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1. Am Ende der Kräfte (Fensterplatz)

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zu mir genommen. Etwas Feines aus der Bäckerei wirkt bei mir wie ein mildes Antidepressivum ohne Nebenwirkungen (außer dass es dick macht, ich weiß). Mein Essverhalten ist auch ein Thema beim Nachmittagstermin mit der ¾rztin. Ich bin zwar nur leicht übergewichtig, aber ich will die Rehabilitation trotzdem nutzen, um ein paar Kilo zu verlieren. Also lasse ich mich freiwillig auf Reduktion setzen. Nicht mehr als 1600 Kalorien pro Tag. Das gibt nicht eben viel auf dem Teller. Und keine Schokolade zwischendrin und nur noch zwei Mal täglich Kaffee. Es geht erstaunlich gut, stelle ich später fest. Die ¾rztin untersucht mich kurz und erklärt mich für gesund. Jedenfalls so, dass ich die Rehabilitation antreten kann. Mein nächster Termin ist bei einer Psychologin. Alle relevanten Probleme, Fragen und Entscheidungen sind mit ihr zu klären. Ich bin jetzt sozusagen nicht mehr selbständig. Wenn ich nach draußen gehe, muss ich mich abmelden. Will ich am Wochenende nach Hause fahren, brauche ich dazu ihre Einwilligung. Früher hätte ich beträchtliche innere Konflikte mit dem Umstand gehabt, einen Psychologen zu brauchen. Ich wollte und ich konnte mein Leben selber meistern. Und ich hatte ja Gott, mit dem ich über Mauern springen konnte. Doch jetzt kann ich nicht mal mehr einen Kilometer laufen. Ich bin total kaputt. Ich merke gerade, dass ich schon einige Male das Wort «früher» verwendet habe. Das scheint darauf hinzudeuten, dass ich meinen Aufenthalt in der Klinik als Einschnitt in mein Leben, der so manches verändern sollte, akzeptiert habe. Ich muss in gewisser Hinsicht anders


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