White Paper: focus NEW SALES

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schwer tun, miteinander zu kooperieren. Der Startup-IT-Bereich hat sich da durch das Inves­ toreninteresse seit Anfang der 1990er massiv professionalisiert: Heute findet man da kaum eine Neugründung mehr ohne Marktresearch, interdisziplinäres Team, Business- und Finanzplanung, internationale Rolloutplanung – zwanzigjährige Neugründer haben die Denkweise in Kundennutzen und skalierbaren Geschäftsmodellen internalisiert und sind nicht mehr die blassen, einzelkämpfenden Programmier-Nerds. Da gibt es in der Kreativszene noch jede Menge Aufholbedarf: multidisziplinäre Teams zusammenzustellen, die durch ergänzendes Knowhow mehr gemeinsam erreichen können. Mir ist schon bewusst, dass Geschäftsmodelle in den Creative Industries nicht die Skalierbarkeit von IT haben, aber die Denkweise und Methodologie ist durchaus anwendbar. Was sind Ihre Kriterien, wenn jemand wegen einer Finanzierung kommt? Braucht er einen fertigen Businessplan? Oder reicht es, wenn man das Talent sehen kann? Also, wenn jemand wegen einer Finanzierung kommt, schicke ich ihn zur Bank. Wenn mich jemand mit dem Wunsch anspricht, ein kluges Geschäftsmodell umzusetzen, dann höre ich es mir an. Ein gutes Beispiel dafür aus meiner Praxis ist das Magazin biber: Die, ein erfahrener Kurier Journalist und ein Haufen Migranten, sind vor sechs Jahren mit einer Nullnummer des biber gekommen und haben gesagt: „Wir wollen eine Stadtzeitung für Tschuschen machen. Willst du das finanzieren?“ 99,9 Prozent der Leute, zu denen ich gesagt habe, ich würde das machen, waren der Meinung, ich sei in einer Midlife-Crisis, hätte verlernt zu rechnen und trinke zu viel. Aber die von biber waren letztendlich völlig davon überzeugt, dass sie das machen wollen, und völlig glaubwürdig, dass sie das können. Da hat das Team gepasst und der Wille, das durchzusetzen. Wir haben dann einige Wochen gemeinsam entwickelt, gerechnet und den Werber Rudi Kobza für das Projekt gewinnen können, um Knowhow und Kontakte der Werbewirtschaft reinzuholen. Und wir sind dann schnell gestartet. Dann ist das sehr organisch und wirtschaftlich erfolgreich gewachsen.

focus N e W S a l e s

Sie plädieren für schnellen Marktkontakt statt langem Entwickeln? Genau! Mehr noch als schneller Marktkontakt. Es geht darum, die Produkte mit den zukünftigen Kunden zu entwickeln. Beim biber war die Redaktion ja gleichzeitig Repräsentant der Zielgruppe: schnelles Prototyping, Feedback, Verbessern, Feedback, Verbessern. Je früher ich Feedback von meinen potenziellen Kunden habe, desto geringer das Risiko eines Flops, desto mehr Argumentation für die Finanzierung des nächsten Schrittes. Die neuen Medien schaffen da ganz neue Möglichkeiten im Entwicklungsprozess. Was braucht es für ein Kreativunternehmen, um einen Finanzier zu gewinnen? Finanzier klingt nach Mäzenatentum, damit beschäftige ich mich nicht. Ich verstehe mich als Investor, der Zeit, Knowhow und finanzielle Mittel investiert und sich eine Rendite erwartet: eine finanzielle Rendite, aber auch eine persönliche Rendite. Die gute Nachricht: Ich bin sicher, eine wirklich gute Idee, ein gutes Produkt findet mit dem richtigen Team immer eine Finanzierung. Die schlechte Nachricht: Der Zugang, ich bin ein Künstler, ich entwerfe etwas und du, nimm das bitte und mach es zu Geld, ist für einen Business Angel völlig uninteressant. Was halten Sie von Crowdfunding für Produktentwicklung, beispielsweise via Kickstarter? Unglaublich spannend. Ich denke, wir stehen hier noch ganz am Anfang. Jeder, der im Bereich Creative Industries weiterkommen will, muss sich heute mit den Mechanismen der neuen Medien wirklich intensiv auseinandersetzen: Social Media, E-Commerce, Crowdfinancing, der wachsende Einfluss von Mode-, Musik- und DesignBlogs. Hier kann durch intelligentes Vorgehen auch ein vergleichsweise schwacher Heimmarkt durchaus kompensiert werden.

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