ÖDÖN VON HORVÁTH, JUGEND OHNE GOTT Diogenes Verlag, 2009 Was passiert in einer Gesellschaft, in der die
Horváth erzählt die Geschichte eines Lehrers,
ewigen Werte verloren gegangen sind? In
der sich bemüht, seine Schüler Menschlichkeit
der das Recht des Stärkeren herrscht und der
zu lehren. Seine Angst vor dem Verlust seiner
Schwache tyrannisiert wird? Was bedeutet in
Stellung bringt ihn in eine Situation, in der sein
so einer Gesellschaft Zivilcourage? Und wie
eigenes, relativ harmloses Handeln schwerstes
gelingt es dem Einzelnen, in einem totalitä-
Unrecht hervorbringt: Weil er zu feige ist zu
ren System seine Menschlichkeit zu behalten?
gestehen, dass er das Tagebuch eines Schülers
Ödön von Horváths Roman «Jugend ohne
gelesen hat, wird ein anderer ermordet. Einer
Gott» ist eine Auseinandersetzung mit dem
Unschuldigen muss die Hinrichtung drohen,
nationalsozialistischen Regime in einer Zeit,
ehe der Lehrer sich endlich entscheidet, das
in der es lebensgefährlich sein konnte, sich
moralisch Richtige zu tun: die Wahrheit zu
mit dieser Regierung kritisch auseinanderzu-
sagen und durch sein Geständnis die Schuld
setzen. Es ist die furiose Verteidigung all derer,
gerecht zuzuordnen. So kann das Leben wei-
die Zeit brauchen, bis sie den Mut gesammelt
tergehen. Für den Lehrer gibt es jedoch nach
haben, aufzustehen und zu protestieren.
seinem Geständnis keinen Platz mehr in einem
Damit greift der Roman die Erfahrungen des Autors auf. Dieser gefeierte Intellektuelle
solchen Land. Er wandert aus, geht nach Afrika, um dort einen neuen Anfang zu machen.
der Zwischenkriegszeit war zu gesellschafts-
Ödön von Horváth greift in seinem Buch die
kritisch, um bei den nationalsozialistischen
nationalsozialistischen Bemühungen an, jede
Machthabern beliebt zu sein. Nichtsdestotrotz
übermenschliche Autorität, jede moralische In-
hätte von Horvath zu gerne seinen Frieden
stanz zu diskreditieren und sich eine Jugend zu
mit dem Regime gemacht, wäre dieses dazu
erziehen, die einzig an die Befehle eines (men-
bereit gewesen. Horvath wurde Mitglied der
schlichen) Führers glaubt. Eine «Jugend ohne
Union nationaler Schriftsteller. Er versuchte,
Gott» ist, so entnimmt man dem Roman, schreck-
dem Reichsverband Deutscher Schriftsteller
lich und zu jeder schrecklichen Tat fähig. Dies
beizutreten. Er hätte die Unmenschlichkeiten
ist eine überraschende Schlussfolgerung für
der deutschen Regierung übersehen, wäre ihm
einen Mann wie Ödön von Horváth, der selbst
dafür das Privileg zuteil geworden, weiter pu-
bereits früh aus der Kirche ausgetreten war.
blizieren und damit Geld verdienen zu dürfen.
Der desillusionierte Autor, der sich einer
Doch die Nationalsozialisten taten ihm die-
Welt gegenübersah, die er nicht mehr als die
sen Gefallen nicht. Von Horváth wurde 1936
eigene begreifen konnte, hätte Voltaire mit Si-
aus Deutschland ausgewiesen. Im Jahr dar-
cherheit zugestimmt, als der sagte: «Wenn es
auf strich man ihn aus der Mitgliederliste der
Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden.»
Reichsschrifttumskammer, was einem Publi-
Denn der Mensch braucht Ideale und die Hoff-
kationsverbot in Deutschland gleichkam.
nung auf etwas, das größer ist als das Hier und
Und genau in diesem Jahr erschien der Ro-
Jetzt. Tatsächlich ist der Roman «Jugend ohne
man «Jugend ohne Gott». Es ist ein Schlüssel-
Gott» ein Lehrstück dafür, wohin der reine Ma-
roman, in dem der Autor seinen Titelhelden
terialismus führt, und sollte deshalb in einer
stellvertretend den Weg vom Opportunismus
materialistischen Zeit wie der unseren Pflicht-
zur Zivilcourage beschreiten lässt. Ödön von
lektüre sein.
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