Wohnen in der Einwanderungsgesellschaft

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3.4 Marija Zivanovic „Ghettos“ in Deutschland? Zur Problematik eines Begriffs dient, dient sie der anderen als „integrierende und schützende Einrichtung“.108 Die erzwungene Isolation innerhalb des Ghettos führt aber zu einer Stärkung des Zusammenhalts der Ghetto-Bewohner nach innen und außen.109 Wacquant unterscheidet deutlich zwischen Ghettos, Armuts- bzw. benachteiligten Quartieren und ethnischen Wohngegenden: Die extreme Armut und Arbeitslosigkeit, die in den französischen Banlieues, den Favelas Brasiliens oder in den benachteiligten Quartieren deutscher Städte herrscht, kann kein alleiniges Definitionsmerkmal eines Ghettos sein, da sonst „die meisten Städte der Dritten Welt riesige Ghettos“ wären.110 Ein Ghetto ist ein im Stadtbild klar zu erkennender, gebauter Raum, der durch die oben angeführten Charakteristika gekennzeichnet ist. Aber nicht alle segregierten Gebiete sind Ghettos, besonders deshalb nicht, weil sie ethnisch heterogene und nur sozial weitgehend homogene Gebiete sind. Die Segregation der sozial schwachen Bevölkerung ist oftmals die Folge eines ökologischen und keines rassistischen Zwangs.111 „Damit aus einem Bezirk ein Ghetto wird, muß erstens die räumliche Segregation aufgezwungen und allumfassend sein. Zweitens muss dieses Viertel deutlich abgrenzbare Parallel-Institutionen aufweisen, die es der eingeschlossenen Gruppe auch ermöglicht, sich dort zu reproduzieren“.112 Ein Ghetto kann zu einem ethnisch bestimmten Wohngebiet und dieses umgekehrt zu einem Ghetto werden, wenn sich Stigmatisierung, Zwang, räumliche Einsperrung und institutionelle Verdoppelungen verstärken oder abschwächen und miteinander verbinden.113 „Die hemmungslose Intensivierung seiner ausschließenden Tendenzen macht deutlich, daß das 108 Ebd. Siehe oben beschriebene Institutionen der jüdischen Bevölkerung in den mittelalterlichen Ghettos von Frankfurt (S.9) und Venedig (S. 10 und 12), in den nationalsozialistischen Ghettos (S. 20) sowie die Einrichtungen der afroamerikanischen Bevölkerung in Chicago (S. 24). 109 Duneier, Mitchell 2016, S. 76. 110 Wacquant, Loïc 2006, S. 137. 111 Gestring, Norbert 2011, S. 172. Wobei hier die Frage gestellt werden muss, ob die Diskriminierung aufgrund rassistischer Zwänge nicht doch eine zusätzliche Rolle spielt und in welchem Zusammenhang Ethnie und wirtschaftliche Situation stehen. 112 Wacquant, Loïc 2006, S. 138. 113 Ebd., S. 142. 230


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