RADIO CORAX Programmzeitung Februar/März 2020

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Radio gives us a free space for listening

Bild: Hardi Kurda, Improvisation mit Radio, Space21 Festival, Erbil, 2019; credits: Gailan A. Ismail

Der fünfte Stipendiat der Radio Art Residency: Hardi Kurda

Der Komponist und Klangkünstler Hardi Kurda ist ab März für drei Monate Gastkünstler der Radio Art Residency bei

ich nehme mir als Komponist und Musiker auch die Freiheit, diese zu nutzen.

RADIO CORAX

Seit zwei Jahren kuratierst du in der Region Kurdistan im Irak auch ein Festival für Klangkunst und experimen­ telle Musik, das im öffentlichen Raum stattfindet. Perspektivisch möchtest du auch eine neue Radio-Praxis dort hinbringen. Welche Rolle spielt das Radio in der Region? Was wir mit dem Space21 Festival machen, ist eine wirklich öffentliche Veranstaltung. Kunst erfahren die Leute hier oft nur durch die Medien, in denen sie dann sehen, wie Politiker*innen Konzerte oder Ausstellungen eröffnen, bei denen dann auch nur ausgewähltes Publikum aus Kunst und Politik zugegen ist. Also denken viele, dass diese Kunst nicht für ihre Ohren und Augen da ist. Unser Festival möchte zugänglich sein und findet deswegen auch nicht in Ausstellungs- sondern öffentlichen Räumen statt. Ähnlich ist es mit dem Radio. Die Leute hören natürlich Radio, aber es ist nicht so, dass das Medium öffentlich ist. Nach der Revolution 1991 wurde das Radio entweder zu einem Kanal der politischen Parteien oder kommerzieller Interessen – zuvor wurde es vom Regime kontrolliert. Und ich habe die Vorstellung, dass es auch ein Radio geben kann, das öffentlich ist in dem Sinne, dass dort unterschiedliche Stimmen gehört werden und Wissen geteilt und diskutiert werden kann. Meine Leidenschaft für das Radio ist groß, aber ich habe sehr wenig Wissen darüber, wie es genutzt werden kann. Eine meiner Missionen für die Residenz in Halle ist also zu lernen, und dieses Wissen und die Erfahrungen weiterzugeben und ein Verständnis für das Medium und das Hören zu schaffen.

In deinen Kompositionen und Performan­ ces benutzt du das Radio als Instrument und lässt es mit anderen zusammen­ spielen. Was macht dieses Instrument für dich aus, was interessiert dich daran? Die Verbindung zu den Radioklängen kommt aus meiner Kindheit. In Slemani in Kurdistan-Irak, wo ich aufgewachsen bin, hatten meine Brüder einen Laden, in dem sie Radios reparierten. Und als 1991 die Revolution begann, benutzten die Leute das Radio nicht nur um Nachrichten zu hören, sondern auch um über bestimmte Frequenzen Flugangriffe zu erkennen. 2002 floh ich nach Schweden. Eingepfercht in einem kleinen Container überquerte ich das Mittelmeer. Es dauerte vier Tage, und was mir Orientierung gab, war ein kleines Radio, mit dem ich Nachrichten abhörte, um mir eine imaginäre Karte anzufertigen und zu wissen, wo ich mich befand. Aber eigentlich habe ich erst in den vergangenen vier, fünf Jahren verstanden, welche Rolle das Radio für meine künstlerische Arbeit spielt. Ich habe in meiner Musik und beim Komponieren immer nach einem Weg gesucht, frei zu sein. Was ich damit meine ist, mich frei zu machen von einer vorgefertigten Idee mit Zeit, Raum und der Umgebung umzugehen. In gewisser Weise habe ich das in den Frequenzen des Radios gefunden – in jenen, die ›dazwischen liegen‹ und von niemandem kontrolliert werden. Es steht jedem frei, diesen Frequenzen zuzu­ hören. Ihre Klänge verändern sich, je nachdem, wo du dich befindest. Und

Wie klingt das Radio, das du gern hören würdest? Eigentlich befreit mich das Radio davon, darüber nachzudenken, wie es klingt; das ist auch ein Grund, warum ich als Komponist interessiert daran bin. In der Residenz geht es mir mehr um den Prozess, das Radio zu erkunden, – abhängig davon kann das Radio sehr unterschiedlich klingen. Beginnen werde ich mit einer Performance, bei der das Publikum den Klang des Radios gestaltet. Die Performance ist inspiriert von meinen frühen Radio-Erfahrungen: Um festzustellen, ob das Radio funktioniert oder nicht, haben die Leute damals ihren Zeigefinger angeleckt und ihn auf die Leiterplatte gelegt. Wenn dann etwas zu hören war, war das Radio noch zu gebrauchen. Die Besucher*innen sollen über Interaktion verschiedene Frequenzen finden oder verändern. Mir ist wichtig, dass die Zuhörer*innen miteinander agieren und aktiv hören und entscheiden. Denn das macht das Medium Radio aus: Menschen in Kontakt zu bringen. Eröffnungs-Performance der 5. Radio Art Residency mit Hardi Kurda: Mittwoch, 11. März im BLECH – Raum für Kunst Halle, Am Steintor 19, 18.30 Uhr & 19 Uhr auf RADIO CORAX 95.9 FM Hardi Kurda im Freispiel: So, 16. Feb­ ruar, 20 Uhr & Sa, 22. Februar, 13 Uhr Radio Art Residency online: radioart-residency.net Radio Art Residency ist ein Projekt von RADIO CORAX in Kooperation mit dem Goethe-Institut

gefördert durch die Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt


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