Brixner 362 - März 2020

Page 20

Die Frau aus dem Volk RENATE GEBHARD, Kammerabgeordnete der Südtiroler Volkspartei im römischen Parlament, hat sich ihre Natürlichkeit bewahrt. Der gebürtigen Latzfonserin, die seit vergangenem Herbst in Feldthurns zu Hause ist, wurde die Begeisterung für die Politik in die Wiege gelegt.

E

in Gespräch mit Renate Gebhard ist allemal ein Gespräch auf Augenhöhe: authentisch und bodenständig und herzerwärmend normal. Die Kammerabgeordnete der Südtiroler Volkspartei im römischen Parlament hat sich ihre Natürlichkeit bewahrt. Sie ist eine Frau aus dem Volk, und man hat das Gefühl, dass sie die Menschen mit all ihren kleinen und großen Sorgen auch wirklich versteht. Eines hat sie in den vergangenen sieben Jahren gelernt: Die Welt der italienischen Politik ist eine eigene.

sich um unzählige Anliegen der Bürgerinnen und Bürger. „Ich bin ja ein Bindeglied der Südtiroler zu Rom.“ Sich immer wieder auf neue Situationen einzustellen, „das ist Realpolitik“. Die Anliegen bleiben dieselben, die Ansprechpartner wechseln. Die SVP ist seit Bestehen des Parlaments als einzige Partei mit demselben Namen und demselben Zeichen vertreten. Die Mandatare aus Südtirol haben in erster Linie einen autonomiepolitischen Auftrag. Zum ersten Mal politisch tätig wurde Renate Gebhard im Jahr

Ihr Werdegang. Renate Gebhard

stammt aus einer „politisch total interessierten Familie“. Der Großvater mütterlicherseits, Franz Mitterrutzner, war einer der Menschen, die an der Seite von Friedl Volgger nach dem Zweiten Weltkrieg das Land mit aufgebaut haben. „Über den Krieg und die Gefangenschaft hat er nie geredet. Aber er hat mit Zuversicht in die Zukunft geschaut.“ Die politischen Diskussionen bei Familienfeiern haben Renate Gebhard gefallen, und sie haben wohl auch die

„So manche andere Frau hat es bedeutend schwerer, alles unter einen Hut zu bekommen“_ Renate Gebhard Da geht es nicht immer um den geraden, den direkten, den unverblümten Weg. Ein gerüttelt Maß an Diplomatie, gepaart mit der Fähigkeit, Gespräche bei einem Espresso dazu zu nutzen, mit Menschen in Beziehung zu treten, Verbündete zu suchen – das ist die Kunst, die man beherrschen sollte. „Man muss sich recht schnell anpassen.“ Und man muss mit (fast) allen reden können. Modus vivendi sozusagen. Es gilt zu erkennen, wo man etwas verändern kann – aus eigener Kraft, und weil sich gerade die Möglichkeit dazu bietet. Die Legislative ist anders als die Exekutive. Als Juristin an der Gestaltung von Gesetzestexten mitzuwirken, das sei im Grunde eine einmalige Chance.

Ihr Leben in Rom. Renate

Gebhard fährt jede Woche nach Rom. Von Dienstag bis Donnerstag reihen sich Sitzungen und Gespräche fast nahtlos aneinander, oft auch bis in die späten Abendstunden. Und sie kümmert 20

2005, als sie, 28 Jahre jung, in den Gemeinderat von Klausen gewählt wurde. Sie ist mutig, traut sich, ihre Meinung kundzutun, sich zu positionieren. So wie damals bei der vieldiskutierten Sportzone von Latzfons. Wenn man in der Öffentlichkeit steht, als Politikerin noch dazu, da lernt man, so einiges auszuhalten. Kommentare in den sozialen Medien treffen einen irgendwann nicht mehr so sehr, sagt sie. „Man lernt, damit umzugehen.“ Als Renate Gebhard 2013 das erste Mal für die Abgeordnetenkammer kandidierte, war sie schwanger. Und sie war deswegen starker Kritik ausgesetzt. Von Verantwortung gegenüber den Wählern war die Rede, so manche Stellungnahme war schlichtweg unter der Gürtellinie. Aber sie hat durchgehalten, und das ist eine der Stärken der zielstrebigen Latzfonserin, die seit vergangenem Herbst in Feldthurns lebt. Den eigenen Weg zu gehen, auch wenn er nicht einfach ist. Den eigenen Weg gehen – aus Überzeugung.

Weichen für ihren persönlichen Weg gestellt. Dass sie bei der Matura das geschichtliche Thema wählen würde, lag auf der Hand: 50 Jahre Pariser Vertrag. „Ich war die Einzige an meiner Schule, die dieses Thema genommen hat.“ Die Begeisterung für die Politik wurde ihr offensichtlich in die Wiege gelegt. Renate Gebhard hat die Handelsoberschule in Bozen besucht, „eine bewusste Wahl, um danach direkt in die Arbeitswelt einsteigen zu können“. Dass ihr das zu wenig war, das merkte sie während eines Sommerjobs nach dem vierten Oberschuljahr. Täglich neun Stunden lang Eingangs- und Ausgangsrechnungen verbuchen, „das konnte es für mich nicht sein“. Also schrieb sie sich nach der Matura für das von den Universitäten Innsbruck und Padua gemeinsam angebotene „Integrierte Diplomstudium der Rechtswissenschaften“ ein und schloss es 2002 ab. Seit 2006 ist sie Rechtsanwältin mit den Schwerpunkten Familienrecht

und Zivilrecht. Für diese Tätigkeit bleibt ihr im Moment natürlich wenig Zeit, „aber man darf nicht stehen bleiben“. Und das mit der Politik, „das kann sich von heute auf morgen ändern“.

Das Los der Frauen. Frauen

stünden in unserer Gesellschaft generell mehr unter Beobachtung, sagt sie. Renate Gebhard ist Vorsitzende der Frauenbewegung in der Südtiroler Volkspartei, und sie füllt diese Position mit viel Fingerspitzengefühl aus. „Viel mehr als Frauensolidarität braucht es heute Frauentoleranz.“ Das anzuerkennen, was andere geschafft haben. Sich darüber zu freuen, anstatt es mit überzogener Kritik zu zerbröseln. Respekt vor den Lebensentscheidungen der anderen – das wäre schlicht und einfach die Basis für die so oft geforderte Solidarität. Den Spagat zwischen Berufstätigkeit und Familienleben zu bewältigen sei nicht immer einfach. Renate Gebhard ist aber in ein gutes soziales Netz eingebunden, und ihr Mann und ihre Familie tragen ihre Lebensentscheidung mit. „So manche andere Frau hat es bedeutend schwerer, alles unter einen Hut zu bekommen.“ So viel zur harschen Kritik, als sie zum ersten Mal für die Abgeordnetenkammer kandidierte und schwanger war. „Zum Glück hat sich in dieser Hinsicht in den letzten Jahren einiges getan.“ Zum Ausgleich geht sie gerne wandern, und sie liest auch viel. Derzeit Astrid Koflers „Das Fliegen der Schaukel“. Zum zweiten Mal und dieses Mal am Stück. „Damit ich es besser genießen kann.“

marlene.kranebitter@brixner.info Leserbriefe an: echo@brixner.info

Foto: Oskar Zingerle

Menschen & Meinungen

PORTRAIT


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
Brixner 362 - März 2020 by Brixmedia GmbH - Issuu