Düsseldorfer Schauspielhaus — Spielzeitheft 2018/19

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Fisch DU + ICH = WIR — Der Autor Carsten Brandau über die Begegnung mit dem Fremden und die Welt als Duo

Sagt der Walfisch zum Thunfisch — von Carsten Brandau — Für alle ab 3 Jahren — Regie: Juliane Kann — Bühne und Kostüm: Marie Gimpel — JUNGES SCHAUSPIEL — Uraufführung am 25. November 2018 — In der Münsterstraße 446

Es beginnt immer mit der Einsamkeit, mit dem Alleinsein. Die Welt als Solo. Das Leben als Monolog, den niemand hört. Doch so bleibt es nicht. Denn jeder Anfang ist ein Aufbruch. Raus aus der Leere, hinein ins Licht – und plötzlich die Erkenntnis, dass ich da draußen ja doch gehört werde. Ich? Ja. ICH als Abgrenzung zu all dem anderen da draußen, zu all dem Fremden um mich rum, diesem Nicht-ICH, das sich mir Schritt um Schritt entgegenstellt, das sich zu mir gesellt, mich umgarnt, keineswegs ohne Hintergedanken – doch so weit bin ich noch nicht, noch ist diese Geschichte frei von Kalkül, frei von Macht und Verachtung. ICH bin ICH – und ich bin nicht allein. Ich spreche meinen Monolog, doch von allen Seiten wird mir reingeredet. Mir wird beigepflichtet, ich werde korrigiert, Applaus von der einen Seite, Buhrufe von der anderen. Mir wird ein Bein gestellt, mir wird aufgeholfen, danke, Handschlag und Schulterschluss, was soll das!? Und so werde ich zwangsläufig wieder zurückgeworfen auf meine Einsamkeit. Auch wenn diese Welt alles andere als ein Solo sein mag, so muss ich doch das Gegenteil behaupten – MICH muss ich behaupten, mein ICH. Denn das ist meine zweite Erkenntnis: Die Welt ist meine Welt, ist MEIN Solo – und in meinen Monolog lasse ICH mir nicht reinreden. Doch bin ich nur so lange ICH, bis plötzlich DU mir dazwischenfunkst – und ICH mir von DIR dazwischenfunken lasse. Plötzlich schält sich aus all dem Fremden um mich rum ein Einzelnes heraus, das mir auf den ersten Blick gar nicht allzu fremd erscheint, das ich gewähren lasse, ich lass es mir gefallen. Ist ganz eindeutig Nicht-ICH, ist mir aber im Gegensatz zu all dem anderen ähnlich. Oder aber eben gerade nicht. Wie soll ich das denn ausdrücken? Wenn zwei Herzen sich gegenseitig den Takt schlagen. Wenn sich ihre Schläge miteinander verstricken. Ineinander verwirren. Dann kriegen DU und ICH sie nicht mehr auseinander. Mit DIR bin ICH dann WIR. DEIN Monolog und MEINER, sie verhaspeln sich zu UNSEREM Dialog. Dann ist das die dritte Erkenntnis. Dann nennen wir es Liebe, wir blicken uns in die Augen, und wir fragen einander: Wer bin eigentlich ICH, wer von uns beiden bist DU – und warum bin ICH eigentlich für dich DU, während DU nur für dich ICH bist? Wenn es nach UNS gehen würde, dann dürfte die ganze Geschichte mit unserer Verwirrung und der dritten Erkenntnis, dass DU und ICH WIR sind, gerne zu Ende sein. Sollte sie sogar. Denn dann würde sie mit der Liebe enden. Tut sie aber nicht. Im Gegenteil. Sie geht schon wieder los. Die

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D’haus — Spielzeit 2018/19 — Essays

Geschichte, diese ganze. Die immer wieder mit der Einsamkeit beginnt. Mit dem Alleinsein. Die Welt als Duo. Das Leben als ein Dialog – und plötzlich die Erkenntnis, dass wir da draußen doch gehört werden. Von all dem anderen um uns rum, von all dem Fremden, diesem Nicht-WIR, das uns Wort um Wort entgegentritt – und zwar mit Hintergedanken jetzt. Denn ab der vierten Erkenntnis wird diese Geschichte vom Kalkül beherrscht. Von der List, der Habgier und der Missgunst. Denn ab der vierten Erkenntnis treibt es einen Keil zwischen DICH und MICH, zwischen uns und die Welt. Jenseits der Liebe handelt diese Geschichte nun von Macht und Verachtung. Vom Regen. WIR sind WIR – doch unsere Liebe muss sich fügen. Denn diese Geschichte ist die Geschichte, wie ihr sie erzählt. Das Gesetz ist sie, ist der Staat und die Grenze, die nicht überschritten werden darf. Wenn Noah sagt, dass das Boot voll ist, dann ist seine Arche eben voll – und DU und ICH, UNS bleibt nur das Ertrinken. »Sagt der Walfisch zum Thunfisch« ist nichts anderes als ein Witz. Er geht so: »Sagt der Walfisch zum Thunfisch: Was soll’n wir tun, Fisch? Sagt der Thunfisch zum Walfisch: Du hast die Wahl, Fisch.« Und das ist eine dieser Erkenntnisse, die wild und widersprüchlich ins Kraut schießen. Je schlechter der Witz, umso beharrlicher hält er sich. Und die Verantwortung hierfür, die tragen wir. Wir alle. Wobei ich mit diesem Wir nicht nur das ineinander verstrickte DU und ICH meine, sondern ALLES, was da ist. Ich meine dich und dich und dich, und mich meine ich auch. In unserer Mitte das Fremde, das andere um uns herum, UNS ALLE meine ich. Das Theater versucht, der Liebe Ausdruck zu geben. Auf der Bühne DU und ICH. Ineinander verwirrt. Stehen WIR im Regen und fragen ins Publikum: Wie lange noch? Denn das ist die Erkenntnis, die all die anderen an Konsequenz überragt: Unsere Welt wird immer nur die Geschichte sein, die IHR euch erzählt.

Carsten Brandau arbeitet seit 2003 als Theater- und Hörspielautor. U. a. gewann er 2015 und 2016 den Mülheimer KinderStückePreis, für »Sagt der Walfisch zum Thunfisch« wurde er mit dem Brüder-Grimm-Preis 2017 ausge­ zeichnet.


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