crescendo 4/2014, Premium Ausgabe Juni - Juli - August 2014

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Ausgabe 04/2014 Juni – Juli – August 2014 www.crescendo.de 7,90 Euro (D/A)

PREMIUM AUSGABE

CD

inkl.

Schwerpunkt

OPer

Warum die wichtigste Form aller Künste wieder mehr Beachtung braucht Interviews Pablo Heras-Casado Anna Prohaska Khatia Buniatishvili Valer Barna-Sabadus Werner Güra Chilly Gonzales

Thomas Hampson Der Starbariton über die Wissenschaft des Liedgesangs, sein neues Strauss-Album & die Rolle des Pandabären B47837 Jahrgang 17 / 04_2014

Mit Beihefter Class Aktuell

MUSIKALISCHER BOTSCHAFTER Saison 2014/15 Kreative Konzertreihen mit GMD Karl-Heinz Steffens und der Deutschen Staats­ philharmonie Rheinland-Pfalz


Nu r s bei ubno i m nASie jetzt!

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WIR FEIERN 85 JAHRE LORIN MAAZEL


p r o l o g

Die Oper Lebt!

winfried hanuschik Herausgeber

Liebe Leser, ich bin auf dieser Seite in der glücklichen Lage, ganz offen Werbung für die Geschichten und Autoren in unserem Magazin zu machen. Diesmal trifft es den Kollegen Attila Csampai, der uns in seiner Kolumne jedes Mal mit seinen unterhaltsam formulierten Texten über seine Lieblings-Klassikalben bereichert. Attila ist aber nicht nur CD-Freak, sondern auch Opern-Junkie. Die Oper, so Csampai, sei „ein Überlebensmittel der Seele, der heiligste Bezirk unserer Phantasie, die glühendste Illusion und die gegenständlichste Ausformulierung unserer emotionalen Existenz“. Stimmt. Haben aber viele vergessen. Oder hat ihnen noch keiner gesagt. Deshalb baten wir Csampai, uns doch ein Plädoyer für die schönste und wichtigste aller Klassik-Veranstaltungen zu schreiben. Ich habe den Text natürlich schon gelesen, deshalb kann ich Ihnen jetzt nur empfehlen, es mir gleichzutun (Seite 60). Ich wette, Sie nehmen im Anschluss den Programmplan Ihres nächstgelegenen Opernhauses zur Hand, um mal wieder hinzugehen und Opernluft zu schnuppern. Im täglichen Allerlei kommt man einfach viel zu selten dazu. In der Vorbereitung des Opernschwerpunkts rief mich Selcuk Cara an, ein türkischer Tenor, und beklagte, dass Türken in der Oper – vor allem in Deutschland – nicht ernst genommen

werden, und erzählte von seiner Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule: „Aha, ein Türke ... Spricht der überhaupt Deutsch? Hat der überhaupt das Abitur?“, hätten die Professoren gefragt und gelacht. Ohne zu merken, dass Cara bereits im Raum war ... Ein deutsches Staats­ theater schickte den geborenen Frankfurter und DiplomOpernsänger mit Schwerpunkt „Deutsches Fach“ aufgrund seiner türkischen Staatsbürgerschaft erst mal in den Sprachkurs Deutsch. Für solche Themen bin ich immer offen. Also baten wir auch den Chefredakteur des türkischen Klassikmagazins Andante, Serhan Bali, uns über die Rolle der Türkei in der klassischen Musik aufzuklären. Dass Cara und Bali am Ende zu aufrichtigen und doch ganz unterschiedlichen Einschätzungen kommen, zeigt, wie viele Gesichter die Wahrheit hat (Seite 66). Einer der anerkanntesten Spezialisten und glühendsten Verehrer des deutschen Kunstlieds hatte nicht so sehr mit seiner Herkunft als USAmerikaner zu kämpfen: Thomas Hampson. Er gab uns für diese Ausgabe ein intelligentes und sehr reflektiertes Interview – und offenbarte zum Schluss eine sehr menschliche Seite: Hampson liebt Tiere, und wenn er auf seinem morgendlichen Spaziergang an einer Weide vorbeikommt, grüßt er die Kühe. Außerdem liebt er Panda­ bären. Er sagt: „Wer sonst darf so faul den ganzen Tag mit Fressen verbringen und wird trotzdem so geliebt?“ Das komplette Interview finden Sie auf der Seite 22. Herzlichst,

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Fotos Titel: Marco Borggreve; Frank Vinken

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Ihre Abo-CD In der Premium-Ausgabe finden Sie nicht nur doppelt so viel Inhalt: mehr Reportagen, Porträts, Interviews und ­ Hintergründe aus der Welt der Klassik – in einer besonders hochwertigen Ausstattung, sondern auch unsere ­ crescendo Abo-CD. Sie ist eine exklusive Leistung unseres c­ rescendo Premium-Abonnements. Premium-Abonnenten erhalten sechs Mal jährlich eine hochwertige CD mit Werken der in der aktuellen Ausgabe vorgestellten Künstler. Mittlerweile ist bereits die 48. CD in dieser crescendo Premium-Edition erschienen.

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08152014

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P r o g r a mm

Sie meinen, ein Seniorenheim kommt für Sie

nicht in Frage?

Tertianum Residenz München Informationen unter 089 230020 www.tertianum.de

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20 Khatia Buniatishvili Wer verbirgt sich hinter der eigenwilligen Pianistin?

35 Don Carlo Wie ist die neue DVD des Opernklassikers von Giuseppe Verdi mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros?

STandards

Künstler

hören & Sehen

03.... Prolog Der Herausgeber stellt die Ausgabe vor. 06.... Ensemble Mit unseren Autoren hinter den Kulisssen. 08.... Blickfang Zwei halbnackte Menschen laufen eine Treppe hinunter. Warum? 10..... Ouvertüre Ein Anruf bei... Chilly Gonzales. Vergleich: Der überforderte Dirigent Warum weniger manchmal mehr ist. 30.... Nachrufe Abschied von Gerard Mortier und Paco de Lucía. 35.... Impressum

14..... Ein Kaffee mit ... einem sehr entspannten Pablo Heras-Casado. 17..... Erste Male Künstler erzählen von ihren ersten Begegnungen mit der klassischen Musik. 18..... Peter Gülke Der Dirigent erhält den Ernst von Siemens Musikpreis. Eine (kleine) Laudatio. 20.... K Hatia Buniatishvili Ein Gespräch mit der Pianistin, die man aus 1000 Künstlern heraushört. 22.... Thomas HamPson Der Weltstar ist der Gralshüter des Liederabends. 26.... A nna Prohaska Die Sopranistin beschäftigt sich auf ihrem neuen Album mit dem Thema Krieg. 28.... W erner Güra Der Tenor über seine ambivalente Beziehung zur Oper.

58.... R ätsel des Alltags 68.... KOMMENTAR Axel Brüggemann über die Chance der Oper. 82.... Hope triffT... ...Uli Bader, den Chef des Teatro del Lago in ­Patagonien.

31..... DIE WICHTIGSTEN EMPFEHLUNGEN DER REDAKTION 32.... Attilas Auswahl Die wichtigsten Empfehlungen unseres Kolumnisten. 40.... Kolsimcha Die unglaubliche Geschichte einer AlbumVeröffentlichung des Schweizer Quintetts. 43.... U nerhörtes & Neu Entdecktes: Christoph Schlüren über die Münchner Partiturserie Opera Explorer. 44.... Ak ustik Die neue Lust am alten Klang.

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Fotos: Alexandre Isard; Esther Haase / Sony Classical; Monika Rittershaus

Willkommen bei Tertianum! Im kultivierten Ambiente unserer 5-Sterne-Residenz im Herzen von München leben Sie in großzügigen Wohnungen von 44 bis 150 qm. Genießen Sie das anregende Kulturprogramm, den aufmerksamen Service und die gute Küche. Bei Bedarf finden Sie erstklassige Betreuung und Pflege in Ihrer Wohnung oder in einem unserer exklusiven Einzelpflege-Apartments.

10 Chilly Gonzales Ein Anruf beim Pianisten, der nun auch ein Etüdenheft herausbringt.


Musik für die

Ewigkeit

XIII. Festival Internazionale di Musica e Arte Sacra in den päpstlichen Basiliken Roms

22. – 26. Oktober 2014

46 Villa Papendorf Wie aus einem verkommenen Haus bei Rostock eine Klassikinstitution wurde.

63 Valer BarnaSabadus Der Countertenor zum 300. Geburtstag von Christoph Willibald Gluck.

80 Smoking? Yes Die neuesten Kreationen und für welches Festival sie taugen...

erleben

gesellschaft

Lebensart

Fotos: Villa Papendorf; Arne Schultz; Anatol Kotte / Mercury Classics / DG

46.... M usikabende Ein sehr unterhaltsamer Besuch in der KünstlerVilla Papendorf. 48.... K reatives Orchester Die Deutsche Staatsphilharmonie RheinlandPfalz will Botschafter ihres Landes sein 50.... Oper im Kino Die neue Alternative zu weiten Reisen und teuren Eintrittskarten? 52..... Vorschau Die wichtigsten Termine von Juni bis August Exklusiv für Abonnenten Hören Sie die Musik zu u­ nseren Texten auf der ­crescendo Abo-CD – exklusiv für Abonnenten. Infos auf den Seiten 3 & 77.

59..... K lassik in Zahlen 60.... Schwerpunkt Oper Attila Csampai, Experte und Fan gleichermaßen, über die Wichtigkeit des wichtigsten Kulturguts. 63..... valer Barna-Sabadus Der Tenor über Christoph Willibald Gluck. 64.... Statistenrolle crescendo-Autorin Barbara Winterstetter durfte in Bayreuth auf die Bühne. Ein Erlebnisbericht. 66.... Türkische Oper Ist die Türkei schon in der westlichen Hochkultur angelangt? 70.... Woher kommt... ...Glucks Arie „Ô malheureuse ­Iphigénie“?

Erleben Sie den Glanzpunkt des Jahres! Ein Geschenk für Liebhaber sakraler und klassischer Musik! Organisiert von der Stiftung Fondazione Pro Musica e Arte Sacra und deren Präsident Dr. Courtial. Höhepunkt: Schuberts ‚Lazarus‘ mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Ingo Metzmacher!

72..... Reise Wie aus einer Idee der englischen Geigerin Mary Portman eines der schönsten Wellness-­ Hotels der Alpen wurde. 74..... Haubenlokale Die Festspielstadt Salzburg im Gourmet-Test. 75.... Termine & Reisetipps

Alle Aufführungen in den atemberaubenden päpstlichen Basiliken Sakrale Meisterwerke auf höchstem Niveau Spezialprogramm buchbar u.a. mit Privatbesichtigung der Sixtinischen Kapelle! Fragen Sie unseren Sonderprospekt an.

76..... WEinkolumne Dirigent John Axelrod findet den richtigen Wein für die Musik von Christoph Willibald Gluck. 78.... Eva Lind Die Sängerin ließ sich für ihr neues Album in Vivienne-Westwood-­ Roben ablichten. Wir trafen sie. 80.... Garderobe Ein paar Inspirationen für den Mann zum Festspielsommer, rein optisch gesehen.

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Information & Buchung COURTIAL REISEN GmbH & Co. KG Oranienstraße 11 · 65604 Elz Tel. 0 64 31- 95 61 0 · Fax 0 64 31- 95 61 50 E-Mail: info@courtial-reisen.de · www.courtial-reisen.de

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E n s e m b l e

Hinter der Bühne

Die Welt von crescendo lebt von den Künstlern & Mitarbeitern, die sie mit Leben füllen. Deshalb der gewohnte Blick hinter die Kulissen der Produktion.

Katherina Knees Als unsere Autorin mit sechs Jahren auf einer Opernbühne stand, um in Bizets Oper Carmen aus voller Kehle im Kinderchor mitzuschmettern, war es um sie geschehen. Das Opernfieber lässt sie bis heute nicht los. Später verliebte sie sich in den Elefanten aus dem Karneval der Tiere, was schließlich dazu führte, dass sie ihre Jugend nicht nur in diversen Jugendorchestern verbrachte, sondern an der Kölner Musikhochschule Kontrabass studierte. Im Studium stellte sich jedoch heraus, dass es nur eine Sache gab, die ihr noch mehr gefiel, als selber zu spielen: über Musik zu sprechen und zu schreiben – dafür zu reisen, Musiker zu treffen, Konzerte zu hören und daraufhin andere Leute mit der eigenen Begeisterung anzustecken. Für diese Ausgabe traf sie den Dirigenten Pablo Heras-Casado in Köln. „Manchmal trifft man ja Menschen, mit denen man sofort auch in den Urlaub fahren würde. Heras-Casado ist so ein Typ“, sagte Knees nach dem Gespräch. (Seite 14).

Serhan Bali Für unseren Opernschwerpunkt konnten wir den Chefredakteur und Gründer des türkischen Klassikmagazins Andante gewinnen. Bali ist ein echter Kenner der Szene und führt uns mit seinem Text in die Geschichte und Gegenwart der klassischen Musik in der Türkei ein. Neben seinem Job als Andante-Chefredakteur ist Bali außerdem Jury-Mitglied der Internationalen Classical Music Awards ICMA (www.icma-info.com) und Gründer und Chefredakteur der Zeitung Opera & Ballet der Staatsoper und des Ballet Directorate der Türkei. Für den Pianisten Fazıl Say hat Bali an dessen letztem Buch – der Titel lautet, ins Deutsche übersetzt, Die Traurigkeit der Einsamkeit – mitgewirkt. Bali lebt und arbeitet in Istanbul, seine Geschichte finden Sie auf Seite 66.

Anna Novák & Eva Lind

Fotos: privat

Man trifft sich ja immer zweimal im Leben: Als unsere Redakteurin die Sopranistin Eva Lind in München zu ihrem neuen Album befragte, stellten die beiden Damen überrascht fest, dass sie vor über zehn Jahren mal in einer gemeinsamen Fernsehsendung mitgewirkt hatten (So schön ist unser Deutschland im ZDF) – Anna Novák als Statistin und Eva Lind, na klar, als Sängerin. Die Österreicherin hat nach einer erfolgreichen Fernsehkarriere jetzt wieder klassischere Pfade eingeschlagen und gerade ein Album mit französischen Liedern veröffentlicht. Uns erzählte sie von ihrem Covershooting in Vivienne-Westwood-Kleidern und warum ihr größter Traum mit Afrika zu tun hat. Los geht’s auf Seite 78.

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AKTUELLE NEUHEITEN

BEI SONY MUSIC

VITTORIO GRIGÒLO THE ROMANTIC HERO

KHATIA BUNIATISHVILI MOTHERLAND

JONAS KAUFMANN VERDI: DON CARLO

Für seine herausragende Darstellung der Heldenrollen in französischen Opern wurde der Tenor Vittorio Grigòlo hochgelobt. Auf seinem neuen Album singt er Arien aus Werther, Carmen, Faust, aber auch aus weniger bekannten Opern wie Meyerbeers L’Africaine oder Halévys La Juive.

Die ECHO Klassik-Newcomerin des Jahres 2012 spielt auf ihrer neuen CD Klavierwerke von Bach bis Pärt und von Brahms bis Kancheli – Musik, die für sie das Gefühl von Heimat und Natur vermittelt.

Auf DVD & Blu-ray: Verdis Don Carlo von den Salzburger Festspielen 2013 mit den Wiener Philharmonikern unter Antonio Pappano. Jonas Kaufmann und Anja Harteros in den Titelrollen feierten einen triumphalen Erfolg. Regie: Peter Stein

WIENER PHILHARMONIKER & LANG LANG DAS SOMMERNACHTSKONZERT

SIMONE KERMES & VIVICA GENAUX RIVAL QUEENS

L’ARTE DEL MONDO GLUCK: LA CLEMENZA DI TITO

Simone Kermes und Viviva Genaux in den Rollen der berühmtesten rivalisierenden Sopranistinnen des 18. Jahrhunderts: Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni. Viele der Arien und Duette von Bononcini, Händel, Porpora und Hasse sind Ersteinspielungen. Mit der Cappella Gabetta.

Zum 300. Geburtstag des großen Komponisten Christoph Willibald Gluck präsentieren l’arte del mondo unter Werner Ehrhardt sowie herausragende Solisten wie Valer Sabadus die Weltersteinspielung seiner Oper La Clemenza di Tito.

Die Wiener Philharmoniker, Solist Lang Lang und Dirigent Christoph Eschenbach präsentieren Werke von Richard Strauss (Burleske, Eulenspiegel) Berlioz (Carneval Romain) und Liszt (Mazeppa). Das stimmungsvolle Konzert erscheint am 13.6. auf CD und am 27.6. auf DVD & Blu-ray. www.sonymusicclassical.de

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b l i c k f a n g

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Warum laufen zwei Menschen halbnackt eine Treppe hinunter?

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Foto: Bernd Uhlig

Das Bild enstammt dem Plakat zur Aufführung von The Photographer, eine Kammeroper des amerikanischen Komponisten Philip Glass über das Leben des englischen Fotografen Eadweard Muybridge (1830-1904). Muybridge gilt mit seinen Reihenfotografien und Serienaufnahmen als einer der bedeutendsten frühen Vertreter der Chronofotografie – unter anderem gibt es eine Bilderserie von einer nackten Frau, die eine Treppe hinunterläuft. Noch imposanter aber ist seine Lebensgeschichte: Im Jahr 1874 ermordete Muybridge den Liebhaber seiner Frau, den Theaterkritiker Harry Larkins, nachdem ihm der Briefverkehr beider in die Hände gefallen war. Im darauffolgenden Prozess wurde er aber wegen „entschuldbaren Mordes“ freigesprochen. Das Thema klingt interessant, die Aufführungen sind am 5., 6. und 8. Juni 2014 im Berliner Museum für Fotografie zu sehen. Veranstalter ist das KNM Berlin. Infos unter www.kammerensemble.de


o u v e r t ü r e

Gonzales und Etüden?

Vorbild. Ein Komponist, der gleichzeitig ein Gonzo, wobei stören wir Sie gerade? grandioser Entertainer und Solist war. Ich bin gerade in meiner Wohnstadt Köln und übe Klavier. Im Juni erscheint “Re-Introduction Etudes”, ein Lehrbuch für Verraten Sie uns doch mal das Konzept Ihrer Klavier mit 24 leichten Pop-Etüden von Ihnen. Sagen Sie, Masterclasses, bei denen Sie vor Publikum warum haben Sie dieses Buch geschrieben und für wen...? Schüler auf der Bühne unterrichten? Ich mache dieses Buch, weil Musik mein Leben gerettet hat, Jede Masterclass ist individuell. Manchmal ich möchte, dass andere Leute auch diese Chance haben. wird es Gäste geben, auch Freunde von mir Musik kann eine sehr gesunde Droge sein. Wir alle wollen werden auftreten, ebenso aber die Schüler, die manchmal unserem Leben entkommen und eine der bessich vorher bewerben können. Ich habe herten Möglichkeiten dazu scheint mir die Musik zu sein. Ich vorragende und unglaublich spannende und glaube, dass Leute mit sehr geringem Aufwand sehr viel persönliche Nachrichten erhalten. Ich möchte Spaß in der klassischen Herangehensweise an die Mudie Grenze zwischen Entertainer und Publikum sik finden können, also indem sie z.B. ein Instruniederreißen und „fassbar“ sein. ment spielen und Noten lesen. Leider sind Ein2009 haben Sie sich einen Platz im Guiness-Buch führungshefte für Klavieranfänger oft sehr der Rekorde gesichert, indem Sie 27 Stunden, 3 abschreckend. Ich möchte den Leuten beiMinuten und 44 Sekunden am Klavier gespielt bringen, Freude am Musizieren und der haben, wobei keine Titelwiederholung erlaubt Musik zu finden. war. Haben Sie vorher eine Tracklist gemacht? Warum haben Sie Pop-Etüden und Nein, aber man hatte immer fünf Minuten Pause, in denen man aufs Klo gehen konnte keine klassischen Stücke gewählt? oder in den späteren Stunden, wenn einem Pop-Musik mag fast jeder und jeder ist die Ideen schon etwas ausgingen, Titelvorsehr interessiert daran. Die gute Nachschläge von Unterstützern bekam. richt ist, dass Pop-Musik sehr einfach Nach 20 Stunden war ich allerdings nachvollziehbar geworden ist. Sie ist Chilly Gonzales (42) ist ein Virtuose auf dem Klavier, ein wie in einem Rausch und ich erinneseit den 50er Jahren, spätestens den Rapper, Songwriter und Komponist, der als einer der hure mich kaum mehr an Einzelheiten. 60ern mit Bob Dylan und anderen, morvollsten Entertainer im Jazz/Pop der Gegenwart gilt. reduziert worden auf ihre Essenz. Sie sind als extrem vielseitiger Dadurch ist Pop-Musik recht einfach Künstler bekannt. Auf welches zu verstehen und man kann mit wenig Aufwand sehr viel erreichen. nächste Projekt dürfen wir denn gespannt sein? Würden Sie sich eher als Entertainer oder Pädagoge bezeichnen? Für das Int. Sommerfestival in Hamburg habe ich eine Pantomime geDas ist in meinen Augen dasselbe, ein guter Lehrer ist unterhaltend schrieben, „The Shadow“ nach einem Märchen von Hans Christian und ein Entertainer sollte seinem Publikum auch immer etwas bei- Andersen. Der Text wird dabei nur projiziert und die Handlung in die Interview: Angelika Otto bringen können/wollen. Leonard Bernstein ist da ein sehr großes Musik verlagert. 1. Avicii „True - Addicted to you“

Playlist Welche Werke hört T ­ enor Vittorio Grigòlo auf seinem iPod? Und vor allem, warum?

Ein Freund hat mir dieses Lied des schwedischen DJs geschickt und ich liebe es. Es beschreibt dieses wunderbare Gefühl, wenn man sich in jemanden verliebt. 2. John Legend „All of me“

Einfach ein wunderschöner Song – was kann ich mehr dazu sagen? 3. Barbra Streisand „Nice ‚n‘ easy“

Ich liebe Barbara seit ich ein Kind bin – sie ist eine absolute Legende! Ich höre ihre Musik besonders gerne, wenn ich mit Freunden rumhänge. 4. Robbie Williams „Rock DJ“

Wenn ich kein Opernsänger wäre, würde ich gerne ein Rock DJ sein! Ich höre mir diesen Song vor meinen Auftritten an, er hilft mir, bereit für die Bühne zu sein. Es ist unmöglich, nicht loszutanzen, wenn man dieses Lied hört! * Vittorio Grigòlos neues Album: „The Romantic Hero“ (Sony Classical)

5. Louis Armstrong „What a wonderful world“

Wer liebt dieses Lied nicht? Es ist voll von Hoffnung und Bewunderung für diese Welt und ihre Menschheit.

+++ Revolution für Musikwissenschaftler: Die Musikenzyklopädie MGG (Musik in Geschichte und Gegenwart), das wichtigste Handwerkszeug eines jeden Musikwissenschaftlers, ist bald auch online verfügbar. Die MGG Online (betrieben von den Verlagen Bärenreiter und J.B. Metzler in Zusammenarbeit mit Répertoire International de Littérature Musicale (RILM)) wird neben den Artikeln der deutschsprachigen Druckausgabe von 1998 bis 2004 Korrekturen und Revisionen enthalten. Außerdem soll es regelmäßige Updates geben. +++ Wegen Lärmbelästigung geschlossen? Dem Konservatorium der Stadt Sevilla droht laut einem Bericht der spanischen Zeitung Diario de Sevilla die Schließung. Nachbarn hatten sich über zu laute Musik beschwert. Das Konservatorium soll nun weiter auf S. 12

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Foto: Alexandre Isard

Ein Anruf bei ... Chilly Gonzales, der ein Piano-Etüdenheft herausbringt, um verhinderten Pianisten eine neue Chance zu geben.


Große Klassik zum sagenhaft günstigen Preis! Legendäre Aufnahmen aus dem Katalog der Deutschen Grammophon – empfohlen von FONO FORUM

W W W. S E L E C T E D - C L A S S I C S . D E


o u v e r t ü r e

weniger ist mehr?! Hauptberuf Daniel barenboim *1942

André Previn *1929

Yannick NézetSéguin *1975

Robin Ticciati *1983

Neueste Projekte

Nebenschauplätze

Ist das gut?

Gründete 2012 die BarenboimSaid-Akademie, eine Akademie für Nachwuchsmusiker aus dem Nahen Osten. Ansonsten ständig spektakuläre Konzerte, am 24. August z.B. das traditionelle Waldbühnenkonzert.

Always on the run: Barenboim kämpft für Völkerverständigung und Versöhnung, ist Schirmherr mehrer Vereinigungen (unter anderem der Mendelssohn Gesellschaft) und pausenloser Musikvermittler mit eigener Stiftung.

Seine Vitrine quillt vor Auszeichnungen über, u.a. acht Grammys hat er im Schrank, dazu das Bundesverdienstkreuz und zahlreiche Menschenrechtspreise. Allerdings wirkt Barenboim immer etwas flüchtig, Man merkt deutlich, dass er viele Projekte hat.

Komponist und Dirigent (leitete insgesamt sechs große Sinfonieorchester, zuletzt das Oslo Philharmonic Orchestra, als Chefdirigent - aber niemals mehrere gleichzeitig!)

Um den mittlerweile 85-jährigen ist es in diesem Jahr etwas ruhiger geworden. 2012 und 2013 wurden vier neue kammermusikalische Kompositionen uraufgeführt (unter anderem in Tanglewood, USA)

Previn begann seine Musikerlaufbahn als Jazzer, schrieb Songs und Filmmusik zu insgesamt 16 Filmen und arrangierte etwa die Musik zur Verfilmung des Musicals My Fair Lady. Previn wurde zum Ritter geschlagen.

Beruflich schon: André Previn kann auf ein beachtliches kompositorisches Schaffen und dirigentisches Wirken zurückblicken. Auch im Privatleben ein Tausendsassa: Er war fünf Mal verheiratet und ist Vater bzw. Adoptivvater von insgesamt neun Kindern.

Chefdirigent des Rotterdam Philharmonic Orchestra & des Philadelphia Orchestra, Erster Gastdirigent des London Philharmonic Orchestra, künstlerischer Leiter und Erster Dirigent des Orchestre Métropolitain

Im Juni ist Nézet-Seguin in Deutschland zu Gast: Er dirigiert bei Konzerten mit Hélène Grimaud und Gil Shaham das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.

Chefdirigent des Scottish Chamber Orchestra, seit Januar ist er außerdem Musikdirektor des berühmten Glyndebourne Opera Festival.

Dirigiert in seiner neuen Position in Glyndebourne Hänsel und Gretel, Macbeth, Die Fledermaus und Don Giovanni. Vor genau 10 Jahren feierte er in Glyndebourne sein Operndebüt!

Konzertpianist, Chefdirigent des West-Eastern-Divan Orchestra, Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden Berlin (das bereits seit 22 Jahren, sein Vertrag läuft noch bis 2022!)

G E L E S E N N O T I E R T Die Zitate des Monats

Liebt den Tennissport und Katzen und postet eigenwillige Selfies von sich in sozialen Netzwerken.

Ticciati war mit damals 20 Jahren der jüngste Dirigent, der jemals das Orchester der Mailänder Scala dirigierte.

Ist auf jedenfall ziemlich beschäftigt! Wer den Überblick verloren hat, was er gerade so macht, kann ihm auf Twitter folgen: @nezetseguin

Der Jungspund unter den Tausendsassas ist auf dem Weg zu den wichtigsten Dirigentenpulten der Welt. Sein Geheimrezept: Er geht den Karriereweg zwar schnell, aber Schritt für Schritt.

„Valery Gergiev gilt als ‚umstrittener Dirigent‘. Nicht weil ihm das Rüde und Schnoddrige in der Musik von Haus aus mehr liegt als alles feingeistig Durchwirkte und stilistisch Ausdifferenzierte oder weil er lieber um den Globus jettet, als zu proben – das tun andere auch. Gergiev ist umstritten, weil er sich aus dem Reservat der Kunst in die Untiefen der Macht gestürzt hat.“ Christine Lemke-Matwey in Die Zeit.

„Er hat ein wunderbares, aber verrücktes Feuer!“

„Brava, Conchita!“

Pietro Metastasio, italienischer Dichter und Librettist, 1748 in Wien über den diesjährigen Jubilar, den Opernkomponisten Christoph Willibald Gluck.

Putin-Protegée Anna Netrebko auf Facebook zum Sieg der bärtigen Travestie­künstlerin Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest.

„ Ich habe meine Musik noch an Straßenecken gelernt. Ich kann bis heute keine Noten lesen, wegen meines guten Gehörs war das niemals nötig.“ Jazz-Pianist Monty Alexander im Interview mit der Sueddeutschen Zeitung.

seinen Schallschutz erneuern, der Musikschule fehlt allerdings laut Medienberichten das nötige Geld. +++ Kurzes Vergnügen: Noch bevor Alexander Pereira seinen Intendanz-Posten der Mailänder Scala überhaupt angetreten hat, wurde sein Vertrag von sechs Jahren auf 15 Monate verkürzt. Grund ist die Diskussion um umstrittene Operndeals: Pereira hatte für über zwei Millionen Euro für Produktionen bei den Salzburger Festspielen (seinem früheren Arbeitgeber) eingekauft. +++ Online-Petition für BR-Klassik: Weil sich die Entscheidung des BR-Rundfunkrates, ob BR Klassik seine UKW-Frequenz für das Jugendprogramm Puls hergeben muss, auf November verschoben hat, bleibt die Petition weiter in Zeichnung: www.openpetition.de/petition/online/br-klassik-muss-bleiben +++

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Fotos: Felix Broede / DG; Marco Borggreve; Twitter

Mariss Jansons hat seinen Vertrag beim Concertgebouw Orchestra nicht verlängert und konzentriert sich auf seinen Münchner Klangkörper. Ein weiser Schritt. Wir haben uns mal unter seinen Dirigenten-Kollegen umgeschaut und ganz schön reiselustige Tausendsassa gefunden.

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Im Gedenken

teln in sechs Sprachen und einem überarbeiteten On Air Design überraschen. 100 neue Produktionen und 45 Weltpremieren werden in den ersten Monaten gezeigt – darunter Liveübertragungen von den Salzburger Festspielen, der Arthur Rubinstein Piano Master Competition in Tel Aviv oder dem Open Air Event „Klassik am Odeonsplatz“ mit Mariss Jansons. Außerdem gibt es einige neue Formate, wie das wöchentlichen „Must See Event“, Sonderprogrammierungen zu Jubiläen, Geburts- und Todestagen (so etwa der 150. Geburtstag von Richard Strauss oder der 25. Todestag von Herbert von Karajan) sowie spannende Themenstrecken – unter anderem „Der Festival Sommer“ – von den Salzburger Festspielen oder „Open Air“ aus der Arena in Verona.

Foto: Siegfried Lauterwasser / DG

Karajans Todestag jährt sich zum 25. Mal

pa s d e D e u x

Der Todestag von Herbert von Karajan, der am 16. Juli 1989 in Anif in Salzburg starb, jährt sich zum 25. Mal. In zahlreichen Gedenkveranstaltungen und -konzerten wird dem großen Maestro gedacht – auch die Plattenfirmen und Buchverlage nutzen das Vierteljahrhundertsjubiläum, um sich an Karajan zu erinnern und Neuauflagen alter, legendärer Aufnahmen herauszubringen. Auch der vor kurzem verstorbene Journalist Karl Löbl, den Karajan sich einst erwählte, als er seinen Rücktritt aus der Wiener Staatsoper publik machen wollte, hat nochmal ein Karajan-Buch geschrieben. In „Ich bin kein Wunder“ verarbeitet er Archivmaterial, Zeitzeugnisse und vor allem seine eigenen Erfahrungen und Erinnerungen zu einem ungeschönten Porträt einer der bedeutendsten Persönlichkeiten im Musikleben des 20. Jahrhunderts.

Viele Künstler aus der Welt der klassischen Musik ähneln anderen Prominenten derart, dass wir sie in diese Rubrik packen müssen. Diesmal: Jordi Savall und Robert de Niro

Alles neu seit Mai Der Pay-TV-Sender für Freunde der klassischen Musik CLASSICA ist Ende Mai mit komplett neuer Optik gerelauncht worden. Der Klassikanbieter ist bereits auf 37 internationalen Plattformen zu empfangen und wird seine Zuschauer mit neuen Programm- und Programmierformaten, mehrsprachigen Online Services, Unterti-

Fotos: PR

Fernsehsender Classica gerelauncht

Jordi Savall (72) in Hollywood? Oder Robert de Niro (70) auf dem Dirigentenpult? Seit der Schauspieler Bart trägt, sieht er dem Fachmann für Alte Musik verblüffend ähnlich!

GRAFENEGG 2014 19. JUNI – 07. SEPTEMBER Rudolf Buchbinder · Tonkünstler-Orchester · London Symphony Orchestra City of Birmingham Symphony Orchestra · Wiener Philharmoniker · u.v.m.

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Gustavo Dudamel · Andris Nelsons · Christine Schäfer · Angela Denoke

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K ü n s t l e r

Auf einen Kaffee mit ...

Pablo Heras-Casado wurde 1977 im spanischen Granada geboren. Im Herbst 2013 gab er sein Debut an der New Yorker Metropolitan Opera und dirigierte Verdis Rigoletto.

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Foto: Harald Hoffmann/DG

Pablo Her as-Casado

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Pablo Heras-Casado gehört zur neuen Generation von Dirigenten, die mit dem Orchester sehr wohl ein Bierchen trinken wollen. Wir trafen den Tausendsassa mit spanischen Wurzeln auf einen lockeren Espresso in Köln. Herr Heras-Casado, wie sehen Ihre ersten musikalischen Kindheitserinnerungen aus? Singen! Ich erinnere mich daran, dass ich mit meiner Mutter zuhause die ganze Zeit gesungen habe. Ich habe zu der Musik gesungen, die aus dem Radio kam, und ich habe meiner Mutter beim Singen zugehört. Singen war für mich die natürlichste Weise, um mich musikalisch auszudrücken. Und wir haben zuhause gar keine klassische Musik gehört, es ging einfach um ganz pures Singen und um den Klang der Stimme. Sie haben viele Talente, haben auch Kunstgeschichte und Schauspiel studiert. Macht es Sie vielleicht sogar zu einem besseren Dirigenten, dass Sie sich vorher schon intensiv mit anderen Dingen auseinandergesetzt haben? Absolut. Beim Dirigieren geht es ja nicht nur darum, ein Orchester zu managen und dafür zu sorgen, dass sie zusammenspielen. Es geht darum, wirklich eine Verbindung aufzubauen. Mit den Musikern, die spielen, und auch mit diesen Genies, die die Musik geschrieben und die in einem ganz anderen Jahrhundert gelebt haben. Man sollte also etwas über die Einflüsse wissen, die auf die Komponisten gewirkt haben, man sollte überhaupt so viel wie möglich wissen, um den Kontext zu begreifen, in dem die Musik entstanden ist. Erst dadurch entsteht dann eine ganz besondere Energie und der richtige Fokus. Außerdem sind wir ja auch Darsteller – wir müssen wissen, wie man sich auf einer Bühne bewegt und wie man kommuniziert. Muss man als Dirigent auch psychologisch begabt sein? Jedes Orchester braucht etwas anderes. Manchmal braucht man eine Probe, manchmal braucht man fünf, um an einen bestimmten Punkt zu kommen. Und die Musiker reagieren auch immer ganz unterschiedlich. Da muss man als Dirigent sehr flexibel sein und sich einfühlen, was jetzt besonders wichtig ist. Bevor ich mit dem Freiburger Barockorchester auf Tour war, war ich in New York bei den New York Philharmonics. Das war ein ganz anderes Orchester, ein ganz anderes Repertoire, ein ganz anderes Umfeld. Oder wenn ich mein Orchestra of St. Luke’s dirigiere – das ist dann wie Familie. Die Musiker sind sehr anspruchsvoll und lieben Herausforderungen. Alle diese Begegnungen haben immer ihren ganz eigenen Wert in einem positiven Sinn. Empfinden Sie sich und das Orchester als Team? Absolut! Ich würde nie anders darüber denken. Seit dem ersten Moment, in dem ich darüber nachgedacht habe, dass Dirigieren etwas sein könnte, das mich interessiert, bis zum heutigen Tag, hat sich das überhaupt nicht verändert. Das ist für mich eine wesentliche Einstellung bei meiner Arbeit. Ich hatte da auch kein bestimmtes Rollenmodell vor Augen, kein Vorbild oder so, als ich anfing zu dirigieren. In meiner Heimatstadt gab es kein großes

Orchester, kein Opernhaus, keinen bekannten Dirigenten. Ich hab das einfach zusammen mit Freunden herausgefunden, als wir ein Ensemble gegründet haben. Es muss ein kollektiver kreativer Prozess sein, damit es völlig überzeugend rüberkommt. Das hat meine Vorstellungen geprägt, wie ein Dirigent sein sollte. Was macht für Sie einen gelungenen Konzertabend aus? Es geht für mich immer um diese besondere Magie, die entstehen kann, wenn man körperlich und seelisch die Verbundenheit spürt, die durch die Musik zwischen den Musikern und dem Dirigenten zustande kommt. Wenn Vertrauen zueinander da ist und wenn eine Einheit entsteht. Das kann man nicht künstlich herbeiführen, und man kann auch nicht vorhersehen, wann und ob das passieren wird. Aber wenn dieser Zustand da ist, dann kann man plötzlich schweben. Und ich glaube, darum kommen auch die Leute überhaupt ins Konzert. Wissen Sie, gestern stand ich vor dem Konzert im Hotel am Fenster und habe die Menschen beobachtet, wie sie in die Philharmonie strömten. Und ich habe gedacht: Warum wollen diese Menschen ins Konzert gehen? Es ist doch nur ein Konzert von vielen, und es gibt auch Aufnahmen und so weiter. Aber die Leute haben sich Karten gekauft und sich die Zeit genommen und sind von zuhause gekommen, nur um uns anzuhören. Ich habe bei dem Gedanken große Dankbarkeit verspürt. Sie könnten doch an diesem schönen Abend alles Mögliche tun. Aber ich glaube, die Leute kommen ins Konzert, weil auch sie hoffen, diese besondere Magie zu spüren. Sie dirigieren ganz unterschiedliche Musikstile: Oper, Alte Musik, zeitgenössische Werke. Gibt es Stücke, die Sie sich noch für die Zukunft aufheben? Darin bin ich nicht sehr gut (lacht). Ich muss jetzt natürlich schon weit in die Zukunft planen, und ich kann nicht alles auf einmal machen. Und das ist bestimmt auch gut, alles Schritt für Schritt. Im Augenblick setze ich mich zum Beispiel intensiv mit deutscher

„Wenn ich einen Artikel über mich schreiben müsste, würde ich vermutlich über mein Zuhause in Granada schreiben, über meine Eltern, oder darüber, dass ich gerne im Garten arbeite.“ Romantik auseinander. Alte Musik habe ich schon viel gemacht, und es sind einige weitere Aufnahmen in Planung. Mit Wagner ist das so eine Sache. Bisher war ich noch nicht so weit, weiß aber, dass die Zeit kommen wird, und ich habe auch schon Pläne, mich mit Wagner zu beschäftigen. Wagner und Bruckner habe ich bisher noch nicht viel dirigiert, aber ich weiß, das wird irgendwann kommen, und ich verspüre da auch überhaupt keine Eile. Warum wollten Sie ausgerechnet Mendelssohns 2. Sinfonie aufnehmen? Mendelssohn ist ein ganz wichtiger Komponist, finde ich. Und es klingt vielleicht seltsam, aber ich denke, er wird heute immer noch unterschätzt. Er ist eine Schlüsselfigur in der Musikgeschichte und ist in der deutschen Romantik genauso wichtig wie Schumann oder Schubert oder Brahms. Und vor allem diese 2. Sinfonie mag ich sehr. Vielleicht, weil ich diese persönliche 15


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Foto: Harald Hoffmann / DG

„Tomaten, Auberginen und Salat. DAS interessiert mich wirklich.“

gerne im Garten arbeite. Ich habe einen schönen Garten, und ich Verbindung zum Gesang habe oder weil es in der Musik einen bin ganz stolz darauf, dass auch Bäume darin wachsen. Das ist Bezug zur barocken Tradition gibt. Es ist eine schwierige Sinfonie noch mal was anderes als Blumen. Durch die Bäume habe ich mit ihrer Struktur und ihrer besonderen Stilistik. Und sie wurde echt das Gefühl, dass ich ein Teil von der Natur bin. Sie gehören noch nicht so oft aufgenommen. Dabei finde ich, dass sie absolut zu mir, und ich gehöre zu ihnen. Außerdem baue ich im Sommer zum Repertoire gehören sollte. Es war eine Herausforderung, gerne Gemüse an: Tomaten, Auberginen und Salat. Zu sehen, wie dieses Stück aufzunehmen. Deshalb wollte ich das unbedingt das wächst, und das Gemüse dann zu essen, das macht mich sehr machen. glücklich. Das hat bestimmt mit meinen Großeltern zu tun. Mein Auf der aktuellen CD „El Maestro: Farinelli“ sind sogar viele Großvater war Bauer, und als Kind habe ich mit ihm immer OliStücke dabei, die noch nie zuvor eingespielt wurden. Ist Ihnen ven und Kartoffeln geerntet. Wissen Sie was, jetzt, wo wir darüdas besonders wichtig? ber sprechen, merke ich: DAS interessiert mich wirklich! (lacht) Ja, ich finde, das ist eine Art Mission, die ein Dirigent haben Sie sind dauernd unterwegs, kommen irgendwo an und reisen sollte. Es geht nicht darum, nur das Standardrepertoire zu diriwieder ab. Können Sie gut Abschied nehmen? gieren, sondern wir sind sozusagen die Botschafter der KompoMan lernt das mit der Zeit. Und das muss man ja auch. Vor nisten. Unsere Aufgabe ist es, ihre musikalischen Wünsche zu allem bei der Arbeit in der Oper. Manchmal verbringt man zwei vermitteln. Das können unbekanntere Werke von bekannten Monate so intensiv miteinander, und es entsteht eine starke Komponisten sein, aber auch alte Werke, die noch nie vorher persönliche und künstlerische Verbundenheit und ein Veraufgenommen wurden. Wie zum Beispiel die Musik auf der Faritrauen zueinander. Und dann muss man das alles hinter sich nelli-CD. Es verschafft mir eine große Befriedigung, diesen unbelassen und weiß, dass man diese Menschen wahrscheinlich für kannten Komponisten Jahrhunderte später dabei zu helfen, dass viele Jahre nicht mehr sehen wird. Und man muss immer wieihre Werke bekannt werden. der ganz von vorne anfangen. Darauf muss man sich einstellen. Mit dem Erfolg kommt immer auch der Presserummel. Haben Gleichzeitig muss man allerdings Sie sich mal selbst gegoogelt? Sie werdiese Verbundenheit auch zulassen, den im Internet als „heißester NachWie ist sein neues Album? weil nur so ein intensives künstleriwuchsdirigent“ gehandelt. Wie fühlt sches Ergebnis überhaupt möglich sich das an? Mit der aktuellen CD präsentiert Pablo Herasist. Und auch ein Privatleben, denn Das ist ein Riesenquatsch! Natürlich Casado die verschiedenen faszinierenden Facetten Farinellis. Denn der war nicht nur ein legenwenn man immer wieder so lange brauchen die Medien immer einen Stemdärer Sänger, sondern auch ein leidenschaftlicher von zuhause weg ist, hätte man ja pel, den sie einem aufdrücken können. Kulturvermittler, Dirigent und Komponist. Mit ansonsten gar keine Begegnungen, Das gehört zum Spiel, das ist ja mit Diridem agilen Klangkörper des Concerto Köln und die einen persönlich berühren. Man genten oder Fußballern oder Schauspiedem Countertenor Bejun Mehta hat Heras-Casamuss ganz bewusst darauf achten, lern genau dasselbe. Ich finde es viel do die perfekten Mitstreiter an seiner Seite. Die dass man es schafft, irgendwie diese interessanter, wenn jemand etwas zu Aufnahme ist zu einer feurigen Ode an Farinelli viele verschiedenen Schichten von sagen hat über Mendelssohn oder geraten – überraschend, farbenfroh Beruf und Privatleben miteinander Zelenka oder Bach. Wenn ich einen und detailreich auf den Punkt muzu verbinden, aber auch gleichzeitig Artikel über mich schreiben müsste, siziert. sein Inneres zu schützen. würde ich vermutlich über mein n Zuhause in Granada schreiben, über Interview: von Katherina Knees „El Maestro: Farinelli“ Bejun Mehta, Concerto meine Eltern, oder darüber, dass ich Köln, Pablo Heras-Casado (Archiv Produktion) 16

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„Wie kamen Sie zur klassischen Musik?“ Weiter geht’s in unserer Serie: Künstler erzählen von ihren ersten Erlebnissen mit Musik und verraten, welches Ereignis sie in ihr heutiges Musikleben trieb.

Hélène Grimaud Pianistin Kinder reagieren nicht rational auf klassische Musik. Aber ich weiß noch genau, wie hingerissen ich war, als mein Vater zu Hause Schallplatten mit Beethovens Sinfonie Nr. 7 und Brahms’ Sinfonie Nr. 3 auflegte. Etwas ähnlich Starkes habe ich dann mit siebeneinhalb empfunden, als ich mir mit meinen Eltern einen Kurs für musikalische Früherziehung anschaute. 20 Minuten habe ich nur beobachtet, was die anderen machen. Dann lud mich die Lehrerin ebenfalls ein, kleine Stücke von Schumann oder Bartók nachzusingen und Percussions-Instrumente auszuprobieren. Nach dieser ersten Stunde war ihr und mir klar, dass ich ein gutes Ohr und viel Rhythmusgefühl besaß. In den Klavierstunden, die ich ab dann bekam, habe ich ganz schnell gelernt, verschiedenste Sachen zu spielen. Denn Musik schaffte es im Gegensatz zu allen anderen Dingen, die ich zuvor ausgetestet und langweilig gefunden hatte, mich dauerhaft zu interessieren. Sie war fähig, mein Zuviel an Energie zu kanalisieren und mich mental ausreichend zu stimulieren. Rückblickend würde ich sagen, dass man nicht früh genug mit Musik-Unterricht anfangen kann. Das kindliche Gehirn ist wie ein Schwamm und die Angst der Eltern, es zu überfordern, meiner Erfahrung nach unbegründet.

Protokoll: Antoinette Schmelter de Escobar; Fotos: Mat Hennek / DG; Marco Borggreve; Tim Schober / Sony Classical

Klaus Florian Vogt, Tenor An ein bestimmtes Schlüsselerlebnis kann ich mich nicht erinnern. Stattdessen gab es eine Vielzahl von Erlebnissen, die mich geprägt haben. Denn mein Vater spielte ziemlich gut Klavier und lud regelmäßig Freunde zu uns nach Hause ein, die mit ihm musizierten. Insofern wuchs ich einfach mit einer Affinität zur klassischen Musik auf, mit der nur schöne Erinnerungen verbunden sind. An dieser positiven Einstellung veränderte sich nichts, als ich mit zehn begann, Horn zu spielen. Im Gegenteil. Weil niemand Druck auf mich ausübte und ich sehr eigenproduktiv war, konnte ich mich in meinem Tempo weiterentwickeln.

Carolin Widmann, Geigerin Unsere Eltern waren zwar nicht Berufsmusiker, aber sie liebten Musik sehr und spielten in ihrer Freizeit Violine bzw. Violoncello. Meine Mutter wirkte an einer Aufführung des Karneval der Tiere der örtlichen Musikschule als Geigerin mit. Alle Musiker spielten in Tierkostümen, und ich werde nie die Faszination vergessen, die dieses Konzert auf mich als damals Fünfjährige ausübte. Meine Mutter war als Eule verkleidet, es gab Eichhörnchen, einen Löwen, Elefanten, den Schwan … Dieser visuelle Eindruck, gepaart mit der traumhaft schönen Musik, ließ mich tage- und wochenlang nicht mehr los, und ich bat meine Eltern inständig, Geigenunterricht nehmen zu dürfen. Ich sehe an diesem Beispiel meines eigenen Werdegangs, wie unersetzlich und wichtig es ist, flächendeckend und in allen Bereichen der Gesellschaft Zugang zu Kultur und Musik zu haben, und wie optimal diese Struktur im Deutschland der 80er-Jahre ausgebaut war. Als Kinder und Jugendliche hatten mein Bruder Jörg und ich so viele Möglichkeiten, an kulturellen Ereignissen teilzuhaben, sei es an den Konzerten der örtlichen Musikschule, an Vorstellungen des Marionettentheaters oder an so eindrucksvollen musikalischen Erlebnissen wie einer Aufführung der Fledermaus, die ich unter dem Dirigat von Carlos Kleiber an der Bayerischen Staatsoper in München hörte – dass da etwas passierte, was ich mein Leben lang nicht vergessen würde, war mir auch im Alter von neun Jahren völlig klar! 17


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Foto: EvS Musikstiftung / Manu Theobald

Der aktuelle „Gewinner“ des renommierten Ernst von Siemens Musikpreises: Peter Gülke (80).

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Der große Preis Dem Dirigenten und Musikwissenschaftler Peter Gülke wird in diesem Jahr der Ernst von Siemens Musikpreis zuerkannt. Eigentlich hätten wir Herrn Gülke gerne zum Interview getroffen, doch dem 80-Jährigen wurde der Trubel um seine Person irgendwann – verständlicherweise – zuviel. „Die diversen Anlässe und damit verbundenen Beanspruchungen haben ein gehetztes Wild aus mir gemacht”, schrieb er zurück und beantwortete nur ein paar Fragen. Christoph Schlüren versucht, das Phänomen Gülke dennoch in 633 Worte zu fassen.

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Als Dirigent ist Gülke ein Praktiker, der gerne seine Erfaheter Gülke ist Präsident der Sächsischen Akademie der Künste in Dresden, Dirigent, Schriftsteller, rungen an jüngere Menschen weitergibt, der in Dresden und Grenzgänger und er wird von vielen als „Weltenver- Freiburg Dirigierklassen leitete und daran beispielsweise bei den binder“ gesehen. Dennoch war es etwas überra- Sommerkursen des Salzburger Mozarteums die Öffentlichkeit schend, dass dem heute 80-Jährigen die mit 250.000 teilhaben lässt. Deshalb ist zu vermuten, dass Gülke den großen Preis primär Euro dotierte Auszeichnung der Ernst von Siemens Musikstiftung verliehen wird. Die offizielle Begründung des Kuratoriums für seine schriftstellerische Tätigkeit, die er als eine Umschreibung lautete, Gülke überzeuge „seit vielen Jahren mit großen Leistun- des zu Erlebenden versteht, erhalten hat. Was die Musik wirklich gen in der Musikwissenschaft“. Doch reicht das, um auf einer im Innersten zusammenhält, lässt sich nicht verbalisieren, doch Stufe mit früheren Preisträgern wie Leonard Bernstein, Benja- ist er durchaus ein Meister darin, mit unserer Fantasie und unsemin Britten, Yehudi Menuhin, Herbert von Karajan oder György rer Sehnsucht tiefer in ihre Geheimnisse einzudringen, mit neuen Gedanken und Bildern zu bereichern. Auch mit Kritik. Die Frage, Ligeti zu stehen? Peter Gülke stammt aus dem sächsischen Weimar, er begann ob er die innere Zusammenhangslosigkeit des Komponierens auf seine musikalische Karriere in der damaligen DDR, studierte Vio- der Suche nach immer neuen Klangsensationen als Gewinn oder loncello, Germanistik, Romanistik und Philosophie und interes- Verlust betrachte, beantwortete er zuerst knapp mit: „Verlust.“ Um sierte sich insbesondere für die Musik des Mittelalters. Seit den dann aber zu ergänzen: „Ich würde mit der Frage nach objektispäten 50er Jahren wirkte er als Dirigent, von 1976 an als Kapell- ven Kriterien und Maßstäben und deren heutiger Verbindlichmeister der Staatsoper Dresden und – fünf Jahre später – als Gene- keit sehr vorsichtig sein: meist hat man ja erst post festum einigermaßen sicher über sie Bescheid gewusst. ralmusikdirektor seiner Geburtsstadt WeiGewiss stehen die kreativ Tätigen heute mar. Im Jahr 1983 übersiedelte Gülke in die stärker allein, und die zuweilen geplagten Bundesrepublik Deutschland und war von Die Gewinner des Siemens Hörer wissen nicht, von welchen Maßgaben 1986 bis 1996 Generalmusikdirektor der Musikpreises seit 1996: oder Anhalten sie ausgehen sollen, um nicht Stadt Wuppertal, später dann Professor für einer blanken Unvergleichbarkeit ausgelieDirigieren an der Staatlichen Hochschule 2014 Peter Gülke fert zu sein. Aber ich bin nicht sicher, ob für Musik Freiburg und für Musikwissenes Menschen früherer Zeiten, die nicht mit 2013 Mariss Jansons schaft an der Universität Basel. Soweit das so unterschiedlicher Musik konfrontiert Biographische. 2012 Friedrich Cerha waren, nicht ähnlich erging, wenn auch Doch Peter Gülke ist viel mehr als ein 2011 Aribert Reimann nicht in so ‚harten‘ Dosen. Kunsterlebnisse Dirigent und Musikwissenschaftler. Er ist 2010 Michael Gielen brauchen ja so etwas wie einen Vertrauenseiner der brillantesten Musikautoren unse2009 Klaus Huber vorschuss: Um ein Werk schön, mindestens rer Zeit. Kaum ein Kenner der Materie in 2008 Anne-Sophie Mutter einleuchtend zu finden, muss ich es so finunserem Land dürfte von seinen erhel2007 Brian Ferneyhough den wollen – das ist heute gewiss nicht leichlenden Schriften nicht Kenntnis genom2006 Daniel Barenboim ter geworden, aber nach sicheren Kriterien men haben, seien es umfangreiche Arbeisoll man nicht zu früh fragen.” ten über mittelalterlichen Minnesang und 2005 Henri Dutilleux Auch im gehobenen Alter von 80 Jahden Renaissancemeister Guillaume Dufay, 2004 Alfred Brendel ren ist er jugendlich wendig und schlagferüber Mozart, Beethoven und Schumann. 2003 Wolfgang Rihm tig. Und wem würde Peter Gülke nun selbst Sei es als Herausgeber von Schubert’schen 2002 Nikolaus Harnoncourt einen Preis geben? Sinfonie-Fragmenten oder von Texten des 2001 Reinhold Brinkmann Gülke: „Da Sie vermutlich einen franko-belgischen Opernkomponisten Gré2000 Mauricio Kagel musik-internen Preis meinen, würde ich try und von Jean-Jacques Rousseau; oder 1999 Arditti-Quartett einen solchen am ehesten an junge Musials geistreicher, stets eigene Wege einschlaker vergeben und weit streuen. Einerseits gender Essayist. Und Gülke hat sich immer 1998 György Kurtág bedarf ein Preis der Fokussierung auf eine wieder für Unbekanntes, zu wenig Beachte1997 Helmut Lachenmann Person, andererseits ist der Unterschied tes eingesetzt, gerade auch als Dirigent, etwa 1996 Maurizio Pollini zwischen preiswürdig und nicht-preiswürfür den großen schwedischen Symphoniker dig stets geringer als der zwischen Preis und Allan Pettersson oder für Franz Schreker, Nicht-Preis.” dessen Oper Irrelohe er ersteinspielte. n 19


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Die neue Tastendiva? Im Moment gibt es eine, die so individuell und einzigartig spielt, dass man sie mit verbunden Augen sofort aus dem Pianistenpulk erkennt. Ein Gespräch mit Kathia Buniatishvili.

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hatia Buniatishvili stammt aus Georgien, lernte ihr Spiel in Tiflis und Wien und wohnt in Paris. Doch gleich zu Beginn unseres Gesprächs löst sie ein Missverständnis auf: Sie sei gar nicht in Tiflis geboren, das sei ein Fehler in ihrer Biografie, sagt sie. Mit „Biografie“ meint sie ihre Website, wohl aber auch eine viel genutzte OnlineEnzyklopädie. Die richtige Geburtsadresse liegt an der Schwarzmeerküste, im georgischen Seebad Batumi an der Grenze zur Türkei. Übrigens: „Zufällig!“, wie sie betont. „Natürlich sollte ich in Tiflis zur Welt kommen, aber meine Mutter war in Batumi, um meinen Vater zu besuchen, der dort Militärreservist war.“ 20

Ein Zwiegespräch mit Buniatishvili ist eine stete Herausforderung. Die junge Wahlfranzösin will Fragen nicht einfach beantworten, sie möchte interessiert werden. Jede Antwort von ihr trägt den Willen zum Anspruch: Anspruch an sich selbst, aber auch an den Gesprächspartner. Ihr neues Album bietet da genug Gesprächsstoff. Es trägt den Namen „Motherland“. Da denkt man an Heimat, an Sehnsucht, an Georgien – zumal Buniatishvili diesmal auch georgische Folklore unter das sehr abwechslungsreiche Programm geschmuggelt hat. Ist „Motherland“ also eine Reverenz an die alte Heimat? Nein! („Das haben Sie falsch verstanden!“) Khatia Buniatishvili hat eine andere www.crescendo.de

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Foto: Esther Haase / Sony Classical

von Rainer Aschemeier


BUNIATISHVILI-TERMINE 6.6.14, Wien, Musikverein Schostakowitsch, 1. Klavierkonzert mit den Wiener Virtuosen 12.6.14, Würzburg, Mozartfest Rossini, Mozart, Vogler, Beethoven mit dem Philharmonischen Orchester Würzburg 18.6.14: Wien, Musikverein Rezital mit Gvantsa Buniatishvili 19.6.14: Krün, Schloss Elmau

Konzert mit Gvantsa Buniatishvili Khatia Buniatishvili, deren Stimme Erklärung: „Motherland, wie ich es sonst so ernst und überlegt aus dem verstehe, ist eine Welt, die in einer Telefon kommt. Angesprochen auf Frau existiert. Egal, aus welchem Land man kommt, eines ist für uns alle gleich: Wir stammen von den zurzeit schwelenden Ukraine-Konflikt wird sie jedoch wieder unserer jeweiligen Mutter ab. Das ist die erste Wahrheit! Dieses sehr bestimmt. Als gebürtige Georgierin kommt sie aus einem Land, Album widmete ich in erster Linie meiner Mutter, aber es ist auch das eine ganz ähnliche Geschichte hinter sich hat wie die Ukraine – der Fruchtbarkeit an sich gewidmet. Mutter Erde spielt dabei ebenso mit abtrünnigen Landesteilen, die sich selbst für autonom erklärten. eine Rolle wie alle Frauen, und auch ich selbst. Die ausgewählte Sie kommt aus einem Land, das ein schwieriges Verhältnis zum Musik spiegelt diese Welt wider, die ich als mein Motherland emp- Nachbarn Russland unterhält. Nicht zuletzt auch deswegen, weil die finde.“ Auf diese Weise darf man auch das Albumcover entschlüs- russische Armee mehrfach seit der Auflösung der Sowjetunion verseln, wie uns die Pianistin verrät: „Es zeigt eine Frau – mich – ver- sucht hat, Teile Georgiens zu besetzen. Wie also blickt eine Georgierin auf die Ukraine-Krise, Frau bunden mit und durchdrungen von der Natur, von Mutter Erde. Die geschlossenen Augen weisen darauf hin, dass es sich um die Buniatishvili? „Zwischen Georgien und der aktuellen Lage in der Ukraine gibt es viele Parallelen. Mein größter Wunsch ist, dass die innere Welt dieser Frau handelt.“ Nur wenige Stars hätten sich mit so intimen Statements an die Länder in der Region nun zusammenstehen. Viele Probleme, die in Öffentlichkeit getraut. Häufig hört man ja von Künstlern, die am diesem Teil der Welt zwischen einigen Ländern und Russland besteliebsten nichts von ihrer Privatheit preisgeben möchten. Doch das hen, sind älter, als man sich das in Westeuropa vor Augen führt. ist bezeichnend für Khatia Buniatishvili. Wer diese Frau Klavier Einige Konflikte stammen noch aus der Zeit Iwans des Schrecklichen. Das schwelt nicht erst seit dem Ende der Sowjetunion. Der spielen hört, ist ja schon mittendrin in ihrer Privatheit. Und die Individualität, ist sie ihr wichtig? „Individualität ist Imperialismusgedanke ist in Russland ein altes Phänomen. Die der Beginn von Kunst. Sie ist es, was Menschen in ihrer Kunst Eurasische Union, die Russland derzeit anstrebt, ist in meinen unterscheidet. Ohne Individualität gibt es keine Kunst. Wir sind Augen eine schwache Ausgabe der alten Sowjetunion. Die Ukraine kleine Götter. Wenn wir uns künstlerisch betätigen, sind wir die aber schaut in die Zukunft – und da ist die Eurasische Union keine Imitation unserer Vorstellung von Gott. Aber wir dürfen nicht ego- Option.“ Starke Worte, die von einer klaren Linie zeugen. Interessant ist istisch sein: Wenn Individualität nicht das Potenzial dazu hat, Teil es da, zu hinterfragen, inwieweit so ein politischer Konflikt auch von allem zu werden, dann ist sie verlorene Mühe.“ Schnell aber läuft so ein Interpret Gefahr, die Individualität Auswirkungen auf die Musik haben kann. Stellt man sich etwa Khaüber die Werkdienlichkeit zu stellen. Ist das nicht ein Risiko, wenn tia Buniatishvili und Valery Gergiev – einen treuen Befürworter der Politik Wladimir Putins – zusammen man sich so veräußert, so mit der auf einer Bühne vor, ist das kaum Musik verschmilzt? „Es gibt keine Wer in dieser Zeit nicht auf der Seite denkbar. „Dazu wird es nicht komWerkdienlichkeit ohne Individualität“, ist sich Buniatishvili sicher. „Die der Menschlichkeit steht, sondern auf men“, betont die Pianistin. „Ich werde nie zusammen mit Valery Gergiev oberste Aufgabe von uns Interpreten der Seite der Macht – übrigens auf einer Bühne stehen.“ Und das ist es, mithilfe von Klang die Seele des Komponisten zu finden. Nur durch einer Macht, von der ich glaube, dass liegt an musikalischen oder politischen Differenzen? „Das hat einen Noten lässt sich das nicht bewerkstellisie nicht mehr lange existiert – ist für politischen Grund: Wer in dieser Zeit gen. Noten sind nur der Anfang. Wir nicht auf der Seite der Menschlichmüssen herausfinden: Wie führt mich inakzeptabel.“ keit steht, sondern auf der Seite der Musik zu sich selbst, zu der richtigen Macht – übrigens einer Macht, von Phrasierung. Ohne ein Gefühl dafür der ich glaube, dass sie nicht mehr ist Musik nur Mathematik und SciWie ist ihr neues Album? lange existiert – ist für mich inakzepence. Und Musik ist doch mehr als Auf ihrem bislang persönlichsten Album nimmt Khatabel.“ das. Ein Interpret kann einen Kompotia Buniatishvili ihre Hörer mit auf eine Reise durch Valery Gergiev ist designierter nisten wieder lebendig machen! Doch die bunte Welt der Klavierminiaturen: Bach, TschaiChefdirigent der Münchner Philharohne individuelle Stärke ist man verkowsky, Liszt, Skrjabin, Pärt, Scarlatti, Grieg, Ravel, moniker. Der Ukraine-Konflikt rückt loren in den Noten – der Komponist Chopin, georgische Follklore... was für eine wilde also plötzlich ganz nahe, viel näher, bleibt tot. Würde ich im 19. JahrhunMischung! Die Überraschung: Die Zusammenstelals manche glauben. Auf manchen dert leben und hätte die Chance, mich lung funktioniert perfekt! Alle Stücke zählen zu Bunamhaften Solisten wird man in mit Komponisten wie Chopin oder niatishvilis persönlichen Favoriten, und München vielleicht verzichten müsLiszt zu unterhalten, würde ich das hört man an der Hingabe, die sie in sen, wenn mehr Künstler so engagiert doch immer in meinem Stil Klavier diese musikalischen Mini-Wunder inund mutig sind wie die starke Frau spielen. Und ich bin sicher, Liszt vestiert. des sensiblen Klavierspiels, Khatia wäre glücklich damit.“ Hier hört Buniatishvili. man einmal eine schmunzelnde n „Motherland“ Khatia Buniatishvili (Sony Classical)

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Der Anwalt des

Liedgesangs Bariton Thomas Hampson hält ein feuriges Plädoyer für den Liedgesang, erzählt über sein neues Strauss-Album – und verrät seine größte Schwäche. Intervie w: Anna Novák

crescendo: Herr Hampson, wir erwischen Sie gerade in der Genesungsphase – Sie haben soeben verkündet, dass Sie für die nächsten Wochen alle Auftritte absagen mussten ... Thomas Hampson: Ja, das klingt oft dramatischer, als es ist. Es ist einfach so: Wenn man als Sänger eine schwere Bronchitis hat, dann heilt die nicht so schnell wie bei nicht singenden Menschen. Sie fokussiert sich meistens genau auf unsere Stimmorgane, und selbst wenn man so dumm und vermeintlich stark und stur ist wie ich, und immer einen Weg gefunden hat, trotz eines Virus weiterzuarbeiten – irgendwann geht es nicht mehr. An diesem Punkt bin ich angekommen. Das ist unerfreulich, allerdings nicht dramatisch, aber ich soll einfach ein paar Wochen nicht singen, weniger sprechen, etwas ausruhen und natürlich gesund leben. Haben Sie geheime Hausmittelchen, um schneller gesund zu werden? Naja, es ist vor allem die Ruhe. Das ist ja bei allen Menschen so: Man muss auch einfach einmal eine Auszeit nehmen. Und in diesem Fach, dem Auszeit-Nehmen, bin ich sehr schwach! Alles andere als schwach sind Sie im Strauss-Fach! Bei den Osterfestspielen in Salzburg standen Sie als Mandryka in Strauss’ Oper Arabella auf der Bühne. Wie ist es gelaufen? Es hat mir sehr viel Spaß gemacht! Es war ein besonderer Wunsch von Christian Thielemann, Renée Fleming und mir, dieses Stück im Strauss-Jahr zur Aufführung zu bringen. Und Salzburg mit seinen Osterfestspielen ist natürlich als Ort im Strauss-Jahr perfekt dafür! 2007 sollten Sie bei eben diesen Festspielen schon einmal den Mandryka singen, mussten damals krankheitsbedingt absagen. Danach haben Sie die Rolle erst mal für ein paar Jahre beiseitegelegt. Wenn man sich der Rolle nach so langer Zeit wieder nähert: Erkennt man die Rolle sofort wieder oder entdeckt man sie neu? Als ich das erste Mal wieder den Klavierauszug aufmachte, war meine erste Reaktion: Oh, die Rolle ist viel länger, als ich dachte! Mein Gott, ist das hoch – uh, ist das tief! (lacht) Als ich anfing, sie wieder in Kopf und Kehle zu bekommen, wurde mir wieder klar, wie mein Hirn funktioniert: Ich mache oft viele verschiedene Dinge gleichzeitig, aber um eine Rolle wirklich zu lernen, muss ich mich ganz auf dieses eine Werk konzentrieren. Als ich das erste Mal wieder in Arabella reinschaute, war ich in New York und hatte gerade die letzte Vorstellung von Wozzeck gesungen – das passt überhaupt nicht! Erst zurück in Salzburg, nach zwei, drei Tagen intensiven Studiums, hatte ich plötzlich den Moment: Zack, da ist er wieder!

Nach jahrelanger Beschäftigung mit Strauss haben Sie gerade auch „Notturno“, ein reines Strauss-Lied-Album, veröffentlicht. Wie schwer fiel Ihnen die Lied-Auswahl? Haben Sie Ihre All-Time-Favourites aufgenommen? Wenn man ein Programm machen muss und dabei so unglaublich viele Werke und wichtige musikalische Momente zur Verfügung hat wie bei Richard Strauss, dann ist das durchaus nicht einfach. Ich hätte ohne Probleme drei oder vier CDs aufnehmen können. Als ich noch mal alles durchgesehen und durchgehört habe, wurde mir klar, dass ich „Strauss als Liedkomponist“ darstellen wollte – in seinen Etappen und persönlichen Einflüssen und Entwicklungen. Natürlich gab es davon abgesehen ein paar Lieder, die ich unbedingt auf der Aufnahme haben wollte – vor allem das titelgebende „Notturno“. Ich wollte bewusst wählerisch sein und nicht bloß ein „Hit-Album“ machen. Die meisten Strauss-Lieder sind vor dem Ersten Weltkrieg entstanden. Für mich eine besondere Entdeckung war aber das Opus 87, das von Strauss zwar eine Opus-Nummer zugeordnet bekam, das er aber zu Lebzeiten nie hat drucken lassen. Das sind Gedichte von Friedrich Rückert, und die werden auf jeden Fall regelmäßig in meinem Repertoire vorkommen. Sie strahlen eine besondere Strauss-Sprache aus, eine Nachdenklichkeit, die ab den 1930er-Jahren in seinem Werk zu finden ist. Ich glaube, dass wir Strauss manchmal in puncto Nachdenklichkeit und Reflexion unterschätzen. Er hat immer Lieder geschrieben, von seinen jüngsten Jahren bis hin zu seinem letzten Atemzug. Noch dazu sagte er selbst: Wenn er sich mit der „zauberhaften Beziehung zwischen Wort und Ton“ auseinandersetzen wollte, dann zog er sich in sein Zimmer zurück und komponierte Lieder. Da fand er zu seinen privaten Inseln des Komponierens. Damit sagt uns der Komponist selbst, dass für ihn sein Liedschaffen – egal, wie populär oder umstritten dieses oder jenes andere Werk auch sein mag – extrem wichtig war. Sein Leben lang haben ihn Ton und Wort beschäftigt. Das fasziniert mich an ihm. Sie sprachen eben über die Nachdenklichkeit. Wenn man sich die Titelliste des Albums durchschaut, sind auffallend viele Lieder über Tod und Vergänglichkeit enthalten. Wollten Sie bewusst diese Facette des Komponisten zeigen? Auch wenn die Lieder auf den ersten Blick eine gemeinsame Aussage zu haben scheinen, sind sie doch sehr individuell in der Auseinandersetzung. Meine Absicht war es auf keinen Fall, Vergangenheit oder Nachdenklichkeit dort zu erläutern. Es stimmt,

„Nach zwei, drei Tagen intensiven Studiums hatte ich plötzlich den Moment: Zack, da ist er wieder!“

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Foto: Kristin Hoeberman

Thomas Hampson, 1955 im US-Bundesstaat Indiana geboren, lebt in Wien und New York.

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Foto: Foster

Thomas Hampson und Renée Fleming in der Strauss-Oper Arabella bei den Salzburger Oster­festspielen 2014.

was Sie sagen: Selbst „Traum durch die Dämmerung“ könnte man als nachdenklich bezeichnen. Aber sagen wir es anders: Es ist nicht die Melancholie oder Nachdenklichkeit, die mich beschäftigt hat, sondern vielmehr, in welcher Ernsthaftigkeit die unterschiedlichen Aspekte von Strauss wahrgenommen wurden. Dabei warfen ihm Skeptiker häufig sogar vor, er sei in seinen Liedern oft zu oberflächlich, zu positiv, zu sehr auf ein Happy End bedacht. Sehen Sie das auch so? Ich sehe es nicht so. Ich sehe schon, dass er nicht unbedingt einer war, der sich viel mit den dunklen Seiten des menschlichen Charakters auseinandergesetzt hat – Strauss war nicht unbedingt ein Optimist –, aber ich spüre, dass er ein Mensch war, der immer dachte: Da muss ich durch, ich muss meinen Weg finden. Wo man diesen Gedanken in vielen Varianten findet, ist in der Welt der Liebe. Er hat die feinen Unterschiede in Liebesaspekten gerne in seinen Liedern bearbeitet. Gehen wir über zum Aspekt der Strauss-Interpretation: Haben Sie einen großen Strauss-Sänger, den Sie verehren? Ich bin relativ vertraut mit der historischen Perspektive der Strauss-Interpretation. Ich habe natürlich die Aufnahmen gehört, bei denen Strauss selbst mitgewirkt hat und die damaligen Sänger gesungen haben. Wissen Sie, was ich aber viel interessanter finde, als Namen zu nennen? Was denn? Wenn man Strauss so singt, wie wir den Liedgesang heute im Ohr haben – also als eine Fortsetzung von Schumann oder sogar Brahms – dann stoßen wir schon auf Gesangsprobleme Strauss gegenüber. Seine Tessitur ist sehr breit, die Ausdruckspalette ist manchmal opernhaft. Man muss den Strauss-Liedern mit einer volleren, lyrischeren Stimme begegnen. Ich finde zum Beispiel Strauss auch nicht so verwandt mit Schumann wie beispielsweise

Gustav Mahler. In gewisser Weise ist Strauss ein eigenes Lied-Fach. Was sind denn die aktuellen Entwicklungen im Liedgesang? Es wird für meinen Begriff recht viel „gesäuselt“. Dabei ist das gesungene Wort etwas anderes als das gesprochene Wort mit Musik. Außerdem habe ich das Gefühl, dass der Liedgesang im Lauf meiner Karriere vielfach zu einer Art Wissenschaft geworden ist. Inwiefern? Vielleicht sehe ich die Sache simpler als andere: Letzten Endes glaube ich, dass ein Lied ein Tagebuch des Daseins ist. Ein Lied ist eine Evidenz des Daseins – von Komponisten und Dichtern. Noch dazu bin ich vollkommen überzeugt, dass wir das Lied als eigene Kunstgattung wahrnehmen sollten und nicht zwanghaft damit beschäftigt sein müssen, ob es ein tolles Gedicht oder ein toller musikalischer Einfall war. Man muss es als Gestalt in sich, als Einheit sehen. Sicherlich wird hier die Kunstform Musik mit der Kunstform Gedicht zu einer dritten Kunstform: dem Lied. Und nicht zu einer „Vertonung des Gedichts“. Beschwer­den wie „Oh Gott, was hat der denn mit diesem wunderschönen Gedicht gemacht?“ oder „Dieser grauenvolle Text hat nur Berechtigung, weil Schubert ein schönes Lied draus gemacht hat“ sind für mich nicht weit genug gedacht. Gibt es einen Liedkomponisten, der unbedingt mehr auf den Programmen stehen sollte? Ich bin grundsätzlich kein Künstler, den man für Lieder „bestellen“ kann, weil man „die einfach singen muss“. Alles, was ich singe, mache ich mit ernsthafter Leidenschaft. Dabei gibt es natürlich immer wieder Entdeckungen: Ich recherchiere schon lange in der französischen Melodiewelt und habe mich mit Komponisten beschäftigt, die eigentlich für ihre Opern bekannt sind, aber auch wunderbare Lieder geschrieben haben. Massenet, Gou-

„Die Gattung Lied soll aus der Liebe heraus vorgestellt und nicht aus wissenschaftlichen Aspekten betrachtet werden.“

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T H E R O YA L O P E R A

Thomas Hampson Live 11.6.14: Baden-Baden / 14.6.14: Essen Operngala mit Luca Pisaroni 18.6.: Wien Strauss-Lieder mit dem Orchestre de l‘Opéra de Paris 27.7.: München Strauss-Rezital bei den Opernfestspielen 31.7.: Salzburg Strauss-Rezital bei den Salzburger Festspielen

nod, Chausson, Charpentier. Was ich – gerade unter dem Aspekt, dass heutzutage so eine Wissenschaft aus dem Kunstlied gemacht wird – nicht verstehen kann, ist, dass wir so wenig über Hugo Wolf hören ... ... der ja auch ein sehr umfangreiches und vielfältiges Liedschaffen hinterlassen hat. Ja! Aber wenn man sagt: In der zweiten Hälfte würde ich gerne Wolf singen, dann passiert das: Man hebt bedauernd die Hände, verdreht die Augen und sagt: „Um Gottes willen, das können wir nicht verkaufen – die Leute wollen Hugo Wolf nicht hören!“ Das verstehe ich nicht. Ich finde Wolf einen unfassbaren Komponisten, unendlich reich an Liedgut, Formen und Gedanken. Sonstige Tipps? Sollen wir mehr Korngold hören? Und Pfitzner und Berg? Auf jeden Fall! Sollen wir überhaupt mehr Lieder hören? Ja! Ich glaube, es hängt nicht an einem Komponisten, der vergessen ist. Ich glaube, die Gattung gehört mehr geliebt und aus der Liebe vorgestellt, und nicht aus einem wissenschaftlichen Aspekt heraus betrachtet. Das Publikum soll wissen, dass jeder Liederabend potenziell ihr Leben bereichern kann. Dass man das Leben neu kennenlernen kann, sich amüsieren kann oder auch Ängste beseitigen kann. Ich glaube, dass der Liedgesang ein absoluter Kernpunkt des Kennens unserer Kultur ist. Das ist zumindest, was ich meinem Publikum vermitteln möchte. Ein tolles Plädoyer für den Liedgesang! (lacht) Sie sehen, ich bin Feuer und Flamme für das Lied. Letzte Frage, Herr Hampson: Sie führen ja einen sehr gesunden Lebensstil. Sie machen Yoga, haben Ihren Biorhythmus von einer Astrologin bestimmen lassen ... Verraten Sie uns noch, wofür Sie eine echte Schwäche haben? Ich habe eine absolute Schwäche für Tiere. Ich liebe Tiere. Ich spreche auch gerne mit Tieren! In der Früh gehe ich an einer Weide mit Kühen vorbei und grüße sie. Wenn ich plötzlich ein Reh im Wald überrasche und es ängstlich wegrennt, dann tut mir das direkt leid. Ich bin relativ unruhig in einem Zoo, weil ich immer verwirrt bin: Wer schaut hier wen an? Wenn ich einen anderen Beruf hätte, dann hätte ich vielleicht einen Bauernhof mit 16 Hunden,15 Katzen, dutzenden Hühnern. Kühe nicht, da muss man zu früh aufstehen. Und einen großen Teich, und Vögel, die vorbeifliegen, können bei uns kostenlos übernachten. Tiere jeder Art sind bei mir zuhause. Vielleicht klappt das ja irgendwann noch mit dem Bauernhof ... Ja, das wäre schön. Am liebsten hätte ich dann aber – was vollkommen utopisch ist – die Erlaubnis einen Pandabären zu haben! Ich bin ein absoluter Panda-Fan! Wer sonst darf so faul sein, den ganzen Tag mit Fressen verbringen, und wird trotzdem so geliebt? Das ist eine echte Sängereinstellung! (lacht) n Richard Strauss: „Notturno“ Thomas Hampson, Wolfram Rieger (DG) 25

Puccinis berühmte Oper mit Jonas Kaufmann live auf der großen Kinoleinwand Am 24. Juni um 19.45 Uhr

aus dem Royal Opera House London

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k ü n s t l e r

An der Front Deutschlands Vorzeige-Sopranistin Anna Prohaska beschäftigt sich auf ihrem neuen Album mit dem Thema Krieg – 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Warum? von Arnt Cobbers

„... wenn Schumann in seinem Lied ‚Die beiden Grenadiere‘ die Marseillaise verwurstet, dann ist das eben nicht Patriotismus und Kriegsbegeisterung, sondern deren Ironisierung.“

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Foto: Holger Hage / DG

Frau Prohaska, warum beschäftigen wahnsinnig viel Text merken in vielen Anna Prohaska Live Sie sich auf Ihrer neuen CD ausgeSprachen. In der Oper kann man sich 17.6.: Wien / 19.6.Bad Kissingen / 24.6.14 Dortmund rechnet mit dem Krieg? gut hinter einer Maske, einem KosAuszüge aus „Behind the Lines“ Ich sammle schon lange Lieder zum tüm, einem Charakter verstecken. 27.6.14: Schwarzenberg, Angelika-Kauffmann-Saal Thema Kriegspsychologie und SoldaDeswegen versuche ich auch im LieSchubert tenleben. Wir, mein Pianist Eric derabend in Rollen zu schlüpfen wie 21., 24. und 27.7.14: Baden-Baden, Festspielhaus Schneider und ich, dachten, 100 Jahre die der kleinen Seejungfrau oder die Mozart: Die Entführung aus dem Serail (konzertant) nach dem Ausbruch des Ersten Welteines Soldaten. Die bieten mir etwas kriegs ließe sich daraus ein gutes KonSchutz und gestalten den Abend 30.7.14: Salzburg, Mozarteum zertprogramm machen, und dann dramaturgisch, damit ich nicht wie Auszüge aus „Behind the Lines“ sagte mein Label, sie würden es gern die höhere Tochter am heimischen aufnehmen. Es ist zwar teilweise harter Flügel stehe. Tobak, aber wir haben eine Tournee durch schöne Konzertsäle ... Sie hätten jetzt auch sagen können, ein Liederabend biete zusammenbekommen und mit dem Bayerischen Rundfunk einen Ihnen mehr Freiheit. wunderbaren Koproduktionspartner gefunden. Ich glaube, viele Sänger sind nicht ganz ehrlich, wenn sie von der Warum haben Sie als Titel „Behind the Lines“ gewählt? Freiheit im Liederabend schwärmen. Es ist schon eine ziemliche Weil er auch das Musikalische miteinbezieht. „Behind the Lines“ nervliche Belastung, wenn man in Liederhochburgen wie in der steht nicht nur für das Leben hinter der Front, für die Privatwelt Wigmore Hall oder in Schwarzenberg auftritt. Spaß macht solch der Soldaten und ihrer Familien, sondern hat auch etwas mit „Zwi- ein Abend erst hinterher, dann wünsche ich mir oft, das Programm schen den Zeilen“ zu tun. In den „Märschen“ von Kurt Weill oder gleich noch mal zu singen. Poulenc ist viel Ironie und Sarkasmus dabei, und wenn Schumann Warum machen Sie es dann? in seinem Lied „Die beiden Grenadiere“ die Marseillaise verwursWeil ich diese Lieder singen möchte, weil ich dem Publikum ein tet, dann ist das eben nicht Patriotismus und Kriegsbegeisterung, Repertoire eröffnen möchte, das leider immer noch ein Mauersondern deren Ironisierung. blümchendasein fristet. Vielleicht ändert sich das jetzt allmählich Glauben Sie nicht, dass die meisten Klassik-Hörer doch nur eine – auch durch interessante Programme. Vielleicht muss man auch Stunde lang schönen Gesang genießen wollen? andere Medien hinzunehmen, mit einem wirklich guten VideoAls wir das Programm im Radialsystem in Berlin aufgeführt künstler oder einem Beleuchter zusammenarbeiten oder, wie es haben, hörte ich hinterher von einigen Besuchern, man werde Michael Thalheimer bei der Winterreise gemacht hat, szenisch geradezu reingesogen in das Thema. Ich habe versucht, einen draarbeiten, aber sehr konzentriert. Darin liegt die Zukunft des maturgischen Bogen zu schlagen von der dunklen Vorahnung aus Liederabends, glaube ich. Oder wenn Christine Schäfer als Frau die dem 30-jährigen Krieg über die jugendliche Kriegsbegeisterung Winterreise singt und Matthias Goerne Frauenliebe und -leben von Egmonts Clärchen bei Beethoven, über die Kinderkriegslieder – auch das bringt frischen Wind rein. bei Eisler und Wolf und die Romantisierung des Krieges bei RachDie Klassik boomt in Ostasien oder Südamerika. Beneiden Sie maninow und Schubert bis hin zur harten Kerbe, die Wolfgang manchmal Ihre Instrumentalkollegen, die nicht von der Sprache Rihm mit seiner Trakl-Vertonung schlägt. Es gibt immer wieder abhängig sind? große romantische Momente aus dem klassischen Liedrepertoire. Worum ich sie beneide, ist, dass sie ihr Instrument zu Hause lassen Ist solch ein Programm zu machen befriedigender, als einen können, wenn sie in eine Diskothek oder eine Kneipe gehen. Ich festen Liedzyklus zu singen? darf nicht gegen laute Musik anschreien oder zu viel trinken oder Ich finde es viel befriedigender. Ich forsche gern nach Gedichten Rauch einatmen, das nervt manchmal. Aber was die Texte angeht: und Vertonungen. Ich bin sozusagen ein Ziehkind des wunderbaDer Zugang eröffnet sich doch primär über die Musik, wie für uns ren Konzertdramaturgen und Dirigenten Eberhard Kloke, mit dem bei russischer Musik, und in den Booklets oder im Internet findet ich mein Debüt mit 16 Jahren in Hamm in Westfalen gegeben man alle Übersetzungen. Dafür haben wir Sänger den Vorteil, dass habe. Dafür hatten wir ein Programm zum Thema Erlkönig mit nicht jeder schon einmal eine Geige oder eine Klarinette in der Stücken von Schubert, George Crumb, Mahler und Strauss zusamHand gehalten hat. Aber jeder singt ab und zu und kennt das mengestellt. Ein Thema zu setzen und dazu aus verschiedenen Erlebnis, die Stimme nach außen zu transportieren. Es besteht ein Epochen Stücke möglichst sinnvoll zusammenzustellen, finde ich direkterer Zugang zur menschlichen Stimme, die man auf der sehr reizvoll und spannend. Bühne hört. Das geht einem mehr unter die Haut. Ich glaube, um Der Text ist Ihnen wichtig? diese Direktheit beneiden die Instrumentalisten uns. Auf jeden Fall. Im Liedrepertoire findet man meist bessere Texte Was die allermeisten Menschen aber nicht kennen, ist das als in der Oper, wo oftmals ein mittelmäßiger Librettist ein grandi- Gefühl, dass die Stimme trägt und man das Singen zum Beruf oses Stück von Shakespeare oder Schiller nicht so auf den Punkt machen kann. Wann haben Sie das gemerkt? bringt, wie man sich das als Leser oder Besucher wünschen würde. Schon in der Kindheit. Das war anfangs durchaus peinlich, man Textverständlichkeit ist natürlich auch leichter zu erreichen mit hat mich aus den Kinder- und Schulchören immer rausgehört, ich Klavierbegleitung. Wenn man mit einem Orchester singt, muss hatte nie eine typisch verhauchte Mädchenstimme. Ich war auch man erst mal zusehen, dass die Stimme gehört wird. Deshalb freue sauer, dass Mädchen nicht zum Knabenchor zugelassen wurden, ich mich auch, dass wir mit der Staatsoper im Schillertheater, diediese Mädchenchöre fand ich total doof. Im Unterricht mit Ebersem alten Sprechtheater, sind, wo man plötzlich auch bei Wagner hard Kloke habe ich dann gemerkt, dass ich schnell lerne, ich habe und Alban Berg wie in einem Kammerspiel den Text versteht. Wir mir in den zwei Jahren von 14 bis 16 ein riesiges Repertoire erarmachen Musiktheater und singen nicht nur Vokalisen. beitet, und als ich mit 18 in der Komischen Oper Genießen Sie Oper und Lied gleichermaßen? erstmals auf der Bühne stand, bei Harry Kupfers Oper macht mir mehr Spaß in dem Sinne, dass ich nicht so nackt Turn of the Screw, war klar: Diese Bühnenluft ist dem Publikum ausgeliefert bin wie beim Liederabend. Ein guter das Richtige für mich! n Pianist stützt dich, aber er überdeckt dich nicht, das heißt, jeder „Behind the Lines“ Anna Prohaska, Eric Schneider (DG) Kratzer, jede Macke wird gehört, und man muss sich natürlich 27


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„Es gab auch Vollkatastrophen“ Tenor Werner Güra ist ein Meister seines Fachs, sensibler Interpret, aber auch kritischer Beobachter des Musikbetriebs. Ein Gespräch über Moorleichen bei Haydn, Räubergeschichten bei Wagner und seine ambivalente Beziehung zur Oper.

Foto: Monika Rittershaus / Harmonia Mundi

von Dorothea Walchshäusl

Tenor Werner Güra (50)

Herr Güra, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer jüngsten CD-Einspielung! „Scottish Airs“ von Joseph Haydn – sind Sie ein Schottland-Fan? (lacht) Oh ja. Die Landschaft dort ist einfach unglaublich. Das Land hat etwas sehr Starkes und Emotionales an sich. Das spürt man auch in den Airs, wenngleich Haydn selbst ja nie in Schottland war. Was ist für Sie der Reiz an diesen musikalischen Miniaturen? Bei den Liedern ist das Interessante, dass Haydn den Text oft gar nicht gekannt hat. Doch die Melodien sind so stark und so eindeutig in ihrem Charakter, dass Haydn sie instinktiv richtig bearbeitet hat. Da gibt es diesen Moorleichen-Charakter, dann gibt es den total ausgelassenen, zynischen Charakter – das, was im Bayerischen das „Derblecken“ ist. Dieses Derbe, Volkstümliche merkt man hier ganz häufig. Auf der CD werden Sie von drei herausragenden Musikern begleitet, Ihrem langjährigen Bühnenpartner Christoph Berner am Klavier, der Geigerin Julia Schröder und dem Cellisten Roel Dieltiens. Eine Besonderheit ist die Untergliederung der Airs durch die drei Sätze des Haydn-Trios Hob.XV:27. Wie sind Sie auf diese Kombination gekommen? Das kam aus einem Instinkt heraus. Heutzutage gibt es ja oft ganz banale, praktische, oft auch verkaufstechnische Gründe für eine 28

Stückauswahl – dass man zum Beispiel sagt, sie darf nur von einem einzelnen Komponisten stammen, weil sonst findet man’s nicht mehr im Regal, oder irgend so ein Blödsinn. (lacht) Bei uns war das anders: Wir haben uns überlegt, ob es etwas gibt, was den Liedern zeitlich und kompositorisch gegenüberstehen kann, dann haben wir viel ausprobiert und gemerkt: Es funktioniert. Sie haben einmal gesagt, dass die erste Musik Ihrer Kindheit die von Richard Wagner war. Wie darf man sich das vorstellen? Mein Vater war Tubist an der Staatsoper und hat immer Freikarten für Wagner bekommen. So bin ich als Acht-, Neunjähriger in Wagner-Opern gegangen. Die erste Mozart-Oper habe ich eigentlich erst im Studium kennengelernt, und dass man in der Oper auch sprechen könnte, war für mich erst mal unvorstellbar. (lacht) Ich denke, Wagners Musik ist im besten Sinne nicht-intellektuelle Musik. Die greift einen direkt an, und als Kind ist man der Fantasie ja noch viel mehr ausgeliefert. Für mich war bei Wagner das Heroische toll, diese Geschichten mit Riesen und Drachen … richtige Räubergeschichten, und das hat mich sehr fasziniert. Kein Instrument ist enger mit der eigenen Persönlichkeit verwoben als die Stimme. Wie haben Sie das in Ihrer eigenen musikalischen Entwicklung erlebt? Das Studium war für mich durchaus eine Zeit der Selbstzweifel und der Grenzerfahrungen. Ich habe ziemlich darunter gelitten, www.crescendo.de

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„Außerdem erwartet man von einem Sänger heute ein Bild wie von einem Soap-Darsteller: Alles muss so echt ­wirken, als ob keine Musik da wäre.“

dass ich die Resultate, die ich Seit 2009 unterrichten Sie an mir gewünscht habe und die ich der Musikhochschule Zürich. in meinem inneren Ohr gehört Was geben Sie jungen Sängern habe, beim Singen nicht umsetbei dieser unerfreulichen zen konnte, weil ich technisch Situation mit auf den Weg? dazu noch nicht in der Lage war. Das hat mich körperlich richtig Ich versuche, meinen Schülern an erster Stelle einfach das Singen belastet. Auch bis heute ist das eigentlich mein Antrieb: danach zu beizubringen. Wenn sie in den ganzen Wust hineingeraten, suchen, wie ich in eine noch bessere Position kommen kann, müssen sie sich auf sich selbst verlassen können und frei sein, um damit ich mit dem Körper das tun kann, was ich mir als End­ sich der Situation zu öffnen. Das ist schwer genug. resultat wünsche. Das ist ein laufender Prozess. Aktuell machen Sie mit der Rolle des Eumete in Monteverdis Il Nach dem Studium haben Sie zwar keine Wagner-, aber diverse ritorno d’Ulisse in patria am Opernhaus Zürich wieder einen andere Opernpartien gesungen und verschiedenste InszenieAbstecher in die Oper, ansonsten widmen Sie sich dem Liedgerungen erlebt. Was macht für Sie eine gute Produktion aus? sang und dem Unterrichten. Was sind Ihre Träume für die kom(seufzt): Puh, das ist eine schwierige Frage. Natürlich waren in menden Jahre? meinen 15 Jahren Operntätigkeit einige Produktionen dabei, die Meine Träume sind ganzheitlich, musikalisch und privat. Ich ich wirklich toll fand. Eine spektakuläre darunter war etwa die Così möchte ein Leben führen, in dem es die Musik gibt, die man toll fan tutte-Inszenierung von Doris Dörrie, eine sehr angenehme und findet und die man machen möchte. Daneben möchte ich mich erfrischende Arbeit mit einem tollen Endprodukt. Dann gab es aber aber auch immer in Freundschaften und Beziehungen weiterentauch einige richtige Nieten, Vollkatastrophen eigentlich. Darüber wickeln können. Ich wünsche mir einen Zustand, in dem ich mich könnte man Stunden reden. Ein ganz grundsätzliches Problem der wirklich zufrieden fühle. Nicht Zufriedenheit im Sinne von Rumheutigen Oper liegt darin, dass Leute an ein Musikkonzept rankön- sitzen, Faul-Sein und Nichtstun, sondern ein gutes Verbinden der nen, die von Musik erst mal überhaupt keine Ahnung haben. Die verschiedenen Ebenen. Und sollte die Oper mal wieder daher­ Idee dahinter ist: Man will zum schon bestehenden musikalischen kommen – warum nicht? n Teil etwas Frisches, Neues hinzugeben. Das ist ja auch okay. Nur Jopseh Haydn: „Scottish Airs“ Werner Güra, Christoph Berner, stellt man immer wieder fest, dass die Komponisten selbst ja schon Julia Schröder, Roel Dieltiens (Harmonia Mundi) großartig Regie geführt haben in ihren Stücken, und damit das mit Track 9 auf der crescendo Abo-CD: dem Neuen zusammengeht, fehlt es den meisten dann wirklich an „There was a lass“ Können und Genialität. Viele Leute sind schlichtweg nicht gut genug, und das kann man in einer Regiearbeit unglaublich gut verstecken. Das können sie nicht als Sänger, auch nicht als Dirigent, aber als Regisseur. Haben Sie ein Beispiel? Ich hab mal eine Produktion in Dresden gemacht, bei der der Regisseur mit den Noten hereinkam und gesagt hat: „So, jetzt wollen wir mal schauen, was man damit machen kann.“ Der hatte von vorn bis hinten keine Ahnung. Ich habe so oft erlebt, dass die Sänger den Regisseuren erklären, was in der Handlung passiert, und diese versuchen dann, irgendwas daraus zu basteln. Außerdem erwartet man von einem Sänger heute ein Bild wie von einem Soap-Darsteller, alles muss so echt wirken, als ob keine Musik da wäre. Zwischen diesem Anspruch und dem ursprünglichen Werk einen Weg zu finden, ist nur den wenigsten gegeben. DesWYNTON MARSALIS halb gibt es auch so viel Schrott. Wie geht es einem da als Sänger? Das ist gar nicht lustig. Und ich sage Ihnen eins: Die jungen Sänger stehen heute so unter Druck, dass sie alles mitmachen und nicht mehr aufmucken. Die haben ja keine Lobby. Der Chor hat eine Lobby, das Orchester auch … alle, nur die hr-BIGBAND, MDR RUNDFUNKCHOR | MDR SINFONIEORCHESTER, Sänger nicht. Ich will nicht alles schlecht Kristjan Järvi, Dirigent machen, aber das sind Eckdaten, die kann man nicht wegleugnen.

ALL RISE

27. Juni, 20 Uhr, Messe Erfurt

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0341.14 14 14

KARTEN & INFO: www.mdr-musiksommer.de | www.mdr-ticketshop.de

Eröffnungskonzert des 23. MDR MUSIKSOMMERS


p e r s o n a l i e n

g e s t o r b e n

Gerar d Mor tie r Wer sollte die Salzburger Festspiele leiten, nachdem Gott gestorben war? Ein Nachfolger für Herbert von Karajan, das schien: unmöglich. Ein radikaler Wandel musste her. Schluss mit Goldpapier und Marzipan im Schokomantel. „No risk, no fun“ mögen sich die damals noch mutigen Austro-Apparatschiks gedacht haben und verpflichteten das Enfant terrible aus der Brüsseler Oper La Monnaie. Gerard Mortier hatte dort mit dem Dirigenten Sylvain Cambreling das Regietheater neu erfunden und mit Herbert in der Jesuitenschule erzogen wurde, war Wernicke einen der größten Bühnenbildner ein Mensch, der das Dialektische lebte. Er zu einem der größten Regisseure gemacht. konnte Kohle in kunstvollen Provokationen Unvergesslich die Orpheus-Inszenierung ebenso schön verbrennen, wie er sie zuvor mit bellenden Hunden und U-Bahn-Crash. bei den Schönen und Reichen eintreiben Ich bin Mortier zum ersten Mal in Brüs- konnte. Besonders gern erinnere ich mich sel begegnet, ein Abendessen mit Journalis- an eine der letzten Salzburger Inszenierunten, die er wie kein anderer um den Finger zu gen. 2001 holte Mortier Hans Neuenfels für wickeln verstand, indem er sie zu Gleichge- die Fledermaus in die Felsenreitschule. Eine sinnten im Geist machte, zu Vertrauten – zu Aufführung voller Anspielungen auf die Diskussionspartnern. Mich begeisterte die Opern-Society, eine abgrundtiefe Watschen Formvollendung dieses Mannes. Ein Revo- für die Intrigen-Gesellschaft, ein vorprolutionär im Maßanzug. Wahrscheinlich grammiertes Buhkonzert! Nach 10 Jahren war die Hochkultiviertheit Mortiers’ ent- verwandelte sich die Salzburger Hochstimwaffnendste Waffe. Der Bäckerssohn, der mung zur Froststarre. Der Abschied war ein

heimlicher „Parteitag der neuen Oper“, wie Mortier das damals nannte. Er ging zur Ruhr-Triennale, nach Paris und später nach Madrid. Auch da haben wir uns regelmäßig getroffen. Mit funkelnden Augen kultivierte er das Ruhrgebiet, doch schon in Paris begann er zu resignieren, über die Gewerkschaften und die Schwerfälligkeit eines Operntankers. In Madrid schließlich geriet er erneut in den Intrigen-Dschungel. Dazu kam die verfluchte Krankheit. Die Endlichkeit wurde zum Teil seines Lebens. Heute hat Salzburg begriffen, wen es verloren hat: einen Musikmanager, der nicht nur die radikale Neupositionierung der Festspiele schaffte, sondern die Vergegenwärtigung der Oper als existenziellen Bestandteil unserer Alltags- und Debattenkultur. Nun ist auch der moderne Operngott tot. Die Ära des Regietheaters zu Ende. Die Festspiele haben es in den letzten Jahren versäumt, Mortiers Erbe anzutreten. Derzeit findet die stilvolle Revolution wohl im Opernhimmel statt. Hoffentlich bald auch wieder in Salzburg. Axel Brüggemann

Im Mai 1995 war ich eines Morgens mit einem Schlag hellwach. Aus dem Radio­ wecker klang ein spanisches Gitarrensolo von einer lässigen Eleganz und feurigen Leidenschaft, wie sie im Frühstücksradio selten ist. Bryan Adams sang „Have you ever really loved a woman?“ und Paco de Lucía, der ihn begleitete, war in der Popmusik gelandet, ohne auch nur einen Funken seiner Spielfreude zu löschen. Knapp 20 Sekunden blieben ihm für dieses Solo, 20 Sekunden, die er in perfekter Vollkommenheit nutzte. Misst man Zeit in Quantität, ist Paco de Lucía mit 66 Jahren in diesem Februar viel zu früh gestorben, misst man sie in Qualität, hat er stets aus dem Vollen geschöpft. Ob Flamenco, Jazz, Klassik, Popmusik oder Crossover, er hat das Flamencospiel wie das Gitarrenspiel neu erfunden, ohne je die Wurzeln zu kappen. Als er 1991 mit dem Concierto de Aranjuez von Joaquín Rodrigo (1901-1999) das wohl beliebteste spanische Konzertstück aufführte und live mitschneiden ließ, war das eine Sternstunde der Interpreta-

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tion. Da wagte sich jemand an ein klassisches Referenzstück, das jeder kennt, mit einer Eigenständigkeit, die zugleich verblüfft und überzeugt. Paco de Lucía spielte im Beisein des Komponisten auf seine vom Flamenco geprägte Weise voll rhythmischer und improvisierter Akzente. Er kam dem Werk damit so nahe, das Joaquín Rodrigo am Ende nur blieb, ihn zu umarmen, so berührt war er von dessen Version. Das war bezeichnend einmalig wie schon zuvor seine Gitarrenadaptionen aus Bizets Car-

men in der Verfilmung von Carlos Saura. Ob in Friday Night in San Francisco oder auf Envivo, seiner letzten CD, Paco de Lucía war immer jemand, der seine ganze Energie live einzusetzen wusste. Die atemlose Spannung, die Chance des Augenblicks, der Umgang mit Verspielern, für die er oft umso rasantere Lösungen fand, das hieß für ihn, die Seele der Musik erfassen. Kein Wunder, dass er nicht nur mit eigenen Ensembles virtuos über alle Grenzen hinweg musizierte, sondern auch mit Größen wie der Sitar-Legende Ravi Shankar, dem Pianisten Chick Corea, und er spielte sogar mit den Gitarristen Al Di Meola, John McLaughlin und Carlos Santana zusammen. Er war ein Botschafter des Flamenco, ein Botschafter der Gitarre. Der Welt hat er mit seiner Musik „der Seele Saitenspiel“ hinterlassen. Sein Name bleibt unvergesslich damit verbunden. Wenn es darum ging, sich selbst zu beschreiben, war er bescheiden: „Ich heiße Francisco Sánchez Gómez, alias Paco de Lucía, und bin Stefan Sell Gitarrist.“

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Fotos: Cornel Putan; PR

Paco de Lucía


hören & sehen •

Die besten CDs & DVDs des Monats von Oper über Jazz bis Tanz Attila Csampais neue Entdeckungen (Seite 32) Christoph Schlüren über die Partiturserie „Opera Explorer“ (Seite 43)

Daniel Müller-Schott

Romantisch bis stürmisch es, den kräftigen, strahlenden Klang seines GoffrillerCellos im Dialog mit dem Orchester flexibel zu verändern. Vor allem der zweite Satz besticht mit einem lyrisch singenden Ton. Das NDR Sinfonieorchester schafft unter Michael Sanderling ein kontrast- und nuancenreiches Fundament. Alles andere als bloß schmückendes Beiwerk sind die im Original für Violine komponierten Romantischen Stücke, in denen der Solist gekonnt auch Dvořáks kammermusikalische Facette zeigt. SK

Antonin Dvořák: „The Cello Works“ Daniel Müller-Schott, Robert Kulek, NDR Sinfonieorchester, Michael Sanderling (Orfeo)

Foto: Uwe Arens

Nach hochgelobten Einspielungen der Cellokonzerte von Elgar, Walton, Schostakowitsch und Haydn wagt sich Cellist Daniel Müller-Schott nun an Dvořáks monumentales Cellokonzert in h-Moll, Herausforderung und diskografisches „Must-Have“ für einen Spitzencellisten. Verstecken hinter großen Referenzaufnahmen muss sich diese CD keinesfalls. Müller-Schott beweist eindrucksvoll, dass er neben seiner herausragenden Technik auch Fantasie besitzt – und den Geschmack, auf dem Grat zwischen kammermusikalischer Zurückhaltung und solistischem Protz zu glänzen. Seine Interpretation wirkt wohlüberlegt und dennoch nicht langweilig, er versteht

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h ö r e n & s e h e n

Die wichtigsten CDs des Monats, ausgewählt von Attila Csampai

Väter und Söhne In Attila Csampais Sommer-Auswahl geht es um starke Gefühle und um charismatische Interpreten. dem 90-jährigen Sir Neville Marriner und seiner „Academy of St Martin“ hat sie die eher heiteren Konzerte KV 449 und KV 595 auf einem modernen Flügel eingespielt und dessen orchestrale Opulenz zu einem ungemein plastischen und lebendigen Dialog zwischen Ophélie Galliard, Pulcinella Orchestra (Aparte) zwei starken Partnern verdichtet. Wie in ihren zuletzt gefeierten Track 5 auf der crescendo Abo-CD: „Andante“ Beethoven-Aufnahmen ist ihre glasklare, dabei stets wunderbar aus: „Cellokonzert Wq 170“ ausgeformte Klangrede auch hier meilenweit entfernt von dem „Er ist der Vater, wir sind die Bubn ...“, pries gefühligen Gesäusel vieler Mozart-Traditionalisten, sie überträgt Mozart sein musikalisches Vorbild Carl Philipp Emanuel Bach. die Sinnlichkeit und Bühnenpräsenz von Mozarts Opernfiguren auf Trotzdem hat es der zweitälteste Sohn des Thomaskantors bis heute den Klaviersatz: So betritt im Es-Dur-Konzert plötzlich Graf Almanicht geschafft, aus dem übermächtigen Schatten des Vaters heraus- viva die imaginäre Bühne. zutreten. Sein 300. Geburtstag mag da ein wenig Abhilfe schaffen. Zumindest die diskografische Ausbeute des CPE-Bach-Jahres 2014 Mozart: Harmoniemusiken aus „Le nozze kann sich sehen lassen. Trotzdem gibt es wenige Aufnahmen, die di Figaro“, „Don Giovanni“, „Così fan das revolutionäre Potenzial seiner Musik entfachen: Die französitutte” Ensemble Zefiro (Arcana) Track 1 auf der crescendo Abo-CD: „Ouvertura“ sche Barock-Cellistin Ophélie Galliard hat jetzt mit dem Pulcinella aus: „Così fan tutte“ Orchestra in zwei Cellokonzerten und einer späten Hamburger Sinfonie den bipolaren Charakter seiner Musik geradezu rabiat hervorWer kennt sie nicht, die unsterblichen Ohrwürgekehrt und Bachs Vorliebe für wilde Affekte und abgerissene Figumer aus den großen italienischen Opern ren messerscharf umgesetzt: Vor allem in dem 1750 komponierten Mozarts, die schon zu seinen Lebzeiten als „Gassenhauer“ die virtua-Moll-Konzert (Wq 170) liefert sich das Soloinstrument ein wildes ellen Charts anführten. Diese sogenannten „Harmoniemusiken“ Duell mit dem ständig „störenden“ Streichersatz: Hier entpuppt sich inspirierten den italienischen Barock-Oboisten und Gründer des Bach schon früh als „Barock-Terminator“, als einer, der die barocke exzellenten Zefiro-Ensembles Alfredo Bernardini zu eigenen BearTradition regelrecht aufbricht und den anstehenden stilistischen beitungen der Da-Ponte-Opern für ein dreizehnköpfiges historiUmbruch einleitet. sches Holzbläser-Ensemble. Den menschlichen Charakter jedes einzelnen Instruments auszuleuchten ist das erklärte Ziel von Bernardinis extrem wohltönender, in schönsten Holztönen leuchtW. A. Mozart: Klavierkonzerte Es-dur ender Virtuosentruppe, und deshalb pflegen sie auch bei AuffühKV 449 und B-dur KV 595 Ingrid Jacoby, Academy of St Martin in the Fields, rungen sich in die wichtigsten Opernfiguren zu verkleiden – mit Neville Marriner (ica Classics) Figaro an der Klarinette, Don Ottavio am Bassetthorn und anderen Track 2 auf der crescendo Abo-CD: „Allegro ma Musikern in Frauenkleidern. Das ist mehr als nur die mediterrane non troppo“ aus: „Klavierkonzert KV 449“ Lust an stilvoller Maskerade, sondern reklamiert auf eine intelliBei den Klavierkonzerten Mozarts waren die gent-charmante Weise den anthropomorphen Grundzug von Steinway-Pianisten zuletzt arg in die Defensive geraten. Die Zärt- Mozarts Musik. Wenn im berühmten Verführungsduett ein Fagotlichkeit, der Farbenreichtum und überhaupt das „authentische“ tist die Rolle Giovannis übernimmt und die Oboe ihm in zärtlichsFlair von alten Hammerflügeln schien den empfindsamen Charak- ten Tönen als Zerlina antwortet, dann ist die Sehnsucht der Musik ter dieser Werke besser zu treffen. Jetzt startet die in London lebende nach hermetischer Schönheit fast perfekt: So musizieren die Engel Amerikanerin Ingrid Jacoby eine intelligente Gegenoffensive: Mit im Himmel. C. P. E Bach: Cellokonzerte in a-moll (Wq 170) und A-dur (Wq 172); Sinfonie h-moll Wq 182; Triosonate c-moll Wq 161

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Mendelssohn: „Violinkonzert e-moll“; Adams: „Violinkonzert“ Chad Hoopes, MDR Sinfonieorchester, Kristjan Järvi (NaÏve)

EINE UNSTERBLICHE LEGENDE

Track 6 auf der crescendo Abo-CD: „Andante“ aus: „Violinkonzert Nr. 2“ von Mendelssohn

Als neuer Stern am Geigerhimmel leuchtet der erst 19-jährige Amerikaner Chad Hoopes. In den Staaten gilt er als echtes „Wunderkind“ und zuletzt eroberte er auch die europäischen Konzertsäle. Mit den Rundfunk-Sinfonikern des MDR und Kristjan Järvi hat Hoopes seine Debüt-CD mit zwei unterschiedlichen Violinkonzerten bestückt, die auch seine stilistische Bandbreite abstecken: Neben Mendelssohns populärem e-Moll-Konzert brilliert er mit atemberaubender Virtuosität in dem 1993 entstandenen Violinkonzert des Minimalisten John Adams. Während er hier oft genug gegen die repetitiven Strukturen des Orchesters ankämpfen muss, kann er seinen warmen Ton in Mendelssohns Meisterwerk ungehindert entfalten, so dass man schon nach wenigen Takten seinem jugendlichen Feuer, seinem drängenden Pathos, seinem fast altmodischen Charisma erliegt. Man spürt hinter jedem kleinsten Detail seine große, starke Persönlichkeit und eine künstlerische und geigerische Reife, die den jungen Mann schon jetzt weit abheben von dem, was man sonst unter einem „großen Talent“ versteht.

Im Jahr 2014, 25 Jahre nach dem Tod Herbert von Karajans, feiert die Deutsche Grammophon 50 Jahre Zusammenarbeit mit dem erfolgreichsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts.

Schumann: „Symphonien Nr. 1–4“ Chamber Orchestra of Europe, Yannick NézetSéguin (DG)

Gustav Mahler musste 50 Jahre warten, bis „seine Zeit gekommen war“. Bei Robert Schumann scheint die Zeit erst jetzt, gut 150 Jahre nach seinem Tod, „reif “ zu sein für den Sinfoniker. So befreiten ihn in den letzten Jahren vor allem die „historisch orientierten“ Dirigenten vom Hautgout eines vermeintlich mäßigen Instrumentators und Paavo Järvi rückte ihn gar in die Nähe Beethovens. Davon ist Yannick Nézet-Séguin in seinem Konzertzyklus denkbar weit entfernt. Er verortet Schumann ganz nahe bei Mendelssohn und befreit ihn mit dem sehr locker und transparent musizierenden Chamber Orchestra of Europe von aller teutonischen Schwerfälligkeit und allem grüblerischen Pathos. So unbeschwert freundlich, so jugendlich frisch und leichtfüßig hat man Schumanns komplexe, oft synkopisch sperrige sinfonische Rede noch nie vernommen: Nézet-Séguins frankophone, sehr geistesklare Lesart lässt aber kaum etwas durchschimmern von Schumanns inneren Konflikten, so dass er hier insgesamt ein zu ungetrübtes Bild des Romantikers zeichnet.

CLASSIC KARAJAN THE ESSENTIAL COLLECTION 2 CDs mit den remasterten Höhepunkten der Karajan-Diskographie.

Strawinsky: „Solo Piano Works“ Jenny Lin (Steinway & Sons)

Igor Strawinskys schmales Œuvre für Solo-Klavier findet bis heute wenig Beachtung: Grund genug für die New Yorker Pianistin Jenny Lin, ihm jetzt ein komplettes Album zu widmen. Schon die ersten Takte der neoklassizistischen Klaviersonate, in der Strawinsky gnadenlos und zugleich subversivironisch Bachsche Vorbilder parodiert, enthüllen Lins aufklärerischen, auf Deutlichkeit und trockene Prägnanz ausgerichteten Ansatz, der strukturelle Klarheit mit ansteckender Spielfreude verbindet: Man spürt in jedem Stück dieses wirklich kurzweiligen und noch immer absolut zeitgemäß wirkenden Reigens, dass es stets Musik über Musik ist, die Strawinsky uns hier lustvoll um die Ohren schlägt: Er ist ein Zauberer – der aber stets mit offenen Karten spielt – und deshalb der Coolste und Souveränste von allen. Und Jenny Lin erweist sich auf ihrem fantastisch klingenden Steinway als kluge Choreografin seiner vertrackten Tastenspiele. 33

KARAJAN / STRAUSS THE ANALOGUE RECORDINGS 1959–1973 11 CDs + 1 Blu-ray Audio

Limitierte und nummerierte Deluxe-Edition mit Karajans gefeierten Aufnahmen der wichtigsten Werke von Richard Strauss. Remastert in echter 24-Bit Qualität.

www.karajan50.de


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Solo

Guro Kleven Hagen

Norwegischer Nachwuchs Wo die 20-jährige norwegische Geigerin Guro Kleven Hagen auftritt, wird sie als großes Nachwuchstalent gerühmt. Für ihre Technik, ihren Sinn für Proportionen und ihr Verständnis für musikalische Gewichtungen. Nun lässt sich das auf ihrer ersten Konzert-CD mit zwei bekannten Werken des Repertoires nachhören. Mit Max Bruchs 1. Violinkonzert, dem die Solistin mit angenehmen Ernst begegnet: Sie lauscht den Stimmungen des Allegros nach, weicht der Falle falschen Sentiments im Andante geschickt aus und präsentiert den Finalsatz voll spielerischer Verve. In ­Proko­fiews g-Moll-Konzert beeindruckt ihre kraftvolle, ja dominante Führung des unter Bjarte Engeset diszipliniert begleitenden Orchesters. Nie verliert sie einen gewissen Flow. Ihr Ton kann schwebende Gewichtslosigkeit bekommen, kristallklare Zuspitzung und elementare Kraft. Kluge Zäsuren, exakte Läufe und intonationssichere Intervallsprünge tun ein Übriges, um sie aus der Masse der monatlich präsentierten Nachwuchskünstler heraus­ zuheben. US

Foto: Nordic Artists Management

Prokofiew/Bruch: „Violinkonzerte“ Guro Kleven Hagen, Oslo Philharmonic Orchestra, Bjarte Engeset (Simax Classics) Track 10 auf der crescendo Abo-CD: „Finale. Allegro energico“ aus dem „Violinkonzert Nr. 1“ von Max Bruch

Arabella Steinbacher

Daniel Behle

Wilhelm Backhaus

Herzlich empfunden

Back to the Roots

Mozart von früher

Bei Solokonzerten wird zumeist vor allem der Solist beachtet – was nun einmal in der Natur der Sache liegt. Doch gerade bei Mozart sind Orchester und Dirigent kongeniale Partner des Solisten. Wenn da etwas nicht passt, wird es unschön. Umso erfreulicher ist das neue Album Arabella Steinbachers mit den Festival Strings Lucerne: Solistin und Ensemble scheinen sich blind zu verstehen. Kein Wunder! Schließlich haben wir hier in Daniel Dodds einen musikalischen Leiter, der selbst zu den Weltklasseviolinvirtuosen zählt. So entstand ein erfrischend tänzerischer und empfindsam sanfter Mozartklang. Dem Album merkt man an, dass diese Einspielung ein Herzenswunsch Arabella Steinbachers gewesen ist, wie die Musikerin im Booklet betont. Interessant ist zudem, dass Steinbacher auf Kadenzen von Brahms-Intimus Joseph Joachim zurückgreift. So herzlich empfunden wie hier, hört man Mozarts Violinkonzerte nur selten. RA

Ludwig Tiecks Märchen Die schöne Magelone stand Pate für Brahms’ heute weitaus bekannteren Liederkreis gleichen Namens. Nun kommt etwas Spannendes: Ein Doppelalbum. CD 1 umfasst neben ausgewählten Liedern auch Brahms’ komplette Magelone. CD Nr. 2 offeriert alle Lieder daraus noch einmal, nun aber im Verbund mit der Prosalesung des Novellentextes. Das wurde in dieser Form noch nie zuvor gemacht. Daniel Behle singt (wie immer) ausgezeichnet. Er zählt zu Deutschlands besten Tenören und ist trotz großartiger Leistungen noch immer unterschätzt. Sveinung Bjelland, der mit Behle schon Schuberts Schöne Müllerin ver­ edelte, ist zudem ein wirklich guter Liedbegleiter. Tiecks Märchen wird von Hans-Jürgen Schatz gelesen, der für seine Hörbücher mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde. Eigentlich alles bestens – wären da nicht der schwammige, undifferenzierte Aufnahmeklang und fiese Tonschnitt-Patzer bei der Lesung. RA

Für den größten Teil des vergangenen Jahrhunderts war das Spiel des Pianisten Wilhelm Backhaus für viele der Inbegriff für korrekte Interpretationen des klassischen und romantischen Repertoires. Aus dem Archiv des ORF sind nun Livemitschnitte der Salzburger Mozartwochen 1956 und 1967 wieder erschienen, sorgfältig restauriert, plastisch im Klangbild und mit dezentem Grundrauschen. Backhaus zählt zu jenen Künstlern, für die ihre für sie vorteilhafte Verstrickung mit den Nazis nach 1945 keinen Karriereknick bedeutete. Sein Mozartspiel ist zugreifend, doch stets um klare Konturen bemüht, mit perlenden Läufen, und auf scheinbare Mühelosigkeit bedacht. Dass er dabei auch immer wieder eine Dramatik sucht, wie man sie erst bei Beethovens Sonaten erwarten würde, mag dem Zeitgeschmack geschuldet sein, kann aber auch nach über einem halben Jahrhundert nicht über ein fundamentales Verständnis der Werke Mozarts hinwegtäuschen. Das interpretatorische und spieltechnische Hörerlebnis stellt sich auch heute noch ein. US

W. A. Mozart: „Violin Concertos Nos. 3, 4 & 5“ Arabella Steinbacher, Festival Strings Lucerne, Daniel Dodds (Pentatone) Track 7 auf der crescendo Abo-CD: „3. Satz“ aus dem „Violinkonzert Nr. 5“

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Johannes Brahms: „Die schöne Magellone“ Daniel Behle, Sveinung Bjelland, Hans-Jürgen Schatz (Capriccio)

„Wilhelm Backhaus spielt Mozart“ Wilhelm Backhaus (Belvedere) Track 4 auf der crescendo Abo-CD: „Adagio“ aus der „Sonate c-Moll“

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Imp r e s s u m Orchester

Claudio Abbado

Abbado at his best Eben noch unter uns, schon „historic“: Audites KonzertdokumenteSerie vom Lucerne Festival präsentiert Claudio Abbado 1978 mit den Wiener Philharmonikern in Schuberts Unvollendeter und 1988 mit dem Chamber Orchestra of Europe in Beethovens 2. Sinfonie und Wagners Siegfried-Idyll. Und gemessen an heutigen Standards dürfen wir staunen, wie elegisch zart und natürlich die Wiener vor 35 Jahren Schubert spielten! Auch die spieltechnisch gleichfalls höchstkarätigen 1988er Mitschnitte klingen noch erstaunlich kultiviert und innig – nicht, dass die Dynamik der Form bezwingend erfasst wäre, doch Zauber und Leichtigkeit sind da, und der Aufnahmeklang stützt die Transparenz. Abbado vermochte live eben weit mehr zu fesseln als im Studio. Lediglich der spießbürgerlich argumentierende Booklettext fällt ab – ein hoher Meinungskonsens verbürgte noch nie die Stichhaltigkeit von Argumenten, geschweige denn Kreativität und Vision. CS

Schubert „Sinfonie Nr. 5 Die Unvollendete“ / Beethoven „Sinfonie Nr. 2“ / Wagner „Siegfried Idyll“ Wiener Philharmoniker, Chamber Orchestra of Europa, Claudio Abbado (Audite)

Oper

Giuseppe Verdi

Glühend intensiv

Jonas Kaufmann als Carlo, Anja Harteros als Elisabetta und Antonio Pappano am Dirigentenpult – diese Spitzenbesetzung machte aus der fünfaktigen, italienischen Fassung von Verdis Don Carlo ein musikalisches Fest und den Publikumsrenner der Salzburger Festspiele 2013. Die Aufzeichnung kann mit ihren Mitteln gegenüber dem Live-Erlebnis punkten: Die Lautstärkenbalance zwischen Sängern und Orchester stimmt, die Kameraführung dampft das berüchtigte Breitwandformat der Bühne ein. Zwar beschränkt sich Peter Steins Inszenierung vielfach auf tableauhaftes Arrangement, doch die großartigen und ausdrucksstarken Sänger, zu denen auch Thomas Hampson als Posa und Ekaterina Semenchuk als Eboli zählen, durchbrechen diese Schwäche: Vor allem im Gegenüber, in den Duetten, konturieren sie ihr individuelles Scheitern an der übermächtigen Staatsräson mit fesselnder Wahrhaftigkeit und glühender, mitreißender Intensität. AR

Giuseppe Verdi: „Don Carlo“ Jonas Kaufmann, Anja Harteros, Thomas Hampson, Wiener Philharmoniker, Antonio Pappano (Sony Classical)

Verlag Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München Telefon: +49-(0)89-741509-0, Fax: -11 info@crescendo.de, www.crescendo.de Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring

Herausgeber Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de

Verlagsleitung Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de

Chefredakteur Robert Kittel (RK, verantwortlich)

Art director Stefan Steitz

REdaktion Anna Novák (AN)

schlussREdaktion Edigna Hackelsberger

Autoren Tobias Haberl, Teresa Pieschacón ­Raphael (TPR), Antoinette Schmelter de Escobar (SDE)

Kolumnisten Attila Csampai, Daniel Hope, John Axelrod, Axel Brüggemann, Christoph Schlüren (CS)

Mitarbeiter dieser Ausgabe Angelika Rahm (AR), Uwe Schneider (US), Klaus Härtel (HÄ), Stefanie Paul, Götz Bühler (GB), Ralf Dombrowski (RD), Rainer Aschemeier (RA), Malve Gradinger (GRA), Hartmut Krafczyk, Carla Neumann (CN), Julia Hartel (JH), Maximilian Stössel (STÖ), Arnt Cobbers, Sina Kleinedler (SK), Antonia Emde, Katherina Knees (KK), Magdalena Wolf (MW), Dorothea Walchshäusl, Ruth Renée Reif, Serhan Bali, Holger Wemhoff, Stefan Sell, Hannah Glaser, Michael Ritter, Barbara Angerer-Winterstetter, Angelika Otto & Bob Coat.

Projektleitung plus regional Liselotte Richter-Lux | richter-lux@crescendo.de

Verlagsrepräsentanten Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de Kulturbetriebe: L. Richter-Lux | richter-lux@crescendo.de Hifi & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de

Auftragsmanagement Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de Angelika Otto | otto@crescendo.de

Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 17 vom 16.09.2013

Druck Westermann Druck, Georg-Westermann-Allee 66, 38104 Braunschweig

Vertrieb Axel Springer Vertriebsservice GmbH, Süderstr. 77, 20097 Hamburg www.as-vertriebsservice.de

Erscheinungsweise crescendo ist im Zeitschriftenhandel, bei Opern- und Konzert­häusern, im Kartenvorkauf und im Hifi- und Tonträgerhandel erhältlich. Copyright für alle Bei­träge bei Port Media GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die der Redaktion wieder. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Gewähr übernommen.

Abonnement

termin-Tipp

Foto: Monika Rittershaus

Don Carlo im Kino Die hier besprochene Aufführung von Verdis Don Carlo in der Inszenierung von Peter Stein wurde im August 2013 bei den Salzburger Festspielen aufgezeichnet. Am 20. Juli um 17 Uhr wird sie in ausgewählten UCI Kinowelten in Deutschland im Kino gezeigt. Mehr zum Thema „Oper im Kino“ finden Sie auf den Seiten 50/51.

Das crescendo premium-Abo umfasst sieben Ausgaben, inklusive­„crescendo Festspiel-Guide“ und zusätzlich sechs exklusive heftbegleitende premium-CDs und kostet 49,90 EUR pro Jahr inkl. MwSt. und Versand (Stand: 1.1.2012). Versand ins europ. Ausland: zzgl. EUR 3,- je Ausgabe Bank-/Portospesen. Zahlung per Rechnung: zzgl. EUR 5,Bearbeitungsgebühr. Kündigung: nach Ablauf des ersten Bezugsjahres, jederzeit fristlos. Abo-Service crescendo, Postfach 13 63, 82034 Deisenhofen Telefon: +49-89-8585-3548, Fax: -362452, abo@crescendo.de Verbreitete Auflage: 68.837 (laut IVW-Meldung 1/2014) ISSN: 1436-5529 geprüfte Auflage

Beilagenhinweis: Diese Ausgabe enthält (Teil-)Beilagen/Beihefter von Bad Reichenhall AlpenKlassik und CLASS.

Das nächste crescendo erscheint Am 10.09.2014

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Alte Musik

Les Arts Florissants

Ein Strauß bunter Blumen

Das Ensemble „Les Arts Florissants“ unter der Leitung von William Christie und die Teilnehmer der sechsten, von „Les Arts Florissants“ ausgerufenen Akademie „Le Jardin des Voix“ spielen und singen sich auf „Le Jardin de Monsieur Rameau“ quer durch die französische Vokalmusik des 18. Jahrhunderts – ein Strauß bunter Blumen, aber mit Bedacht zusammengestellt. Im Mittelpunkt – passend zum 250. Todestag – steht Jean-Philippe Rameau. So unterschiedlich die Stimmen der sechs SolistInnen jeweils sind, im Ensemble harmonieren sie ausgezeichnet mit­ einander. Dass die SängerInnen jeweils ihre ganz eigene Klangfarbe entwickeln dürfen, macht die Reise durch Monsieur Rameaus Garten umso spannender. Das Orchester ist hier nicht nur grünes Beiwerk zum Strauß – vor allem die HolzbläserInnen verstehen es, eindringlich, aber nicht aufdringlich zu spielen. Ein barocker Sound, der Spaß macht! MW

„Le Jardin de Monsieur Rameau“ Les Arts Florissants, William Christie (Les Arts Florissants, William Christie Éditions)

Huelgas Ensemble

Schatzfinder

Paul Van Nevel ist ein musikalischer Schatzfinder. Seine Lieblings-Schatzinsel ist die Polyphonie des 12. bis 16. Jahrhunderts. Dort sucht er mit seinem weltweit gerühmten Huelgas Ensemble jenseits der ausgetretenen Pfade und bringt immer wieder vergessene Kostbarkeiten ans Tageslicht. Zum Beispiel „Die Schätze des Claude Le Jeune“: der Komponist wird als Hugenotte zu seinen Lebzeiten (1528-1600) im katholischen Frankreich unterdrückt. Die großen Karrieren machen katholische Zeitgenossen und Landsmänner wie Orlando di Lasso, der Le Jeune allerdings hoch schätzt. Ebenso wie einige Gönner, Experten und Musikverleger, die ihm 1558 ermöglichen, eine große Sammlung seiner Motetten, Lieder und Madrigale in Druck zu geben. Eine monumentale Schatzkiste, aus der das Huelgas Ensemble die prächtigsten Juwelen ausgesucht hat. Mit lupenreiner Intonation, funkelnder Musizierfreude und strahlend transparentem acapella-Klang präsentieren die Schatzfinder einen zu Unrecht vergessenen musikalischen Reichtum voller kontrapunktischer Virtuosität, glänzender Fantasie und goldfein gewobener Polyphonie. STÖ

„The Treasures of Claude Le Jeune“ Huelgas Ensemble, Paul Van Nevel (Deutsche Harmonia Mundi) Julie Boulianne, Luc Beauséjour

Barocker Wettstreit Schneller, höher, weiter – in ihren Londoner Jahren komponierten die beiden barocken Meister Georg Friedrich Händel und Nicola Porpora an zwei konkurrierenden Opernhäusern um die Wette. Das führte zwar zum finanziellen Ruin beider Häuser, in dieser Zeit entstanden allerdings auch einige der bekanntesten Opern der Komponisten. Von Konkurrenzkampf ist auf der Aufnahme des Ensembles um den Cembalisten Luc Beauséjour mit der Mezzosopranistin Julie Boulianne nichts zu spüren – im Gegenteil: Bouliannes warme Stimmfarbe und das ausgezeichnete Orchester ergänzen sich nahezu perfekt. Über seltene Unstimmigkeiten in den Streichern tröstet der durchweg ausgewogene Gesamtklang schnell hinweg. Von mitreißend bis innig beherrschen die InstrumentalistInnen die ganze Palette barocker Klangfarben. Und um Julie Bouliannes samtweiche Stimme hätten sich in London wohl beide Komponisten gerissen. MW

„Händel & Porpora“ Julie Boulianne, Clavecin en Concert, Luc Beauséjour (Analekta) Track 3 auf der crescendo Abo-CD: „Ombra mai fu“ aus „Serse“

J. S. Bach-Stiftung St.Gallen

Schlanker Bachklang Diese Aufnahme ist ein absoluter Geheimtipp! Die J. S. Bach-Stiftung in St.Gallen hat es sich zum Ziel gesetzt, innerhalb von rund 25 Jahren das gesamte Vokalwerk von Johann Sebastian Bach aufzuführen. Jeden Monat wird im appenzellischen Trogen eine der über 200 Kantaten von Bach gespielt. Zum Auftakt der dazu erscheinenden CDs und DVDs widmete sich die Stiftung auch Bachs wohl intensivstem Werk: Die Mat­ thäus-Passion wird hier in schmaler Sängerbesetzung von jeweils maximal fünf Sängern pro Stimme dargeboten. Die St.Galler Interpretation ist jung, lebensbejahend und sowohl im Orchester als auch im Chor von berührend schöner Klangqualität. Die Musiker der Bach-Stiftung – teils Musikstudenten, teils Profisänger – werfen sich voller Engagement und Verständnis für Bachs Kompositionen ganz tief in das Werk hinein. Da trübt kein überflüssiges Vibrato die Aussage, schlanker Klang steht über Effekthascherei. Dirigent Rudolf Lutz bewegt sich in manchen Stücken zwar tempomäßig an der absoluten Obergrenze, doch das tut der Musikalität und intensiven Botschaft dieser Aufnahme keinen Abbruch. AN

Foto: Julien Faugère / ATMA Classique

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Johann Sebastian Bach: „Matthäus-Passion“ Chor und ­Orchester der J. S. Bach-Stiftung, Rudolf Lutz (J. S. Bach-Stiftung St.Gallen)

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Kammermusik Armonia Ensemble

Bläsers Lieblingsstücke

BERLINER PHILHARMONIKER RECORDINGS Das Label der Berliner Philharmoniker

„Es ist schwer, Schlüsse zu schreiben. Beethoven und Wagner konnten es. Es können nur die Großen. Ich kann’s auch.“ Diese Aussage Richard Strauss' zeugt von Selbstbewusstsein. Zu Recht, wie wir nicht erst heute, 150 Jahre nach seiner Geburt wissen. Er war Wunderkind, Komponist von über 200 Werken, Vollender der Spätromantik und darüber hinaus auch hervorragender Dirigent. Und er konnte nicht nur „Schlüsse“. Das Armonia Ensemble, dessen Mitglieder alle führende Solobläser des Leipziger Gewandhausorchesters sind, hat sich mit der vorliegenden CD dem besonderen Verhältnis des Komponisten zu den Blasinstrumenten angenommen. Genauer: den Bläsersonatinen in F-Dur Aus der Werkstatt eines Invaliden (von 1943) und Es-Dur Fröhliche Werkstatt (von 1945). Diese selten gespielten Werke stellen ausgesprochene Juwelen des Strauss’schen Alterswerkes dar. Die Werke beeindrucken durch ihre Vielfalt und Vielfarbigkeit, obwohl (oder weil?) nur Bläser zu hören sind. Bläser lieben die Sonatinen, weil Strauss in sinfonischer Fülle orchestriert, aber den Instrumenten Raum für solistischen Glanz lässt. Und die Hörer werden begeistert sein. HÄ

Die erste Veröffentlichung BERLINER PHILHARMONIKER SIR SIMON RATTLE ROBERT SCHUMANN SYMPHONIEN 1–4 2 CD + Blu-ray

Richard Strauss: „Bläsersonatinen“ Armonia Ensemble (Edel) Auer, Schütz, Traxler

Klingende Antwort Wer als Brahms-Liebhaber die Ungarischen Tänze in der Orchesterfassung auf CD besitzt, kennt wahrscheinlich das kryptische Kürzel „orch. F. Doppler“. Wer sich schon immer gefragt hat, was es damit auf sich hat, erhält mit dieser CD eine klingende Antwort. Franz und Karl Doppler waren Flötisten im Wiener Hofopernorchester der Brahms-Zeit. Als Duo traten sie mit eigenen Kompositionen auf, die „leicht“ klangen aber schwierig zu spielen waren. Hinter harmlosen Titeln wie Souvenir de Prague oder Duettino Hongrois verbargen sich enorm virtuose Stücke für Klavier und Flötenduo, die musikalisch zwischen Strauß’schem Walzer und konservativer Hochromantik pendelten. Ach ja, und Orchestrierung hatten die Dopplers auch im Angebot – zum Beispiel für einen gewissen Herrn Brahms. Die technisch tadellos, aber etwas steif und „eingeübt“ flötenden Solisten dieser CD, Walter Auer und Karl-Heinz Schütz, sind Soloflötisten an der Wiener Staats­ oper und somit so etwas wie Nachfolger im einstigen Amt der Doppler-Brüder. RA

Franz und Karl Doppler: „Con Bravura“ Walter Auer & Karl-Heinz Schütz, Christoph Traxler (Tudor) Track 8 auf der crescendo Abo-CD: „Tempo di Valse“ aus: Valse di Bravura

Ruth Maria und Angela Mossel

Tänzerische Musikmomente Duomusik für Violoncello und Geige gehört ja oft nicht gerade zu dem musikalischen Spektrum, das man gemeinhin als leicht eingängig titulieren würde. Mit diesem Album könnte sich das ändern. Die Schwestern Ruth Maria und Angela Mossel haben auf ihrem Album „two moments in a city“ von Debussy über Gershwin bis hin zu eigenen, sehr plastischen und leichtfüßig tänzerischen Kompositionen so manches zusammengestellt, das sich einfach leicht hören lässt und dabei trotzdem Niveau vermittelt. Dabei klingen die beiden Musikerinnen manchmal fast wie ein Streichquartett oder zumindest Streichtrio – so virtuos wissen sie ihre Instrumente zu handhaben, so effektvoll sind auch die Arrangements gestaltet. Zugegeben: Das thematische Motto der Scheibe erschließt sich mir nicht wirklich, ist aber auch egal. Bei diesem Album muss man nicht denken, man kann sich einfach treiben lassen – auch mal schön! RA

„two moments in a city“ Ruth Maria Mossel, Angela Mossel (musicaphon)

Jetzt bestellen unter www.berliner-philharmoniker-recordings.com

ROBERT SCHUMANN

SYMPHONIES

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz Karl-Heinz Steffens Vier sehr unterschiedliche Beiträge zur kompositorischen Königsgattung Sinfonie hat Robert Schumann geliefert – von der stürmischen Frühlingssinfonie bis zur festlich-majestätischen „Rheinischen“, in einer neuen Gesamteinspielung von Karl-Heinz Steffens und der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz brillant und sensibel nachgezeichnet. 2 SACDs, Bestellnr.: cov 91403

www.covielloclassics.de

im Exklusiv-Vertrieb von: . note 1 music gmbh Carl-Benz-Straße 1 . D-69115 Heidelberg Tel: 06221/720226 . info@note1-music.com . www.note1-music.com

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Jazz

Ulita Knaus

Perfekt kompakt Manche Sängerinnen klammern sich an ihre Band, in der Hoffnung, sie würde ihnen Halt geben. Ulita Knaus macht das Gegenteil. Sie gibt vor, zeigt der Musik und ihren Begleitern wie dem Pianisten Tino Gerado oder dem Bassisten Jorge Roeder, wo es lang geht. Obwohl gestandene Profis, lassen die Herren sich gerne an der Hand nehmen und von einer Künstlerin anleiten, der man bei jedem Ton anhört, dass sie weiß, was sie will. Mit klarer, modulationsarmer Stimme erzählt Ulita Knaus Geschichten, verdichtet ihre Lieder zu kompakten Statements über Liebe, Schicksal, Selbstbewusstsein. Die Musik ist karg, aber effektvoll arrangiert und besteht oft nur aus Kontrabass und Perkussion, ergänzt um einen Hauch Klavier oder eine Ahnung Gitarre. Und Ulita Knaus nutzt die Freiräume, um den Gesang so präsent und pointiert wie möglich zu gestalten. „The Moon On My Doorstep“ wird auf diese Weise zu einem fesselnden Album mit Song-Jazz voll faszinierender Details. RD

“The Moon On My Doorstep” Ulita Knaus (Membran)

Jacob Young

Traumtänze

Foto: Steven Ha

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Brian Blade

Halleluja-Jazz Es ist lange her, dass man hauptsächlich athletische Rhythmuskapriolen zu hören bekam, wenn Jazz-Schlagzeuger ihre eigenen Alben vorlegten. Bestes Beispiel für die neue Generation der elegant zurückhaltenden Drum-Leader ist Brian Blade, der große Melodiker unter den Trommlern. Vom Gospel kommend – noch immer spielt er regelmäßig im „Hallelujah Train“ seines predigenden Vaters in Shreveport, Louisiana – ist Brian Blade einer der einfühlsamsten Schlagzeuger der amerikanischen Musikszene, vielbeschäftigt auch bei Joni Mitchell, Bob Dylan oder Wayne Shorter. Nachdem sich Blade auf seinem letzten Album „Mama Rosa“ vor fünf Jahren selbst als anrührender Singer/Songwriter bewies, legt der bald 44-Jährige mit „Landmarks“ nun das vierte Album seiner „Fellowship Band“ vor. Auch hier stehen die Songs, einnehmend in ihrer hymnischen Kraft, im Vordergrund. Die Musik ist im besten Sinne „Spiritual Jazz“, ein musikalischer Götterdienst, der die Energien dieses Quintetts so eindrucksvoll bündelt, dass sie immer wie eine echte Gemeinschaft klingen – und dabei trotzdem immer nach mehr als der Summe ihrer Teile. Das muss man nicht glauben, aber unbedingt hören. GB

„Landmarks“ Brian Blade & The Fellowship Band (Blue Note)

„Gute Musik braucht keinen Reisepass“, meinte Jacob Young einmal. „Sie ist ein grenzenloses Unterfangen.“ Der Gitarrist, Sohn einer Norwegerin und eines Amerikaners, wollte damit ausgerechnet die Eigenheiten des norwegischen Jazz erklären, der sich zudem „besonders durch das Einbeziehen melodischer Improvisation in einem Rahmen mit viel Raum“ auszeichne. 1970 in Lillehammer geboren und in Oslo aufgewachsen, später in New York beim legendären Gitarristen Jim Hall ausgebildet, setzt der klangreiche Melodiker diese Einsichten auf seinem siebten Album um – mit einer neuen Band und eindrucksvoller denn je. Neben Young und seinem Schulfreund Trygve Seim an Tenor- und Sopransaxofonen überzeugen hier drei ausgezeichnete polnische Instrumentalisten: auch als „The Trio“ bekannt, machten der Pianist Marcin Wasilewski, Bassist Slavomir Kurkiewicz und Drummer Michal Miskiewicz schon an der Seite von ECM-Kollegen wie Tomasz Stanko oder Manu Katché von sich Reden. Wie perfekt sich dieses Quintett ergänzt, macht „Forever Young“ deutlich. Young-Originale wie Bounce oder Beauty, so harmonisch komplex wie melodisch leichtfüßig, bestechen mit subtilen Grooves und tatsächlich raumgreifenden Improvisationen. Wer in seinen Träumen tanzen will, hört am besten diese Musik. GB

„Forever Young“ Jacob Young (ECM) Reiner E. Moritz

Der Tanz im Film

Tanz

1895 erfanden die Gebrüder Lumière die Filmkamera und schufen damit auch die Möglichkeit für Tanz auf Film. Reiner E. Moritz skizziert dessen Geschichte anhand von Archivmaterial, beginnend mit raren Filmschnipseln, so der „Serpentinentanz“ von 1896 der US-Perfomance­ pionierin Loie Fuller, eine fußschnelle Sprungfolge einer Bournonville-Ballerina von 1903, Anna Pawlowa in Fokines Sterbendem Schwan und Ballets-Russes-Star Tamara Karsawina bei einem Stangen-Exercice von 1920. In harten Schnitten folgen richtungsweisende Beispiele aus Klassik, Neoklassik, Graham-/Cunningham-Moderne und experimentellem Video-Dance. Dazwischen schneidet Moritz, ebenso übergangslos, jeweils Kommentare von renommierten Choreografen, Tänzern und Kritikern. Und wenn so auch eher impressionistisch, bekommt man in 90 Minuten dennoch einen historischen Überblick: von dem über die Zeit veränderten, mehr athletischen Körper-/Tänzerbild bis zur nützlichen Arbeitshilfe „Proben-Video“, vom zunächst abgefilmten (Bühnen-)Tanz bis hin zum speziell für Film und Video kreierten Tanz. GRA

“A History of Dance on Screen” Ein Film von Reiner E. Moritz (Arthaus Musik) 38

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Leipziger Ballett

Der Mann mit der Melone Denkt man an Charlie Chaplin, hat man einen Mann mit XXL-Schuhen, schwarzem Anzug, Melone, Schnurrbärtchen und Spazierstock vor Augen. Denn in diesen Aufzug spielte er die von ihm erfundene Figur des Tramp, die den Komiker weltberühmt machte. In seinem Ballett Chaplin besetzt Choreograf Mario Schröder die Hauptrolle daher doppelt. Um das Spannungsfeld zwischen realem und Film-Leben auszuloten, lässt er Chaplin von Tyler Galster verkörpern, den Tramp von Amelia Waller. Außer den beiden veranschaulicht das ebenfalls virtuos tanzende Ensemble des Leipziger Balletts Chaplins Weg vom Kind aus schwierigen Verhältnissen über den Hollywood-Star bis zum Kommunismus-Verdacht. Mit der Kamera aus wechselnden Perspektiven eingefangen wird aus Schröders einfallsreichem Stück ein Film-Vergnügen, das das Gewandhausorchester mit einer Klang-Collage von Britten bis Wagner bereichert. SDE

“Chaplin. A Ballet by Mario Schröder” (Euroarts)

Tanz

Foto: www.zenna.de

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Sasha Waltz

Zielstrebig bis überfordernd Sasha Waltz gilt nach der 2009 verstorbenen großen Pina Bausch als Deutschlands führende Tanztheaterfrau. Brigitte Kramer hat nun ein sehr eindringliches Porträt der 51-Jährigen vorgelegt, das in mehreren Interviews an die erfolgreiche, zwischen Zielstrebigkeit und Selbstüberforderung aber auch gefährdete Choreografin heranführt und mit Ausschnitten aus 18 Werken ihre Entwicklung anschaulich macht. Man verfolgt ihren Weg von den ersten kurzen dynamischslapstickhaften Stücken für ihre 1993 mit Dramaturg und Ehemann Jochen Sandig gegründete Compagnie Sasha Waltz & Guests über die plastisch-körperbetonten Abendfüller an der Berliner Schaubühne (die sie von 2000-2005 mit Regisseur Thomas Ostermeier leitet) bis zu ihren Opern-Choreo-Inszenierungen für Elitehäuser wie die Pariser Oper und ihren Tanzbespielungen von Museen wie nur zum Beispiel von Daniel Libeskinds Jüdischem Museum in Berlin. Mit diesen tänzerisch bewegt verlebendigten AusstellungsArchitekturen hat Waltz , übrigens Tochter eines Architekten, wahrscheinlich ihren ureigenen künstlerischen Standort gefunden. Das 72-Minuten-Porträt wird ergänzt durch weitere 71 Minuten gefilmtes Material zu Waltz. GRA

„Sasha Waltz: A Portait by Brigitte Kramer“ (Arthaus Musik)

54. Bad Hersfelder Festspielkonzerte (16.00 Uhr) 35. Opernfestspiele in der Hersfelder Stiftsruine vom 21. Juni bis 20. August 2014 (20.30 Uhr) Schirmherr Hessischer Ministerpräsident Volker Bouffier Künstlerischer Direktor Prof. Siegfried Heinrich Samstag, 21.6.2014 Polnisches Nationalorchester Mendelssohn „Sommernachtstraum” / 3. Sinfonie „Die Schottische” Sonntag, 22.6.2014 Mendelssohn Bartholdy, „Elias” Hersfelder Festspielchor / Dirigent Siegfried Heinrich Samstag, 28.6.2014 Familienkonzert Arien aus Mozart, „Zauberflöte” und Humperdinck, „Hänsel und Gretel” Sonntag, 29.6.2014 Sinfoniekonzert, Mozart Klarinettenkonzert A-Dur Wagner „Siegfried-Idyll”

G. Verdi „Aida” am 4., 6., 8., 10., 12., 14., 16., 18. und 20.8.2014

W. A. Mozart „Così fan tutte” am 5., 7., 9., 11., 13., 15., 17. und 19.8.2014 Wiederholung wegen des großen Erfolges: Schüler- und Familienaufführungen

„Aida”

Samstag, 9.8. und Sonntag, 17.8.2014 jeweils 10.30 bis ca. 11.15 Uhr in der Stiftsruine Eintritt für Kinder 5,- € / Erwachsene 10,- € auf allen Plätzen Sonntag, 10.8., 11.30 Uhr

Festakt – Hersfelder Opernpreis G. Verdi „Aida” Foto: I. Buhlmann

Mitwirkung der Preisträger und der Virtuosi Brunenses / Eintritt frei

Das Hersfelder Opern-Ensemble war bei zahlreichen Festivals zu Gast, so zur Einweihung der Semperoper und der Alten Oper Frankfurt (M). Die Tokioer Asahi Shimbun schrieb: „Umgeben von dem Gemäuer der mittelalterlichen Stiftsruine hörten wir unter freiem Himmel Musik, in der Himmel und Hölle, Liebe und Leid einander durchdringen - ich werde dieses Erlebnis ein Leben lang nicht vergessen.”

Kartenverkauf & kostenlose Prospekte:

Arbeitskreis für Musik, Nachtigallenstr. 7, 36251 Bad Hersfeld Tel. 06621/506713 und 506718, Fax 06621/64355 info@opernfestspiele-badhersfeld.de, www.opernfestspiele-badhersfeld.de

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h ö r e n & s e h e n

Symphonic Klezmer

Balkan-Rallye für 75 Musiker

Foto: Claudia Bettinaglio

„Kolsimcha“ meets the London Symphony Orchestra und erobert die Abbey Road

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Das organisierte Chaos: Kolsimcha und das London Symphony Orchestra in den Abbey Road Studios.

er Basler Pianist und Komponist Olivier Truan ist ein Musik-Besessener, ein Multitalent und ein Mann mit Visionen. Seit nunmehr 28 Jahren prägt er das musikalische Profil des Schweizer Klezmer-Quintetts „Kolsimcha“, das die jüdische Traditionsmusik zunächst auf Hochzeiten spielte, doch bald danach die internationalen Konzertsäle eroberte. Im Unterschied zu den meisten anderen in alten Mustern dümpelnden Klezmer-Bands aber pflegte „Kolsimcha“ von Anbeginn eine faszinierende, wirklich weltumspannende stilistische Offenheit, die neben den jüdischen Musiktraditionen Folklore und Tanzmusik aus dem gesamten Balkanraum bis hinunter in die Türkei und den vorderen Orient miteinbezog, und diesen südosteuropäischen Musikteppich mit Jazzimprovisationen und Anleihen aus der abendländischen Klassik zu einer Art neuer Weltmusik, zu „Contemporary Klezmer“, weiterentwickelte. Diese verwirrende stilistische Vielfalt und dieser unerschöpfliche Einfallsreichtum ist aber stets eingebunden in einen betörenden Rausch improvisatorischer Virtuosität und überbordender Spielfreude, die wie Funken des wirklichen Lebens sofort jeden Zuhörer, jedes Publikum elektrisieren und mitreißen. Dafür bürgen auch die beiden Top-Solisten Ariel Zuckermann (Flöte) und Michael Heitzler (Klarinette). Nach zehn erfolgreichen CDs wollte „Kolsimcha“ jetzt einen langgehegten Traum verwirklichen: Schon zuvor hatten sie immer wieder Konzerte mit klassischen Sinfonieorchestern gegeben und diesen fertige Arrangements vorgelegt. Für das erste sinfonische Album aber wollte Olivier Truan gleich das London Symphony Orchestra engagieren. Und da die nicht ganz billig sind und er auch unbedingt die legendären Abbey-Road-Studios buchen wollte, gab es nur einen Ausweg: Crowdfunding. Über das britische 40

Internetportal „kickstarter“ sammelte er in wenigen Tagen die nötige Summe, und so kam es in London im vergangenen August zu der denkwürdigen Studiosession zwischen der Schweizer KlezmerBand und 70 hochmotivierten britischen Klassik-Cracks: Alle 16 Tracks des Albums hatte Truan selbst komponiert und für das LSO orchestriert. Und danach waren alle, Musiker wie Tonmeister, restlos begeistert. Dieses Album fällt wirklich mit der Tür ins Haus. Schon nach wenigen Takten des wilden Eröffnungsstücks „Autostrada“ ist man schier überwältigt von der geballten Power und der unglaublichen rhythmischen Präzision dieser musikalischen Hochgeschwindigkeits-Orgie für 75 Solisten. Wie wenn man in einem Ferrari auf einer imaginären Balkan-Autobahn von Budapest bis Istanbul mit 300 Sachen durchrasen – und heil ankommen würde: ein einziger Ausbund an Lebensfreude, schlicht unwiderstehlich. Und dann folgt ein 70-minütiges Abenteuer quer durch alle Stile, Landschaften, Rhythmen und Seelenlagen des modernen „Klezmer“, der eindringlich belegt, dass auch ein solches Weltklasse-Orchester zirzensisch brillieren und auf hohem Niveau unterhalten kann, wenn man es nur richtig „füttert“. Und um das Abenteuer komplett, „wasserdicht“ zu machen, hat Vordenker Truan diesmal auf den „Schutzschirm“ eines Labels verzichtet und auch den Vertrieb des Albums selber organisiert; denn er will sich auch beim Geschäftlichen seine Freiheit bewahren, und sich von niemandem dreinreden lassen: Auch hier sorgt „Kolsimcha“ für neue, frische Denkansätze in der angestaubten Klassikszene. Attila Csampai Kolsimcha & London Symphony Orchestra, Ariel Zuckerman (fl); Michael Heitzler, Olivier Truan, Christoph Staudenmann, Daniel Fricker, London Symphony Orchestra (zu beziehen über: www.kolsimcha.net) www.crescendo.de

Juni – Augus t 2014



h ö r e n & s e h e n

Film

Coole Elbstreicher

Krzysztof Penderecki

Musik mit Sonnenbrille

Eminenter Stratege und Techniker

Fünf- bis 18-Jährige spielen zusammen in einem Streich-Orchester. Ohne Noten. Ohne Dirigentin. Wie soll das funktionieren? Gesa Riedel ist die Gründerin der „Coolen ElbStreicher“ und hat dieses Konzept, das das Gruppenempfinden auf ganz besondere Weise stärkt, entwickelt. Und der Dokumentarfilm „Die coolen ElbStreicher“ beweist, dass es funktioniert. Wir erleben muntere, motivierte, gut gelaunte kleine Musiker mit Celli, Geigen und Bratschen – und teilweise mit Sonnenbrillen, schließlich sind es ja „die coolen“ Streicher – die richtig gute Musik auf die Bühne bringen. Neben dem Film, der den Arbeitsprozess bis zum fertigen Projekt begleitet, finden sich auf der DVD auch ein kompletter Konzert-Mitschnitt sowie Statements von Prominenten wie Udo Lindenberg, Jörg Pilawa und Joja Wendt. So klappt das mit der Musikvermittlung! CN

Die opportunistischen Sektierer der Avantgarde reagieren allergisch auf Krzysztof Penderecki, seit er sie im Lauf der sechziger Jahre verlassen hat. Der Film von Anna Schmidt stellt den 1933 geborenen Polen in sympathischster Weise vor, der wie sein großer dänischer Kollege Vagn Holmboe seine üppigen Ländereien vor allem nutzt, um tausende Bäume zu pflanzen. Penderecki ist ein eminenter Stratege und disziplinierter Techniker, sei es als Komponist, Gartenarchitekt oder Vertreter seiner Interessen. Führende Virtuosen setzen sich für ihn ein, von Janine Jansen und Julian Rachlin zu Lorin Maazel und Mariss Jansons. Und Celebrities allenthalben: Andrzej Wajda, Jonny Greenwood von Radiohead, Anne-Sophie Mutter – sie alle kommen vor, als Nebendarsteller wie Sommer und Winter in Pendereckis herrlichem Landsitz nahe Krakau, und in Rückblenden wird ein wenig Geschichte aufgerollt. Ein lebendiges, gelungenes Porträt. CS

„Die coolen ElbStreicher“ Ein Film von Wolfgang Barth und Rainer Schmidt (Mensch und Musik e.V./Coole ElbStreicher)

„Paths through the Labyrinth. The Composer Krzysztof Penderecki“ Ein Film von Anna Schmidt (C Major) Quatuor Ebène

Gruß aus Brasilien

Foto: Julien Mignot / VirginClassics

Zu jeder Fußball-WM gehört ein offizieller FIFA-Song: 2014 ist das We Are One von Jennifer Lopez, Pitbull und Claudia Leitte. Keine Massenware, aber trotzdem ein perfekt passender Soundtrack für den Austragungsort des diesjährigen Mega-Sportereignisses ist das neue Album des Quatuor Ébène: „Brazil“. In 13 Songs feiern die vier französischen Streicher die stilistische Vielfalt Brasiliens, ohne sich „um Grenzen zu kümmern“. Denn „die Geschichte dieses Landes ist geprägt von den verschiedenen Ethnien, die sich mischen, vom Neue Licht und von der musikalischen Feuersglut.“ Kongeniale MitWelten streiter bei ihrem Unterfangen von Bossa Nova bis Samba sind Stacey Kent, Bernard Lavilliers und Marcos Valle, die den sensiblen Schmelz ihrer Stimmen beisteuern. Samtweich klingt das in So Nice, energiegeladen bei Piazzolas Libertango – ein wunderbar sortiertes und arrangiertes Crossover-Projekt. SDE

„Brazil“ Quatuor Ébène (Erato)

Leonidas Kavakos & Yuja Wang

Thomas Larcher

Geige jagt Klavier

Klangsinnlich

Brahms’ Violinsonaten erschienen dieser Tage gleich mehrmals in Neueinspielungen. Was also ist das Besondere an ausgerechnet dieser vom DECCA-Label? Es gibt z.B. einige Programm-Besonderheiten, wie etwa ein effektvolles Violin-Arrangement von Brahms’ Wiegenlied („Guten Abend, gute Nacht...“) sowie das stürmische Scherzo aus der selten zu hörenden „F.A.E.-Sonate“, die Schumann, Brahms und Dietrich 1853 gemeinsam komponiert hatten. Herausragend ist aber vor allem Leonidas Kavakos’ äußerst emotionale Interpretation. Der gefeierte Grieche klingt zurzeit wie Gidon Kremer in seinen besten Jahren. Vom ersten Ton an ist aber auch klar: Kavakos ist hier der Chef im Ring, und Yuja Wang darf zusehen, wie sie damit klar kommt. Das gelingt dem chinesischen Klaviershootingstar aber gut, obwohl der nie um ein extra-acclerando verlegene Kavakos sie manchmal ganz schön vor sich her treibt. Spannend zu hören ist das allemal. RA

Es ist eine eigene Klangwelt, die sich der Tiroler Komponist Thomas Larcher, Jahrgang 1963, erarbeitet hat. Nicht, dass sie ohne Bezüge zur Avantgarde der letzten Jahrzehnte stünde, doch seine intensiven Verdichtungen in Klang, Ausdruck und Form haben zu einem eigenen Personalstil gefunden. Die extremen Verknappungen, die Tamara Stefanovich mit großem Gespür für die Sinnlichkeit der Klänge am präparierten Klavier in Smart Dust, Poems und What becomes zu kreieren weiß, mal klangverfremdend, mit irrwitziger Perkussivität, dann wieder Tönen nachlauschend, mit belcantesken, fast schubertartigen Miniaturen sind von der Notwendigkeit nach Ausdrucks geprägt. Der für Mark Padmore geschriebene Liederzyklus auf Sprachspiele österreichischer Gegenwartautoren verbindet diesen Zwang zur Expressivität mit Sprache und Stimme. Padmore selbst lotet diese Geistesblitze und Sinngedichte feinfühlig und präzise mit hellem, fragilem Tenor aus. Zeitgenössische Musik, die den Hörer erreicht. Wie oft lässt sich das schon sagen? US

Kammermusik

„Brahms: The Violin Sonatas“ Leonidas Kavakos, Yuja Wang (Decca) 42

Thomas Larcher „What becomes“ Tamara Stefanovich, Mark Padmore (Harmonia Mundi) www.crescendo.de

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Neues aus dem Mekka der Opernkenner Die Münchner Partiturserie „Opera Explorer“

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ie Verbreitung und Rossini, Bellini, Donizetti, Verdi Bekanntheit musiund Ponchielli bis zu Boitos MefisDie Christoph-Schlüren-Kolumne kalischer Werke hat tofele und Busonis Brautwahl und seit jeher sehr viel Arlecchino, Britisches und Flämidamit zu tun, ob es sches runden das Bild ab. Über 100 käufliche Partituren gibt. Wer etwa Partituren von Opern, die von den César Francks Béatitudes, Enescus Œdipe oder Faurés Prométhée Ursprungsverlagen nicht angeboten werden, geben jedem Interesgehört hat und mehr davon sehen will als einen Klavierauszug, kann senten reichlich Gelegenheit, sich direkt an der Quelle zu informiedurchaus bald zu spüren bekommen, dass er am Beginn einer Odys- ren und nicht einfach nur blind vertrauen zu müssen, dass die Aufsee steht. Diese Situation hat vor zwölf Jahren dazu geführt, dass die führenden „es schon richten werden“. Dadurch, dass diese PartituMusikproduktion Höflich in München ihre Serie ‚Repertoire Explo- ren zunehmend in vielen Bibliotheken vorhanden sind, gelangen sie rer’ mit anderswo nicht erhältlichen Partituren startete, die mittler- auch in die Hände der Studierenden, die bislang damit gar nicht in weile auf ca. 1500 Titel angewachsen ist. Da findet sich nicht nur Kontakt kommen konnten. Auf diese Weise ist zu h ­ offen, dass sich Bekanntes wie Debussys Le martyre de St Sébastien oder Josef Suks das Repertoire in Zukunft unvorhersehbar erweitern kann. Asrael-Sinfonie, sondern auch eine überwältigende Vielfalt vergesseDie Macher von „Opera Explorer“ tun damit etwas, was sich ner Großmeister wie John Foulds, Albéric Magnard, Paul Büttner, bezüglich des Arbeitsaufwands kein Verlag leisten könnte. Viele Heinz Tiessen oder Heinrich Kaminski, immer häufiger auch in Hände helfen dabei. Jede Partitur wird vor Veröffentlichung Urtext-Erstdrucken. Ein besonderes Schwergewicht bildet dabei die optisch ausgebessert – Notenlinien werden nachgezogen, im alten Serie „Opera Explorer“. Druck Verblichenes wird ergänzt, alles wird gesäubert. Jeder ParSo kann man zwar die Partituren von Richard Wagners Opern titur ist obligatorisch ein Vorwort vorangestellt, das auch für Draab dem Rienzi durchaus immer schon in erschwinglichen Studien- maturgen und Kritiker ausgezeichnete Dienste leistet. All diese partituren erwerben, doch Frühwerke wie die Feen oder das Liebes- Arbeit kann natürlich nicht bezahlt werden, sämtliche Autoren verbot hat erst der Opera Explorer in entsprechender Form zugäng- und Übersetzer sind in einem weltumspannenden Netzwerk lich gemacht. Besonders imposant sind die großen Meisterwerke ehrenamtlich tätig. Es ist zudem ein klares Statement dieser markt­ der russischen Oper von Bortniansky, Glinka, Borodin (Fürst Igor), unabhängigen Münchner Hinterhof-Unternehmung mit eigener Tschaikowsky, Rimsky-Korsakov (10 Werke), Mussorgsky, Tanejev Druckerei, dass man auch keinen Wert auf die gängigen Verkaufs(Oresteia) und Rachmaninoff vertreten, aber auch das deutsche mechanismen legt: Weder sind die Partituren per EAN-Code elekOpernschaffen jenseits von Mozart, Fidelio und Freischütz: Weber, tronisch erfasst noch gibt es ein Budget für Werbung. Die Qualität Marschner, Spohr, Schubert, Mendelssohn, Schumann, Nicolai, spricht sich unter Fachleuten ohnehin unaufhaltsam herum, und Lortzing, Cornelius, Reinecke, Draeseke, Hermann Goetz, Hugo täglich trudeln Bestellungen aus aller Welt ein. Wer eine seltene Wolf, d’Albert, Thuille, Schillings, Siegfried Wagner, Zemlinsky, Partitur sein eigen nennt, kann einfach einen Besuch in der WerkSchreker, Braunfels, Gurlitt und mit 6 Werken statt machen und seinen Beitrag dazu leisten, Ernst Krenek. Fast wie ‚Who is Who’ dass unser Kulturleben reicher und nimmt sich der Katalog französischer vielfältiger wird. Der komplette Opern aus mit Lully, Méhul, Boieldieu, Katalog ist online einsehbar, auch Berlioz, Meyerbeer, Delibes, Gounod, kann man dort einen großen Teil Saint-Saëns oder Ravel, mit lange nicht der Vorworte lesen. Ein englischer erhältlichen Juwelen wie Lalos Le Roi d’Ys, Kritiker sprach unlängst schon vom Chabriers Gwendoline, Faurés Pénélope, „neuen Mekka der Opernkenner“. Chaussons Le Roi Artus, Dukas’ Ariane et Opera Explorer, über www.musikmph.de Barbe-bleue, Roussels Padmâvatî, Sechs Smetana-Opern und Dvořáks Rusalka, eine Vielzahl italienischer Meister von Spontini,

Unerhörtes & neu Entdecktes

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A k u s t i k

Drei Premieren und ein spontaner Szenenapplaus Stark, stärker, Verstärker: Der US-Hersteller NuForce präsentiert drei Neuentwicklungen für Musikliebhaber, die in puncto Klangqualität keine Kompromisse kennen.

H NuPrime P-20 & Ref-20 Ein auch optisch harmonierendes Klangduo. Preise: 5.000 (P-20) und 3.900 Euro (Ref-20)

ören und staunen: Was das Unternehmen NuForce jüngst auf der „hifideluxe 2014“ in München vorstellte, überraschte die High-End-Szene. Gleich drei Neuentwicklungen feierten eine viel beachtete Weltpremiere auf dem audiophilen Forum, das parallel zur Messe „Highend“ stattfand: die analoge Vorstufe „NuPrime P-20 im Zusammenspiel mit der digitalen Monoendstufe „NuPrime Reference 20“ und der digitale Vollverstärker NuPrime IDA-16 (siehe unten). Alle drei Neuheiten sind Teil der NuForce NuPrime-Reihe. Der Vorverstärker „NuPrime P-20“ konnte im Vergleich zum Vorgängermodell „P-9“ seine Klangtransparenz noch steigern und die Störgeräusche und das Rauschen weiter minimieren. Laut NuForce flossen hierfür mehrere technische Innovationen in die Entwicklung des P-20 mit ein. Beim „Reference 20“ wiederum steigerte NuForce gegenüber dem Vorgängermodell die Ausgangsleistung um 80 Watt auf nunmehr 420 Watt. Natürlich ist dies aber nicht ausschlaggebend für die beachtliche Klangleistung. Neu entwickelte Technologien und hochwertige Bauteile sind der Grund für ungewöhnlich geringe Signalverluste und eine hohe Störunterdrückung, die sich in einer natürlichen Musikwiedergabe niederschlagen. Hifi-Enthusiasten ist die kalifornische High-EndSchmiede NuForce schon lange ein Begriff. Das Unternehmen steht nicht nur für kompromisslose Klangqualität, sondern auch für hohe Ansprüche ans Design, was sich in einer puristischen Optik der Geräte ausdrückt. In Deutschland werden NuForce-Produkte über die TAD-Audiovertrieb GmbH (www.tad-audiovertrieb.de) angeboten.

NuPrime IDA-16

Digitaler Vollverstärker Der NuPrime IDA-16 setzt Bestmarken, ist er doch der erste digitale Vollverstärker mit 384 kHz- und DSD-Decodierung (Direct Stream Digital). Er liefert an seinen analogen und digitalen Audioausgängen sowie den Lautsprecheranschlüssen extrem hochauflösende und somit fast völlig unverfälschte Audiosignale. Zusätzlich vermindert die radikal verkürzte Signalverarbeitung alle Qualitätsbeeinträchtigungen auf ein kaum mehr messbares Minimum. Fünf Digitaleingänge bieten ausreichende Reserven für Zuspieler. NuForce NuPrime IDA-16 Schön und leistungsstark. Info: www.nuforce.com Preis: 2.500 Euro

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A k u s t i k

Die neue Lust am alten Klang Musik hören wie in der guten alten Zeit – aber mit dem Know-how und der Technik der Gegenwart: Der Plattenspieler Rega RP10 verleiht dem Vinyl einen neuen Glanz.

Plattenspieler Rega RP10 mit Tonarm RB2000 Info: www.rega-audio.de Preis: 4.500 Euro (ohne Tonabnehmersystem)

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er weiß: Hätte es vor mehr als 30 Jahren qualitativ so hochwertige Plattenspieler wie heute gegeben, vielleicht hätte die CD nie eine Chance gehabt. Zumindest wäre es ihr weitaus schwerer gefallen, das Vinyl aus den Regalen der Musikliebhaber zu verdrängen. Ganz ist es ihr bis heute nicht gelungen, im Gegenteil: Es gibt sogar wieder mehr Musikenthusiasten, die lieber eine Platte auflegen als eine CD einschieben. Die steigenden Verkaufszahlen für Vinyl-Tonträger beweisen es. Voraussetzung für die Lust am Vinyl ist aber, dass es weiterhin Hersteller für High-End-Laufwerke gibt. Hierzu zählt zweifelsohne die britische Firma Rega Research Limited, die schon mit ihrem Top-Modell P9 allerbeste Bewertungen einheimste. Vor Kurzem kam nun das Nachfolgermodell RP10 auf den Markt, das schon lange vor dem Verkaufsstart für Aufregung in der Szene sorgte. Es folgt wieder der Rega eigenen Firmenphilosophie, wonach ein guter Plattenspieler ein zwar

möglichst leichtes, aber extrem steifes und stabiles Chassis vorweisen muss – zwei Eigenschaften, die sich nur mit viel Know-how und Raffinesse unter einen Hut bringen lassen. Entsprechend liest sich die Materialkomposition des RP10 wie die Zutatenliste eines Fünf-Sterne-Kochs: Das Chassis-Skelett besteht im Inneren aus einem geschäumten Spezialmaterial, was sein geringes Gewicht erklärt. Doppelverstrebungen aus Magnesium und Phenol stabilisieren die Verbindung zwischen Tonarmbasis und Plattentellerlager und verhindern störende Resonanzen. Der Plattenteller selbst ist aus gebrannter SilikatKeramik hergestellt, und der handgefertigte Tonarm aus poliertem Aluminium. Das Netzteil wurde neu konzipiert und natürlich extern platziert, wo es keinen Einfluss auf den ebenso komplizierten wie sensiblen Organismus des Plattenspielers haben kann. Jedes Detail offenbart die Besessenheit der Ingenieure, mit ihrer Konstruktion und Materialwahl ein großes Ziel zu verfolgen: dem einzigartigen Klangerlebnis des Vinyl zur bestmöglichen Entfaltung zu verhelfen. 45


e r l e b e n

Villa Papendorf

Weltstars im Wohnzimmer Eine Fabrikantenvilla bei Rostock, zu DDR-Zeiten heruntergekommen, hat sich zum Geheimtipp für Kammermusikliebhaber entwickelt. Zu Besuch bei den Hauskonzerten in der Villa Papendorf. Von Clemens Matuschek Im Kamin prasselt ein munteres Feuerchen, gemütliche Ledersessel und Sofas mit bunten Kissen laden zum Verweilen ein, in der Ecke steht die gut sortierte Hausbar bereit. Wer die „Private Concerts“ in der Villa Papendorf bei Rostock besucht, findet sich unversehens in fremder Leute Wohnzimmer wieder. Es wirkt, als habe der Hausherr nur rasch den Teppich eingerollt, den Esstisch beiseite gerückt und einige Dutzend Stühle herbeigeschafft – und genauso ist es auch. Der Hausherr heißt in diesem Fall Olav Killinger und ist im Hauptberuf Reeder. 2007 kaufte der 45-jährige Hamburger die Villa am südlichen Stadtrand von Rostock, um sie liebevoll zu sanieren. Erbaut hatte sie exakt 100 Jahre zuvor der Schwiegervater seines Großvaters, damals Besitzer der größten Ziegelwerke Norddeutschlands. In unmittelbarer Nähe zu seiner Fabrik an der Warnow schuf er sich einen standesgemäßen Familiensitz: eine schneeweiße Villa im Gründerzeit-Zuckerbäckerstil, komplett mit Uhrenturm, Veranda und Kutschenauffahrt, eingebettet in eine romantische Parkanlage. Zu DDR-Zeiten bröckelten Putz und Glanz des 46

Schmuckstücks allerdings; Killingers Großmutter übersiedelte 1950 nach Hamburg. Erst nach der Wende reiste der junge Unternehmer erstmals nach Papendorf und fand das Familienerbe verfallen vor. Nun aber erstrahlt das Anwesen wieder in altem, neuem Glanz. Doch allein mit der Restaurierung gab sich Olav Killinger nicht zufrieden: „Mit so einem tollen Haus muss man doch etwas anfangen.“ Der smarte Geschäftsmann mit dem jungenhaft gescheitelten rotblonden Haar sucht eben die Herausforderung – egal ob privat oder beruflich, wo er seine Stelle bei einer großen Reederei aufgab, um sich als Konkurrent selbstständig zu machen. Heute listet das Schiffsregister seiner Reederei „United Seven“ immerhin 15 Frachter. Seine Idee für Papendorf: Klassische Musik im Salon, frei nach dem Motto „Große Künstler im kleinen Rahmen“. Seit 2012 veranstaltet er also Kammermusikkonzerte im Wohnzimmer der Villa; in diesem Kalenderjahr 25 an der Zahl. Die Liste seiner Gastkünstler braucht den Vergleich mit arrivierten Konzerthallen großer Metropolen kaum zu scheuen: Der Geiger Frank Peter Zimmermann ist mit von der Partie, die Cellisten www.crescendo.de

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Fotos: Villa Papendorf; Angelika Heim

Salon der Villa Papendorf

Regelmäßige Gäste: Sebastian Knauer und Hannelore Elsner

Daniel Müller-Schott und David Geringas, die Pianistinnen Lise de ßen seine Reihen „Begegnungen im Salon“ oder „Klassik ganz prila Salle und Anna Vinnitskaya, dazu Schauspieler wie Gudrun vat“. Dafür nimmt er gerne in Kauf, dass die Akustik im WohnzimLandgrebe oder Dominique Horwitz. Mischa Maisky kommt schon mer ein bisschen knifflig ist und von der zentimetergenauen zum zweiten Mal; den Rekord hält der Hamburger Pianist Sebastian Positionierung des Flügels abhängt – und auch, dass die KartenKnauer mit sieben Gastspielen. Ihm ist es auch vorbehalten, die preise nicht ganz günstig sind (zwischen 60 und 140 Euro, ErmäßiPapendorf-Saison 2014 im Februar im Dialog mit Hannelore Elsner gungen gibt es nicht). Anders lasse sich bei einem so kleinen Platzzu eröffnen: Sie liest aus der Autobiografie von George Sand, er angebot keine schwarze Null schreiben, trotz einiger Sponsoren aus spielt im Wechsel Chopin, der mit der Dichterin liiert war und der Schifffahrtswelt. Für den Reeder ist der Einstieg ins Konzertvergemeinsam mit ihr eine tragisch umflorte Reise nach Mallorca anstalter-Business – in dem er sich selbst noch immer als Neuling unternahm. Ein charmantes Programm, dessen Intimität wie sieht – eine „spannende und lehrreiche“ Angelegenheit. Schließlich verhandelte er bislang zwar regelmäßig über Weizen- und Eisenerzgeschaffen ist für die Villa Papendorf. Künstler wie Publikum schätzen die private Atmosphäre und Ladungen, aber selten mit den Agenten von Weltstars der Klassik. den engen Kontakt. Der Salon fasst etwa 80 Zuhörer in einem Dut- Da war es auch nur bedingt hilfreich, dass Killinger selbst von Kinzend Sitzreihen lose gestellter Stühle, eine geöffnete Flügeltür fun- desbeinen an Trompete und Klavier spielt. Mit seinen Konzerten, da ist er sich mit giert als Bühnenportal. Vorn steht der SteinwayVilla papendorf Hannelore Elsner und Sebastian Knauer einig, B-Flügel, den Killinger auf Rat von Knauer eigens Alte Ziegelei 1 leistet er jedenfalls einen wichtigen Beitrag zur angeschafft hat, hinten reihen sich Bücherregale. 18059 Papendorf/Rostock nordostdeutschen Musiklandschaft. Denn auch Die dunkle Holzvertäfelung kontrastiert mit den Tel: +49-(0)381-444 44 777 wenn Rostock über eine vorzügliche Musikhochverspielten bunten Glasfenstern, und an der Wand service@villa-papendorf.de schule verfügt und die Festspiele Mecklenburgwww.villa-papendorf.de hängt eine verblüffend echt wirkende, großformaVorpommern im Sommer das Land mit Musik tige Reproduktion von Carl Spitzwegs Sonntagsspaziergang, der ironischen Ikone des Biedermeier. Ein passende- überziehen, lockt Killinger Stars und Musikliebhaber in diese res Gemälde könnte man sich für diesen Raum nicht vorstellen, Gegend, die den Weg sonst vielleicht nicht finden würden. Von schließlich fällt in die Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Hamburg aus ist die Villa in etwa anderthalb, von Berlin aus in zwei Geburtsstunde der klassischen Salon-Musik: Schubert und seine Autostunden zu erreichen. Die Konzerte sind zumeist auf Samstage Freunde veranstalten „Schubertiaden“ mit Gesang und Rezitation, terminiert, um Wochenend-Ausflüglern die Möglichkeit zu geben, Schumann, Chopin und Liszt geben private Klavierabende. Der tagsüber den historischen Stadtkern von Rostock mit seinen mächGeist dieser Epoche ist in der Villa Papendorf mit Händen greifbar tigen Backsteingotik-Kirchen zu erkunden. Und die Pläne für die – schon am Eingang, wo Olav Killinger alle Gäste persönlich mit nächsten Jahre liegen auch schon in der Schublade: Auf den aktuellen Cello- soll ein Geigen-Schwerpunkt folgen, dann vielleicht das einem Glas Champagner begrüßt. Entsprechend euphorisch fällt auch die Reaktion der Künstler Artemis Quartett … Inzwischen ist der letzte Akkord verklungen, Elsner und aus. „Von der Villa Papendorf bin ich vollauf begeistert“, schwärmt Hannelore Elsner. „Olav Killinger hat aus einer schönen Villa mit Knauer haben mächtig Applaus und Blumensträuße entgegengeviel Liebe einen Musentempel gemacht. Die Räume sind so nommen und sich anschließend unter die Besucher gemischt: hier geschmackvoll eingerichtet, und die Nähe zum Publikum schafft eine Nachfrage, dort ein Autogramm, da ein Erinnerungsfoto mit eine ganz besondere, intime Atmosphäre.“ Ohnehin schätzt der dem Smartphone. Noch lange nach dem Konzert stehen im Salon Film- und Fernsehstar den Kontakt zu anderen Kunstsparten: „Ich und im Kaminzimmer Grüppchen von Zuhörern, die sich über liebe klassische Musik. Sogar wenn ich auf der Bühne stehe und den Abend austauschen. Und Gastgeber Olav Killinger lässt es sich nicht nehmen, George Sand lese, könnte ich weinen vor Rührung, wenn Sebastian Knauer Chopin spielt.“ Knauer gibt das Kompliment artig zurück, Künstler und Freunde an einer langen Tafel persönlich mit Roterklärt aber auch, vor welche Herausforderung das Setting die wein und einem Teller Nudeln zu versorgen. Nach seinem Künstler stellt: „In einem großen Saal zu spielen ist fast einfacher als schönsten Konzerterlebnis in der Villa gefragt, mag er sich in so einem kleinen Rahmen. Auf der großen Bühne ist es leichter, zunächst gar nicht festlegen. „Das Schönste“, sagt er schließlich, sich Freiraum zu schaffen – die Zuhörer sind recht weit weg. Hier „sind die Rückmeldungen begeisterter Gäste. Nach Mischa Maiskys letztem Auftritt schrieb mir jemand, so intensiv und unmittelhöre ich sie atmen! Aber das macht eben die Besonderheit aus.“ Genau das möchte Olav Killinger erreichen. Die Nähe zwi- bar könne man Musik wohl in keinem Konzertsaal der Welt erleschen Künstlern und Zuhörern ist ihm wichtig; entsprechend hei- ben. Das sprach mir aus der Seele.“ n 47


e r l e b e n

Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz bei den Meisterkonzerten im Musensaal des Mannheimer Rosengartens

Ein Lebensbegleiter für die Metropolregion Ein Orchester im Aufbruch: Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz will mit kreativen Konzertreihen auch über den Rhein hinweg Botschafter ihres Landes sein. Von Julia Hartel

Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz kann auf eine ist die bereits in der letzten Saison gestartete Sommermusikfest95-jährige Geschichte zurückblicken. Mit dem Zweiergespann aus reihe „Modern Times“, bei der es, wie das Motto verrät, um moderne Karl-Heinz Steffens (seit 2009 Generalmusikdirektor und Chefdiri- Musik geht. Allerdings, so Michael Kaufmann, werde in diesem Jahr gent) und Michael Kaufmann (Intendant seit 2011) kam jedoch der Moderne-Begriff weiter gefasst: „Wir lassen Komponisten, die noch einmal merklich frischer Wind in das Orchester und seine in ihrer jeweiligen Zeit neue Wege beschritten, die als ‚aufbrecheriAktivitäten. Der Wunsch, sich in der Metropolregion stärker mit sche Typen‘ empfunden wurden, solchen aus dem 20. Jahrhundert einem eigenen Programmprofil zu präsentieren, und der Wunsch begegnen, die wir ganz selbstverständlich als ‚modern‘ bezeichnen.“ Da treffen dann zum Beispiel die Schubertnach einem klar erkennbaren künstlerischen Messe auf Orchesterstücke von Anton Webern Anspruch über eine oder sogar mehrere SpielDeutsche und Inschrift I von Wolfgang Rihm, wodurch Staatsphilharmonie zeiten hinweg, ist überall zu spüren – es herrscht Rheinland-Pfalz „das vermeintlich unscheinbare Werk von SchuAufbruchsstimmung! Informationen und Kartenservice: bert, das lange in Kirchen gar nicht aufgeführt So wartet der 88 Musiker starke KlangkörTel.: +49-(0)621 / 599 09 – 0 werden durfte, noch einmal neu beleuchtet per in der kommenden Spielzeit neben seinen Fax: +49-(0)621 / 599 09 – 50 wird“. Auch aus Europa hinaus führt der Blick, schon bekannten Sinfoniekonzertreihen gleich info@staatsphilharmonie.de wenn mit „Libertà!“ ein Konzert der Musik Südmit mehreren neuen Projekten auf. Eines davon www.staatsphilharmonie.de 48

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GMD Karl-Heinz Steffens

amerikas gewidmet ist. Mit Richard Galliano am Bandoneon werden im Mannheimer Rosengarten unter anderem Werke von Piazzolla und Villa-Lobos erklingen, aber auch von dem weitgehend unbekannten Alberto Ginastera. „Wir möchten helfen, die Ohren aufzumachen, und Neugier wecken auf das, was es abseits der ‚Hauptstraßen‘ zu entdecken gibt“, so Kaufmann. „Modern Times“ wird so zum Teil einer grundsätzlichen Strategie von Steffens und Kaufmann: „Die Staatsphilharmonie möchte nicht nur das Orchester für die Pfalz sein, sondern ist ja das Sinfonieorchester der gesamten Metropolregion Rhein-Neckar – wir wollen auch über den Rhein hinweg mehr Menschen erreichen!“ Dies soll auch durch die Wahl ungewöhnlicher Aufführungsorte unterstützt werden: So werden beim Konzert „Die Schönheit der Zahlen“ im Mannheimer Capitol Bachs Brandenburgische Konzerte dem Cool Jazz der 50erund 60er-Jahre begegnen. „Die Differenzierung zwischen ‚E‘ und ‚U‘ macht ja heute weniger Sinn denn je“, meint Kaufmann. „Indem sich hier zwei Institutionen zusammentun, die vielleicht zunächst gar nicht unbedingt zusammengedacht werden, können wir die unsinnige Kategorisierung aushebeln und ein neues Publikum für klassische Musik interessieren.“ Auch einen Kurt-Weill-Abend sowie ein sinfonisches Kinderkonzert werden die Musiker der Staatsphilharmonie in dem ursprünglich als Kino gebauten Veranstaltungshaus darbieten und damit einen repräsentativen Querschnitt ihrer Arbeit zeigen. Überraschen könnte auch eine neue Konzertreihe, die sich unter dem Titel „Rebellion im Quadrat“ (anspielend auf die quadratische Anlage der Stadt Mannheim) mit der „Mannheimer Schule“ beschäftigt, und doch weit darüber hinausgeht. Das heute so konventionell Klingende, damals aber Revolutionäre von Cannabich,

Wolfgang Rihm

Intendant Michael Kaufmann

Fotos: Hardy Müller; Universal Edition / Eric Marinitsch; Klaus Venus

Bruckner im Dom von Speyer

Filz oder Stamitz wird mit dem Werk des nicht allzu weit entfernt lebenden und wirkenden Wolfgang Rihm und seiner Schüler, wie etwa Jörg Widmann, zusammengebracht, das man getrost als „Karlsruher Schule“ bezeichnen könnte. Auf diese bevorstehende Zusammenarbeit mit Rihm freut sich Kaufmann besonders und nennt dabei neben den großen Orchesterkonzerten ein Kammer- bzw. Gesprächskonzert, das Kompositionsstudenten Rihms sowie weitere Musiker der Hochschule für Musik in Karlsruhe gemeinsam mit Musikern der Staatsphilharmonie entwickeln. „Uns ist sehr an qualifizierter Nachwuchsförderung gelegen“, erklärt Kaufmann. „Auf diese Weise können wir die Angebote der Hochschulen ergänzen, indem wir sie hier und da mehr auf den Praxisbezug ausrichten.“ Ihre Sommerresidenz schlägt die Staatsphilharmonie 2014, ebenfalls zum zweiten Mal, in Speyer auf, wo zwischen dem 2. und 5. Juli ein Beethoven-Fest stattfinden wird. Und fragt man nach dem Projekt, das Karl-Heinz Steffens wohl am meisten am Herzen liege, dann kommt die Sprache auf den Zyklus „Bruckner in den Domen“, der im Herbst 2014 beginnt und unter der rheinland-pfälzischen Dachmarke „Kathedralklänge“ in zehn Konzerten bis zum Herbst 2017 alle Sinfonien Anton Bruckners in den vier Domen von Rheinland-Pfalz zum Klingen bringt. Auch hier liegt der Fokus, bei aller Betonung der „eigenen Marke“, auf der Zusammenarbeit mit vielen Partnern, bringen sich doch die jeweiligen Dommusiken mit eigenen Programmen ein. Kaufmann ist überzeugt: „Wenn kulturelle Einrichtungen besondere Ideen realisieren wollen, agieren sie am besten im Verbund.“ Das klingt wie ein Spielzeitmotto und präsentiert die Staatsphilharmonie als einen besonderen Botschafter für ihr Land. nx 49


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La Bohème

GroSSe Oper, groSSes Kino Opern im Kino live mitzuerleben ist eine günstige Alternative zu teuren Reisen in die großen Musikmetropolen, kann aber mitreißend sein wie das „Original“. Das Live-Erlebnis auf der Leinwand wird immer beliebter und erobert Publikumsschichten, die Klassikveranstalter sonst mit der Lupe suchen müssen. Von R ainer Aschemeier

Opern finden sehr, sehr viele Menschen einfach nur großartig. Eine Publikumsumfrage zur Beliebtheit von Krawatte, Smoking und hochhackigen Schuhen dürfte hingegen ein eher geteiltes Votum ergeben. Vielleicht ist das ja einer der Gründe für den nachhaltigen Erfolg des Konzepts „Oper im Kino“, das in immer mehr deutschen Städten zu erleben ist und vielerorts richtiggehend Kultstatus erlangt hat. Hier wird eben nicht schief angeschaut, wer sich in Alltagsgarderobe zu Rossini, Puccini, Verdi und Co. lässig in den Kinosessel kuschelt. Ist im Kino ja ganz normal. Was Ende der 2000er-Jahre zunächst eher zaghaft in ausgewählten Lichtspielhäusern startete, ist inzwischen zu einem überraschenden Boom geworden. Das Publikum nimmt das Angebot großer Operntempel, die ihre international relevanten Inszenierungen tatsächlich in Echtzeit live in entsprechend ausgestattete Kinosäle übertragen, gerne an. Wer das mal miterlebt hat, ist oft erstaunt und meistens begeistert über die äußerst hochwertige Ton- und Bildqualität. Kinos, die Opern live zeigen, müssen bestimmte technische Standards erfüllen, um für die Livedarbietung von Musikevents ausgewählt zu werden. Auch die einfühlsame Bildregie, die bei den Produktionen der großen Opernhäuser musikalisch geschulte Voll50

profis mit Partiturkenntnissen übernehmen, hat schon etliche Opernliebhaber zu frischgebackenen Kinobesuchern auf regelmäßiger Basis werden lassen. Auch das Royal Opera House, das im Ruf steht, das womöglich bedeutendste Opernhaus Europas zu sein, wird mit dem deutschen Kinobetreiber UCI Kinowelt ab Oktober seine Produktionen wieder in deutsche Kinosäle zaubern – und das in der nunmehr schon fünften Saison! Die Spielzeit eröffnet traditionell das Royal Ballet mit Kenneth McMillans Dreiakter Manon. Dieses Stück stellt die bekannte Geschichte der tragischen Amour fou des Mädchens Manon Lescaut in den Mittelpunkt, welche man meistens mit der gleichnamigen Oper Giacomo Puccinis in Verbindung bringt. McMillan hingegen stützte sich bei seiner Ballettadaption auf die Musik des melodie­ genialen Franzosen Jules Massenet – eine Entdeckung! Mit einer Legende der Opernwelt kann die nächste Produktion aufwarten: Der große Plácido Domingo gibt sich die Ehre bei Verdis eher selten gespielter Oper I due Foscari. Mit Antonio Pappano dirigiert nicht nur der Chefdirigent der Royal Opera, sondern in Personalunion auch einer der derzeit weltweit führenden Verdi-Granden. www.crescendo.de

Juni – Augus t 2014


hören, wie wir ihn am liebsten haben: schön hintergründig und düster! Mit Tschaikowskys Schwanensee kann man diese Stimmung im März dann noch weiter vertiefen. Im April steht ein einstiger Musikskandal auf dem Programm: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny von Kurt Weill, mit einem Libretto von Bertold Brecht. Mit John Coleys zeitloser Produktion von Puccinis La Bohème und mit Antonio Pappanos grandioser Interpretation von Rossinis Wilhelm Tell (mit Gerald Finley als Tell) klingt das Programm stilvoll aus. Übrigens: Die Betreibergesellschaft UCI ist sich im Klaren darüber, was ein Opernpublikum erwartet. Ein kleiner Sektempfang vor jedem Live-Event ist obligatorisch. Dazu gibt es neben Riesenleinwand, Kinosessel und Wohlfühlgarantie wie im echten Opernhaus einen Besetzungszettel sowie deutsche Untertitelung der Opern. n Plácido Domingo in I due Foscari

Fotos: Royal Opera House

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Konzeptbilder zu Alice im Wunderland und L‘elisir d‘amore

Royal Opera House in der UCI Kinowelt Saison Oktober 2014 bis Juli 2015

Divan der Lieder – Divan of Song Goethe und Hafis

Oper 27.10.14: Verdi I due Foscari / 26.11.14: Donizetti L‘elisir d‘amore 29.1.15: Giordano Andrea Chénier 24.2.15: Wagner Der fliegende Holländer 1.4.15: Weill Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny 10.6.15: Puccini La Bohème / 5.7.15: Rossini Wilhelm Tell

Dienstag, 29. Juli 2014 20.30 Uhr, Kreuzgang

Ballett 16.10.14: MacMillan Manon / 16.12.14: Wheeldon Alice im Wunderland 7.3.15: Petipa Schwanensee / 5.5.15: Ashton La Fille mal gardée Ausführliche Informationen zu allen Veranstaltungen und Karten unter www.uci-kinowelt.de

Christiane Karg, Sopran Robert Holl, Bass Burkhard Kehring, Klavier

www.kunstklang-feuchtwangen.de

Im November stehen mit Bryn Terfel und Lucy Crowe erneut Superstars auf der Royal-Opera-Bühne. Vor allem Bryn Terfel ist der Londoner Spielstätte seit vielen Jahren eng verbunden. Seine Interpretation des Scarpia in der Londoner Tosca-Inszenierung von 2011 wurde zum weltweit gefeierten Ereignis. Besucher dürfen nun gespannt sein auf die komödiantischen Qualitäten Terfels, der in Donizettis L’elisir d’amore den Quacksalber Doktor Dulcamara abgibt. Es folgt Alice im Wunderland – mittlerweile ein Dauerbrenner im Programm des Royal Ballet. Mit Jonas Kaufmann wird es dann revolutionär: Andrea Chénier von Puccinis Hauptkonkurrent, Umberto Giordano, ist jetzt schon prädestiniert dafür, zu einem weiteren Karriere-Highlight des Münchner Startenors zu werden. Diese Oper ist eine Neuproduktion und wird im Januar 2015 erstmals nach 40 Jahren wieder auf der Royal-Opera-Bühne zu sehen sein. Der Name von Regiestar David McVicar steht dabei auch für optische Opulenz. Dann wird es wieder magisch: Der fliegende Holländer treibt sein Unwesen. Bryn Terfel ist dabei wieder so zu sehen und zu 51


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Juni / Juli / August 2014

Die wichtigsten Veranstaltungen auf einen Blick Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals 14. bis 27. Juli, Nürnberg, Berching, Coburg, Erlangen, Fürth

zum Gluck-Jubiläum 6.6. Halle Oper Arminio/G. F. Händel 7.6. Dresden Schlosshof des Residenzschlosses Feuersnot/R. Strauss 7.6. Chorin Kloster Rusalka/Dvorák 7.6. Rathen Felsenbühne Der Freischütz/C. M. von Weber 8.6. Halle Löwengebäude Duello Amoroso/G. F. Händel 9.6. Münster Theater Riemannoper/T. Johnson 12.6. Berlin Neuköllner Oper Didi & Stulle. Die Oper/Augustin, Hannemann & Herrmann (UA) 13.6. Osnabrück Theater Open Windows II (Ballett, UA) 14.6. Düsseldorf Oper Death in Venice/B. Britten 14.6. Leipzig Oper Die Frau ohne Schatten/R. Strauss 21.6. Coburg Landestheater Orpheus und Eurydike/C. W. Gluck 21.6. Berlin Komische Oper Don Juan/C. W. Gluck (Ballett) 22.6. Köln Oper am Dom L‘elisir d‘amore/G. Donizetti 26.6. Ulm Theater Erlöst Albert E./G. Stäbler (UA) 26.6. Berlin Neuköllner Oper Fortuna calling/Jacky & Schmidti (UA) 27.6. Schwerin Alter Garten Nabucco/G. Verdi 28.6. Dresden Semperoper Legenden – Hommage an Richard Strauss/S. Celis (Ballett) 28.6. Wien (A) Staatsoper Nurejew Gala 2014 (Ballett) 28.6. Cottbus Gedenkstätte Zuchthaus Fidelio/L. van Beethoven 29.6. Hamburg Staatsoper Tatjana/J. Neumeier (Ballett) 1.7. Wien (A) Theater an der Wien La Traviata/G. Verdi 2.7. Rosenberg Festung Romeo und Julia/W. Shakespeare (Schauspiel)

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Christiane Oelze zu Gast im Opernhaus Nürnberg

Foto: Natalie Bothur

Premieren

Wer Christoph Willibald Glucks 300. Geburtstag gebührend feiern will, der sollte unbedingt nach Nürnberg reisen: Die renommierten Internationalen Gluck-Opern-Festspiele stellen ihr Jubiläumsprogramm unter das Motto „ReFORM und ReVISION“. Die 2005 von der Nürnberger Versicherungsgruppe aus der Taufe gehobenen und bis heute von dort geförderten Festspiele zeigen als ein Highlight Glucks selten gespielte Oper Paris und Helena mit Christiane Oelze als Pallas Athene. Weiter gibt es unter anderem eine konzertante Aufführung von Iphigenie in Aulis mit dem Orchester der Oper Nizza unter Philippe Auguin und eine Ballettkreation des chinesischen Choreografen Xin Peng Wang sowie die Oper Iphigenie auf Tauris von Tommaso Traetta, eines Zeitgenossen von Gluck, der ebenfalls um eine neue Form der Oper bemüht war. Die Auftragskomposition Early Graves von Franz Koglmann ist eine Hommage an Gluck, der für Koglmann eine Herausforderung darstellt, „nicht allein musikhistorisch, sondern menschlich, heutig. Er ist sich unbeirrbar treu. Er ist konsequent über sich selbst hinaus.“ Nürnberg, Berching, Coburg, Erlangen, Fürth, 14. bis 27. 7., www.internationale-gluck-opern-festspiele.de

4.7. Wunsiedel Felsenbühne Glaube und Heimat/K. Schönherr (Schauspiel) 4.7. Heidenheim Schloss Hellenstein Der Bajazzo/R. Leoncavallo, Cavalleria Rusticana/P. Mascagni 4.7. Neustrelitz SchlossGarten Der Graf von Luxemburg/Franz Lehár 5.7. Hamburg Opera Stabile Orontea/A. Cesti 5.7. Karlsruhe Badisches Staatstheater Choreographen stellen sich vor (Ballett, UA) 10.7. Erfurt Domstufen Jedermann/W. Böhmer (Rockoper, UA) 15.7. Erlangen Markgrafentheater Iphigenie auf Tauris/T. Traetta 17.7. Bad Wildbad Kulturzentrum Trinkhalle Il viaggio – Die Reise nach Reims/Rossini 20.7. München Nationaltheater L‘Orfeo/C. Monteverdi 20.7. Stuttgart Staatstheater Tristan und Isolde/R. Wagner 23.7. Bregenz (A) Festspielhaus Geschichten aus dem Wiener Wald/ HK Gruber (UA) 24.7. Neuzelle Kloster Così fan tutte/W. A. Mozart 24.7. Nürnberg Staatstheater Paris und Helena/C. W. Gluck 26.7. Berching Freigelände der St. Lorenz-Kirche Berching Le Cinesi/C. W. Gluck 6.8. Bad Hersfeld Stiftsruine Aida/G. Verdi 7.8. Bad Hersfeld Stiftsruine Così fan tutte/W. A. Mozart 8.8. Rheinsberg Heckentheater Die Zauberflöte/W. A. Mozart 9.8. ERl (A) Festspielhaus El Juez/Christian Kolonovits (UA) 14.8. Wunsiedel Felsenbühne Die Zirkusprinzessin/E. Kálmán 21.8. Berlin Neuköllner Oper Taksim forever. Diren Gezi Park!/C. Erdogan-Sus, K. Can (UA) 22.8. Wunsiedel Felsenbühne Die Hochzeit des Figaro/W. A. Mozart

www.crescendo.de

Juni – Augus t 2014


Fotos: PeterKitzbichler; Ralph Horbaschek; Dorothee Falke; Andreas Hosch; Felix Broede; Gustav Peter Wöhler; Domstufenfestspiele Erfurt; S. Howard

5.6. Essen Philharmonie Essener Philharmoniker, Ltg: Tomáš Netopil; Roland Maria Stangier: Strauss & Rihm 6.6. Bad Reichenhall Theater im Kurgastzenrum Bad Reichenhaller Philharmonie, Ltg: Christoph Adt; Ingolf Turban: A. Vivaldi & J. Brahms 7.6. Weimar Weimarhalle Staatskapelle Weimar, Ltg: Stefan Solyom; Johanni van Oostrum: Festkonzert zum 150. Geburtstag von Richard Strauss 7.6. Berlin Philharmonie Deutsches Symphonieorchester, Ltg: Herbert Blomstedt: Mozart & Bruckner 7.6. Stuttgart Liederhalle Stuttgarter Philharmoniker, Ltg: Daniel Raskin; Valentina Lisitsa: S. Prokofjew 11.6. Berlin Philharmonie Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Rundfunkchor Berlin, Ltg: Marek Janowski; Julia Bauer; Anke Vondung; Peter Sonn; Georg Zeppenfeld: R. Strauss 11.6. Dresden Semperoper Sächsische Staatskapelle Dresden, Ltg. Chr. Thielemann: Sonderkonzert zum 150. Geburtstag von Richard Strauss 12.6. Frankfurt am Main Alte Oper hr-Sinfonieorchester, Tschechischer Philharmonischer Chor Brno, Limburger Domsingknaben, Ltg: Eliahu Inbal; Pavla Vykopalová; Samuel Pisar: G. Mahler & L. Bernstein

12.6. Neubrandenburg Konzertkirche Neubrandenburger Philharmonie, Ltg: Stefan Malzew; Azadeh Maghsoodi: Britten, Sibelius, Beethoven 13.6. Kaiserslautern Fruchthalle Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Ltg: Frank Strobel: Die Passion der Jungfrau von Orleans 13.6. Bamberg Domplatz Sommernachts-Galakonzert der Sommer Oper Bamberg 14.6. München Philharmonie Münchner Philharmoniker, Ltg: Lionel Bringuier; Truls Mørk: M. Ravel, R. Schumann & A. Roussel 15.6. Bremen Glocke Bremer Philharmoniker, Ltg: Markus Poschner; JeanYves Thibaudet: Ton auf dem Nil 15.6. Köln Philharmonie Gürzenich-Orchester Köln, Ltg: Markus Stenz: R. Strauss & D. Glanert 17.6. Wien Bösendorfersaal im Mozarthaus Klavierabend mit Zsolt Bognár: Wiener Frühromantik mit Werken von Beethoven, Schumann, Liszt. 19.6. Berlin Konzerthaus Konzerthausorchester Berlin, Tschechicher Chor Brno, Ltg: Dmitij Kitajenko; Anna Samuil; Dmytro Popov; Alexander Vinogradow: S. Prokofjew & S. Rachmaninow 21.6. München Open Air im HVB Forum und in den Fünf Höfen: UniCredit Festspiel-Nacht - Eintritt frei! 23.6. Reutlingen Stadthalle Württembergische Philharmonie, Ltg:

25. Juni bis 28. Juli, Ingolstadt, verschiedene Orte

Festival im Festival Der Dirigent Kent Nagano gestaltet im Rahmen der Audi Sommerkonzerte ein eigenes Festival. Das Vorsprung-Festival umfasst fünf Konzerte, zu denen Nagano befreundete Musiker wie den Tenor Ian Bostridge und den Pianisten Rudolf Buchbinder eingeladen hat. Drei dieser Konzerte leitet er auch selbst. Im Zentrum des „Festivals im Festival“ steht seine Zusammenarbeit mit Cameron Carpenter der Audi Jugendchorakademie, dem Förderprojekt für junge begabte Sängerinnen und Sänger. Nagano dirigiert den Chor bei seinen Aufführungen von Dvořáks Requiem und Mahlers Auferstehungssinfonie. Pünktlich zu den Sommerkonzerten erscheint bereits die dritte CD des Chores – aufgenommen unter Naganos Leitung in den legendären Nalepa-Studios in Berlin. Ein weiteres Highlight: Der amerikanische Organist Cameron Carpenter gastiert mit seiner spektakulären Touring Organ und spielt Bearbeitungen bekannter Chor- und Orchesterwerke sowie eigene Kompositionen. Ingolstadt, verschiedene Spielorte, 25.6. bis 28.7., www.sommerkonzerte.de

13. bis 22. Juni

10. Juli bis 3. August

In Leipzig, wo Johann Sebastian Bach einst als Thomaskantor wirkte, kommen jährlich führende Interpreten zusammen, um sein Œuvre an his­ torischen Stätten aufzuführen. Anlässlich der 300. Wiederkehr des Geburtstages von Bachs zweitältestem Sohn Carl Philipp Emanuel Bach stehen beim diesjährigen Bachfest dessen Kompositionen im Mittelpunkt. Sein Studienwerk „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“ bildet das Motto. Musiker wie Christopher Hogwood, Ton Koopman, Christoph Spering, Dorothee Mields, Midori Seiler und Malcolm Bilson begeben sich mit dem Leipziger Thomanerchor und dem Gewandhausorchester auf die Suche nach dieser „wahren Art“ des Musizierens in unserer Gegenwart. Als Orchestra in residence ist das Tafelmusik Baroque Orchestra aus Kanada geladen. Leipzig, verschiedene Spielorte, 13. bis 22. 6., www.bachfestleipzig.de

Der Festspielsommer in Erl am Fuß des Wilden Kaisers steht im Zeichen von Wagners Ring des Nibelungen. In einer adaptierten szenischen Neufassung kommt der Zyklus erneut aufs Programm. Ein zyklisches Pendant dazu bilden die Bruckner-Matineen mit den vom Wagner-Klang inspirierten Siebten, Achten und Neunten Sinfonien – „die mit der Wagner-Tuba“. Zur Eröffnung setzt der Gründer und Leiter des Festivals, Gustav Kuhn, im Festspielhaus die Oper Herzog Blaubarts Burg von Béla Bartók in Szene. Anschließend gibt es im Passionsspielhaus Carl Orffs Carmina Burana, dirigiert von Gustav Kuhn, zu erleben. Erstmals im Festspielhaus findet die Kammermusikreihe statt. Auf musikalische Grenzgänge zwischen Klassik, Jazz und Volksmusik begeben sich u.a. die Pianisten Jasminka Stančul und Davide Cabassi, der Bariton Lucio Gallo und die Mezzosopranistin Emily Righter sowie die junge Volksmusik-Band ALMA. Erl/Tirol, Passionsspielhaus, Festspielhaus, 10.7. bis 3.8., www.tiroler-festspiele.at

Leipzig, Die wahre Art des Musizierens

27. Juni bis 24. August

rheintal, Faszination des Gesangs Vokalmusik in allen Formen und Farben erwartet die Besucher des Festivals RheinVokal. Aus ganz Europa kommen Künstlerinnen und Künstler ins Tal der Loreley, um sich „mit allen Sinnen“ dem Gesang hinzugeben. Im Eröffnungskonzert präsentiert der Countertenor Valer Sabadus Gesänge aus dem barocken Rom. Den Anfängen der Oper in den Orfeo-Mythen widmet sich der Bariton Nicolas Achten, der sich selbst auf der Harfe begleitet. Und eine SWR2-Kulturnacht mit Musik von Vivaldi und einer Lesung von Alejo Carpentiers Novelle Das Barockkonzert entführt in den venezianischen Karneval. Sphärische Klänge kreiert der Dirigent und Komponist Eric Whitacre mit seinem Chorprojekt, während Mezzosopranistin Olivia Vermeulen mit der Lautten Compagney Berlin Minimal Music von heute mit frühbarocken Rhythmen zusammenführt und das SWR Vokalensemble Stuttgart mit der SWR Big Band unter der Leitung von Morten Schuldt-Jensen zum Crossover-Konzert lädt. Mittelrheintal, verschiedene Spielorte, 27.6. bis 24. 8., www.rheinvokal.de

Erl/Tirol, Grenzgänge

27. August bis 6. September

Füssen, Brücken und Wege Die Stadt Füssen an der historischen Römerstraße Via Claudia Augusta war die Wiege des europäischen Lauten- und Geigenbaus. Das Kammermusikfestival vielsaitig knüpft an diese musikgeschichtliche Bedeutung an. „Wege“ lautet das diesjährige Motto. Das Verdi Quartett und der Pianist Hatem Nadim zeichnen Wege musikalischer Entwicklungen in Mitteleuropa nach. Das Trio um den Klarinettisten David Orlowsky weckt mit seiner Transit Polka Fernweh und Wanderlust. Und das Quintett Hirundo Maris der Harfenistin Arianna Savall unternimmt mit seinen Chants du Sud et du Nord eine Reise, die durch musikalische Brücken das Mittelmeer mit der Nordsee verbindet. Füssen, verschiedene Spielorte, 27.8. bis 6.9., www.festival-vielsaitig.fuessen.de

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Foto: Thomas Grube / Sony Classical

Konzerte


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Appenzell, Neue Zugänge Wie soll man Bach heute aufführen? Was offenbaren historische BachInterpretationen? Worin liegen die Zukunftspotenziale von Bachs Musik? – Diese und andere Fragen beschäftigen die Schweizer J. S. BachStiftung seit Jahren. In der appenzellischen Ortschaft Trogen setzen sich jeden Monat Musiker und Wissenschaftler mit der Interpretation einer Bach-Kantate auseinander. Aufbauend auf den dabei gesammelten Erfahrungen, eröffnen die ersten Appenzeller Bachtage dem Publikum neue überraschende Zugänge zu Bachs Musik. Eingebunden sind der ganze Ort und seine Bewohner. Die Musiker besuchen die Privathäuser von Appenzell, um ihre Musik aufzuführen, und beim Choralsingen lädt der Chor der Stiftung auch das Publikum zur Mitwirkung ein. Zum Abschluss lassen in einer Bach-Nacht der Erneuerer des Jodelns, Noldi Alder, mit seinem Streichquartett und der Pianist David Timm mit seinem Jazzquartett Bachs Musik in der Volksmusik und im Jazz wiedererklingen. Appenzell, verschiedene Spielorte, 13. bis 17.8., www.bachtage.ch

18. bis 20. Juli

Augsburg, Konzerte im Fronhof Der Fronhof Augsburg ist ein geschichtsträchtiger Ort. Noch im späten Mittelalter diente er als Schaubühne für Ritterturniere. Seit 1999 finden vor der beeindruckenden Kulisse der ehemaligen Fürstbischöflichen Residenz Open-AirKonzerte statt. Ihr Programm setzt sich mit dem Werk Mozarts und seiner Zeitgenossen auseinander. Als Residenzorchester ist das SUK-Symphony Prag alljährlich zu Gast. In diesem Sommer wird der 150. Geburtstag von Richard Strauss gefeiert. In einer Opern-Gala mit unter anderem der Sopranistin Sophia Christina Brommer, die kürzlich beim ARD Musikwettbewerb erfolgreich war, kommt Strauss’ Oper Ariadne auf Naxos zur Aufführung. Im Orchesterkonzert erklingt Strauss’ Erstes Hornkonzert. Und unter dem Motto „Jazz meets Klassik“ bildet der Vibraphonist und Komponist Wolfgang Lackerschmid die Formation Mountain’s Eleven. Augsburg, Fronhof, 18. bis 20.7., www.konzerte-im-fronhof.de

27. Juni bis 23. August

Mittelfranken, Weltversöhnung

27. Mai bis 27. Juli, Heidenheim, Schloss

50 Jahre oh! Fotos: Opernfestspiele Heidenheim; Ulf Krentz

13. bis 17. August

Herr Bosch, die Opernfestspiele Heidenheim bestehen seit fünfzig Jahren. Was macht die Festspiele so attraktiv? Kommen Sie auf den Schlossberg und erfahren es. Das ist vieles, vom unbeschreiblichen Opern Air Erlebnis unplugged im Rittersaal über den Dächern Heidenheims, über die hervorragende Akustik im Festspielhaus, die vielen Zusatzangebote an spannenden Orten, vor allem aber natürlich unsere tollen Künstler auf der Bühne und im Graben. Sie erheben den Anspruch, Oper für alle zu spielen … Mir war immer wichtig „Hochkultur“ so zu machen, dass ich einem breiten Publikum die Hand reichen kann. Die Qualität hat die oberste Priorität, das spüren alle, wenn man selber dahintersteht. Gerade aber das schließt spannende Programme und Inszenierungen nicht aus. Mit der Cappella Aquileia haben die Festspiele ein eigenes Orchester. Auf wen dürfen die Besucher sich im Jubiläumsjahr außerdem besonders freuen? Auf „meine“ Nürnberger Staatsphilharmonie mit Olga Scheps, die Stuttgarter Philharmoniker im Graben und auf dem Konzertpodium, das Dover Quartett, die SWR Bigband mit Giovanni Costello und natürlich viele unglaublich tolle Sänger. Ihren Vertrag als Künstlerischer Leiter haben Sie bis 2020 verlängert. Welche Pläne haben Sie für die weitere Zukunft der Festspiele? Die Stadt hat mit meiner Vertragsverlängerung eine Zuschussverdopplung beschlossen, was mir jetzt die Möglichkeit gibt, sowohl in die Qualität der Kunst, aber auch notwendigerweise in die Infrastruktur und das Marketing zu investieren. Ich denke über eine Reihe konzertanter Opern nach, um das Profil weiter zu schärfen, das Konzertangebot wird sich inhaltlich und den Besetzungen entsprechend entwickeln und – das Wetter versuchen wir in den Griff zu kriegen. Heidenheim, verschiedene Spielorte, 27.5. bis 27.7., www.opernfestspiele.de

Friedrich Rückert ist der historische Bezug des Musikfestivals Fränkischer Sommer. Für den Dichter und Orientalisten, dem die Sprachen der arabischen Welt ebenso vertraut waren wie die der westlichen Welt, bedeutete Poesie „Weltversöhnung“. Komponisten wie Schubert, Schumann, Mahler, Strauss und Loewe ließen sich von seinen Gedichten zu kunstvollen Liedkompositionen inspirieren. In seinem musikalisch-literarischen Programm erweist das Festival, das sich in diesem Jahr der Romantik widmet, dem Dichter seine Reverenz. Darüber hinaus gibt es an Spielorten im gesamten Mittelfranken den ganzen Sommer über Kammerkonzerte, weltmusikalische Darbietungen, Jazz, Vokalmusik und Orgelkonzerte. Mit Schumanns Oratorium Das Paradies und die Peri nach der orientalischen Romanze Lalla Rookh feiert das neu gegründete Festivalorchester, die Fränkische Philharmonie, im Eröffnungskonzert seine Premiere. Mittelfranken, diverse Spielorte, 27.6. bis 23.8., www.fraenkischer-sommer.de

tunde am Königlichen Kurgarten auf dem Podium. So dirigiert etwa Christoph Adt, der Chefdirigent der Bad Reichenhaller Philharmonie, im Eröffnungskonzert Werke von Camille Saint-Saëns, Hector Berlioz und Adrien-François Servais mit Wen-Sinn Yang als Solisten. Und Siegfried Mauser lädt zu einem Gesprächskonzert über „Richard Strauss und die beginnende Moderne“. Bad Reichenhall, Königliches Kurhaus, Konzertrotunde, 23. bis 30.8., www.bad-reichenhall.de

23. bis 30. August

14. Juni bis 3. August

Bad Reichenhall, Festwoche Die Kurstadt Bad Reichenhall, umrahmt von den Bergen des Berchtesgadener Landes und ausgezeichnet mit einer prächtigen historischen Architektur, bildet einen einladenden Rahmen für intensive Meisterkurse und Konzerte. In den Räumen des Königlichen Kurhauses können Besucher täglich bei den Meisterkursen zuhören. Der Pianist und Musikwissenschaftler Siegfried Mauser und der Cellist Wen-Sinn Yang sind die Künstlerischen Leiter der Summer School Bad Reichenhall. Doch stehen sie auch bei den Orchester- und Kammerkonzerten in der Konzert- ro-

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Andechs, Das Wunder der Liebe In der Landschaft des bayerischen Voralpenlandes, wo Carl Orff lebte und arbeitete, wird sein Œuvre alljährlich zum Ereignis. Büchners Lustspiel Leonce und Lena um das Wunder der Liebe ist die Neuproduktion der Festspiele. 1917 schrieb Orff dazu die Musik in dem Wunsch, den hinreißenden Esprit der Dialoge wiederzugeben. Unglücklicherweise ging die Partitur verloren. Marcus www.crescendo.de

Juni – Augus t 2014


Fotos: PeterKitzbichler; Ralph Horbaschek; Dorothee Falke; Andreas Hosch; Felix Broede; Gustav Peter Wöhler; Domstufenfestspiele Erfurt; S. Howard; Lucas Allen

10.8. Bad Hersfeld Stiftsruine Festakt - Herfelder Opernpreis 13.8. Augsburg Botanischer Garten Tomasz Stanko Quartet (Jazz) 23.8. Dresden Frauenkirche Tine Thing Helseth; Tobias Götting: J. S. Bach, A. Vivaldi & A. Marcello 7.9. Hamburg Hauptkirche St. Michaelis Orchester und Chor St. Michaelis, Ltg. Christoph Schoener: Kantate im Gottesdienst: Carl Philipp Emanuel Bach, Michaelis Quartalsstück Pasticcio Hamburg 1776

Klassik im Kino 18.6. Live Berliner Philharmoniker, Daniel Barenboim, Sir Simon Rattle 24.6. Live Royal Opera house Puccini: Manon Lescaut 20.7. aufzeichnung salzburger Festspiele Verdi: Don Carlo 12.8. Live Bayreuther Festspiele Wagner: Tannhäuser

Festspiele

Foto: Timothy Greenfield-Sanders

Ola Rudner; Claire Huangci: C. M. von Weber, F. Chopin, J. Strauß & R. Strauss 24.6. Dortmund Konzerthaus Anna Prohaska, Eric Schneider: Hinter den Linien 1914/2014 26.6. München Prinzregententheater Münchener Kammerorchester, Ltg: Jérémie Rhorer; Gautier Capuçon; Xavier de Maistre: Tschaikowsky, Prokofiev, Caplet, Debussy & R. Strauss 27.6. Berlin Komische Oper Orchester der Komischen Oper Berlin, Ltg: Henrik Nánási; Mischa Maisky: M. Bruch & D. Schostakowitsch 27.6. München Bayerischer Rundfunk filmtonart – Tag der Filmmusik 28.6. Bonn Beethovenhalle Beethoven Orchester Bonn, Ltg: Stefan Blunier; Klavierduo Genova & Dimitrov; Konrad Beikircher. 28.6. St. Goarshausen Loreley Freilichtbühne Berliner Philharmoniker, Ltg: Gustavo Dudamel: P. I. Tschaikowsky & J. Brahms 29.6. München Kleiner Konzertsaal im Gasteig Klavierabend mit Zsolt Bognár: Wiener Frühromantik mit Werken von Beethoven, Schumann, Liszt. 30.6. Frankfurt Am Main Alte Oper Frankfurter Opern- und Museumsorchester, Ltg: Constantinos Carydis; Arabella Steinbacher: Brahms, Respighi 6.7. Hamburg Barkasse Frau Hedi Entspannende Kraft klassischer Werke mit Schwerpunkt auf C.P.E. Bach beim Jubiläumsschippern mit Chillout-DJ Raphaël Marionneau. 12.7. Baden-Baden Festspielhaus Bobby McFerrin & Friends (Jazz) 12.7. WeiSSenburg in Bayern Bergwaldtheater B Klassik Open Air 14.7. Kassel Stadthalle Orchester des Staatstheaters Kassel, Ltg: Patrik Ringborg: A. Dvorák & L. van Beethoven 17.7. Bad Reichenhall Konzertrotunde im Königlichen Kurgarten Bad Reichenhaller Philharmonie, Ltg: Christoph Adt; Cora Stiehler, Thorsten Köpke: Mendelssohn Bartholdy, C. Stamitz, C. W. Gluck & J. Haydn 18.7. Ingolstadt Klenzepark Klassik Open Air mit der Audi Bläserphilharmonie - Eintritt frei! 19.7. Meiningen Dampflokwerk Meininger Hofkapelle, Ltg: Philippe Bach: Eine Reise durch Europa 20.7. Andechs Kloster Münchner Rundfunkorchester, Ltg: Sreten Krstic: C. Avison, A. Vivaldi, C. P. E. Bach, F. Mendelssohn Bartholdy & F. Schubert 25.7. München Künstlerhaus Markus Minarik Trio (Jazz) 27.7. Nürnberg Rittersaal der Kaiserburg Abschlussgala der Intern. Gluck-Opern-Festspiele, L‘Orfeo Barockorchester, Ltg. Michi Gaigg; Christiane Oelze: u.a. Jean-Philippe Rameau, Niccolò Piccinni, Pergolesi, C. W. Gluck 28.7. München St. Michael Münchener Bach-Chor & Münchener BachOrchester, Ltg: Hansjörg Albrecht; Peter Kofler: Nystedt, Duruflé, Bach & Fauré 29.7. Salzburg (A) GroSSes Festspielhaus Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg: Bernard Haitink: A. Bruckner 30.7. Eberbach Kloster Münchener Kammerorchester, Ltg: Daniel Giglberger; Magali Mosnier: W.A. Mozart

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DONAUESCHINGER MUSIKTAGE

17.–19.10.2014

performances videos konzerte

– 29.6. Würzburg Mozartfest – 12.7. Essen Klavierfestival Ruhr – 2.8. WEissenburg in Bayern Bergwaldtheater 85 Jahre Jubiläum – 25.10. Bad Lauchstädt 212. Theatersommer 6. – 22.6. eberswalde 10. Choriner Opernsommer 13.6. – 13.7. Bad Kissingen Kissinger Sommer 18. – 22.6. Bad Arolsen Arolser Barock-Festspiele 20.6. – 4.7. St.Gallen (CH) Festspiele 20.6. – 6.7. Braunschweiger Land Soli Deo Gloria 20.6. – 20.7. Graz (A) Styriarte 20.6. – 21.9. MecklenburgVorpommern Festspiele 21.6. – 20.8. Bad Hersfeld Opernfestspiele in der Hersfelder Stiftsruinemusikforumcrescendo2014_Layout 1 15.05.2014 13:13 Seite 1

und

installationen

ausstellung

filme

lesungen

25.6. – 5.7. Salzburg (A) Sommerszene Salzburg 27.6. – 31.7. münchen Opernfestspiele 2. – 6.7. Speyer 1. Mozartfest 4. – 27.7. Flims (CH) Flimsfestival 15. – 27.7. Herrenchiemsee Festspiele „Son et lumière“ 18.7. – 3.8. Worms Nibelungen Festspiele „Born this way“ 25. – 27.7. Gluckstadt Berching Barockfest 1. – 24.8. Ostfriesland Musikalischer Sommer Ostfriesland 7. – 13.8. samos (gr) Young Artists Festival Über weitere 200 Festival-Infos und termine im Festspiel-Guide 2014/15!Diese große Vorschau ist im 15. Jahrgang erschienen – als PrintMagazin sowie online auf www.festspielguide.de und als Festspiel-Guide-App!

Details und Karten unter: www.swr.de/donaueschingen

gefördert durch die

NEUE WELTEN 3 - Africa meets Europe: 5.-28.7.2014

Im ehemaligen Zisterzienserstift Viktring bei Klagenfurt werden MusikerInnen aus Burkina Faso, Zimbabwe, Uganda, Kamerun, Südafrika, Senegal, Sudan, Ägypten und Marokko - meist in Kombination mit europäischen MusikerInnen - traditionelle und avantgardistische Entwicklungen der beiden Kontinente beleuchten. Konzerte/Kurse/Workshops www.musikforum.at • office@musikforum.at • 0043 (0) 463 28 22 41 55


e r l e b e n

aus dem Wienerwald des ungarisch-österreichischen Schriftsteller Ödön von Horváth veropert, eine bittere Satire auf die Verlogenheit und Brutalität des Kleinbürgertums. Das Stück sei davon geprägt, dass seine Menschlichkeit und sein Humor dem Zuhörer gerade genug Raum ließen, sich zu vergnügen – bevor das Messer sich mit subtiler und charmanter Genauigkeit ins Fleisch fresse, erläuert Pountney. Für HK Gruber hat Horváths Stück „mit seiner Schärfe, seiner Treffsicherheit, seiner beißenden Sozialkritik“ wahrhaft Brecht’sches Format. Bei seiner kompositorischen Arbeit gehe es ihm um die Herausarbeitung der Charaktere und um musikalische Verfremdungen. Der Librettist Michael Sturminger setzt das Werk im Festspielhaus in Szene. Auf der Seebühne ist Pountneys Inszenierung der Zauberflöte noch einmal zu sehen. Bregenz, verschiedene Spielorte, 23.7. bis 25.8., www.bregenzerfestspiele.com

26. Juni bis 12. Juli, Opera St. Moritz

Corviglia-Saal im Kulm-Hotel

Foto: Opera St. Moritz

Ein Glücksfall

„Eine ganz große Ehre“ nannte es Martin Grossmann. Dem Gründer von Opera St. Moritz war die Schweizer Erstaufführung des wiederaufgetauchten Quintetts zu Gioacchino Rossinis Oper La Gazzetta angeboten worden. Seit der Uraufführung 1816 hatte das Quintett, das im ersten Akt eine wesentliche Rolle für den weiteren Handlungsverlauf spielt, als verschollen gegolten. 2012 aber hatte ein Bibliothekar des Konservatoriums von Palermo in Pesaro, der Geburtsstadt Rossinis, die schmerzlich vermisste Partitur gefunden. Der Opera St. Moritz wird damit der Glücksfall zuteil, Rossinis Opera buffa in ihrer Urfassung zeigen zu können. Was das Opernfestival vor allem auszeichnet, ist die Nähe der Darsteller zum Publikum im mit kristallenen Lüstern versehenen Corviglia-Saal. La Gazzetta, deren Libretto auf einem Lustspiel von Carlo Goldoni beruht, setzt sich auf satirische Weise mit dem Einfluss der Presse auseinander. Die Hauptrolle des lächerlichen Angebers Don Pomponio übernimmt Piotr Michinski. Die musikalische Leitung hat Jan Willem de Vriend inne. St. Moritz, Corviglia-Saal im Kulm Hotel St. Moritz, 26.6. (Generalprobe), 28.6. (Premiere), 1., 3., 6., 8., 10. und 12.7., www.opera-stmoritz.ch

10. bis 27. Juli

Erfurt, Das rechte Sterben lernen Die siebzig Stufen der Freitreppe zwischen dem Mariendom und der St. Severin Kirche geben die imposante Freilichtbühne für die DomstufenFestspiele in Erfurt ab. In diesem Jahr steht eine spektakuläre Weltpremiere an: Zur Uraufführung kommt die Rockoper Jedermann von Wolfgang Böhmer, der sich als Komponist des kulturellen Undergrounds versteht. In der Verbindung von sinfonischem Orchesterklang und Rockband-Sound schafft er Musik, die die Grenzen zwischen Oper und Musical vergessen macht. „Von der Kunst, das rechte Sterben zu lernen“ lautet der Untertitel der mittelalterlichen Vorlage, aus der Hugo von Hofmannsthal sein Spiel schuf. Er steht auch über der Rockoper, deren Libretto Peter Lund in Anlehnung an Hofmannsthal verfasste. Erfurt, Domstufen, 10. (Weltpremiere) bis 27.7., www.domstufen.de

11. bis 19. Juni, Garmisch-Partenkirchen

Geburtstagsattraktion

19. Juni bis 19. Juli

Neuss, Nah am Geschehen Ursprünglich als Wanderbühne konzipiert, erhielt das Globe 1991 in Neuss einen festen Standort. Dem historischen Globe nachempfunden, vermittelt das zwölfeckige Gebäude den Zuschauern das Gefühl, ganz nah am Bühnengeschehen zu sein. Zur 450. Wiederkehr von William Shakespeares Geburtstag stehen 13 Inszenierungen aus Spanien, Großbritannien, Ungarn und Deutschland auf dem Programm, teils im originalen elisabethanischen Englisch, teils in moderner Übersetzung. Hinzu kommt ein musikalisches Begleitprogramm. So trägt etwa die belgische Jazzsängerin und Pianistin Caroll Vanwelden Vertonungen von Shakespeares Sonetten vor. Neuss, Das Globe, 19.6. bis 19. 7., www.shakespeare-festival.de

23. Juli bis 25. August

Bregenz, Eine bittere Satire Mit einer Uraufführung verabschiedet sich Intendant David Pountney aus Bregenz. Der Komponist HK Gruber hat das Theaterstück Geschichten

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Foto: Johannes Rodach / BR

Everding, der Künstlerische Leiter der Festspiele, hat jedoch einen eigenen Weg gefunden, um Büchner mit Musik zu begegnen. In einer Illusionsszenerie, die durch architektonische Überraschungen konterkariert wird, zeigt er das Werk im Florian-Stadl. Nach dem großen Erfolg des Vorjahres erneut zur Aufführung kommen Orffs Carmina Burana, zusammen mit den wenige Jahre später entstandenen Catulli Carmina. Andechs, Florian-Stadl, 14.6. bis 3.8., www.carl-orff-festspiele.de Chor des Bayerischen Rundfunks

„Ein einziges großes Geburtstagsständchen für den herausragenden Meister“ soll das Richard-Strauss-Festival zum 150. Geburtstag des Komponisten sein. Unter dem Motto „Happy Birthday, Mr. Strauss!“ hat Kammersängerin Brigitte Fassbaender, die Künstlerische Leiterin des Festivals, ein Programm zusammengestellt, das Strauss in der ganzen Vielfalt seiner kompositorischen Facetten ehrt: Die Frankfurter Oper zeigt eine konzertante Aufführung der heiteren Mythologie Die Liebe der Danae über die Liebesabenteuer Jupiters. Komponist Alexander Trojahn, der sich in seinen eigenen Arbeiten intensiv mit dem Strauss’schen Schaffen auseinandergesetzt hat, schrieb eine Auftragskomposition für Orchester und Singstimme. Zum Festivalauftakt widmet sich die Sopranistin Juliane Banse dem Liedschaffen Strauss’. Es spielt das Rundfunk-Sinfonieorchester Prag, das auch die gewaltige Naturschilderung Eine Alpensinfonie zur Aufführung bringt. Zu den weiteren Gratulanten zählen das Brussels Philharmonic mit der Pianistin Lilya Zilberstein, der Chor des Bayerischen Rundfunks und das Leipziger Streichquartett. Zum Abschluss laden die Bamberger Symphoniker zu einem Streifzug durch die beliebtesten Strauss-Opern. Garmisch-Partenkirchen, verschiedene Spielorte, 11. bis 19.6., www.richard-strauss-festival.de

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28. Juni bis 12. Juli

Cottbus, Freiheitsmusik

Fotos: PeterKitzbichler; Ralph Horbaschek; Dorothee Falke; Andreas Hosch; Felix Broede; Gustav Peter Wöhler; Domstufenfestspiele Erfurt; S. Howard; Lucas Allen

Berlin, Junge Musiker aus aller Welt Die besten Jugendorchester der Welt kommen zum Festival Young Euro Classic nach Berlin. Zur Eröffnung spielt in der Philharmonie das Orchestre Français des Jeunes unter Dennis Russel Davies Werke von Sibelius und Ravel. Weitere Festivalgäste sind das All-Russian Youth Orchestra, das Nationale Jugendorchester Rumänien, das Orchester des Zentralkonservatoriums Beijing sowie das MIAGI Youth Orchestra aus Südafrika. Eine bunte Mischung aus Konzerten, Oper und Tanz findet im August im Admiralspalast statt. Die Junge Deutsche Philharmonie lädt zum Composer Slam. Das Souzhou Kunqu Ensemble aus China und die deutsche Gruppe teatro del mondo lassen zwei Opernformen des 16. Jahrhunderts aufeinander treffen. Und die Niederländische Nationale Opernakademie bringt mit dem Nationaal Jeugd Orkest Erich Wolfgang Korngolds für den Broadway geschriebene Komödie Die stumme Serenade zur Aufführung. Berlin, Philharmonie und Admiralspalast, 22. bis 29.6. und 8. bis 17. 8., www.young-euro-classic.de/tickets

23. Mai bis 10. Juni

Dresden, Kleine Rache „Ich werde mich Riccardo Straussino umtaufen u. bei Sonzogno verlegen, dann bewilligt Ihr alles!“, wetterte Richard Strauss, als ihm die Dresdner Hofoper das geforderte Honorar nicht zahlen wollte. Er spielte darauf an, dass italienische Opernkomponisten in Deutschland beliebter waren als deutsche. Schließlich einigte man sich aber doch und Strauss’ Oper Die Feuersnot kam in Dresden zur Uraufführung. Zum 150. Geburtstag des Komponisten bringt das 2012 gegründete Orchester der Dresdner Musikfestspiele in Kooperation mit der Semperoper Strauss’ „kleine Rache an der lieben Vaterstadt“ am Ort der Uraufführung wieder auf die Bühne. Unter der musikalischen Leitung von Stefan Klingele singen der Sächsische Staatsopernchor, der Kinderchor der Singakademie Dresden und die Solisten. Die Musikfestspiele haben sich im Laufe ihrer mehr als dreißigjährigen Geschichte als prägende Kulturinstitution in Dresden etabliert. Es ist der Dreiklang aus Programm, Künstler und Spielstätte, der alljährlich magische Momente erzeugt. Der Wunsch, die „Goldenen 20er“ vergangener Jahrhunderte lebendig werden zu lassen, bestimmen das Konzertprogramm. Der belgische Dirigent Philippe Herreweghe und sein Collegium Vocale Gent, die Chansonsängerin Ute Lemper, Daniel Barenboim und die Staatskapelle Berlin, das Gewandhausorchester Leipzig unter Riccardo Chailly und die Sitar-Spielerin Anoushka Shankar sind an den schönsten Spielstätten im Stadtzentrum und in der Umgebung zu erleben. Dresden, 23.5. bis 10.6., www.musikfestspiele.com

herbstliche-musiktage.de // Telefon 07125 9460-6

22. bis 29. Juni und 8. bis 17. August

Herbstliche Musiktage Bad Urach

2.–10.10.2014

Wo einst politische Häftlinge einsaßen, soll abermals ein Gefangener ungerechtfertigt eingekerkert werden: Im 200. Jahr seiner Uraufführung bringt das Staatstheater Cottbus im Hof des Cottbuser Zuchthauses Beethovens Freiheitsoper Fidelio zur Aufführung. Der zentrale Trakt des Gefängnisses, in dem zwischen 1945 und 1989 bis zu 20 000 Gefangene wegen „Republikflucht“, „staatsfeindlicher Hetze“ und ähnlicher „Verbrechen“ inhaftiert waren, bildet den Hintergrund für das große musikalische Humanitätsbekenntnis. Auf einer eigens gestalteten Bühne ist die amerikanische Sopranistin Janice Baird als Leonore/Fidelio zu erleben. Die Rolle des Florestan verkörpert der Tenor Craig Bermingham. Am Pult des Philharmonischen Orchesters des Staatstheaters steht Evan Christ. Regie führt Martin Schüler. Cottbus, Gedenkstätte Zuchthaus, 28.6. (Premiere), 2., 4., 5., 9., 11. und 12.7., www.staatstheater-cottbus.de

ZSOLT BOGNÁR WIENER FRÜHROMANTIK Zsolt Bognárs „Wiener“ Klavier­abend illustriert ein bahnbrechendes Kapitel der Musik­ geschichte: den Übergang vom klassischen zum frühromantischen Stil. Die Ausbildung des jungen amerikanischen Künstlers basiert auf der Tradition von Heinrich Neuhaus, Wilhelm Kempff, Soulima Strawinski und Yvonne Loriod. Sein Spiel besticht durch emotionale Tiefe gleichermaßen wie durch technische Brillanz, Unmittelbarkeit und Authentizität. Für sein Programm gilt, was die Kritik über sein neues Album schreibt: „Jedes Stück ist von seltener, exquisiter Leuchtkraft und Schönheit.“ (Fanfare, New York)

www.zsolt-bognar.com Beethoven Opus 53 Klaviersonate Nr. 21 in C-Dur „Waldstein“ (1803)

Schumann Opus 26 Faschings­ schwank aus Wien (1839)

Liszt Soirées de Vienne (1852)

Wien, 17. Juni 2014, 19:30 Bösendorfersaal im Mozarthaus Tickets Euro 20 (erm.15) Tel. +43(0)1-504 66 51-144 München, 29. Juni 2014, 20:00 Kleiner Konzertsaal Gasteig Tickets Euro 20 (erm.15) MünchenTicket Tel. +49(0)89-54 81 81 81

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r e s o n a n z

Rätsel des klassischen alltags Was verbirgt sich hinter diesem Text?

Alle Wege führen nach Rom. Oder nach Bach. Genauer gesagt: zu Johann Sebastian Bach, dem streng dreinblickenden Übervater der deutschen Musik- und Kompositionsgeschichte. Vor ihm selbst und bei ihm gibt es kein Entkommen, kein Entfliehen – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Sei es nun in der Tonart c-Moll, G-Dur oder d-Moll. Bach erwischt sie alle. Man muss eben nur wissen, wie. Und einer wie Bach, der weiß es ganz genau. Dabei wäre doch der eine oder andere damals ach so gerne entflohen. Aus der einen Welt in die andere. Vom Diesseits ins Jenseits. Warum auch immer. Denn damals war gar nicht alles so schlecht. Pompöse, reich geschmückte Kirchen mit Marmor und Gold und riesigen Deckengemälden gab es zumindest zu Hauf. Irgendwann ist dann aber selbst der gute Bach entflohen. In Leipzig, auch wenn die Örtlichkeit nichts zur Sache tut. Aber soviel: Eine Augenoperation soll wohl Schuld gewesen sein. Auf jeden Fall war es damit dann beinahe vorbei. Naja, nicht ganz. Aber der Höhepunkt, der war vorüber, das kann man in der Tat so sagen. Natürlich haben sich auch andere Komponisten daran versucht. Aber Bach bleibt halt nun einmal Bach. Der Schostakowitsch war ja auch nicht schlecht. Zugegeben. Genauso wie der Max Reger oder

Paul Hindemith oder Johann Nepomuk David - alles gute Leute. Aber der König von allen, das war und bleibt nun einmal Johann Sebastian Bach. Dabei muss man von dieser Art der Musik gar nicht in die Flucht geschlagen werden. Schon gar nicht Menschen, die der lateinischen Sprache mächtig sind. Zu einer eigenständigen musikalischen Form hat sie sich nun also entwickelt. Oft gut versteckt in Chorund Orchesterwerken. In Kantaten und Messen. Dabei hat aber alles seine strenge Ordnung: Drei Stimmen braucht es, mindestens. Ein Führer und ein Gefährte gehören dazu und ein paar andere, die es den beiden nachmachen. Wie im echten Leben. Und alle müssen sie voneinander getrennt sein. Das bedeutet so viel wie: Jede Stimme macht, was sie will. Melodie und Rhythmus mal drei, also mindestens. Manch einer behauptet gar, wenn man sich das anhöre, dann klinge es wie eine musikgewordene Flucht. Daher wohl auch der Name der Gattung. Der Fachmann würde das wohl eine kontrapunktische Musikform nennen. Irgendwann geht aber auch jedes Musikstück einmal zu Ende. Und in der Zwischenzeit kann man sich einfach immer wieder und wieder vorsagen: Tempus fugit.

rätsel lösen und limitierte „Richard Strauss DVD BOX“ gewinnen! Wenn ­Sie die Antwort kennen, dann schreiben Sie Ihre Lösung unter dem Stichwort „Alltags-Rätsel“ an die crescendo-­ Redaktion, Rindermarkt 6, 80331 München oder per E-Mail an redaktion@crescendo.de. Unter allen richtigen ­Einsendungen verlosen­wir die in limitierter Auflage erschienene DVD-Box „The Richard Strauss Collection“ (Arthaus). Einsendeschluss: 29. Juli 2014. Viel Glück! Die Gewinnerin unseres letzten Alltags-Rätsels ist Sabine Nickel aus Fürth. Die richtige Lösung war „Händels Messias“.

LeserBriefe

Post nehmen wir immer gerne entgegen, auch wenn sie – wie in diesem Fall – etwas ausführlicher ist. Betreff: Axel Brüggemann-Kolumne – „Die Nische der Nische der Nische.“ Eine interessante Analyse von Herrn Brüggemann, bei der man allerdings auch zu anderen Schlüssen gelangen könnte. Wie oft lesen wir, dass das Fernsehen als Medium – insbesondere bei der jüngeren Generation – längst überholt sei? Wieso wollen denn die Rundfunk- und Radioanstalten alle ins Internet und nehmen dabei selbst juristische Querelen mit Verlagen und privaten Mitbewerbern in Kauf? Höchstwahrscheinlich doch nicht gerade deswegen, weil sie so dringend eine unpopuläre Nische besetzen möchten, sondern vor allem weil das Internet doch längst zum Leitmedium avanciert ist. Die Klassikbranche kann sich also vielmehr 58

freuen, wenn ihre mediale Zukunft im Internet stattfindet, denn dort ist auch ein Publikum. Dies beweisen nicht zuletzt die hohen Klickraten und Followerzahlen von Interpreten wie etwa Valentina Lisitsa und anderen “internetaffinen” Künstlerinnen und Künstlern bei Diensten wie youtube oder facebook. Die Krise auszurufen, nur weil Klassik zunehmend ins Netz wandert, ist daher in meinen Augen ein Kurzschluss. Ich möchte nicht die Mär von der ewigen “Gestrigkeit” der Klassikszene postulieren. Aber es ist schon eine gewisse (Ab-)Scheu in der Branche vor den Möglichkeiten spürbar, die die neuen Medien mit sich bringen. Dabei sollte man doch vor allem eines sehen:

Es sind keine Einschränkungen oder Zumutungen, die sich hier auftun, sondern hier gibt es doch viele Chancen. Ich persönlich sehe das jedenfalls positiv: Die nächste Oper werde ich mir bald nicht mehr im Nachtprogramm von ARTE oder den ÖffentlichRechtlichen ansehen müssen, sondern ich kann das zur besten Sendezeit oder wann immer es mir passt in den neuen Mediatheken tun – zuhause oder auf Reisen, und das gezeigte Repertoire kann ich mir sogar auch noch selbst aussuchen. Also, wenn das die Medienkrise im Klassiksektor ist, dann kann ich nur sagen: her damit! Manu, via unserer crescendo facebook-Seite: www.facebook.de/crescendomagazin

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gesellschaft Schwerpunkt Oper: Experte Attila Csampai über sein wichtigstes Klassik-Genre (Seite 60) Serie: Woher kommt... Glucks Arie „Ô malheureuse Iphigénie“? (Seite 70)

Die (Opern)-Welt in Zahlen Thema

Oper Besucher von klassischen Musikveranstaltungen (Oper, Operette, Musical) in Deutschland: in der Saison 2000/01………………………………………………………… 9,27 Millionen in der Saison 2011/12………………………………………………………… 7,59 Millionen davon Opernbesucher in der Saison 2000/01………………………………………………………… 4,74 Millionen in der Saison 2011/12………………………………………………………… 4,09 Millionen

Die meist gespielten Opern in Deutschland 1. Die Zauberflöte (Mozart)………………………………………… 494 Aufführungen 2. Hänsel und Gretel (Humperdinck)………………………… 350 Aufführungen 3. La Traviata (Verdi)………………………………………………… 278 Aufführungen

Uraufführungen in Deutschland 2011/12

Foto: ebraxas/Fotolia.com

Opern………………………………………………………………………………………………………… 67 Operetten………………………………………………………………………………………………… 2 Musicals……………………………………………………………………………………………………25

Quelle: MIZ

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G e s e l l s c h a f t

Viva l’opera!

Thema

Oper

Ein Plädoyer für die schönste Gegenwelt unserer Vorstellungskraft, den heiligsten Bezirk unserer Fantasie, die glühendste Illusion und die gegenständlichste Ausformung unserer emotionalen Existenz: die Oper. Vo n At t i l a C s a m pa i

O

per ist ein Lebensmittel, ein Überlebensmittel rung der Psyche und ein Appell an die Ganzheit des Menschen, der Seele. Nicht die perfekteste Schallplatten- wie sie nur die Oper bieten kann, zur Stärkung der allgemeinen Aufnahme, nicht der suggestivste Hollywood- Gemütslage unerlässlich. Das Problem scheint zu sein, dass sich Film, nicht der bizarrste Cyberspace-Trip ist selbst die verantwortlichen Eliten in dem durch die Oper vermitein Ersatz für den unvergleichlichen Zauber telten Menschenbild nicht mehr wiedererkennen, dass das innere des Hier und Jetzt, wenn wir die Gegenwart Bedürfnis, sich seelisch reinigen zu lassen, längst einer eher abssingender und spielender, gleichzeitig aber trakten Fürsorge oder gar dem simplen Repräsentationsgehabe durch die Aura der Musik geschützter, greifbar-lebendiger Men- gewichen ist. Da diese jedoch nicht vom Herzen ausgehen, nicht schen erleben. Theater ist eine menschliche, eine kollektiv-zivili- mehr von wirklicher Neugierde gestärkt sind, scheint, auf lange satorische Grunderfahrung, und noch immer die ästhetisch voll- Sicht gesehen, der Niedergang einer der traditionsreichsten Instiständigste Gegenwelt zu unserer eigenen; damit die beste Mög- tutionen der abendländlischen Kultur, dieses einzigartige Auflichkeit für den Menschen, sich selbst zu beobachten, sich fangbecken aller Künste, unabwendbar. Es sei denn, es gelingt uns, den ästhetischen Kern des Opernkennenzulernen, seine Gefühle komplett auszuleben – kurzum: Erlebnisses, das heißt sein auratisches Wesen, seine Zaubermacht sich als göttliche Schöpfung zu erfahren. Das hört sich hochtrabend an, wie eine schwärmerische Apo- über den Menschen, wiederherzustellen und damit auch die logie, ist aber nichts weiter als ein ästhetisches Faktum, das in den schlummernden Zauberkräfte in uns selbst einmal mehr zu entfaletzten vier Jahrhunderten der Existenz dieses wunderbaren – auf chen, unseren Seelenschatz neu zu entdecken. Und das heißt für mich: Rückbesinnung und einem Missverständnis des Resensibilisierung aller Beteiantiken Theaters beruhenden – „Gerade in solchen ästhetisch und ligten, der „Akteure“ wie der Fantasiegebildes niemals ernst„Empfänger“, auf die musikalihaft in Frage gestellt wurde. intellektuell desolaten Zeiten wäre eine schen Grundlagen der Oper, Freilich hat die Oper, seit sie das ­Sensibilisierung der Psyche unerlässlich.“ auf die sinnstiftende, menantike Ideal des intakten Menschenbildende und reinigende schen, und damit den SchöngeKraft der Partitur. Auch dies sang, aus dem Auge verlor, ihre gesellschaftliche Vormacht eingebüßt. Sie befindet sich schon mag schrecklich altmodisch klingen, ist aber ein unverrückbares längst nicht mehr an der gesellschaftlichen Front der Künste, den Faktum, das leider allzu viele Komponisten, Intendanten, Regiskünstlerischen Fortschritt in toto – als Gesamtkunstwerk – resü- seure und Kritiker aus den Augen verloren haben: Im Idealfall ist mierend, und auch die Opernhäuser haben ihre vormalige politi- Oper nämlich nichts anderes als die Geburt des Theaters aus dem sche Vormachtstellung, ihr Privileg von „Kathedralen“ des öffent- Geist der Musik, die Erschaffung wirklicher Menschen aus Tönen. Der durch Musik, Sprache und Bühnenwirklichkeit konstitulichen Lebens, eingebüßt und wären ohne massive staatliche ­Förderung wohl längst auf dem Friedhof der Geschichte gelandet ierte und definierte Opern-Mensch ist nämlich wirklicher, voll– abgestorben zu architektonischen Relikten einer untergegange- ständiger, geschlossener und menschen-ähnlicher als alle anderen nen Kultur, ähnlich den Dampflokomotiven. Aber selten war der durch die Künste und die Literatur vermittelten Menschenbilder. innere Bestand des Kulturgutes Oper – ja, die allgemein aner- In der Oper, und nur in der Oper, erleben wir den Menschen in kannte Nützlichkeit der Institution Oper – so gefährdet wie in den einer durchaus mysteriösen Gleichzeitigkeit seiner inneren Vorletzten Jahren, in denen sich die virtuelle und elektronische Unter- gänge und seines äußeren Handelns: Wir nehmen ihn als Theaterhaltungs- und Freizeitindustrie den längst zum hilflosen Konsu- akteur äußerlich-empirisch, in seinen Bewegungen, seiner Mimik, menten von standardisierten Kultur-Formaten degradierten seinen Sprachäußerungen wahr, durch die Musik aber dringen wir Erdenbürger wie mit einem Seziermesser in seine vegetativen auf eine höchst rätselhafte Weise auch in sein Inneres ein. Die ParGrundfunktionen aufgeteilt hat und so jede tiefergehende Bildung titur erschafft seine Seele, lässt uns – wie durch einen klingenden und Humaniserung seines Wesens vereitelt. Gerade in solchen Röntgenschirm – direkt in seine Seele, in den verborgenen Kosmos ästhetisch und intellektuell desolaten Zeiten wäre eine Sensibilisie- seiner Empfindungen und Gedanken hineinblicken, hineinhören, 60

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Juni – Augus t 2014

M I S H E C T I S E H C N


MOZARTVERD IBEETHOVENT SCHAIKOWSKI HÄNDELWAGN ERSTRAUSSPUC CINIGLUCKSME TANAROSSINIB IZETMUSSORG SKYBRITTENW EILLOFFENBAC HHUMPERDIN CKHENZEGOU NODRIMSKIKO 61


G e s e l l s c h a f t

ROS S I NI

i n W I L DB A D

B e l c a n t o O p e r a Fe s t i v a l

Eröffnung 10., 12. Juli

2014

Königliches Kurtheater

Il viaggio à Reims

Festaufführung, D: Fogliani 11., 13. Juli

Hommage à Adolphe Nourrit I + II Michael Spyres (Tenor), D: Parry

Belcanto Opera Festival 17. Juli

Trinkhalle

Portrait Adriana Hölszky (Königliches Kurtheater)

17., 24., 26. Juli

Il viaggio à Reims R: Schönleber, D: Fogliani

19., 23., 25. Juli

Adelaide di Borgogna

R: Petris, D: Luciano Acocella 27. Juli

Tebaldo e Isolina (Francesco Morlacchi) Konzertant, D: Fogliani

Konzerte, Meisterklassen, Vorträge Tickets, Angebote, Hotels: Touristik Bad Wildbad GmbH · König-Karl-Straße 5 75323 Bad Wildbad · touristik@bad-wildbad.de · www.rossini-in-wildbad.de

23.–28. SEPTEMBER 2014 ANMELDESCHLUSS 30. J U N I 2014

SEMIFINALE + FINALE ÖFFENTLICH – EINTRIT T FREI – LIVESTREAM

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HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND DAR STELLENDE KUNST STUTTGART JURY B R I G I T T E FA S S B A E N D E R BIRGID STEINBERGER ROBERT HOLL GRAHAM JOHNSON WOLFRAM RIEGER PETER SCHREIER KURT WIDMER

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hi­neinfühlen. Die Musik besitzt zwar sprachähnlichen Charakter, entwickelt aber ihre eigene, von der Sprache und ihrer diskursiven Logik unabhängige – selbst von der Bühnenrealität vollständig losgelöste – magisch-beseelte Wirklichkeit und eine Art analogische, assoziativ-impulsive Syntax. Bei jedem großen Opernkomponisten, und insbesondere bei Mozart, dem vollkommensten Menschengestalter, verhält sich die Musik komplementär zu den Sprachinhalten, sie enthüllt alles das, was nicht gesagt wird oder gesagt werden kann, und verleiht jeder Äußerung ihre charakteristische Färbung, ihre Intention und ihre Bedeutung. Die bis heute von vielen Opernskeptikern nicht akzeptierte, aber ästhetisch unwiderrufliche Autonomie und das Primat der musikalischen Sphäre vor der Sichtbar-Theatralischen gründet auf der durch die Musik – also den Takt, den Rhythmus und das Tempo – unverrückbar festgelegten Zeitordnung des Handlungsablaufs und damit des gesamten Bühnengeschehens: Erst durch die determinierte Zeitlichkeit der Musik gewinnen die Opernfiguren ihren wirklichen Lebenspuls und ihre unantastbare Autonomie, sind geschützt und konserviert in ihrer historischen Gestalthaftigkeit und in ihrem wirklichen Handlungskontext: Sie konfrontieren unser fließendes Zeitempfinden mit dem metrisch durchstrukturierten Modell einer kompletten und abgeschlossenen Gegenwelt.

Der Zeitbegriff der Oper ist radikal, unerbittlich-objektiv wie das lautlose Ticken der Lebensuhr. Keine andere Kunstform erinnert den Menschen so deutlich und nachdrücklich an die Zeitlichkeit und Endlichkeit seiner eigenen Existenz: Der Zeitbegriff der Oper ist radikal, unerbittlich-objektiv wie das lautlose Ticken der Lebensuhr, und alle Anstrengungen der singenden Protagonisten und ihr strömender Atem sind auf die Überwindung dieser metrisierten Lebenszeit ausgerichtet: Operngesang ist also die schönste, erschütterndste Kampfansage wider den Tod und die reinste Form des Orpheus-Prinzips. Opern sind die stärksten Lebensappelle. Dieser Schutzschirm der hermetischen Zeitlichkeit verleiht den Opernfiguren ihre Zeitlosigkeit, ihre innere und äußere Bewegungsfreiheit, ihre fast haptisch-greifbare Existenz. Der DonJuan-Mythos wurde erst durch Mozarts Don Giovanni zu einer konkreten Gestalt, und ebenso wurden Merimées Carmen, Hugos Triboulet alias Rigoletto oder Shakespeares Othello erst durch die musikalische Ausformung ihres Innenlebens zu kompletten, dreidimensionalen und glaubwürdig-wirklichen Menschenbildern. Das unterscheidet die Oper grundsätzlich vom Sprechtheater, das uns nur in „zeitlosen“ Chiffren überliefert ist und das daher mit einem erheblichen größeren Aufwand „wiederbelebt“ und in einen neuen Zeitkontext gebracht werden muss. Die Popularität und „Unsterblichkeit“ der großen Opern­ figuren kommt also nicht von ungefähr. Sie gründet sich in ihren niemals versiegenden Seelenpotenzialen, die unsere schreckhaften, zögerlichen, verkümmerten Seelen immer wieder von Neuem ermuntern, immer wieder von den Möglichkeiten des Menschen erzählen, aufzeigen, was große Gefühle, was Liebe in ihrer rein­ sten Form bewirken kann. Sie vermitteln uns nicht nur Utopien, sondern ideale, rücksichtslos humane oder inhumane Menschenbilder, sie appellieren an uns als beseelte, empfängliche Wesen. In der Oper transzendiert der Bürger zum Menschen, findet ein geschütztes Reservat vor, um seine Gefühle restlos ausleben zu können: Erst der gesungene, erhöhte Ton des reinen Gefühls demokratisiert die Zuhörer zu Gleichen im Empfinden: Das in den Wohllaut verwandelte reine Gefühl hat vielleicht ein Geschlecht, kennt aber keine Rassen, Grenzen oder Klassenschranken. n www.crescendo.de

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Ist Gluck ein Ladenhüter? Christoph Willibald Gluck wäre in diesem Jahr 300 Jahre alt geworden – trotzdem feiert man sein Jubiläum nur schüchtern. Countertenor Valer Barna-Sabadus und Klassik Radio Moderator Holger Wemhoff haben sich für crescendo Gedanken gemacht, warum. Nicht wirklich. Ich mache ein paar Konzerte mit meinem GluckProgramm, aber es war gar nicht so einfach, das Programm unterzubringen. Ich werde aber ein paar mal Glucks Orfeo singen – in einer bearbeiteten, höheren Fassung. Diese Fassung hört man an den Theatern aber nicht oft… Ja! Ich glaube das Problem ist, dass viele den Orfeo für so ausgelutscht halten, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, diese Fassung zu machen. Wie würden Sie den Orfeo denn inszenieren? Ich würde auf jeden Fall eine Balletteinlage machen. So war es ursprünglich gedacht: da war die Oper eingebettet in ein größeres Ganzes, ein großes Fest. Man könnte die Oper durchaus auch mit zeitgenössischer Musik kombinieren. Es werden doch heutzutage immer mehr Crossover-Sachen gemacht! Nehmen wir Produktionen von Sasha Waltz zum Beispiel – die sind doch immer ausverkauft! Warum keine Verbindung? Sie hat ja auch Purcell gemacht. Vielleicht passiert ja noch etwas mehr im Rest des Jahres. Aber ich höre das auch bei Ihnen raus: Verglichen zu einem anderen Jubiläumsjahr – dem von CPE Bach oder Richard Strauss zum Beispiel – ist Gluck geradezu grotesk unterrepräsentiert. Auch in punkto Aufnahmen ist bisher nicht wirklich viel passiert. Vielleicht ist auch einfach die Angst davor da, aus Zwang schon wieder eine Geburtstags-CD aufnehmen zu müssen? Also ich finde ganz ehrlich: Wagner, Verdi, Mozart – die hätten ja die Jubiläums-Aufmerksamkeit gar nicht nötig gehabt. Gluck dagegen schon! Vielleicht sollten wir eine Recherche-Abteilung anstoßen. Und den Leuten sagen: Hey, macht ein bisschen mehr Werbung für Gluck. Er ist einer der großen Starkomponisten neben Bach, Mozart und Händel in Deutschland – der hat es verdient! n Valer Barna-Sabadus neues Gluck-Album erscheint im August bei Sony Classical. Wichtige Termine im GLUCK-Jahr Diese Festivals sollten Sie sich als Gluck-Fan 2014 auf keinen Fall entgehen lassen. Internationale Gluck-Opern-Festspiele 14. - 27. Juli 2014 www.internationale-gluck-opern-festspiele.de

Foto: Arne Schultz

Holger Wemhoff: Viele werfen Gluck aus der heutigen Sicht Langeweile vor. Warum ist Gluck nicht langweilig? Valer Barna-Sabadus: Gluck mochte die Opera Seria und die Opera Buffa nicht mehr so gerne. Er fand sie zu entfremdet, mit zu viel „Gurgel-Akrobatik“. Er hat sich darüber echauffiert, dass das Publikum überhaupt nicht mehr Text und Musik verstanden hat, weil so viel gekünstelt wurde – der Effekthascherei wegen. So das man den Wesen des Dramas gar nicht mehr erkannt hat. Deswegen hat er die ganze Sache ein bisschen entrümpelt. Er war der Meinung: Es geht um das Drama, die Leidenschaft, die Gefühle. Prima le parole, e poi la musica. Das war seine Meinung! Da war er ein echter Verfechter. Er hat also die echten Gefühle wieder in den Mittelpunkt gestellt. Das was später nochmals passiert ist, als Bellini und Donizetti vom Verismo abgelöst wurden. Wieso war Gluck so besonders revolutionär? Viele Komponisten waren zwar mit dem unzufrieden, was musikalisch passierte und sie haben teilweise Strukturen aufgebrochen – Händel zum Beispiel. Aber die sind alle nicht so weit gegangen wie Gluck. Denn der hat gesagt: „Jetzt reicht’s, wir wollen wirklich komplett weg.“ Viele haben bloß versucht, einen Kompromiss zu finden, aber sie konnten sich nicht richtig durchsetzen. Es ist wie in der Politik: Da kommt es auch besser an, wenn man einen festen Standpunkt hat. Im Gluck-Jahr fällt doch auf, dass Gluck, obwohl er als großer Opernreformator und Mozart-Vorbereiter gilt, in punkto Aufnahmen und Aufführungen irgendwie unterrepräsentiert ist. Woran liegt das? Wenn man sich mal das Orchester anschaut für Gluck, dann ist das bei den Bühnenwerken oft ein Riesenapparat, auch von der Besetzung her – das trauen sich viele Labels gar nicht mehr zu finanzieren. Noch dazu ist das Glucksche Orchester ja kein normales Orchester, sondern man braucht auch noch historische Instrumente! Das ist eine Logistikund Kostenfrage. Was ist mit den Theatern? Die machen die großen Schinken. Und die Ballettmusiken. Das muss man groß besetzen, das macht man an großen Häusern, da nimmt man große Stimmen. Da hat man die Sorge, dass es ein Countertenor nicht machen kann. Merken Sie in diesem Jahr an Ihren Engagements die Auswirkungen des Gluck-Jahres?

Gluck-Jahr 2014 in Berching, bis 15. November www.gluckstadt-berching.de

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Oper

crescendoAutorin Barbara Angerer-Winterstetter (Polaroidbild rechts), erfüllte sich den Traum, einmal bei den ­B ayreuther Festspielen mitzuwirken.

Oper pur, hautnah und distanzlos Einmal im Leben auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses: Ein ungewöhnlich packender Tannhäuser aus der Statisten-Perspektive

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V o n B a r ba r a A n g e r e r - W i n t e r s t e t t e r

ch hatte einen Traum: Einmal auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses stehen, die Wagner für seinen Ring baute und 1876 eröffnete – und knapp 2000 Menschen sehen zu. Als die Autorin dieser Zeilen in zarten Mädchenjahren erstmals fasziniert (und noch im Rahmen einer Führung) im Bayreuther Festspielhaus auf die mit Jean-Pierre Ponnelles TristanBildern bestückte Bühne strahlte, träumte auch sie, wusste aber sehr bald, dass ihre Aufgabe eher darin bestehen würde, in Reihe 29 – einer der Bayreuther „Kritikerreihen“ – den Höhen und Untiefen von Inszenierungen nachzuforschen und sensibel der Sangeskunst zu lauschen. Distanzverlust nicht erlaubt. Bis im Wagner-Jahr 2013 plötzlich eine ungewöhnliche Einladung kommt: die von „TAFF“, des „Teams aktiver Festspielförderer“, als Zuschauer auf der Festspielbühne im Tannhäuser zu sitzen – was die aktuelle Inszenierung sogar fordert. „TAFF“, das ist keine „Kon64

kurrenz“ zu den wichtigen Sponsoren der „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“, vielmehr eine Ergänzung. Menschen, die sich besondere Einblicke und Künstlerkontakte ebenso wünschen wie den Austausch in der Pause beim schnell aufgebauten Sekt-Imbiss im Festspielpark. Türen werden sich mir öffnen, die bislang nur den Akteuren der Festspiele vorbehalten waren. Eine einmalige Chance, denn normalerweise gehören die Zuschauer auch in Bayreuth in den Zuschauerraum. Regisseur Sebastian Baumgarten aber braucht im Biogasanlagen-Bühnenbild seiner Produktion (Joep van Lieshout) eine Handvoll Stühle mit Zuschauern, die das Bühnenbild vervollständigen, wenngleich sie nicht mitspielen (dürfen). Vorab erhalten wir eine detaillierte Einweisung: keine Schleppen und kostbaren Roben, keine Jacken und Taschen, nur Ballerinas. Auch Kaugummis oder Bonbons sind tabu, ebenso wie Sitzkissen. Den kleinen blauen Fleck am Rücken – denn auf der Bühne www.crescendo.de

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gibt es aus akustischen Gründen nur Holzstühle – ist die Sache aber wert. Ein Bühnenmeister geleitet unser Grüppchen, das auf der Westseite der Bühne sitzen wird, durch die Katakomben des Hauses. Zwei Japaner (zwölf Stunden Flug für Richard) sind meine härtesten Konkurrenten um die Plätze ganz vorne, von denen man einmalig sehen soll. Dann haben wir es geschafft: gemeinsam in Reihe eins. Der Vorhang ist schon offen, denn in der Bühnen-Miniaturwelt wird schon gearbeitet und gelebt. Von echten Statisten im Kostüm. Der Blick schweift über die riesige Bühne, die bis hinten offen ist, und zurück in den Zuschauerraum, der seine Sitzreihen elegant nach dem Vorbild eines Amphitheaters nach oben schwingt. Seltsam klein sieht er aus, der Raum, der mir sonst so riesig groß, so mächtig erscheint. Das Ehepaar aus Tokio lächelt einem Freund in Reihe zwei zu, der verstohlen Fotos macht. Winken ist nicht erlaubt. Es wird zusehends voller da draußen im Publikum, auch die Musiker sitzen schon drunten im Graben. Pardon: im mystischen Abgrund, dem einzigartigen Bayreuther Orchestergraben, der treppenförmig sehr weit unter die Bühne reicht. Man sieht von der Bühne aus nur die ersten Geigen, um den Dirigenten herum gruppiert. Axel Kober, im normalen Leben GMD der Deutschen Oper am Rhein, erscheint im Poloshirt, lacht, witzelt mit seinem Konzertmeister. Fröhliche Musikergesichter blicken uns an. Freiwillig verbringen sie Sommer für Sommer ihre Theaterferien hier im Bayreuther Abgrund, wenn andere auf Mallorca schmoren. Geschmort wird in Sachen Temperatur auch hier – aus Gründen der Unsichtbarkeit in leichtem Alltagsgewand, denn eine Schallmuschel verhindert den Blick des einfachen Publikums aufs Orchester. Wir oben auf der Bühne sind erwählt und dürfen sehen. Im Publikum tritt jetzt der Moment ein, den ich so liebe: Nach synchronem Schließen der Türen verlöschen langsam die Lichter. Und dann ist – Stille. Andächtige Stille. Gebannt wartet das Publi-

kum auf den ersten Ton, die Erlösung aus dem mystischen Abgrund. Dort steht lächelnd und gar nicht mystisch Maestro Kober und wartet. Dann leuchten rote Lichter am Dirigentenpult auf, damit auch der Bläser weit unten im Abgrund sieht: Es geht los. Und dann geht es wirklich los. Die Musik flutet auf die Bühne, brandet auf. Glasklar liegen die ersten Geigen über allem, etwas gedämpft klingt das schwere Blech. Der typische Bayreuth-Klang mischt sich erst im Publikum optimal, dennoch ist der Eindruck überwältigend. Kein Video lenkt ab, und das Bühnenbild ist im dritten Aufführungsjahr dieses Tannhäuser schon lange kein Schock mehr. Vor allem, wenn man mittendrin sitzt. Plötzlich wird direkt vor meinen Füßen gespielt – mit einer Leidenschaft, die ich so aus Reihe 29 trotz Opernglas bislang nicht erspüren durfte. Die Funken sprühen zwischen den Protagonisten, unsichtbare Bänder scheinen sie zu verbinden. Bänder, die sich unbemerkt auch um uns Bühnen-Zuschauer legen: Plötzlich ist es da, das „Wir“-Gefühl. Ja, wir geben unser Bestes, in jeder kleinsten Partie! Und meine erklärten Lieblinge der Produktion sind nicht mehr nur Stars, sondern Teil des Ganzen. Als dann noch der Chor auftritt, ist das Bühnenwunder perfekt. Und plötzlich ist es nicht mehr so interessant, wie und wann die Souffleuse Texte vorformuliert und Einsätze für die Sänger gibt, denn es geht nur noch darum, unter Menschen zu sein, die aus vollem Herzen für Wagner da sind. Sonst bin ich Kritikerin und wahre die beobachtende Distanz, jetzt bin ich Teil eines Wagnerwunders und völlig unkritisch gegenüber einer durchaus umstrittenen Inszenierung. Gerade noch rechtzeitig ziehe ich meine Beine ein, als Wolfram von Eschenbach direkt neben mir nach vorne huscht. Als vor Beginn des dritten Aufzugs Buhrufe für die Inszenierung auf die Bühne schallen, empfinden wir sie wie eine Ohrfeige. Ein paar Statisten zelebrieren, bevor die Musik beginnt, eine Messe. Regisseur Baumgarten will es so. Der Text ist spannend – irgendwo zwischen Parsifal und Schöne neue Welt. Wie unfair ist das von „denen da draußen“, unsere Statisten-Kollegen auszubuhen, die nicht wie wir nur zusehen dürfen, sondern agieren müssen! Ein Buh auf die Bühne trifft ins Mark – ebenso aber wirkt der Schlussbeifall wie ein Orkan, der sich über den Graben auf die Bühne wälzt. Gerade noch rechtzeitig schließt sich der Vorhang, bevor die Tannhäuser-Crew umgepustet werden kann. Da sind auch sie: Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner, die Festspielschwestern. Den ganzen Abend waren sie hoch konzentriert präsent, jetzt sind sie bei den Sängern, umarmen, gratulieren, strahlen. Das ist echtes Festspielflair, weit entfernt von alltäglicher Theaterroutine. Richard wäre glücklich gewesen. Und ich bin es auch. Denn das war Oper, wie ich sie schon lange nicht mehr erlebt habe. Pur, hautnah und mit Gänse­ hautgarantie. PS: Die besprochene „Tannhäuser“-Inszenierung eröffnet am 25. Juli 2014 die diesjährigen Bayreuther Festspiele und nimmt eine weitere Saison „TAFF“-Mitglieder auf Bühnenplätzen auf. 65

Foto: Enrico Nawrath / Bayreuther Festspiele; Pressestelle Stadt Bayreuth; privat

„Zwei Japaner (zwölf Stunden Flug für Richard) sind meine härtesten Konkurrenten um die Plätze ganz vorne.“


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Oper

Früher viel, heute wenig

Foto: Istanbul State Opera

Wenn von großer Oper die Rede ist, denkt man an Mailand und Wien, nicht aber an die Türkei. Serhan Bali, der Chefredakteur des türkischen Klassikmagazins Andante in Istanbul, gewährt uns einen Einblick in die Operntradition seines Landes.

Impression aus Istanbul: „Die aktuelle türkische Regierung setzt wieder auf traditionelle türkische Musik“.

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ie Geschichte der türkischen Oper geht zurück bis in die Zeit des Osmanischen Reichs. Wir können das Jahr sogar genau benennen, in dem die westliche Musik die Türkei erreichte: 1826. Es war das Jahr, als Giuseppe Donizetti, der ältere Bruder des berühmten italienischen Opernkomponisten Gaetano Donizetti, von Sultan Mah­moud II. nach Istanbul eingeladen wurde. Er sollte eine neue Militärkapelle aufbauen – nachdem die Kapelle der türkischen Janitscharen abgeschafft worden war. Nach 1839 eröffneten Impresarios aus den Minderheiten-Gruppen zahlreiche private Theater, in denen viele Opern und Operetten auf dem Programm standen. Die Besucher dieser Häuser waren hauptsächlich Truppen aus Italien und Frankreich. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in der osmanischen Türkei nicht die geringsten Ambitionen, musikalische Konservatorien einzurichten, wie es sie zum Beispiel im zaristischen Russland gab. Nach dem Niedergang des Osmanischen Reiches war es der Gründer der „modernen Türkei“, Mustafa Kemal Atatürk (1881– 1938), der es als Teil seiner Staatspolitik ansah, der westlichen Musik mit ihren Auftritts- und Ausbildungsinstitutionen auch in der Türkei einen Raum zu geben. Genauso wie die Deutschen und Österreicher, die direkt nach dem Krieg vor allen anderen ihre Opernhäuser wieder aufbauten, eröffnete auch Atatürk 1924, direkt nach Gründung der Republik, eine Schule für Musiklehrer in Ankara. Die ersten Absol-

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venten – die ersten Opernsänger! – gingen ab 1936 auf das erste staatliche Konservatorium in Ankara. Es war genau diese erste Generation von Sängern, die 1949 zur Keimzelle der Staatlichen Opern- und Ballett-Kompanie wurde. Mittlerweile hatte Atatürk bereits die erste türkische Oper, Oszoy von Adnan Saygun, in Auftrag gegeben. Bis in die 1990er wurden fünf weitere Opernkampagnen in verschiedenen Städten der Türkei aus dem Boden gestampft, unter anderem in Istanbul. Sie alle standen unter dem Schutzschirm des „General Directorate of the State Opera and Ballet“, das zum Kultur- und Tourismusministerium gehört. Die Tradition der Oper in der Türkei, mit all ihren Ausbildungsinstitutionen und künstlerischen Einrichtungen, ist jeder anderen Nation der östlichen Welt weit voraus. Oper und Ballett wurden, gemeinsam mit der sinfonischen Musik, zur kulturellen Priorität Nummer eins aller Regierungen nach Atatürks Tod. Es gab Zeiten, da waren die türkischen Politiker der Musikszene nicht sehr wohl gestimmt – aber auf die Idee, die Unterstützung der Oper und der Klassik zu unterlassen, kam niemand. Seit 2002 ändert sich das. Seit dann verschlechtert sich die florierende Musikszene – denn die Politiker der regierenden AKP-Partei haben keinerlei Wissen und Interesse an diesen sogenannten „westlichen Künsten“. Es sind die traditionellen türkischen Künste, wie die klassische türkische Musik und die islamischen bildenden Künstler, die auf ihrer Agenda wieder www.crescendo.de

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„Die Bühne ist so klein, dass große Produktionen nicht aufgeführt werden können. Und das Ballett tanzt zu Playback-Musik.“ land zurück, sondern nutzen ihre Chancen in der Fremde. Und sie schlagen sich gut. Es gibt viele junge türkische Opernsänger in Opernhäusern überall in Europa – viele in Solo-Partien. In dieser Hinsicht haben wir viel der Siemens Opera Competition zu verdanken. Der seit 1998 jährlich in Istanbul stattfindende Opernwettbewerb ist ein wichtiges Sprungbrett: In den letzten 15 Jahren hat dieser Wettbewerb viele türkische Opernstars hervorgebracht. Der Gewinner des Wettbewerbs bekommt die Möglichkeit, für ein Jahr am Opernstudio des Karlsruher Staatstheaters zu arbeiten. Der Zweitplatzierte bekommt sechs Monate Gesangsunterricht am Salzburger Mozarteum. Die Intendanten der Staatstheater von Karlsruhe und Nürnberg sowie dem Salzburger Landestheater sitzen jedes Jahr in der Jury des Wettbewerbs. Einige der Wettbewerbsgewinner haben es bis an die Metropolitan Opera in New York geschafft – und an die Mailänder Scala. „Was ist in der Türkei passiert, dass wir plötzlich mindestens einen türkischen Sänger in jedem Opernensemble haben, das wir besuchen?“ Diese Frage hört man unter europäischen Opernkennern neuerdings öfter. Würde die Sopranistin Leyla Gencer, eine der letzten großen Diven und der schillerndste Star der türkischen Operngeschichte, noch leben – sie wäre definitiv stolz auf ihre jungen Kollegen. n

Intervie w mit Selcuk Car a

„Spricht der überhaupt Deutsch?“ Der türkische Tenor Selcuk Cara lebt und singt in Deutschland. Mittlerweile hat er seinen Platz in der internationalen Oper gefunden, doch in seiner Ausbildung fühlte er sich als türkischer Künstler in Deutschland benachteiligt. Herr Cara, in welchem Moment fühlten Sie, dass Sie es als türkischer Tenor in Deutschland schwer haben würden? Bei der Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule. Ich wartete schon eine gefühlte Ewigkeit und glaubte plötzlich eine Stimme aus dem Raum gehört zu haben, die den nächsten Kanditaten aufzurufen schien. Ich klopfte ganz zaghaft an, öffnete vorsichtig die Tür und trat ein. Die Professoren hatten mich nicht bemerkt. Niemand drehte sich nach mir um. Als ich all meinen Mut zusammennahm, um endlich auf mich aufmerksam zu machen, da kam mir eine Frauenstimme zuvor. Bis heute kann ich mich an die Klangfarbe dieser Stimme erinnern. Es war eine sehr grelle, hohe Stimme, die durch den Raum hallte: „So was haben wir denn hier? ... Cara Selc ... Selsch oder so. Aha, ein Türke! Spricht der überhaupt Deutsch? Hat der überhaupt das Abitur?“ Die Professoren lachten kurz auf. Ein Professor, der sich gerade in diesem Augenblick zur Tür drehen wollte, um mich hereinzuholen, zuckte kurz zusammen. Alle übrigen Professoren wurden sofort auf mich aufmerksam. Die Professorin, die gerade noch lautstark an meinen Sprachkenntnissen und meinem für die Aufnahmeprüfung vorausgesetzten Abitur gezweifelt hatte, schrie mich an: „Was machen Sie denn schon hier? Unverschämtheit! Wer hat Sie hereingerufen?“ Jahre später ließ es sich einer dieser Professoren nicht nehmen, mich von der Hochschule mit folgenden Worten zu verabschieden. Ich war bereits im Engagement an einem Staatstheater. „Herr Cara, wir sind stolz auf Sie, dass Sie als Türke die deutsche Kultur insoweit begriffen und verstanden haben, aber Sie sollten doch weiterhin von uns Rat annehmen.“ Wie stehen Sie heute zu diesen Erlebnissen? Hängen solche prägenden Momente noch nach? Wenn ich heute von Frau Nike Wagner zum Beethovenfest nach Bonn eingeladen werde, um mit einem türkischen Orchester Beethovens Neunte Sinfonie aufzuführen, oder im Wagnerjahr den Hagen in Richard Wagners Götterdämmerung mit der NDR Radiophilharmonie aufzeichnen oder Gustav Mahlers Achte Sinfonie mit dem Israel National Symphony Orchestra in Tel Aviv und Haifa singen darf, was fühle ich dann wohl als türkisches Gastarbeiterkind mit deutschem Pass? Keine Genugtuung, sondern Dank, dass große Geister ein Land, eine Welt erschaffen haben, die jeder Mode und unmenschlicher Gesinnung trotzt. Die Welt der Kunst, die über allem steht, was die Mode zu teilen weiß. Ein längeres Interview mit Selcuk Cara und seine aktuellen Auftrittstermine lesen Sie auf www.crescendo.de 67

Foto: privat

einen höheren Platz einnehmen. Das war nicht weiter schlimm – bis 2012 der Premierminister R. T. Erdogan erkärte, dass alle künstlerischen Institutionen, inklusive Oper, Ballett, Sinfonieorchester und Theatergruppen, die dem Staat gehörten, privatisiert werden sollten. Ein Staat solle keine Theater betreiben, findet Erdogan. Trotz aller Reformen und Veränderungen war – und ist – Oper, Ballett und orchestrale Musik nur die Leidenschaft einer kleinen Minderheit in der Türkei. Die Gegebenheiten sind dabei nicht immer einfach: Klassikinteressierte in Istanbul sind genötigt, sich Opern im Sureyya-Opernhaus, einem kleinen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, anzuschauen – weit weg vom kulturellen Zentrum der Stadt, mit läppischen 600 Sitzplätzen. Die Bühne ist so klein, dass große Produktionen wie Aida hier überhaupt nicht aufgeführt werden können. Und das Ballett tanzt zu Playback-Musik. Wegen der Subventionen durch den Staat sind Operntickets in der Türkei relativ günstig im Vergleich zu allen anderen privaten Kunst-Events. Aber weil auch hier die Budgets klein sind (das Budget von 2013 für die Opernhäuser beträgt 70 Millionen Euro für alle sechs Häuser!), können kaum große ausländische Sänger eingeladen werden, und die meisten Produktionen werden ausschließlich von türkischen Sängern gestaltet. Der Altersdurchschnitt des türkischen Publikums ist dagegen überraschend niedrig. Es gibt viele Besucher im Alterspektrum zwischen 18 und 40 Jahren. Das Alterslevel in den kleinen Opernhäusern ist sogar noch niedriger! Woran das liegt? Der Hauptgrund ist wohl der hohe Prozentsatz an jungen Leuten in der türkischen Bevölkerung. Die Inszenierungen in allen Opernhäusern der Türkei sind im Allgemeinen eher konservativ. Aber es gibt eine kleine Gruppe an Regisseuren (u. a. Yekta Kara, Mehmet Ergüven, Recep Ayyilmaz), die in jeder Saison wirklich sehenswerte Produktionen kreieren, die manchmal an den Grenzen des Regietheaters kratzen. Heutzutage gibt es eine Fülle an jungen Türken, die ihre erste Gesangsausbildung in der Türkei bekommen haben, die in fremde Länder umsiedeln, um dort eine höhere Musikausbildung zu absolvieren. Diese Young-Stars kommen in der Regel nicht in ihr Heimat-


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Der Axel-Brüggemann-Kommentar

Verschont uns mit dem Pimmel des Tenors Hand aufs Herz: Eigentlich ist die Zukunft der Oper den meisten Menschen egal. Das war mal anders – vielleicht ist jetzt die letzte Möglichkeit, zu kämpfen. Was mir Angst macht, ist die Stille. Es hört sich an wie ein Pianissimo, ein Decrescendo, das kaum noch jemand wahrnimmt. Niemand spricht mehr über die Krise der Oper. Keiner redet mehr über das Ende der Klassik, über den Überlebenskampf der Theater, geschweige denn über ihre ästhetischen Visionen. Das könnte ein gutes Zeichen sein – wenn es keine Krise gäbe. Aber es ist wohl anders: Den meisten Menschen ist die Zukunft der Oper ziemlich egal. Gewöhnlich genügt in unserer modernen Erregungsgesellschaft ja schon ein PolitikerBlick in ein Journalistinnen-Dekolleté, um Schlagzeilen in den Medien zu bekommen. Aber bei folgendem Szenario bleibt es verdächtig ruhig: Wer „Oper“ und „Schließung“ googelt, findet relativ leicht Artikel über den Existenzkampf. Über die Oper in Bonn, die gerade abgeschafft werden sollte, über die Piraten-Partei in Berlin, die eine Schließung der Deutschen Oper fordert, um Gelder in die freie Szene umzulenken. Gegen die Abschaffung vom Radiosender BayernKlassik protestiert eine hilflose, verschwindende Minderheit per Online-Petition. Und auch im Ausland sieht es düster aus: Die Oper in San Diego wird schließen, ebenso die City Opera in New York. Italiens Opern sind mit über 300 Millionen Euro verschuldet, Schließungen sind absehbar. Googelt man „Oper“ und „sparen“, ist es noch schlimmer: Kaum ein deutsches Haus, das nicht von Kürzungen betroffen ist. 68

Nach Bonn steht nun auch Köln unter Spardruck, Düsseldorf muss mit einer Million Euro weniger auskommen, in Frankfurt stehen ebenfalls Haushaltskürzungen auf dem Programm, die Häuser in Bayern sollen ihre Etats überprüfen, und Dominique Meyer, immerhin Intendant der zu über 97 Prozent ausverkauften Wiener Staatsoper, erklärte gerade, dass er die Preise anheben müsse, da sein Betrieb zu kostspielig sei und die Tariferhöhungen nicht durch Subventionssteigerungen gedeckt werden könnten. Das Limit sei erreicht, ein Mehr an Einnahmen nicht möglich und die staatliche Verantwortung müsse grundlegend neu geregelt werden. Aber selbst jetzt bleibt es still. Noch vor 10 oder 15 Jahren hat fast jede Streichung an Stadttheatern zu Protesten geführt, zu Demonstrationen und Debatten. Aber in wirtschaftlich unsicheren Zeiten, in denen viele Privathaushalte selber sparen müssen, scheint es unabdingbar, dass auch der Staat streichen muss, dass die Oper nicht mehr als selbstverständliche Grundversorgung verstanden wird, sondern als Luxus. Sollen die Reichen sie doch mit Ticketpreisen bis zu 400 Euro bezahlen oder Sponsoren einspringen. Politik soll sich lieber um die Löcher in Autobahnen kümmern, um Kindergartenplätze oder Schwimmbäder! Ich weiß nicht, ob den Kulturschaffenden, die von all dem betroffen sind, klar ist, dass sie an dieser Situation nicht ganz

unschuldig sind. Auch für Menschen, die regelmäßig in die Oper gehen, wird es immer schwerer, die gesellschaftliche Relevanz der Kunst zu behaupten. Viele Inszenierungen sind nur noch Anachronismen des Regietheaters der 1990er- oder 2000erJahre, die noch immer als „modern“ verkauft werden. Ganz abgesehen davon, dass viele Opern weder mit der sich rasant verändernden Ästhetik von Fernsehen, Kino oder der Werbung mithalten können, noch in der Lage sind, sich durch mehr Tiefe gegen eben diesen Zeitgeist zu stellen. Viele Opernmacher begreifen ihre Kunst lieber als Elfenbeinturm, als geschützten Experimentierraum der Gesellschaft: unantastbar, nicht in Frage zu stellen und per se existenziell. Oper wird zur Onanie. Ihre Relevanz sehen viele Häuser nur noch darin, die Aufgaben des Staates zu übernehmen: Bildungsprogramme, Education und Jugendkonzerte. Das ist ehrenwert. Aber all das macht sie nicht unentbehrlich. Denn die Wichtigkeit eines Theaters zeigt sich nicht als angepasste Verlängerung des staatlichen Bildungsauftrages, sondern durch den gesellschaftlichen Diskurs und die Größe der Kunst, die auf der Bühne stattfindet: als Dorn im Fleisch einer Gesellschaft. Als Provokation, als Andersdenken, als Plattform des positiven, ästhetischen Streites. Als Raum der Konfrontation! Hier ein konkretes Beispiel: Meine Eltern haben nach 40 Jahren (!) ihr Abonne-

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Ein ähnliches Phänomen beobachten ment an der Volksbühne gekündigt. Jahr- gedrungen, um im Kleinen die Aussage des wir bei Sängern. Wir freuen uns am moderzehntelang haben sie das Auf und Ab des Großen zu bestätigen. Das „Regietheater“ war der letzte Ver- nen Schöngesang, an der Klugheit der StimTheaters begleitet, sich geärgert und gefreut – auf jeden Fall sind sie immer neugierig such, die Oper in die Gegenwart zu holen. men, wie sie Elina Garanča hören lassen, geblieben. Jetzt wollen sie die Kinoübertra- Seither ist jedoch nur wenig passiert. Heute Klaus Florian Vogt und Jonas Kaufmann. gungen der MET besuchen und gezielt glauben Intendanten, dass sie entweder Tatsächlich aber haben sie nur wenig mit Opernaufführungen in der näheren Umge- Spektakel bieten müssen, Oper mit Feuer jenen Stimmen zu tun, die für uns, ähnlich bung, von denen sie glauben, dass sie span- und Eis, wie etwa mit der spanischen Gute- wie in der Formel 1, mit 260 km/h in die nend sind. Nun ist es das Eine, dass meine Laune-Truppe „La Fura dels Baus“, oder sie Kurven gegangen sind – mit Fritz WunderMutter einen eher konservativen Geschmack machen es wie die MET und erheben die lich, Maria Callas oder René Kollo. Tenöre hat – wichtiger ist, wie es das Theater ver- Oper zum verstaubten Gala-Abend mit wie Rolando Villazón, die jahrelang über Champions-League-Sängern. An Stadtthea- ihre Grenzen gegangen sind, die ein Risiko säumt, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Meine Mutter hat mit der Kündigung tern ist all das nicht möglich. Es ist erschre- auf sich genommen haben – über sie wird gehadert, ist zu Diskussionsveranstaltungen ckend, wie wenige junge Regisseure hier oft genug gelacht. Dabei sind sie es, die uns des Theaters gegangen, wollte hören, warum wirklich neue Wege gehen und sich fragen, die Größe der Oper gezeigt haben: die Radisie sich Penisse von Tenören anschauen was nach dem Regietheater kommen kann. kalität, die Ungebremstheit, die Gefährlichmuss und warum dort, wo sie La Traviata Wäre es nicht eine Chance der Stadttheater, keit der Kunst, die sie erst in die Nähe des hören wollte, nur die Titelheldin auf der im Kleinen nach neuen Formen zu suchen, realen Lebens rückt. Ja, Oper ist: gefährlich! Auch hier könnten Stadttheater ansetBühne stand und ihr Liebhaber, alle ande- so wie damals in Stuttgart oder Bremen? ren Charaktere und der Chor weitgehend Dass sie die Nähe zum Publikum nutzen, zen: Einst waren sie die Orte, an denen große unverständlich aus dem 2. Rang sangen. Für die Freiheit der Subvention, um etwas wirk- Stimmen Erfahrungen gesammelt haben, meine Mutter ist das ein Verrat an der lich Neues zu wagen? Stattdessen sieht man gescheitert sind, Repertoire gefressen haben. Heute schrumpfen die Ensembles. Musik. Als der Chefdramaturg ihr Dabei müssten Theater ihre Sänger in besserwisserisch erklärte, dass Verdi „Gutes Regietheater die Öffentlichkeit stellen wie die Stürund Puccini ihre Opern genau so Fußballteams! gewollt hätten, reichte es ihr. Sie hat hat sich nie wichtiger genommen mer ihrer Warum also steckt die Oper in dem Intendanten geschrieben. Aber der Krise? Und warum redet keiner auch der ist schon lange nicht mehr als die Komponisten.“ mehr darüber? Ich bin sicher, dass am „traditionellen Publikum“ intereses auch daran liegt, dass die Oper siert, findet es uncool, wenn er grauhaarige Besucher hat, will sie bewusst ver- hier meist den Abklatsch des Alten oder verlernt hat, uns zu berühren. Dass sie sich graulen und probiert stattdessen, junge international ausrangierte Provokateure, in einen – zugegeben spannenden – ElfenZuschauer zu locken, indem er ihnen die als Modernisten verkauft werden. Meine beinturm zurückgezogen hat, in dem es Tickets für fünf Euro anbietet und seine mit- Mutter findet einen Tenor-Pimmel übrigens darum geht, Wissenschaft hörbar zu telmäßige Kunst verramscht. Er schrieb schon lange nicht mehr provokant, sondern machen, sich selbst und seine Ästhetik zu bedienen, sich nicht mehr denjenigen zu meiner Mutter, dass ihr offensichtlich das langweilig. Neulich habe ich mich mit Elias erklären, die von der Oper etwas anderes Verständnis für die moderne Oper abgehe – als Beweis schickte er ihr eine mittelmäßig Grandy, einem spannenden jungen Dirigen- wollen als ein musikwissenschaftliches positive Kritik der Lokalzeitung. Da hatte ten bei einem Bier darüber unterhalten, Studium. Das Gequatsche von „früher war sie keine Lust mehr zu kämpfen, zu protes- warum wir noch immer an die Zukunft der alles besser“ wird ihr sicherlich nicht heltieren oder zu streiten. Ihr war das Theater Oper glauben. Und wir sind zur Überlegung fen. Aber die Oper hat nur eine Zukunft, schließlich nicht zu modern, sondern mit gelangt, dass es nach dem Zerpflücken der wenn sie sich auch an die klassischen seiner 68er-Ästhetik zu alt! Sie glaubt, dass Kunst, der unbedingten Zeitgeistigkeit, Werte erinnert, wenn sie es schafft, zum das Neue und die Tradition sich nicht aus- zunächst einmal wieder darum gehen Kern vorzudringen, Selbstverständlichkeit schließen. Sie ist still und leise gegangen. müsste, sich erneut ihrer inneren Kraft zu zu sein, jenseits der Bildung, jenseits der Intendanten, die ihre Kritiker ins Leere lau- widmen. Was ist es, das uns an den Diriga- Akademien und jenseits des arroganten, fen lassen, scheinen derzeit politisch gewollt ten Furtwänglers, Karajans, Toscaninis oder selbstgefälligen und elfenbeintürmischen zu sein: Weil sie Ruhe stiften statt Aufre- Böhms heute noch fasziniert? Doch auch Theaters. Die Oper steckt in einer Krise. Aber gung – weil an ihren Theatern gekürzt wer- der Umstand, dass sie (obwohl bei ihnen der längst vergangene Zeitgeist zu hören ist) diese Krise ist selbstgemacht, weil sie die den kann, ohne dass jemand aufbegehrt. Vor 20 Jahren waren es Regisseure wie noch immer für Gänsehaut sorgen. Elias hat Existenz der Kunst als Institution behaupRuth Berghaus, Peter Konwitschny, Hans es ungefähr so gesagt: „Die kannten die ten will, als Verlängerung des Staates, die Neuenfels, Christoph Marthaler oder Her- Opern aus dem Effeff, das hört man, jede vom Staat abhängig ist, statt ihn jenseits bert Wernicke, die Oper in die Gegenwart Note, sie haben die Ochsentour an kleinen der politischen Normen zu befragen. Das geholt haben. Sie haben die Werke von Wag- Theatern hinter sich gebracht und es irgend- zu ändern ist nicht nur Aufgabe der Opernner, Verdi, Mozart oder Rossini im Sinne wann geschafft, das Wissen als Selbstver- macher, sondern auch des Opernpublides „Regietheaters“ mit Augen aus dem Jetzt ständlichkeit aufzufassen, ohne etwas kums: Es muss dort aufstehen, wo etwas gelesen. Sie haben die Perspektiven auf die bewusst zu wollen.“ Und ist nicht das der schiefläuft, dort protestieren, wo nicht Handlungen verändert und Opern wohltu- Unterschied, wenn Kiryll Petrenko (zugege- debattiert wird, dort lebhaft kämpfen, wo end gegen den Strich gebürstet, haben 
Sei- ben klug, aber eben auch bewusst provokant die Oper zu sterben beginnt. Gegen die tenstränge freigelegt und dabei den Kern und nicht immer sinnlich) Neues hören Selbstgefälligkeit der Institutionen, die der Opern erhalten. Gutes Regietheater hat lässt oder Christian Thielemann mit dem Selbstreferenzialität der Interpreten, die sich nie wichtiger genommen als die Kom- Vertrauen auf die Selbstverständlichkeit des Vorsicht der Künstler. Wir brauchen Krach, jetzt – bevor es ganz still ist. ponisten, sondern ist in neue Schichten vor- Effekts dirigiert? n 69


s e r i e

Woher kommt eigentlich ... ...Glucks wunderschöne Arie „Ô malheureuse Iphigénie“? Thema

Oper „Dieß Werk machte zu seiner Zeit in der musikalischen Welt großes Aufsehen“, meinte Johann Nikolaus Forkel, Bachs erster Biograf. Als 1726 Bach seine Clavierübung Nr. 1 veröffentlichte, konnte er nicht wissen, dass die Gigue aus der 1. Partita einmal Vorlage für eine Opernarie werden sollte. Wohl aber wusste er, wie man Komponiertes mehrfach verwendet. Eine damals gängige Praxis. Im Bereich der Oper waren sogenannte „Pasticci“ beliebt, Opern, die sich einer Pastete gleich aus Zutaten anderer Opern zubereiten ließen. Christoph Willibald Gluck war nicht nur ein Erneuerer der Oper, sondern auch ein Meister der Wiederverwendung. Viele Arien hat er seinen früheren Opern „entlehnt“ oder sich zum Bei-

Gluck war nicht nur ein Erneuerer der Oper, sondern ein Meister der Wiederverwendung.

schuf die Glasharmonika. Auch Mozart komponierte zwei Stücke (KV 617) für dieses originelle Instrument. Mit Gaetano Donizetti fand die musikalische Rarität sogar Eingang in die Oper. Die „Wahnsinnsarie“ der Lucia di Lammermoor wurde, bevor dies eine Flöte übernahm, von einer Glasharmonika begleitet. Händel selbst hat sich in Sachen Opernarien mehrfach von seinem Mitstreiter Giovanni Bononchini anregen lassen. Das bekannteste Beispiel ist sein „Largo“ aus Serse, die Eröffnungsarie par excellence. In der Partitur steht „Larghetto“, populär wurde „Largo“, „Ombra mai fu“ heißt die Arie. 40 Jahre vorher gehörte sie noch zu Bononchinis gleichnamiger Oper. Händel hat sie bearbeitet, veredelt und unsterblich gemacht. „Meine Oper ist gestern wieder – und zwar auf begehren des Glucks – gegeben worden; Gluck hat mir vielle Complimente darüber gemacht. Morgen speise ich bey ihm“, schrieb Mozart 1782 und sprach von seiner Entführung aus dem Serail. Das Sujet dieser Oper entwickelte sich aus Glucks „unerwarteter Begegnung“: La rencontre imprévue. Zwei Jahre später fertigte Mozart daraus zehn Variationen um das Thema der Osmin-Arie „Unser dummer Pöbel meint“ („Les hommes pieusement“). Gluck präsentierte er sie in einem Konzert. Gluck war auch Inspiration für Mozarts Idomeneo, Figaro und Don Giovanni, wo seine Alceste die Komtur-Arie beseelte. Im Don Giovanni erweist Mozart in einer einzigen Szene, der Tafelszene („Già la mensa è preparata“), gleich drei großen Opernkomponisten Reverenz: dem „spanischen Mozart“, Martín y Soler, der mit seiner Oper Una cosa rara Mozarts Figaro in Wien

spiel von Bach inspirieren lassen. Zu Beginn des 4. Aktes der Oper Iphigénie en Tauride (1778) taucht die Arie Je t’implore et je tremble auf. 1765 sang sie die Circe in Telemaco auf Italienisch: Se a estinguer non bastate. In Antigone (1756) hieß die Arie Perché se tanti siete. Allen drei gemeinsam: die Gigue von Bach. Iphigénie en Tauride wurde 1779 in Paris uraufgeführt. Wer da zum erstenmal „Ô malheureuse Iphigénie“ hören konnte, diese wunderschöne Weise der sich selbst betrauernden Iphigenie, musste ein gutes Gedächtnis haben, um die Arie „Se mai senti spirati sul volto“ aus Clemenza di Tito wiederzuerkennen. Diese Oper war 27 Jahre zuvor in Neapel vorgestellt worden. Das Libretto stammte von Metastasio, dem damals tonangebenden Textdichter, dessen Vorlagen wohl die meist vertontesten Werke der Opernwelt sind. Der zweite Teil der „Gluck hat mir vielle Complimente darüber gemacht. Clemenza-Arie folgt hier als Chor: „Contemplez ces Morgen speise ich bey ihm“, schrieb Mozart 1782. tristes apprets“. In umgekehrter Reihenfolge ist die Ouvertüre der Iphigénie die Ouvertüre von Glucks Mervom Spielplan vertrieb, Giuseppe Sarti, den er beim Kaiser in lins Insel oder Die verkehrte Welt (1758). Bach und Händel, beide 1685 geboren, sind sich persönlich Wien kennenlernte, und sich selbst! In einem Guss zitiert er die nie begegnet. Wohl aber Händel und Gluck, und zwar im März Arien „O quanto un si bel giubilo“, „Come un agnello“ und natür1746 bei einem gemeinsamen Konzert in London. Einen Monat lich „Non piu andrai“. Einem Kritiker schrieb Gluck: „Sie sehen mich ganz überspäter gab Gluck dort ein höchst ungewöhnliches Benefizkonzert: Er musizierte „auf 26 Trinkgläsern, mit Quellwasser zeugt, ... daß der Gesang, um zu gefallen, regelrecht und periodisch gestimmt und vom Orchester begleitet“. Auf dieser „engelhaften sein muß, und daß selbst in den Momenten der Verwirrung, wo die Orgel“ hatte einige Zeit vor ihm der irische Erfinder und Brau- singende Person beseelt von verschiedenen Leidenschaften, der ereibetreiber Richard Pockrich die Dubliner mit Händels Was- reihe nach eine nach der anderen durchläuft, der Componist sermusik verzaubert. Benjamin Franklin vollendete die Idee und immer dasselbe Motiv des Gesangs festhalten soll.“ Stefan Sell 70

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WIR SIND DIE ENERGIESTIFTUNG. Als RWE Stiftung liefern wir Energie, die man nicht in Watt messen kann. Deshalb gehen wir auch bei unserem gesellschaftlichen Engagement vorweg und stecken diese Energie in zahlreiche Projekte in den Bereichen Bildung, Kultur und Soziales. Dabei fördern wir Bildungseinrichtungen, unterstützen künstlerische Talente und helfen Kindern und Jugendlichen, ihr Leben aktiv in die Hand zu nehmen. Mehr dazu unter www.rwestiftung.com


L e b e n s a r t

Die Geigerin und ihr Schloss Wie aus den Plänen der englischen Violinistin Mary Isabel Portman eines der schönsten Wellnesshotels der Alpen wurde. von Carla Neumann

Elmau, Idyll zwischen Garmisch und Mittenwald, in den bayerischen Bergen: Wer mit dem Auto anreist, durchquert erst einmal eine Mautstraße, an deren Schranke man den Betrag von vier Euro bezahlen muss. Danach geht es eine kleine Waldlichtung hinauf zu einem sehr grünen Plateau, man blickt in die silbernen Felsen des Wettersteingebirges und fühlt sich ein wenig wie im Urlaub, was auch daran liegen könnte, dass sich auf der rechten Seite eine Wiese mit Liegestühlen befindet. In der Mitte der Wiese ist ein riesiger Pool, Gäste ziehen Bahnen, andere huschen in schneeweißen Bademänteln in ein Restaurant. Willkommen im Wellness-Paradies, Willkommen im Hotel Kranzbach, das man – wenn man ein paar Tage dort verbracht hat – guten Gewissens seinen besten Freunden empfehlen wird. Seit 2007 ist es ein Hotel, doch die Wurzeln des Hauses reichen bis ins Jahr 1913 zurück: Im steinernen Haupthaus hängen zwei Porträts einer Lady, die man aufgrund der schwarz-weiß-Optik an den Beginn des 20. Jahrhunderts einordnen würde. Die Dame heißt Mary Isabel Portman und sie gilt als die Gründerin und Bauherrin des Anwesens. Hoteldirektor Klaus King erzählt immer wieder von Gästen, die staunend vor dem englisch geprägten Anwesen stehen und fragen, wie es ein solcher Baustil ins bayerische Alpenland schaffte? Und der Direktor erzählt gerne die Geschichte der jungen, reichen Aristokratin Mary Portman, die um das Jahr 1910 in Leipzig Musik studierte, sich anschließend in München niederließ und bei einem Besuch in Garmisch den Wunsch nach einem geeigneten Wochenenddomizil in dieser reizvollen Gegend äußerte. Die Pläne, 72

auf der Kranzbach-Wiese ein eigenes Wohnhaus zu errichten, stammen tatsächlich aus dem Jahr 1913. Portman war damals 36 Jahre alt, unverheiratet und eine für damalige Verhältnisse „sehr unabhängige“ Frau. Da sie aus einer der reichsten Familien Englands stammte, ließ sie Pläne zeichnen, die eher an einen typisch britischen Landsitz als ein bayerisches Wohnhaus erinnerten - ein Schloss aus Stein. Auch König Ludwig II. hatte die Schönheit der Gegend ja bereits erkannt und oben am Berg, auf 1.800 Metern, sein Schachenhaus errichten lassen. Im südlichen Nebengebäude ihres geplanten Refugiums ließ Lady Mary eine hohe holzgetäfelte Konzerthalle einrichten, in der die besten Musiker Europas auftreten sollten. Portman liebte die klassische Musik, spielte selbst leidenschaftlich Geige. Durch ihren früheren Lehrer in Leipzig, Richard Wagners Konzertmeister August Wilhelmij, hatte sie die besten Kontakte in die klassische Musikszene. Portmans Liebe zur Musik war derart groß, dass sie www.crescendo.de

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Fotos: Das Kranzbach, Portrait Mary Portman by kind permission of the Trustees of the Portman Estate”.

Das Haupthaus des Hotels „Das Kranzbach“ und die Bauherrin Mary Isabel Portman mit ihrer Violine aus dem Hause Guarneri.


Die Kranzbachwiese mit unvergleichlichem Blick auf Alpspitze und Zugspitze und der gelbe Salon im Mary Portman Haus des Hotels.

sich eine der damals wertvollsten Violinen zulegte: Eine Violine des steinernen Mary Portman Haus, erinnern auch von der Einrichtung cremonischen Geigenbauers Giuseppe Guarneri del Gesu. Das Inst- her an ein englisches Landhaus aus dem vorigen Jahrhundert, währument wurde im Jahr 1735 gefertigt und war zu großer Berühmt- rend im Neubau – 98 Zimmer – viel helles Holz für Ruhe und Entheit erlangt, da es von einem der größten Geiger der damaligen Zeit spannung sorgt. „Ins Kranzbach fahren Gäste, die genau das suchen, gespielt wurde: Fritz Kreisler. Wie viel Lady Mary Portman für die Ruhe und Erholung“, sagt Hoteldirektor Klaus King. Deshalb emVioline bezahlt hatte, ist dem Hotel nicht bekannt, im Moment liegt pfiehlt das Hotel auch, ohne Kinder anzureisen, woran sich am Ende ihr Wert Schätzungen zufolge aber bei über drei Millionen US-Dol- alle halten. Das Highlight ist aber nicht nur der riesige Wellnessbereich lar. Im Foyer des steinernen Schlosses sieht man Mary Portman mit diesem historischen Instrument. Das Hotel möchte die Geschichte mit Außenpool (im Winter beheizt) und großer Liegewiese, sondern auch die sagenhafte Umgebung. Ein Trip zum Schachenhaus ihrer Gründerin weitertragen. Doch der Ausbruch des ersten Weltkriegs im Jahr 1914 zer- König Ludwigs II. dauert zu Fuß circa drei Stunden, mit dem E-Bike, störte auch die bayerischen Träume der jungen Britin. Es gibt viele das man im Hotel ausleihen kann, geht es auch etwas schneller. Der Hinweise darauf, dass Lady Portman ihr fertiges Schloss selbst nie Nachbarort Mittenwald ist ein beliebtes Ausflugsziel, vor allem im gesehen hat. Die New York Times berichtete sogar davon, sie sei weltbekannten Geigenbaumuseum (www.geigenbaumuseum-mittenwald.de) lohnt sich ein Besuch. Mittenwald knapp einer Verhaftung entgangen, da sie aushat eine über 300 Jahre alte Geigenbaustehende 50.000 US-Dollar Baukosten nicht Tradition. beglichen hatte und ihr nur der Wohlwolle des DAS KRANZBACH Fans von klassischer Live-Musik komamerikanischen Botschafters half, der die Hotel & Wellness- Refugium men im Hotel Kranzbach ebenfalls auf ihre Summe den deutschen Behörden auslegte. 4****Superior Kosten: Wer Orchestermusik von Richard Im Jahr 2007 nahm sich ein österreichi82493 K r anzbach Strauss hören mag, sollte vor allem diesen scher Hotelier des Anwesens an, ließ es vorbei G armisch- Par tenk irchen Sommer kommen: Anlässlich des 150. sichtig renovieren und baute einen für die Tel. +49 (0)8823 - 92 80 0 0 Geburtstag des Komponisten finden in GarLandschaft passenden Anbau aus Holz für Fa x +49 (0)8823 - 92 80 0 -90 0 misch-Partenkirchen (nur 15 Minuten mit mehr Gäste hinzu. Das Kranzbach schaffte info @ da sk r anzbach.de dem Auto entfernt) viele Konzerte statt einen gelungenen Spagat aus Tradition und w w w.da sk r anzbach.de (www.richard-strauss-festival.de). Moderne. Die 31 Zimmer im Haupthaus, dem n


lebensar t

Salzburger Ess-Spiele

Fotos: Rutger Pauw / Red Bull Content Pool; Salzburg Tourismus; Gasthof Schloss Aigen; Michael Ritter

Wohin zum Dinieren, lautet nur eine von vielen Fragen, die man sich während der Salzburger Festspiele stellt. Sie ist aber eine sehr wichtige, deshalb haben wir die Stadt einmal kulinarisch zusammengefasst.

1. Sieht aus wie in Bayreuth, ist aber in Salzburg: Gourmet-Würstel im Gasthof Goldener Hirsch. 2. Hermann Bauer, Restaurantleiter im Goldenen Hirschen. 3. Die Gaststube von Schloss Aigen. 4. Gastkoch Sat Bains im Hangar-7. 5. Oktopus-Kreation. 6. Klassiker Salzburger Nockerln im Goldenen Hirschen. 7. Event-Location Hangar-7 von außen.

Kunst „nicht als Luxusmittel für die Reichen und Saturierten, sondern als Lebensmittel für die Bedürftigen“. So formulierte Max Reinhardt vor fast 100 Jahren seine Ideen im Vorfeld der Salzburger Festspiele. Noch immer ist der Jedermann, mit dem er diese 1920 gründete, Markenzeichen des sechswöchigen Schauspiel-, Opernund Konzert-Reigens in der Domstadt an der Salzach. Auch in diesem Sommer steht neben dem Rosenkavalier von Richard Strauss, dessen Geburtstag sich im Juni zum 150. Mal jährt, ein hochkarätiges Angebot auf dem Programm. Wer als Festspielbesucher kulinarisch kurze Wege bevorzugt, findet schräg gegenüber mit dem Goldenen Hirschen ein Traditionshaus, in dem sich nach Premieren die High-Society ein Stelldichein gibt. Für einen Tisch lohnt sich dann ein guter Draht zum Restaurantleiter. Wenn die Bühnenstars erscheinen, gibt᾽s oft Standing Ovations. Legendär sind Gerichte wie das ausgelöste Backhendl mit Rahm-Gurkensalat oder das Wiener Schnitzel. Um beim Traditionellen zu bleiben, lohnt auch die Fahrt in den Südosten der Stadt zum Schloss Aigen. Berühmt ist der gemütliche Gasthof mit dem Herrgottswinkel vor allem für seine Rindfleischküche. Da nicht jeder Gast alpenländische Feinheiten wie Scherzl, Kavalierspitz oder Mageres Meisl kennt, hat man auf der Karte die Gerichte rund ums Biorind platziert. Die „Wiener Melange“ 74

vereint drei der im Kupferkessel gegarten Spezialitäten. Premiere hat im August auch Martin Klein im avantgardistischen Ikarus im Hangar-7 am Flughafen. Dieses Jahr übernahm der gebürtige Straßburger das Ruder von Vorgänger Roland Trettl. Während den Rest des Jahres jeden Monat ein anderer Spitzenkoch hier gastiert und von der Mannschaft Anpassungsfähigkeit und Zusammenarbeit fordert, kann Klein den Festspielbesuchern jetzt zeigen, wie er aus den Erfahrungen seiner Einsätze rund um den Globus einen eigenen Stil auf höchstem Niveau entwickelte. Service und Wein sind ohnehin das ganze Jahr über so gut wie perfekt. Freunde moderner Kunst zieht es ins Museum der Moderne auf den Mönchsberg. Der Südtiroler Designer Matteo Thun drückte dem Restaurant M32 mit 390 von der Decke hängenden Hirschgeweihen seinen Stempel auf. Auch wer nicht essen möchte – der Blick über die Stadt ist einzigartig. Auf der Speisekarte steht „mediterrane Küche mit Bodenhaftung“. Dafür werden Zutaten der Region mit Ingredienzen rund ums Mittelmeer kombiniert. Mit Salzburger Nockerln kann man den Abend ausklingen lassen und sich dabei an deren Erfinderin Salome Alt erinnern. Die Mätresse von Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau schenkte dem Kirchenfürst nicht nur 15 Kinder, sondern der Domstadt ihr berühmtestes Dessert. Michael Ritter n www.crescendo.de

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für globetrotter Die internationalen Höhepunkte im Sommer 25.6.

Ein Klassikkonzert der etwas anderen Art können Mutige im Juni im Wiener Konzerthaus erleben: es gastiert das Symphonische Schrammelquintett Wien. „Als einzige Weltstadt hat Wien einen eigenen Beat – die Schrammelmusik“, schreibt die Presse über dieses außergewöhnliche Ensemble, das „Alte Wienerwaldg᾽schichten“ zum besten geben wird – mit Violine, Kontragitarre, Klarinette und Knopfharmonika. Karten unter www.konzerthaus.at

Termine

Prag

24.6. Umsonst und draußen ist

jedes Jahr das große Abschlusskonzert der Saison der Tschechi­ schen Philharmonie. Vor der eindrucksvollen historischen Kulisse des Prager Schlosses gibt es in diesem Jahr unter anderem Dvo­ řáks Slawische Tänze und Ausschnitte aus Die verkaufte Braut von Nationalkomponist Bedřich Smetana zu hören. Am Pult steht Chefdirigent Jiří Bělohlávek. Karten unter www.ceskafilharmonie.cz

Luxemburg

Zimmer mit Aussicht: im Hotel Steiner wohnt man auf 1700 Metern über dem Meer.

11.7. Bevor sich auch die Luxem-

burger Philharmonie in die Sommerpause verabschiedet, laden das Orchestre Philharmonique de Lu­ xembourg und der WDR Rundfunkchor noch zum feierlichen „Opernkonzert im Sommer“ ein. Auf dem Programm steht als konzertante Aufführung Peter Iljitsch Tschaikowskis Oper Eugen Onegin – eine logische Konsequenz, schließlich war Tschaikowski (bzw. sein liebevoll als Handpuppe gestaltetes Konterfei) in diesem Jahr „Compositeur en Residence“ im luxemburgischen Konzerthaus. Karten unter www.philharmonie.lu

Kopenhagen

19.08. Das Tivoli ist nicht nur Ko-

penhagens berühmtester Vergnügungspark mit wunderschönem Garten, hier findet auch jedes Jahr im Sommer das berühmte Tivoli Festival statt. Wer also ein bisschen nordische Kulturluft schnuppern will, schaut sich im August das Nordic Piano Quintet mit Pianistin Marie-Luise Bodendorff an. Karten, Kombi-Tickets für Park und Konzert und weitere Informationen unter www.tivolifestival.dk

Foto: Hotel Steiner

Wien

Oben am Berg

Das Hotel Steiner in Obertauern

Heutzutage durchquert man die Tauern, einen österreichischen Gebirgszug im Salzburger Land, bequem per Autotunnel. Doch die längste Zeit war diese wichtige Verbindung nur über die Berge zu haben. Die erste Straße ließ Römerkaiser Claudius vor 2000 Jahren bauen. An der Passhöhe auf etwa 1700 Metern liegt Obertauern, einer der meistbesuchten Skiorte Österreichs. So sehr᾽s im Winter hier brummt, so ruhig ist᾽s im Sommer. Die Hotels haben alle geschlossen – bis auf eines: das Vier-Sterne-Hotel der Familie Steiner. Hier genießt man die hochalpine Landschaft mit den imposanten Berggipfeln, begleitet von einem hochkarätigen kulinarischen Angebot (inklusive!), großzügigem Wellnessbereich, und das alles abseits der Touristenströme, die sich anderswo in den Alpen tummeln. n Preis im DZ mit „All-Inclusive-Sommerküche“, Spa, Wanderungen und umfangreichem Hotel angebot pro Person ab 71 Euro. Infos: www.hotel-steiner.at, Tel: +43-(0)64 56-73 06

Eine Musikreise, die glücklich macht Mit Klassik, Jazz und Evergreens durch die kroatische Inselwelt Touristenströme kennenlernen wollen. So entstand die Idee für eine ungewöhnliche Schiffsreise, mit viel Zeit zum Schwimmen, Dösen und Lesen, mit Wanderungen, Radtouren ins nächste Hafenstädtchen, mit kulinarischen Genüssen aus der Bordküche und besten Weinen. Und als Highlight ein oder zwei kleine Konzerte am Tag, mal singt Nadia, die Sopranistin, ein hinreißendes Summertime an Deck, mal spielen die Cellistin Latica und die Geigerin Sara im 1000-jährigen Benediktinerkloster auf der Insel Mljet Duette von Bach und Händel. Und spätabends kann es geschehen, dass sich Dražen selbst ans Klavier setzt und in bester Pianobar-Tradition poetische Melodien in den Nachthimmel steigen lässt, die die Seele berühren und diese Woche unvergesslich machen. HG Foto: Aleksandar Todorovic / fotolia.com

Das Segelschiff ankert in einer einsamen Bucht vor der kroatischen Küste. Zwei Dutzend Gäste sitzen plaudernd an Deck. Die Hitze des Tages hat sich verzogen, die Abendsonne lässt den Rotwein im Glas leuchten. Da erklingt eine süße, melancholische Geigenmelodie: Die 16-jährige Sara, im leichten Sommerkleid und mit Flipflops an den Füßen, steht im Bug und spielt Jules Massenets ViolinRovinj in Kroatien solo Méditation, so innig und anmutig, dass sich ein Kloß im Hals breitmacht. Auch so kann Klassik sein, ohne Krawatte und steifen Konzertbetrieb, inmitten der Inselwelt einer der schönsten Küsten Europas. Saras Vater, der Pianist Dražen Domjanić, ist künstlerischer Leiter dieser kleinen, feinen Musik-Kreuzfahrt. Als Gründer mehrerer Nachwuchs-Festivals war es seine Idee, Stars von morgen zusammenzubringen – mit Gästen, die seine kroatische Heimat abseits der

Infos und Preise: www.amazing-adventures.ch/musikreisen, Tel. +49-(0)7531-36 18 60. 75


l e b e n s a r t

Thema

Oper

Gluck und ein Glas Inferno

JOHN AXELRODS WEINKOLUMNE

Oper und Stimmen, Ballett und Körper, Himmel und Hölle, Wein und Gaumenkitzel. Alle passen gut zusammen. Seit der Erfindung von Oper und Ballett ist in deren Evolution der Weinkonsum das einzige, was bis heute gleich geblieben ist. Damit meine ich nicht den Wein auf dem anschließenden Empfang, sondern den Genuss von Alkohol auf der Bühne! Zum Beispiel Champagner: Wer könnte den „Libiamo“-Toast in La Tra­ viata vergessen? Oder die berühmte Champagner-Arie des Don Giovanni? Lassen Sie uns anlässlich von C.  W. Glucks 300. Geburtstag näher über seinen Don Juan sprechen, aber auch über Mozart und Boccherini, und nehmen wir dazu eine Prise Dante, der alle zu inspirieren schien. Glucks Ballett Don Juan ou Le Festin de Pierre, das auf dem gleichnamigen Stück von Molière basiert, feierte seine Uraufführung in Wien 1761. Es zeigt den Moment, in dem Don Juan, nachdem er die Einladung des Komturs, Buße zu tun, abgelehnt hat, ins Inferno hinabsteigt. Gasparo Angiolini, der Choreograf, beschrieb die Inferno-Szene in seinem Manifest der Ballett-Reform: „Die Erde tut sich auf, Flammen schlagen heraus. Aus diesem Vulkan entsteigen Geister und Furien. Sie umringen Don Juan und in grauenvoller Verzweiflung wird er mit den Monstern von der Erde verschluckt und ein Erd­ beben verschüttet den Ort.“

Luigi Boccherini war Cellist des Orchesters am Theater am Kärntnertor, wo der Don Juan von Gluck und Angiolini uraufgeführt wurde. Boccherini ließ sich davon zu einer Sinfonie in d-Moll inspirieren, die den Namen La Casa del Diavolo trägt. Das Stück basiert auf dem letzten Satz von Glucks Ballett – doch anders als Gluck, der im schlichten Pianissimo endet, fährt

„Nie hat die Hölle so gut geklungen und geschmeckt!“ Boccherini eine sehr dramatische Musik auf. Auch Mozart gestaltet diesen schicksalhaften Moment, als der „Rattenfänger“ mit seiner eigenen Eitelkeit konfrontiert und vom Geist in die Hölle geschickt wird. Haben Sie sich jemals gefragt, was hinterher mit Don Giovanni passiert? Der Experte zum Thema „Hölle“ ist Dante. Auf seinen Reisen durch das Inferno kommt er in die Stadt Dis mit ihren verschütteten Ketzern. Dort spricht er – mit den wegen ihrer epikureischen Sünden in die Hölle verdammten Seelen – darüber, für die Versuchungen des Moments zu leben und auch über ihre Verneinung des Lebens nach dem Tod. Vielleicht veranschaulicht

Don Juan (Don Giovanni) im Inferno eben unsere tiefste Angst: die vor dem Nichts. Es gibt einen Wein, der mit diesem Moment des Höllenschicksals korrespondiert: der 2009er Inferno Carlo (Nino) Negri Val­ tellina Superiore DOCG. Wäre dieser Wein im 18. Jahrhundert produziert worden, so wäre es wohl der Tropfen gewesen, den diese Komponisten und Librettisten für ihr Essen mit dem Komtur ausgewählt hätten. Dieser Wein kommt aus der schmalsten und unerreichbarsten Gegend von Valtellina im Norden Italiens, an der Grenze zur Schweiz. Er wird aus den Chiavennasca-Trauben gewonnen und heißt „Inferno“ wegen der steilen Abhänge und höllisch-heißen Sommertemperaturen dort. Die Trauben sind handverlesen und reifen in französischen Eichenfässern für über zwei Jahre. Das Ergebnis erkennt man in erster Linie an der tiefroten Farbe, man schmeckt ein Aroma von Gewürzen und roten Früchten. Der „Inferno“ ist ein vollmundiger Wein mit 14 Prozent Alkohol. Am attraktivsten ist der Preis: Mit nur 20 Euro pro Flasche war die Hölle niemals günstiger! Und seine Seele muss man auch nicht verkaufen, um dort hinzugelangen. Wie Don Giovanni und der „Inferno Valtellina“ beweisen: Nie hat die Hölle sonst so gut geklungen und geschmeckt! Erheben wir das Glas und sagen: Glückwunsch, Herr Gluck! n

John Axelrod ist Erster Dirigent des Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“. Nebenbei schreibt er Bücher („Wie großartige Musik entsteht ... oder auch nicht. Ansichten eines Dirigenten“) und philosophiert über sein Lieblingshobby: guten Wein. John Axelrods neue CD „Brahms Beloved“ mit dem Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“ ist gerade erschienen. 76

Foto: Stefano Bottesi

Zum 300. Geburtstag des Opernrevolutionärs hat sich unser Kolumnist mit Christoph Willibald Gluck auseinandergesetzt – und den perfekten Wein zu seiner Musik gefunden.

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l e b e n s a r t

„Die aus dem Fernsehen“ Sopranistin Eva Lind ließ sich für ihr neues Album in Vivienne-Westwood-Kleidern ablichten. Warum ihr Herz trotzdem nicht für die Glamourwelt, sondern das französische Lied schlägt, erzählte sie uns in München. Von Anna Novák

Eva Lind (48) moderierte fünf Jahre lang die Sendung „Straße der Lieder“.

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Foto: Daniel Mayer / Solo Musica

F

rau Lind, schauen Sie noch mal her. Und hier! Ja, lächeln. So ist gut.“ Eine Horde von Fotografen schart sich um die blonde Sopranistin. Sie trägt ein rotes Leinenkleid, schwarze Schuhe mit Glitzersteinchen und lehnt mehr oder weniger lässig an einer Bücherwand. Im Nobelrestaurant der Münchener BMW-Welt stellt Eva Lind ihr neues Album „Bijoux“ vor, eine CD mit französischem Liedgut. Die Werke von Jules Massenet, Gabriel Fauré, Claude Debussy und Erik Satie lagen ihr schon lange am Herzen, sagt die Österreicherin. „Ich liebe diese Lieder, habe sie schon seit Jahren in meinem Liedrepertoire. Es sind kleine, kunstvolle Miniaturen, kleine Edelsteine des Gesangs.“ Und dann darf sie endlich einen Ausschnitt aus dem Album singen, hier im Restaurant des AutomobilParadieses. Am Piano sitzt ihr französischer Klavierbegleiter und spielt „Il pleuvait“ von Jules Massenet. „Wenn ich dieses Lied singe, spüre ich förmlich den Sommerregen, wie er auf meine Haut tropft“, sagt sie hinterher mit echter persönlicher Begeisterung für diese Komposition. Das erste Mal an diesem Tag wirkt die Sängerin gelöst und entspannt. Diese Lieder, ja, darum geht es ihr. Eva Lind ist eine Grande-Dame der Klassik-Szene. Als 19-Jährige sang sie zum ersten Mal die „Königin der Nacht“ in Mozarts Zauberflöte. Das Debüt an der Wiener Staatsoper öffnete der gebürtigen Innsbruckerin die Tür zu den großen Bühnen, führte sie in die bunte, weite, schillernde Klassikwelt, nach New York, Tokio, London, Berlin, Salzburg. Sie sang mit José Carreras, Plácido Domingo und unter Claudio Abbado. Dann kam das Fernsehen. Die Österreicherin mit dem charmanten Tiroler Akzent, dem hübschen Gesicht und der außergewöhnlichen Stimme moderierte zuerst für den ORF, dann engagierte der deutsch-französische Fernsehsender ARTE sie für seine Sendereihe „Stars von morgen“. Und schließlich kam die Volksmusikszene. Gemeinsam mit Gotthilf Fischer präsentierte sie fünf Jahre lang die „Straße der Lieder“, ein Samstagabendklassiker für ältere Herrschaften in der ARD. Damit hat sie es in die breite Öffentlichkeit geschafft. Eva Lind, die kennt man. „Das ist doch die aus dem Fernsehen!“ Aber wer erinnert sich noch: „Das ist doch die aus der Oper“? Eva Lind auf ihre Fernsehkarriere zu reduzieren, wäre unzureichend. Denn abseits vom großen Rampenlicht ist sie ein musikalischer Tausendsassa. Sie musiziert für den guten Zweck, kreiert Kabarett-Abende und in ihrem neuen Bühnenprogramm singt sie sich „In 80 Liedern um die Welt“. Das neue Album ist für sie ein Weg „back to the roots“. Doch das gilt nur musikalisch, denn rein optisch hat die Glitzerwelt des Fernsehens ihre Spuren hinterlassen. Der Wow-Effekt auf dem Cover des Albums: Eva Lind trägt Kleider von Vivienne Westwood. „Ach, unser Fotograf hat einen sehr guten Draht zur Designerin. Und so wurden am Tag vor dem Covershooting die Kleider direkt von einer Modenschau aus Hongkong zu uns geflogen.“ Für viele wäre das die Erfüllung eines


BB Promotion GmbH proudly presents

eva Lind live 10.06.14: Bensheim, Sternendom, „Klassik trifft Kabarett“ 28.06.14: Lindenberg Jubiläumskonzert 06.07.14: Berlin, Gendarmenmarkt, Classic Open Air

Robert Battle Artistic Director

13.07.14: Essen, Grugapark Galakonzert mit den German Tenors

Masazumi Chaya Associate Artistic Director

18.07.14: Heusenstamm Open Air

Mädchentraums – für Eva Lind ist es eine schöne Besonderheit, aber nicht die Welt. Viel lieber will sie doch über Erik Saties Stücke reden, der so fantastisch mit der Sprache gespielt hat: „Satie hat von sich gesagt, er sei ein Gesamtkunstwerk. Seine surrealistischen Texte haben den Surrealismus vorweggenommen, schon zwanzig Jahre bevor er überhaupt salonfähig wurde. Er war ein Visionär.“ Überhaupt sei das französische Lied immer noch unterschätzt im europäischen Liedgesang. Eva Lind kann das nicht verstehen. Sie liebt Frankreich, sagt sie. Und das französische Essen. Wenn sie in Paris ist, stöbert sie in französischen Antiquariaten, kauft alte Klavierauszüge von französischen Opern. Das ist ihr scheinbar lieber als Haute Couture. Und doch weiß die Sopranistin natürlich genau, wie sie funktioniert, die Glamourwelt. Selbstinszenierung und Selbstdarstellung gehören in der Musikwelt dazu. „PR spielt heutzutage einfach eine entscheidende Rolle, das muss ich Ihnen nicht erklären“, sagt Eva Lind nüchtern. „Aber früher, als ich begonnen habe, da war die Klassikwelt noch eine andere. Ich bin froh, dass ich das noch erleben durfte. Wo es bloß um den Gesang ging.“ So wie sie das sagt, hört man ein wenig Nostalgie heraus. Auch deswegen, weil sich alles verändert hat, macht sie nicht mehr viel Oper. „Mit den modernen Regie-Experimenten kann ich oft wenig anfangen. Mit zwanzig findet man das noch lustig, aber irgendwann hat man auch sein eigenes Bild von der Welt und will sich nicht mehr alles vorschreiben lassen.“ Genau hier spürt man deutlich den Unterschied zu den Neulingen im Klassik-Geschäft. Eva Lind hat das alles bereits hinter sich. Ihr Karriereweg hat Umleitungen und Abkürzungen genommen, aber sie ist an einem Punkt angekommen, an dem sie sich nichts mehr beweisen muss. Sie strahlt eine gesunde Zufriedenheit aus, nimmt die Dinge so, wie sie kommen. Dabei ist sie bodenständig und sympathisch geblieben. Und darum plaudert sie doch noch mal über die Westwood-Kostüme: „Das Kleid hat nur fast gepasst. Irgendwann im Shooting hat es plötzlich gekracht, und dann ist der Reißverschluss gerissen.“ Aber wenigstens war die Edelrobe danach bequemer. Die Sängerin lacht. Sie wird Vivienne Westwood eine ihrer CDs schicken. Im Juni wird Eva Lind 48 Jahre alt. Was sie sich wünscht? Sie würde gerne wieder mehr klassische Liederabende geben, sagt sie. Und ein großes Open-Air-Konzert gemeinsam mit afrikanischen Künstlern, das wäre was. Ihr Ziel ist, alle 54 afrikanischen Länder zu bereisen – 18 hat sie schon auf ihrer Liste abhaken können. „Sie sehen: Da ist noch viel zu tun.“ n „Bijoux“ Eva Lind, Jean Lemaire (Solo Musica) 79

Antonio Douthit-Boyd. Photo by Andrew Eccles

26.07.14: Luckenwalde Kirchenkonzert

02.- 06.07.14 · FRANKFURT 08.- 13.07.14 · ZÜRICH 15.- 27.07.14 · KÖLN 29.07.-10.08.14 · MÜNCHEN Tickets: 01805 - 2001* ∙ 01806 - 10 10 11** www.bb-promotion.com *0,14 €/Min. aus dem dt. Festnetz, max. 0,42 €/Min. aus dem dt. Mobilfunknetz **0,20 €/Anruf aus dem dt. Festnetz, max. 0,60 €/Anruf aus dem dt. Mobilfunknetz


l e b e n s a r t

Smoking? Yes, please ... Die männliche Garderobe zur Festspiel-Saison variiert leider derart, dass es Zeit ist, zu einer alten Tradition zurückzukehren, die im Moment nur Künstler wie Max Raabe aufrechterhalten. Denn der Smoking taugt nicht nur zur Premiere in Bayreuth, ­sondern auch zum ganz normalen Abendkonzert. Wir haben mal die neuesten Exemplare zusammengestellt. Von Antonia Emde

Foto: Gregor Hohenberg

Roy Robson

Anzug in Marine Neben Schwarz ist zweifellos Dunkelblau die klassische Farbe für elegante Herrengarderobe. Dieses Exemplar von Roy Robson (Shape Fit) aus feiner Guabello-Wolle sieht äußerst schick aus, ist aber gleichzeitig etwas vielseitiger einsetzbar als ein Smoking, der bekanntlich nur zu ganz besonderen Gelegenheiten getragen wird. Also in Bayreuth eher was für das Picknick am Grünen Hügel als für die Premierenfeier mit Angela Merkel!

www.just4men.de, Preis: 449,90 €

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www.crescendo.de

Juni – Augus t 2014


LAGERFELD

Smoking, zweifarbig! Sie wünschen sich ein wenig farbliche Abwechslung, möchten aber dennoch mit klassischer Eleganz punkten? Dann ist dieser Smoking des Labels von Karl Lagerfeld genau das Richtige. Sakko und Hose sind aus tiefseeblau gefärbter Schurwolle gefertigt. Ist zwar eine auffallende Optik, doch gleichzeitig werden der klassische Satinbesatz (hier in mattem Schwarz) an Kragen und Taschen sowie Galons an der Smoking-Hose beibehalten.

Zu beziehen zum Beispiel über www.herrenausstatter.de, Preis: 499 €

EDUARD DRESSLER

Guabello Als „bezahlbaren Luxus“ bezeichnet das Unternehmen Eduard Dressler seine Mode – kein geringer Anspruch, den dieser Smoking aus feinster italienischer Guabello-Wolle jedoch unserer Meinung nach durchaus erfüllen kann, zumal der Hersteller außerdem auf einen besonders hohen Anteil an Handarbeit setzt. Besonders praktisch: Die Innentaschen sind mit Stifte- und Handyfach ausgestattet – also hervorragend geeignet für Kritiker, die live vom Geschehen berichten.

www.just4men.de, Preis: 599 €

windsor

Der Elegante Am oberen Ende unserer Preisskala findet sich dieser Smoking der Marke Windsor, der dafür aber auch mit äußerster Eleganz überzeugt. Hose „Romolo“ und Sakko „Santo“ verbinden Tradition mit Modebewusstsein und verleihen Ihrem Auftritt so mit Sicherheit den richtigen Stil – egal, ob beim festlichen Dinner danach oder beim Abend an sich.

www.windsor.de, Preise: 449 € (Sakko), 249 € (Hose)

strellson

Falls Sie vor oder nach dem Konzertbesuch ein sehr ausgiebiges Essen planen, sollten Sie von diesem Smoking vielleicht eher Abstand nehmen – er trägt schließlich die Zugabe „Extra Slim Fit“. Anders als bei den meisten anderen Smokings sind die Akzente Sakko und Hose hier aus nur dezent glänzendem Kontrastgewebe (60 % Schurwolle, 40 % Seide) gesetzt, was dem Smoking eine besondere Optik verleiht. Ideal für dünne Männer, die optisch gerne etwas dicker auftragen.

www.herrenausstatter.de, Preis: 399 €

Fotos Smokings: PR

Smoking „Pylan-Farell“

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H o p e

t r i fft  . . .

Geiger & crescendo-Kolumnist DANIEL HOPE

„... am schönsten Ende der Welt“ Unser Kolumnist weilte in der Pampa von Chile und konzertierte in einem der weltweit spektakulärsten Konzerthäuser, das vom Deutschen Uli Bader geleitet wird. Eine Begegnung im Teatro del Lago von Frutillar, Patagonien. Daniel Hope mit Uli Bader und das 10.000 Quadratmeter große ­Teatro del Lago in Frutillar, ­Patagonien.

Fotos: Daniel Hope, Teatro del Lago

Daniel Hope: Uli, wir sind hier im unglaublich weit entfernten Frutillar, an einem der – wie ich finde – schönsten Orte der Welt, im Süden von Chile. Wie, in aller Welt, bist du hier gelandet? Uli Bader: Ich war sechs Jahre in Washington, D.C. beim National Symphony Orchestra als Director of Artistic Planning tätig, aber auf einer Südamerikareise 2005 habe ich eine alte Freundin wieder getroffen – meine heutige Frau Nicola Schiess. Sie ist Deutsch-Chilenin, und dann gab es hier dieses Projekt in Patagonien, vor den schneebedeckten Vulkanen und dieser Seenlandschaft. Durch den Kontakt mit meiner Frau wurde mir die Möglichkeit geboten, ein internationales Konzert- und Veranstaltungshaus mitzuentwickeln und zu erbauen. Das hatte mich begeistert. Wann war die Eröffnung? Insgesamt wurde zwölf Jahre daran gearbeitet, 2010 war dann die Eröffnung, und jetzt kommen sogar solche Künstler wie Daniel Hope … 82

Also, ganz ehrlich, ich bin heute morgen auch nicht mehr aus dem Staunen herausgekommen. Eine absolute Traumkulisse! Ja, es ist schon ein besonderes Fleckchen Erde. Das Wetter ist nicht immer so gut wie heute morgen, aber es ist bestimmt für jeden ein Erlebnis, hierher zu reisen. Viele wunderbare Künstler waren schon hier, auch Yo-Yo Ma, oder ...? Ja, Yo-Yo war bei uns im Jahr 2013. Die Bamberger Symphoniker haben hier bereits konzertiert, nach einer anstrengenden Südamerika-Tour. Auch sie haben gestaunt. Oder Alban Gerhardt und auch große Ballettstars wie Julio Bocca, Marianela Nuñez, Julie Kent sind zu Gast, wir machen hier ja nicht nur klassische Konzerte, sondern auch Modern Dance, Oper, Ballett und sehr, sehr viel Education. Wir haben eine Ballettschule gegründet, die heute – nach sechs Jahren – an die Royal Academy of Dance in London angeschlossen ist. Also hier passiert einiges. Sogar die Akustik des Saales ist sehr

gelungen – und das am Ende der Welt ... Ja, wir hatten auch professionelle Hilfe von Prof. Karlheinz Müller, dem Münchner Akustiker, er hat unglaubliche Arbeit hier geleistet und gemeinsam mit dem deutschen Architekten Bernd Haller diesen wunderschönen und sensationellen Saal gebaut. Vieles in dieser Gegend erinnert an Deutschland. Kannst du kurz erklären, warum das so ist? Die Gemeinde Frutillar wurde im Jahr 1856 von deutschen Einwanderern gegründet. Es gibt hier eine deutsche Kulturtradition, Kuchen heißt sogar in ganz Chile „Kuchen“. Frutillar ist heute aber nicht mehr so deutsch, wie es mal war, viele Details erinnern jedoch an jene Tradition und Herkunft. Auf dieser Basis und mit dem Teatro del Lago wollen wir hier langfristig eine internationale Kultur-Tourismus-Destination aufbauen. Und das – ich sage immer – am schönsten Ende der Welt. ... da gebe ich dir vollkommen recht. n

www.crescendo.de

Juni – Augus t 2014


300 Jahre Christoph Willibald Gluck Als Förderer der Internationalen Gluck-Opern-Festspiele vom 14. bis 27. Juli 2014 in der Metropolregion Nürnberg wünschen wir Ihnen vollkommenen Musikgenuss!

Telefon 0911 531-5 info@nuernberger.de www.nuernberger.de


ECM

KEITH JARRETT CHARLIE HADEN LAST DANCE My Old Flame / My Ship / ’Round Midnight / Dance Of The Infidels / It Might As Well Be Spring / Everything Happens To Me / Where Can I Go Without You / Every Time We Say Goodbye / Goodbye Keith Jarrett piano Charlie Haden double bass www.ecmrecords.com www.facebook.com/keithjarrettsolo Im Universal Vertrieb

ECM 2399

Erhältlich als CD und Doppel-LP


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