Magazin «die umwelt» 1/2021 - Die unsichtbare Gefahr

Page 8

8

DOSSIER LUFTREINHALTUNG

Rück- und Ausblick der Experten

«Luftreinhaltung ist eine Daueraufgabe» 1986 wurde die Luftreinhalte-Verordnung (LRV) in Kraft gesetzt. Was hat sie bewirkt? Wie funktioniert sie? Und was sind die zukünftigen Herausforderungen? Die beiden erfahrenen Lufthygieniker Martin Schiess und Hans Gygax geben Antworten. Gespräch: Gregor Klaus Wie müssen wir uns die Luftqualität in der Schweiz in den 1980er-Jahren vorstellen? Martin Schiess: Die Luft war ungesund. Hans Gygax und ich haben vor dem Interview noch rasch die Schadstoffwerte von damals angeschaut. Beim Schwefeldioxid wurde der Grenzwert um das x-Fache überschritten, bei den Stickoxiden um das Dreifache, beim Feinstaub um das Zwei- bis Dreifache. Die Kohlenmonoxidwerte waren ebenfalls viel zu hoch. Situationen mit hoher Luftverschmutzung, wie sie heute noch in Teilen Europas herrschen, waren dannzumal der Normalfall. Hans Gygax: Man dachte noch zu Beginn der 1980er-Jahre, dass es Sommersmog nur in Los Angeles, Wintersmog nur im Ruhrgebiet oder in London gibt. Doch Smog kam auch hierzulande vor, allerdings weniger ausgeprägt. Ich erinnere mich, dass wir an der ETH Zürich im Sommer 1982 erstmals in der Schweiz erhebliche Ozonkonzentrationen feststellten. Anfang 1987 herrschte während mehrerer Tage eine Wintersmoglage, insbesondere die Werte für Schwefeldioxid waren sehr hoch. Es waren aber die in den 1980er-Jahren festgestellten Waldschäden, die den Druck auf die Politik so stark erhöhten, dass rasch griffige Vorschriften zur Luftreinhaltung erlassen wurden. Schiess: Wir müssen uns vorstellen, dass die Autos damals noch keine Katalysatoren hatten. Unglaublich, was da alles hinten rauskam! An den stark befahrenen Strassen in den grossen Städten konnten Passanten und Passantinnen im Stossverkehr nur erschwert atmen. Die Schweiz hatte zwar keine ausgeprägte Schwerindustrie, aber lokal waren die Schadstoffwerte auch industriebedingt sehr hoch.

die umwelt 1 | 21

Die allgemeine Luftverschmutzung war an den Gebäuden zu sehen, die oft schwarz waren. Und spätestens wenn die Steine schwarz werden, ist auch die Gesundheit der Menschen in Gefahr. Wie reagierte die Wirtschaft auf die Luftrein­ halte-Verordnung mit all ihren Grenzwerten? Schiess: Natürlich kam es zu Diskussionen während der Vernehmlassung. Entsprechend dem Stand der Technik von 1985 lagen die Massnahmen aber im Bereich des Machbaren. Gygax: Die Luftreinhalte-Verordnung ist sehr umfassend, und die Art der Anforderungen war völlig neu für die Industrie. Es gab für gewisse Betriebe schon Überraschungen bei der Umsetzung, weil bedeutende Investitionen zu tätigen waren. Es war also wenig Widerstand zu spüren? Gygax: Praktisch alle Anlageninhaber waren sich bewusst, dass etwas passieren musste. Die Diskussionen betrafen deshalb nicht den Grundsatz, sondern eher die Fristen der Sanierung. Es ging ja um nichts weniger als das Wohl und die Gesundheit der Bevölkerung! Echter Widerstand zeigte sich erst beim Thema Strassenverkehr, als Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen zur Diskussion standen. Schiess: Streit entfachte sich tatsächlich vor allem im Verkehrsbereich. Dennoch hat die Schweiz bei der Einführung des Katalysators ab 1987 zusammen mit Schweden eine Vorreiterrolle eingenommen. Bereits ab 1988 waren in der Schweiz kaum noch neue Autos ohne Katalysator zu kaufen. Eine grosse Leistung! Heute möchte niemand mehr auf


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
Magazin «die umwelt» 1/2021 - Die unsichtbare Gefahr by Federal Office for the Environment FOEN - Issuu