Sozialalmanach 2009 Schwerpunkt "Nachhaltigkeit der sozialen Sicherung"

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„liberalen“) und den skandinavischen (ebenda die „sozialdemokratischen“) kommen noch die südeuropäischen sowie die zentral- und osteuropäischen Systeme dazu. Während letztere zur Erscheinungszeit von Esping-Andersens Klassiker noch nicht existierten, hatte er die südeuropäischen Sozialstaaten zu den konservativen Typen von Wohlfahrtsstaat gezählt; spezifische Merkmale führen aber unseres Erachtens dazu, sie als eigene Kategorie zu betrachten. Auch finden sich in der Praxis oft weniger „reinrassige“ Ausprägungen der diversen Modelle, sondern vielmehr Mischformen. Manche Beveridge-Typen weisen so viele Elemente eines Bismarckschen Ansatzes auf, und andererseits enthalten manche Bismarckschen Systeme Elemente, die man auf Beveridge zurückführen könnte, sodass man gegebenenfalls von einer Art Skala sprechen könnte. Auf dieser Skala markieren die Endpole ein rein Bismarcksches und ein rein Beveridge-artiges Sozialstaatsmodell. Dazwischen können die einzelnen nationalen Ausprägungen des Sozialstaates mal näher beim einen, mal näher beim anderen Pol angeordnet werden. So vertreten Hartmann-Hirsch und Ametepé zum Beispiel die Auffassung, das luxemburgische sei ein Bismarck-System mit skandinavischen Elementen. Wenn man auch alleine die Namensgebungen „Wohlfahrtsstaat“, „Welfare State“ oder „Etat-providence“ betrachtet, so zeigt sich, dass hier kein einheitliches Konzept vorliegen kann (ja nicht mal die jeweilige Sprache Worte zur Verfügung hat, die dasselbe meinen), sondern dass diese Konzepte jeweils von der historischen nationalen oder mindestens regionalen Entwicklung beeinflusst sind, und dass auch innerhalb ein und derselben Nation durchaus unterschiedliche Ansätze entlang der verschiedenen politischen Richtungen verfochten werden. Alle diese Versuche von Klassifikationen zeigen vor allem eines: der gemeinsame Nenner, der alle Länder des europäischen Kontinents zusammenführen könnte, ist in konkreter Form kaum zu finden. Man muss schon auf die sozialen Menschenrechte und die europäische Sozialcharta verweisen, um das Verbindende aufzeigen zu können. Allen Ländern gemeinsam sind hingegen die Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels, auf den alle Sozialstaaten, wie auch immer sie organisiert sind, eine Antwort finden müssen. Dabei hat das hier im Folgenden vorgestellte Modell den Vorzug, dass es in allen fünf verschiedenen Systemen, die wir betrachten, funktioniert, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen. In allen betrachteten Systemen finden wir drei Quellen für die soziale Sicherheit: Arbeit, Familie und der Wohlfahrtsstaat. Diese Systeme wurden überwiegend zwischen 1880 und 1950 zu dem ausgebaut, was sie heute darstellen. Dabei lagen durchaus unterschiedliche Begründungen vor, sei es der Wohlfahrtsgedanke, der Erhalt der Reproduzierbarkeit der Arbeiterklasse, der Erhalt der staatlichen Ordnung oder schlichte

Vgl. Ametepé & Hartmann-Hirsch (2009).

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