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«YB kam ohne Theater durch die Saison»

Schriftsteller Pedro Lenz ist passionierter YB-Fan und profunder Fussballkenner. Der Oberaargauer mit Wohnsitz Olten lobt die Klubführung des Vereins, Trainer Raphael Wicky und erklärt, warum für ihn Lewin Blum eine der grossen Entdeckungen der Saison ist.

«Von der Saison 2022/23 bleiben mir verschiedene Bilder haften. Zuerst ist da einmal die Erinnerung an den Auftakt gegen Zürich. Wir verbrachten Ferien in Spanien, aber natürlich wollten wir das erste Spiel von YB nicht verpassen. Wir sassen am Pool und schauten alle aufs Handy. Zur Pause stand es 0:0, am Ende hatten wir 4:0 gewonnen, und klar war: Diese Mannschaft besitzt riesiges Potenzial. Offensiv ist sie sackstark. Ein solcher Sieg gegen den amtierenden Schweizer Meister – danach war ich überzeugt: Das kommt gut.

Im Europacup stiessen wir auf Anderlecht. Viele Analysten und Schlaumeier verstanden das damals nicht: Anderlecht gehört zur erweiterten Spitze in Europa, das ist nicht irgendwer, sondern ein Kaliber, gegen das man als YB schon zwei sehr gute Tage erwischen muss.

Natürlich war ich enttäuscht, dass die europäische Reise in Belgien früh zu Ende ging, aber es handelte sich ganz bestimmt nicht um ein Versagen der Mannschaft. Wenn man gegen einen Luxemburger Vertreter rausfliegt, okay, dann muss man sagen: Sollte nicht sein. Doch Anderlecht – das kann jedem Schweizer Verein passieren.

Deswegen drehte in Bern niemand durch. Raphael Wicky bewahrte genauso die Ruhe wie die Direktion, die haben das alle cool analysiert. Und ich bekam den Eindruck: Dieses Team ist einfach top beieinander. Auf der Tribüne fingen ein paar Kollegen an zu nörgeln, sie sagten, Raphael Wicky sei etwas langweilig. Ich entgegnete ihnen: Ihr seid doch wahnsinnig! Wollt ihr einen Trainer, der ständig Sprüche klopft und an der Seitenlinie zappelt? Wenn eine Mannschaft so spielt wie YB, darf ein Trainer nach aussen ein bisschen langweilig wirken. Abgesehen davon ist Raphael Wicky das ja gar nicht.

Nach der Wahl von Raphael Wicky zum neuen Trainer erinnerte ich mich sofort an einen Satz: «In Wuschu we trust.» Ich war überzeugt, dass Christoph Spycher den richtigen Mann geholt hat. Was muss ein Trainer mitbringen, abgesehen von seiner fachlichen Kompetenz? Mehrsprachig sollte er sein. Wir brauchen auch keinen grossen Namen, keinen, der als Trainer schon zig Erfolge erzielt hat. Der Trainer wird bei uns dann schon gross.

Raphael Wicky sagte einmal in einem Radiointerview etwas Bemerkenswertes über Luis Aragonés. Unter ihm sei er bei Atlético Madrid zwar selten eingesetzt worden, und doch habe er gute Erinnerungen an ihn. Weil er immer offen mit ihm kommuniziert habe. Ich glaube, dass Raphael Wicky das gleich hält, ihm ist es jetzt bei YB wichtig, dass jeder Spieler weiss, woran er bei ihm ist. Er kann auch durchgreifen, wenn es nötig ist.

Je länger die Saison dauerte, desto ruhiger wurden meine Kollegen. Es gab so viele Spiele, in denen YB hätte versagen können, das Jubiläumsspiel gegen Basel, der Cup-Halbfinal ebenfalls gegen den FCB. Die Mannschaft hat standgehalten und geliefert. Wenn ich an das Jubiläumsspiel denke – waren wir stark! Und natürlich bleibt der Cupsieg als letztes Bild haften, das Spiel habe ich mit meiner Frau im Stadion gesehen. Es war einfach wunderschön.

Was ich enorm schätzte: YB kam ohne Theater durch die Saison. Ich habe es so auf der Latte, wenn nach jedem Entscheid fünf Spieler auf den Schiedsrichter losstürmen und ihn belagern. Da war YB vorbildlich, es gab keine Mätzchen. Mag sein, dass wir den einen oder anderen Spieler haben, der für den Gegner sehr unangenehm ist, auch eklig, aber das ist nicht negativ. Ich fragte einmal Cédric Zesiger, was für ein Ziel er habe. Er sagte, dass jeder Gegenspieler vor einem Match denken soll: Ouh, bitte nicht gegen Zesiger…! Das hat er erreicht.

In dieser Saison haben mich mehrere Spieler beeindruckt. Natürlich ist Fabian Rieder eine ziemliche Nummer, aber das sagen viele. Einer, der mir wahnsinnig imponiert hat, ist Lewin Blum – und das nicht, weil ich ebenfalls Oberaargauer bin. Was der für ein Pensum abspult! Wer auch top war: Anthony Racioppi. Er hatte eine schwierige Aufgabe zu meistern. Ich bin ja ein riesiger Fan von David von Ballmoos, aber dann springt Racioppi in die Bresche und macht das einfach toll. Fan bin ich auch seit Langem schon von Cédric Zesiger, den ich schon als ganz junger Spieler bei Xamax sah. Sein Abgang zu Wolfsburg ist ein Verlust für uns.

Dann gab es Spieler wie Cedric Itten – ich hätte nicht gedacht, dass er so einschlägt. Oder Jean-Pierre Nsame hat einmal mehr bewiesen, wie torgefährlich er ist. Und Meschack Elia bereitet dank seiner Schnelligkeit immer wieder Chancen für die Kollegen vor.

Man hätte meinen können, dass der Erfolg zu einer gewissen Sättigung führt. Aber das Gegenteil ist der Fall, mit über 29’000 Zuschauerinnen und Zuschauern war der Schnitt im Wankdorf so hoch wie noch nie. Warum? Weil die Heimspiele ein Erlebnis sind. Weil YB einfach gut ist.

Was ich nun personell machen würde, wenn ich in der Verantwortung wäre? Nicht sehr viel. Ich würde nur das Nötigste tun auf dem Transfermarkt und die Abgänge ersetzen. Es läuft ja. Und ich bin sicher: Es wird auch in der kommenden Saison laufen.»

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