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Stadtmusik Rheinfelden

Teamplayer OHNE ALLÜREN

Heinz Schoenenberger und die Stadtmusik Rheinfelden

Heinz Schoenenberger und die Stadtmusik Rheinfelden

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Blasmusik als Beruf – auf Heinz Schoenenberger trifft das zu. Der Dirigent der Stadtmusik Rheinfelden hat sich sein grosses Ziel aber schwer erkämpfen müssen – gegen den Willen der Eltern, die ihn lieber im Führerstand einer Lokomotive gesehen hätten statt auf dem Podest vor einer Blasmusikformation. Doch der 55-Jährige Selfmademan liess nicht locker. Schon mit fünf Jahren wusste er: Die Trompete ist einmal mein Instrument. Sogar einen Wikipedia- Eintrag auf Niederländisch hat er.

Bei der Probe der Stadtmusik im

grossen Saal der Musikschule Rheinfelden-Kaiseraugst, die jeden Dienstagabend stattfindet, ist Schoenenberger die Ruhe selbst. Locker, geduldig und mit entspannter Stimme kommuniziert er mit seinen Musikern. Sie wirken wie eine grosse Familie. Stadtmusik-Präsident Dominik Baltzer, der die Bass-Klarinette spielt: «Heinz Schoenenberger ist nach einer sehr turbulenten Zeit mit vielen Dirigentenwechseln ein Ruhepol, ein guter Ausbilder, stilsicher und sehr ausgeglichen.»

Es war ein längerer Weg, bis sich Dirigent und Stadtmusik fanden. «Ich kannte die Stadtmusik schon seit 2012, als ich eine Expertise für sie erstellte», berichtet er. «Liebe auf den ersten Blick war es keine, aber ich hatte Interesse.» Kurz darauf kam auch schon das Angebot für den Kapellmeister-Job, doch der Dienstag als Probetag passte Schoenenberger zunächst nicht in die Agenda. So vergingen weitere Jahre, bis die Stadtmusik von neuem auf ihn zukam, nachdem sie mit einer Frau als musikalischer Leiterin weniger gute Erfahrungen machten. Seit 2016 schliesslich schwingt Schoenenberger im unteren Fricktal den Taktstock und bilanziert: «Ich habe seither die Ruhe reingebracht, die es braucht. Jetzt können wir wieder aufbauen.»

Von Starrkirch-Wil im Solothurnischen reist Schoenenberger jeden Dienstag an – 50 Kilometer ein Weg – ein hauptberuflicher Dirigent muss weite Wege in Kauf nehmen. Schoenenberger dirigiert zudem die Musikgesellschaft Neuendorf/SO und das Spiel

der Kantonspolizei Solothurn, hat Gastdirigate von Sinfonischen Orchestern und Big Bands sowie Engagements als Trompeter bei verschiedensten Formationen. Er sagt: «Dieses Leben im Kontext von Musik und Menschen ist sehr abwechslungsreich, braucht aber auch ein gutes Zeitmanagement, weil es einem ständigen Wechsel unterliegt.»

Nicht minder viel unterwegs wäre er, wür de er im Führerstand einer E-Lok sitzen und Züge auf dem Schweizer Streckennetz von A nach B fahren. Denn als Lokführer hätten ihn seine Eltern gerne gesehen. Das wäre aus ihrer Sicht der Traumjob für den Sohn gewesen. Der hätte sich das schon auch vorstellen können, immerhin war die Maschinenschlosser Lehre bei der SBB in Olten, praktisch das Eintrittsbillet, schon absolviert. Aber dann war die Vorstellung, nach der Grundausbildung in der Jugendmusik Olten unddiverser Bläser- und Dirigentenkurse aufs Konservatorium nach Basel gehen zu können, dann doch zu verlockend. Es war die Aussicht darauf, den Blaumann gegen den Frack einzutauschen, den Taktstock statt des Werkzeugs in Händen zu halten, sich dem Rausch hinzugeben, den nur der Beifall des Publikums zu wecken vermag. «Meine Eltern, mein Vater war Schweisser, hatten absolut kein Verständnis für meine Entscheidung, mit dem Studium der Fächer Trompete und Dirigieren zu beginnen und mich gegen einen ‹sicheren› Beruf als Lokführer zu entscheiden.» Mit Geld von zuhause konnte der

«Meine Eltern wollten, dass ich Lokführer werde.»

damals 23-Jährige nicht rechnen. «So musste ich mein Studium mit Arbeiten während der ganzen fünf Jahre selbst finanzieren. Dies brachte mich mehrmals an die Grenze meiner körperlichen Belastbarkeit, vor allem im Grundstudium.» Allein die 4000 bis 5000 Franken jedes Jahr für eine neue Trompete mussten erst einmal verdient sein. Gut, dass nach und nach die Jobs als Musiklehrer immer häufiger wurden. Und doch: Wenn er an so manchem Sonntag nach Hause zu den Eltern kam, sagte seine Mutter: «Der isst für zwei» – so sehr gingen die Jahre an die Substanz, so sehr musste er sich das Studium vom Munde absparen. Unverständnis («Warum noch studieren, du spielst doch schon tip-top?»), Skepsis, Ängste seitens der Eltern begleiteten ihn in diesen Jahren. Es war auch Stolz dabei, was Vater und Mutter aber nicht zeigen konnten. «Ich bin in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen. Kleider gab es von den Cousinszum Auftragen und das Gemüse stammte aus dem eigenen Garten», erinnert er sich. Klassische Musik, die feine und vornehme Welt der Konzertsäle – all das schien weit weg.

Aber die Eltern waren ihm nicht lange gram, machten ihren Frieden mit dem Lebensweg, den der Sohn für sich einschlug und auf dem sich die Erfolge bald einstellten. Bis zu ihrem Tod kursierte ein running gag in der Familie: Ob er die 30 Franken, mit denen er 1971 seine Karriere als Blasmusiker startete, jemals würde zurückerhalten. 30 Franken hatte er im Alter von neun Jahren aus seinem Sparschwein ge-

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plündert, als es darum ging, die Anmeldegebühr für den Trompeten-Anfängerkurs zu bezahlen. Auf eigene Faust, ohne das Wissen der Eltern, hatte er sich dazu angemeldet. Die ungeliebte Blockflöte, zu der er von Vater und Mutter verdonnert worden war, konnte er endlich zur Seite legen. Wobei er schon seit vier Jahren wusste, dass die Trompete sein Instrument ist: «Ich hatte mich mit fünf Jahren entschlossen, Trompete zu lernen, nachdem ich am Schulfest die vorbeimarschierendeJugendmusik hörte und sah, wie die Trompeten so schön in der Sonne glänzten», weiss er noch.

«Die Musik hat mich um die ganze Welt geführt», berichtet Heinz Schoenenberger. Einmal auch nach Boston, wo er Stardirigent Leonard Bernstein erlebte, dessen Charme und Stil beim Dirigieren ihn nachhaltig prägten. Herbert von Karajan hat er erlebt, ebenso wie Ricardo Muti. Doch ein

«Ich freue mich immer wieder über neue Projekte.»

unnahbarer Maestro will er nicht sein. Für ihn sollte es in vielen Aspekten in einem Orchester «basisdemokratisch» zugehen, auch in der Stadtmusik Rheinfelden. Auf «Augenhöhe» will er seinen Musikern begegnen. Auch wenn er erhöht auf dem Podest steht, will er sie nicht von oben herab behandeln. Schoenenberger steht zwar vorne, man schaut zu ihm und erwartet, dass er weiss, wo’s langgeht. Und doch ist er mehr ein Erster unter Gleichen, ein Teamplayer, niemand, vordem man zittern müsste. Dies auch im Wissen, dass er bei jungen Berufsmusikern wie auch Amateuren heute auf eine professionellere und viel fundamentalere Ausbildung als zu seiner Zeit zurückgreifen kann.

Nur bei einer gegenseitigen echten Wertschätzung könne der Funke der Begeisterung auf das Auditorium überspringen. Heinz Schoenenberger hat Lust auf Blasmusik

– ob bei der Stadtmusik Rheinfelden, bei der von ihm und dem jüngeren Bruder Peter gegründeten Formation «BlasArt» («eine riesige Spielwiese») oder beim Dirigieren des Spiels der Kantonspolizei Solothurn, wo er 2017 bei einem Konzert mit der Rockband «Irrwisch» bewies, dass Blasmusik auch neue Wege gehen kann.

«Mein Beruf ermöglicht mir ein interessantes Leben. Ich freue mich immer wieder über neue Projekte», zieht er nach Jahrzehnten in der Blasmusik Bilanz. Ihm ist es mit diesem Beruf gelungen, «ein Eigenheim und ein Auto erspart zu haben», wie er sagt: «Und dies alles mit Arbeiten, die weder Kleider noch Hände schmutzig machen. Attribute, die sich unsere Eltern für uns Kinder gewünscht haben und wofür sie hart arbeiteten.» Und wenn sie noch lebten, hätten sie eine Freude daran, dass doch noch jemand in der Familie Lokführer geworden ist – Heinz Schoenenbergers Sohn.

Hans-Christof Wagner

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