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Seit 60 Jahren ein gelbschwarzes Herz

Der Platz 520 im Sektor D. Dieser Sitzplatz auf der alten Wankdorftribüne bedeutet Christine GrosskinskyHubler enorm viel. Dort wurde sie für den Fussball sozialisiert. Ihr Vater war Platzwart und damals im alten Stadion für vieles zuständig. Schnee räumen? Stühle aufstellen für internationale Spiele? Mitarbeitende für die Eingangskontrollen einteilen? Alles kein Problem. Nebenbei hütete er auch noch seine Tochter.

«Ich war damals weit und breit das einzige Mädchen im Stadion», erinnert sich Christine Grosskinsky. In gelbschwarz-karierten Hosen, gelbem Pulli und gelber Mütze fiel sie schon damals auf. Auch heute lernt man die quirlige Frau schnell kennen, sei es im Wankdorf, beim Apéro – immer kennt sie am Schluss des Abends die ganze Bar.

Das erzählt ihr Mann Paul, als das Paar an einem lauen Mai-Abend daheim in Urtenen empfängt. «Aber ich bin nicht eifersüchtig.» Überhaupt sei YB ihr Ding und ihr Ding allein. Er spielt lieber den charmanten Chauffeur, bringt und holt seine Christine im Wankdorf ab. «Hat YB verloren, so wettert sie während der ganzen Heimfahrt.»

Ein privates YB-Museum

Hier im Haus beweist Christine Grosskinsky ihre Liebe zu den Young Boys: Ein ganzes Zimmer hat sie ihrem Klub gewidmet. Mehrere unterschriebene Trikots hängen an den Wänden. Die Schals zeugen von den internationalen Kampagnen gegen Juventus Turin oder Manchester United. Fein säuberlich hat die 70-Jährige jedes Matchprogramm in einem Ordner abgelegt. Auch dasjenige vom allerletzten Match im alten Wankdorf, für das man damals noch zwei Franken zahlen musste.

Sie schwelgt in Erinnerungen, während sie im Album blättert. Ihr Mann steuert ab und zu ein Foto von seinem Handy bei. Jeweils unter grossem Gelächter seinerseits und einem Grummeln von seiner Frau.

Christine Grosskinsky ist technikaffin. Gerade hat sie sich furchtbar geärgert, dass sie kein NFT (Non Fungible Token) des Pokals kaufen konnte. «Ich habe das zu spät gesehen», sagt sie.

Eine Halbzeitwurst muss sein

Sensationell findet sie die Entwicklung im Stadion, dass es oft ausverkauft ist, wie viel die Ostkurve in die Choreos investiert («Ich zahle immer etwas ins Kässeli»), wie gut die Geschäftsleitung ist («Ich habe schon einige Präsidenten erlebt»). Und schwärmt nicht zuletzt von der Halbzeitwurst. «Ich plane immer, wann ich sie bestelle. Findet der Match spät am Nachmittag statt, ist die Wurst dann auch gleich mein Znacht», gesteht sie.

Die Emotionen, die derzeit mit dem Meistertitel und dem Cup-Pokal über Bern schwappen, seien nicht mit 2018 zu vergleichen. Sie erinnert sich, als es damals zum berühmten Penalty kam, habe sie eine Zigarette angezündet und konnte nicht hinschauen. Als dann Marco Wölfli den Schuss hielt, sei sie ganz langsam in die Knie gesackt. Aber auch der Cupfinal gegen Lugano hat sie kräftig durchgeschüttelt. «Ich war total aus dem Häuschen und habe nach Abpfiff vor Glück geweint.»

Neue Freunde im Stadion

Sie schaut sich heute die Spiele vom Sektor A aus an, wo auch ihr Vater als Ehrenmitglied lange gesessen hat. 2016 verstarb er. Es geht ihr noch immer nahe, das merkt man. «Wir standen uns sehr nahe», sagt sie. Ihm hat sie das grosse Mundwerk zu verdanken, weil er ihr sagte: «Du bist ein Meitschi, du musst dich wehren.» So kam es sogar schon zu verbalen Kollisionen mit den ehemaligen SRF-Kommentatoren Beni Thurnheer oder Matthias Hüppi, die ihr im Laufe der Jahre im Stadion begegneten.

Aber nicht nur wehren kann sie sich, sondern fand wegen ihrer Art auch neue Freunde. Bei ihr sitzen Housi, Brünu, Marc, Thomas oder Wernu. «Im Stadion entstehen Freundschaften. Sie alle kenne ich erst von hier», sagt sie.

Dieses Jahr ist wiederum eines, das ihr Album daheim füllt. Mit fünf Meistertitel und zwei Cupsiegen in sechs Jahren erlebt sie Geschichte. Und wenn sie einmal Geschichte ist, dann hat sie nur einen Wunsch: «Ich möchte, dass meine Asche im Stadion verstreut wird.» Und so ihr Geist ganz nahe von ihrem Vater – dem geschäftigen Platzwart – ruhen darf.

Claudia Salzmann

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