Nachbarn 2/2011

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Nachbarn

NR. 2/2011

Finanzpolitik: Sparen bei den Schw채chsten

Schulden Wenn gar nichts mehr geht

Wir helfen Menschen.


Inhalt

Editorial

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Thomas Thali

Schulden «Wer zu uns kommt, steht unter enormem Druck»

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Projekte, die sparen helfen 12 Wie die Caritas Luzern Betroffene im Alltag unterstützt. Sparen bei den Schwächsten

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Sozialhilfe: kaum Spielraum

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Wie es sich mit Sozialhilfe lebt. Nachgefragt 16 Bei Thomas Stalder, Arbeitsintegration Caritas Luzern in Sursee. Nutzen und Mehrwert der 17 Naturalspende Spenderinnenporträt der Logicare AG. Die Klientinnen und Klienten der Schuldenberatung haben oft nicht nur finanziell den Boden unter den Füssen verloren.

8 Frühzeitige Hilfe bei Schulden Neue Informations- und Beratungsangebote der Caritas zielen darauf ab, die von Verschuldung bedrohten Menschen frühzeitig zu erreichen und zu unterstützen.

Caritas Luzern Fussballticket liegt nicht drin Was es heisst, mit Schulden zu leben.

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Persönlich

Caritas-Netz «incluso» Als freiwillige Mentorin begleitet Desirée Natter eine junge Migrantin bei der Lehrstellensuche.

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News aus dem Caritas-Netz

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Veranstaltungen, Kurse

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Gedankenstrich

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Von Tanja Kummer.

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Schwester Anna Affolter, Generalrätin der Ingenbohler Schwestern.

Titelbild: Andreas Schwaiger (Symbolbild)


Editorial

Die Verlockungen und der Alltag Liebe Leserin, lieber Leser Können Sie mit Geld umgehen? Waren Sie nicht schon mal in Versuchung, sich einen grossen Flachbildschirm-Fernseher zu leisten – Sie nehmen ihn heute nach Hause und bezahlen im nächsten Jahr? Kam Ihnen auch schon mal die Idee, eine Steuerzahlung ausfallen zu lassen und dafür eine Reise in ein fernes Land zu buchen? Die Verlockungen sind gross heutzutage und Schulden machen wird einem leicht gemacht. «Selber schuld», finden dann viele – wer in die Schuldenfalle tappt, kann sich auch selbst helfen.

Thomas Thali Geschäftsleiter Caritas Luzern

«Für viele Menschen ist das Budget zu schmal!»

Dabei ist es auch nicht förderlich, dass die öffentliche Hand die Aufwendungen zur sozialen und beruflichen Integration L’organisation XYdie est certifi immer stärker kürzt und damit auch Caritas Luzern ist seit par ZEWOschmälert. depuis 19XX. Doch es sind nicht bloss die KonsumChance für den Wiedereinstieg 2004 ZEWO-zertifiziert. kredite, die zur Verschuldung führen. Bei Gespart wird hier bei den sozial Schwächsder Caritas erleben wir immer wieder, wie ten, für die ein Leben in Selbstverantworviele Menschen im Alltag mit ihren finan- tung in immer weitere Ferne rückt. ziellen Verpflichtungen nicht klarkommen, Damit sie alle die Hoffnung nicht verweil das Budget zu schmal ist. Sie verschie- lieren, dafür ist die Caritas Luzern da. Mit ben eine Zahlung um die andere. der Sozial- und Schuldenberatung und mit Oft reichen dann ein teurer Zahnarzt- ihren Angeboten. Wir danken Ihnen, wenn besuch, eine überraschende Rechnung oder Sie uns unterstützen. erhöhte Lebenskosten nach einer Trennung – und schon beginnt sich die Schuldenspirale endgültig zu drehen.

Impressum «Nachbarn», das Magazin der regionalen Caritas-Stellen, erscheint zweimal jährlich. Gesamtauflage: 51 600 Ex. Auflage LU: 11 000 Ex.

Caritas Luzern ist seit 2004 ZEWO-zertifiziert.

Redaktion: Urs Odermatt (Caritas Luzern); Ariel Leuenberger (national) Gestaltung und Produktion: Daniela Mathis, Urs Odermatt Druck: Stämpfli Publikationen AG, Bern Caritas Luzern | Morgartenstrasse 19 | 6002 Luzern | Tel. 041 368 52 00 www.caritas-luzern.ch | PC 60-4141-0

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L’organisation XY est certifiée par ZEWO depuis 19XX.

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Schulden

Wer zu uns kommt, steht unter enormem Druck Geldprobleme kommen selten allein. Unsere Schuldenberaterinnen und -berater erfahren immer wieder, wie eng verknüpft finanzielle Sorgen und psychisches Leiden sein können. Denn wer bei ihnen Rat sucht, hat oft nicht nur finanziell den Boden unter den Füssen verloren. Schuldenberatung ist häufig auch Lebensberatung. «Je früher man sich Hilfe holt, desto besser.» Diese Botschaft gehöre unbedingt in den Artikel hinein, in dem ihre Geschichte erzählt werde, sagt Eva Martin. Denn das

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sei der wichtigste Tipp, den man Leuten mit Geldsorgen geben könne. Sie selber hatte jahrelang versucht, ohne fremde Hilfe einen Ausweg zu finden. Bis sie eines Ta-

ges dann mit zwei prallvollen Tragtaschen bei der Schuldenberatung der Caritas auftauchte. Sie enthielten die gesammelten Rechnungen der letzten 24 Monate. Eva Martin trägt in Wirklichkeit einen anderen Namen. Sie ist verheiratet, hat eine vierjährige Tochter und lebt am Rande einer Stadt. Grosse Überbauungen und breite Ausfallstrassen wechseln sich ab mit zweistöckigen Wohnblocks und Reihenhäusern, die aus einer Zeit stammen, als es hier noch viel Grün gab. Wer aufs Geld achten muss, findet in dieser Gegend eine bezahlbare


Wohnung. Oder kann, wie Eva Martin und ihr Partner es taten, eines der alten Reihenhäuschen samt Garten kaufen.

dass jemand sie mir gleich sackweise bringt, hatte ich noch nie erlebt. Ich brauchte zwei Tage, um die Unterlagen nach Gläubigern

«Miete, Strom und Krankenkasse haben höchste Priorität.» Viele Wege führen zur Überschuldung Schuldenberater David Sidler, der Eva Martins Tragtaschen in Empfang nahm, ist sich gewohnt, dass Ratsuchende mit einem Stapel Rechnungen bei ihm auftauchen. «Aber

zu sortieren.» In seiner Arbeit begegnet David Sidler den verschiedensten Menschen. Es gebe Leute, die einfach jeden Monat ein bisschen zu viel ausgeben und so fast unmerklich langsam in eine Überschuldung hi-

neinrutschen. «Wenn ich dann mit ihnen zusammen eine Aufstellung ihrer Ausgaben mache, staunen sie, wie viel Geld sie ausgeben.» Andere setzen die finanziellen Prioritäten falsch, sie zahlen zum Beispiel Leasingraten ab, sind aber mit den Krankenkassenprämien im Rückstand. «Von mir erfahren sie dann, dass Miete, Strom und Krankenkasse höchste Priorität haben.» Nochmals andere sitzen bei David Sidler am Besprechungstisch und erzählen eine Geschichte, aus der rasch klar wird, dass sie 2/11 Nachbarn Caritas

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Schulden

Als sich Eva Martins Depression zuspitzte, verlor sie den Überblick über die Gläubiger und suchte Hilfe bei der Caritas.

mitten in einer Lebenskrise stecken. «Zum Teil sind es Übergänge – der Wechsel von der Lehre in den Beruf, das Gründen einer Familie –, welche die Leute finanziell aus dem Takt geraten lassen.» Am Anfang einer Überschuldung können auch einschneidende Erlebnisse wie der Verlust des Jobs oder eine Trennung stehen. Und manchmal lässt sich kaum mehr eruieren, was zuerst da war: die psychischen Probleme oder die finanziellen Schwierigkeiten. Mit Schulden jonglieren Wenn Eva Martin schildert, weshalb sie eines Tages begann, eintrudelnde Rechnungen am Briefkasten abzufangen und unbezahlt vor dem Partner zu verstecken, wird rasch klar, dass viele verschiedene Dinge zusammenkamen. Da war der Wunsch, dem Partner trotz dessen wegen Kurzarbeit reduzierten Einkommens weiterhin den gewohnten Lebensstandard zu bieten. «Ich fand es zum Beispiel wich-

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tig, dass jeden Tag gesundes Essen auf den Tisch kam. Wir sollten es doch gut haben im Leben!» Da war die Angst, den Partner mit den zunehmenden Geldproblemen zu belasten; schliesslich hatte der Hausarzt

bendiges Kind und das tat mir gut. Ich fühlte mich wohl.» Weil in derselben Zeit eine Versicherung eine grössere Summe auszahlte, konnte sie zudem sämtliche Schulden begleichen.

«Schuldenberatung ist häufig auch Lebensberatung.» gesagt, man müsse ihn wegen gesundheitlicher Schwierigkeiten schonen. Und da war die depressive Verstimmung, in die sie nach mehreren Aborten geraten war. Dass sie ihre Sorgen in Alkohol zu ertränken begann, machte die Situation nicht besser. Dennoch gelang es ihr, mit den Schulden so weit zu jonglieren, dass sie Betreibungen vermeiden konnte. «Ich hatte sämtliche Gläubiger und offenen Beträge genau im Kopf und konnte immer irgendwie Deals aushandeln.» Als ihre Tochter zur Welt kam, begann es ihr besser zu gehen. «Sie ist ein sehr le-

Was zuerst wie ein Happyend aussah, stellte sich allerdings als kurzes Glück heraus – als sie erneut schwanger wurde und das Kind in den ersten Schwangerschaftsmonaten verlor, begann es Eva Martin wieder schlecht zu gehen. Sie fiel zurück ins alte Muster, sie versteckte Rechnungen, sie trank. Der Gedanke an ihre kleine Tochter hielt sie davon ab, sich das Leben zu nehmen, es folgten Termine beim Psychiater und schliesslich die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen konnte. Denn als Eva Martins Depression sich zuspitzte, löste sich in ihrem Kopf die Liste der Gläubi-


ger auf, der Überblick war weg, ihr inneres «Finanzsystem» war zusammengebrochen. Sie begann Hilfe zu suchen und fand sie schliesslich bei der Caritas. Freiwillige Beratung unter Hochdruck Wenn Schuldenberater David Sidler von Eva Martin berichtet, schwingt in seiner Stimme Hochachtung mit. Dass sie über so lange Zeit Pfändungen verhindern konnte, dass nie der Strom oder das Telefon abgestellt wurden, findet er eine unglaubliche Leistung. «Sie hat wahnsinnig viel Energie ins Verhandeln mit den Gläubigern gesteckt. Die Kehrseite der Medaille: Ihr fehlte die Energie, gut zu sich selber zu schauen.» Eva Martin ist bei Weitem nicht die Einzige, die erst dann an die Caritas gelangte, als gar nichts mehr ging. David Sidler: «Unsere Beratung ist freiwillig, aber wer zu uns kommt, steht in der Regel unter enormem Druck.» Die Ausweisung aus der Wohnung steht unmittelbar bevor, die Krankenkasse übernimmt die hohen Arztkosten nicht mehr, die Ehe droht zu scheitern. Denn wie bei Eva Martin belasten die Schulden bei vielen die Beziehung zum Partner, zur Partnerin. David Sidler: «Schuldenberatung ist auch Lebensberatung.» Häufig sei es aber so, dass seine Vorschläge zur Schuldenbe-

wältigung das Gefühl der Bedrängnis bereits ein Stück weit lindern können. Gemeinsamer Neuanfang Eva Martin reagierte anders. Als der Druck, unter dem sie so lange gestanden hatte, nach Beginn der Schuldenberatung zu weichen begann, erlitt sie einen Nervenzusammenbruch und verbrachte ein paar Tage in einer psychiatrischen Klinik. Unterdessen sehen die Dinge aber besser aus: Eva Martin besucht regelmässig eine Psychologin, zu der sie einen guten Draht hat. Und David Sidler konnte erreichen, dass die Bank die auf dem Häuschen lastende Hypothek so weit erhöht, dass damit die offenen Rechnungen beglichen werden können. Und weil Eva Martins Partner während ihres Klinikaufenthalts zum ersten Mal seit Jahren selber die Post aus dem Briefkasten nahm und angesichts der Mahnungen realisierte, wie es finanziell steht, kann er sich nun an der Problemlösung beteiligen. Der nächste Schritt ist eine gemeinsame Budgetberatung bei David Sidler.

David Sidler ist sich gewohnt, dass Ratsuchende mit einem Stapel Papier bei ihm auftauchen.

Kommentar Bruno Crestani, Betreibungsbeamter und Stadtammann im Zürcher Kreis 4

Ist die Geschichte von Eva Martin typisch? Der typische Schuldner ist männlich und geschieden. Frauen haben häufig das Sorgerecht für die Kinder und daher eher noch einen Antrieb und Perspektiven. Männer wohnen vielleicht in einem kleinen Zimmerchen mit Gemeinschaftsdusche, haben nichts mehr und lassen sich daher eher gehen. Dann kommen oft noch Suchtverhalten und Probleme am Arbeitsplatz dazu – und schon sind sie in der Schuldenspirale. Aber auch die Geschichte von Eva Martin enthält Elemente, die sehr charakteristisch sind. Zum Beispiel der erste Satz – den wiederhole ich auch immer: Meldet euch früh genug, denn wenn die Schulden zu gross werden, kann euch niemand mehr helfen.

Gibt es einen Unterschied zwischen Jung und Alt? Schulden sind schon eher ein Problem der Jüngeren. Wir können nachweisen, dass die Probleme anfangen, wenn die jungen Menschen zu Hause ausziehen. Solange sie noch bei den Eltern sind, helfen diese aus: Rund 30 Prozent der Jungen sind bei den eigenen Eltern verschuldet. Meine Mutter ist nun über 80. Sie hätte lieber aufs Essen verzichtet, als eine offene Rechnung nicht zu bezahlen. Diese Haltung war früher gang und gäbe, doch heute ist die Mentalität eine andere.

Wieso braucht es die Schuldenberatung der Caritas? Die anderen Fachstellen nehmen häufig nur Leute auf, bei denen sie Sanierungsmöglichkeiten sehen. Auch beim Sozialamt wird niemandem geholfen, der nicht ein Anrecht auf Fürsorge hat. Niemand kümmert sich um die Menschen, die mit Schulden leben müssen – ausser die Caritas. Es ist weniger Schuldenberatung, sondern eher Schuldnerberatung. Ich finde das ganz wichtig.

Text: Ursula Binggeli; Bilder: Andreas Schwaiger (Symbolbilder), zvg

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Hintergrund: Schulden

Frühzeitige Hilfe bei Schulden Das Schuldenmachen ist heute bei Privatpersonen sehr verbreitet. Je nach Alter stehen dabei unterschiedliche Schuldenarten im Mittelpunkt. Häufig erfolgt die Verschuldung bei den Übergängen im Lebenslauf. Neue Informations- und Beratungsangebote der Caritas zielen darauf ab, die von Verschuldung bedrohten Menschen bereits bei diesen Übergängen zu erreichen und zu unterstützen.

Wer heute einkaufen geht, benötigt kein Bargeld mehr und kann mit einer Kreditund Kundenkarte auch bezahlen, wenn das Bankkonto im Minus ist. Das Einkaufsverhalten wird damit immer weniger von der finanziellen Situation bestimmt, sondern mehr und mehr von Wünschen und Träumen. Doch nicht nur das Einkaufsverhalten, sondern auch das Zahlungsverhalten hat sich gewandelt. Während es früher üblich war, die Rechnung auf einmal zu begleichen, ist heute das Abstottern der Rech-

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nungen weit verbreitet. Möglich gemacht wird dies durch ein wachsendes Angebot an Kunden- und Kreditkarten mit Teilzahlungsoptionen. Viele Konsumentinnen und Konsumenten besitzen heute eine ansehnliche Zahl dieser Karten, kommen sie doch bei deren Besitz in Genuss von Vorteilen wie Rabatt-Prozenten auf Einkäufen, Spezialangeboten oder Geburtstagsgeschenken. Wer bei all diesen Karten von der Teilzahlungsoption Gebrauch macht, verschuldet sich schnell in beachtlicher Höhe, sieht sich

mit hohen Zinskosten konfrontiert und läuft Gefahr, die Übersicht über die Finanzen zu verlieren. Junge besonders gefährdet Junge Erwachsene am Übergang zwischen Berufsausbildung und Arbeit sind besonders gefährdet, sich über Kunden- und Kreditkarten zu verschulden, denn sie übernehmen sich in dieser Phase nicht selten finanziell durch die Ausgaben für eine eigene Wohnung, ein geleastes Auto und


Caritas: die wichtigste Anbieterin in der Schuldenberatung

häufigen Ausgang. Über die Website www. caritas-schuldenberatung.ch und Lehrlingsverantwortliche wird Caritas junge Erwachsene ab Ende 2011 mit jugendgerechten Informationen zum Umgang mit Geld und Schulden bedienen. Vor der Familiengründung überlegen sich nicht wenige Ehepaare einen Wechsel in eine grössere Wohnung. Fehlt das Geld für die Finanzierung des Umzugs und die Einrichtung des Kinderzimmers, ist die Aufnahme eines Konsumkredits rasch ein Thema. Solchen Ehepaaren bietet Caritas mit der anonymen und kostenlosen Beratungshotline «SOS Schulden» an, sie über die Risiken einer Kreditaufnahme zu informieren und bei Bedarf eine weitergehende Beratung zu vermitteln. Telefonberatung als Prävention Nach der Familiengründung können durch das reduzierte Einkommen und die erhöhten Ausgaben, Steuerschulden und Krankenkassenausstände entstehen. Die Fachpersonen der Beratungshotline «SOS Schulden» zeigen den betroffenen Familien in solchen Situationen mögliche Wege der Problemlösung auf. Mit der Pensionierung ist eine grosse Einkommenseinbusse verbunden, die zu einem finanziellen Engpass und insbesondere Steuerschulden führen kann. Über die Beratungshotline «SOS Schulden» wird diesen Menschen eine geeignete Beratungsstelle für die Prüfung eines Steuererlasses oder finanzieller Hilfe vermittelt. Diese neuen Hilfsangebote an den Übergängen im Lebenslauf sollen dazu beitragen, Verschuldete oder von Verschuldung Bedrohte zu unterstützen, bevor sie in ernsthafte Schuldenprobleme geraten. Sie sind deshalb als Prävention zu verstehen.

Texte: Jürg Gschwend; Illustration & Grafik: Tom Künzli

Häufigkeit der Schuldenart bei den beratenen Haushalten

An elf Orten führen die regionalen Caritasstellen eine Schuldenberatung. Damit ist Caritas schweizweit der wichtigste Anbieter in diesem Bereich. Gemäss dem Bundesamt für Statistik lebten im Jahr 2008 insgesamt 570 000 Personen mit erheblichen Kontoüberzügen oder Zahlungsrückständen in der Schweiz. Bei den Personen, die sich an die Schuldenberatung wenden, handelt es sich in 60 Prozent der Fälle um alleinstehende Personen oder Alleinerziehende. Die Mehrheit der Ratsuchenden ist zwischen 31 und 50 Jahre alt. Am häufigsten sind sie von Steuer-, Krankenkassen- und Konsumkreditschulden betroffen. Betragsmässig fallen dabei die Steuern- und Konsumkreditschulden am höchsten aus. Die Ratsuchenden wenden sich in der Regel erst nach einer jahrelangen Leidensgeschichte an die Schuldenberatung. Mit der neuen Internetseite www. caritas-schuldenberatung.ch und der anonymen, kostenlose Beratungs-Hotline «SOS Schulden» sollen Menschen mit Schuldenproblemen früher erreicht werden können.

Denn je früher die Betroffenen Hilfe aufsuchen, desto besser kann ihnen geholfen werden. Beratungs-Hotline «SOS Schulden» 0800 708 708 (gratis) Montag bis Donnerstag, 10–13 Uhr www.caritas-schuldenberatung.ch

Fachtagung zum Thema Am Mittwoch, 23. November 2011 veranstalten die Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, die Caritas Schweiz und die SKOS in Basel eine Fachtagung zum Thema Schulden und Schuldenprävention. Die Veranstaltung ist dem Thema «Armutsbekämpfung mit Schuldenberatung» gewidmet. Anmeldung und Information unter www.forum-schulden.ch

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Caritas Luzern

Fussballticket liegt nicht drin Früher jonglierte er mit Millionen, heute muss er sehr bescheiden leben: Simon Sonderegger* hat viel verloren und Schulden gemacht. Jetzt sieht er langsam wieder über den Berg.

Schulden: Wenn selbst der Besuch eines Fussballspiels den finanziellen Rahmen sprengt.

Der freundliche ältere Herr, den wir zum Kaffee treffen, blickt auf zwei turbulente Jahre zurück. Er war Unternehmer und machte gute Geschäfte. Bis sich die Probleme häuften – auch aufgrund seiner Naivität, wie Sonderegger anmerkt. Bei einer Betriebsübernahme sei er von dubiosen Investoren «über den Tisch gezogen worden». Einer sei jetzt vor Gericht, der habe auch in andern Kantonen betrogen. «Ich aber musste den Konkurs anmelden. Dann ging alles bachab.»

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Moralische Hilfe Schon früher hatte Simon Sonderegger einen Konkurs gemacht. Jetzt häuften sich die Schulden. «Ich hatte keinen Überblick mehr. Es ist auf mich reingeprasselt. Jeder wollte Geld. Ich zahlte, was ich konnte.» Einer seiner Söhne habe ihn eine Zeitlang unterstützt, bis er sich eines Tages zurückzog. «Es gab Monate, in denen ich mit 30 Franken auskommen musste.» Da sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als bei Kollegen anzuklopfen und hier mal 100 Franken und dort mal 200 Franken auszuleihen.

Da er sein Unternehmen als GmbH formiert hatte, konnte er sich beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) anmelden und Stempelgelder beziehen. Davon geht nun jeden Monat ein fixer Betrag von mehreren 100 Franken als Dauerauftrag auf ein Konto, das von der Caritas Luzern verwaltet wird. Damit werden nach und nach seine privaten Schulden bezahlt. Der Berater habe sich sehr für ihn eingesetzt und auch mit den Gläubigern Gespräche geführt. «Ich bin froh, dass ich mit der Schuldenberatung Kontakt aufgenom* Name von der Redaktion geändert


men habe. Sie hat mich vor allem auch moralisch unterstützt und wieder eine Ordnung in mein Leben gebracht.» Selbstmordgedanken In den ersten Monaten nach dem Zusammenbruch seines Unternehmens und den Begehren der Gläubiger habe er es fast nicht mehr ausgehalten. «Schulden können einen Menschen ins Elend treiben. Ich habe sogar

Mit punktuellen Gelegenheitsarbeiten, die als Zwischenverdienste angerechnet werden, hält sich Sonderegger auch psychisch einigermassen stabil. «Das sind immer Aufsteller, wenn ich etwas helfen und verdienen kann.» Umgekehrt muss er aufgrund des minimalen Einkommens sein Leben stark einschränken. Sonderegger ist froh, dass er im Caritas-Markt günstig einkaufen kann.

«Ich hatte keinen Überblick mehr. Es ist auf mich reingeprasselt. Jeder wollte Geld.» an Selbstmord gedacht, wollte mich unter den Zug werfen.» Der Arzt habe ihm dann geraten, unter die Leute zu gehen, um eine anhaltende Depression zu vermeiden. «Das habe ich dann versucht. Ich habe viele Kollegen. Bei einigen habe ich im Gastgewerbe mitgeholfen, diese und jene Beschäftigung gemacht. Das tat mir gut.»

«Ich habe zum Leben 430 Franken im Monat zur Verfügung. Da kann ich keine grossen Sprünge machen.» Ferien liegen nicht mehr drin, auf ein Auto muss er verzichten, Luxusartikel sind gestrichen. Wenn er ausgehen wolle, müssten ihn die Kollegen einladen. Früher sei er ein grosser FC-Luzern-Fan gewesen, habe die Leute ge-

kannt, sei an jeden Match gegangen. «Das Schlimmste ist, dass ich mir nicht mal mehr ein Fussballticket leisten kann. Dann merkst du, dass du in einem andern Film gelandet bist.» Happyend? Der Streifen dürfte doch noch ein Happyend haben. Langsam sehe er über den Berg, sagt Sonderegger. «Ich habe jetzt noch Restschulden von 2500 Franken. In einem halben Jahr werde ich pensioniert.» Bis dahin kann er noch Arbeitslosengelder beziehen. Er hofft, dass er zusätzlich zur Rente auch noch Ergänzungsleistungen bekommt. «Dann kann ich wieder einigermassen gut leben. Darauf freue ich mich.» Machen Sie den Test Unser Online-Test zeigt Ihnen, wo mögliche finanzielle Gefahren und Probleme lauern und vermittelt Ihnen Tipps zur Verbesserung Ihrer Situation. www.caritas-schuldenberatung.ch/ schuldentest

Schuldenberatung Caritas Luzern

Ihre Spende zählt!

Die Schuldenberatung der Caritas Luzern bietet überschuldeten Privatpersonen und Familien einen Überblick über die Möglichkeiten im Umgang mit Schulden. Die Beratung steht Personen mit Wohnsitz in den Kantonen Luzern, Ob- und Nidwalden zur Verfügung, ohne Rücksicht auf Konfession, Zivilstand oder Nationalität.

Der Aufwand für eine ausführliche Budget- und Schuldenberatung kann eine Stunde bis mehrere Tage in Anspruch nehmen.

Kontakt Caritas Luzern Schuldenberatung Morgartenstrasse 19 6002 Luzern

Beratungs-Hotline – 0800 708 708 anonym und kostenlos Mo – Do: 10 – 13 Uhr

Tel. 041 368 51 00 Fax 041 368 51 01

www.caritas-luzern.ch/schuldenberatung

schuldenberatung@caritas-luzern.ch

Unterstützen Sie die Caritas Luzern mit einer Spende, um verschuldeten oder armutsbetroffenen Menschen eine kostenlose Beratung zu ermöglichen.

PC 60–4141–0 Herzlichen Dank!

Weitere nützliche Informationen rund um die Themen Budget und Schulden oder Tipps zum Umgang mit Geld finden Sie auf www.caritas-schuldenberatung.ch oder in der Broschüre «Finanzielle Probleme – Wohin wende ich mich? Informationen für den Kanton Luzern» (siehe Hinweis auf Seite 22).

Text: Pirmin Bossart; Bild: Gerry Schmit

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Caritas Luzern

Projekte, die sparen helfen Schulden führen oft zu noch mehr Schulden. Die Caritas Luzern hilft dabei, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, indem sie die verschuldeten Personen berät und begleitet. Zusätzliche Angebote ermöglichen den Betroffenen, ein schuldenfreies Leben zu erreichen.

Schulden können einsam machen. Die Angebote der Caritas Luzern schaffen Perspektiven.

Kein Mensch ist davor gefeit, finanzielle Probleme zu bekommen und im Leben einmal in eine Situation zu geraten, in der er Rechnungen nicht mehr zahlen kann. Die Gründe sind so vielfältig wie die Menschen, die es trifft: Schicksalsschläge, Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Scheidung, kinderreiche Familie. Schuldenberatung In der Schuldenberatung wird als Erstes geklärt, wo die akutesten Probleme sind. Das heisst: Ordnung in die Papiere und Rech-

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nungen bringen, sich einen Überblick über Einnahmen und Schulden verschaffen, individuelles Budget erstellen. Grenzen und Möglichkeiten verschiedener Sanierungsmethoden werden aufgezeigt und gemeinsam diskutiert. Manchmal reicht eine spezifische und punktuelle Unterstützung der Betroffenen, verbunden mit einem konkreten Budget, um aus der Schuldenfalle rauszufinden. Die komplexeren Fälle bedürfen indes einer langen Begleitung. Sind die Voraussetzungen gegeben, führt die Caritas

Luzern mit der betroffenen Person anschliessend an die Beratung eine Schuldensanierung durch. Diese Beratung und Begleitung soll den Betroffenen Hilfe bieten, damit sie sich selber helfen und wieder auf die Beine kommen können. Dabei werden keine Schulden durch die Caritas Luzern übernommen. Oft vermittelt die Caritas Luzern aber in schwierigeren Fällen zwischen den Parteien. Dies geschieht im Auftrag der Klientin oder des Klienten, ansonsten sind sämtliche Informationen vertraulich, die Schuldenberaterinnen und


-berater unterliegen der Schweigepflicht. Als vermittelnde Instanz informiert die Schuldenberaterin, der Schuldenberater Gläubiger und Behörden über die Situation und die geplanten Schritte der Schuldensanierung. Die Fachpersonen der Schuldenberatung klären überdies rechtliche Fragen im Zusammenhang mit den Schulden ab. Ein weiterer Schwerpunkt liegt darin, den Klienten aufzuzeigen, wie man eine Neuverschuldung verhindern und den Teufelskreis durchbrechen kann. Unterstützung im Alltag Eine Schuldensanierung bedingt eine langfristige Planung und Begleitung und einen langen Atem. Und – es braucht Perspektiven. Insbesondere wenn eine Sanierung Monate oder gar Jahre dauert; dann ist es

«Eine Schuldensanierung braucht Perspektiven und einen langen Atem.» wichtig, in der Beratung zu thematisieren, wie ein Leben mit Schulden und mit einem Budget, das oft wenig Spielraum lässt, konkret aussieht. Und welche Sparmöglichkeiten, Vergünstigungen und Hilfen es zur Unterstützung im Alltag gibt, die unter anderem von der Caritas Luzern angeboten werden. Caritas-Markt Beispielsweise die Produkte des täglichen Bedarfs zu tiefen Preisen in den CaritasMärkten: Privatpersonen oder Familien, die aufgrund Überschuldung am (betreibungsrechtlichen) Existenzminimum leben, sind berechtigt, in diesem Lebensmittelladen einzukaufen. Derzeit gibt es 22 Caritas-Märkte in der Schweiz, unter Text: Daniela Mathis; Bild: Urs Siegenthaler

anderem einen in Luzern, in Sursee sowie in Baar. www.caritas-luzern.ch/markt www.caritas-markt.ch KulturLegi Zentralschweiz Mit dem gleichen Ausweis wie für den Caritas-Markt – der KulturLegi Zentralschweiz – können sich armutsbetroffene Menschen vergünstigte Angebote leisten, vom Kinobesuch über eine Weiterbildung in der Migros-Klubschule, von der sportlichen Freizeitaktivität mit den Kindern wie einem Besuch im Hallenbad bis hin zu einem Familienausflug mit dem Schiff. Die KulturLegi ermöglicht es auch Menschen mit kleinem Budget, am Leben teilzuhaben. www.kulturlegi.ch/zentralschweiz

Sozialberatung Die Schuldenberatung wird ergänzt durch die Sozialberatung der Caritas Luzern. Sie informiert und unterstützt Einzelpersonen und Familien bei sozialen und finanziellen Fragen. Bei einer Notlage bietet sie individuelle Hilfe an. www.caritas-luzern.ch/sozialberatung www.caritas-luzern.ch/schuldenberatung Weitere Informationen für den Kanton Luzern, einen Budgetplan und viele nützliche Adressen finden Sie zudem in der Broschüre «Finanzielle Probleme – Wohin wende ich mich?» der Caritas Luzern (siehe Hinweis auf Seite 22).

Caritas Laden Günstige Angebote bietet auch der Laden von Caritas Wohnen, ob in Luzern, Sursee oder Hochdorf. Diese führen Kinderspielzeuge, Kleider, Möbel, Fahrräder oder Bücher und vieles mehr in ihrem Sortiment. Die Secondhand-Läden stehen allen Interessierten offen. www.caritas-luzern.ch/hilfe Beschäftigungsprogramme Ist eine verschuldete Person zudem arbeitslos, unterstützen die Beschäftigungsprogramme der Caritas Luzern die Erwerbslosen bei ihren Anstrengungen, wieder eine Stelle zu finden. Die Programme richten sich an versicherte Arbeitslose sowie an Ausgesteuerte. www.caritas-luzern.ch/arbeit

Helfen Sie mit! Unterstützen Sie die Caritas Luzern und unsere Angebote mit beiliegendem Einzahlungsschein oder mit einer Projektpatenschaft. Herzlichen Dank! Spendenkonto PC 60–4141–0 www.caritas-luzern.ch/ projektpatenschaften

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Caritas Luzern

Sparen bei den Schwächsten Die Verschiebung der Aufgaben vom Bund zu den Kantonen und zu den Gemeinden bringt diese in finanzielle Nöte.

Nachbarn: Thomas Thali, man spricht zwar öfter vom Missbrauch bei der Sozialhilfe, aber kaum davon, dass die Rahmenbedingungen für finanziell schlechter gestellte Menschen enger geworden sind und noch werden. Was läuft da konkret im Kanton Luzern? Thomas Thali, Geschäftsleiter der Caritas Luzern: Im Nachgang zur Finanz- und Wirtschaftskrise steigt die Zahl der Menschen, die in finanzielle Not geraten und darum bei den Sozialämtern der Gemeinden anklopfen müssen. Dies führt zu einem Ansteigen der Sozialkosten für die Gemeinden. Zur gleichen Zeit sind nun aber die Gemeinden in finanzielle Probleme geraten. Wie ist es zu dieser Situation in den Gemeinden gekommen? Seit Jahren werden Aufgaben vom Bund zu den Kantonen und von den Kantonen zu den Gemeinden verschoben. Jüngstes Beispiel ist die Pflegefinanzierung, die den Gemeinden viel mehr Neukosten verursacht hat, als sie vorausgesehen haben. Ebenso entscheidend ist aber auch die Steuerpolitik. Die Gemeinden haben im Standortwettbewerb laufend die Steuern gesenkt und sind nun nicht mehr in der Lage, ihre Aufgaben wahrzunehmen. Und was heisst das nun für die Sozialhilfe? Die Gemeinden müssen mehr für die Sozialhilfe aufwenden, wollen aber ihre Sozialausgaben nicht steigern oder sogar noch senken. So sparen sie dort, wo sie können. Das sind Ausgaben zur sozialen und beruflichen Integration. Wir müssen feststellen, dass die Gemeinden, auch im Luzerner Agglomerationsgürtel, ihre Gelder in diesem Bereich kürzen oder sogar ganz streichen.

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Was könnte denn anders sein oder anders werden? – Was braucht es für die Zukunft? Grundsätzlich müssen die Gelder, die zur sozialen und beruflichen Integration zur Verfügung stehen, wieder aufgestockt werden. Jeder Franken, der dort eingesetzt wird, ist eine Investition in die Zukunft. Darüber hinaus muss aber auch die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Beteiligten (Regionale Arbeitsvermittlungsstellen, Sozialämter, IV) verbessert werden. Der Bund hat diesem Bestreben, das unter dem Stichwort «Interinstitutionelle Zusammenarbeit» läuft, grosses Gewicht gegeben. Allerdings ist in der Umsetzung noch nicht viel geschehen. Was bedeuten diese Massnahmen für die Betroffenen konkret? Menschen, die erwerbslos sind, können nicht mehr in Berufsintegrationsprogramme einsteigen. Das heisst, sie erhalten nur noch die ihnen wirtschaftlich zustehende Sozialhilfe. Die Chance zum beruflichen Wiedereinstieg sinkt damit gegen null. Welche Auswirkungen hat da die in diesem Jahr umgesetzte Revision der Arbeitslosenversicherung? Für viele hat sich die mögliche Bezugsdauer von Arbeitslosengeldern verkürzt und damit auch die Zeit, an Arbeitsintegrationsprogrammen teilzunehmen. Das heisst, auch dort wurden Gelder für Massnahmen zur Arbeitsintegration gekürzt. Wer einmal im persönlichen Umfeld oder sogar selbst erlebt hat, wie schnell diese Zeit vorbei geht, und wie schnell jemand dann ausgesteuert wird, der kann nicht nachvollziehen, dass nachher in der Sozialhilfe nicht vermehrt etwas für die Arbeitsintegration getan wird.

Aber ist Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt wirklich immer sinnvoll? Es gibt doch auch viele Menschen, die gar nicht mehr in der Lage sind, in den ersten Arbeitsmarkt integriert zu werden. Es ist tatsächlich so, dass es Menschen gibt, die von ihrer physischen und psychischen Situation her nicht mehr in der Lage sind, den heutigen Anforderungen im Berufsleben dauernd zu genügen. Für diese Menschen braucht es Berufsintegrationsprogramme zur Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt nicht. Die hoffnungslosen Fälle lässt man liegen? Nein, natürlich nicht. Auch diese Menschen brauchen Halt in ihrem Alltag. Sie brauchen Schritte zur Integration in die Gesellschaft. Am Sinnvollsten ist es, wenn sie einen Arbeitsplatz haben, der ihren Möglichkeiten Rechnung trägt. Solche Arbeitsplätze müssen aber vom Gemeinwesen teilfinanziert werden – und damit sind wir wieder beim lieben Geld …

Interview: Urs Odermatt; Bild: Priska Ketterer


Sozialhilfe: kaum Spielraum Gut 230 000 Personen beziehen Sozialhilfe in der Schweiz, knapp 8000 im Kanton Luzern* – mehrheitlich Alleinerziehende, ausgesteuerte Arbeitslose oder Working Poor. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt bestimmt hauptsächlich die Zahl der Sozialhilfebezüger. Und ihre wirtschaftliche Situation. Wie lebt es sich mit Sozialhilfe?

Einkauf im Lebensmittelladen: Schlemmen liegt nicht drin. 977 Franken Sozialhilfe pro Monat für Einzelpersonen, 2090 Franken für einen VierPersonen-Haushalt, das sind für den Kanton Luzern die offiziellen Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). Definitiv festgelegt wird der Betrag durch die kantonale Sozialhilfebehörde. Sozialhilfe ist das letzte Auffangnetz und ist dazu da, die Existenz zu sichern. Sie kann in Anspruch genommen werden, wenn alle übrigen Versicherungsleistungen (AHV, IV, ALV, Taggelder usw.) sowie andere Rechtsansprüche (wie Alimente) ausgeschöpft sind, das Einkommen trotzdem nicht reicht und Verwandte ebenfalls keine Unterstützung leisten können. Zudem darf die betroffene Person nicht mehr als 4000 Franken Vermögen besitzen. Was darüber liegt, muss erst aufgebraucht werden. Die 977 Franken sollen den Grundbedarf für den Lebensunterhalt sicherstellen wie Nahrungsmittel, Bekleidung, GesundText: Daniela Mathis; Bild: Silvia Voser

heits- und Körperpflege oder Verkehrsausgaben, Strom und Telefon. Die Wohnungsmiete – im ortsüblichen Rahmen – hingegen und die Grundversicherung in der Krankenkasse werden vom Sozialamt mit eingerechnet. Zusätzliche Leistungen für beispielsweise Erwerbsunkosten sind zudem möglich. Ausgrenzung statt Integration Wie lebt es sich in der Schweiz am Existenzminimum? Viele der Betroffenen sagen, dass man sich mit so wenig Geld so einiges vom Mund abspart und kaum am sozialen Leben teilnehmen kann. Es sei ein Leben auf Sparflamme. Es fehle jeder Spielraum. Die Einsamkeit ist gross wie das Tabu, darüber zu sprechen. Man nimmt kaum mehr an Aktivitäten teil, die für die anderen in unserer Gesellschaft als normal gelten, wie Kino, Zoobesuch, Rundfahrt auf dem Schiff oder Besuch eines Fussballmatchs. Man ist

praktisch in die eigenen vier Wände verbannt, oft einsam. Ferner bekommen viele gesundheitliche oder psychische Probleme. Die Motivation hochzuhalten, aus dieser Situation wieder herauszukommen, ist häufig schwierig und braucht einen langen Atem. Nicht zuletzt torpediert die Lage auf dem Arbeitsmarkt oft die Anstrengungen der Sozialhilfebeziehenden, vorwärtszukommen: Die Arbeitsstellen sind entweder schlecht bezahlt, sodass man weiterhin auf Unterstützung angewiesen ist, oder es gibt keine entsprechenden Stellen. Die Sozialhilfe ist dazu da, ein Leben am Existenzminimum zu ermöglichen. Vorgesehen ist die Sozialhilfe nur als Überbrückung, bis wieder eine Arbeit gefunden wurde oder eine Rente bezogen wird. Doch es können durchaus einige Monate vergehen, bis man einen Weg aus der Sozialhilfe findet. * Bundesamt für Statistik, Sozialhilfe 2009

Sozialhilfe im Asylbereich Sozialhilfe erhalten auch bedürftige Asylsuchende während der Dauer des Asylverfahrens, anerkannte Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene. Während die beiden letztgenannten gleich viel Sozialhilfe erhalten wie die einheimische Bevölkerung, bekommen Asylsuchende durchschnittlich etwa 70 Prozent des SKOS-Ansatzes. Davon müssen sie ihren Grundbedarf für den Lebensunterhalt wie Verpflegung finanzieren sowie Produkte für den täglichen Bedarf wie Zahnpasta oder Seife und allfällige Fahrkosten.

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Caritas Luzern

Nachgefragt

Freiwilligenarbeit

bei Thomas Stalder, Arbeitsintegration Caritas Luzern in Sursee.

Als Freiwillige bei der Caritas Luzern lernen Sie Menschen mit anderen Perspektiven kennen und helfen ihnen bei der sozialen Integration.

klagen über die scheinbar ausweglose Situation, in der sie stecken.

Gerade bei längerer Arbeitslosigkeit gibt es finanzielle und weitere Probleme, es besteht auch das Risiko einer Verschuldung. Welches sind deine Erfahrungen in eurem Betrieb? Arbeitslose und ausgesteuerte Menschen kommen zu uns in die Beschäftigungsprogramme für eine Dauer von zwei bis zwölf Monaten. Mit der Anmeldung erhalten wir einen Lebenslauf sowie in wenigen Fällen einen Vermerk zu Sucht oder Gesundheit. Aufgrund dieser Angaben können wir die finanzielle Situation unserer Programmteilnehmenden aber nicht abschätzen. Die Versicherungsleistung bei einer Arbeitslosigkeit beträgt 70 respektive 80 Prozent des letzten Jahreseinkommens. Bei einer Aussteuerung steht dem Betroffenen ein nach SKOS-Richtlinien berechnetes Existenzminimum zur Verfügung. Es besteht also durchaus die Gefahr, dass bei länger andauernder Arbeitslosigkeit und reduziertem Einkommen das Risiko einer Verschuldung stark zunimmt. Wie erkennst du, dass jemand Probleme hat? Das ist ganz unterschiedlich. Ich erlebe Menschen, die bei der Arbeit ständig abgelenkt wirken, vermehrt gestresst telefonieren, gereizter reagieren, niedergeschlagen wirken oder überfordert sind. Oft haben sie das Geld für den Arbeitsweg nicht mehr und können dadurch nicht zur Arbeit erscheinen. Solche Leute spreche ich an. Andere Leute kommen direkt zu mir und

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Es ist ja nicht deine Aufgabe, Budgetberater oder Schuldensanierer zu sein. Was kannst du machen? Damit ich entscheiden kann, ob ich einen Termin bei der Sozialberatung anbiete, versuche ich mir im Gespräch mit der betreffenden Person ein Bild über ihre Situation zu machen. Dabei geht es mir vor allem darum, herauszufinden, was das Kernproblem ist, wer bereits involviert ist und warum das Problem jetzt akut ist. Ich versuche einzuschätzen, ob in der Situation eine weitere Stelle einzubeziehen sinnvoll ist oder ob die betreffende Person das Problem mit den bereits involvierten Institutionen klären soll. So habe ich die Grundlage, um zu entscheiden, ob ich die Möglichkeit eines Termins bei der Sozialberatung der Caritas Luzern vorschlage. Finden es die Menschen schwierig, wenn du sie an die Sozialberatung verweist? Alle, die ich letztes Jahr an die Sozialberatung verwiesen habe, reagierten durchwegs positiv. Sie fanden es sehr unterstützend, dass in der Sozialberatung ihre Situation analysiert wurde und sie in unterschiedlichen Formen Unterstützung erhielten. Das kann vom Erstellen eines Budgets über einen klärenden Kontakt zu einer involvierten Institution sein. Vielleicht hat die Person ihr zustehende Ansprüche nicht geltend gemacht. Auch wurden vereinzelt dringende offene Rechnungsbeträge bezahlt oder die Leute erhielten eine Unterstützung zur Existenzsicherung, um die Situation nicht zu verschlimmern. Wie eng arbeitest du in der Folge mit der Sozialberatung zusammen? Ich erhalte allenfalls eine Rückmeldung, wenn wir als Betrieb auf etwas Bestimmtes achten sollen. Ansonsten ist in den jeweiligen Fällen keine weitere Zusammenarbeit notwendig.

Frau aus Myanmar möchte Unterstützung beim Deutschlernen (S464) Die Frau ist mit den sechs Kindern 2009 (Familiennachzug) in die Schweiz eingereist und lebt in Grosswangen. Trotz grosser Anstrengungen und dem Besuch von Kursen ist die deutsche Sprache für sie noch immer sehr schwierig. In regelmässigen Treffen und Gesprächen mit einer Frau möchte sie mehr über die Schweiz erfahren und ihre Deutschkenntnisse verbessern. Deutsch üben zur beruflichen Integration (S463) Gespräche auf Deutsch sind mit der Frau bereits gut möglich. Um sich beruflich in der Schweiz zu integrieren und hiesige Gepflogenheiten kennenzulernen, möchte sie sich regelmässig mit einer Freiwilligen zum Gespräch treffen. Sie lebt seit drei Jahren in der Schweiz, hat bereits das Sprachniveau B1 erreicht und besucht derzeit einen weiteren Deutschkurs. Im Herkunftsland arbeitete sie im Gesundheitsbereich und möchte sich darin weiterbilden, um hier beruflich Fuss fassen zu können. Wie lebt man in Somalia? Und wie in Reiden? (C484) In der Wohngemeinschaft kann der Mann seine Deutschkenntnisse nicht anwenden, denn er wohnt mit anderen Somaliern zusammen. Um aber das Gelernte üben zu können, braucht er jemanden, der mit ihm spricht, mit ihm diskutiert und ihm vom Leben in der Schweiz erzählt. Auch er hat viel aus seiner Heimat zu berichten. Der Mann würde sich freuen, wenn er mehr Kontakt zu Menschen aus der Schweiz haben könnte. Sind Sie interessiert? Haben Sie einen Einsatz gefunden? Auf unserer Website finden Sie weitere Einsatzmöglichkeiten und viele zusätzliche Informationen. www.caritas-luzern.ch/freiwillige

Interview & Bild: Urs Odermatt


Nutzen und Mehrwert der Naturalspende Weshalb Computer nach nur vier Jahren ausgemustert werden und ein aufstrebendes Unternehmen aus dem Kanton Zürich diese der Caritas Luzern spendet. Die Computer gelangen in der Folge in den Schulungsräumen der Caritas Luzern zum Einsatz; Stellensuchende in den Beschäftigungsprogrammen eignen sich darauf beispielsweise ihre ersten PC-Kenntnisse an oder schreiben Bewerbungen. Oder die so verkaufbar gemachten PCs werden als komplettes und funktionierendes Set inklusive Maus und Tastatur in den Caritas-eigenen Läden in Luzern, Sursee oder Hochdorf zu einem fairen Preis weiterverkauft. Den Erlös setzt die Caritas Luzern wiederum ein, um Zentralschweizerinnen und Zentralschweizer in einer Notlage zu unterstützen und ihnen neue Perspektiven zu eröffnen.

Ein Teilnehmer des Arbeitsintegrationsprogramms der Caritas Luzern bereitet einen von Logicare AG gespendeten Computer auf.

Nach vier Jahren Betriebsdauer erfüllen Computer die an sie gestellten Ansprüche nicht mehr. «Für die täglichen Anforderungen im Spitalbetrieb reicht deren Leistung und Schnelligkeit nicht mehr aus. Daher werden sie regelmässig ausgewechselt», erklärt Christian Hagen, Leiter Einkauf bei Logicare AG. «Und sogleich stellt sich die Frage, was mit den alten geschieht. In der Regel funktioniert ein PC zu dem Zeitpunkt aber immer noch gut und ist für den privaten Gebrauch ausreichend leistungsfähig. Die Idee, sie einfach zu entsorgen, hat uns daher nie befriedigt. Es ist eine Verschwendung von Ressourcen und keineswegs nachhaltig.» Die vor fünf Jahren gegründete Logicare AG in Dübendorf (ZH) wechselt bei ihrer Kundschaft, Spitäler sowie Spitex und Diagnostikunternehmen, jährlich rund 500 Computer aus. «Was tun damit? Ich suchte länger nach einem passenden und vertrauenswürdigen Partner, bei dem Logicare die noch brauchbaren Geräte in guten Händen weiss.» Dabei stiess Christian Hagen auf die Caritas Luzern. Schnell ergab sich eine Text: Daniela Mathis; Bild: Caritas Luzern

kantonsübergreifende Zusammenarbeit, in der Nutzen und Mehrwert dieser Naturalspende beiden Seiten zugutekommt: Logicare muss einerseits keine funktionierenden Computer entsorgen, andererseits hat sie keinen Aufwand mit der Lieferung, denn die Geräte werden von der Caritas Luzern abgeholt. Dieser Service wird unter anderem durch Stellensuchende in den Beschäftigungsprogrammen geleistet, welche die PCs anschliessend in den Caritaseigenen Werkstätten reinigen, kontrollieren, zusammensetzen und «zum Laufen» bringen. Denn sie erhalten jeweils eine Ersatz-Festplatte: Bevor die PCs an die Caritas Luzern gespendet werden, baut die Logicare aus Sicherheitsgründen die Festplatte in jedem einzelnen Computer aus. «Das ist das sicherste Vorgehen, damit keine Daten weitergegeben werden. Schliesslich handelt es sich um höchst sensible Patientendaten, und die unterliegen besonders strengen regulatorischen Vorgaben», präzisiert Christian Hagen.

Logicare vereinigt Wissen über die Abläufe im Gesundheitswesen mit Kenntnissen der technologischen Möglichkeiten. Daraus entstehen ganzheitliche Lösungen für Informatikanforderungen im Gesundheitswesen. Das expandierende Unternehmen mit seinen rund 60 Mitarbeitenden, die aus der Informatik und dem Spitalwesen stammen, bietet Leistungserbringern wie Spitälern, Spitexoder Diagnostikinstitutionen den Betrieb der Informatik mit entsprechendem Support, Beratung, Projekte für individuelle und flexible ITLösungen sowie Schulungen im IT- und im Gesundheitsbereich. Über 4000 Benutzer werden von Logicare betreut.

Naturalspenden Mit Ihrer Naturalspende unterstützen Sie die Caritas Luzern. Informationen rund um die Naturalspende finden Sie auf www.naturalspenden.ch Daniel von Holzen, Betriebsleiter Naturalspenden, berät Sie gerne: Tel. 041 368 52 23 E-Mail d.vonholzen@caritas-luzern.ch Spendenkonto PC 60–4141–0

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Persönlich

Schwester Anna Affolter ist Mitglied der Generalleitung des Klosters Ingenbohl. Sie entschied sich mit 20 Jahren, dem Orden beizutreten. Nach ihrer Tätigkeit als Sozialberaterin für Fahrende bei der Caritas Zürich wurde sie nach Ingenbohl berufen. Heute besucht die 50-Jährige die Vertretungen ihres Ordens in der ganzen Welt.

«Wir teilen geistige und materielle Werte miteinander» Was würden Ihre Nachbarn über Sie sagen? Ich höre, ich sei einfühl-

sam, freundlich, zugänglich und humorvoll. Aber meine Nachbarn stellen sicher auch fest, dass ich hin und wieder mit der Zeiteinteilung im Konflikt bin.

Immer, wenn andere mir sagen, dass sie sich von mir wertgeschätzt und verstanden fühlen. Glücklich machen mich aber auch Naturerlebnisse wie ein Sonnenuntergang, die Unendlichkeit des Meeres, die Natur beim Wandern. Solche Erfahrungen lassen mich zur Ruhe kommen, bringen mich in Berührung mit Gott. Wann sind Sie glücklich?

Wie haben Sie das letzte Mal jemandem geholfen? Heute Morgen half ich

einer betagten Schwester, die sich in mein Büro verirrte. Am Arm mir einhakend begleitete ich sie zu ihrem Zimmer zwei Stockwerke tiefer. Als sie ihr Zimmer wie-

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dererkannte, leuchtete ihr Gesicht vor Erleichterung auf. Welches Erlebnis hat Sie besonders geprägt? Mein Einsatz in einem Alters-

heim, den ich während meiner Seminarausbildung machte. Dort kam ich das erste Mal in Kontakt mit Schwestern, die mich an wichtige Lebensfragen heranführten und meinem Leben eine Perspektive gaben. Darauf entschloss ich mich, ins Kloster zu gehen. Was stimmt Sie zuversichtlich? Das

Gefühl, nicht alleine zu sein, nicht alles alleine machen zu müssen. Ich habe Mitkämpferinnen in meiner Gemeinschaft und viele Kontakte auch über die Gemeinschaft hinaus, mit denen ich die gleichen Werte teile und mich für die gleichen Ziele einsetze.

Woher stammen Ihre Werte? Ein Teil von meiner Familie und ein Teil aus dem Evangelium. Ein wichtiges Bild sind für mich die Jünger und Jüngerinnen, die mit Jesus unterwegs waren. Sie haben Hab und Gut, Freud und Leid geteilt, waren füreinander und für andere da. Danach lebt unser Orden immer noch: Wir teilen geistige und materielle Werte miteinander. Welche Sünde begehen Sie mit Freude? Also in grossen Abständen

kommt es vor, dass ich in einer einzigen Nacht einen Krimi von vorne bis hinten durchlese …

Bild: zvg


Caritas-Netz

«Als Mentorin bin ich Coach und Motivatorin» Als freiwillige Mentorin begleitet Desirée Natter bei «incluso» zum zweiten Mal eine junge Migrantin bei der Lehrstellensuche. Sie erzählt, wie sie zu diesem Engagement gekommen ist und was ihre Aufgaben sind. Vor drei Jahren bin ich durch eine Kollegin auf das Mentoringprogramm «incluso» aufmerksam geworden. Sie begleitete während eines Jahres eine junge Migrantin bei der Lehrstellensuche und erzählte mir davon. Ich fand das spannend und meldete mich bei Caritas Zürich. Bei einem Treffen erklärte mir die Verantwortliche das Programm, den Ablauf und die Aufgaben der Mentoren. «incluso» hat mich überzeugt und Mentoring als Form der Zusammenarbeit finde ich sehr sinnvoll. Mir sagte auch zu, dass die Dauer des Engagements als Mentorin im Voraus definiert ist und dass die Zusammenarbeit ein konkretes Ziel hat: eine Lehrstelle oder eine Anschlusslösung finden. Ein offenes Ohr haben Meine erste Mentee war Andreia. Sie ist 16 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Portugal. Ihr Wunsch: eine KV-Lehrstelle. In unserem ersten Gespräch haben wir die Erwartungen, die wir aneinander haben, geklärt. Für mich sind Verbindlichkeit und Pünktlichkeit wichtig. Andreia ist seit klein auf in der Schweiz und spricht Schweizerdeutsch. Das ist nicht bei allen Mentees so. Vom Wesen her ist sie eher schüchtern und zurückhaltend. Ich musste mir zuerst einen Zugang zu ihr verschaffen und ihr Vertrauen gewinnen. Mit der Zeit öffnete sie sich. Gemeinsam haben wir geklärt, für welche Berufe sie sich interessiert und eignet, die Bewerbungsunterlagen zusammengestellt und in Rollenspielen Telefon- und Vorstellungsgespräche geübt. Als dann die erste Einladung zu einem Vorstellungsgespräch kam, haben wir auch gemeinsam ihren Kleiderschrank nach einem geeigneten Outfit durchstöbert – das war lustig. Mit Andreia habe ich mich entweder in einem Café in der Stadt oder auch bei ihr zu Hause getroffen. Zu Beginn haben wir uns alle zwei Wochen für jeweils eineinhalb Text: Sima Mangtshang; Bild: Urs Siegenthaler

bis zwei Stunden getroffen. Mit der Zeit reduzierten sich die persönlichen Treffen auf ein Mal pro Monat und wir haben daneben via E-Mail miteinander kommuniziert: Andreia mailte mir ihre Bewerbungsschreiben und ich gab ihr ein Feedback dazu. Als Mentorin bin ich vor allem Coach und Motivatorin. Es gibt Phasen, da bekommen die Jugendlichen nur Absagen. Dann muss man die Mentees motivieren, aufmuntern zum Weitermachen. Austausch mit den anderen Mentorinnen und Mentoren «incluso» bietet regelmässig Erfahrungsaustausch-Treffen an. Der Austausch mit den anderen Mentorinnen und Mentoren ist für mich sehr wertvoll und nützlich. Man hört einerseits, wie es anderen Tandems ergeht und wo sie anstehen, kann sich aber auch gegenseitig Tipps geben und Kontakte vermitteln. Das «incluso»Team steht uns während der gesamten Programmdauer beratend und unterstützend zur Verfügung. Sie organisieren beispielsweise einen Bewerbungsworkshop und ei-

nen gemeinsamen Besuch im Berufsinformationszentrum. Nun begleite ich bereits die zweite Mentee bei der Suche nach einer Lehrstelle. Sie heisst Sevgi, ist Kurdin und 15 Jahre alt. Ihr Berufswunsch: Fachangestellte Gesundheit. Es ist spannend und eine grosse Bereicherung, so nah am Leben einer Jugendlichen zu sein und so auch mehr über deren Kultur zu erfahren.

Engagieren Sie sich! Im Durchgangszentrum für Asylsuchende suchen wir eine Person, die junge Erwachsene alphabetisiert. Denn trotz grosser Fluktuation ist es sinnvoll, wenn sie die Gelegenheit erhalten, schreiben und lesen zu lernen. Das Herantasten an die Deutsche Sprache findet in kleinen Gruppen von zwei bis drei Personen statt. Einsatz: ein- bis zweimal wöchentlich circa eine Stunde. (C535) Melden Sie sich: Tel. 041 368 52 85 oder E-Mail freiwilligenarbeit@caritas-luzern.ch 2/11 Nachbarn Caritas

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Caritas-Netz

Hilfeleistung, die Freude und fit macht

Velodienste Luzern

Bei den «Caritas-Bergeinsätzen» unterstützen Freiwillige in Not geratene Bergbauernfamilien bei der täglichen Arbeit auf dem Hof.

Die Mitarbeitenden der Velodienste übernehmen eine wichtige Aufgabe zugunsten der Allgemeinheit.

Kulturaustausch zwischen zwei sehr unterschiedlichen Lebensweisen: Bergbauer und Freiwillige.

Bergbauernfamilien sind auch in der Schweiz besonders harten und unwirtlichen Bedingungen ausgesetzt: Ihr Land ist schwer zugänglich, die Winter sind lang und kalt, der Ertrag entsprechend mager. Ihr Einkommen bewegt sich trotz Beiträgen der öffentlichen Hand oft am Existenzminimum. Manche können sich nur knapp über Wasser halten, denn wirklich gewinnbringende Aktivitäten gibt es kaum. Die Arbeitsbelastung der Familien ist sehr hoch, weil vieles noch von Hand gemacht werden muss. «Caritas-Bergeinsatz» vermittelt seit 30 Jahren soziale Einsätze im Berggebiet: Freiwillige unterstützen Bergbauernfamilien in Not bei der täglichen Arbeit auf dem Hof. Mit diesen Einsätzen will Caritas neben der Entlastung für die Bergbauernfamilien auch sinnvolle und bedürfnisgerechte Betätigungsfelder für Freiwillige schaffen. Die Begegnung zwischen den Freiwilligen, die meist in der Stadt leben, und den Berg-

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bauern führt zu einem gelebten Kulturaustausch zwischen sehr unterschiedlichen Lebensweisen. Und bringt den interessierten Helferinnen und Helfern neben Abwechslung zum Büroalltag auch die einmalige Berglandschaft der Schweiz näher. Die Anmeldung zu einem Bergeinsatz ist per Internet möglich – interessierte Freiwillige können aus über hundert verschiedenen Einsatzmöglichkeiten in allen Bergregionen der Schweiz auswählen. Jeder Einsatz dauert mindestens eine Woche und kann direkt online gebucht werden.

Der Umgang mit Velos hat bei den Arbeitsintegrationsprogrammen der Caritas Luzern einen grossen Stellenwert. Da sind zum einen die Velodienste in Luzern und Sursee. Im Auftrag der Städte halten Programmteilnehmende einen Veloordnungsdienst aufrecht. Sie verschieben falsch parkierte Velos auf Ersatzplätze und sortieren besitzerlose Velos aus, sammeln sie ein und melden sie der Polizei. In Sursee geschieht dies im Bereich des Bahnhofs, in Luzern in der gesamten Innenstadt und besonders rund um den Bahnhof. Daneben betreiben die Velodienste in Luzern eine bewachte Velostation, wo Bahnkunden ihre Velos sicher und geschützt parkieren können. Hier werden auch kleinere Servicearbeiten sowie das Putzen der Velos angeboten. Die Velostation erledigt auch das Vermieten von Renta-Bike-Velos und nimmt selbst ausgediente Velos zur Wiederverwertung an. Im Caritas-Betrieb Littau werden defekte Fahrräder demontiert. Die Einzelteile gelangen per Container zu Partnerbetrieben nach Afrika, wo sie wieder bedarfsgerecht als Velos zusammengebaut werden. Gut erhaltene Fahrräder kommen in den Caritas-eigenen Secondhand-Läden in den Verkauf. Velostation beim Bahnhof Luzern

www.bergeinsatz.ch

Texte: Daniel Grossenbacher, Urs Odermatt; Bilder: Caritas Schweiz, Caritas Luzern


Fotografie

Vor 20 Jahren …

Bahnhof Luzern um 1991

Als anfangs der 1980er-Jahre die ersten Menschen aus Sri Lanka vor dem Bürgerkrieg flohen und in die Schweiz kamen, hatten viele Angst vor den dunkelhäutigen Menschen, die oft am Bahnhof anzutreffen waren. Man bezeichnete sie als Wirtschaftsflüchtlinge, die hier nur profitieren wollten. Heute schätzt man sie gerade im Gastgewerbe – weil sie jene Arbeit machen, für die andere sich zu schade sind.

Bild: Georg Anderhub

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Kiosk Veranstaltungen

Origami: Sipho Mabona

Benefiz: Theatergala 2011

Kurse

Ratgeber

Bildungsangebot «Begleitung in der letzten Lebensphase»

T H E AT E R G A L A 2 0 1 1

Mit dem Singspiel «Im Weissen Rössl» von Ralph Benatzky laden CSS Versicherung und Caritas Luzern zur diesjährigen Theatergala. Freitag, 28. Oktober 2011 19 Uhr mit anschliessendem Galabend Luzerner Theater

Herbstveranstaltung 2011 «Allerseelen» Theres Spirig-Huber (Theologin, Supervisorin, Erwachsenenbildnerin) im Gespräch mit dem Luzerner Filmemacher Edwin Beeler («Arme Seelen») und Freiwilligen aus den regionalen Gruppen zur Begleitung Schwerkranker und Sterbender zu Jenseitsvorstellungen und -kontakten. Mittwoch, 2. November 2011 19.30 Uhr Marianischer Saal Bahnhofstrasse 18, Luzern

«Eine Million Sterne» 2011 «Eine Million Sterne» – die Solidaritätsaktion mit Kerzenlichtern. Samstag, 17. Dezember 2011 ab 16 Uhr Hofkirche Luzern und weitere Orte in der Innerschweiz Informationen zu den Veranstaltungen finden Sie auf www.caritas-luzern.ch/events

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Das neue Kursprogramm für die drei Grundkurse 2011/2012 – zwei in Luzern, einer in Nidwalden – ist da. Zudem finden wieder diverse Tageskurse zu Themen rund um die Begleitung schwer kranker und sterbender Menschen und deren Angehörigen statt. ab Herbst 2011 _Finanzielle Probleme Wohin wende ich mich?

Weitere Informationen auf www.caritas-luzern.ch/begleitung

Informationen für den Kanton Luzern 1

Bildungsangebot für Migrantinnen Das Bildungsangebot für Migrantinnen unterstützt die Bemühungen der Frauen um sprachliche, soziale und berufliche Integration. Die neuen Alphabetisierungs- und Deutschkurse sowie der Kurs «Konversation» starten im Oktober 2011. ab Oktober 2011 Weitere Informationen zu den Kursen und Anmeldefristen auf www.caritas-luzern.ch/fbm

Die überarbeitete Broschüre «Finanzielle Probleme – Wohin wende ich mich?» richtet sich an Menschen mit Wohnsitz im Kanton Luzern, die wegen finanzieller oder persönlicher Schwierigkeiten auf der Suche nach einer Beratung oder Unterstützung sind und sich über ihre rechtlichen Ansprüche informieren möchten.

Broschure.indd 1

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Den kostenlosen Ratgeber können Sie bestellen unter Tel. 041 368 52 00 oder per E-Mail mail@caritas-luzern.ch oder durchblättern und als PDFDokument herunterladen auf www.caritas-luzern.ch

«Arme Kinder» – Thema des Sozialalmanachs 2012 und des Caritas-Forums 2012 «Arme Kinder» nimmt die Rahmenbedingungen für Kinder und Familien in der Schweiz genauer unter die Lupe. Die Beiträge setzen sich mit dem Ausmass und mit den verschiedenen Erscheinungsformen der Kinderarmut auseinander. Zudem stellen sie verschiedene Ansätze vor, um Kinderarmut wirkungsvoll vorzubeugen. Reportagen aus dem Alltag armutsbetroffener Familien runden das Thema ab. Sozialalmanach 2012. Schwerpunkt: Arme Kinder. Das Caritas-Jahrbuch zur sozialen Lage der Schweiz. Trends, Analysen, Zahlen. CHF 34.–, ca. 240 Seiten Bestellungen via Caritas Schweiz, Luzern, www.caritas.ch/shop Caritas-Forum 2012: Freitag, 27. Januar 2012, Kultur-Casino Bern. Anmeldung und Detailprogramm auf www.caritas.ch/forum2012/d


Gedankenstrich

Tanja Kummer

Kein Blatt im Wind Herr Nessuno findet Schulden das Hinterallerletzte. Er gibt möglichst kein Geld aus, vor allem nicht für Unsinn wie ein Buch oder Ferien. Einmal hat er aus einer ihm heute unerklärlichen Laune heraus einen dunkelgrünen Tirolerhut aus Filz gekauft. Nun muss er ihn immer tragen, auch wenn es süttig heiss ist – das ist die Strafe, die er sich für seine Laune ausgedacht hat. Über Leute, die nicht ganz genau wissen, ob ihre finanziellen Mittel auch bei jedem erdenklichen Notfall ausreichen würden, kann er nur den Kopf schütteln: Es kann doch jeder jeden Tag in horrende Schulden schlittern! Man stelle sich nur vor, man würde die Stelle verlieren! Herr Nessuno findet alle Menschen ausser sich unzurechnungsfähig und meidet darum zwischenmenschliche Kontakte. Bei Kontakten entstehen ja auch Schulden, weil man sich Dinge verspricht: ein Rezept, einen Gefallen oder Gefühle, am Ende noch Liebe oder gar das Zeugen eines Kindes! So kann man sich lebenslängliche Schulden aufladen! Herr Nessuno nimmt nach der Arbeit soIllustration: Tom Künzli; Bild: zvg

gar den Abfall mit nach Hause, damit er der Putzfrau nichts schuldig bleibt, und fühlt sich grundsätzlich unschuldig. Bis zu dem Tag, an dem er auf seine Firma zugeht und ausrutscht – das auf den Boden gepinselte Firmenlogo ist frisch gestrichen worden. Jetzt zeichnet sich Herr Nessunos Fussabdruck in der weissen Farbe ab, das bedeutet, er ist dem Maler etwas schuldig, mindestens eine Entschuldigung! Ihm stockt der Atem, sein Blut hört auf zu fliessen und dann – erstarrt Herr Nessuno. Aus seinen Füssen wachsen Wurzeln und sein Körper wird zum dicken Baumstamm. Die Mitarbeiter wundern sich über den seltsamen Baum, der auf einmal vor der Firma steht. «Seine Blätter sind starr wie dunkelgrüner Filz, die bewegen sich nicht im Wind!», ruft jemand, und eine andere Stimme sagt: «Das ist kein schöner Baum, an dem ist überhaupt nichts lebendig!» Das ist das Letzte, was je über den Baum gesagt wird. Dann beachtet ihn niemand mehr. Es ist, als ob es ihn gar nicht geben würde.

Tanja Kummer ist Schriftstellerin. Ihr Erzählband «Wäre doch gelacht» und andere Bücher sind im Zytglogge-Verlag erschienen. 2010 leitete die Autorin die Schreibwerkstatt «wir sind arm» der Caritas. Die so entstandenen Texte können Sie nachlesen auf www.wir-sind-arm.ch.

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20 Prozent auf das ganze Sortiment

r be em li ov etz . N Gu , 5 nd ag u st ch m ns Sa Pu

Grosser Weihnachtsverkauf in Luzern, Sursee und Hochdorf Vom 2. bis 5. November 2011

Luzern

Bleicherstrasse 10

Hochdorf Lavendelweg 8

Sursee

M端nchr端tistrasse 14

Das andere Warenhaus f端r alle

www.caritas-luzern.ch


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