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Cover: Rum채nien 1981; unterwegs in den Karpaten auf der Trans-Fagaras-Strasse (Foto: Ute & Hartmut Kliewer)


Editorial Wir sind da! Ein weiteres Reisemagazin zu gestalten, mag absurd klingen. Noch ein Magazin? Und wieder einmal Papier, sprich Ressourcen verschwenden?! Und trotz Allem sage ich: „Ja!“ Und das nicht ohne Stolz. Denn «da!» ist nicht nur ein weiteres Reisemagazin, es bricht vielmehr mit dem alten Schema. «da!» ist «vor Ort» und meint damit primär den Menschen, mit seinen persönlichen Erzählungen und Dokumentationen von Reisen, vom Leben. Der Ort bzw. das Ziel bleibt bestehen, als unabdingbare Komponente, die zum Schauplatz, aber nicht zum Zentrum wird. Die Frage, ob ein Ort unbedingt physisch und geographisch erreichbar sein muss, stellt sich in den Vordergrund und muss letztendlich verneint werden. Denn die Definitionen selbst führen uns zu dem Schluss, dass «reisen» weit mehr umfasst als den Jahresurlaub auf Mallorca oder die Wochenendfahrt ins Grüne. Gedankenreisen, oft als Hirngespinste abgetan, finden ebenso einen Platz wie wahrhaftig erlebte Abenteuer. «Ausgabe 01» widmet sich in diesem Sinne dem Thema «Reisefreiheit». Ständig Grenzen überschreitend, physische, psychische oder politische, ist die Reise grundsätzlich mit einem Drang nach Freiheit und Ausbruch verbunden. Die genauere Betrachtung zeigt, dass viele Faktoren zur Freiheit beitragen – sowohl gefühlt, als auch real. Deshalb beinhaltet «Ausgabe 01» auch eine große Bandbreite an Dokumenten und Dokumentationen, z.B. von Otto Thiel, Feldpostmann im zweiten Weltkrieg, der durch ein zerstörtes Europa reisen musste, dies dennoch nicht ausschliesslich als seine Pflicht betrachtete, oder Annett Hildebrand, die von einer abenteuerlichen Reise im Jahre 1986 nach Tadschikistan und der Besteigung höchster Gipfel der Sowjetunion erzählt, oder aber Lee Ming, 23-jähriger Englischlehrer an einer staatlichen Grundschule in Humen, der trotz aller Grenzen und Einschränkungen im heutigen China dennoch einen Weg findet, seine Freiheit zu erleben.

Bozen, 11.Juli.2010 Jan Kliewer

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Inhalt 4

Reisefreiheit – auf der Reise „Was ist die sogenannte “Reisefreiheit”? Gibt es eine Formel, die uns ermöglicht zu beurteilen, ob eine Reise frei ist oder nicht?“

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eine Reise in die magische Ferne „Zu fünft stehen wir auf dem Gipfel des Pik Korshenewskaja im Pamirgebirge, auf 7.105m, ohne offizielles Visum und staatlichen Begleitschutz. Das kam dem Begriff der Freiheit schon sehr nahe.“

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unterwegs im Freundesland

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Rumänien „Der Plan war lange gefasst. Nach dem Abitur sollte es in einen längeren Urlaub gehen. Eigentlich war die Mongolei als Ziel geplant. Der Finger glitt über die Landkarte und blieb am Schwarzen Meer hängen – perfekt.“

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Andenken an den Vater „Im Jahre 1920 oder 1919 ist der Vater von Wladiwostok mit einem japanischen Frachter weggefahren um dann auf dem Seeweg nach Triest zu kommen.“

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Feldpostreisen

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Aufbruch gen Westen „Im Morgengrauen des 12.5.1945 brachen wir nach Deutschland auf, um aus der russisch zu besetzenden Zone herauszukommen.“


Rumänien 1981: eine Ziege quert den Strand von Constanta (Foto: Ute & Hartmut Kliewer)

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Kostbare Blumen „Roshanak lacht über mein fest sitzendes Kopftuch: ihre dunklen Locken fallen aus dem lose sitzenden Schal mit Leopardenmuster. Zum zweiten Mal scheint mein Bild vom Iran, insbesondere das der iranischen Frauen, falsch zu sein.“

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Illimani Southface 2010 „In weniger als 10 Tagen stehen wir hoffentlich in La Paz, dieser Stadt in Bolivien, auf knapp 4000 Metern, die für uns Europäer nur eine wage Vorstellung sein mag.“

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ein Peligroso nach Caracas „Im Herbst 2005 bin ich nach Caracas geflogen, um in Venezuela zwei Monate zu verbringen. Schon die Frau neben mir im Flieger gab mir zu verstehen, dass alleine der Weg vom Flughafen in die Stadt ein großes Risiko sei.“

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Passabel

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Reisen ohne Zeit

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9 große Monate

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Schlaflos in China

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Am Beginn unserer Reise

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Impressum


Reisefreiheit– auf der Reise

Die Perlflussbrücke von Humen verbindet die Stadt mit der Provinzhauptstadt Guangzhou (Kanton). Humen zählt mit 600.000 Einwohnern als chinesische Kleinstadt. Bekannt ist sie durch Lin Zexu, einem chinesischen Offizier, der hier den ersten Opiumkrieg (1839-1842) einleitete.

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Text: Lee Ming

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ch frage mich, warum so viel Wert auf das Ziel gelegt wird. Ist es nicht viel wichtiger den Weg zu betrachten? Mir fällt eine Fernsehwerbung ein, die ich vor einer Weile gesehen habe. Ein Mann fotografierte etwas aus einem Zug, der im Westen Chinas in Richtung des Tarimbeckens unterwegs war. Eine tiefe Stimme erklärte dazu: “Reisen: Es kümmert uns nicht wohin wir fahren, es sind vielmehr die Meiner Meinung nach ist die Reisefreiheit verbunden mit Sehenswürdigkeiten und die begleitende Stimmung, die uns der eigenen Anstrengung. Wir reden von persönlichen Erfahrungen, mit jeder Erfahrung geht ein Bemühen bzw. interessiert.“ Ein Freund von mir fasste es einmal so zusammen: “Reise- eine Aufopferung einher. Ein einfaches Beispiel ist die Wahl freiheit wird eher beiläufig und ungezwungen erfahren. Man zwischen Bus und Fahrrad, mit letzterem kann man einen verreist und lernt neue Lebens- und Denkweisen kennen, die fremden Ort meist intensiver erleben. Man nimmt sich sich von den eigenen Schemen unterscheiden. Solange man bewusst die Zeit, um die Umgebung wahrzunehmen, kann nicht aufgebrochen ist, besteht der spannendste Teil des anhalten und den Moment genießen. Reisens darin, nicht zu wissen, ob man Geschichtenerzähler Man sollte sich seiner Möglichkeiten und somit seiner Freioder Zuhörer sein wird. Man kann sich vorstellen, was man heit also stets bewusst sein. Heutzutage wenden sich viele sehen wird, aber man kann niemals wissen, wen man treffen Menschen an Reisebüros, die ihnen weiterhelfen sollen. Sie wird. Mit anderen Worten, eine ungezwungene und freie werden Teil einer Reisegruppe mit Reiseführer. Wenn sie Reise steckt voller Möglichkeiten und schafft gedankliche ihr Ziel erreichen, folgen sie dem Führer auf Schritt und Tritt. Sie lauschen seinen Erklärungen wie Schulkinder, die Freiräume.“ Also was ist die sogenannte “Reisefreiheit”? Gibt es eine dem Unterricht ohne irgendwelche Zweifel folgen. Kann Formel, die uns ermöglicht zu beurteilen, ob eine Reise frei man damit wirklich die Fremde erfassen? Kann man so ist oder nicht? Die Antwort lautet natürlich: „Auf keinen Bräuche verstehen oder gar Freundschaften schließen? Fall.“ Jeder Mensch erfährt das Unterwegs auf seine Weise. Wie kann man so die Natur spüren, sie aufsaugen und mit Man kann jedoch bestimmte Kriterien erkennen, die den unserer modernen Welt vereinen? Erfahrung ist natürlich die grundlegende Basis, durch Denkprozesse können wir Begriff begleiten. Es sollte keine Rolle spielen, ob man ein Ziel oder einen sie jedoch erst verarbeiten. Eine meiner größten Freuden Zeitplan hat. Für mich persönlich war es nie notwendig. Ich ist es während ich unterwegs bin, meiner Vorstellungskraft stehe meist spät auf, schaue aus dem Fenster, um zu sehen freien Lauf zu lassen. wie das Wetter ist und entscheide mich dann wohin ich Auf Reisen ist man nicht in seinem gewohnten Umfeld, fahren möchte. Die Entscheidung ein Ziel zu erreichen also sollte man versuchen Kontakt zu finden. Es können oder schlicht zu verweilen ist oft schwieriger. Egal was man Freundschaften auf Reisen entstehen. Alle Menschen sind verschieden. Hört man sich ihre Geschichten an, kann wählt, es sollte stets der Freiheit des Herzens entsprechen. Reisefreiheit hat wenig mit Geld zu tun. Diesbezüglich man viel über ihre Freude und ihren Schmerz erfahren. sind die Mittel grundverschieden. Man kann zwischen Reisen ist das Streben nach Freiheit. Man entflieht seiner einer kleinen Wohlstandsschicht und einer Mehrheit mit kleinen und manchmal bedrückenden Welt und versucht eher knappem Budget unterscheiden. Beide haben ihre sich für eine Weile zu entspannen. Halten wir uns zu Rechte und Berechtigung. Esse ich in einem Restaurant lange am gleichen Ort auf, besteht die Gefahr geistiger oder an einem Stand an der Straße? Schlafe ich in einem und körperlicher Trägheit, deshalb suchen wir uns einen guten Hotel oder teile ich mir mein Zimmer mit Fremden anderen Ort, der unseren Gedanken und unserem Geist in einer günstigen Herberge? Es ist ein Spiel der Möglich- zur Freiheit verhelfen kann, um über uns selbst und unsere keiten, dem wir unterworfen sind. Ich würde mich für Lebensumstände zu reflektieren. beides entscheiden, je nach Zeit und Geld.

Lee Ming ist 23 Jahre alt und lebt in Humen, in der Provinz Guangdong in Südchina. Nach seinem Studium hat er eine Stelle als Englischlehrer an einer staatlichen Grundschule gefunden. Er hat weder sein Land verlassen noch jemals einen Pass beantragt.

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eine Reise in die magische Ferne

Tadschikistan Sommer 1986 Text & Bilder: Annett Hildebrand

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u fünft stehen wir auf dem Gipfel des Pik Korshenewskaja im Pamirgebirge, auf 7.105m. Die Anstrengungen waren zu groß, als das uns Glücksgefühle überschwemmen. Außerdem wissen wir, erst wenn wir wieder unten am Fuße des Berges angekommen sind, haben wir den Gipfel geschafft. Das Hochgefühl stellt sich später ein – der Jubel im Körper, den Wolken so nahe gewesen zu sein und auf eine grandiose Bergwelt unter sich geblickt zu haben. Und das alles aus eigener Kraft, Durchhaltevermögen und Phantasie, ohne offizielles Visum und staatlichen Begleitschutz. Das kam dem Begriff der Freiheit schon sehr nahe.

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„Die Rucksäcke konnten locker bis 45kg beladen werden.“ Die Vorbereitung Für diese Reise brauchte es besondere Vorbereitung. Russland konnte nur mit einer Einladung von dort lebenden Personen oder Vereinen und mit einer minutiös geplanten und genehmigten Reise besucht werden. Es wäre eine lange Schwere Lederbergschuhe mit Innenschuh ließen wir uns und nervenaufreibende Prozedur für uns geworden. Ein in Tschechien nach Maß anfertigen – Wartezeit: 1 Jahr. Abweichen von der angegebenen Route war auch nicht „Teleskop-Stöcke“ fertigten wir uns, indem wir Bambusmöglich. Während der Reise wurde man ständig überwacht. Skistöcke teilten und bei Gebrauch zusammenfügten. Sie Und in den Kaukasus und den Himalaja durfte ohnehin nur dienten gleichzeitig als Zeltstangen. Schweißerbrillen die offizielle Alpinistengruppe der DDR mit gestandenen benutzten wir als Gletscherbrillen. Um Seile, Karabiner Bergsteigern. Also suchten wir uns einen Schleichweg in und Kocher kaufen zu können, fuhren wir nach Berlin Richtung Osten: Wir beantragten ein Transitvisum über und stellten uns in langen Schlangen am einzigen SportgeRussland nach Rumänien, welches uns einen drei-tägigen schäft an. Einfache Zelte erstanden wir in Prag. Steigeisen Aufenthalt in Russland erlaubte. Zwar erfolgte die Vergabe und Pickel waren nur durch private Kontakte nach Westdieser Visa nach Willkür der Behörden, aber es sprach sich deutschland zu bekommen. Die Bekleidung war schlicht, herum, welche Meldestelle diese ausstellte. Einige von uns einfach und meist aus Baumwolle, kein Gore-Tex und meldeten ihren Wohnsitz um, damit sie das begehrte Tran- keine Funktionswäsche. sitvisum bekommen konnten. Das war die erste Hürde, die Selbst das Essen sammelten wir wochenlang zusammen: es zu bewältigen galt. Die nächste Hürde betraf das nahezu unmögliche Unter- Beim Bäcker ließen wir Brot doppelt backen, also Zwieback nehmen, die notwendige Ausrüstung zusammenzutragen: herstellen, aber auch Trockenfleisch. Besonders lecker war Rucksäcke, Schlafsäcke und Daunenjacken konstruierten der erst gebackene und dann getrocknete Streuselkuchen. und fertigten wir selbst. Das Rucksackgestell bestand aus Käse wurde während der langen Zugfahrt durch die heiße zusammengefügten Alustangen, der Stoff war robustes Steppe am Fenster gedörrt. Ansonsten gab es Haferflocken Nylon, für Versteifungen nahmen wir harte Isomatten, für am Morgen, Kartoffel- und Erbspüree am Abend. Wochendie Festigkeit Autogurtbänder, und genäht wurde beim lang ernährten wir uns gleich. Schuster auf der Schusternähmaschine. Die Rucksäcke konnten locker bis 45 kg beladen werden. Daunenjacken Unsere Körper trainierten wir nicht extra. In der Freizeit besaßen Steg-Kammersysteme und wärmte dadurch bis -30 waren wir viel mit dem Fahrrad unterwegs, kletterten, Grad Celsius. Es war eine Odyssee, für alles die Materialien machten Langstreckenläufe mit. Das sollte reichen. zu beschaffen.

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Die Fahrt Die größte Hürde war die Fahrt gen Osten. An der polnischrussischen Grenze waren wir der Willkür der Grenzer ausgesetzt: Trotz Transitvisum überlegten die Grenzer lange, ob sie uns nicht lieber zurückschicken sollten, die nächsten Reisen gelangen dann nur noch über Tschechien. In Moskau angekommen erkämpften wir uns Zugkarten die Transsibirische Eisenbahn in Richtung Taschkent in Kirgisien. Das war unsere erste von vielen weiteren illegalen Handlungen. Denn für diese Reise hatten wir keine Genehmigung. Wir versuchten uns unauffällig zu benehmen und schliefen bei Freunden von Freunden, auch das illegal. Sobald wir im Zug saßen, konnten wir drei Tage entspannen. Es wurden nur die Fahrkarten aber keine Visa kontrolliert. In Taschkent mussten wir wieder „abtauchen“, Zugkarten nach Dushanbe in Tadshikistan erstehen, und eine schweißtriefende Nacht im Zug verbringen.

In der Stadt schliefen wir die folgende Nacht im Park neben dem Flughafen. Hier warteten viele Menschen auf ihre Flüge und wir fielen nicht weiter auf. Weiter ging es mit dem Bus, später per Anhalter mit Pferdewagen, Traktoren, Tankwagen. Autos gab es kaum. Wir fuhren so weit wie nur möglich in die Berge hinein. Wir waren bereits über 5000 km Luftlinie von der Heimat entfernt und wir fühlten uns nun relativ sicher. Hier dachte jeder: Wer so weit gereist ist, hat die dafür erforderlichen Papiere. Sicherheitshalber hatten wir uns selbst eine Marschroute geschrieben und mit vielen Stempel versehen. Das machte bei den Dorfpolizisten großen Eindruck, vor allem die vielen Stempel. Zum Glück wurden nie die Details geprüft.

„Bei Begegnungen mit Jurtenbewohnern im Muksu-Tal wurden wir immer zum Tee, zum Essen und meist auch zum Schlafen eingeladen.“

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„Um mehr Halt in den reißenden Flüssen zu haben, gingen wir zu zweit durch die tosenden, oft hüfthohen Ungetüme.“

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Die Berge Unser Schulrussisch half uns bei der Verständigung. Auch die Für das Zelt mussten wir uns jeden Abend einen halbwegs Tadschiken hatten in der Schule Russisch und so konnten wir glatten Untergrund aus flachen Steinen bauen. Keine Isomatte den Dorfbewohnern und später den Hirten, die im Sommer versüßte unseren Schlaf. Sie hätte im Rucksack zu viel Platz hoch in die Berge zogen, aus dem fernen Land erzählen aus weggenommen. Also dienten lediglich Alufolien zur Isolation. dem wir kamen. Sie verehrten oft noch Hitler und Stalin, Vor allem später, als das Zelt auf Schnee und Eis stand, wurde weil diese die Wirtschaft angekurbelt hatten. Breschnew war es von unten erbärmlich kalt. Von oben heizte der Schlafsack. hingegen unbeliebt, er war für das erlassene Alkoholkonsum- Vom letzten Dorf, Muk, waren es sechs Tagesetappen bis zum Fortambek-Gletscher, dann noch weitere zwei bis zum Verbot verantwortlich. Trafen wir auf Jurtenbewohner, wurden wir immer zum Tee, Basislager von Pik Korshenewkaja auf 3.850m. Zwischenzum Essen und meist auch zum Schlafen eingeladen. Es gab durch hielten uns immer wieder kleinere Gletscherflüsse auf, köstliche Lammeintöpfe, Fladenbrot, Schafjoghurt und liter- die wir durchwaten mussten. Eine nicht ungefährliche Angeweise grünen Tee mit russischem Konfekt. Das war für uns legenheit: Wir hörten, wie riesige Steinen von der starken eine willkommene Auszeit von der kargen Bergkost. Auf die Strömung bewegt wurden. Um mehr Halt in den reißenden Hirten müssen wir wie Außerirdische gewirkt haben: Riesige Flüssen zu haben, gingen wir zu zweit durch die tosenden, Rucksäcke waren mit ihren Trägern unterwegs in die Berge, oft hüfthohen Ungetüme. Für das Queren des 1 km breiten Fortambek-Gletschers benötigten wir einen ganzen Tag. Es aber warum nur? Das Pamirgebirge ist steinig, karg und trocken. Nur in den war eine aufreibende Wegsuche im Labyrinth. Immer wieder Tälern entlang der Gletscherflüsse wachsen Aprikosenbäume, versperrten uns Gletscherseen, Spalten und hohe Eiswände den Walnussbäume, Getreide, Kartoffeln und Gemüse. Das Muksu- Weiterweg. Die Begegnung mit unserem ersten Gletscher löste Tal führt in das Innere der Gebirgskette. Den Weg mußten wir trotz der Anstrengung Euphorie in uns aus: Vom Gletscherrand uns selbst suchen, manchmal wiesen Steinmännchen den Weg. aus blickten wir auf eine riesige Stein-Eis-Wüste – 20 km lang Da es keine Brücken über den reißenden Muksu-Gletscher- erstreckte sich der Gletscher bis zum Fuß des Firn-Plateaus fluss gibt, schleppten wir unsere schweren Rucksäcke über vom Pik Kommunismus, mit 7.495 m der höchste im Pamirdrei 3.000er Pässe. Die Frauen trugen 30kg, die Männer 40kg. gebirge (früher Pik Stalin, heute Pik Ismail Samani). Vor uns lag Vor allem die steilen und rutschigen Schotterpassagen und eine gigantische, stille Weite. riesigen Gesteinsbrockenfelder erforderten viel Kraft und Konzentration. „Das Höhenlager war auf 6.800m mit Blick hinüber zum Pik Kommunismus.“

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„Eine handgezeichnete Karte diente uns als Orientierung für die Aufstiegsroute zum Pik Korshenewskaja.“

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oben: „Für das Queren des 1 km breiten FortambekGletschers benötigten wir einen ganzen Tag.“ unten: „In Samarkant verbrachten wir die Nächte im Freien, zwischen Grashügeln auf dem muslimischen Friedhof.“ die wenigen Minusgrade in der Nacht als warm. Die Erholung Wir hatten wenig Lust und noch weniger Kraft, um zu Fuß die Strapazen der Rücktour aus dem Gebirge auf uns zu nehmen. Im Basislager vom Pik Pik Korshenewskaja Kommunismus verhandelten wir mit den Alpinisten. Ein Hubschrauber sollte kommen und wir wollten gerne mitfliegen. Plötzlich ging alles sehr Zur Akklimatisation liefen wir zum Basislager von Pik schnell: Der Hubschrauber kam, es durften nur zwei zusätzliche Personen Kommunismus. Dort trafen wir nach mehreren Tagen einsteigen. Wir beiden Frauen wurden hineingeschoben. Unsere Männer wieder Menschen: eine russische Alpinistengruppe. Wir ließen wir ohne Pässe und ohne Geld mit nur zwei zugerufenen Worten waren ihnen etwas unheimlich. Denn im Notfall werden zurück: Flughafen Dushanbe. Der Hubschrauber erhob sich und wir mindestens sechzehn Personen benötigt, um eine Bergret- starrten, auf den Seitenbänken sitzend, fasziniert aus dem Fenster. Der tung organisieren zu können. Und wir waren nur zu viert. Flug über die schneebedeckten Berge, der Blick auf die Gletscherwelt Wer hatte diese Bergtour erlaubt? Für den Gipfelaufstieg unter uns hat sich tief ins Bewusstsein eingegraben. nahmen wir nur das Notwendigste mit. Zu dritt würden Wir trafen uns nach einigen Tagen wirklich auf dem Park beim Flughafen wir fünf Tage unterwegs sein. Die erste Nacht verbrachten von Dushanbe wieder. Zur Erholung fuhren wir per Anhalter ins Fanwir geschützt vor Eis- und Schneelawinen auf einem Sattel, gebirge. Herrlich grüne Wiesen, türkisblaue Seen und Wärme umspülten die zweite in einer Felshöhle auf 5.800m Höhe. In der unsere Körper und Seelen. Das Endeziel unsere Reise hieß Samarkant in dritten und vierten Nacht blieben wir auf einem 4 Meter Usbekistan. Wir tauchten ein in „Tausend und eine Nacht“: Moscheen, breiten Sattel auf 6.400m mit atemberaubenden Blick uns fremde Muezzingesänge, Männer und Frauen in ihren traditionellen hinüber zum Pik Kommunismus und dem davor liegenden, Trachten und Märkte mit exotischen Früchten. Am Beeindruckendsten 9 km langen Firn-Plateau.Am vierten Tag stiegen wir zum waren für uns die Teestuben, eine Art muslimische Kneipe. Hier saßen die Gipfel vom Pik Korshenewskaja auf, unterwegs trafen alten Männer mit langen, weißen Bärten auf erhöhten Bettgestellen und wir noch zwei Einzelgänger – Russen. Zwei Steilstellen schlürften den ganzen Tag im Schatten der Bäume grünen Tee. Wir labten überwanden wir mit Seilen, während das Wetter immer uns am Nationalgericht „Plow“ aus Reis, Hammel, Möhren, und Zwiebeln schlechter wurde. Die Kälte hatte den Fotoapparat funkti- und bekamen natürlich sofort Durchfall. Nach wochenlangem Fettentzug onsuntüchtig gemacht, es gab kein Gipfelfoto. Der Abstieg streickte das Verdauungssystem. Die Furcht, entdeckt zu werden, hatten zu den Zelten ging sehr schnell. Die vierte Nacht erlebten wir fast abgelegt. Die Nächte verbrachten wir trotzdem unregistriert im wir in wirren Träumen, wir hatten zu wenig getrunken, wir Freien, zwischen den Grashügeln auf dem in Richtung Steppe offenen hatten nicht mehr viel Kraft, uns war viel zu kalt - unter muslimischen Friedhof. minus 25 Grad Celsius. Wir hatten alle Kleider angelassen und waren damit in die Schlafsäcke gekrochen. Nur einer der Russen brachte noch die Energie auf, mühevoll Schnee Die Rückreise zu schmelzen, um Tee kochen zu können. Wir hatten nicht einmal mehr die Energie zum Trinken. Gegessen wurde Zurück ging es wenig spektakulär und schnell. Mit dem Flugzeug von auch nicht, es rutschte nichts die trockene Kehle hinunter. Samarkant nach Moskau, weiter mit dem Zug nach Berlin. Nur an der Am nächsten Morgen brauchten wir eine Stunde, um die Grenze zwischen Russland und Polen wurde es aufregend. Die Grenzer hart gefrorenen Lederschuhe im engen Zelt anzuziehen. sahen ungläubig auf unsere Papiere und suchten ein nie dagewesenes Visum. Der strahlende Tag gab uns zum Glück die Kraft zurück Der Einreisestempel auf dem Transitvisum lag acht Wochen zurück. Wir und wir stiegen übermütig ab. Unten erwartete uns die hatten Glück und wurden nur mit bösen Blicken und schneidigen Worten Zurückgebliebene. Wir tranken, schliefen und empfanden verabschiedet.

Auch heute noch, 24 Jahre später, bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich an die damaligen Erlebnisse denke. Wir waren jung und unerfahren und hatten viel Glück beim illegalen Erobern einer uns so fernen und fremden Welt.

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Nový Most (Neue Brücke) über die Donau in Bratislava (1981)

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Fotos: Ute & Hartmut Kliewer

unterwegs im Freundesland


Ungarn 1981: In der Nähe von KecskemÊt, ungefähr 90km von Budapest entfernt, haben wir neben einem Polen gezeltet, der mit dem Motorrad-Gespann in den Westen wollte.

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Ungarn 1981: Blick in die Vรกci utca (Waiznergasse), der Flaniermeile von Budapest

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Rum채nien 1981: kurzer Stopp an der Donauf채hre von Calafat nach Vidin

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Nordbulgarien 1981: Spät Abends sind wir an einem Bauernhof in der Nähe der Donaufähre von Vidin nach Calafat angekommen und haben gefragt, ob wir auf der Wiese zelten können. Morgens kam die Bäuerin mit einer Obstschale und schüttete es auf den Beiwagen. Es war Utes Geburtstag.

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Rum채nien 1983: Auf dem Weg ins Fagaras-Gebirge (S체dkartpaten)

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Rum채nien 1983: Wildcampen im Fagaras-Gebirge (S체dkarpaten), s체dlich der Stadt Brasov

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Die unendliche Weite und unberührte Natur haben wir in vielen Teilen Rumäniens sehr genossen.“

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Text & Fotos: Benedikt Winkel

Rumänien Abreise – die erste Stunde Fahrt, Gewöhnung an das neue Fahrzeuggewicht und die Abmessungen. Nach einer Stunde umgibt uns ein seltsamer Geruch. Doch bis der Verdacht aufkommt, selbst Verursacher des beißenden Gestanks zu sein, vergehen noch einige Kilometer. Über den Helmfunk werden die Klagen immer lauter, vorne kommt mehr Frischer erste Stau in Rumänien, bei der Ausreise nach luft an. Ein erster Stopp bringt Klarheit. Durch die Fahrt und Ungarn. Fahrzeugkontrolle, jedes Fahrzeug wird von das Gewicht der darauf befestigten Gepäckrollen sind die den Beamten ausgeräumt. Die Großfamilie im Kleinbus Satteltaschen, die bis dahin nur auf kurzen Strecken getestet vor uns stapelt bergeweise Gepäck neben dem Auto. Alle wurden, verrutscht. Um die Taschen gegen die Auspuffhitze Koffer werden geöffnet und überprüft. Vor meinem geis- zu schützen, hatten wir Dämmwolle und Bleche an den tigen Auge sehe ich uns das Motorrad abladen. Die beiden Innenseiten befestigt. Die Wolle wurde zusammengepresst, großen Gepäckrollen, den Rollrucksack, der quer auf dem die Bleche haben sich durch die Hitze verbogen und beinahe Träger liegt, die beiden Satteltaschen, wovon eine bereits den Reifen aufgeschlitzt. Die Taschen liegen auf dem heißen nicht mehr zu lösen ist, und der Tankrucksack. Von außen Auspuff – es stinkt und qualmt – Ernüchterung. Nach gerade betrachtet muss es wie ein Gepäckgebirge wirken mit zwei einer Stunde Fahrt haben wir fast den Reifen zerstört, drei Menschen mittendrin. Im Tankrucksack zwei Reserve- Wochen liegen noch vor uns, in zwei Tagen müssen wir in kanister mit Benzin, einer mit Öl und ein weiterer mit Österreich bei Bekannten sein. Spiritus für den Kocher. In Rumänien ist die Mitnahme von einem Reservekanister erlaubt. Wir sprechen kein Schadensanalyse: Für zwei paar Socken kommt jegliche Rumänisch und sehr wenige Rumänen Deutsch oder Hilfe zu spät. Sie waren ungetragen und nun auch nicht mehr tragbar. Zum Glück haben sie nur geschmort und kein Feuer Englisch – es kann lustig werden. gefangen, das gesamte Motorrad hätte in Flamen stehen Der Plan war lange gefasst. Nach dem Abitur sollte es in können. Auf der Innenseite der Tasche ein gebranntes Loch. einen längeren Urlaub gehen. Eigentlich war die Mongolei Nachdem wir uns beruhigt haben, brauchen wir eine Stunde, als Ziel geplant. Doch der Verstand gab immer wieder bis wir mit dem Packergebnis zufrieden sind. Die Bleche Einwände, ob man die erste Motorradfernreise vielleicht landen im Mülleimer, die Wolle ist fester verteilt und die doch etwas kleiner aufziehen sollte. Der Finger glitt über Taschen anders befestigt. Es kann weitergehen. Doch das die Landkarte und blieb am Schwarzen Meer hängen – schlechte Gefühl bleibt. Bei jedem seltsamen Geruch, der perfekt. Strandurlaub, wie meine Freundin es sich wünschte. sich durch die Belüftungsritzen im Helm schleicht, werden Wochen vor Beginn der Reise besorgten wir Ersatzteile, wir misstrauisch. Doch alles hält. Von der Anspannung völlig erschöpft, kommen wir auf unserem ersten Campingbereiteten das Motorrad vor und planten die Route. platz an. Wir haben deutlich weniger Kilometer zurückgelegt als geplant, ein Phänomen, das uns im Verlauf des Urlaubs begleiten wird.

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„Von außen betrachtet muss es wie ein Gepäckgebirge wirken, mit zwei Menschen mittendrin.“

Der erste Tag endet angemessen mit der Erkenntnis, dass eine der beiden neuen Luftmatratzen ein Loch hat. Viele kleine Kieselsteine, die sich genüsslich durch das nur In Salzburg offenbart sich, dass Österreich bitterarm wenige Millimeter dicke Polyethylen drücken, erleichtern sein muss: Für eine ausreichende Straßenbeschilderung das Aufstehen am kommenden Morgen ungemein. Um scheinen die Mittel nicht zu reichen. Mit solchen Verhältdie verlorenen Kilometer des Vortages wieder aufzuholen, nissen hatten wir erst weiter östlich gerechnet. Nur mit nutzen wir auch die Autobahn. Pausen gönnen wir uns Hilfe eines Tankwarts finden wir die richtige Ausfallstraße. keine. Zum Glück ist der Tank sehr klein, wir ziehen diese Nach diesem Tag legen wir eine Ruhepause ein. TagesStopps in die Länge. Unsere Körper müssen sich erst an highlight setzen unsere Nachbarn. Ihr Hightech-Zelt steht das lange Sitzen gewöhnen. Damit gerät sogar der Weg zur nach einer Stunde erst unter Zuhilfenahme der Anleitung, Kasse der Tankstelle zur Wohltat, wenn man sich dabei einen Fernseher vermissen wir nicht. Wir verzichten auf Hilfeleistung, da dieses Erlebnis die Vater-Tochterstrecken und bewegen kann. Ein kurviger Hochgenuss wird die Silvretta-Hochalpen- Beziehung mit Sicherheit stärken wird. Nächstes Ziel straße, der nur von einem Stopp getrübt wird, um weitere ist Wien. Die Strecke hält keine Überraschungen für uns Socken vor einem Unglück zu bewahren. Niedrige Benzin- bereit, bis etwa 20 Kilometer vor der österreichischen preise machen Lust auf Umwege und führen uns in die Hauptstadt. Wir haben auf eine Vignette verzichtet und Zugspitzregion und weiter zum Schliersee. Am Abend ist versuchen uns an kleinen Sträßchen. Diese sind in unserer schnelles Einschlafen gefragt, um bereits zu träumen, wenn groben, weil kostenlosen Karte nicht verzeichnet. Die die Luft aus allen Kammern der Schlafunterlage entwichen guten, kostenpflichtigen haben wir für andere Länder ist. Untergelegte Handtücher sichern ein Mindestmaß an gekauft. Jedoch führen alle Hinweisschilder mit der Aufschrift „Wien“ auf eine Schnellstraße mit VignettenKomfort und Wärmedämmung. Am nächsten Morgen lassen die Bilder vor unseren Augen pflicht. Alle anderen, auf den Schildern vermerkten, Orte an halluzinogene Stoffe im Frühstück glauben. Auf einer sind zu klein für unsere Karte. Nach einer Stunde geben großen Weide steht eine Kuhherde, die das saftig-grüne wir auf und suchen eine Tankstelle. Dem einheimischen Gras ignoriert und sich stattdessen einer anderen Deli- Tankwart fällt auch keine Alternative zur Schnellstraße ein, katesse widmet, den politischen Größen Österreichs. Die oder er gibt sie nicht preis. Wir erstehen eine Vignette für Wahlkampfplakate mit den großen Konterfeis der Partei- 4,40 Euro. Hätten wir den Preis vorher gewusst, hätten wir spitzen werden von den Kühen angeknabbert. Ein seltenes nicht so lange gesucht. Ende für einen Politiker.

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„Sightseeing in der österreichischen Hauptstadt: Regierungsbezirk.“

Nachdem wir die passende Straße gefunden haben, müssen das Land. Wie sich herausstellt, liegen Platz und Markt wir nur noch eine Unterkunft finden. Die erste Jungend- lediglich zwei Kilometer auseinander. Mittlerweile ist es herberge, die wir eigenständig finden, ist ausgebucht. dunkel geworden, wir kochen und essen im ScheinwerferVöllig entnervt vom Stadtverkehr suchen wir weiter. Nach licht des Motorrads. unzähligen Runden auf den Straßenkreisen rund um Wien Am nächsten Morgen kommen wir nicht aus dem Bett. halten wir neben einem Lieferwagen. Der Fahrer sieht sich Es regnet und somit ist die Motivation am Boden. Als die sehr interessiert unsere Gepäcklösung an. Unsere Blicke Wolkendecke endlich aufreißt, brechen wir unser Zelt ab. begegnen sich – Lächeln. Er fragt, wo wir hinwollen, ich Anschließend Frühsport, denn unsere Dinner-Beleuchtung nenne ihm den Straßennahmen. Im gleichen Moment vom Vorabend hat die Batterie leer gesaugt. Zum Glück schaltet die Ampel auf Grün. Er fährt los. Sein aus dem kommt mir dieser Gedanke, bevor wir das Motorrad Fenster gehaltener Arm gibt zu verstehen, dass wir ihm beladen. Nach einigen Runden zum Anschieben läuft der folgen sollen. Er bringt uns an die richtige Straßenecke Motor, der Regen setzt wieder ein. In voller Regenmontur und hupt zum Abschied. Es folgt Sightseeing: Regierungs- geht es zur Grenze. In Ungarn haben wir nur sehr wenige bezirk, Museumsviertel, Stephansdom und zum Abschluss Motorräder gesehen, in Rumänien sollen es noch weniger werden. Dementsprechend verwundert schaut der Grenzder Garten von Schloss Schönbrunn. Wir verlassen Österreich in Richtung Bratislava. Die Stadt beamte, als wir vor ihm halten. Die Pässe befinden sich macht einen heruntergekommenen Eindruck. Auch die natürlich unter allen Kleidungsschichten. Nach einigen Beschilderung bleibt abenteuerlich und so landen wir Fragen nach Ziel und Zweck unserer Reise dürfen wir entgegen unseres eigentlichen Plans bereits in Ungarn. passieren. Die Straßen werden ab dem Grenzübergang Wir passieren Budapest, die bis dahin mit Abstand am zunehmend schlechter, beziehungsweise die Zahl der besten beschilderte Großstadt, und fahren weiter in Rich- Schlaglöcher nimmt rapide zu. Aber auch wegen dieser tung rumänische Grenze. Doch wir wissen nicht, was uns Straßen und den noch folgenden Schotterpisten habe ich in Rumänien erwartet, und übernachten lieber in Ungarn, dieses Land als Ziel ausgesucht. Straßen wie man sie in wenige Kilometer vor der Staatsgrenze in der Stadt Gyula. Deutschland nicht mehr findet. Diese scheint nur aus Einbahnstraßen zu bestehen. Auf der Suche nach einem Supermarkt verlasse ich einige Male fast

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„Pferdegespanne sind auf vielen Straßen verboten, trotzdem sind sie allgegenwärtig“ In Arad nehmen wir ein Mittagessen zu uns. Vor dem Restaurant werden wir Zeugen, wie ein Wiener rückwärts durch eine Einbahnstraße fährt. Dabei übersieht er zwei Frauen, die gerade einen Zebrastreifen überqueren. Eine verfehlt er, die zweite Frau wird von dem Aufprall weggeschleudert. Aufruhr auf der recht vollen Straße. Die Frau ist zum Glück augenscheinlich unverletzt und wirkt lediglich geschockt. Der Fahrer springt aus dem Wagen und beginnt sich im breitesten Dialekt zu entschuldigen. Rufe aus der herbeigeeilten Menge klingen wenig freundlich und werden zunehmend aggressiver. Der Fahrer ergreift die Flucht. Etwas überrumpelt von den Ereignissen stehen wir daneben und machen uns auch auf den Weg. Nur wenige Meter weiter werden wir Zeugen eines weiteren Unfalls. Diesmal zwischen einem Auto und einem Motorroller. Der Fahrer des Zweirades trägt keinerlei Schutzkleidung und blutet an Körper und Kopf. Die ersten Eindrücke sind nicht besonders positiv. Der Campingplatz, den wir anfahren wollen, erweist sich ebenso als Reinfall – eine Wiese, auf der mehrere Baumaschinen abgestellt sind, mitten im Nirgendwo. Wir fahren weiter und finden schließlich einen schöneren Platz. Wildcamping ist in Rumänien erlaubt. Allerdings warnen alle Reiseführer davor, es soll noch Bären und Wölfe geben. Bei unserer Ankunft sind wir die einzigen Gäste. Als wir

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gerade Nudeln und Tee kochen, fährt eine ganze Kolonne von Transportern auf den Platz. Die Türen fliegen auf, Menschen springen heraus und fangen an Fußball zu spielen. Dazu Kommentare in sächsischem Dialekt – mitten in Rumänien. Es sind Mitglieder einer kirchlichen Hilfsorganisation aus dem Erzgebirge. Sie bringen knapp sieben Tonnen Hilfsgüter zu Kinderheimen in besonders arme Regionen des Landes. Sie staunen über unser Gepäck und können erst am nächsten Morgen glauben, dass wir alles auf dem Motorrad bewegen können. Der nächste Tag wird die reinste Lehrstunde über den rumänischen Straßenverkehr. Wenn man die Hauptstraße in einem Ort verlässt, ändert sich in den meisten Fällen der Straßenbelag. Es wird kein Asphalt mehr verwendet, sondern die Materialien, die gerade verfügbar waren. So wechseln sich Lehm, Sand und Schotter ab. Innerorts werden wir ständig überholt, selbst riesige Lkws drängeln im Spiegel. Zehn Kilometer später trotten wir lammfromm in der Kolonne und beinahe schon grüßend an der Polizeikontrolle vorbei. Später erfahren wir, dass in Rumänien Geräte erlaubt und weit verbreitet sind, die Radarfallen aufspüren und anzeigen. Wird nichts angezeigt, gelten fast keine Geschwindigkeitsgrenzen mehr. Doch auch wir werden durch wahre Lichthupenkonzerte vor allen Polizeikontrollen gewarnt.


„In Constanta ist unser Zeltplatz direkt am Meer.“

Die Lücke, die als Sicherheitsabstand dienen sollte, wird als In den nächsten Tagen beschränken sich die Aktivitäten Aufforderung zum Überhohlen verstanden, Warnschilder auf Schwimmen und Sonnen, unterbrochen von Einkaufen wirken wie eine Dekoration und Markierungen auf den und Kochen. Außerdem gibt es täglich einige SporteinStraßen sind eher Richtlinien, nicht selten gibt es doppelt heiten. Jedes Mal, wenn jemand den Platz mit seinem Auto so viele Spuren wie aufgezeichnet. Ebenso sind Pferde auf verlassen möchte, werden die Nachbarn durch Motorengevielen Straßen verboten, trotzdem sind sie allgegenwärtig heul zusammengerufen. Mit vereinten Kräften wird durch die besonders weichen Abschnitte geschoben. Das alles und scheinen ein Recht auf Vorfahrt zu besitzen. Von Bukarest nehmen wir die Autobahn nach Constanta. funktioniert trotz Sprachprobleme einwandfrei und stärkt In Rumänien gibt es nur eine Autobahn, diese ist für Autos den Zusammenhalt, alle helfen sich selbstverständlich. mautpflichtig und dementsprechend wenig befahren. Für Am Platz treffen wir auch einen rumänischen GeschäftsMotorräder ist die Benutzung kostenlos und so rollen wir mann, der fließend Englisch spricht. Er möchte in einigen voller Vorfreude Richtung Meer. Am späten Nachmittag Wochen in Dänemark Urlaub machen und fragt mehrmals erreichen wir Constanta und finden einen Camping- nach, ob man in Deutschland wirklich so schnell fahren darf, platz direkt am Strand. Unser Zelt können wir circa 40 wie man möchte. Wir erklären ihm die Rechtslage und sein Meter vom Wasser entfernt aufbauen. Im weichen Sand Grinsen wird immer breiter. Er wollte schon immer testen, findet der Seitenständer keinen Halt, fester Untergrund wie schnell sein Firmenwagen läuft. In seinem Land riskiert ist nicht in Sicht. Zum Glück erinnere ich mich an die er dabei den Führerschein. Allerdings regt er sich fürchterGeschichten einer Motorradreise meines Vaters nach lich darüber auf, dass Ungarn keine Radarwarner in Autos Marokko. Vorderradbremse ziehen, ersten Gang einlegen akzeptiert und hohe Strafen drohen. Wir teilen ihm mit, und ordentlich Gas geben. Das Motorrad gräbt sich in den dass die Gesetzeslage in Deutschland und Dänemark die Sand ein und bleibt stehen – perfekt. Einziger Nachteil des gleiche ist. Seine Freude wird etwas gedämpft, trotzdem hat Platzes sind zwei Diskotheken in direkter Nachbarschaft er immer noch ein Glänzen in den Augen. mit sehr feierwütigen Rumänen.

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Die gesamte Küstenregion unterscheidet sich stark vom Rest des Landes. Der Tourismus ist hier stärker ausgeprägt, die Preise liegen höher. Es gibt keine Pferdefuhrwerke und traditionellen Häuser mehr, stattdessen Hoteltürme und riesige Supermärkte. Uns fällt auf, dass es kein Wirtshaus gibt, in dem rumänische oder regionale Küche angeboten wird. Lediglich italienische, asiatische oder amerikanische Gerichte gibt es an jeder Ecke. Die Einfachheit, unendliche Am nächsten Morgen klingelt der Wecker um vier Uhr. Weite und unberührte Natur, auch wenn sie mit Armut Wir packen und fahren los. Das Gepäck ist gut verzurrt und verbunden ist, haben wir in anderen Landesteilen sehr wir genießen eine traumhafte Tour durch die Karpaten, geschätzt. Davon ist nichts mehr zu sehen, es entstehen das Hochgebirge Rumäniens. Teilweise wurden die alten, viele neue Villen und prunkvolle Häuser. Daneben liegt schlechten Straßen erneuert. Feinster Asphalt zieht unter bergeweise Müll. Der Strand wird morgens und abends den Reifen dahin. Über Stunden können wir alle Autos, die von einem überdimensionalen Staubsauger befahren, der uns begegnen, an einer Hand abzählen. Der Streckenverden Müll einsaugt. Ein Gespür für Sauberkeit und Nach- lauf kann es mit jedem Alpenpass aufnehmen. Gegen Ende haltigkeit ist scheinbar nicht vorhanden. Dabei müsste den des Tages fahren wir nach Cluj-Napoca, der viertgrößten Bewohnern eigentlich besonders viel an der Sauberkeit Stadt Rumäniens, und das Land wird wieder flacher. Es war liegen, da diese Touristen anlockt und somit für Wohl- die schönste Etappe des gesamten Urlaubs. Gegen Mittag des folgenden Tages erreichen wir, wie stand in der Region sorgen könnte. Wir verlassen das Campinggelände ein paar Tage später anfangs beschrieben, die Grenze von Rumänien nach bei Sonnenaufgang. Nur wenige Minuten danach setzt Ungarn. Entgegen aller Erwartungen und Befürchtungen Regen ein. Es sollte nicht das einzige, unerwartete Wasser winkt uns der Grenzbeamte nach Begutachtung der für den Tag bleiben. In Braila hört die Straße plötzlich auf, Papiere durch. Das Umpacken bleibt uns erspart, auch keine Brücke in Sicht. Lediglich einige Fähren liegen am wenn wir mittlerweile genug Übung haben und jeder Ufer. Wir entscheiden uns für eines der größeren Schiffe, Handgriff sitzt. zuletzt fährt ein riesiger Lkw auf die nicht vertäute Fähre. Auf der Autobahn rollen wir langsam nach Hause. GedankDas gesamte Schiff sackt ab und schwankt gewaltig. Doch lich schon angekommen und Bilder vom Wiedersehen mit außer uns scheint das Niemanden weiter zu stören. Der der Familie im Kopf, hören wir am Gießener-Südkreuz Kassierer geht an jedem Auto vorbei, uns lässt er aus. plötzlich einen dumpfen Schlag. Wir rollen langsam auf Kurz vor Ankunft kommt er doch zu uns. Auf die Frage, dem Seitenstreifen aus. Die Antriebskette ist gerissen. ob wir auch in Euro bezahlen können, bekommen wir ein Der Gepäckturm hat unsere Beine vor schweren Verletlächelndes: „Nur Scheine!“ zurück. Am anderen Ufer geht zungen geschützt. Zum Glück ist das Ende auch nicht in es eine steile Böschung hoch. Die Schlaglöcher werden die Felge geraten, das Rad hätte blockiert, ein Unfall wäre immer tiefer, die Straßen immer schmaler und die Zahl der wahrscheinlich gewesen. Doch nichts von alledem ist Autos immer geringer. Der Verkehr besteht fast nur noch passiert. Hinter der Leitplanke stehend, verständigen wir aus Pferdefuhrwerken, die meisten über und über mit Heu den ADAC. Die Mitgliedschaft war eigentlich für Notfälle beladen. In der gesamten Umgebung ragen Heuberge auf, in Rumänien gedacht. Eigentlich sollten wir traurig sein, dass wir nicht aus eigener Kraft nach Hause gekommen die zum Trocknen auf Holzgestelle geschichtet werden. sind. Stattdessen stehen wir am Straßenrand und lachen. Die gesamte Anspannung fällt von uns ab. Den Rest der Strecke verbringen wir im Führerhaus eines großen, gelben Lkw. Wir müssen später nur noch das Motorrad von der Ladefläche rollen und sind angekommen.

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„Die schönste Etappe des gesamten Urlaubs: die Karpaten, das Hochgebirge in Rumänien.“

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Andenken an den Vater 1914 wurde er einberufen, als damals 20-jähriger, aktiv und an der Front in Galizien. Auch einmal verwundet worden, am Knie. Danach ist er in russische Gefangenschaft gekommen und danach ins Lazarett, ebenso bei den Russen. Weiter, eine Odyssee vom schwarzen Meer zum Ural, wieder zurück nach Moskau, und wieder ans schwarze Meer. Das alles innerhalb von wenigen Monaten. Später ging es weiter über den Ural nach Sibirien. Die ganze Reise mit dem Zug, teilweise im Winter. In jedem Waggon war ein Ofen drin sonst wären sie ja erfroren. Während der Revolution haben die Roten und die Weißen gegeneinander gekämpft. Jeder hat versucht anzuwerben mit ihnen zu marschieren aber sie sind lieber Gefangene geblieben als mit den Roten oder den „Kerenski“ Truppen zu gehen. Ihnen wurde ein paar Mal gedroht. Sie haben sich aufgestellt mit den Maschinengewehren und wollten sie erschießen oder mit der „Blechbarkasse“ im schwarzen Meer versenken. Sehr wenige sind mit ihnen gegangen. Der Rest ist nach Sibirien gekommen und wurden in Konzentrationslager eingesperrt.

Nähset, Kulturbeutel und alte, russische Devisen – Geschenke der U.S. Army, der kanadischen Armee, sowie dem Schwedischen Roten Kreuz – blieben übrig von einer 5-jährigen Kriegsgefangenschaft in Sibirien und der damit verbundenen Odyssee zurück in die Heimat.

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Erzählung: Franz Pallua Interview: Sara Pallua


Der Vater war Schuster und hat im Lager Schuhe repariert. Er hatte eine kleine Werkstatt und hat zusammen mit einem Chinesen gearbeitet. Unterhalten haben sie sich auf russisch, mit der Zeit hatte er es gelernt. Nach fünf Jahren konnten viele der Gefangenen heimkehren, der Krieg war längst vorbei. Natürlich ist über die Hälfte im eisigen Winter an Krankheiten, wie z.B. Ruhr, gestorben. Und im Jahre 1920 oder 1919, am Stephanstag (26. Dezember), ist der Vater von Wladiwostok mit einem japanischen Frachter weggefahren um dann auf dem Seeweg nach Triest zu kommen. Über Shanghai, Hong Kong und um Indien, über Aden, die arabische Halbinsel, und durchs schwarze Meer, durch den Suezkanal nach Triest. Und von dort konnte er den Zug nehmen, das war 1920. Seine Familie wusste nicht, dass er noch heimkehren würde. Es gab nie Briefkontakt.

In der Gefangenschaft haben sie vom Schwedischen Roten Kreuz öfter Besuch bekommen. Die „adeligen“ Damen, wie man sie nannte, haben ihnen kleine Geschenke mitgebracht. Was es genau war, weiß ich nicht, wahrscheinlich Essen, auch Verbandszeug und Toilettensachen. Ich weiß es nicht mehr genau, Nähsachen sicher. Das hat er mit sich getragen, weil er es oft gebraucht hat. Daher stammen die Taschen. Ja ja, das hatte er halt und das ist uns noch geblieben. Nach seiner Rückkehr hat er es nicht genutzt, es war ja nichts Gescheites mehr drin. Für mich ist es heute noch ein Andenken, eine Erinnerung an ihn, denn Fotos hat man ja damals nicht gemacht. Ein Soldbuch von ihm habe ich noch irgendwo, und noch verfallenes Geld. Er hatte schon neues Geld mitgebracht, hauptsächlich Rubel, die damals sehr inflationär waren, schon während der Revolution. Einzelne Rubel konnte man noch umtauschen aber ich glaube mit Russland gab es kaum Devisentausch, jedenfalls schätze ich nicht, dass er viel dafür bekommen konnte. In der Gefangenschaft wird er kaum Geld gehabt haben, es gab ja doch nichts zu kaufen, sie hatten keine Verbindung nach außen. Er hat mir später alles erzählt. Sie waren nicht groß eingesperrt, auf der einen Seite war ja der Amur, der Grenzfluss zur Mandschurei, und die Weite Sibiriens auf der Nordseite, abhauen war einfach unmöglich. Auf dem Heimweg, im Winter, sind viele über den zugefrorenen Baikalsee gefahren. Sie haben Schienen über den See gelegt weil es eine große Abkürzung war und konnten so mit dem Zug über den See. Im Frühjahr wurden die Schienen dann wieder entfernt. Dem Vater ist es sicher schon besser ergangen als vielen Anderen. Die Zivilbevölkerung soll sehr freundlich zu den Gefangenen gewesen sein, sie hatten eher Mitleid. Viel mehr weiß ich von der Zeit auch nicht mehr.

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Feldpostreisen

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Aufbruch gen Westen

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nlässlich der Dokumentenbeschaffung hatte ich mit meinem Schwiegervater schon vereinbart, daß ich seine jüngere Tochter Martha mit nach Deutschland nehmen werde, um sie aus der russisch zu besetzenden Zone herauszubringen. So geschah es denn auch und im Morgengrauen um den 12.5.45 brachen wir dann gen Westen auf. Mein Fahrer Magdeburg, im Zuge des „Heldenklaus“ von der Gestapo kommend, wußte, daß man einen Otto-Motor auch mit reinem Alkohol betreiben könne. Er hatte ein Dutzend Benzinkanister, ca. 240 Liter, in einer Alkoholbrennerei mit 96%-igen Alkohol gefüllt und im Fond des Olympia verstaut. So waren wir für die 300 km-Reise nach Grafenwöhr, auch bei höherem Spritverbrauch auf Feldwegen, gut ausgerüstet. Daß der alkoholbetriebene Motor zu heiß wurde, mußte in Kauf genommen werden.

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Rupert Dangl (2. v. links) mit Kameraden der SS-Verfügungstruppe


Ein älterer Ami-Major mit jungem Leutnants-Adjutanten war der erste Kontrollposten, dem wir uns nicht entziehen konnten. Er hielt uns fest, weil der ungarische Leutnant den von ihm gefälschten Passierschein mit unleserlicher Unterschrift unterzeichnet hatte. Ihm war offensichtlich, so wie mir, unbekannt, daß die Amis ihre sicherlich auch unleserlichen Unterschriften zusätzlich mit dem Namen in Druckbuchstaben ergänzen mußten. Bis zum Eintreffen eines Abholkommandos nach etwa einer Stunde, legten wir uns in den Straßengraben und stellten uns schlafend, aus dem wir uns auch durch die zischende Bemerkung des Adjutanten, -SS- nicht reißen ließen. Das Abholkommando brachte uns zur amerikanischen Ortskommandantur in Tittling. Dort kotzte mich zwar das vor dem diensttuenden Sergeanten liebdienernde Hackenschlagen eines dolmetschenden deutschen Zivilisten an, war aber doch froh, als dieser uns die Sergeantenweisung übersetzte, wonach er keine Unterbringungsmöglichkeit für uns habe und wir ins nächste Dorf weiterfahren mögen. Daß wir dies nicht taten, sondern nach Verlassen des Ortes den nächsten Feldweg Richtung Wald einschlugen, war selbstverständlich. Ab nun querten wir Hauptstraßen nur noch bei Nacht und ohne Beleuchtung. So erreichten wir auch 2 Tage später den Raum Grafenwöhr, wo sich der Fahrer Magdeburg, von der Abendsonne geblendet, auf einem sumpfigen Wiesenweg festfuhr. Da der Wagen nicht flott zu kriegen war, lief Martha auf die nahegeleNahe der Demarkationslinie bei Linz an der Donau, im gene Hauptstraße und winkte einen Ami-Jeep zur Hilfe Ort Prägarten legten wir eine mehrstündige Pause ein. heran. Die GI‘s erwiesen sich gegenüber einem weiblichen Dort trafen wir auch auf KZ-Insassen des Konzentrati- Wesen auch hilfsbereit und zogen uns aus dem Sumpf. Am onslagers Mauthausen. Darunter befand sich auch ein nächsten Morgen trennten wir uns vom Fahrer Magdeburg Nürnberger Kommunist, der mir vom künftigen Sowjet- und dem Ungarn. Die beiden wollten mit dem Fahrzeug deutschland vorschwärmte. Uns beiden gelang es nicht, den Heimatort Magdeburg‘s, Eisenach erreichen. Martha uns vom gegenteiligen Glauben zu überzeugen. Obwohl und ich setzten den Weg nach Eschenbach zu Fuß fort mein Entschluß feststand, auf Nebenwegen die Oberpfalz und erreichten es gegen Mittag. Ich hieß Martha, zuerst und damit meine Frau und meine Kinder zu erreichen, allein nach Eschenbach hineinzugehen und Gretl aufzufuhr ich noch zur Demarkationslinie, um mit den Amis suchen. Ich selbst wartete in einem Kornfeld. Dort erdie Übernahme der sich nach Westen absetzen wollenden schien Gretl auch am Nachmittag und wir warteten den SS-Männer auszuhandeln. Mit einem Fluch, unterstützt Abend ab, um im Schutze der Dunkelheit Leonhards durch einen Kolbenhieb ins Kreuz, wurde ich zu den Wohnung zu erreichen. Dies gelang auch unter gelegentlich Russen zurückgeschickt. Zurück in Prägarten riet ich nun harmlosen Geballer, der offensichtlich immer noch ballerden dort versammelten SS-Angehörigen, sich auf Wald- freudigen Amis. wegen nach Westen durchzuschlagen. Ich selbst zog nun auch meine Uniform aus und Zivilkleidung an.Einen ungarischen Leutnant in Zivil nahm ich wegen seine Kenntnis Auszug aus der unveröffentlichten Autobiographie von Rupert der englischen Sprache und eine Pistole 08 für eventuelles Dangl, geboren 1919 in Niederösterreich. 1937 meldete er sich bei Zusammentreffen mit Amis mit. Auf Waldwegen entlang der SS-Verfügungstruppe. Während des 2.Weltkriegs war er an der tschechischen Grenze erreichten wir Tittling im Bayri- der Front in Russland. Nach einer Verletzung arbeitete er als schen Wald, wo wir eine Hauptstraße überqueren mußten. direkter Mitarbeiter Heinrich Himmlers.

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Text: Emma Bijloos Fotos: Emma Bijloos, Jan Kliewer

Kostbare Blumen

Frauen in der Islamischen Republik Iran

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oshanak ruft: „Ich habe keine dicke Lippen!” Sie schaut noch einmal genauer und stöhnt auf. Dann dreht sie das Skizzenbuch herum und schaut zu Nazanin, die ihr gegenüber sitzt, um sich eine Bestätigung einzuholen. Nazanin lächelt mich, den Übeltäter, freundlich an. “Ghashang!”, sagt sie “Sehr schön!”, aber als ich meinen Bleistift auf sie deute, schüttelt sie heftig den Kopf. Später, als wir kurz vor der iranischen Grenze unser letztes Bier und eine Zigarette genießen, erlaubt sie mir doch, sie zu zeichnen. Dieses Mal ist auch Roshanak mit dem Ergebnis zufrieden. Ihr eigenes Porträt lässt sie jedoch nicht los. Sie drückt mir das Notizbuch in die Hand und drängt mich, ihre Lippen auszubessern. Ich schaue mir die Zeichnung an. Ein herzförmiges Gesicht mit langem, dunklem Haar. Die perfekte Windung ihrer Augenbrauen. Die kleine Nase. Darunter die Lippen, die wirklich etwas groß wirken. Ich drehe meinen Bleistift herum und fange an zu radieren. Ich verschweige lieber die Tatsache, dass Roshanak sehr schöne, volle Lippen hat. Es wird nicht das letzte Mal bleiben, dass ich mich über das strikte Schönheitsideal iranischer Frauen wundere, denen im eigenen Land strenge Gesetze und Verbote auferlegt sind. Roshanak, Nazanin und ich teilen uns ein Abteil des Trans-Asia-Express, der Zug mit dem man für rund 50 Euro in drei Tagen von Istanbul, dem westlichsten Punkt der Türkei, nach Teheran, der Hauptstadt des Iran gelangt. Die lange Fahrt ist eine Tortur mit ständigen Stopps in menschenleeren Städten, nächtlichen Passkontrollen durch stampfende und schreiende Beamten und einer sechs-stündigen Nachtfahrt über den Vansee im Osten der Türkei. Aber all diese Entbehrungen bringen die Passagiere näher zusammen und in den drei Tagen der Fahrt geht man eine besondere Bindung ein. Da sind die iranischen Schönheiten wie Roshanak und Nazanin, die mich als Zeichen ihrer Gastfreundschaft mit Früchten und Süßigkeiten überhäufen. Oder der selbsternannte Prophet “Adam von Amsterdam”, der normalerweise seine Anhänger in den Grachten von Amsterdam tauft und uns permanent seinen Glauben unterbreiten will. Oder Hamid, ein grauhaariger Mann Mitte 50, der mit blinzelnden Augen hinter den kleinen Brillengläsern die ausländischen Reisenden mental auf das vorberereitet, was vor ihnen liegt: der Iran.

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Klebende Pflaster Während der Bootsfahrt über den Vansee fangen die mitreisenden Frauen an sich zu verändern. Tücher werden aus den Taschen gezogen und um den Kopf gewickelt und kurze Jacken gegen lange Wintermäntel eingetauscht. Roshanak lacht über mein fest sitzendes Kopftuch: ihre dunklen Locken fallen aus dem lose sitzenden Schal mit Leopardenmuster. Zum zweiten Mal scheint mein Bild vom Iran, insbesondere das der iranischen Frauen, falsch zu sein. Zuvor haben mir Roshanak und Nazanin gezeigt, dass entgegen dem vorherrschenden Glauben, iranische Frauen viel Wert auf ihr Äußeres legen. Das Gesetz, das vorschreibt, dass Frauen ein Kopftuch und bedeckende Kleider tragen müssen, gilt ab dem Alter von 9 Jahren. In Städten wird diese Regel jedoch stark zugunsten der Frauen ausgelegt und auf ein fast lächerliches Maß ausgereizt, indem das Kopftuch weit zurückgezogen wird. Es stimmt, dass Kleider eine dunkle Farbe haben und oben geschlossen sind, Jacken sind jedoch kurz geschnitten und die Absätze sind hoch. In Teheran kann man ebenso das Pflaster auf der Nase finden, das Symbol für die Beliebtheit von plastischer Chirurgie. Im Iran sind plastische Eingriffe so günstig, dass es fast komisch wirkt, wenn man sich noch keiner “Korrektur” unterzogen hat. Frauen, die sich eine Operation trotzdem nicht leisten können, verwenden nur ein Pflaster auf Nase, Wange oder Stirn um wenigstens das Bild zu wahren. In Isfahan, der Stadt von der es heißt, wenn man sie gesehen hat, hat man die halbe Welt gesehen, wurde ich dann auch gefragt welches Körperteil von mir künstlich korrigiert wurde. “Nichts?” wiederholt Niloufar fragend. Ihre schwarz umrandeten Augen sind voller Erstaunen. Sie ist eine der 4 wunderschönen Frauen, die ich in einem Teppichladen kennenlernte und die mich kurzerhand einluden, die Nacht bei ihnen zu verbringen. Niloufar, 21 Jahre alt, zeigt zuerst auf ihre Nase, “die habe ich schon gemacht”, und dann auf ihre Hüften, die sie scheinbar in der nächsten Operation ändern möchte. Ich schaue zu den anderen Frauen. Sie sind mit Schminken beschäftigt. Niloufar drückt mir das Maskara in die Hand. “Benutzt du auch kein Make-Up?”, fragt sie. Alle vier runzeln die Stirn und brechen in Lachen aus als ich ihnen erzähle, dass ich dachte, Make-Up wäre im Iran verboten.

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Goldener Käfig Als wir später über den Bazar von Isfahan schlendern, wird Niloufar von einer Frau in schwarzem Tschador, einem langen Gewand, das nur das Gesicht, die Hände und Füße frei lässt, am Arm gegriffen. In bissigem Ton redet sie zu Niloufar, die einen engen, schwarzen Mantel, Schuhe mit Absätzen und das Kopftuch weit nach hinten gezogen trägt. Sie würde sich zur Schau stellen, lautet ihre Kritik, wie mir Niloufar übersetzt. Kurz darauf kommen wir an einer Polizeistation vorbei und Niloufar zieht nervös ihr Kopftuch nach vorne. Aber scheinbar haben wir bereits Verdacht erweckt, denn ein Mann in weitem, hellen Anzug hält uns auf. Er läuft auf uns zu und fragt mich unvermittelt: „Woher kennen Sie diese Frauen?“ Ich versuche in lässigem Ton zu antworten und sage ihm, dass wir uns gerade auf der Straße kennengelernt hätten. Ich spreche mit ihnen Englisch und sie bringen mir etwas Farsi (Persisch) bei. Dass ich Urlaub im Iran mache und im Amir Kabir Hostel übernachte, natürlich mit meinem Ehemann. Er scheint keine weiteren Fragen zu haben und wir laufen zügig weiter. Die Mädchen sind erfreut: „Wie du diesen Mann abgewimmelt hast!“ Dennoch wühlt der Vorfall unangenehme Gefühle auf: Angst und Frustration. „Ich möchte raus aus dem Iran“, sagt Farideh. Sie trägt eine Sonnebrille und nimmt einen langen Zug an ihrer Zigarette, während sie das kleine Auto geschickt durch den geschäftigen Stadtverkehr lenkt. Das Radio spielt laut: die Frauen auf der Rücksitzbank, unter ihnen Niloufar, klatschen im Takt zum Gesang der melodischen Männerstimme. Frauen im Iran ist es untersagt Musik zu machen, zumindest dürfen sie nicht in der Öffentlichkeit singen oder ein Instrument spielen. Es sind die Einschränkungen, wegen denen Farideh das Land verlassen möchte. Seit einem Jahr versucht sie ein Visum für die USA zu bekommen. Ihr Freund ist bereits dort. „Wir sind jetzt seit 5 Jahren zusammen“, sagt sie und ergänzt, dass ich seinen Namen in Anwesenheit ihrer Eltern nicht erwähnen soll. Sie dürfen nichts über ihn wissen. Faridehs Eltern - Sahar und Hassan - sind beide um die 60 und eher kleinwüchsig. Sahar ist ein wenig untersetzt mit einem weichen Gesicht und leichten Falten um ihre traurigen Augen. Hassan hat O-Beine und starke Falten im Gesicht, die sich nach oben winden, wenn er lächelt. Das tut er oft, während ich ihm mein gelerntes Farsi vorführe. Während die Mutter uns Tee einschenkt, sagt Farideh, dass „madar“ und „pedar“ uns ihr großes Bett für die Nacht geben. Sie selbst schlafen im Wohnzimmer auf dem Teppich. Ich protestiere, aber es hat keinen Sinn. Für Farideh und ihre Eltern ist daran nichts Ungewöhnliches. Obwohl sie ihrer Tochter viel verbieten, wie z.B. den Umgang mit Männern, versuchen Sahar und Hassan ihr aber doch vieles zu geben. Es stimmt mich traurig, wenn ich daran denke, dass sie Farideh bald für lange Zeit nicht wiedersehen werden. Im Iran spielen Frauen ab der Geburt eine untergeordnete Rolle. Junge Frauen sehen deshalb als einzigen Ausweg oft nur das Verlassen des Heimatlandes.

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Frommes Unwohlsein Ob ich ein Video ihrer Hochzeit sehen möchte, fragt Laleh. Ohne meine Antwort abzuwarten, startet sie die Kassette. Ihre Schwiegermutter Zoreh und Schwager Mehdi setzen sich zu uns. Anstatt uns die Bäckerei zu zeigen, hatte Mehdi mich und meinen Reisebegleiter kurzerhand eingeladen mit ihm und seiner Familie ein paar Tage in Schiraz zu verbringen. Das Video zeigt eine kitschige Zusammenstellung von Fotos und Videos der Hochzeit von Laleh und Mehdis Bruder Reza. Begleitet von schriller, iranischer Popmusik gehen die Bilder ineinander über, das Foto faltet sich zu einer Kugel, die aus dem Bild hüpft. Kurz darauf erscheint eine digitale Schere, die das Bild zerschneidet. Einige Male wird das Foto sogar von einer Säge zerschnitten, direkt durch den Kopf von Reza, der, genau wie seine Braut, stark geschminkt ist. Ich stelle mir vor, dass jedes Ehepaar in der Nachbarschaft ein ähnliches Video besitzt. Laleh stößt mich ständig an und zeigt auf den Bildschirm. Sie spricht kaum Englisch, möchte aber dennoch ihre Freude mit mir teilen. „Kheyli khub“, „sehr schön“, presse ich heraus und schäme mich über meine falsche Höflichkeit. Laleh ist das absolute Gegenteil zu Farideh, die für iranische Verhältnisse ein freies Leben führt. Laleh blieb Bildung verwehrt, mit 20 heiratet sie den stillen Reza und lebt nun mit ihm und seinen frommen Eltern, Zohreh und Kazim. Jeden Nachmittag kommt sie mit ihrer Schwiegermutter in weißem Tschador ins Wohnzimmer, um für ein paar Minuten Gebete zu sprechen, den Koran im Schoß liegend. Im Vorbeigehen wirft sie mir ein spottendes Lächeln zu, wie ein Kind, das sich in Anwesenheit eines Fremden für die Gewohnheiten der Eltern schämt, aber nicht daran denkt sich, davon zu befreien. Oder ist es wegen des Tampons, den ich ihr zuvor gab und den sie laut kichernd mit ihrer Nichte ausgepackt hatte und an der Schnur baumeln ließ. Später, als wir im Wohnzimmer vorm Ofen sitzen und Präsident Mahmoud Ahmadinejad über den Abschuss eines iranischen Fernsehsatelliten berichtet, drängt mich Laleh das Kopftuch abzusetzen. Ihr eigener Kopf ist unbedeckt, was erlaubt ist solange keine männlichen Gäste anwesend sind. In den letzten Wochen im Iran hatte mich das Kopftuch dauernd gestört, weil es ständig vom Kopf gerutscht ist oder mir im Weg war, wenn ich mich umsehen wollte. Aber jetzt bin ich mir unsicher. Alle drei Söhne sehen mich als „fremde“ Frau, obwohl ich die letzten Tage bei ihnen verbracht habe. Ich schaue zu Mutter Zohreh. Sie nickt freundlich. Ich ziehe das Tuch von meinem Kopf und spüre eine leichte Angst. Kurz darauf ruft mich Laleh zum Telefon, um ihre Mutter Ziba zu begrüßen. Wie es mir im Iran gefalle, fragt sie mich. Mit großer Begeisterung schießt es aus mir heraus: „Khosmazeh, Ghashang, Shegeftangiz!“ – wunderbar, sehr schön, hinreißend!

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Text & Fotos: Florian Hill

Illimani Southface 2010 Zwei Alpinistengenerationen in den Anden

Robert Rauch und Florian Hill trennen fast 25 Lebensjahre, aber ein gemeinsamer Berg verbindet sie: Der Nevado Illimani mit seiner Höhe von 6439 Metern und der eisigen Südwand. Die Kombination aus Südwand und Überschreitung des Gesamtmassivs, mit einem Dutzend 6000er, stellt ein grenzwertiges, letztes Abenteuer dar. Die Südwand ist ein Superlativ geblieben: Niemand kennt den Weg dorthin – bereits beim Anmarsch beginnt das Unbekannte, noch nicht Betretene. Ein neues Kapitel im Andenbergsteigen?

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Robert Rauch schreibt:

Donnerstag, 6. Mai 2010 In weniger als 10 Tagen stehen wir hoffentlich in La Paz, dieser Stadt in Bolivien, auf knapp 4000 Metern, die für uns Europäer nur eine wage Vorstellung sein mag. Aber es ist nicht nur das Aufeinandertreffen zweier Kulturen, sondern auch die Begegnung zweier Menschen mit so unterschiedlichen Biografien, dass der Altersunterschied von fast 25 Jahren nur eine Zahl ohne Bedeutung zu sein scheint. Robert Rauch ist für mich immer noch so geheimnisvoll wie die Regenwälder der Anden oder die Südwand des Illimani. In seiner letzten E-Mail an mich, konnte ich mich wieder davon überzeugen, dass die Seele eines Bergsteigers aus weitaus mehr besteht, als das Tourenbuch aus über 20 Jahren extrem-bergsteigen.

(...) Ich denke dass ihr nicht mehr dieselben sein werdet wenn ihr nach Europa zurückkehrt. Südamerika verändert die Menschen – für immer. Wie ihr damit klarkommt liegt nicht in meinem Verantwortungsbereich. Man muss diese Veränderung für sich nutzen. Das Leben ist ja Veränderung, und der Tod ist wohl das letzte und einzige Abenteuer was ein Mensch zu bestehen hat. Zwischen Geburt und Tod liegt eine später unwiederbringlich vergangene Zeit die mit Leben auszufüllen ist. Manche Menschen haben ein Leben wie ein Buch mit leeren Seiten: Es steht nichts drin. Das ist für mich verlorene Zeit. Letztlich ist das einzelne Schicksal egal, es geht in der Gesamtheit vieler Schicksale verloren. Es geht nur darum seinem Leben einen Sinn zu erfinden und damit seine eigene Schöpfungsgeschichte zu schreiben. Auch das ist kontinuierliche Veränderung und letztendlich liegt im Tod das unenträtselbare Geheimnis allen Lebens – der Wale in den Ozeanen, den Sternen im Kosmos, die entstehen, leben und sterben, den Tieren des Waldes, den Pflanzen die atmen, leben und sterben wie der Mensch, den Menschen in den großen Städten, die sich ihre eigenen Lebenszyklen geschaffen haben und ihre Neon beleuchteten Götter und Halbgötter anbeten. Das drückt für mich das Bibelgleichnis der beiden Söhne mit den Talenten aus: Der eine vergräbt die Talente und gibt sie nach vielen Jahren seinem Vater zurück. Der Andere legt die Talente an, verliert und gewinnt – gibt am Ende dieselbe Münze zurück. Dieser Eine der die Talente anlegte, wird dafür von seinem Vater geliebt, dass er die Veränderung suchte und fand. Der andere ist ihm nicht gleichgültig, er liebt ihn nicht und hasst ihn auch nicht. Meint: Er bedeutet nichts, weder im Guten noch im Schlechten. Irgendwie so. Alle haben diese Geschichte schon mal gehört, aber wer hat sie verstanden? Dafür muss man Herz haben und Wege mit Herz gehen. Mit dem Herzen ist es leicht zu verstehen, aber durch den reinen Verstand ist dieses Gleichnis kaum zu fassen. Der Dilettant, der uns dieses Gleichnis in der Schule mit dem Hammer einzuprügeln versucht hat – ich glaube fast, er hat am wenigsten davon verstanden was er uns da beibringen wollte. Und doch hab ich aufgepasst. (...)

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„Geld für Übergepäck landet sicher bei irgendwem in der Tasche.“

Freitag, 16. Mai 2010

„Vielen graust es vorm Packen, ich habe es heute zelebriert.“

Montag 10. Mai 2010 Die letzten Tage vor dem Abflug sind die schlimmsten. Ich kann es kaum erwarten und hoffe, dass uns der Vulkan eine reibungsfreie Anreise ermöglicht. Momentan bin ich in den finalen Zügen der Organisation. Vielen graust es ja vorm Packen, Stefan und ich haben es heute zelebriert. Meine neue Küchenwaage zeigt ganzen Einsatz und hält, was sie verspricht. Um die Übersicht zu wahren, haben wir alles in kleine, wasserdichte Packsäcke verpackt und einzeln abgewogen. So hatten wir in unserer „Orgie“ das Gewicht immer im Blick. Noch drei Mal schlafen und ab gehts.

Mittlerweile habe ich mich wieder abgekühlt, sitze mit Stefan im Flieger und genieße den Orangensaft. Aber mein Gemütszustand sah noch vor wenigen Stunden ganz anders aus. Für allen Ärger gibt es ein Wort: ESTA. Ein Onlineprogramm, mit dem man sich vor der Einreise in die USA (auch bei Zwischenstopp) herumschlagen muss. In einem Formular muss man Fragen der Einwanderungsbehörde ankreuzen, wie z.B. die Frage C) : „Waren Sie schon jemals oder sind Sie in der Spionage, in Sabotage oder in terroristische Aktivitäten verwickelt?“ Das Problem heute Morgen bestand darin, dass das hiesige Online-System nicht funktionierte und wir somit keine Nummer bekamen, die uns durch die etlichen Sicherheitskontrollen hätte durchlassen können. Den Behörden gegenüber bediente ich mich aller Töne, von den Leisen bis zu den Lauten. Dennoch bin ich mir ziemlich sicher, dass diese Beharrlichkeit uns die zwei Sitzplätze verschafft haben, auf denen wir nun sitzen und unseren „OJ“ (Orange Juice) schlürfen und ein Lunch verspeisen, das optisch so künstlich aussieht, als hätte es jemand auf dem Computer zusammenprogrammiert. Eine Expedition beginnt doch viel früher, als mit dem ersten Pickelschlag in irgendeine Bergflanke. Die Weiterreise verlief problemlos. Wir mussten lediglich etwas Geld für Übergepäck bezahlen, was meiner Meinung nach bei irgendwem in der privaten Tasche landet. Wir befinden uns mitten in der Korruption und das ist bekanntlich kein Geheimnis wenn es um die Südamerikanischen Armenhäuser geht.

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„Erhängte Puppen sollen an Selbstjustiz erinnern. Im Hintergrund ragt unschuldig der Illimani.“

Freitag, 28. Mai 2010 Knatternd kriecht unser Auto die Pan Americana entlang. „Gegensätzlicher kann eine Stadt nicht sein; knapp 1200m trennen Gänzlich verliert sich die Stadt La Paz hinter uns am Horizont. Der Blick gilt voraus, vor uns liegen die Weiten des den reichen, tieferen Teil der Stadt vom armen, höheren Bereich.“ Altiplano, eine abflusslose Hochebene – eines der höchsten Gebiete der Welt auf dem sich Menschen angesiedelt haben. Das Altiplano wird hauptsächlich von Indios aus dem Samstag, 15. Mai 2010 Aymara – und Quechua Geschlecht bevölkert, welche eine Stefan und ich sitzen in unsere Sitze gepresst, als das Flug- über 10.000 Jahre alte Kultur pflegen. zeug zur Landung ansetzt. Unter uns eine karge Landschaft, Als die Sonne uns den Rücken zukehrt und die Kälte des weit hinten am Horizont die riesigen, schneebedeckten Altiplano uns in die Kleidung kriecht, kehren wir zurück zu Bergriesen der Anden. Ich merke wie der Druck in der unserer Hütte. Kurz bevor ich mich zum Schlafen in mein Flugkabine langsam sinkt. Der Flughafen, umgeben vom Zelt lege, schweifen meine Gedanken ab und lassen den Armenhaus von La Paz, dem Stadteil El Alto, liegt auf Tag und die Eindrücke Revue passieren. In einem kleinen stolzen 4000 Metern über Seehöhe. Man spürt es sofort am schwarzen Notizheft notiere ich mir mit kalten Händen: eigenen Körper und wenn man um sich blickt, kann man diese Tatsache auch an den zahlreichen, „zerknautschten“ (…) Die Aymara-Indios scheinen auf einer Reise ohne Ziel zu sein. Für mich ist nichts schöner und bedrückender zugleich. Gesichtern der Mitreisenden erkennen. El Alto ist der höchste Flughafen der Welt, La Paz die Während die Aymara ihre Äcker neu einsähen und pflügen, im höchstgelegene Regierungsstadt der Welt. Ein Höhen- Kreislauf der Natur ihr eigenes Ich wiederfinden, bleibe ich wohl unterschied von knapp 1200m kennzeichnet die Stadt, das Etwas, welches strebt, sucht, siegt und scheitern wird. Was trennt den warmen und reichen – tiefer gelegenen Teil ich schon heute von den Aymara gelernt habe: Immer und immer – vom kühlen und armen, höher gelegenen Teil. Gegensätz- wieder aufstehen, Sein, ohne dem Medium Zeit Aufmerksamkeit zu schenken. licher kann eine Stadt nicht sein. Nach allen Einreiseformalitäten ist es soweit, ich treffe nach Nichts bewegt mich, nichts zieht, drückt und stößt mich hier oben. knapp sechs Monaten auf Robert Rauch, den Buchautor Die Schwerkraft steht im Einklang mit dem Wesentlichen und und Extremalpinist aus Mittenwald, der schon seit knapp zieht mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Elementar bin 20 Jahren in Bolivien heimisch ist. Robert ist in guter Form ich, wenn ich hier sitze und die Wolken und der Wind sich mit dem Chaos meines Geistes vereinen und zu dem machen, was ich und begrüßt Stefan und mich auf Spanisch. wirklich bin: Ein Kind der Natur. Ich sitze hier und gehe nicht weg. Wohin auch, wenn es eine Reise ohne Ziel ist? (…)

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„Unser Ausgangsort ist das bolivianische Copacabana, dem Wallfahrtsort am Titicacasee.“

Mittwoch, 2. Juni 2010 Unser Ausgangsort ist das bolivianische Copacabana. Es 03.00, in der Nacht handelt sich jedoch nicht um das Copacabana in Rio de Janeiro, sondern um den bekanntesten bolivianischen Wall- Auf einem Schlag bin ich wach. Sitzend im Zelt, taste ich fahrtsort am Titicacasee, der etwa 15-mal größer als der nach meiner Stirnlampe und knipse das Licht an. Ein hölliBodensee ist. Das bolivianische Copacabana ist Namens- scher Sturm reißt an unserer Zeltplane. Schon die zweite geber für das berühmtere in Brasilien. Hier trifft man Nacht lässt mich dieser Sturm nicht zur Ruhe kommen. allerdings eher auf fromme Pilger als auf braungebrannte Von den langen Tagesmärschen kann ich mich kaum Strandschönheiten. In der örtlichen Basilika befindet sich erholen. Konnten wir gestern noch das Zelt optimal gegen die bekannte „schwarze Jungfrau“, die 1567 von einem den Wind ausrichten, peitscht uns heute Nacht der Sturm Indio in Holz geschnitzt wurde. Für Archäologen ist die von allen Himmelsrichtungen entgegen. Wir befinden uns schon früh besiedelte „Isla del Sol“ ein ergiebiges Arbeits- auf 4700 Metern, auf einem namenlosen Gipfel zwischen feld. Den Inkas galt sie als Ursprungsort ihrer Kultur. Peru und Bolivien. Unter uns ruht der mächtige Titicacasee. Über uns entlädt sich der Himmel mit gewaltiger Macht und lässt mich wieder einmal erfahren, wie hilflos wir Menschen doch den Naturgewalten ausgeliefert sind. Wir verlassen Copacabana Am nächsten Morgen hält der Schnee- und Regenschauer Auf unseren Rücken tragen wir alles Nötige, was wir an. Ein einfacher Toilettengang wird zum ungemütlichen zum Überleben in den Anden benötigen. Einen 10 Liter Unterfangen. Wir verharren mit nasser Kleidung und Wasserkanister, welchen wir zusätzlich mitgenommen feuchten Schlafsäcken im Zelt. Das heiße Wasser, das haben, wandert in unregelmäßigen Abständen zwischen wir am Vorabend in unsere Thermoskannen abgefüllt uns her und wird abwechselnd getragen. Gerade beim haben, vermischen wir mit Haferflocken und Milchpulver Aufstieg spürt man das zusätzliche Gewicht. Zusammen zu einem Frühstück – viel mehr hat unser Speiseplan nicht zu bieten. Wir beschließen aufgrund der anhaltend mit dem Kanister wiegt ein Rucksack gute 30 kg. schlechten Wetterlage, mit einem mehrstündigen Gewaltmarsch wieder nach Copacabana zurückzukehren.

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„Schollenartig bricht das Eis weg, jeder Pickelschlag ist Schwerstarbeit.“

Sonntag, 13. Juni 2010 Neue Route „Chamaka“ (=Finsternis) am Serkhe Khollu – Südwestwand - 5546 m Silbern glänzt die Oberfläche des Sirki Khota-Sees. Zwei Wildgänse ziehen langsam vorüber und landen auf dem Wasser, während der 5546m hohe „Serkhe Khollu“ im Abendlicht errötet. Das friedliche Idyll täuscht: Starke Stürme lassen See und Berg von einem Moment zum anderen zu tobenden Wilden werden. In meine warmen Daunenjacke gehüllt, mit Blick auf den Serkhe Khollu, zeichne ich in Gedanken unsere neue Route nach die wir einen Tag zuvor im Alpinstil eröffnet haben. Durch die starke globale Klimaerwärmung und den daraus resultierenden Gletscherschwund haben sich an der Südwestwand des „Serkhe Khollu“ ganz neue Routen und Möglichkeiten ergeben. Unsere logische Linie auf den 5546m hohen Gipfel, folgt einem neu entstanden Eisfall der durch den beschleunigten Schmelzprozess entstanden ist. In völliger Dunkelheit und bei Minusgraden suchen Stefan, Robert und ich den Einstieg. Keine drei Meter breit, zieht sich der nahezu senkrechte Eisfall in die Höhe. Wir sortieren unser Material am Gurt und steigen in uns noch nicht bekanntes Terrain ein. In der zweiten Seillänge überrascht uns das Eis mit schlechter Qualität. Schollenartig bricht es weg, jeder Pickelschlag in dieser Höhe und in diesem Gelände ist Schwerstarbeit.

Unerwartet stehen wir in der vierten Seillänge vor dem Ende des schmalen Eisschlauchs. Die folgenden Seillängen können wir im brüchigen Fels nur spärlich absichern - ein Sturz verbietet sich hier von selbst. Mit Absicherungsgeräten richten wir unsere Standplätze ein so gut es uns möglich ist. Die Freude ist groß als wir die Fortsetzung des Eisschlauchs erreichen. Hier können wir unser Klettertempo steigern. Über unseren Köpfen scheint bereits die Sonne in einsturzgefährdete Séracs, aus deren Gefahrenzone wir uns noch rechtzeitig entfernen. Die weiteren Seillängen über den 75-85 Grad steilen Gletscher können wir zügig abspulen. Kurz vor dem Gipfelgrat nimmt die Steigung abermals zu, die Stefan souverän nach fast 10-stündiger Kletterei in Fels und Eis bewältigt. Der technisch nicht anspruchsvolle aber dafür spaltenreiche Abstieg führt über den Gipfelgrat hinunter auf ein Geröllfeld, das nochmal Trittsicherheit und Konzentration erfordert. Als wir unsere Eisschrauben vom Klettergurt nehmen und das restliche Material in den Rucksäcken verstauen, kramen wir schon nach unseren Stirnlampen. In Äquatornähe erfolgt der Übergang vom Tag zur Nacht ohne wirkliche Dämmerung. Unsere Erstbegehung beginnt und endet in mondloser Finsternis.

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Freitag, 25. Juni 2010 Auf dem Weg zum Condoriri-Basislager Abseits des ausgetretenen und steinigen Weges wandere ich alleine entlang eines Flussbetts. Ähnlich wie in einem Adersystem schlängeln sich wilde Bäche durch eine saftig grüne Graslandschaft. Meine Bergstiefel auf dem Rucksack befestigt, tasten sich meine nackten Füße vorsichtig voran. Kühles Nass umspült meine warmen Fußsohlen, die auf Moos treten, dass sich wie ein Schwamm mit Wasser vollgesogen hat. Ich spüre jede Unebenheit und genieße das Gefühl mit der Natur im Einklang zu sein. Als ich mich auf einen großen Stein setzte und meine Augen zusammenkneife, flimmern am Horizont die Gipfel der nördlichen „Königskordillere“ an mir vorüber. Schließe ich meine Augen ganz, hasten abertausend Bilder an der Innenseite meiner Augenlider vorbei. Als ich meine Augen wieder öffne, kann ich die klare und anmutende Schönheit der Gipfel erblicken, welche sich vor mir in den Himmel empor strecken. Kurze Zeit später erreichen Stefan, Robert und ich das Basislager der Condoriri-Gruppe. Hier haben sich in einer bunten Zeltlandschaft Bergsteiger aller Nationen zusammengefunden. Bereits wenige Stunden später sitzen wir im Zelt einer Seilschaft aus Patagonien und schlürfen deren herb schmeckendes Nationalgetränk - Mate Tee.

Auf einmal versperrt uns ein gewaltiger Eisüberhang den Weiterweg. Ich stehe vor dem Problem, keinen soliden Standplatz einrichten zu können, um meine Nachsteiger im brüchigen Gelände zu sichern. Einzige Möglichkeit bietet ein fragwürdiger Felskopf über den ich eine Bandschlinge mit zwei Eisschrauben, die sich nicht ganz eindrehen lassen, verbinden kann. Die kombinierte Seillänge kostet uns wertvolle Zeit, da Stefan und Robert einzeln nachsteigen müssen. Zum ersten Mal beschleicht mich das Gefühl, dass wir den Abstieg in Dunkelheit meistern müssen. Zum Glück stoßen wir kurz darauf auf leichteres Gelände, das wir seilfrei bewältigen können. Auf dem Gipfel des 5.250m hohen „Diente Blanco“ (zu dt. „weißer Zahn“) denken wir noch nicht einmal an ein Gipfelfoto. Sofort steigen wir über den Gletscher ab, die Überquerung bei Dunkelheit ist nicht gefahrenlos. Jetzt ist uns allen klar, wir werden bis zur frühen Nacht brauchen, um einen Weg über den, mit bis zu 50m tiefen Spalten durchsetzen, Gletscher zu finden. Der Gletscher wirkt schier unendlich. Ein Gefühl von Verlorenheit wechselt sich ab mit Müdigkeit. Der Blick auf die Uhr verrät, dass wir bereits 16 Stunden unterwegs sind.

Newfoundland - Neuland

Nach 18 Stunden zurück im Basislager

Am nächsten morgen reißt mich der Wecker viel zu früh Endlich. Wir liegen auf dem Boden in unserem Küchenzelt. aus dem Schlaf. Die Augen einmal offen, bin ich bei voller Der Kocher bildet die einzige Geräuschkulisse, die auf alle Konzentration und schlüpfe in meine Kleidung, die ich einschläfernd wirkt. Meine Augen fallen immer wieder zu über Nacht im Schlafsack vorgewärmt habe. Nach einem und ich beginne sofort zu träumen. Erst als das Wasser leisen „Buenos Dias“ ziehen wir los um uns wieder einmal anfängt zu sieden, öffne ich meine Augen wieder. Ein in Neuland zu wagen, das vor uns noch keiner betreten hat. Kopfnicken von Stefan verrät mir seine Müdigkeit. Robert In finsterer Nacht stoßen wir auf einen See. Punkt 6.30 sitzt zusammengesackt, den Kopf zwischen den Ellbogen Uhr setzen wir den ersten Pickelschlag in die neue Route verschränkt, neben mir und schläft – mit seinen 52 Jahren auf den „Diente Blanco“. Die ersten Seillängen kämpft sich muss er heute die Grenze seiner Belastbarkeit weit überRobert durch wenig versprechendes Eis, das im unteren schritten haben. Sektor völlig mit Steinen vermischt ist. Stefan und ich stehen am Stand und zittern vor Kälte – die Sonne wird uns Jetzt ist mein Kopf leer, meine Gedanken sind frei. Die den ganzen Tag keine ihrer Strahlen schenken. Mit bis zu Welt bewegt sich weiter, doch meine Gedanken stehen still. 95 Grad Steigung und gutem Eis klettern wir dem Gipfel entgegen. Unterhalb der geplanten Schlüsselstelle finden wir ein breites Band, auf dem sich bequem Stand machen lässt. Um keine Zeit zu verlieren, trinken wir viel zu hastig den heißen Tee und belohnen uns mit einem Stück Schokolade, das unsere einzige essbare Nahrung bleiben wird.

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„Auf einmal versperrt uns ein gewaltiger Eisüberhang den Weiterweg. Ich stehe vor dem Problem, keinen soliden Standplatz einrichten zu können, um meine Nachsteiger im brüchigen Gelände zu sichern.“

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Text: Paul Voggenreiter

ein Peligroso nach Caracas Im Herbst 2005 bin ich allein nach Caracas gestartet, um dort zunächst zwei Monate zu verbringen, bevor ich einen guten Freund in Kolumbien treffen wollte. Die Zeit verging wie im Flug und verlief auf keinen Fall wie geplant. Vom Flughafen in Caracas wollt ich erst einmal in die Stadt Am nächsten Morgen weckte mich laute Trance-Musik, fahren, dort ein wenig bleiben, Spanisch lernen und mich gemischt mit dem Lachen und Jauchzen mehrerer akklimatisieren. Doch schon die Frau neben mir im Flieger Personen. Ich dachte, ich wäre alleine in der Wohnung gab mir zu verstehen, dass alleine der Weg vom Flughafen oder machte etwa der Vermieter eine Party? Ein wenig in die Stadt ein großes Risiko sei. „Peligroso, peligroso“, unsicher und noch den Schlaf in den Augen, ging ich in meinte sie nur und bis zur Landung ging ich noch davon die Küche. Die Musik und die Stimmen kamen aus dem aus, dass es sich um ein günstiges und sicheres Taxi handele. Zimmer neben mir. Wahrscheinlich waren sie gerade Angekommen, wurde mir die ganze Geschichte etwas angekommen. Wie auch immer, ich hatte einen Bärensuspekt. Ich verstand natürlich Niemanden und wollte hunger und ging in die Stadt. Nach einer Stunde stand ich ebensowenig ein „Peligroso“ nehmen. Verunsichert und wieder vor der Wohnungstür, gespannt was sich dahinter mich selber fragend, was ich hier eigentlich gerade mache, abspielen würde. Da saßen die Beiden am Küchentisch. kam ein älterer Mann zu mir. In gebrochenem, aber Ein großer, schlanker Venezolaner, mit einem Tattoo verständlichem Englisch, fragte er mich, wohin ich denn gespickten Oberkörper, großer Sonnenbrille und einem wolle. „Caracas Stadt“, sagte ich. „Nein nein“, meinte er breiten Grinsen. Neben ihm, nicht weniger amüsiert, ein und klärte mich auf. Viel zu „Peligroso“, ergänzte er. Ich etwas kleinerer, fülliger Mexikaner mit fein rasiertem Bart. sollte doch gleich nach Mérida fahren, eine Stadt in den Beide schienen recht ausgelassen und zufrieden. Sie luden Anden, die auch die „Stadt der Gentleman“ genannt wird. mich ein mit ihnen zu essen. Der Mexikaner sprach zum Hier in Caracas werde ich sicher nicht glücklich, meinte er. Glück Englisch und wurde so schnell zum Zentrum der In dieser Situation war er die vertrauenswürdigste Person Kommunikation, da der Zweite nicht ein Wort Englisch am ganzen Flughafen. Ich folgte seinem Rat und er brachte sprach, aber ununterbrochen Fragen stellte. So verging mich zum nächsten Busbahnhof. Allein der Weg durch schnell eine Stunde mit den üblichen Floskeln. die Vorstadt gab mir zu verstehen, was er meinte. Ange- Andres, ein 31-jähriger Künstler aus Caracas, und Raul, kommen, ging es gleich in den nächsten Bus nach Mérida, Anfang dreißig, der schon seit über zehn Monaten in Venezwölf weitere Stunden landeinwärts. In Mérida fand ich zuela war. Beide kamen nach Mérida wegen einer Goa-Feier schnell ein schönes Zimmer in einer privaten Wohnung, und hatten auch nicht viel mehr im Kopf als feiern und die zum Teil an Touristen vermietet wurde. Dort lernte Frauen. Da Andres kein Wort Englisch sprach, übersetzte ich die zwei Personen kennen, die den Rest meines Aufent- Raul alles für uns. Er machte sich einen Riesenspaß daraus, haltes in Venezuela maßgeblich beeinflussen sollten. die Sachen anders wiederzugeben und uns gegenseitig aufs Horn zu nehmen. Ich machte am Rande einen Scherz, dass er der Teufel sei und Andres der gutmütige Engel an seiner Seite, was sich im Laufe des nächsten Monats auch noch bestätigen sollte.

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In der folgenden Woche in Mérida versuchte ich bei einer Privatlehrerin Spanisch zu lernen. Das Ganze gestaltete sich eher schwierig, da ich mich immer besser mit Andres und Raul verstand und wir jeden Abend ausgingen. Nach einer Woche musste Andres zurück nach Caracas und lud mich ein, ihn dort zu besuchen. Raul blieb in der Wohnung. Wir verbrachten noch eine Woche in Mérida, bevor wir zusammen mit einem Mädchen, Nagarie, in Richtung Caracas aufbrachen. Wir beschlossen ein paar Tage bei Andres zu verbringen und dann zu viert weiter Richtung Karibik zu fahren, was ohnehin mein Ziel war. Anfangs war das Reisen mit Raul sehr angenehm, da er natürlich alles Organisatorische übernahm. Andererseits war ich abhängig von seinen Launen und trottete manchmal einfach hinter ihm her. Auch Nagarie fuhr das erste Mal aus den Bergen heraus und wusste nicht wirklich was sie wollte. Andererseits war es ziemlich spannend nicht zu wissen, wo es als Nächstes hingehen sollte, das Ziel und den Plan nicht zu kennen und sich einfach überraschen zu lassen.

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Das Wochenende in Caracas wurde sehr chaotisch. Zum Einen stellte sich heraus, dass Andres gar nicht in der Stadt wohnte, sondern vielmehr eine Stunde Fahrzeit entfernt in einem ruhigeren Vorstadtviertel und außerdem wusste er gar nichts von dem Plan ans Meer zu fahren. Die Zeit verging schnell und wir verbrachten den Tag bei Andres. Gegen Mitternacht wurde Raul unruhig und wollte unbedingt Richtung Stadt fahren. Die folgende Diskussion machte mich ein wenig nervös. Andres argumentierte dagegen und meinte, es sei viel zu gefährlich um diese Uhrzeit. Er gestikulierte wild und signalisierte mir die ganze Zeit, dass wir hier bleiben. Nun redeten beide auf mich ein und ich wusste auch nicht mehr wirklich, was ich glauben sollte. Am Ende ließ ich mich dann aber doch von Raul hinreißen und so ergab sich auch Andres. Also starteten wir Richtung Stadt auf eine Party. Der Abend verlief dann doch wie Andres ihn prophezeite, gefährlich und chaotisch. Wir fanden die Party nicht und steuerten stattdessen verplant durch die dunkle Stadt. Raul verschwand irgendwann im Getümmel. Andres, Nagarie und ich beschlossen für die Nacht eine Pension aufzusuchen, da wir nicht mehr aus der Stadt heraus kommen würden.


Abends fing er meistens an sich zu betrinken und motzte, dass er gelangweilt sei. Die Situation wurde immer undurchschaubarer und ich wäre am liebsten einfach abgehauen. Doch aus Gemütlichkeit und Zuversicht auf Besserung Auf dem Weg mussten wir zweimal vor dunklen Gestalten seines Zustands blieb ich. Abgesehen davon, wollten wir in weglaufen. Mit Händen in der Hosentasche täuschten wir den nächsten Tagen wieder nach Caracas, von wo aus ich vor, Waffen zu besitzen, sodass der ein oder andere gar dann langsam nach Kolumbien weiterreisen wollte. Wir nicht auf die Idee kam, uns zu belästigen. Raul tauchte erst waren jetzt schon drei Tage am selben Ort und nun wurde wieder in der folgenden Nacht auf und schleppte mich und uns beiden langweilig. Raul und ich beschlossen in das Nagarie auf die nächste Party. Nach kurzer Zeit konnte er Nachbardorf zu laufen, um in eine Bar zu gehen. Nagarie aber nicht mehr gehen und überredete uns in eine Pension blieb beim Zelt und legte sich schon schlafen. Auf dem Weg dorthin gab mir Raul sein Geld und eine zu fahren, die letztendlich gar nicht existierte. Kopie seines Reisepasses, da er keine Taschen in seiner Nach diesem Wochenende, wurde mir meine Reisebeglei- Badehose hatte. Ich war gut gelaunt und auch Raul schien tung etwas unheimlich. Im nüchternen Zustand machte er recht gelassen. Angekommen, bestellten wir erstmal ein immer noch einen sympathischen Eindruck. Ich ließ mich großes Bier und genossen die kühle Erfrischung. Nach einer also trotzdem dazu überreden mit ihm und Nagarie in Weile wurde ein kleiner Mann mit blonden, langen Haaren Richtung Karibik zu fahren. Wie bereits erwähnt, war das auf uns aufmerksam und kam zu uns an den Tisch. Er fing Reisen mit ihm unkompliziert und ich fühlte mich noch gleich an in schwäbischem Dialekt mit mir zu sprechen. nicht sicher genug, ganz allein durch das Land zu reisen. Er Rainer war sein Name. Er war schon seit mehreren Jahren in beteuerte immer wieder, wie schön es dort sei und er sich dem kleinen Fischerdorf. Er blieb bei uns am Tisch und wir super auskenne und uns alles zeigen würde. Nagarie war quatschten noch ein paar Stunden. Schon gut angetrunken, sich ihrer Sache auch nicht mehr sicher und bat mich bei gingen wir noch zu ihm, um einen guten Rum zu trinken. ihr zu bleiben, damit sie nicht alleine mit ihm war. Bis jetzt Ich legte mich nach dem ersten Glas in eine Hängematte auf war ja alles gut gegangen und trotz der ganzen chaotischen dem Balkon und döste vor mich hin. Mit einem Ohr lauschte ich den Beiden. Raul erzählte ihm die selben Geschichten, Zwischenfälle war es wirklich aufregend. die er jedem erzählte, was mich nur noch mehr zum Schlaf Auf dem Weg nach Maracaibo überquerten wir eine bewegte. Ich bekam noch mit, wie Rainer uns anbot bei Landesgrenze, an der es eine Passkontrolle gab. Raul, der ihm ein paar Tage im Haus zu wohnen. Ich rappelte mich seit Monaten kein Visum mehr hatte, legte 10 Dollar in auf und wollte schon ablehnen, aber Raul willigte sofort den Ausweis bevor der Grenzer kam und alles war gut. Das ein und meinte, dass er sich um alles kümmern würde. Ich sei kein Problem, meinte er nur und stieg beruhigt wieder machte mir keine weiteren Gedanken und viel in einen in den Bus. Die nächsten zwei Wochen verbrachten wir zu tiefen Schlaf. dritt an der karibischen Küste. Da wir meistens unter uns Ein lautes Bellen weckte mich. Der Hund von Reiner waren, lernte ich Raul immer besser kennen und mir wurde hüpfte außer Rand und Band hinter dem Tor herum. klar, woher die Stimmungsschwankungen herkommen Davor stand Nagarie, völlig verstört und mit Tränen in den könnten. Es stellte sich heraus, dass er eigentlich aus einem Augen. Als sie mich sah, merkte man ihr an, dass sie erleichguten Elternhaus kam und ein Studium abgeschlossen tert war. Sie fing sofort an, mir eine wilde Geschichte zu hatte, aber seitdem eigentlich nichts Anderes machte als erzählen. Raul wäre hektisch in ihr Zelt gesprungen und zu feiern. Folglich riefen ihn seine Eltern fast täglich an und hatte in Windeseile alles zusammengepackt. Dabei hatte baten ihren Sohn, doch endlich wieder zurückzukommen. er versucht ihr klarzumachen, dass sie schnell weg müssten, Sein Zustand wurde zunehmend labiler, am Vormittag war da er und ich Probleme mit der Polizei hätten. Ich wäre er dennoch meist klar im Kopf. Wir überlegten, dass ich zu schon festgenommen worden. Sie behauptete, dass sie ihm nach Mexiko kommen und für seinen Bruder arbeiten ihm nicht geglaubt hatte und daraufhin versucht hatte könnte, dem eine Strandbar gehörte. Er erzählte mir von mich zu finden. Mir kam die ganze Sache vor, wie ein abgekartetes Spiel oder ein schlechter Scherz. Nach ihrem seinen Plänen und Träumen, heulte und lachte. dritten Nervenzusammenbruch versuchte ich ihr zu glauben. Genau wie ich, hatte auch sie all ihre Sachen im Zelt und hatte nichts Weiteres unternommen, als Raul diese in das Taxi warf, das er sich gerufen hatte. Das Einzige was uns blieb, waren unsere Schwimmsachen, Flip-Flops und ein T-Shirt. Geld hatten wir auch keins. Fassungslos und unglaublich enttäuscht, wühlte ich meine Taschen durch und spürte das Blatt Papier...

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Text: Bene Roiger

Passabel W

ir sind im Jahr 2010 angekommen. Weit kann man nun innerhalb Europas ohne Pass reisen, jede Grenze ist offen. Im Grunde genommen würde wahrscheinlich jedem anständigen Mitteleuropäer ein Büchereiausweis genügen, um von Bilbao nach Riga zu kommen. Schöne Zeiten sind das. Da kann man schnell vergessen, dass früher alles ein wenig anders war. Riesige Lappen musste man mit sich herumtragen und noch riesiger waren die Stempel, die liebevoll von misstrauischen Grenzbeamten in das Papier gedroschen wurden. Damals stieg noch das Adrenalin, wenn man sich den flachen Betonhäuschen der Grenze näherte und die Hände sich um den schon seit einem halben Jahr abgelaufenen Pass krallten, der fleischig und zerfleddert war. Ja, schöne Zeiten waren das. Heutzutage nutzt man seinen Reisepass nur noch, wenn man sich in weit entfernte Länder aufmacht. In Zeiten der unzähligen Krisen, wirtschaftlich, ökologisch sowie mental, kommt das immer seltener vor. Wenn man sich in seinem wie neu aussehenden Reisepass die vier mickrigen Stempel ansieht, die man in den letzen zwei Jahren bekommen hat, stellt man sich unweigerlich die Frage, ob die 50 Euro wirklich so gut angelegt waren oder ob man sich für das Geld nicht doch lieber mal eine neue Bahncard geleistet hätte?!

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Der neue Pass, ein wenig steifer wie sein Vorgänger, aber immer noch in schönem bordeauxrot, beinhaltet von vornherein schon Gesprächsstoff. Er ist mit 50 Euro deshalb so teuer, weil viele Menschen viele Jahre an komplizierten Techniken und Computerchips gebastelt haben, damit wir uns auf dem Flug von Frankfurt nach Teheran wieder sicher in unsere Synthetikdecken kuscheln können. Wenn wir aber nun weiter reisen wollen, sagen wir in die Vereinigten Staaten von Amerika, beginnt der etwas unschöne Teil dieses neuen Passes. Alle für immer und ewig in den Pass eingebrannten Informationen liest quasi das komplette Flughafenpersonal in Boston mit. Dort angekommen, wird man gebeten sich erst einmal ein paar Stündchen für ein kleines Gespräch „unter Freunden“ frei zu nehmen. Sind wir doch mal ehrlich, steht denn bei somalischen Extremisten das Wort „Terrorist“ im Pass. Wohl kaum. Und deshalb beziehen wir uns dann wohl doch lieber auf die Herkunft eines jeden einzelnen. In Zeiten der kulturellen Selektion an Passkontrollen wird schnell klar, dass stupide nach Bartlänge, Hautfarbe und Nationalität aussortiert wird. Die beste Tarnung, um nicht ins Raster zu fallen, wäre wohl ein Pass voller „Dom.-Rep.-Stempel” und dazu das obligatorische Pendant der Tennissockenund Unterhemdenfraktion.


Ein wenig andere Sorgen hat eine weitere Spezies von Die Amerikaner und der Guide, bei dem man sich dennoch Reisenden. Eher in der Welt der Schalentiere und Schaum- nicht sicher sein kann, ob er einen anstatt zum Flughafen weine angesiedelt gibt es auf diesem Planeten elitäre nicht ins nächstgelegene Terrorcamp fährt, haben dann Privatclubs, in denen Leute nur eines zum Ziel haben, wahrscheinlich am meisten verdient. Dabei liegt die Krise möglichst alle Orte der Welt zu bereisen. Aber nicht der quasi vor der Haustür, ein lustiger Wochenendurlaub in Kultur oder der Intention des Reisens an sich, sondern der Sächsischen Schweiz offenbart völlig neue Horizonte für ca. 1 Gramm Tinte in ihrem Reisepass. Sie sammeln am schönen schwarz-rot-goldenen Himmel... manisch diese bunten Stempel, wie man früher Fussball- Alles sehr komisch, dieser Hype um den Reisepass. Wir bilder sammelte, mit dem einzigen Unterschied, dass betrachten es als Selbstverständlichkeit, eher noch als man als Meilensammler daheim verdammt viel Fahrrad Mühe, sich einmal in 5 bzw. 10 Jahren aufs Kreisverwalfahren müsste, um seine CO2-Bilanz wieder auszugleichen. tungsamt zu quälen und den ganzen Tag neben Menschen Später auf dem heimischen Divan werden dann die Schätze zu sitzen, die zum Teil darauf warten, überhaupt irgend begutachtet und diskutiert, welche Ländereien man noch eine Identität zu bekommen. Sie können nur lachen, wenn braucht, um alle 193 voll zu haben. Dannach bleibt nur wir ihnen unseren vollgestempelten Reisepass vor die Nase halten und ihnen stolz erzählen, dass wir letzten Sommer noch der Mond. Ein weiteres Phänomen am Reisehimmel zeichnet sich bis nach Australien gekommen sind. Wenn ihr Pass in im Lager der Abenteurer und sogenannten Backpacker unserem Land nicht eher nachteilig für sie wäre oder ab. Klischeebelastet mit Dreadlocks und Blackberry in geschweige denn sie überhaupt noch eine Identität auf der Hand gehen sie auf Passstempeljagd in Krisengebieten. Papier und in der Realität besitzen würden, sie würden uns Es ist „in“ geworden, möglichst viele Krisengebiete dieser Geschichten erzählen, bei denen wir langsam begreifen für Erde “besucht” zu haben. Im Grunde genommen läuft die was dieses Stück Papier eigentlich steht. Denn wie heißt ganze Sache so ab: Man bezahlt viel Geld an einen Guide, es so schön: Auf dem Papier ist jeder Mensch gleich, oder? der einen durch mysteriöse Beziehungen ins gelobte, aufregende Land der Krise bringt, was aber auch wirklich nur dann zählt, wenn Kinder sterben und Leute wild mit Waffen herumfuchteln. In Wirklichkeit wird man über die Grenze gekarrt, holt sich seinen „Irak-Stempel“, macht ein paar Fotos, trinkt eine Cola und fährt wieder zurück.

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Text & Foto: Philipp Masur

Reisen ohne Zeit I

ch verlasse Deutschland im Sommer und gehe nach Australien in den Winter. Dennoch gehe ich von kalten Regentagen in warme Sonnentage. Andere Seite der Erde, verkehrte Welt. Ich packe die kurzen Hosen aus. Angekommen gibt es gutes Barbecue und schales Bier. Mein von Becks & Co verwöhnter Gaumen spricht noch nicht australisch. Meinen Nachnamen hab ich zusammen mit dem Alltagsstress in Deutschland zurückgelassen. Jetzt bin ich „Phil“ und ein „ good mate“. Täglich auf der Suche nach einem neuen Foto. Aborigine: Klick! Sydney Opera House: Klick! Klick! Klick! 3 Monate später ist mir „Carlton Draught“ ein Genuß und die Hitze unerträglich. Queensland verspricht Sonnenbrand und Strand, sowie Kängurus – Klick! - im Zoo. So ziehe ich von Herberge zu Herberge und lerne eine neue Nation kennen: die Backpacker. Mein Rucksack zeichnet mich zwar als eben solchen aus, doch hat der gemeine Backpacker doch nur allzu wenig mit mir selbst gemein. So glaube ich. Er lässt sein Zeug im ganzen Zimmer liegen, schläft den ganzen Tag, verschwindet dann für die Nacht und weckt mich zu früh mit seinem Schnarchen. Trotz allem werden es die bis dato schönsten Wochen, mit dem Highlight der Schwerelosigkeit unter Wasser. Nie getaucht und dennoch sofort verliebt. Das Great Barrier Reef, ein Muss.

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Nach einem halben Jahr Australien verliere ich mich wieder in Abläufen, Routinen und geregelter Planung. Es ist Zeit. Zeit für Neuseeland. Es ist das Land, dass ich aus „Herr der Ringe“ kenne und über das ich sonst nichts weiß. Entgegen der normalen Tradition „ Jugendherberge“ ist in Neuseeland eine andere Reiseart vorteilhafter: das Wohnmobil. Und so fuhr ein kleiner Wagen in Richtung Berge. Halten wo es einem beliebt, fahren wo es einen nicht hält. So einfach ist das Leben für die kurze Zeit. Für eine Weile fühle ich mich wirklich frei. Frei zu tun und zu lassen. Es vergehen Tage, da wird viel gefahren, viel fotografiert, lange gewandert, in Kanus gepaddelt. Aber genauso treffe ich auf die neuen Tage. Die Tage, an denen das nichts-tun ebenso bedeutungsvoll wird. Es ist an einem dieser Tage, dass ich an den Lake Tekapo mitten auf der Südinsel Neuseelands komme. Zufällig, denn ich floh vor einer Schlechtwetterfront, die ich irgendwo in Mittelerde hinter mir gelassen habe. Im ersten Moment erscheint der See wie Kaugummi, fremd und seltsam. Dann rieche ich die Flora, dann sehe ich die Fauna und finde einen Campingplatz, der umringt vom Hochgebirge, gelegen an einem kleinen Nachbarsee, an Perfektion nahe

herankommt. Die Nacht eröffnet den klarsten Sternenhimmel, den ich je gesehen habe, der Morgen den Blick auf einen nahe-gelegenen Hügel. Die Aufgabe für heute. Ein kleiner Weg erlaubt meinem Campervan den Aufstieg. Angekommen. Angekommen an dem Punkt an dem ich theoretisch die Welt überblicken kann. Zumindest gefühlte Tausend-Kilometer Umkreis. Weit und breit nichts, außer weiten Ebenen, gesäumt mit Zucker bestäubten, überdimensionalen Fingerhüten. Ich laufe an den Rand der Hügelspitze. Vor mir türmen sich die Wolken zu dramatischen Formationen, werfen dunkle Schatten auf die unendliche Ebene. Die Luft riecht nach Leben. Die Gedanken woanders, Farbe und Licht spüre ich auf der Haut. Klick! Ich packe meine Kamera weg und schaue zum ersten Mal nicht durch die Linse. Ich setze mich auf den warmen Stein zu meiner Rechten. Die Oberfläche passt angenehm als Sitzfläche. Ich schaue auf, Stille, und ich tauche ein in einen Augenblick Zeitlosigkeit.

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Text & Foto: Jonas Schlichter

9 große Monate Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt des Reisens, der leicht übersehen wird, ist die Verpflegung. Denn egal wie lange die Reise, welches Ziel, was die Motivation, eine Grundvoraussetzung braucht es: ausreichend Energie um seine Freiheit auszuleben. Doch was hier auf den ersten Blick wie idyllisches Campen in freier Natur aussieht, ist in Wahrheit nur die Ruhe vor dem Sturm. Verpflegung bei der Bundeswehr, eine Erinnerung an 9 „große“ Monate, die es so in dieser Form bald nicht mehr geben wird, wenn man der aktuellen Politik Glauben schenken mag. Doch Sparzwang hin oder her. Wie gesagt, jede Reise ist nur so gut wie ihre Verpflegung, auch wenn gehaltvoll, hat es meistens nicht geschmeckt. Doch zum Glück waren die Märsche kurz und das Wetter meist gut. Also vielleicht doch mehr Campinggefühl, als die dauernde Angst an der nächsten Ecke Opfer eines Anschlags zu werden, denn letztlich war es nur irgendwo in Deutschland, und keine Reise nach Afghanistan.

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Text & Foto: Philipp Masur

Schlaflos in China Man möchte meinen, dass Chinesen einen gesegneten Schlaf haben. Noch nie hab ich so viele Menschen tagsüber inmitten des städtischen Treibens einfach die Schuhe ausziehen, sich hinlegen und innerhalb der nächsten paar Sekunden einschlafen sehen. Eine sehr nützliche Fähigkeit, die ich hätte gebrauchen können, als in den Hutongs von Beijing, direkt neben meinem Fenster die Neujahrsfeuerwerke einfach kein Ende nahmen. So stand ich dann doch auf, und schaute den Chinesen beim entfachen irrwitziger Feuerwerkskörper zu, die nichts außer laut knallen konnten.

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Text: Mario Kliewer Fotos: Marie Fischborn

Am Beginn unserer Reise S

o fängt es an. Der Beamte hinter der Glasscheibe schaut mir gelangweilt ins Gesicht. Nachdem er routiniert zwei Stempel in meinen Ausweis gestampft hat, winkt er mich mit einem kurzen Kopfnicken durch die Kontrollschleuse. Gepäckwagenschlangen, Familien mit riesigen Kofferbergen und andere Backpacker kreuzen meinen Weg durch die klimatisierte Eingangshalle. Am Ausgang peitscht mir Hitze ins Gesicht. Schlagartig wird mir bewusst, wie müde ich bin. Mein Rucksack scheuert auf meinen Schultern und ich bräuchte dringend eine Dusche. Trotzdem bin ich irgendwie glücklich. Die Tristesse der Transiträume und die lähmende Passivität in der Enge der Flugzeugkabinen liegen hinter mir. Eine neue Welt saugt mich rücksichtslos in sich auf. Sie lässt mir wenig Zeit. Ihr gleißendes Licht blendet meine Augen; die Konturen der Menschen und Autos um mich herum verdeutlichen sich nur langsam. Die Zeit reicht kaum, um erste Gerüche einzuatmen. Sofort nachdem ich die Halle verlassen habe, bestürmen mich die Taxifahrer; streiten darum, wer mich in die Stadt bringen darf. Einen Moment genieße ich es und lächle ihnen müde zu. Sie sind mein erster menschlicher Kontakt hier. Schließlich wende ich mich mit einem dankenden Kopfschütteln ab. Ich habe den Bus entdeckt, verstaue meinen Rucksack im Gepäckraum, bezahle den Busfahrer und sinke erleichtert in einen der hinteren Fenstersitze. Nach unzähligen Stunden im Nirgendwo des internationalen Flugbetriebs bin ich wieder unterwegs.

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Oder begann diese Reise früher? Zuhause, auf der Landkarte: mein Blick blieb an verheißungsvollen Orten hängen. Städte, deren mythische Namen ich aus Büchern kannte. In meiner Phantasie wurden sie lebendig. Lärmende Straßen rauschten mir in den Ohren. Ich hörte Marktschreier, welche ihre Waren in ihrer mir fremden Sprache anpriesen. Der staubige Geruch grauer Betonfassaden kitzelte meine Nase und schreiende Neonreklamen färbten die umliegenden Glaswände in ein grellbuntes Licht. Mein Blick zog weiter auf der Karte. Hoch ins Bergland, wo die Menschen in kleinen Steinhütten und engen Tälern leben. Bergbewohner, rau aber herzlich, deren unendliche Gastfreundschaft oft verlegen macht. Ich folgte Wasserläufen. Blauen weitverästelten Bächen zunächst, gespeist aus unzähligen kleinen Quellen, die zusammenfließen und weiter unten, in den Ebenen zu breiten Strömen anwuchsen; großen Lebensadern, die das Land ernähren und mit Energie versorgen; die zu Seen gestaut wurden und sich schließlich in breite Deltas aufgefächert ins Meer ergießen. Gedankenversunken verweilte ich dort – am Meer. Auf der Karte nur als große blaue Fläche dargestellt, begrenzt von der Küstenlinie. Ich stellte mir vor wie ich am Strand sitzen werde mit einem Bier in der Hand und wie meine Gedanken abschweifen bis zum Horizont und darüber hinaus. Wie ich mit anderen sternenklare Nächte durchfeiere. Mit Zufallsbekanntschaften, die meinen Weg kreuzen und mit denen alles möglich scheint. Und doch scheint meistens klar, dass unsere Wege sich bald wieder trennen werden. Dann fällt mein Blick auf die Grenzlinien. Politische und historisch gewachsene Grenzen, die sich dem Reisenden in den Weg stellen.

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Mal dem Verlauf eines Flusses oder einer Bergkette folgend, mal schnurgerade durch eine Wüste gezogen, oft friedlich, aber oft auch umkämpft und nicht so sicher, wie die Karte es zu suggerieren vermag. Die Linien auf der Karte unterscheiden sich nur durch ihre Form. Von Durchlässigkeit, Beschaffenheit und Entstehungsgeschichte der Grenzen eines Landes erzählt die Karte nichts. Mir kommen die Grenzen meines Heimatlandes in den Sinn. Und ich frage mich, ob ich und viele andere meiner Generation nicht schon früher zu reisen begannen. Wir wurden Nomaden damals. Nach dem Einreißen der Mauer konnten endlich wieder alle Menschen in unserem Land frei verreisen. Wir begannen umherzuziehen – von Gemeinschaft zu Gemeinschaft, von Ort zu Ort. Überall verstanden, nicht immer richtig, manchmal empfangen wie zuhause, manchmal unerwünscht und oft nur auf der Durchreise. Der Fall der Mauer war nicht nur für unsere Eltern längst fällig. Sie konnten sich somit ihre langersehnten Reisewünsche erfüllen. Auch für uns war er notwendig. Denn nur dadurch konnten auch wir uns auf den Weg machen.

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Heute reisen wir umher. Wir entdecken fremde Kulturen, wachsen an Erfahrungen, tauschen Wissen und bereichern uns an der Poesie dieser Welt. Überall finden wir unseresgleichen. Mal kurz, mal auch länger und manchmal für immer, legen wir gemeinsame Wege zurück. Unsere Heimat ist global geworden. Zuhause können wir heute überall sein, verbunden durch Sprache, Kultur und unsere gemeinsame Herkunft. Einige kehrten von ihren Reisen nicht wieder in ihr Herkunftsland zurück. Sie bevorzugten das Leben in der Fremde. Die meisten aber verlassen es nur ein-, manchmal zweimal im Jahr. Nach wenigen Wochen kehren sie mit neuen Erzählungen, Bildern, Geschmäckern und Gerüchen im Gepäck zurück. Erinnerungen, die dabei helfen, gemeinsam lange graue Winter zu überstehen. Erinnerungen, die unsere Phantasie am Leben halten und unser Fernweh nicht zur Ruhe kommen lassen. Oft dauert es nicht lange, bis wir nach dem nächsten Ziel Ausschau halten. Damals, 1989, sind wir wieder in Bewegung geraten. Der Bus verlässt das Flughafengelände und fädelt sich auf die Schnellstraße in Richtung Stadt ein. Vor dem Fenster fliegen erste staubige Vororte vorbei. Die Gegenwart der Reise empfängt mich und schnell vergesse ich ihren Beginn. Es wird Zeit weiterzuziehen.

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Impressum Über da! «da!» ist die Laureatsarbeit von Jan Kliewer an der Freien Universität Bozen Inspiriert durch eigene Reisen und viele Erzählungen von Freunden, Verwandten und Bekannten ist da! der Versuch persönliche Reiseerfahrungen und -erlebnisse zu dokumentieren. “Herkömmliche” Reisezeitschriften spielen oft mit plakativen Bildern und versuchen dem Leser Werte und Vorstellungen eines Ortes zu vermitteln, die “pauschal” nacherlebt werden sollen. da! stellt sich dem entgegen und versucht skurrile und außergewöhnliche Reiseerlebnisse zu erfassen. Der Reisende steht dabei immer im Mittelpunkt. Man bekommt weder Tipps für die nächste Reise, noch ist eine Nachahmung gewollt. Es gilt den Leser zu eigenen Abenteuern zu inspirieren – real wie fiktiv. Erreicht werden sollen Reiselustige wie Daheim-bleibende, die sich Erzählungen von der Fremde dennoch nicht entgehen lassen möchten.

Betreut durch: Silvia Sfligiotti Gerhard Glüher

Inhalt: Alle veröffentlichten Beiträge und Abbildungen sind urherberrechtlich geschützt. Vervielfältigung, Aufnahme in elektronische Datenbanken, sowie Nachdruck bedarf der schriftlichen Genehmigung des Herausgebers bzw. der Autoren.

Herausgeber: Jan Kliewer da@jankliewer.net www.da-magazin.de

Lektorat: Ute & Hartmut Kliewer Patrick Staudt Holger Buckenlei

Typografie: Hoefler Text Frere-Jones Vitesse Book

Papier: Schneidersöhne PlanoPlus 120 g/m²

Druck: Printech Meran

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Autoren Lee Ming ist gebürtiger Chinese aus der Provinz Guangdong. Nach einem Lehramtsstudium im Fach Englisch unterrichtet er seit 1 Jahr an einer staatlichen Grundschule in Humen. Annett Hildebrand ist Dipl.-Designerin für Textilkunst. Nach ihrem Studium in Berlin, lebt und arbeitet sie heute in Dresden. Ute & Hartmut Kliewer stammen beide aus der ehemaligen DDR. Heute leben und arbeiten sie in der Südpfalz, nahe Karlsruhe. Benedikt Winkel lebt im Siegener Land. Nach 2 Semestern im Fach Wissenschaftsjournalismus an der Universität Dortmund wird er im Oktober 2010 an die Katholische Universität Eichstätt wechseln um ein Studium der Theologie zu beginnen. Franz Pallua lebt mit seiner Familie in Brixen. Seine Enkelin Sara Pallua führte das Interview. Sie ist Studentin im Fach Design an der Freien Universität Bozen. Otto Thiel wurde 1888 geboren. Er war Feldpostmann im 1. und 2. Weltkrieg. Fotos und Informationen stammen von seiner Tochter Barbara Petersdorff, die heute in Berlin lebt. Rupert Dangl war SS-Hauptsturmführer im 2. Weltkrieg. Geboren 1919 in Niederösterreich, meldete er sich im Jahre 1937 aufgrund hoher Arbeitslosigkeit und damit verbundener Nöte freiwillig zur SS-Verfügungstruppe. Der veröffentlichte Text entstammt seiner Autobiographie, die von seinem Enkel Andreas Goebel, Student an der Freien Universät Bozen, eingereicht wurde. Emma Bijloos lebt und studiert in Amsterdam. Nach ihrem Bachelorabschluss im Fach Kulturwissenschaft an der Erasmus Universität in Rotterdam, arbeitet sie nun am Goethe Institut in Amsterdam und bereitet sich auf ein Masterstudium im Fach Journalismus vor. Florian Hill, geboren 1984, lebt in Silz im Tiroler Oberland. Er studiert Geografie, Deutsch und Sport an der Pädagogischen Hochschule Tirol. Schon im Alter von 5 Jahren unternahm er zusammen mit seinem Vater erste Bergtouren. Seit nun mehr 5 Jahren führen ihn Expeditionen unter extremen und subarktischen Bedingungen in die abgelegensten Regionen der Erde. Seine aktuelle Tour, die Erstbesteigung des Illimani Southface in den Bolivischen Anden dauert bei Redaktionsschluss an. Paul Voggenreiter stammt aus München. Nach seinem Schulabschluss im Jahr 2004 begab er sich zunächst auf Reisen, unter Anderem nach Südamerika. Seit 2007 studiert er Design an der Freien Universität Bozen. Bene Roiger stammt auch aus München und ist ebenso Student im Fach Design an der freien Universität Bozen, allerdings erst seit 2009. Er hat eine Vorliebe für Gips- und Betonmodellbau, sowie Sprachgesang jeglicher Art. Philipp Masur kommt aus der Südpfalz und studiert Politik, BWL und Philosophie an der Gutenberg Universität in Mainz. Im Jahr 2009 konnte er ein Austauschjahr in Sydney absolvieren. Jonas Schlichter hat nach dem Abitur im Jahr 2005, 9 Monate fürs Vaterland gedient. Zur Zeit studiert er Französisch, Geschichte und Politik an der Gutenberg Universität in Mainz. Im Jahr 2009 konnte er 2 Semester an der Université François Rabelais in Tours, Frankreich, studieren. Mario Kliewer lebt und studiert in Dresden. Nach erfolgreichem Abschluss des Bachelorstudiums folgt nun der Masterstudiengang im Fach Geschichte und Philosophie. 2010 konnte er ein Erasmussemester an der Université de la Réunion in St. Denis machen. Direkt im Anschluss macht er ein Praktikum am Goethe Institut in Windhoek, Namibia. Marie Fischborn lebt und studiert in Leipzig. Zusammen mit Mario Kliewer konnte sie ein Auslandssemester an der Université de la Réunion in St. Denis machen. Zur Zeit schreibt sie ihre Masterarbeit im Fach Biologie in der Mongolei.

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