Der Digitale Wandel - Magazin für Internet und Gesellschaft Q4.2014

Page 12

Graeme Pow | https://flic.kr/p/otXYGN | CC BY-NC-SA 2.0 | creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/

B I G DATA

Lebens als Ergebnis der eigenen Arbeit (messbar in Geld, wie praktisch).2 Die bürgerlichen Tugenden prägen bis heute unsere gesellschaftlichen Debatten. „Warum schreibt er/sie sowas in der Öffentlichkeit? Das interessiert doch niemanden.“ ist heute immer noch ein scheinbar valides Argument um die Selbstveröffentlichung von personenbezogenen Informationen abzuwerten anstatt es als einen potentiellen Beitrag zu einer datenbasierten Öffentlichkeit zu begreifen. Wir gehen in Museen und lesen begeistert die Grußkarten Fremder aus dem 1. Weltkrieg und quengeln danach, wenn Menschen ihre Welt auf Facebook beschreiben. Anstatt für eine Sekunde darüber nachzudenken, wie also ein Museum des Jahres 2014 aussehen könnte, in dem nicht nur die Meinung derer repräsentiert wird, die diese in Zeitungen schreiben dürfen und können. Vieles scheint auf dem Missverständnis von „Öffentlichkeit“ und „Privat“ als Binär zu beruhen. Die Privatsphäre die zunehmend unter Druck steht und die 2 Der Autor verweist hier auf einen früheren Text auf seinem Blog. In „Der digitale Neobiedermeier“ bespricht er wie Isolation im digitalen Raum und Möglichkeiten und Chancen des Internets einschränkt.

zentral für das Gesellschaftsverständnis vieler ist muss gegen die Öffentlichkeit verteidigt werden. Dabei ist eine Gesellschaft ohne das gemeinsame, ohne geteilte Kultur und öffentliche Debatte, ohne gemeinsames Wissen und gemeinsame Daten ein ziemlich leeres Konstrukt. All die (partiellen) Öffentlichkeiten, in denen wir uns täglich bewegen sind nicht eine Seite eine Medaille, deren andere Privatsphäre oder Geheimnisse zeichnen. Es sind komplett unterschiedliche Facetten des Lebens, digital wie analog. Öffentlich hat viel mit der Idee der Teilhabe zu tun, mit der Möglichkeit, sich am gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen, Argumente abzuwägen und gegebenenfalls zu widerlegen. Und die Öffentlichkeit ist keineswegs weniger gefährdet als das Private: Selbst die Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung wandern in die Archive weniger Firmen und Institute. Öffentliche Debatten finden auf den Plattformen weniger kommerzieller Anbieter statt, auf die potentiell in wenigen Jahren kein Zugriff mehr besteht – die Menschen wandern weiter, geschichts- und archivlos. Zugriff selbst auf verhältnismäßig triviale Daten von Kommunen und Ländern besteht oft nur für die, die horrende Kosten tragen können.

Wir leben im Zeitalter des Individuums. Freiheit ist die Freiheit dieses Individuums, sich selbst irgendwie zu verwirklichen. Und irgendwie ist bei diesem Kindergeburtstag des Ich das Wir nicht eingeladen worden. Werden Urteile wie das des EUGH als Sternstunde der Privatsphäre bejubelt ohne über die Kosten für unsere Gesellschaft zu sprechen, in der der Zugriff auf und die Verwendung von öffentlichen Daten für einfache Menschen eh schon ziemlich beschnitten ist. Das Öffentliche, der Bereich, in dem Individuen zusammen kommen um ein oder mehrere irgendwie geartete „wir“s auszuhandeln, ist bedroht. Durch eine Übersteigerung des Rückzugsgedankens, durch die Privatisierung nicht nur der Infrastrukturen des Meatspace (Bahn, Strom, Abwasser, etc) sondern auch durch eine Privatisierung, eine Unöffentlichmachung des Öffentlichen. Dieses bedrohte Öffentliche hat eine Lobby verdient. Und wenn schon nicht diese, dann zumindest Raum in den Gedanken derer, die für Menschenrechte im Digitalen streiten. Kein Mensch ist eine Insel, wir sind immer Ich und Wir, nicht Ich oder Wir. Mehr Commonismus wagen. CC-BY-SA | https://connected.tante.

13


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.