Tagesspiegel Sonderseite 2 zum KulturInvest Kongress

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SONDERTHEMA

DER TAGESSPIEGEL

KULTURINVEST-KONGRESS Wirtschaft

und Kultur treffen sich im Tagesspiegelhaus am 30. und 31. Oktober 2014

Potenzial in der Provinz

Lob des Live-Erlebnisses

Pariser Museen bilden Ableger in anderen Städten – und verzeichnen enormes Besucherinteresse Von Bernhard Schulz Seit unvordenklichen Zeiten streitet das politische Frankreich Ăźber die Dezentralisierung. Seit der Jahrhundertwende 2000 gibt es zumindest Schritte in diese Richtung. Paris, die Kapitale eines durch und durch zentralisierten Staates, muss in jedem Fall abgeben, und das fällt der classe politique stets und Ăźberall schwer. Erstaunlicherweise funktioniert es aber im Bereich der Museen. Selbstbewusste Provinzhauptstädte wie Lille im Norden und Toulouse im SĂźdwesten kehren längst ihre eigenen Schätze hervor, renovieren ihre Stadtmuseen und konkurrieren um groĂ&#x;e Ausstellungen. Doch auch Paris gibt ab. Und zwar ausgerechnet bei zwei der besucherstärksten Einrichtungen, dem Louvre und seinem zeitgenĂśssischen GegenstĂźck, dem Centre Pompidou. Und schlieĂ&#x;lich ist sogar ein komplettes Museum aus Paris abgewandert und hat einen neuen, attraktiven Standort bezogen. Den Anfang machte das Centre Pompidou, die groĂ&#x;e „Kulturmaschine“ im Zentrum von Paris. Allmählich reifte der Gedanke eines Ablegers in der Provinz. Den Zuschlag erhielt die Stadt Metz und mit ihr die Region Elsass-Lothringen, die denn auch fĂźr die 70 Millionen Euro Baukosten der Dependance aufkam, ebenso wie fĂźr 10 Millionen Euro jährlichem Betriebshaushalt. Den Architekturwettbewerb gewann der Japaner Shigeru Ban, der seit seinem legendären Japan-Pavillon bei der Expo Hannover 2000, gefertigt aus Papprollen, als einer der Vorreiter einer eher mobilen, temporären Architektur gilt, passend zur FlĂźchtigkeit des Internet-Zeitalters. In Metz entwarf er gemeinsam mit seinen franzĂśsischen Kontaktarchitekten Jean de Gastines und Philip Gumuchdjian eine Art Zeitstruktur, ein weiĂ&#x;es Teflondach in 37 Meter HĂśhe, auf vier sich wie Bäume verzweigenden HolzstĂźtzen ruhend. Darunter der eigentliche Museumsbau, der rĂźckwärtig von einem massiven Verwaltungstrakt gegen die Stadtbrache

GlanzstĂźck der Region. Das Centre Pompidou in Metz ist ein Beispiel fĂźr erfolgreiche Regionalisierung in Frankreich.

abgeschirmt wird, auf der, jenseits des wilhelminischen Hauptbahnhofs, allmählich ein neuer Stadtteil heranwächst. Vor allem die hervorragenden Sonderausstellungen machen bislang den Ruf des Centre Pompidou Metz aus. Ă„hnlich verhält es sich im nordfranzĂśsischen Kohlenrevier von Lens unweit der strahlenden „Lille MĂŠtropole“. Lens ist seit Jahrzehnten im Abstieg. Und doch erhielt gerade diese arg gebeutelte Industriestadt den Zuschlag fĂźr den Louvre-Ableger, der seit der ErĂśffnung Ende 2012 als „Louvre Lens“ leicht von den Lippen geht. Auch hier gingen japanische Architekten siegreich aus dem Wettbewerb hervor: das BĂźro Sanaa (Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa), das unter anderem fĂźr das New Museum in New York verantwortlich zeichnet. Sanaa lieĂ&#x; fĂźr rund 150 Millionen Euro aus TĂśpfen der Re-

gion, der Kommune und notabene der EU einen flachen Riegel Ăźber den ausgekohlten und wenig tragfähigen Boden hinstrecken, der einen Sammlungs- und einen Ausstellungsteil beiderseits des Foyers umfasst. Der Louvre gab – bislang zumindest – hochkarätige Werke fĂźr jeweils ein Jahr in den Norden, und so verwundert nicht, dass die Prognose von immerhin 700 000 Jahresbesuchern sofort um die Hälfte Ăźbertroffen wurde und wird. Mit dem MusĂŠe des Civilisations de l’Europe et de la MĂŠditerranĂŠe (Mucem) schlieĂ&#x;lich erhielt Marseille zu seinem Kulturhauptstadtjahr 2013 ein gänzlich eigenständiges Museum, das erste Nationalmuseum auĂ&#x;erhalb von Paris. 190 Millionen Euro kostete der WĂźrfelbau des franzĂśsischen Architekten Rudy Ricciotti am Hafen, der die Sammlung des 1937 gegrĂźndeten Museums fĂźr Volkskunde in

Sparkassen-Finanzgruppe

Foto: Rolf Brockschmidt

Paris komplett aufnimmt. Das Pariser Stammhaus war gewissermaĂ&#x;en aus der Zeit gefallen und gegenĂźber den zugkräftigen Häusern, etwa dem MusĂŠe du Quai Branly, hoffnungslos ins Hintertreffen geraten. In Marseille, diesem Schmelztiegel der VĂślker und Kulturen, ist die Sammlung dank kluger Themenausstellungen zu neuer Wirkung gelangt – und hat der Stadt Marseille mit dem vĂśllig neu geschaffenen Areal an der Spitze des alten Hafens ein neues Ziel, einen neuen urbanen Akzent beschert. Drei Beispiele fĂźr gelungene Dezentralisierung, die zudem das hartnäckige Vorurteil glänzend widerlegen, in der Provinz kĂśnne man mit Kultur keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken. Das Gegenteil trifft zu. Das Potenzial der franzĂśsischen Provinz mit all ihrer Vielfalt ist bei Weitem nicht ausgereizt.

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Interview mit dem Kulturvordenker Oliver Scheytt Oliver Scheytt, seit 18 Jahren sind Sie Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft und waren GeschäftsfĂźhrer des Kulturhauptstadtjahres „Ruhr 2010“. Neben der Ăśffentlichen Kulturfinanzierung, die in Deutschland bei rund 8,5 Milliarden Euro pro Jahr liegt, gehen immer mehr Kulturanbieter Partnerschaften mit Wirtschaftsunternehmen ein. Wie mĂźssen die Rahmenbedingungen aussehen, um die unternehmerische KulturfĂśrderung zu stimulieren? GlĂźcklicherweise hatsich im Umgang zwischen Kulturinstitutionen und Wirtschaftsunternehmen „Entspannung“ und „Professionalität“ eingestellt. Mittlerweile ist allen Beteiligten klar, dass es beim Kultursponsoring um ein „Geschäft“ geht,das der„ÖkonomiederAufmerksamkeit“ folgt und den Imagetransfer zum Gegenstand hat. Kultureinrichtungen sind in der Lage BĂźhnen zu bauen, von denen andere nur träumen kĂśnnen. Das macht sie attraktiv fĂźr derartige Geschäfte und dessen sollten sie sich auch bewusst sein. Wie bei guten Partnerschaften Ăźblich, sollten sich die Beteiligten gut verständigen kĂśnnen. Daher sollte insgesamt ein „sponsorenfreundliches Klima“ geschaffen werden, in dem die Kultureinrichtung auch das Recht (und manchmal sogar die Pflicht) hat, „Nein“ zu einem unpassenden Angebot zu sagen. Politik darf ihrerseits die Zusage von Sponsorenmitteln nicht zum Anlass nehmen, sich aus der Verantwortung zu verabschieden. Viele Kulturanbieter sind durch die Ă–ffentliche Hand „fehlbetragsfinanziert“ und mĂźssen die mĂźhevoll erwirtschafteten Beträge oft abgeben. Wäre es nicht zeitgemäĂ&#x;, aus der „Fehlbetragsfinanzierung“ eine „Festbetragsfinanzierung“ zu machen? Dies ist eine Forderung, die seit Jahrzehnten gestellt wird. Manchmal frage ich mich, ob ich noch erleben werde, dass das Zuwendungsrecht an diesem Punkt geändert wird. Gerade fĂźr die privaten Kulturinitiativen, die hier betroffen sind, wäre das eine konstitutive Hilfe. Sind marktorientierte Begriffe wie Kulturmarke, Kulturanbieter und Kulturinvestor

Belege fĂźr die Existenz eines Kulturmarktes zwischen Kultur und Wirtschaft, in dem Marktmechanismen wie Angebot und Nachfrage wirken? Wie wird sich dieser Kulturmarkt bis 2025 entwickeln? Kunst und Kultur haben immer schon einen Doppelcharakter gehabt, auch zu Zeiten von Shakespeare, Bach oder van Gogh. Einerseits handelt es sich um ein „Üffentliches Gut“ andererseits um ein „kommerzielles Produkt“. Wir sollten indes unbedingt acht darauf geben, dass in dem sich verbreitenden „mentalen Kapitalismus“ Kunst und Kultur nicht immer mehr zur reinen Ware verkommen. Die digitale Kommunikation wird zunehOliver Scheytt, geboren 1958 in KĂśln, ist studierter Jurist. Als langjähriger Kulturdezernent der Stadt Essen befĂśrderte er den Strukturwandel. Sein Motto: „FĂśrdern, was es schwer hat.“

mend von wenigen Monopolisten beherrscht, die ihren Profit damit machen, dass kreative Leistungen, vor allem Bilder, Filme und Musik, als „Digitalisat“ ubiquitär verfĂźgbar sind, aber vorrangig Ăźber die Kanäle verbreitet werden, die von diesen beherrschenden Internet-Firmen angeboten werden. Es kann dabei nicht um Protektionismus gehen, im Ăœbrigen ist der Zug der globalen Regulierung angesichts der digitalen Freiheiten längst abgefahren. Vielmehr sollten wir sensibel dafĂźr sein, dass unsere kulturelle Identität und das kreative Potenzial gestärkt werden und wir diese nicht dem „Freihandel“ Ăźberlassen. Umso wichtiger ist daher die FĂśrderung der „analogen“, unmittelbar erlebbaren Kunst und Kultur auch als Gegengewicht zu den virtuellen Welten. Wenn Kulturmarken darauf setzen, kĂśnnen sie dauerhaft Stärke entwickeln. — Die Fragen stellte Hans-Conrad Walter.

Begegnungen auf AugenhĂśhe Warum fĂśrdert der Autohersteller BMW kulturelle Aktivitäten? Ein jeder freut sich Ăźber ein reiches kulturelles Angebot. Ob Ausstellung, Oper oder Konzert, Kultur inspiriert die Menschen weltweit und ist unersetzlich. Die Frage ist nur, wer den SpaĂ&#x; finanziert. Neben staatlicher FĂśrderung spielen wirtschaftliche Unternehmen eine immer wichtigere Rolle. Thomas Girst ist Leiter der Kulturkommunikation bei der BMW Group. Seit 40 Jahren betreibt der Automobilhersteller weltweit Kunst- und KulturfĂśrderung und wird darum mit 3000 FĂśrderanfragen pro Jahr ĂźberschĂźttet. Wie trifft man da eine Wahl? Thomas Girst macht deutlich, dass eine Strategie das Wichtigste ist: Zuerst muss das Unternehmen sich darĂźber im Klaren sein, was es fĂśrdern will. Grundsätzlich werden bei BMW keine EinzelkĂźnstler oder Einzelprojekte wie Ausstellungen unterstĂźtzt, sondern nur Formate. So zum Beispiel das „Oper fĂźr alle“-Event in MĂźnchen. Seit 1997 begeistert die kostenlose AuffĂźhrung unter freiem Himmel jährlich 20 000 Besucher. Seit 2007 gibt es das Format als „Staatsoper fĂźr alle“ auch in Berlin, in London als „BMW LSO Open Air Classics“ seit 2012. In beiden Fällen ging BMW auf die Staatsoper beziehungsweise das London Symphony Orchestra zu. FĂźr Thomas Girst geht es bei diesen Konzerten um zwei Dinge. Einerseits soll „die Hemmschwelle vor der Hochkultur genommen werden“. Andererseits will BMW „als erfolgreiches Unternehmen etwas an die Gesellschaft zurĂźckgeben“.

Wenn sein Engagement fßr die Kultur so vielfältig ist, wie das Land selbst.

NR. 22 191 / SONNABEND, 11. OKTOBER 2014

Foto: Vincent Schlenner

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Was aber ist der Nutzen fĂźr BMW? In Deutschland wird Sponsoring oft kritisch gesehen, weil viele eine Einschränkung der Freiheit der Kunst befĂźrchten. In angloamerikanischen Ländern sei dies ganz anders, man sei sogar „stolz auf solche Art von Partnerschaften“, sagt Girst. Es wird klar,dassesbeiKulturfĂśrderungumWechselseitigkeit geht.DiePartnerschaft mitrenommierten Kulturinstitutionen fĂźhrt zu einem positiven Imagetransfer fĂźr BMW. Girst glaubt aber, dass dieser auch andersherum funktioniert. Eine FĂśrderung von BMW kann dazu fĂźhren, dass sich andere Unternehmen anschlieĂ&#x;en, wie jĂźngst bei der Kochi-Muziris-Biennale in Indien. Der FĂśrderer darf dem GefĂśrderten dabei

nicht die Show stehlen: „Bei kulturellem Engagement sollte sich niemals etwas zwischen den Betrachter und das Bild stellen. NatĂźrlich wollen wir wahrgenommen werden, aber hier greift einer unserer Leitsätze: Die Subtilität des Auftritts zeugt von der Souveränität des fĂśrdernden Unternehmens." Ăœber konkrete FĂśrdersummen schweigen sich Sponsoren gerne aus. Auch Girst bleibt da zurĂźckhaltend. Er betont, die Inhalte seien entscheidend, nicht die Summe. Er verrät dann aber doch, dass es sich um einen Wert im unteren zweistelligen Millionenbereich handelt. Genug, um viele weitere innovative Kulturprojekte ins Leben zu rufen. Pauline Pieper

Platzkonzert. 42 000 Besucher erlebten am 1. Juni 2014 bei bestem Wetter das „Staatsoper fĂźr alle“-Event auf dem Bebelplatz. Foto: BMW Group


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