Sozialalmanach 2009 Schwerpunkt "Nachhaltigkeit der sozialen Sicherung"

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Den Erfolg verdanken die sozialen Sicherungssysteme dem Solidargedanken und gerade nicht der liberalen Ideologie des « jeder für sich ». Solidarität wird immer dann geweckt und wach, wenn Menschen begreifen, dass sie einem bestimmten Druck und Risiko in ihrer jeweiligen Bedürftigkeit und gegenseitigen Abhängigkeit letztlich gemeinsam ausgesetzt sind. Die auch in Luxemburg spürbare Finanz- und Wirtschaftskrise könnte sich am Ende als Auslöser neuer, verdeckter und verkannter Solidaritätspotentiale erweisen. Kriteriologisch ist die Solidarität aber kein ausreichendes Prinzip. Es muss mit Gerechtigkeitsüberzeugungen flankiert werden. Welche Bedürfnisse werden solidarisch abgesichert und welche individuell? In der Rentenvorsorge wurden bereits erste Schritte in diese Richtung der Differenzierung vorgenommen. Auch die Gesundheitskasse und die Pflegeversicherung wird sich dieser Frage stellen müssen. Volkswirtschaftliche Fragen können nicht einfach nach betriebswirtschaftlicher Manier durch Budgetisierungsmaßnahmen bei den Leistungserbringern gelöst werden. Ob Kindergeld und Familienzulagen über die zaghaften Ansätze eines Kinderbonus hinaus nicht weiter einkommensabhängig sein sollten, bleibt eine Frage. Auf der Seite der Benutzer von politisch als notwendig eingeschätzten sozialen Einrichtungen kann nur das Prinzip des freien Zugangs Diskriminierungen vorbeugen. Umso wichtiger wird es in diesem Zusammenhang sein, soziale Einrichtungen zu schaffen, die dadurch, dass sie gratis angeboten werden, keine Unterschiede zwischen den Benutzern schaffen. Aber auch die Renten müssen unter dem Gesichtspunkt aktueller Bedürfnisse sowohl der Bezieher, wie der Beitragzahlenden betrachtet werden. All dies sind delikate Fragen, denen eine zukunftsorientierte Politik nicht ausweichen darf. Neben der Bedürfnisgerechtigkeit gilt es ebenfalls die Frage nach der Leistungsgerechtigkeit zu stellen. Welche Erträge, die letztlich durch menschliche Arbeit entstanden sind, müssen über Steuern den Systemen der sozialen Sicherheit zugeführt werden? Das Argument der geringeren Belastung der Betriebe kann angesichts immer noch substantieller Gewinne nicht allein gelten. Und einer Betriebsflucht ist im selben Masse entgegen zu wirken, wie der Steuerflucht. Die Leistungen, die es zu bewerten gilt, müssen unter den Bedingungen der globalen und vernetzten Weltwirtschaft neu gemessen und verortet werden. Bei diesen euro­paund weltpolitischen Umschichtungen muss das Land Luxemburg auf volle Transparenz setzen und darf seine überdurchschnittlichen Leistungen im europäischen und regionalen Vergleich nicht mit Nischen und geheimnisvollen Rezepten legitimieren. Wenn man sich im Kampf gegen einen neuen Wirtschaftsprotektionismus nicht des Selbstwiderspruchs verdächtig machen möchte, gilt es die normalen Vertraulichkeitsregeln beim Bankgeschäft so zu regeln, dass der Verdacht auf paradiesische Zustände erst gar nicht aufkommen kann. Das Paradies kann ja unter den Bedingungen des Bankgeheimnisses eigentlich nur durch seine Nebenwirkungen zum Vorschein kommen, und dies sind mehr unsere gemeinsamen und allgemeinen Lebensverhältnisse und der neue Stil, mit geringer Leistung großes Geld machen zu können. Echte Bescheidenheit und Angepasstheit an die Wirklichkeit sind Tugenden, die es wieder zu entdecken und zu fördern gilt. 14


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