CLV-Schulblatt Ausgabe Juni 2022

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Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Foto: Imgorthand / iStock

Lehrerinnen und Lehrer haben einen Traumjob, sie haben viele Ferien, sind unkündbar, haben nachmittags frei etc. – Diesen Job möchte wohl jede/r gerne haben. So oder so ähnlich hat man viele „Stammtischgespräche“ zu einer der tragenden Säulen der Gesellschaft im Ohr. In England heißt es sogar: „Who knows, does – who knows not, teaches.“

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aja, wir sind ja mittlerweile gewohnt, dass die Wahrheit zum Aussterben verdammt zu sein scheint, seit alternative Fakten die Welt regieren. Nichtsdestotrotz sind die Pädagoginnen und Pädagogen in unserem Land immer wieder diesen oder ähnlichen (Vor-)Urteilen ausgesetzt.

» Lehrerin oder Lehrer kann man nicht werden, man kann es auch nicht lernen – Lehrerin oder Lehrer ist man, oder man ist es nicht. « Lehrerinnen und Lehrer scheinen zu überhöhten Anforderungen an sich selbst zu neigen, weil es kein Kriterium dafür gibt, wann sie „genug“ geleistet haben und die Erwartungen immer „nach oben offen“ bleiben. Nach H. Giesecke kann man immer noch mehr tun, sich noch besser vorbereiten, sich noch eingehender mit schwierigen Schülerinnen und Schülern befassen und noch mehr Fachbücher lesen. Da die Öffentlichkeit dieses „Mehr“ auch erwartet, stellt sich leicht beiderseitige Unzufriedenheit ein. Man kann nicht

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JUNI 2022 | DAS SCHULBLATT

einerseits ständig von einer „Wissensgesellschaft“ sprechen, in der Transfer und Kommunikation von Wissen eine immer größere Bedeutung bekommen, und andererseits denjenigen Berufsstand weiterhin kleinreden, dessen Bedeutung nach H. Giesecke für diesen Transfer kaum zu überschätzen ist, sondern ein geistig in hohem Maße schöpferischer ist. Lehrerin oder Lehrer kann man nicht werden, man kann es auch nicht lernen – Lehrerin oder Lehrer ist man, oder man ist es nicht – man braucht ein „Werkzeug“ dazu, nämlich Talent und Begabung. Schon Seneca hat geschrieben: Glück ist, wenn Vorbereitung (also ein Talent, das man richtig erkannt hat) auf Gelegenheit trifft. Wenn wir von der Förderung von Begabungen und Talenten sprechen, so dürfen wir also keinesfalls nur von Schülerinnen und Schülern sprechen, sondern auch von uns Pädagoginnen und Pädagogen, die wir eben dieses Talent brauchen, um entsprechend in unserer Berufung wirksam werden zu können. Und weil die Suche nach Talenten und Begabungen, die es nach den bereits erwähnten „Stammtischgesprächen“ angeblich nur bei Schülerinnen und Schülern höherer Schulen geben kann (wir wissen: Gegenteiliges ist

der Fall), aufgrund der Pandemie nicht in befriedigendem Maße durchgeführt werden konnte, möchte ich die Wichtigkeit dieses „Suchens und Findens“ etwas näher beleuchten.

When preparation meets opportunity In König Lear heißt es: „Gib dem Menschen nur, was er braucht, und sein Leben ist nicht mehr das eines Tiers.“ Aber was braucht man denn schon im Leben? Genau dort, wo man über das Allernotwendigste hinaus noch mehr erreichen will, wo man nicht über den Tellerrand hinausdenken muss, sondern es gar keinen Tellerrand gibt, entsteht so etwas wie Würde und auch die Fähigkeit zur Empathie. Während man die Sympathie anderer viel rascher erlangen kann, ist die Empathie als „die Gabe zu fühlen, was andere fühlen“ eine Eigenschaft, die viel schwerer zu erlernen ist. Jeder Mensch hat bestimmte Werkzeuge und Talente, die manchmal aus Scham oder Angst, „besonders zu sein“, im Verborgenen bleiben. Konkurrenz bedeutet immer: „Ich gewinne und Du verlierst“ – auf Konkurrenzdenken und Ellbogentechnik lässt sich aber keine schulische Qualität aufbauen. Daher ist es von großer


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