HANDWERTE

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3.3. Umsetzung

Anhäufung von Arbeitsmaterialien – ein stilles Zeugnis von dem, was einmal war. Mit dem Handwerker im Zentrum bekommt das Bild dagegen etwas Erhabenes und in-sich-ruhendes. So als würde er dem Betrachter für einen Moment erlauben, ihn in seiner Werkstatt zu besuchen. Man kann sich unter seiner Aufsicht umsehen und allerlei Dinge entdecken. Durch den immer leicht unter der Augenhöhe des Handwerkers gewählten Betrachterstandpunkt wird eine gewisse Unterlegenheit erzeugt. Gleichzeitig werden so die Könnerschaft und der Stolz des Portraitierten auf seine Arbeit herausgehoben. Manchmal ist der Blick direkt in die Kamera gerichtet, manchmal wirkt er tief versunken, wirkt selbstbewusst oder der Handwerker schaut aus dem Fenster. Diese Unterschiedlichkeit soll den jeweiligen Charakter der Person unterstreichen. Der eine ist von Natur aus eher bescheiden und zurückhaltend, der andere kann begeistert Geschichten über sein Arbeitsleben erzählen. So wie bei jedem Menschen kann auch der Handwerker nicht in eine Schublade einsortiert werden, die seinen Typus mustergültig verkörpert. Um diesen Eindruck zu verstärken, sind bei jedem Handwerker Interviews entstanden, die uns nochmal einen tieferen Einblick in die Arbeits- und Denkweise ermöglichen. Die Fragen ähneln sich, damit man die Aussagen auch untereinander vergleichen kann. Manche Antworten waren wirklich verblüffend ähnlich, gerade wenn es darum ging, was den Handwerkern an ihrer Arbeit gefällt oder wie sie sich ihren Lebensabend vorstellen.

Exemplarisch stelle ich in meiner Arbeit 15 verschiedene Handwerksberufe dokumentarisch vor: Die Blaudruckerin, den Formstecher, den Gerber, den Glasschleifer, den Leitermacher, den Kürschner, den Büchsenmacher, den Medailleur, den Stockmacher, den Zangenschlosser, den Holzblasinstrumentenbauer, den Messerschmied, den Kamera-Reparateur, den Senfmüller und den Glasbläser. Für mich stehen weniger technische Abläufe im Mittelpunkt meines Interesses, als vielmehr der darin arbeitende Mensch mit seiner für ihn typischen Umgebung. So entschied ich mich zum einen für ein Detailfoto der Hände (Abb.), die ihr Produkt halten oder es gerade herstellen. Wie bereits erwähnt, ging es mir nicht um die Bewegung der Hände, sondern um die Oberfläche – um Spuren der Handarbeit an den Händen. Wenn man die entstandenen Fotos vergleichend nebeneinander hält, kann man sehen, wie unterschiedlich die Hände in ihrer Beschaffenheit ausgeprägt sind. Das liegt zum einen natürlich an ihrer individuellen Anatomie, was Größe und Form betrifft; es lassen sich aber auch Rückschlüsse auf die Art der Arbeit ziehen. So sind die Finger des Kürschners sehr fleischig, da er viel Kraft in sie legen muss, um Felle oder Leder zuzuschneiden – er führt überwiegend sehr grobe Arbeitsgänge aus. Dagegen sind die Hände des Holzblasinstrumentenbauers ausgerichtet auf filigrane Arbeiten. Die Hände des Stockmachers sind verfärbt durch die Gerbsäure, die Fingerkuppe des Leitermachers ging während seines Arbeitslebens durch einen Unfall verloren. Wir erfahren also eine Geschichte zu den jeweiligen Händen, wir sehen welches Produkt sie herstellen und haben eine Ahnung davon, was sie leisten können. Sie haben für uns die Anmutung von Fleisch gewordenen Werkzeugen – es sind ‚denkende Hände‘.

Alle Fotografien sind im Querformat aufgenommen, da so, gerade beim Portrait in der Werkstatt, mehr Details des Arbeitsraumes eingefangen werden konnten und es damit eine Sichtebene auf die Dinge und die Person gibt. Bei den Fotos der Hände entschied ich mich ebenfalls durchgängig für dieses Format, da die Grundform der Hände bereits ein Rechteck bildet. Diese Herangehensweise war außerdem vorteilhaft, da meist beide Hände zu sehen sind, die auf einer Schärfeebene liegen sollten. Im Hochformat wäre dies technisch wesentlich schwieriger gewesen. Durch die Verwendung des Querformates ist es mir zusätzlich möglich, die Arbeit – gerade im Hinblick auf eine Ausstellung – auf unterschiedliche Weise zu kombinieren.

Das zweite Foto zeigt den Handwerker in seiner Werkstatt (Abb.). Er ist bewusst in die Mitte des Bildes gerückt, weil er buchstäblich der Mittelpunkt dieser Werkstatt ist und ihr Leben einhaucht. Ohne ihn wäre die Werkstatt nur ein Raum mit einer

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