Bezirksbeilage Lichtenberg Hohenschönhausen

Page 6

6

Berliner Zeitung · Nummer 113 · Freitag, 16. Mai 2014

·· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ··

Lichtenberg-Hohenschönhausen

Othello schmeckt noch immer Familie Gessert verkauft seit 38 Jahren Eis V ON E LMAR S CHÜTZE

A

m Anfang war Schoko-VanilleErdbeer. Es gab kaum andere Eissorten in der DDR. Da erging es dem Eiscafé Gessert in Alt-Hohenschönhausen nicht anders als anderen. Und dennoch war das Gessert am Malchower Weg 69 besonders. „Wir waren die erste selbstständige Eisdiele Berlins“, erinnert sich Ingrid Gessert. Die heute 73-Jährige war in den 70ern mit Familie aus Thüringen gekommen. In einem Dorf bei Gotha hatte einst Schwiegermutter Ilse Eis produziert. Gesserts zogen ins Siedlungsgebiet, lange bevor die Hochhäuser des neuen Bezirks emporwuchsen. Im Juli 1976 eröffnete die Eisdiele in einer Garage. Die Kunden kamen von nebenan, den Betrieben der Umgebung oder auch vom Wachregiment Feliks Dzierzynski, dessen Truppen in der Nähe Dienst schoben. Gessert wurde zur Institution. Obwohl der Laden anfangs nur bei gutem Wetter geöffnet war, ging das Geschäft so gut, dass man 1983 einen Restaurantbetrieb aufmachte. Das ist er bis heute geblieben, nur die Umstände haben sich verändert. Die Garage ist nur noch ein Nebenraum, der Hauptraum bietet fast doppelt so vielen Gästen Platz, hinzu kommt ein Garten mit Pizzaofen. Längst führt Ingrid Gesserts Tochter Beate Beck die Geschäfte. Die 50-Jährige erinnert sich an die Anfänge. „Wir hatten keine Becher für Eis zum Mitnehmen. Also brachten die Arbeiter aus den Betrieben selbstgeformte Kartons mit, in denen sie es transportieren konnten“, erzählt sie,„oft 20 Portionen auf einmal“. Manche Kreation aus der Zeit hat überlebt, Othello zum Beispiel, bestehend aus Schoko- und Vanilleeis, Nougat, Eierlikör, Sahne und Schokosoße. Das sei immer noch gefragt. Doch auch neue Sorten wie Joghurt-Holunder oder Buttermilch-Sanddorn kommen an. Beate Beck berichtet von der schweren Zeit nach der Wende („Die Leute kamen vom Kudamm zurück und haben erzählt, was es da für tolles Eis gibt“) und knausrigen Banken. Aber auch davon, dass sie nicht weg wolle aus Hohenschönhausen. „Auch von alten Schulfreunden sind viele noch da – oder sind nach dem Studium zurückgekommen.“

BERLINER ZEITUNG/GERD ENGELSMANN

Videothek mit Ausblick: Oliver Kubisch und Anne Petersdorff in ihrem Laden.

Filmabende im Keller Die Videothek „Madeleine und der Seemann“ ist ein untypischer DVD-Verleih

S

eit fünf Jahren führen Anne Petersdorff (35) und Oliver Kubisch (32) die Videothek „Madeleine und der Seemann“ in Lichtenberg. Der Laden ist kein gewöhnlicher Verleih, sondern ein liebevoll gestalteter Ort der Filmkunst und ein gemütlicher Kiezladen. An diesem Vormittag hat Oliver Kubisch nicht viel zu tun, er stellt frisch gebackene Brownies auf den Tresen – vegane. Herr Kubisch, sehr gemütlich sieht es bei Ihnen aus. Aber mal ehrlich, ist es nicht sehr gewagt, im Zeitalter von Filmdownloads im Internet und DVDVersand per Post eine klassische Videothek zu betreiben? Nein, meine Kollegin Anne und ich mögen Filme sehr. Und wir wollen auch mit anderen darüber sprechen. Wir empfehlen Filme und lassen uns auch welche von anderen empfehlen. Das kann man im Internet so nicht machen. Das direkte Gespräch findet am besten immer von Auge zu Auge statt. Wir dachten 2009, probieren kann man es mal. Das Risiko war überschaubar. Mittlerweile kennt ja wohl jeder im Kiez Ihren Laden. Viele Menschen im Viertel lieben Filme, und die haben wir für uns gewonnen. Es kommen auch immer neue Leute zu uns. Sie haben mehr als 5 000 DVDs im Verleih. Mir fällt auf, dass die Filme nicht nach Titeln, Regisseuren und Schauspielern geordnet sind. Findet jeder Besucher, was er sucht? Die Kunden finden sich zurecht. Wir haben Rubriken in unserer Videothek,

die heißen Neuheiten, Deutsche Filme, Kinderfilme. Wir schlagen unseren Kunden gern Filme vor und überlegen uns, welcher Film zu ihnen passen könnte. Das ist unser Grundprinzip. Und man findet keine DVD immer am gleichen Platz. Jeder Film wird nach dem Verleih an einen anderen Ort gestellt. So kommt jeder Film mal zur Geltung. Diese Fluktuation sorgt für einen lebendigen DVD-Verleih. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Filme für den Verleih aus? Es ist alles bunt gemischt.Wir haben Mainstream, Arthouse, Independent, gut erzählte Geschichten, Dokumentationen. Die Kunden können sich auch Filme wünschen. Auf dem Tresen liegt eine Wunschliste. Man spürt den Anspruch an das Besondere, auch bei Süßigkeiten und Getränken. Da fehlen große bekannte Marken von Eis, Bier und Chips. So viele unbekannte Limonaden habe ich noch nie gesehen. Wir wollten von Anfang an alles ein bisschen anders machen, nicht so glatt und austauschbar sein. Es macht Spaß, nach ungewöhnlichen Produkten zu suchen. Und wir haben auch einen ästhetischen Anspruch. Sie verkaufen in Ihrer Videothek auch Second-Hand-Kleidung, Bücher und Softeis. Das sieht nach Tante-EmmaLaden aus. Wir wollen unverwechselbar sein. Alles ist durchdacht und soll Behag-

lichkeit ausstrahlen. Auf die Atmosphäre sind wir stolz. In Ihrem Laden soll es auch einen versteckten geheimnisvollen Ort geben. Wo ist der? Wir haben ein Kellerkino unter dem Tresen. Dort zeigen wir Filmklassiker, die Nachbarn kommen zum Filmabend. Der kostet keinen Eintritt, es gibt keinen kommerziellen Zweck. Welche Filme zeigen Sie? Wir haben zuletzt „Einer flog über das Kuckucksnest“ ausgewählt, „The Big Lebowski“ und „Ben Hur“. Das sind bekannte Klassiker der Filmgeschichte. Eines müssen Sie bitte noch erklären. Warum trägt Ihre Videothek den Namen „Madeleine und der Seemann“? Wir hatten anfangs Namensfindungsschwierigkeiten. Diverse Fantasienamen sind uns eingefallen. Dann wollten wir einen Filmtitel nehmen und haben 50 Filme ausgewählt. Am Ende blieb „Ich war 19“ von Konrad Wolf und „Madeleine und der Seemann“. Das ist ein französischer Fernsehfilm aus den 60er-Jahren mit Lino Ventura. Dann hat die Münze entschieden. Das ist ein klangvoller und lustiger Name für eine Videothek, finden wir. Das Interview führte Stefan Strauß. Die Videothek „Madeleine und der Seemann“ befindet sich in der Kaskelstraße 31, Tel: 48 81 27 01, Öffnungszeiten: Mo–Do, So 11–23 Uhr, Fr und Sa 11–24 Uhr.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
Bezirksbeilage Lichtenberg Hohenschönhausen by Berlin Medien GmbH - Issuu