Leben als Zumutung - Auszug aus Christliches Zeugnis

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25 | 03/14 | CHRISTLICHES ZEUGNIS

ERSTAUNEN

HEILSAMES KLAGEN von Peter Höhn

W

ir sollten weniger klagen und mehr loben, sagt man da und dort. Das ist gut gemeint, doch ist es auch umsetzbar? Warum gibt es im Psalter rund doppelt so viele Klagepsalmen wie Lob- und Siegeslieder? Klagepsalmen zeigen, dass das Leben oftmals − und für manche Menschen besonders − schmerzvoll, dunkel, traurig und schwer sein kann. Mit den Klagepsalmen bekennt sich Gott selbst zu dieser Tatsache und zeigt gleichzeitig einen Weg, wie wir mit Leid am besten umgehen.

FÜNF ASPEKTE DER KLAGEPSALMEN Gott fordert uns mit den Klagepsalmen auf, unser Leid wirklich zu klagen − und es nicht stumm zu erdulden oder in uns hineinzufressen, es nicht zu verdrängen oder fromm zu übertünchen. Gott macht aber auch deutlich: Heilsames Klagen unterscheidet sich von Jammern, Murren, Suhlen im Selbstmitleid und Drehen um sich selbst. Heilsames Klagen wendet sich an Gott als den Einzigen, der das Leid wenden kann. Klagepsalmen haben fünf Elemente: Es gibt immer eine dreifache Klage (Gottklage, Ich-Klage und Feindklage) sowie die Bitte an Gott und das Bekenntnis des Vertrauens. Psalm 13 bringt das beispielhaft zum Ausdruck:1

DIE GOTTKLAGE Bis wann, HERR? Willst du für immer mich vergessen? Bis wann willst du dein Angesicht vor mir verbergen? David klagt vor Gott und darüber, wie er Gott erlebt. Er spricht seine quälenden Fragen, seine Gefühle und Gedanken, die er gegenüber Gott hat, aus − und er spricht sie vor Gott aus. Oft ist die Gottklage als Frage formuliert: «Herr, wie lange noch ...?» – «Mein Gott, warum ...?» Was manchmal wie eine indirekte Anklage gegen Gott klingt, ist in Wirklichkeit ein Gebet: Man wendet sich an den Einzigen, der helfen kann.

DIE ICH-KLAGE Bis wann soll ich Sorgen hegen in meiner Seele, Kummer in meinem Herzen bei Tage? Jetzt schildert der Psalmist, wie es ihm selbst geht. Er erzählt Gott, was ihn beschwert und umtreibt. Er schildert ihm seine Sorgen, seine Angst, seinen seelischen und körperlichen Schmerz.

DIE FEINDKLAGE Bis wann soll sich mein Feind über mich erheben? David beschreibt Gott auch seine Feinde: in welcher Weise sie ihn bedrängen, verfolgen, verspotten, ihm Unrecht zufügen und Gewalt antun. Das können Menschen, aber auch feindliche Kräfte, Lebensumstände oder «innere» Zustände sein.

DIE BITTE AN GOTT Schau her, antworte mir, HERR, mein Gott! Mach hell meine Augen, dass ich nicht zum Tod entschlafe! Dass mein Feind nicht sage: «Ich habe ihn überwältigt!», meine Bedränger nicht jauchzen, wenn ich wanke. Konkretes Klagen bereitet den Boden für konkretes Bitten: um Gottes Nähe und Trost, sein Eingreifen und seine Auswege, seine Hilfe und Rettung.

DAS BEKENNTNIS DES VERTRAUENS Ich aber, ich habe auf deine Gnade vertraut; mein Herz soll jauchzen über deine Rettung. Ich will dem HERRN singen, denn er hat wohlgetan an mir. Schliesslich bekennt der Psalmist Gott sein Vertrauen. Er drückt es aus mit Lob und Dank und mit dem Entschluss, dennoch an Gott festzuhalten.

ECHTES KLAGEN LÖST GOTTES KRAFT AUS Es gibt keinen Klagepsalm, der bei der Klage stehen bleibt. Immer mündet er in die Bitte und in das zuversichtliche Bekenntnis Gott gegenüber. Durch Klagen drücken wir sogar echten Glauben aus. In Psalm 116,10 sagt der Psalmist: Ich habe geglaubt, deshalb habe ich gesagt: «Ich bin sehr gebeugt.» Paulus zitiert diesen Vers in 2. Korinther 4,13: Ich glaube, darum rede ich. Glauben heisst, mit Gott darüber zu reden, was mich gebeugt sein lässt, was mir Angst macht, wo ich an meine Grenzen stosse. Dann wird inmitten unserer Schwachheit und Zerbrechlichkeit sowie unserem «Sterben» Gottes Kraft und das Leben Jesu sichtbar werden (2. Korinther 4,7–11).

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Weitere Beispiele: Psalmen 22, 35, 42, 58, 59, 61 und andere.


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