. Diclofe- Wirkabschwächung des ACE-Hemnac, Ibuprofen etc.) mers, zusätzliche Nierenfunktionseinschränkung

• Vermeiden

NSAR/Coxibe (z. B. Diclofe- Wirkabschwächung des Diuretikums nac, Ibuprofen etc.)

• Vermeiden

Diuretika

Effekte

Was tun? • (Selbst-)Kontrolle z. B. RR und Gewicht • Wahl eines anderen Analgetikums • (Selbst-)Kontrolle z. B. RR und Gewicht • Wahl eines anderen Analgetikums

CSE-Hemmer (Pravastatin und Fluva­ statin haben wenig relevante Interaktionen)

Makrolidantibiotika (außer Azithromycin), Amiodaron, Fluconazol, Fibrate, ­Vera­pamil

Simvastatin

Amlodipin

Myopathie/Rhabdomyolyse

SSRI

NSAR

Blutung im Magen-Darm-Trakt

Gegenseitige Wirkverstärkung, Risiko der Rhabdomyolyse

• CSE-Hemmer während Antibiotika

pausieren • Vermeiden • Bei Notwendigkeit für gemeinsame

Gabe zu Pravastatin wechseln • Maximal 20 mg Simvastatin/Tag • Umsetzen auf z. B. Atorvastatin • Vermeiden • Wenn NSAR unumgänglich, PPI dazu

SSRI

Tramadol

Serotoninsyndrom

• Kombination vermeiden • Symptome beachten • Bei Verdacht auf Serotoninsyndrom

eines der Medikamente absetzen Terfenadin, ­Loratadin Makrolidantibiotika etc.

QTc-Verlängerung (Terfenadin), Wirkverstärkung/Konzentrations­ anstieg (Loratadin)

• Terfenadin generell nicht bei Multi­

Fentanyl (Pflaster)

Serotoninsyndrom; potenziell lebensgefährlich

• Kombination vermeiden

SSRI, SNRI, MAO-Hemmer

medikation

• Symptome beachten • Bei Verdacht auf Serotoninsyndrom

eines der Medikamente absetzen Fentanyl (Pflaster)

Starke CYP 3A4-Inhibitoren*

Überdosierung

Mindestens 1 Woche nach Entfernen des letzten Pflasters warten, bevor Behandlung mit einem CYP 3A4-Inhibitor begonnen wird. Wenn gleichzeitige Anwendung nicht vermeidbar ist, Überwachung erforderlich, Dosis für Fentanyl muss reduziert werden.

*Starke CYP 3A4-Inhibitoren sind z. B. Makrolide (Erythromycin, Clarithromycin, Telithromycin), Ciprofloxacin, Antimykotika (Fluconazol, Ketoconazol, Itraconazol), Proteaseinhibitoren (Ritonavir, Indinavir, Nelfinavir), Verapamil, Aprepitant, Amiodaron, Cimetidin

king), wenn sie ausreichend über Nutzen und Risiken von Therapieoptionen Bescheid wissen. Die LL rät, dies anhand der Number Needed to Treat (NNT) bzw. der Number Needed to Harm (NNH) zu veranschaulichen. Grundsätzlich lassen sich vier Präferenzfelder abgrenzen (Abbildung 3). Dabei ist zu beachten, dass sich in der Grafik gegenüberliegende Präferenzen nicht notwendigerweise ausschließen, d. h. der Wunsch, so lange wie möglich zu leben, kann zusammen mit dem Ziel „Schmerzfreiheit“ bestehen.

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Folgende Fragen können hilfreich sein: Patient: • Welchen Stellenwert hat die Erkrankung und deren (medikamentöse) Behandlung? • Welche Beschwerden stehen im Vordergrund (z. B. Luftnot, Schmerzen, verringerte Beweglichkeit)? • Was soll mit der Therapie erreicht werden (z. B. Grad der Schmerzlinderung)? • Welchen Stellenwert hat ein Medikament, das verordnet bzw. abgesetzt werden soll?

Welche Präferenzen setzen die Patienten?

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• Welche Nebenwirkungen sind noch

tolerabel? • Welches Krankheitskonzept hat der Patient? Glaubt er z. B., dass er selbst aktiv mithelfen kann? • Bestehen Vorbehalte gegen bestimmte Arzneimittel oder allgemein gegen Medikamente? Nach dem Absetzen einzelner Wirkstoffe ging es den meisten älteren Patienten ­besser als vorher.

Manche Substanzen dürfen nicht schlag­ artig abgesetzt werden (Rebound).

Ärztin/Arzt: • Welche Medikation ist aus ärztlicher Sicht unentbehrlich?

Verordnungsvorschlag und Kommunikation (Schritt 3) Die Grundsätze, die allgemein für das Verordnen von Medikamenten gelten, bestimmen auch das Vorgehen beim Deprescribing: • Weder Über- noch Unterversorgung (= so wenige Medikamente wie möglich, sie viele wie nötig). • Nichtmedikamentöse Maßnahmen einbeziehen. • Therapieziele/Therapiebelastung des Patienten beachten. • Regime so einfach wie möglich, um Belastung und Fehlerquellen zu mini­ mieren. • Dem Patienten erläutern und Verständnis dafür schaffen, wofür ein Medikament gegeben wird bzw. warum jetzt vorgeschlagen wird, es abzusetzen (insbesondere bei Medikamenten, die seit vielen Jahren verordnet werden). Der Patient soll gefragt werden, welche Erfahrungen er mit einem Medikament gemacht hat und ob er Bedenken hinsichtlich des Absetzens hat. • Gesicherte oder wahrscheinliche Unverträglichkeiten/Interaktionen, die zum Absetzen führen, in Patientenakte und Medikationsplan dokumentieren. • Medikationsplan aktuell halten. Das Absetzen eines Medikaments sollte ebenso wie das Verordnen das Ergebnis einer partizipativen Entscheidungsfindung sein. Schlägt man vor, ein Medikament abzusetzen oder die Dosis zu verringern, muss man glaubhaft erklären, welches Ziel damit

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verfolgt wird: Es geht nicht um Einsparen, sondern darum, das Behandlungsergebnis insgesamt zu verbessern. Der Patient muss wissen, dass er während des Absetzens medizinisch überwacht wird. Das Tempo wird mit ihm abgestimmt und er kann einen Absetzversuch jederzeit abbrechen. Eine in diesem Zusammenhang häufig zitierte Studie (Garfinkel, 2010) konnte zeigen, dass ein gezieltes Absetzen bestimmter Medikamente in der Mehrzahl der Fälle problemlos möglich war: Nur 6 der 256 abgesetzten Medikamente mussten wieder angesetzt werden, keinem Patienten ging es nach dem Absetzen schlechter*, 88 % berichteten von einer Verbesserung ihres Zustands, 67 % sogar von einer deutlichen Verbesserung. Eine Metaanalyse (Thio, 2018) kam zu ähnlichen Zahlen.

Praktische Tipps zum Deprescribing Es erscheint plausibel, Medikamente immer nur einzeln abzusetzen bzw. in der Dosis zu reduzieren, weil nur so mögliche Absetz­ reaktionen eindeutig zugeordnet werden können (Muth, 2018). Manche Wirkstoffe können in einem einzigen Schritt abgesetzt werden, viele erfordern dagegen ein langsames Ausschleichen. Letzteres gilt vor allem für psychotrope Substanzen, Antihypertonika (speziell Betablocker), Kortikoide, Levodopa und Opioide, aber auch für PPIs. Zu den möglichen Reaktionen auf (zu schnelles) Absetzen gehören: • Entzugserscheinungen (vor allem bei Benzodiazepinen, bis zu Krämpfen). • Rebound (Blutdruckanstieg nach Absetzen von Betablockern, Säureanstieg nach Absetzen von PPI, Schlaflosigkeit nach Absetzen von Benzodiazepinen). • Wiederauftreten von Symptomen der ursprünglich behandelten Erkrankung, z. B. nach Absetzen von Antidepressiva. • Mögliche Folgen des Absetzens, z. B.: – Levodopa: Muskelsteifigkeit, – Kortikoide: Addison-Krise. * Bei einem Patienten, der Warfarin wegen Vorhofflimmerns erhalten hatte, kam es drei Monate nach Absetzen des Gerinnungshemmers zu einer tiefen Beinvenenthrombose. Von den Autoren wurde ein Zusammenhang als „möglich“ eingestuft.

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PTQZ

• Durch das Weglassen eines Wirkstoffs

können (bis dahin kompensierte) Wech­ selwirkungen mit einem anderen Medika­ ment entfallen. Die Wirkung des verblei­ benden Arzneistoffs kann sich daher verstärken oder abschwächen. Informationen zum zeitlichen Verlauf des Absetzens von Substanzen findet man unter https://medstopper.com/.

Welche Wirkstoffe sind typische ­„Absetzkandidaten“? PPIs werden oft während eines stationären Aufenthalts oder als Magenschutz während der befristeten Einnahme eines NSAR bei erhöhtem Ulkusrisiko angesetzt und danach dauerhaft weiterverordnet, obwohl die Indikation, z. B. die Einnahme des NSAR, längst weggefallen ist. Auch Diuretika sind manchmal nur vorüber­ gehend bzw. nur temporär in höherer Dosis indiziert. Unter Diuretika kann es zu einer sekundären Hyperurikämie kommen, gegen die dann ein Urikostatikum wie Allopurinol verordnet wird (Verordnungskaskade), auch wenn nie eine symptomatische Gicht aufgetreten ist. Da Allopurinol nur noch zur Therapie der symptomatischen Hyperurik­ ämie empfohlen wird, kann es meistens problemlos abgesetzt werden. Auch Levothyroxin ist eine selten hinter­ fragte Dauermedikation. Wenn kein Zustand nach Hashimoto-Thyreoiditis bzw. partieller Thyreoidektomie vorliegt, sollte die Indika­ tion geprüft werden (Grandt, 2021). Lipidsenker wie Ezetimib oder PCSK9-Inhibitoren werden oft von kardiologischen Fachkollegen verordnet, um das LDL-Cho­ lesterin drastisch zu drücken. Da bislang nicht bewiesen ist, dass das Ausmaß einer medikamentösen Senkung des LDL-Choles­ terins die Prognose z. B. bei KHK maßgeblich bestimmt („je niedriger, desto besser“), kann überlegt werden, ob man sich nicht auf einen CSE-Hemmer beschränkt. Nitrate erweisen sich oft als entbehrlich, wenn seit einem halben Jahr keine ­Angina-Pectoris-Anfälle mehr aufgetreten sind (Zeeh, 2019)

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BEISPIELE FÜR DEPRESCRIBING AUS DER PRAXIS

Absetzerfolg bei Familientreffen Ein Arzt besucht einen Verwandten, den er selbst nicht ärztlich betreut. Der Patient ist 82 Jahre alt, sein Blutdruck ist seit Jahren stabil mit ACE-Hemmer, Hydrochloro­ thiazid und Metoprolol auf etwa 140 mmHg systolisch eingestellt, Puls um 60/min. „Seit ein paar Wochen habe ich oft Schwindel und der obere Blutdruck liegt nur noch bei 90, der Puls aber bei 80 und höher.“ Der Arzt sieht sich die Blutdruckmedikamente an (Einnahme unverändert) und vermutet eine andere Ursache für den Schwindel. „Hast Du einen Medikationsplan?“ In dem stehen nur die bekannten Blutdruckmittel, ferner ein DOAK (wegen einer TIA bei Vorhofflimmern vor drei Jahren) sowie Allopurinol. „Nimmst Du neuerdings sonst noch etwas anderes ein?“ Gang zur Schublade, darin eine große Packung Tamsulosin: „Die hat mir der Urologe vor ein paar Wochen verschrieben.“ Der Alphablocker ist aller Wahrscheinlichkeit nach Ursache für die niedrigen Blutdruckwerte und den Schwindel. Dem Patienten wird geraten, das Tamsulosin wegzulassen. Nachfrage nach einer Woche: „Schwindel? Nein, habe ich kaum noch.“ Prostatapro­bleme? „Da hat sich eigentlich nicht viel verändert. Ich muss halt nachts ein- bis zweimal raus.“ Da der Patient nie einen Gichtanfall hatte, rät der Arzt auch gleich, Allopurinol wegzulassen. Damit ist der Verwandte einverstanden. „Bin froh, wenn ich nicht so viele Tabletten schlucken muss.“

PPI nach Entlassung aus Akutklinik weiter verordnet [nach Bain, 2008] Eine 84-jährige Patientin wird zur Reha nach Hüft-TEP (Fraktur nach Sturz) eingewiesen. Aktuelle Medikation: Atenolol, Duloxetin, Losartan, Lovastatin, Metformin, Enoxaparin und Omeprazol. Medikationscheck: Für alle Substanzen besteht eine Indikation, außer für Omeprazol. Der PPI war zur Prophylaxe eines Stressulkus in der chirurgischen Klinik begonnen, nach der Entlassung aber nicht abgesetzt worden. Da PPIs in der Literatur mit Clostridium-difficile-Infektionen, vermehrten ambulant erworbenen Pneumonien, Vitamin-B₁₂-Mangel und Hüftfrakturen in Verbindung gebracht werden, setzt das Rehateam Omeprazol über mehrere Tage langsam ab. Die Überwachung der Patientin (insbeson­dere auf Refluxbeschwerden oder Oberbauchschmerzen) ergab keine unerwünschten Absetzreaktionen. Anmerkung: Laut FORTA (Wehling, 2018) wird Atenolol im Alter nicht empfohlen (evidenbasierte Alternative: Bisoprolol) und als Statin zur Sekundärprävention bei KHK wird nur Atorvastatin mit A (= „Nutzen­ bewertung eindeutig positiv“) bewertet.

COPD: Ist ein inhalatives Steroid wirklich nötig? In der NVL COPD (2020) heißt es, dass im vertragsärzt­lichen Bereich viele COPD-Patienten mit einer Kombination aus inhalativem Kortikosteroid (ICS) und langwirksamem Beta-2-Sympathomimetikum (LABA) vorbehandelt sind. Die NVL rät, die Indikation für eine ICS-Gabe regelmäßig zu prüfen und das ICS abzusetzen, wenn die Indikation nicht (mehr) gegeben ist. Für mittelschwere und schwere COPD wird als Basistherapie (wie im DMP COPD) primär ein LABA oder ein langwirksames Anticholinergikum (LAMA) bzw. die Kombination aus beiden empfohlen. Nur wenn häufige Exazerbationen das vorrangige Problem sind, ist eine Tripeltherapie (d. h. plus ICS) sinnvoll. Zu einem Absetzversuch für das ICS rät die NVL insbesondere, wenn die Eosinophilenzahl im Differenzialblutbild < 100/µl ist, keine asthmatische Komponente vorliegt und unter dem ICS in der Vergangenheit eine Pneumonie aufgetreten ist.

Asthma: Inhalative Steroide sind immer die Basis! Bei Asthma soll die Basis der Langzeittherapie dagegen immer ein ICS sein, gibt die NVL Asthma (2020) vor. Ziel ist es, den Bedarf an kurzwirksamen Beta-2-Sympathomimetika (SABA) in der Bedarfstherapie möglichst niedrig zu halten. Auch gemäß dem DMP Asthma bronchiale besteht die Basistherapie bei Asthma aus inhalativen Kortikosteroiden. Wenn das nicht ausreicht, kann die Basistherapie um ein LABA erweitert werden. Weitere Wirkstoffe (wie systemische Kortikoide, Leukotrienrezeptorantagonisten, Anti-IgE-Antikörper) sind nur in begründeten Fällen indiziert.

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Es kann überlegt werden, ein Bisphosphonat wegzulassen, wenn keine manifeste Osteoporose (= mindestens eine osteoporotisch bedingte Fraktur) vorliegt, sondern nur die Knochendichte vermindert ist. Kalziumpräparate sind oft entbehrlich, wenn eine ausreichende Zufuhr von Milchprodukten möglich ist. Eine Blutdrucksenkung unter 120 mmHg systolisch ist vor allem im höheren Alter kritisch. Hier kann man oft die Dosis

SCHNITTSTELLEN [nach Leitliniengruppe Hessen, DEGAM, 2021]

Krankenhaus: Viele Entlassmedikationspläne sind fehlerhaft, weil schon die vor der stationären Aufnahme bestehende Medikation unvollständig übernommen wurde. Wenn möglich sollte man den Patienten vor einer stationären Einweisung bzw. Überweisung zu Spezialisten wesentliche Vorbefunde, Fragestellung und Einweisungs-/Überweisungsindikation sowie den aktuellen Medikationsplan mitgeben. Nach jedem stationären Aufenthalt sollte man prüfen, inwieweit die Medikation verändert wurde und ob der Patient davon tatsächlich profitiert. Wichtig: Für die Verordnungen nach Krankenhausentlassung trägt die Hausärztin/ der Hausarzt die Verantwortung. Beispiel: Prasugrel wird laut Fachinfo nicht für Patienten über 75 Jahre empfohlen. Wurde es in der Klinik trotzdem angesetzt und übernimmt die Hausärztin/der Hausarzt die Medikation, ist sie/er dafür juristisch und ökonomisch (Gefahr von Regress bzw. Schadensersatzansprüchen!) verantwortlich.

Pflege Pflegebedürftige haben ein hohes Risiko für Anwendungsfehler und UAWs. Daher wird empfohlen: • Pflegende mit Zustimmung des Patienten in den Medikationsprozess einbeziehen,

(z. B. bei Medikationsüberprüfung). Sie müssen alle wichtigen Informationen erhalten. • MFA/VERAH können beim Abholen von Folgerezepten aktiv fragen, ob es

Probleme mit der Medikation gibt. • Vereinbaren, bei welchen Anlässen der Pflegedienst die Ärztin/den Arzt kontak­

tieren soll. • Bei Visite im Heim gezielt nach Problemen fragen. • Bei allen Symptomen, die den Pflegenden berichtet wird, an UAWs denken, um

Verordnungskaskaden zu vermeiden.

Verblisterung (Heim und häusliche Pflege) Verblisterung ist mittlerweile in vielen Heimen Standard. Es spart zwar Zeit, mindert aber die Kompetenzen der Pflegenden. Zu beachten ist: • Halbe Tabletten sind nicht verblisterbar, daher neues Rezept nötig. • BTM-Mittel dürfen nicht verblistert werden. • Nicht alle Medikamente sind zum Verblistern geeignet (z. B. manche DOAKs wegen

des Verlusts des Lichtschutzes). • Mittel mit besonderen Einnahmevorschriften (z. B. Bisphosphonate) nicht verblis-

tern! • Ärzte müssen im Einzelfall darauf bestehen, wenn etwas nicht verblistert werden

darf (z. B. in der Ein/Ausschleichphase, bestimmte DOAKs, Phenprocoumon, Bedarfsmedikamente wie Schmerzmittel oder Diuretika).

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reduzieren oder einen Kombinationspartner weglassen. Benzodiazepine und Z-Substanzen generell nur befristet anwenden, nicht zuletzt wegen des deutlich erhöhten Sturzrisikos. Anticholinergika (z. B. die häufig gegen Blaseninkontinenz verschriebenen) sind oft die Ursache für kognitive Einbußen. Bei der Diabeteseinstellung sollte man auf ein altersgerechtes HbA1c-Ziel achten. Nicht selten kann die Zahl/Dosis von Antidiabetika vermindert werden. Gliptine (kein Nutzen hinsichtlich klinischer Endpunkte) oder Sulfonylharnstoffe sind vor allem im Alter eher selten erforderlich (Zeeh, 2019). Inhalativa: Im Alter statt Salbutamol eher Beclomethason oder Budesonid einsetzen, als Inhaler den Respimat bevorzugen.

Arzneimittelabgabe (Schritt 4) In der Leitlinie wird das Konzept der „Stammapotheke“ favorisiert. Diese ist definiert als Apotheke, in der Patienten den überwiegenden Teil ihrer Rezepte einlösen und OTC-Mittel kaufen. Unklar ist, wie das praktisch umsetzbar ist, wenn mehrere Apotheken vor Ort konkurrieren. Insbesondere Patienten mit Multimedikation könnten aber davon profitieren, wenn sie eine Stammapotheke haben, in der ihre gesamte Medikation dokumentiert ist und auf Wechselwirkungen geprüft werden kann. Ferner wird empfohlen, mit den Apotheken in der Umgebung die Kommunikationswege abzusprechen. Neben dem regelmäßigen persönlichen Austausch, z. B. einmal jährlich bei einem Qualitätszirkel, sollte in der Apotheke für weniger eilige Meldungen eine Faxnummer der Praxis hinterlegt sein. Für dringliche Anfragen, z. B. wenn eine risikoreiche Kombination erkannt wird, sollte eine direkte Rückfragemöglichkeit per Telefon existieren. Wenn vorhanden, sollte auch die E-Mail-Adresse bekannt sein.

Arzneimittelanwendung und Selbstmanagement (Schritt 5) Die Patienten sollen dazu motiviert werden, die Möglichkeiten zur Selbstkontrolle zu nutzen, z. B. durch regelmäßiges Wiegen bei

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PTQZ

Tab. 5: VORSCHLAG FÜR SINNVOLLE ROUTINEKONTROLLEN BEI HÄUFIG EINGESETZTEN WIRKSTOFFEN BEI DAUERMEDIKATION [modifiziert nach Leitliniengruppe Hessen, DEGAM, 2021]

Wirkstoff(gruppe)

Kontrollen

Kardiale Therapie ACE-Hemmer/Sartane, ARNI (NF) Wenigstens 1x im Jahr eGFR und Kalium Thiaziddiuretika (NF)

Wenigstens 1x im Jahr eGFR, Kalium, Natrium

Schleifendiuretika (NF)

Wenigstens 1x im Jahr eGFR, Kalium, Natrium

Amiodaron

Spirometrie alle 6 Monate oder bei Dyspnoe, 1x jährlich TSH plus augenärztliche Kontrolle plus EKG (Hinweis in Fachinfo auf Lungentoxizität beachten!).

Spironolacton (Indikation Herzin- Wenigstens 1x im Jahr eGFR, Kalium suffizienz) (NF) Digoxin (NF)/Digitoxin

EKG, eGFR, Kalium 1x im Jahr, keine Routine-Spiegelbestimmung, wenn klinisch stabil

Phenprocoumon

1x im Quartal kleines BB, γGT und GPT

Dabigatran (NF)

Wenigstens 1x im Jahr eGFR

Rivaroxaban (NF)

Wenigstens 1x im Jahr eGFR, γGT und GPT

Apixaban, Edoxaban

1x im Quartal kleines BB, γGT und GPT

Patienten zur ­Selbstkontrolle ­motivieren.

Metabolische Erkrankungen Statine

CK nur bei Beschwerden, wenigstens 1x im Jahr GOT/GPT und nach Dosis­ erhöhung auf jeweilige Maximaldosis

Metformin (NF)

Wenigstens 1x im Jahr eGFR

SGLT-2-Inhibitoren (NF)

Wenigstens 1x im Jahr eGFR

Immunsuppression und Entzündungshemmung Systemische Kortikoide

Ab 7,5 mg Prednisolon/Tag: BZ 1x pro Quartal; ab Therapiedauer > 3 Monate an Osteodensitometrie denken

Thiamazol, Carbimazol

Wenigstens alle 6 Monate TSH plus BB

Sulfasalazin, Mesalazin

1x im Quartal BB, AP, PT, eGFR

Methotrexat (NF)

Siehe Fachinfo, Absprache mit rheumatologischen Kolleginnen/Kollegen

Azathioprin

Wenigstens alle 3 Monate (engere Intervalle bei NF oder Leberfunktionsstörung) BB, eGFR, γGT, GPT

Psychiatrische Erkrankungen Lithium

Siehe Fachinfo

Haloperidol

2x im Jahr kleines BB, γGT, PT, Natrium; 1x pro Jahr EKG

Clozapin

Mindestens alle 4 Wochen und bis 4 Wochen nach Absetzen Diff-BB; ­mindestens alle 6 Monate eGFR, BZ oder HbA1c plus EKG

SSRI und SNRI

Kontrolle Labor wenigstens jährlich, EKG-Kontrolle bei Symptomen

Schmerzbehandlung Carbamazepin

1x im Quartal kleines BB, Harnstoff, Na, γGT, GPT

Gabapentin, Pregabalin (NF)

Wenigstens 1x im Jahr eGFR

Metamizol

Bei Anwendung länger als 7–14 Tage: BB- Kontrolle, danach vierteljährlich

Nicht alle Medikamente dürfen verblistert ­werden.

NF = für diese Wirkstoffe/Wirkstoffklasse besteht die Notwendigkeit einer Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion. Genaue Angaben siehe Fachinformation oder unter www.dosing.de.

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Herzinsuffizienz oder Selbstmessung des Blutdrucks. Damit können sie die Arzneimit­ telanwendung nicht nur bei Neuverordnung oder Dauermedikation verbessern, sondern auch beim Deprescribing, etwa weil eine Absetzreaktion schneller erkannt wird. Dazu gehört, dass den Patienten erklärt wird, wie sie sich bei bestimmten Symptomen bzw. selbst gemessenen Werten verhalten sollen.

Praxistipps (Auswahl aus der LL): • Informationen mündlich und schriftlich

geben. • Individualisierte Hilfen (Erinnerungs­

tricks usw.). • Wiederholen der Informationen bei jedem

Praxiskontakt, ggf. mehrmals einbestellen. • Man sollte grundsätzlich davon ausgehen, dass Patienten ihre Therapie selbstständig ändern. Am besten ist daher, ihnen zu erklären, welche Medikamente sie keinesfalls absetzen dürfen.

• Unterstützung des Praxisteams (z. B.

VERAH) anbieten, auch bei nichtmedika­ mentösen Maßnahmen.

Monitoring/Follow-up (Schritt 6) Für jeden Patienten mit Multimedikation sollte ein Plan existieren, wann welche Laborparameter zu prüfen sind (Tabelle 4, vorherige Seite). Wurde eine Medikation geändert (an/abgesetzt, Dosis verändert), ist es besonders wichtig, einen Termin für die Überprüfung des Behandlungsergebnisses zu vereinbaren. Hat der Medikationscheck Probleme mit der Einnahme bzw. Handhabung von Medika­ menten aufgedeckt, sollte beim Kontroll­ termin auch geklärt werden, ob die Probleme weiterhin bestehen. Schließlich sollte das Behandlungsergebnis geprüft und dabei auch auf unspezifische Symptome (siehe Kasten zu Beginn des Beitrags) geachtet werden.

QUELLEN

IMPRESSUM

Auftraggeber: Hausärztliche Vertragsgemeinschaft AG (HÄVG) im Auftrag des Deutschen Hausärzteverbandes e.V. Verlag: ©m m medizin + medien Verlag GmbH, 2022 Geschäftsführung: Dr. Monika von Berg Autor: Dr. med. Ulrich Scharmer Zertifiziert durch: Institut für h­ ausärztliche Fortbildung im Deutschen Hausärzteverband (IHF) e.V. Für Angaben zu ­Dosierungen und Applikations­formen übernehmen Autoren und Verlag keine Gewähr.

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Impressum

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QZ kompakt Q1/2022 Herausgeber: HZV-Team des Deutschen Hausärzteverbandes. Ein Service der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft AG (HÄVG) im Auftrag des Deutschen Hausärzteverbandes e.V. Edmund-Rumpler-Str. 2 51149 Köln Tel.: 02203 5756-1209 ptqz@hzv.de

Fotos: Mein kleines Bilderbuch Fotografie, privat

Das HZV-Team des Deutschen Hausärzteverbandes: Sie erreichen uns von Montag bis Donnerstag von 08.00 – 17.00 Uhr und an Freitagen von 08.00 – 15.00 Uhr unter Tel: 02203 5756-1209 oder via E-Mail unter ptqz@hzv.de

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Verlag: V.i.S.d.P.: Dr. Monika von Berg Redaktion: Dr. Monika von Berg Redaktion Medizin: Dr. med. Ulrich Scharmer Layout: Gabi Kellner © mm medizin+medien Verlag GmbH Konrad-Zuse-Platz 8, 81829 München www.hausarzt.digital Titelfoto: andy - iStockphoto.com

Masa Maric

Isabell Ornoth

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