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«Der Perspektivenwechsel ist sehr bereichernd»
Urs Baumann war beruflich lang bei einer Wohnbaugenossenschaft tätig. Als Freiwilliger bei Caritas schlüpft der Pensionär in eine neue Rolle und unterstützt Menschen mit geringem Einkommen bei der Wohnungssuche.
Text und Bild: Claudia Blaser
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«Waren Sie kürzlich wieder einmal auf Wohnungssuche? Der Bewerbungsprozess ist ganz schön kompliziert geworden – fast so, als würde man sich auf eine Stelle bewerben. Menschen mit kleinem Budget stehen im umkämpften Wohnungsmarkt besonders hohen Hürden gegenüber. Deshalb unterstütze ich Sozialhilfebeziehende auf der Suche nach einem neuen Zuhause und gebe mein Wissen rund um die Wohnungssuche weiter. Dafür kann ich auf meine langjährige Arbeitserfahrung bei einer Wohnbaugenossenschaft und mein berufliches Netzwerk zurückgreifen.
Bei meinem freiwilligen Einsatz als Mentor beim Caritas-Projekt «WohnFit» in Zürich steht der Mensch im Mittelpunkt. Zum ersten Mal erlebe ich die Wohnungssuche aus Sicht der Mieterinnen und Mieter. Dieser Perspektivenwechsel ist sehr bereichernd für mich. Als Freiwilliger möchte ich dazu beitragen, die Vorurteile gegenüber Sozialhilfebeziehenden bei den Verwaltungen abzubauen.
Das Thema Wohnen ist etwas sehr Persönliches und Intimes. Ein grosser Teil des Engagements ist deshalb Vertrauensaufbau und Beziehungsarbeit, da ich wissen muss, wie die Betroffenen wohnen und wo sie finanziell stehen. Das erfordert grosse Offenheit. Dafür lernen beide Seiten neue Lebenswelten kennen und es entstehen schöne und langfristige Kontakte. Zu einigen Menschen, die ich bei der Wohnungssuche unterstützt habe, habe ich auch heute noch regelmässigen Kontakt. STECKBRIEF
Urs Baumann (64) studierte Architektur und arbeitete 22 Jahre lang bei einer Wohnbaugenossenschaft. Er lebte mehrere Jahre in Spanien und wohnt heute mit seiner Frau in Zürich. Seit seiner Frühpensionierung geniesst er die neu gewonnene Freizeit am liebsten beim Wandern, Joggen oder im Kino.
Zum ersten Mal über ein freiwilliges Engagement nachgedacht habe ich bei den Vorbereitungen auf die Frühpensionierung. Dass ich im Leben grosses Glück hatte, war für mich der Auslöser, etwas zurückgeben zu wollen. Ich würde jedem empfehlen, sich freiwillig zu engagieren. Sein Wissen und Können dort weitergeben zu können, wo es gebraucht wird, ist eine sehr erfüllende Erfahrung.»
Möchten Sie sich freiwillig engagieren? Als Freiwillige oder Freiwilliger lernen Sie Menschen mit anderen Perspektiven kennen. Sie helfen im Alltag und machen Integration möglich. Sie können Ihr Wissen weitergeben und Neues dazulernen. Freiwilligen-Angebote unterscheiden sich von Region zu Region. Bitte informieren Sie sich auf der Website der Caritas-Organisation in Ihrer Region.
Dawit Tesfaldet kam vor sechs Jahren als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in die Schweiz. Der 21-Jährige absolviert eine Ausbildung in der Schreinerei von Caritas Luzern. Sie macht ihm Spass und führt ihn näher zu seinem Ziel: der finanziellen Unabhängigkeit.
Text: Ronnie Zumbühl Fotos: Caritas Luzern/Janmaat.ch
Um seinen Hals trägt Dawit Tesfaldet ein schmuckloses Kreuz aus Holz. Ein Geschenk seines Bruders, der mit dem Rest der Familie in Eritrea lebt. Dawit ist vor sechs Jahren – im Alter von 15 Jahren – ohne sie in die Schweiz geflüchtet. Das Kreuz zeigt nicht nur seine Verbindung zur Familie, sondern auch zum Material Holz. Er ist in Eritrea neben einer Schreinerei aufgewachsen. Der Geruch und die schönen Möbel beeindruckten ihn. «Darum war Schreiner schon immer mein Traumberuf», erzählt der 21-Jährige.
Dawit hat bereits sein erstes Ausbildungsjahr in der Schreinerei von Caritas Luzern hinter sich. Nächstes Jahr wird er die berufliche Grundbildung mit eidgenös-

Mit der Ausbildung in der Schreinerei von Caritas Luzern kommt Dawit seinem Ziel, der finanziellen Unabhängigkeit, immer näher. sischem Berufsattest (EBA) als Schreiner abschliessen. Er habe schon viel gelernt im ersten Jahr. Gewisse Aufträge könne er sogar schon selbstständig ausführen und benötige keine Unterstützung der Ausbildner mehr, sagt er stolz. Seine Lieblingsmaschinen sind eine Langlochbohrmaschine und eine Tischfräsmaschine. Er ist nach wie vor sehr überzeugt von seiner Ausbildung: «Das ist eine gute Chance, die ich hier erhalten habe.» Sein Highlight ist, dass er kürzlich auf Montage mitgehen und selbstständig einen Schrank zusammenbauen konnte.
Abwechslungsreiche Aufgaben
«Mit Caritas Luzern habe ich eine gute Arbeitgeberin. Ich höre von vielen Mitschülerinnen und Mitschülern, dass sie immer wieder die gleichen Arbeiten ausführen müssen. Das ist bei mir zum Glück nicht der Fall.» Bei Caritas Luzern landen immer wieder neue Möbelstücke, die auf unterschiedliche Weise restauriert werden müssen. Auch das ist Bestandteil seiner Ausbildung. Auf die Frage, ob er einfach gut arbeite, antwortet er etwas verlegen: «Vielleicht ganz gut» und lacht. «Ich mache viele Fehler, aber ohne sie lernt man nichts.»
«Schreiner war schon immer mein Traumberuf.»
Nach seiner Erstausbildung möchte er ein paar Jahre Arbeitserfahrung sammeln, um finanziell selbstständig zu werden. Später, so sein Plan, lässt er sich zum Berufsbildner weiterbilden. «Ich will mein Wissen an Jugendliche weitergeben können», erklärt er motiviert. Sein grösster Traum ist die Rückkehr nach Eritrea. Doch die politische Unsicherheit und der willkürliche Militärdienst durchkreuzen diesen bisher. Das eritreische Militär zwingt Bürgerinnen und Bürger auf unbestimmte Zeit zum Militärdienst.

Die Lernenden von Caritas Luzern werden intensiv und kompetent durch ihre Ausbildung begleitet.
Unzählige erfolglose Bewerbungen
Dawit musste viele Hindernisse überwinden, bis er den Ausbildungsplatz bei Caritas Luzern erhalten hat. Während der Schulzeit verschickte er unzählige Bewerbungen – ohne Erfolg. Als letzte Chance gab ihm eine Lehrerin den Tipp mit der Schreinerei von Caritas Luzern. Hier wurde er sofort zum Schnuppern eingeladen und erhielt kurz darauf die Zusage für einen EBA-Ausbildungsplatz. «Ich war beeindruckt von Dawits Talent und seinen praktischen Fähigkeiten», erklärt Renato Stiz, Leiter der Schreinerei und Lehrmeister von Dawit. «Handwerk ist meine Stärke», sagt der Lernende. «Ich mag es anzupacken und etwas von Grund auf zu produzieren.»
Dawit und die anderen Lernenden werden durch die Ausbildner intensiv und kompetent durch ihre Ausbildung begleitet. Dabei lernen sie nicht nur Fachliches, sondern eignen sich auch eine Menge überfachliche Kompetenzen an. «Renato ist mehr als ein Lehrmeister für mich», erzählt Dawit. Auch wenn ich in der Schule Schwierigkeiten habe, hilft er mir. So hat er mir zum Beispiel das politische System der Schweiz erklärt.»
Obwohl Dawit erst seit ein paar Jahren in der Schweiz ist, spricht er bereits gut Deutsch. «Ich habe acht Monate mit Schweizer Kollegen in einer WG gelebt. Dabei habe ich nicht nur die Schweizer Kultur besser kennengelernt, sondern konnte auch sprachlich grosse Fortschritte machen. Aber ich möchte noch viel besser werden. Darum besuche ich einen halben Tag pro Woche einen Deutschkurs», erklärt er. In seiner Freizeit unternimmt der 21-Jährige viel mit seinen Freunden. Ab und zu spielt er Fussball. Und dreimal pro Woche geht er ins Fitnesszentrum.
Mit beruflicher Perspektive zur nachhaltigen Integration
Jugendliche mit schulischen Defiziten, aus sozial schwierigen Verhältnissen oder mit Flucht- oder Migrationshintergrund haben oft Schwierigkeiten, den Einstieg ins Berufsleben zu schaffen. Mit den sogenannten EBA-Ausbildungsplätzen, einer beruflichen Grundbildung mit eidgenössischem Berufsattest, bietet Caritas Luzern den Jugendlichen die Chance auf eine berufliche Entwicklung und wirkt so nicht nur der drohenden Abwärtsspirale aus Arbeitslosigkeit, Armut und sozialer Ausgrenzung, sondern auch dem Fachkräftemangel entgegen. Zurzeit bietet Caritas Luzern EBA-Ausbildungsplätze in den folgenden Bereichen: ƼDetailhandelsassistent/in Textil und Lebensmittel ƼHauswirtschaftspraktiker/in ƼKüchenangestellte/r ƼSchreinerpraktiker/in ƼLogistiker/in ƼGebäudereiniger/in
Weiterführende Informationen: www.caritas-luzern.ch/eba
«Es entstehen schöne Freundschaften»
Caritas Luzern begleitet im Auftrag des Kantons Zug Familien, die Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen haben. Die beiden Sozialarbeiterinnen Sofia Sebastiampillai und Carmen Beyer stehen den Gastfamilien zur Seite und sind Ansprechpartnerinnen für Fragen zum Zusammenleben. Im Interview erzählen sie aus ihrem Arbeitsalltag.
Text: Claudia Blaser Bild: Rainer Bossard
Worin bestehen eure Aufgaben in der Begleitung von Gastfamilien?
Sofia Sebastiampillai: Wir führen Gespräche mit Personen und Familien, die ukrainische Geflüchtete bei sich zu Hause aufnehmen möchten, klären ihre Motivation und Erwartungen und prüfen die verfügbaren Räumlichkeiten. Das machen wir, um sicherzugehen, dass die Konditionen für die Aufnahme von Geflüchteten stimmen. Dazu gehört auch, dass wir einen Strafregisterauszug der Gastgeber einholen. Wenn wir Geflüchtete an eine Gastfamilie vermitteln konnten, schliessen wir mit beiden Parteien eine Vereinbarung – eine Art Untermietvertrag – ab, beantworten ihre Fragen zum Alltag und Zusammenleben und sind Ansprechpartnerinnen, falls es Unklarheiten oder Schwierigkeiten gibt. Wir unterstützen auch bei Umplatzierungen, wenn beispielsweise ein Zimmer nicht länger zur Verfügung steht oder wenn Schutzsuchende, die in einer Kollektivunterkunft untergebracht sind, die Unterbringung bei einer Gastfamilie bevorzugen.
Carmen Beyer: Da das Projekt erst diesen Frühling lanciert wurde, sich die Ausgangssituation ständig ändert und verschiedenste Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen, Bedürfnissen und Wünschen daran beteiligt sind, müssen wir sehr flexibel bleiben. Es gibt täglich viele kleinere und grössere Entscheidungen zu treffen, die das Projekt in eine neue Richtung lenken

können. Grundsätzlich sieht bei uns kein Arbeitstag wie der andere aus. Am Anfang war auch der Informationsfluss zwischen den verschiedenen Akteuren eine Herausforderung, mittlerweile läuft die Zusammenarbeit mit den Sozialen Diensten Asyl des Kantons Zug, den Gemeinden und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe jedoch sehr gut.
Und was sind die grössten Herausforderungen für die Gastfamilien?
Sofia Sebastiampillai: Die Menschen, die Geflüchtete bei sich aufnehmen, werden mit vielen neuen Themen und Prozessen konfrontiert. Wie funktioniert die Sozialhilfe für Flüchtlinge? Wie wird die medizinische Versorgung sichergestellt? Wie ist es mit Versicherungen? Gastfamilien erleben das Asylverfahren und die Sozialhilfe aus einem ganz neuen Blickwinkel. Manche sind frustriert, weil sie schnellere Prozesse und mehr Unterstützung bei der Integration erwartet hatten. Auch unterschiedliche Erwartungen in Bezug auf das Zusammenleben, kulturelle Unterschiede oder die belastende Situation der Geflüchteten können herausfordernd sein. Doch die Rückmeldungen der Gastfamilien, die wir begleiten, sind mehrheitlich sehr positiv. Das Zusammenleben gestaltet sich unkompliziert und die Verständigung funktioniert dank ÜbersetzungsApps auch bei fehlender gemeinsamer Sprache.
Wie empfindet ihr persönlich diese Erfahrungen?
Sofia Sebastiampillai: Ich finde es sehr bereichernd, Gastfamilien und Geflüchtete aus der Ukraine zusammenzubringen und die Begegnungen miterleben zu dürfen. Wir sind in engem Kontakt mit den Gastfamilien und die vielen positiven Rückmeldungen und Erfolgsmomente berühren mich sehr. Ich persönlich finde es auch spannend, wenn mein Arbeitsalltag täglich neue Aufgaben und Herausforderungen mit sich bringt.
Carmen Beyer: Der Ansatz des Gastfamilienmodells im Asylbereich ist wirklich spannend und kann viel zur sozialen Integration beitragen. Allgemein ist im Moment in diesem Bereich einiges in Bewegung. Ich würde mir wünschen, dass die grosse Hilfsbereitschaft und Offenheit gegenüber den ukrainischen Geflüchteten, aber auch die Lernerfahrungen aus Unterbringungsmodellen wie dem Gastfamilienprojekt positive Auswirkungen auf andere Aspekte des Asylwesens haben.
Welches Fazit könnt ihr nach den ersten Monaten ziehen?
Carmen Beyer: Die Gastfamilien sind sehr engagiert und leisten enorme Unterstützung. Sie stellen nicht nur Räumlichkeiten zur Verfügung, sondern helfen auch beim Deutschlernen, bei der Arbeits- oder Wohnungssuche und bei bürokratischen Angelegenheiten. So entstehen sehr schöne Freundschaften zwischen den Gastfamilien und ukrainischen Geflüchteten. Aufgrund der positiven Erfahrungen hoffen wir, dass das Projekt fortgesetzt werden kann und die Solidarität und das grosse Engagement der Bevölkerung noch lange anhält.
Weitere Infos: www.caritas-luzern.ch/gastfamilien
Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine
Möchten Sie Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine in die Zentralschweiz geflüchtet sind, mit einer Spende unterstützen? Geldspenden ermöglichen es Caritas Luzern, schnell und unbürokratisch Hilfe zu leisten. Als Spezialistin für soziale und berufliche Integration analysiert das Hilfswerk laufend die Bedürfnisse der Geflüchteten, um sie bei der Integration bestmöglich zu unterstützen.
So hilft Caritas Luzern konkret: Ƽ Arbeitsintegration: Caritas Luzern berät, coacht und begleitet Geflüchtete aus der Ukraine von der beruflichen Erstabklärung über die Stellensuche bis hin zum
Stellenantritt und bringt Stellensuchende und potenzielle Arbeitgebende zusammen. Ƽ Dolmetschdienst: Die interkulturell Dolmetschenden von Caritas Luzern ermöglichen die Kommunikation zwischen Geflüchteten aus der Ukraine und Fachpersonen an öffentlichen und privaten Stellen in den Bereichen Bildung, Soziales und Gesundheit. Ƽ Begleitung von Gastfamilien: Im Kanton Zug begleitet
Caritas Luzern Familien, die Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen haben, und sie ist Ansprechpartnerin für Fragen zum Alltag und Zusammenleben. Ƽ KulturLegi: Mit der KulturLegi können Geflüchtete aus der Ukraine im Caritas-Markt günstige Lebensmittel und
Artikel des täglichen Gebrauchs einkaufen und erhalten
Rabatt für die Secondhand-Läden von Caritas Luzern sowie zahlreiche weitere Angebote aus Kultur, Sport und Bildung. Ƽ Mentoring: Freiwillige unterstützen Geflüchtete aus der Ukraine individuell und nach Bedarf in Alltags- und
Freizeitthemen.
Jetzt spenden: www.caritas-luzern.ch/spende-ukraine
Was haben Sie 1982 getan?
Wie können wir Menschen in Not helfen? Diese Frage beschäftigt Caritas Luzern seit der Gründung vor 40 Jahren. Was 1982 mit einer 50-Prozent-Stelle begonnen hat, ist heute ein professionelles Hilfswerk mit 170 Mitarbeitenden.
Text: Ronnie Zumbühl








In kurzen Handyvideos gratulieren Mitarbeitende, Freundinnen und Partner Caritas Luzern zum Jubiläum …
Wenn Werner Riedweg von seiner Zeit als Geschäftsleiter von Caritas Luzern erzählt, schwingt durchaus Stolz mit. Der Dozent und Projektleiter des Departements Soziale Arbeit an der Hochschule Luzern war massgeblich am Ausbau des lokalen Hilfswerks beteiligt, als er von 1996 bis 2009 die Geschäfte leitete. Seine Höhepunkte waren das stetige Entwickeln und Ausbauen von sozialen Angeboten. «Zum Beispiel Arbeitsintegrationsangebote ab den 1990er-Jahren, die heute noch sehr wichtig sind für Caritas Luzern.» Oder der Caritas-Markt, der ganz klein angefangen habe und nun eine eigenständige Genossenschaft sei. «Das zeichnet für mich Caritas Luzern aus: dass man immer wieder mit Kreativität auf neue soziale Bedürfnisse und Notlagen reagiert. Ich wünsche meinen Kollegen und Kolleginnen, die die Caritas-Idee weiter vorantreiben, auch für die Zukunft viel Ideenreichtum», sagt Riedweg.
Werner Riedweg ist einer von rund zwanzig Aushängeschildern, die anlässlich des 40-Jahr-Jubiläums von Caritas Luzern erzählen. In kurzen, charmanten Handyvideos schildern sie Geschichten rund um die Organisation – und bedanken sich damit bei Spendern, Patinnen, freiwilligen Helferinnen und den Mitarbeitenden.
Da ist beispielsweise die Mitarbeiterin Sandra Epifanio. Auf die Frage, was sie 1982, dem Gründungsjahr von Caritas Luzern, gemacht hat, antwortet sie: «Vor vierzig Jahren war ich im Kino Capitol und sah mir den Film ‹E.T. – Der Ausserirdische› von Steven Spielberg an. Zudem habe ich damals meine Hüften zum neuesten Album von Michael Jackson (Thriller) geschwungen.» Sie wünscht Caritas Luzern weiterhin viel Energie, viel Freude und viel Kraft.
Oder da ist Philomena Colatrella, CEO CSS, die uns ebenfalls via Videobotschaft zum Jubiläum gratuliert. «Erst vor Kurzem habe ich das Foto eines alten CaritasMöbelwagens gesehen – mit dem Logo der CSS darauf», erzählt sie und freut sich über die langjährige Zusammenarbeit. Seit 1994 führen CSS und Caritas
Luzern gemeinsam den Wohltätigkeitsanlass Theatergala in Luzern durch.
Von Projekten zu Regelstrukturen
Caritas Luzern hat 1982 mit einer 50-Prozent-Stelle begonnen. Rund 170 Mitarbeitende sind es heute. Damit ist das Hilfswerk eines der grösseren KMU der Zentralschweiz. Aus dem sozialen Engagement der Kirche für hilfsbedürftige Menschen hervorgegangen, standen für das katholische Hilfswerk von Beginn an Alleinerziehende, Arbeitslose, Arme, Flüchtlinge und Menschen am Rande der Gesellschaft im Zentrum.
Immer wieder ging Caritas Luzern als Pionierin neue Wege. So hat sie etwa als erstes Hilfswerk auf dem Platz Luzern gemeinsam mit dem Kanton ein Erwerbslosenprojekt initiiert und aufgebaut. Daraus entstand Anfang der 1990er-Jahre das Beschäftigungsprojekt «Möbelwerkplatz». Es folgten weitere Programme für arbeitslose Frauen und ausgesteuerte Personen. Heute gehören solche Arbeitsintegrationsprojekte zur Regelstruktur – Arbeit, Bildung und das Ziel der Integration in den ersten Arbeitsmarkt sind zum Standard geworden.
Themen wie Verschuldung beschäftigten die Organisation schon in den Anfängen. Mittlerweile bietet das Caritas-Netz in der ganzen Schweiz Budget- und Schuldenberatung an. Aus dem Wissen, dass Armut heute weit mehr Personen betrifft als früher, wurde für diese Menschen 2007 die KulturLegi in der Zentralschweiz lanciert. Sie ermöglicht ihnen durch Vergünstigungen die Teilhabe am sozialen Leben.
Zur Zeit der Häuserbesetzungen im Luzern der 1980erJahre, bedingt durch die Problematik der Obdachlosigkeit, führte Caritas Luzern die Gassenarbeit ein und betreute und verwaltete Wohnungen – was schliesslich in das Angebot «betreutes Wohnen» der Stadt Luzern mündete. Im Bereich Asyl hat sie als Leistungserbringerin für den Kanton die Härtefallkommission mitinitiiert.
So hat Caritas Luzern ihre Projekte und Unterstützungsangebote in den Bereichen Armut, Erwerbslosigkeit und Migration immer wieder dem gesellschaftlichen Wandel angepasst. Dabei unterstützt wurde sie von der ersten Stunde an von zahlreichen freiwillig Engagierten. Mit ihnen zusammen gilt es, auch die nächsten Jahrzehnte bedürftigen Menschen zur Seite zu stehen und sie so zu unterstützen, dass sie ein menschenwürdiges Leben führen können und weniger Ausgrenzung erfahren.
Alle Jubiläumsvideos finden Sie auf Facebook, Instagram und LinkedIn.








«Die Sprache ist der Schlüssel des Landes»
Mohammed Ali Osman floh 2005 aus Eritrea. Heute ist er Betreuer im Asylzentrum und interkultureller Dolmetscher und Vermittler bei Caritas Luzern. Er unterstützt Migrantinnen und Migranten im Integrationsprozess. Mittlerweile fühlt er sich in der Schweiz angekommen – doch der Weg war nicht immer einfach.
Text: Sara Bagladi Fotos: Sara Bagladi, Caritas Schweiz
«Immer, wenn ich hier in der Schweiz die Berge sehe, erinnere ich mich an die Berge in meiner Heimat.» Mohammed Ali Osman ist in einem kleinen Dorf im Tiefland von Eritrea aufgewachsen. Morgens ging er zur Schule, nachmittags arbeitete er als Hirte. Er passte auf Kamele auf, holte Wasser mit dem Esel und sammelte Holz. Aufgrund der politischen Situation im Land musste er aus seinem Heimatland fliehen. Heute arbeitet Mohammed als Betreuer in einem Asylzentrum in Luzern. Ausserdem ist der 37-Jährige als interkultureller Dolmetscher und

Mohammed Ali Osman baut als interkultureller Dolmetscher und Vermittler kulturelle Brücken und hilft, Sprachbarrieren zu umgehen. Vermittler für den Dolmetschdienst Zentralschweiz von Caritas Luzern im Einsatz.
Neben Deutsch beherrscht er Arabisch, Tigre und Tigrinya – somit kann er drei unterschiedliche Alphabete lesen. Interkulturelle Dolmetschende und Vermittelnde kennen neben mehreren Sprachen auch die kulturellen und sozialen Kontexte der Länder, für die sie dolmetschen. Während des Gesprächs sind drei Parteien anwesend: eine Fachperson von einer öffentlichen oder privaten Stelle, eine Migrantin und ein Dolmetscher. Die Dolmetschenden stellen die Verständigungsbrücke her zwischen Fachperson und migrierter Person. Mohammed dolmetscht beispielsweise bei Elterngesprächen, in der Psychiatrie oder bei einem Arztbesuch. Zudem begleitet er Migrantinnen und Migran-
ten beim Einleben in der Schweiz. «Es begeistert mich, wenn ich zwischen zwei Kulturen eine Brücke bauen und helfen kann, Sprachbarrieren zu umgehen, damit die Kommunikation fliesst», erzählt er. Nebst dem Dolmetschen gehören zum interkulturellen Vermitteln noch weitere Aufgaben. Interkulturell Vermittelnde beraten oder begleiten im Auftrag von Fachpersonen oder Behörden und bauen Vertrauen auf, wo korrektes

Interkulturell Dolmetschende und Vermittelnde stellen die Verständigungsbrücke zwischen Fachperson und Migrantinnen und Migranten her (Symbolbild).
Verstehen unter Einbezug der kulturellen Hintergründe nötig ist. «Dabei ist es wichtig, Nähe aufzubauen und gleichzeitig Distanz zu wahren. Das ist nicht immer einfach», sagt Mohammed.
Für viele nachgefragte Sprachkombinationen gibt es keine universitären Dolmetsch-Studiengänge. Ende der 1990er-Jahre initiierte das Bundesamt für Gesundheit praxisnahe Professionalisierungsmöglichkeiten für interkulturell Dolmetschende und Vermittelnde. Sie orientieren sich am Berufskodex INTERPRET. Mohammed absolvierte die Grundmodule für interkulturell Dolmetschende bei Caritas Schweiz. Danach besuchte er Weiterbildungen bei Caritas Luzern, um im psychotherapeutischen Bereich zu dolmetschen und Menschen im Integrationsprozess zu begleiten. «Ich bin froh, dass ich diese Ausbildungen machen konnte. Das Angebot ist sehr breit und ich besuche jährlich Intervisionen und Supervisionen, das gibt mir Sicherheit», sagt Mohammed.
Nach einer beschwerlichen Flucht von Eritrea über den Sudan, Libyen und Italien betrat Mohammed 2008 das erste Mal Schweizer Boden. «Damals wusste ich nicht, dass man in der Schweiz vier Sprachen spricht», erklärt
er. Doch für ihn war von Anfang an klar: «Die Sprache ist der Schlüssel des Landes. Wenn ich hier Fuss fassen möchte, muss ich Deutsch lernen.» Zu Beginn landete er in Basel im Asylzentrum. Von dort aus schickten sie ihn nach Nidwalden. Er wartete zwei Jahre auf die Aufenthaltsbewilligung, während dieser Zeit durfte er keine Sprachkurse besuchen. «Also habe ich es selbst an die Hand genommen. Mit Wörterbüchern und YouTube machte ich ein Selbststudium», erklärt er. Danach besuchte er für neun Monate einen Intensivkurs.
Auch Schweizerinnen und Schweizer tragen zur Integration bei
Am Anfang schnitt er Sonnenblumen und jätete Unkraut in einer Bio-Gärtnerei. «Schrittweise konnte ich mir eine berufliche Existenz aufbauen. Wenn man den Willen hat und sich Mühe gibt, kann man etwas erreichen», sagt Mohammed, der mittlerweile eingebürgert ist. «Doch man kann nicht alles blumig reden, es ist nicht immer einfach in der Schweiz. Die Bürokratie kann unter anderem hohe Hürden darstellen.» Er ist der Meinung, dass

Der Dolmetschdienst Zentralschweiz vermittelt beispielsweise Einsätze bei Elterngesprächen, in der Psychiatrie oder bei einem Arztbesuch (Symbolbild).
Integration möglich ist. Doch dafür sei es wichtig, dass auch die Schweizerinnen und Schweizer offen sind: «Mit einem starken Willen kann ich als Flüchtling meine Ziele erreichen, doch es kostet mich viel weniger Energie, wenn auch die andere Seite einen Schritt nach vorne macht und wir uns in der Mitte treffen können.»
«Die optimale Verständigung zwischen Fachpersonen und der Migrationsbevölkerung trägt einen wichtigen Teil zur gelungenen Integration bei. Kommunikation ist vielseitig und komplex. Wenn verschiedene Sprachen zusammenkommen, wird es erst recht anspruchsvoll. Ich bin stolz, dass unser Team tagtäglich dazu beiträgt», sagt Esther Imfeld, Leiterin Dolmetschdienst Zentralschweiz von Caritas Luzern. Im Jahr 2021 vermittelte der Dolmetschdienst über 30000 Einsatzstunden in rund 50 Sprachen. «Dies entspricht einem Rekordergebnis», freut sich Imfeld. Seit 2021 wird die Vermittlung aller Aufträge über eine neue, digitale Vermittlungsplattform ausgeführt.
«Ich fühle mich in der Schweiz angekommen»
Um sich bestmöglich auf einen Termin vorzubereiten, recherchiert Mohammed über das Thema und die Kultur: «Ich möchte vermeiden, dass es kulturelle Missverständnisse gibt.» Dabei geht es oft um persönliche, gesundheitliche und emotionale Themen. «Einmal musste ich Eltern mitteilen, dass ihr Sohn eine Krebsdiagnose erhalten hat. Das war keine einfache Aufgabe», erinnert er sich. Auch Mohammed hat drei Kinder. Seine Freizeit verbringt er am liebsten mit ihnen und seiner Frau. «Zu Hause sprechen wir Arabisch und in der Schule reden meine Kinder Luzernerisch.» Um Kraft zu tanken, macht er gerne Spaziergänge in der Natur. «Ich habe nichts zu beklagen, die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben ist hier gegeben. Die Sicherheit ist für mich am allerwichtigsten. Das Bildungs- und Sozialsystem hier gefällt mir. Ich möchte meinen Kindern eine gute Zukunft bieten», sagt Mohammed.
Ein Grossteil seiner restlichen Familie lebt in Eritrea. Tiere haben sie keine mehr, es ist zu trocken. «Die Situation in Eritrea ist für Menschen und Tiere nicht einfach. Ich denke oft an sie. An meine Familie, meine Freunde und die Umgebung aus meiner Vergangenheit. Das Heimweh ist immer da. Doch ich fühle mich in der Schweiz angekommen.»
Dolmetschdienst Zentralschweiz
Die optimale Verständigung zwischen der Migrationsbevölkerung und Fachpersonen ist der Schlüssel zu einer gelungenen Integration. Der Dolmetschdienst Zentralschweiz vermittelt deshalb im Auftrag der Zentralschweizer Kantone qualifizierte interkulturell Dolmetschende und Vermittelnde an Institutionen, Firmen und Privatpersonen. Die interkulturell Dolmetschenden und Vermittelnden arbeiten vorwiegend im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich und dolmetschen und vermitteln in über 50 verschiedenen Sprachen, u. a. in Arabisch, Farsi, Pashto, Tigrinya, Dari, Somali, Swahili und Kurdisch.
Weiterführende Informationen: www.dolmetschdienst.ch