R ICHAR D WAGNER · SÄMTLICHE BRIEFE 26
R ICH A R D WAGNER
SÄ MTL ICHE BRIEFE
herausgegeben im Auftrag der Richard-Wagner - Stiftung Bayreuth von Martin Dürrer
Band 26
R ICH A R D WAGNER
SÄ MTL ICHE BRIEFE
Band 26
Briefe des Jahres 1874
herausgegeben von Martin Dürrer
MITGLIEDER DES BEIRATS
Prof. Dr. Dieter Borchmeyer, Heidelberg / Prof. Dr. Werner Breig, Erlangen
Prof. Dr. Sieghart Döhring, Thurnau / Dr. Sven Friedrich, Bayreuth
Prof. Dr. Andreas Haug, Würzburg / Prof. Dr. Ulrich Konrad, Würzburg
Prof. Dr. Norbert Oellers, Bonn / Dr. Egon Voss, München
Eva Wagner-Pasquier, Bayreuth / Katharina Wagner, Bayreuth
FÖRDERUNG DURCH
Deutsche Forschungsgemeinschaft
WEITERE FÖRDERUNG DURCH
Oberfrankenstiftung
BV 426
ISBN 978-3-7651-0426-8
© 2023 by Breitkopf & Härtel, Wiesbaden Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Marion Schröder, Wiesbaden
Druck: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza
Printed in Germany
Vorwort
Zu Beginn des Jahres 1874 ist die finanzielle Lage des Bayreuther Festspielunternehmens so trostlos, dass Wagner entschlossen ist, alle Vorbereitungen einzustellen und auf bessere Zeiten zu warten. Die auf einer Krisensitzung im kleinsten Kreis beschlossenen Maßnahmen wie die Schaffung eines Garantiefonds durch wohlhabende Anhänger und ein Appell an den deutschen Kaiser durch Vermittlung eines Fürstenkonsortiums finden keine Unterstützung. Gänzlich erfolglos bleibt auch ein erneuter öffentlicher Subskriptionsaufruf über die deutschen Buch- und Musikalienhändler.1
Wagners briefliche Mitteilung vom 9. Januar an Ludwig II. von Bayern (Nr. 8), das Festspielprojekt nunmehr aufgeben zu wollen, verbunden mit dem an den Monarchen adressierten Vorwurf der Teilnahmslosigkeit für das große Werk, verfehlt ihre Wirkung dagegen nicht. „Nein, nein und wieder nein! so soll es nicht enden!“ heißt es in der Antwort aus München nach zweiwöchiger Bedenkzeit. Der bald darauf zur Verfügung gestellte Kredit über 100.000 Taler aus der Kabinettskasse sichert zunächst den Fortgang der Vorbereitungen.2 Infolge der monatelangen Verzögerung seit dem ersten Hilferuf nach München erweist sich das Einhalten des Festspieltermins für den Sommer 1875 allerdings als unmöglich.
Anfang April 1874 steht fest, dass die Aufführungen auf das Jahr 1876 verschoben werden müssen.
Verträge über die Lieferung der Bühnentechnik mit dem Maschinenmeister Carl Brandt und über die Bühnenbilder mit dem Maler Joseph Hoffmann kommen zustande. Letzterer erweist sich in der Zusammenarbeit als starrköpfig und überwirft sich bald mit den anderen Beteiligten. Im Oktober gelingt es Wagner endlich, eine einvernehmliche Trennung von Hoffmann herbeizuführen. Die weitere Ausführung der Dekorationen wird darauf ganz den Theatermalern Brückner in Coburg übergeben.3
Die bereits angeworbenen Sänger und Sängerinnen bittet Wagner, ihn im Laufe des Sommers zu ersten Proben in Bayreuth zu besuchen. Seinen ehemaligen Assistenten Hans Richter schickt er
1 Siehe ThK 2a.
2 Siehe ThK 2b.
3 Siehe ThK 2c.
auf eine Theaterrundreise, um weiteres Personal sowohl für die Solopartien als auch für das Orchester anzuwerben.4
Im Privatleben sind es auch finanzielle Sorgen, die Wagner umtreiben. Die Einrichtung seiner Villa am Rennweg, für die er kurz nach dem Einzug Ende April die Benennung „Wahnfried“ kreiert, verschlingt große Summen. Ein Vorschuss des Verlegers Franz Schott auf zukünftig zu schaffende Kompositionen bringt Wagner etwas finanzielle Erleichterung. Das dafür in Aussicht gestellte halbe Dutzend Orchesterwerke wird er niemals liefern.
Cosima Wagner, die in Gelddingen praktischer veranlagt ist als ihr Mann, hätte gern manche Kosten eingespart. Dazu zählen auch, wie sie ihrem Tagebuch anvertraut,5 die mehr als 400 Taler für die Anbringung des im Vorjahr bestellten Sgraffitos Das Kunstwerk der Zukunft über dem Eingang der Villa.
Eine Grundvoraussetzung für die Realisierung der Festspiele muss Wagner im Laufe des Jahres 1874 erst noch schaffen, denn das Werk, dem all die aufwändigen Aufführungsvorbereitungen gewidmet sind, ist noch gar nicht vollendet. Von der Partitur der Götterdämmerung, dem letzten der vier Teile vom Ring des Nibelungen, liegt erst der erste Akt vor. Im Januar beginnt Wagner mit der Ausarbeitung des zweiten Aktes, im Juli mit dem dritten Akt, den er am 21. November abschließen kann.6 Parallel zur Ausarbeitung der Partitur arrangiert Karl Klindworth den Klavierauszug, eine wichtige Voraussetzung für die geplanten Sängerproben.
Zum Schaffen Wagners im Jahr 1874 ist noch die kleine, Ende Dezember infolge eines Theaterbesuchs entstandene Schrift Über eine Opernaufführung in Leipzig zu zählen.7 Im weiteren Sinne gehören auch die Korrekturarbeiten am dritten Teilband seiner Autobiografie Mein Leben dazu, die Wagner in der ersten Jahreshälfte vornimmt. Den Privatdruck in geringer Auflage besorgt wie bei den ersten beiden Bänden der Drucker Giovanni Antonio Bonfantini in Basel.8
Die Themen des Jahres spiegeln sich in der zahlenmäßigen Verteilung der Korrespondenz wieder. Friedrich Feustel und dessen Schwiegersohn Adolf Gross erhalten zusammen 31 Briefe. Feustel
4 Siehe ThK 3b.
5 Siehe CWT, 27. Oktober 1874, Bd. 2, S. 862.
6 Siehe ThK 4a.
7 Siehe ThK 4c.
8 Siehe ThK 4b.
ist die treibende Kraft im Verwaltungsrat der Festspiele. Sein Bankhaus verwaltet nicht nur die Finanzen des Festspielunternehmens, sondern auch Wagners Privatkonto und sein Hausbaukonto.
Die Agenten Carl Voltz und Carl Batz bewirtschaften seit der Einführung eines neuen Urheberrechts im deutschen Reich die Aufführungsrechte von Wagners älteren Opern und der Meistersinger von Nürnberg. Zusammen 30 Briefe sind diesem Themenkreis gewidmet. Im Herbst 1874 führt die von Wagner angestrebte Revision des für ihn äußerst nachteiligen Kontrakts zu einem nervenaufreibenden Streit, der sich noch durch das ganze nachfolgende Jahr hindurchziehen wird.9
An das Verlagshaus Schott gehen 17 Briefe, in denen es nicht nur um die Drucklegung der Ring-Partituren und des Klavierauszugs der Götterdämmerung, sondern auch um die von Wagner dringend gewünschten Vorschüsse auf zukünftige Kompositionen geht. In den Verlagskontext gehören auch die neun Briefe an Karl Klindworth, den Arrangeur des Klavierauszugs der Götterdämmerung.
Eine andere, schon Jahrzehnte währende Verlagskorrespondenz endet im Jahr 1874. Nachdem Wagner auf die Zusendung einer Neuauflage des Lohengrin-Klavierauszugs durch das Haus Breitkopf & Härtel äußerst unfreundlich reagiert, notiert Hermann Härtel auf dem Brief (Nr. 145): „Nunmehr den ganzen Mann ad acta zu legen.“
Die acht Briefe an die Wiener Stoff- und Teppichhandlung Philipp Haas & Söhne vermitteln einen Eindruck davon, wieviel Aufmerksamkeit Wagner allen Details der Einrichtung seines neuen Heims widmet. Zugleich lässt sich das Bestreben Cosima Wagners erkennen, ihrem Mann nach Möglichkeit Korrespondenzen abzunehmen, um ihm die nötige Arbeitsruhe für die drängende Arbeit an der Partitur der Götterdämmerung zu verschaffen. Sie schreibt an Emil Heckel, Alexander und Franziska Ritter und versucht, im Konflikt mit dem Maler Josef Hoffmann zu vermitteln. Ihre Sprachkompetenz prädestiniert sie auch für den Schriftverkehr mit nordamerikanischen Korrespondenten (Nr. 132).
Der Band enthält insgesamt 304 Briefnummern. Davon sind 16 Briefe erschlossen. Von den 287 überlieferten Briefen werden hier 70 zum ersten Mal veröffentlicht. Weitere 13 Brieftexte, die bisher nur durch auszugsweisen Abdruck in Katalogen des Autographenhandels bekannt waren, können zu dieser Zahl hinzugerechnet
9 Siehe dazu SBr 27, ThK 4.
werden. Erstmals vollständig abgedruckt werden im vorliegenden Band 35 Brieftexte.
An dieser Stelle ist wiederum zahlreichen Bibliotheken und Archiven für die freundliche Bereitstellung von Editionsvorlagen herzlicher Dank zu sagen; es sind dies: Richard-Wagner-Museum mit Nationalarchiv und Forschungsstätte der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth; Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv; Budapest, Liszt Ferenc Zeneművészeti Főiskola [Franz-Liszt-Musikhochschule]; Landesbibliothek Coburg; Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt; Eisenach, Reuter-Wagner-Museum; Karlsruhe, Badische Landesbibliothek; Sächsisches Staatsarchiv Leipzig; Universitätsbibliothek Leipzig, „Bibliotheca Albertina“; Luzern, Zentral- und Hochschulbibliothek; Bibliotheken der Stadt Mainz – Wissenschaftliche Stadtbibliothek; Stadt Mannheim, Stadtarchiv; Thüringisches Staatsarchiv Meiningen; München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv; München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abteilung Geheimes Hausarchiv; München, Bayerische Staatsbibliothek; München, Richard Wagner-Gesamtausgabe; New York, The Morgan Library; New York, The New York Public Library; New York, The New York Public Library for the Performing Arts; Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg; Prag, Památník národního písemnictví [Denkmal der Nationalliteratur]; Princeton, University Libraries; Schwarzenfeld, Holnstein-Archiv; Stockholm, Kungliga Biblioteket – Sveriges nationalbibliotek; Tribschen/Luzern, Richard-WagnerMuseum; Washington/DC, The Library of Congress; Weimar, Stiftung Weimarer Klassik, Goethe- und Schiller-Archiv; Wien, Österreichische Nationalbibliothek; Wien, Wienbibliothek im Rathaus; Zentralbibliothek Zürich – Kantons-, Stadt- und Universitätsbibliothek; Zwickau, Robert-Schumann-Haus.
Etwa ein Drittel der Redaktionsvorlagen für den Band stellte das Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth zur Verfügung. Dem Direktor Herrn Dr. Sven Friedrich sei hierfür und für die vielfältige Unterstützung im Laufe der Editionsarbeiten herzlich gedankt. Die Leiterin des Bildarchivs Frau Tanja Dobrick M. A. half in zuvorkommender Weise bei der Identifizierung einiger Fotografien und Bilder, die in den Brieftexten erwähnt werden. Sie sorgte auch für einige der Abbildungsvorlagen. Die Bibliothekarin Frau Kristina Unger unterstützte die Auswertung weiterer Archiv-
bestände, die dadurch für die Kommentierung der Briefe herangezogen werden konnten.
Für die Vermittlung von Briefen aus Privatbesitz ist der Herausgeber Herrn Dr. Egon Voss, Herrn Dr. Peter Jost und Herrn Stewart Spencer sehr dankbar. Einige Privatbesitzer, die namentlich nicht genannt werden wollten, stellten der Arbeitsstelle in großzügiger Weise direkt Kopien aus ihren Sammlungen zur Verfügung.
In letzter Minute konnte als Nachtrag noch der Brief an William Barclay Squire (Nr. 304) eingefügt werden. Der Herausgeber dankt Herrn Dr. Nicolas Bell vom Trinity College in Cambridge für den wertvollen Hinweis und die Überlassung einer Kopie.
Aus dem Hilfskraftteam der Arbeitsstelle wirkten Herr Hans Gebhardt M. A., Frau Judith Raspe B. A., Frau Anne Schmid und Frau Marina Walow M. A., an der Redaktion des Bandes mit. Ihnen allen sei hiermit herzlicher Dank gesagt.
Dem Verlag Breitkopf & Härtel gebührt diesmal besonderer Dank, weil er über die redaktionelle Betreuung hinaus, die in den bewährten Händen von Herrn Dr. Frank Reinisch lag, auch Kapazitäten für die Korrekturlesung des Bandes bereitstellte. Wiederum
Dr. Reinisch und Frau Angela Sievers aus dem Lektorat sei für ihre gründliche Durchsicht der Texte und Kommentare Dank gesagt, ebenso wie Frau Lisa Conrad, die den Band in der Herstellung betreute. In einer schwierigen Phase der Ausgabe konnte so die Endredaktion zügig bewältigt werden.
Erlangen, im Juni 2023
Martin DürrerBenutzerhinweise
Inhalt
Inhalt der Ausgabe Sämtliche Briefe sind die von Richard Wagner geschriebenen Briefe. Die an Richard Wagner gerichteten Briefe werden, soweit erhalten und zugänglich, für die Kommentierung ausgewertet, sind aber nicht Gegenstand der Edition.
Briefe im Sinne der Edition sind persönliche Mitteilungen, die an einzelne Personen oder an eine begrenzte Personengruppe gerichtet sind (etwa an die Mitglieder eines Orchesters). Zu den Briefen werden auch Telegramme, durch Boten beförderte Mitteilungen auf Zetteln usw. gerechnet, nicht aber Widmungen, Albumblätter, Quittungen, Verträge und ähnliche Schriftstücke.
In der Edition werden auch Briefe ohne edierbaren Text berücksichtigt. Das sind einerseits Briefe, deren gegenwärtige oder einstige Existenz durch einen Briefumschlag belegt ist oder durch Nachweise anderer Art, die sich auf den Brief als physisches Objekt beziehen (z. B. in Bibliothekskatalogen oder Verkaufsangeboten), sowie andererseits Briefe, die nur durch Indizien – zumeist in der Korrespondenz selbst – bezeugt sind („erschlossene Briefe“). Briefe ohne edierbaren Text werden im Textteil an der ihnen nach dem Datum zukommenden Stelle durch eine Kopfleiste repräsentiert, wobei erschlossene Briefe durch Asteriskus (*) gekennzeichnet sind.
Textteil
Der Textteil enthält sämtliche überlieferten und erschlossenen
Briefe von Richard Wagner in durchgehender chronologischer Reihenfolge. Mehrere am gleichen Tag geschriebene Briefe erscheinen in der alphabetischen Reihenfolge der Empfängernamen, falls die Schreibreihenfolge sich nicht eindeutig ermitteln lässt. Briefe, deren Niederschrift sich über mehrere Tage erstreckt hat, werden unter dem frühesten bekannten Datum eingeordnet. Briefe, deren Schreibdatum nur näherungsweise ermittelt werden kann, stehen in der Regel am Ende des in Frage kommenden Zeitraumes (Monat oder Jahr).
Der Textteil enthält im Prinzip den reinen Brieftext. Als textbegleitende Orientierungshilfen werden hinzugefügt:
– lebende Kolumnentitel am Kopf der Seite, die über die Nummer und das Datum des auf der jeweiligen Seite enthaltenen Briefes informieren – eine Kopfleiste über jedem einzelnen Brief, die Angaben über den Adressatennamen und -ort sowie Ort und Datum der Niederschrift enthält (Angaben aus Katalogen des Autographenhandels werden stillschweigend übernommen, sofern kein Zweifel an deren Zuverlässigkeit besteht)
– eine Zeilenzählung für jeden Brieftext
Im Falle von unvollständig oder gar nicht im Originaltext überlieferten Briefen wird auch auf Inhaltsangaben (auch fremdsprachige) und Übersetzungen zurückgegriffen. Erstere werden kursiv, letztere kursiv und in Anführungszeichen gesetzt.
Zu den Briefen, die Wagner auf Französisch geschrieben hat, werden im Anhang des Textteils Übersetzungen gegeben.
Für Notenbeispiele innerhalb von Briefen wird eine möglichst nahe am originalen Schriftbild bleibende Umschrift gegeben.
Prinzipien der Textkonstituierung
Der Brieftext wird unter Wahrung von Rechtschreibung, Zeichensetzung und Absatzgliederung des Originals (bzw. der Vorlage) wiedergegeben; jedoch werden Überstreichungen von Konsonanten als Verdoppelungszeichen stillschweigend aufgelöst. Einfache und doppelte Unterstreichungen werden als solche wiedergegeben. Die in den Rahmenteilen (Orts- und Datumsangabe, Unterschrift, Adresse) vorkommenden Über- und Unterstreichungen, Trennlinien, Schnörkel, Schrägstriche u. ä. werden in der Edition nicht berücksichtigt, es sei denn, sie sind als inhaltliche Hervorhebungen zu interpretieren. Zeichnungen werden in Faksimile wiedergegeben.
Hat Wagner selbst Korrekturen vorgenommen, so ist für die Edition die korrigierte Fassung maßgeblich; sofern der Korrekturvorgang für den Inhalt relevant ist, wird auf ihn im Kommentar hingewiesen. Die originale Orts- und Datumsangabe gilt als Bestandteil des Textes und wird in der gegebenen Form ediert, auch wenn dies im Verhältnis zur normierten Kopfleiste zu Redundanzen oder Widersprüchen führt. Nicht zum Brieftext gehören Vermerke
des Empfängers oder späterer Besitzer; über sie wird entsprechend ihrer Bedeutung im Kommentar berichtet.
Der Brief soll als reiner Text gelesen und zitiert werden können. Der Text wird deshalb nicht durch Erläuterungen erweitert; auch auf diakritische Zeichen und Anmerkungsnummern innerhalb des Textes wird verzichtet. Editorische Einschaltungen in den Text erfolgen nur zur Kennzeichnung von Auslassungen („[...]“), die durch die Überlieferungssituation bedingt sind (Unvollständigkeit des Originals oder anderer Überlieferungsträger). Kleinere Textverluste durch Beschädigung des Originals, die sich mit hinreichender Sicherheit rekonstruieren lassen, werden im Editionstext ergänzt und im Kommentar dokumentiert.
Der Grundsatz, die originale Rechtschreibung und Zeichensetzung zu bewahren, wird mit möglichst wenigen Ausnahmen durchgeführt. Berichtigt werden offensichtliche Schreibversehen wie ausgelassene oder versehentlich doppelt geschriebene Worte, Verschreibungen (Dreden statt Dresden) usw. Zur Vermeidung von Verständnisschwierigkeiten wird die nicht immer konsequente Groß- und Kleinschreibung der Personalpronomina korrigiert. Die Emendationen werden nicht innerhalb des Brieftextes als solche bezeichnet, sondern im Abschnitt „Textkonstituierung“ des Kommentars nachgewiesen. Nicht verbessert werden dagegen Irrtümer des Briefschreibers in Bezug auf Fakten und Schreibweisen (insbesondere von Namen und Fremdwörtern). Auch Inkonsequenzen bzw. wechselnde Schreibweisen werden beibehalten. Es versteht sich von selbst, dass die Entscheidung, ob ein Versehen vorliegt oder ob Wagner tatsächlich so schreiben wollte, nicht in jedem Fall sicher zu treffen ist.
Einige Abweichungen vom modernen Sprachgebrauch seien hier exemplarisch angeführt:
– Alte Formen und Schreibweisen: Einzelnheiten, Spatziergang, vertrauenvoll, Weihnachtgeschenk. Es wird nicht konsequent wieder / wider unterschieden, z. B. Widerherstellung, Wiederwillen.
– Getrennt- und Zusammenschreibung: Gasthof Leben, zusammen zu kommen.
– Gelegentlich kommen ungewöhnliche Beugungen vor, so wird nach alle das folgende Adjektiv oft parallel gebeugt, z. B. alle gute Mächte.
– Mengen- und Zeitangaben: ein gross Stück, ein halb Jahr.
– Die Rektion einiger Verben entspricht nicht dem heutigen Gebrauch, z. B. ich versichere Dich, ich bedeute Dich.
Die französisch geschriebenen Briefe Wagners werden grundsätzlich ohne editorische Eingriffe wiedergegeben, d. h. Irrtümer hinsichtlich Orthographie, Grammatik und Syntax bleiben unverändert stehen. Nur ganz offensichtliche Schreibversehen, wie z. B. ausgelassene oder doppelt geschriebene Worte, werden korrigiert und im Kommentar dokumentiert.
Ist ein Brief nur im Konzeptstadium erhalten, so wird das Konzept innerhalb des Editionsteils an der ihm chronologisch zukommenden Stelle abgedruckt. Der Konzeptzustand des Textes wird in der Edition dokumentiert, d. h. Streichungen bzw. überschriebene Worte (in „ “) und Einschübe (in „\ /“) sind aus der Textwiedergabe zu erkennen.
Besonderheiten von Telegrammtexten, die sich aus dem Übermittlungsvorgang oder dem technischen Übermittlungsverfahren ergeben (Groß- und Kleinschreibung, Interpunktion usw.), werden stillschweigend berichtigt bzw. an die Typographie der Sämtlichen Briefe angepasst.
Ist die Redaktionsvorlage ein Druck, so werden dessen Hervorhebungen (Sperrung, Kursivdruck u. ä.) als Unterstreichung wiedergegeben, hervorgehobene Werktitel werden in Anführungszeichen gesetzt. Nicht übernommen werden dagegen Hervorhebungen in der Anrede und den Rahmenteilen (Orts- und Datumsangabe, Unterschrift, Adresse). Bei der Anrede und den Rahmenteilen wird gegebenenfalls eine den Schreibgewohnheiten Wagners entsprechende Absatzgliederung vorgenommen. Hiervon abweichende Verfahrensweisen werden im Kommentar vermerkt.
Kommentar
Der Kommentar enthält sowohl Angaben zu den Einzelbriefen als auch Erläuterungen, die sich auf briefübergreifende Themen beziehen. Die letzteren werden zu Beginn des Kommentarteils in einem allgemeiner gehaltenen Abschnitt („Themenkommentar“) gegeben. Um den Einzelbriefkommentar zu entlasten, sind die Punkte ausgespart, die im Themenkommentar schon erläutert wurden; auf Querverweise wird verzichtet, sofern der Bezug auf das jeweilige Thema eindeutig ist.
Der Kommentar für den Einzelbrief setzt sich aus folgenden Teilen zusammen:
– Kopfleiste
– Grundkommentar
– Textkonstituierung
– Erläuterungen
Der Grundkommentar steht in einem auf die Kopfleiste folgenden Absatz ohne eigene Überschrift. Er enthält Angaben zu den Quellen und – soweit vorhanden – zu früheren Ausgaben. Hat sich im Rahmen der Textkonstituierung ergeben, dass Ausgaben unvollständig sind, so wird dies mitgeteilt; eine systematische Überprüfung findet nicht statt. Falls nötig, werden außerdem die Identität des Adressaten und das Schreibdatum diskutiert sowie weitere Angaben formeller Art gemacht (z. B. über Beilagen).
Der Abschnitt „Textkonstituierung“ dokumentiert alle editorischen Entscheidungen bezüglich des vorgelegten Textes. Er ist erforderlich, wenn das Original Schreibversehen enthält oder über andere Besonderheiten des Originals zu berichten ist, die aus dem Editionstext nicht unmittelbar zu erkennen sind. Wenn nicht oder nur teilweise nach dem Original ediert werden kann, so wird die Redaktionsvorlage genannt. Sind mehrere gleichrangige Überlieferungsträger vorhanden, wird die Auswahl begründet. Signifikante Abweichungen der anderen Quellen werden dokumentiert.
Der Abschnitt „Erläuterungen“ gibt in kurzer Form Informationen zu einzelnen Stellen des Briefes, deren Bedeutung oder Bezug aus dem Text selbst nicht erkannt werden kann. Die kommentierte Stelle wird durch Zeilennummer und ein Stichwort (Lemma) bezeichnet. Durch die Erläuterungen sollen auch alle im Brief vorkommenden Personen identifizierbar und somit im Personenregister auffindbar sein, wo nähere Informationen gegeben werden.
Die Register verweisen grundsätzlich auf die Briefnummer, wobei Zeilenangaben mit Schrägstrich angeschlossen werden. Das Kürzel „K“ weist auf den entsprechenden Einzelbriefkommentar. Nicht berücksichtigt werden die Autoren der zitierten Sekundärliteratur. Die ohne Fundstellennachweis verzeichneten Personen erscheinen nur als Adressaten. Die entsprechenden Briefnummern können im Adressatenregister nachgeschlagen werden.
Briefe
1. A N G AETANO G HEZZI IN M AILAND
B AYREUTH , D ONNERSTAG , 1. JANUAR 1874
Cher Monsieur,
j’ai intercepté votre lettre à ma femme, parceque j’y tiens que le complétement de mes dernières commandes fassiont part du cadeau de noël. Mais j’ai assez bien compris les volontés de Madame, pour vous répondre parfaitement dans son sens.
Observez toujours bien, que ma femme ne sort pas cet hiver. Ainsi, il s’agit de quelque chose de gracieux pour nos soirées intimes. Le „dessous“ sera complété par un corsage, bien entendu; le corsage sera montant, avec un jabot de dentelle et nœuds de rubans; – manches ajustés; la robe garnie de volants pouffés – du 10 même étoffe de satin – pas de basque devant (la robe doit être très large et à queue) mais une riche pouffe à nœud derrière, comme au devant. Ne demandez pas les modes actuelles; veuillez plutôt comprendre le sens de Madame Cosima, qui désire de s’émanciper de la mode – du moins pour sa maison. – Ainsi: richesse de l’étoffe, 15 largeur, ruches, volants, pouffes, nœuds – bien: mais pas de ces basques épinglées etc. –
Veuillez d’abord finir et envoyez la robe en satin rose; Madame demandera après elle même la robe blanche d’après son contentement. – 20
Avec le plus grand éstime
Bayreuth très obligé (en Bavière) Rich. Wagner.
1 Janv. 1873. 25
Mais – hátez vous un peu, cher Monsieur!
2. A N C HARLES N UITTER IN PARIS
B AYREUTH , D ONNERSTAG , 1. JANUAR 1874
Cher, cher ami!
Comment vous portez-vous? Comment se porte Votre bon père? – Je pense toujours à Vous, oh bons et vrais amis! Et je le fais avec
une chaleur redoublée en ce jour d’an, en soignant mes memoires intimes que je veux laisser après ma mort à mon fils! 5
Mille saluts cordiaux! Je vous appartiens de tout mon cœur! Votre
Bayreuth vieil ami en Bavière Richard Wagner.
1 Janv. 1874 10
Mein theurer Freund!
Ich bin seit 1 Januar nicht wohl, und hüte neuerdings wieder das Haus. Hoffentlich soll mich der mannigfaltige Kummer, den ich jetzt zu erleiden habe, dennoch nicht niederwerfen! –
In Erwiderung Ihrer finanziellen Mittheilungen habe ich Ihnen 5 stets nur für Ihre Bemühungen meinen herzlichsten Dank zu sagen.
Was den Conto für den Hausbau betrifft gedenke ich nächstens nur einmal meine Neugierde im Betreff der mancherlei mir gänzlich unbekannten Namen, an welche Zahlungen gemacht wurden, zu befriedigen. 10
Laut Contract hatte Hr Wölffel das Geländer über der Gallerie zu liefern (wie er diess auch bestellt zu haben zu seiner Zeit –wenigstens vorgab.) Als hierauf im vergangenen Frühjahre Herr Gedon aus München hier war, und ich diesem auch die ganze Halle herzustellen übergab, bedang sich dieser, hierfür auch das Geländer
auf der Gallerie nach seinem Plane herstellen zu dürfen. Hierauf bestellte ich bei Wölfel, unter Angebung des Grundes, dieses Geländer ab, wobei ich vermeinte und zu erkennen gab, dass, indem ich ihm dieses erliesse, würden wir bei anderweitigen Ueberschreitungen (z. B. für Spiegelglas) hiervon Notiz und Abrechnung neh-
men. – So, wenigstens, ist mir Alles erinnerlich; jedenfalls muss hierfür auch sprechen, dass die Erlassung dieses Geländers nicht im Contracte nachgetragen ist, wie diess leider sehr voreilig mit einigen anderen Erlassungen, auf welche in der ursprünglichen Fassung des Vertrages nicht gedacht war, von Seiten Herrn Wölfels aus- 25 geführt worden ist. – Als ich Herrn Gedon für die Halle wieder verabschiedete, meldete ich nun Herrn Wölfel, dass es für das
Geländer bei der alten Abmachung bliebe, worauf es demgemäss von ihm besorgt wurde. –
Ich wünschte, dass Hr. Wölfel sich vor Allem zurückrufe, dass 30 durch Nicht-Einhaltung des Bauvertrages im Betreff des Zeitpunktes der Vollendung auch der inneren Einrichtung, er eigentlich Strafe verwirkt hat, – von welcher Sie wahrscheinlich – wie übrigens billig – keine Notiz genommen haben; dass ich ferner in Folge hiervon – unter andern – zu neuer Mietszahlung in seinem hiesigen 35 Wohnhause genöthigt bin, welches ich doch so gern im vorigen October mit meinem eigenen Hause vertauscht hätte; dass demnach Herr Wölfel manchen Grund hat, im Betreff der Abwickelung unserer Rechnungen u.s.w. mir keine besonderen Schwierigkeiten zu bereiten. – 40
Verzeihen Sie! Mich haben diese wenigen Zeilen etwas angestrengt! –
Bald sehe ich Sie, und bald wissen wir auch, woran wir in anderen Dingen sind! denn dieser Zustand ist länger nicht zu ertragen!
von Ihrem Bayreuth dankbar ergebenen
5 Jan. 1874. Richard Wagner.
4.
Lieber Herr Hölzel!
1874
Sie haben mir eine sehr grosse und freundlich angenehme Ueberraschung gemacht! Herzlich freut es mich vor allem auch, dass Sie der Meistersingerzeit in München gern eingedenk zu sein scheinen: es geht Ihnen dann wie mir; dass Sie dann meinerseits in die gleiche
Erinnerung eingeschlossen sind, glauben Sie wohl, und somit wollen wir zur Feier dieses guten Angedenkens das „blaue Glöcklein“ hell und gut tönen lassen!
Mit den ergebensten Grüssen der Ihrige
Bayreuth Richard Wagner.
5 Jan. 1874.
5. A N L ORENZ VON D ÜFFLIPP IN M ÜNCHEN (T ELEGRAMM )
B AYREUTH , D IENSTAG , 6. J ANUAR 1874
Es ist mir unerläßlich heute zu erfahren, ob Sie ein Ja oder Nein für mich haben. Antwort bezahlt.
Richard Wagner
6. A N C ARL B RANDT IN DARMSTADT
B AYREUTH , M ITTWOCH , 7. J ANUAR 1874
Werthester Freund!
Zwei Worte für heute:
Können Sie noch für 1875 fertig werden, wenn Sie die definitiven Aufträge erst ultimo März erhalten?
Gehen Sie, ich bitte, recht wohlgesinnt hierüber mit sich zu Rath, 5 und lassen Sie mich freundliche Antwort wissen.
Mit den herzlichsten Grüssen Ihr Bayreuth. ergebener
7 Januar 1874
Richard Wagner. 10
7. A N E MIL H ECKEL IN M ANNHEIM (T ELEGRAMM )
B AYREUTH , M ITTWOCH , 7. J ANUAR 1874
Erbitte dringend Ihren Besuch zu wichtiger Besprechung. Genauestes Einverständniß zwischen uns unerläßlich, pflichtschuldig
Richard Wagner
8. A N LUDWIG II. VON B AYERN IN H OHENSCHWANGAU
B AYREUTH , F REITAG , 9. JANUAR 1874
Mein erhabener Herr und Königlicher Wohlthäter!
Durch einen seltsamen Zufall kommt mir die Anzeige eines betrübenden Vorganges zu. Eure Majestät verzeihe es der Aufregung, in
welche ich hierdurch versetzt, wenn ich sofort diese Angelegenheit vor das rechte Tribunal bringe. 5
Der Professor F. Dahn in Königsberg hat sich, wie mir berichtet wurde, darüber geäussert, dass er vermöge der Mittheilung eines Briefes, welchen ich seiner Zeit an ihn geschrieben, an Eure Majestät, meinen königlichen Wohlthäter über meine Weigerung, einen Wunsch Allerhöchstdesselben zu erfüllen, wahrscheinlich nicht zu 10 meinem Vortheil, aufgeklärt habe. Ich entsinne mich, dass F. Dahn vor längerer Zeit, mit einem Bande seiner Gedichte (welche zu lesen ich keine Musse hatte) auch eine geschriebene Ode auf Eure Majestät zuschickte; von dieser Ode versicherte er mir, er glaube zu wissen, dass mein königlicher Wohlthäter es sehr huldvoll auf- 15 nehmen würde, wenn ich sie in Musik setzen wollte.
Dass nun F. Dahn daran gelegen sein könnte, von mir, der ich bisher nur meine eigenen Dichtungen in Musik zu setzen verstand, eines seiner Gedichte componirt zu erhalten, konnte ich sehr wohl begreifen; dass dagegen Eure Majestät ihm den Wunsch, es von mir 20 componirt zu sehen, ausgesprochen haben sollte, hielt ich für eine von den Prahlereien, wie sie mir im Betreff Eurer Majestät von Litteraten und Leuten, welchen die wahren Verhältnisse unbekannt sind, so häufig vorgekommen sind, dass ich mich um meiner Ruhe Willen daran gewöhnen musste, ähnliche Anforderungen gänzlich
unbeachtet zu lassen. Vielleicht habe ich nun in diesem Falle unrichtig geurtheilt; wäre mir jedoch ein Zweifel hierüber angekommen, so würde ich Eure Majestät ersucht haben, mir zu einer von mir gewünschten Musik auch meine eigenen Verse zu gestatten, da es mir durchaus unmöglich gewesen sein würde das von 30 F. Dahn gebrauchte und der deutschen Sprache künstlich aufgezwungene antike Metrum für eine Musik, wie ich sie einzig schreiben kann zu verwenden.
Sollte nun F. Dahn recht haben, und er durch Mittheilung meiner Weigerung Eurer Majestät wirklich eine Befremdung über mich
hervorgerufen haben, so würde ich diess für ein grosses, von mir aber gänzlich unwissentlich verdientes Unglück halten müssen, worüber von meinem königlichen Wohlthäter durch irgend einen gnädigen Wink beruhigt zu werden mir von unschätzbarem Werthe sein würde.
Hiermit sehe ich mich zugleich gedrängt, Eure Majestät davon zu benachrichtigen, dass in Folge der zuletzt mir zugekommenen Allerhöchsten Bescheidungen, ich die bisher projectirten Auffüh-
Nr. 9 / 10. Januar 1874
rungen des Nibelungen-Ringes aufgeben musste; da sie, indem ich die Aufträge für die Anfertigung der Bühnenmaschinerien und
der Dekorationen gerade jetzt nicht ertheilen konnte, für das Jahr 1875 unmöglich werden, kann ich sie mit gutem Gewissen noch viel weniger für ein folgendes Jahr ankündigen. Ich begnüge mich daher, mit Hilfe meiner Freunde, das Theater errichtet zu haben, in welchem mein Werk dereinst einzig zuerst aufgeführt werden
soll, und erleichtere meine Trübsal mit dem Gedanken, dass die Aufführungen auch für mich ihre Bedeutung verloren, da sie meinem königlichen Wohlthäter, zu dessen Ruhm und Gefallen ich sie hauptsächlich in das Leben rufen wollte, keine Theilnahme mehr abzugewinnen vermögen.
Ich wiederhole aus tiefstem Herzen die Danksagungen und ehrfürchtigsten Glückwünsche, mit deren mündlicher Ausrichtung an meinen königlichen Wohlthäter ich beim Jahreswechsel Hofrath Düfflipp beauftragte, und ersterbe in unbedingtester Hingebung als Eurer Majestät
60 Bayreuth. allerunterthänigster Diener
9 Januar 1874. Richard Wagner.
9. A N L ORENZ VON D ÜFFLIPP IN M ÜNCHEN
B AYREUTH , S AMSTAG , 10. JANUAR 1874
Hochgeehrter lieber Freund!
Gestern schrieb ich dem König direct nach Hohenschwangau in einer sehr sonderbaren Angelegenheit, in welcher ich Ihre Vermittelung nicht in Anspruch nehmen wollte. Durch einen auswärtigen Freund, welcher uns besuchte, war mir nämlich eine Aeusserung
des Prof. F. Dahn in Königsberg über sein Verhältniss zu mir berichtet worden, woraus mir hervorging, dass jener Herr meine Weigerung, eine seiner Zeit an den König gerichtete Ode zu componiren, unserem allergnädigsten Herrn mitgetheilt habe, ja, mittheilen habe müssen, weil der König selbst ihm den Wunsch ausgedrückt
habe, jene Ode von mir componirt zu sehen. Natürlich habe ich damals an dieses Vorgeben des He rrn Dahn nicht geglaubt, es vielmehr für eine Prahlerei gehalten, wie mir deren häufig vorkommen, und da ich dieses Gedicht gänzlich uncomponirbar fand, auch wusste, dass, wenn ich dem König in Worten u. Tönen etwas zu
sagen hätte, ich hierzu mich schon selbst zurecht finden würde, so wies ich die sonderbare Zumuthung einfach ab. Um nun keinen möglichen Schatten durch Misverständniss hierüber aufkommen zu lassen, hielt ich es demnach doch für gut, Se. Majestät von dem Hergange in Kenntniss zu setzen, was eben gestern brieflich
geschah. – Weswegen ich nun heute Ihnen über dieselbe Sache nachträglich noch schreibe, hat folgenden Grund. Nachdem ich den Brief abgeschickt, besuchte mich gestern Abend Herr Feustel; unter anderen erzählte ich auch diese Geschichte, welche ich Tags zuvor von Herrn Heckel aus Mannheim erfahren hatte; da er
erfuhr, dass ich darüber schon an den König geschrieben hätte, sagte er mir nun, dass die Geschichte allerdings begründet zu sein schiene, denn Sie selbst, hochgeehrter Freund, hätten ihm das letzte Mal in München davon erzählt. Ich frug ihn, warum er sie mir nicht mitgetheilt habe, worauf er sagte, Sie hätten diess nicht
gewünscht. Ich melde Ihnen daher den ganzen Vorgang, um Ihnen zu bezeugen, dass sowohl Herr Feustel, als auch Sie an dem Vorgange gänzlich unschuldig sind, – welches Zeugniss Ihnen vielleicht willkommen sein dürfte.
Im Uebrigen ist – so hoffe ich – die Sache hiermit zur Ruhe 35 gebracht, und ich habe einzig zu wünschen, dass meine Erklärung den König befriedigen und darüber beruhigen werde, dass ich einem wirklichen Wunsche Sr. Majestät gegenüber mich renitent bewiesen hätte: F. Dahn hat mir den Wunsch des Königs ausdrücklich bezeugt, wogegen ich seine Hindeutung auf einen solchen
Wunsch für Prahlerei u. Flunkerei hielt. Gleichzeitig habe ich allerdings Sr. Majestät nun kurz angezeigt, dass die Aufführungen meiner Nibelungen von mir aufgegeben sind, da ich 1875 – für welches wir jetzt augenblicklich die Aufträge geben müssten – nicht einhalten kann, eine Ankündigung für ein späteres Jahr aber geradezu
thörig u. lächerlich wäre. –
Soweit wären wir nun!! –
Haben Sie, wie immer, herzlichen Dank für Ihre Freundschaft, und seien Sie stets meiner anerkennungsvollsten Erwiderung versichert!
10 Jan. 1874. Richard Wagner.
10.
O SKAR M ERZ IN M ÜNCHEN B AYREUTH , M ONTAG , 12. JANUAR 1874
Lieber Herr Merz!
Dass man in München der Meinung ist, ich hätte Herrn Levi als meinen Dirigenten dorthin empfohlen, ist schon aus dem Grunde sehr sonderbar, dass man wissen sollte, dass ich seit meinem Fortgang von München nie auch nur eine Maus dorthin empfohlen
habe. Herr Levi ist mir als Dirigent gänzlich unbekannt: nur hat er sich mir seiner Zeit dadurch gut empfohlen, dass er sich weigerte, die Walküre ohne meine Beihilfe zu übernehmen, und aus diesem Grunde seiner früheren Berufung nach München entsagte. Ferner sagte mir einmal mein Freund Nietzsche, er habe einer Aufführung
der Meistersinger in Karlsruhe beigewohnt, und diese unvergleichlich besser als eine zuvor gehörte Aufführung in Dresden gefunden. Sonst bin ich mit KM. Levy mehremal persönlich zusammen getroffen, und hat er hier den Eindruck eines anständigen Menschen und Musikers auf mich gemacht, ohne dass ich ihn durch irgend eine 15 Production näher kennen gelernt hätte.
Mein Rath ist, nicht viel Wesen’s von dem, was Sie bekümmert zu machen; da Sie mir glauben können, wenn ich Ihnen sage, dass ich nicht einem einzigen Dirigenten noch auch Regisseur, oder auch Sänger oder Decorateur zutraue, meine Werke richtig aufzu- 20 führen, sobald ich persönlich es ihm nicht zeige. Woher sollten alle diese Leute es auch nehmen??
Mit besten Grüssen, namentlich auch an Herrn v. Balligand, verbleibe ich Ihr 25 Bayreuth. ergebener 12 Jan. 1874. Richard Wagner.
B AYREUTH , D ONNERSTAG , 15. JANUAR 1874
Hochgeehrter Freund!
Wenn hier nicht ein Versehen obwaltet, und – statt des angegebenen Brunnenwasser’s am R. Wagner-Theater – wirklich das Wasser des neu-gegrabenen Brunnen’s auf meinem Wohngrundstücke gemeint ist, – so ist offenbar, dass dieser Brunnen mit höchster
Nachlässigkeit hergestellt und unbrauchbar ist. Ich bitte Sie mir zu sagen, was diesem Resultate gegenüber zu thun sei? Unmöglich kann ich mich dieses Wassers als Brunnenwasser’s bedienen? – Nie habe ich, während der Arbeit, einen damit beauftragten Sachverständigen angetroffen. Die Brunnengräber versicherten mir nur im-
mer, ich würde ein herrliches Trinkwasser bekommen, so dass ich wieder von dem Gedanken, welchen Sie mir anriethen, abkam, nämlich von der neuen Stadt-Wasserleitung für mein Trinkwasser Gebrauch zu machen. Ich habe mich hierbei wieder über die schmähliche Art zu beklagen, mit welcher Hr. Wölfel, ausser für
seinen Rohbau, allen seinen übrigen Verpflichtungen nachgekommen ist. Er gräbt mir – nach Vertrag – einen Brunnen in meinem Hause, lässt mir durch seine Leute weis machen, es sei Trinkwasser; als sich diess als eine Schwindelei herausstellt, und ich eigens einen Brunnen zum Trinkwasser graben lassen muss, lässt er mich von 20 Neuem beschwindeln. Ich dächte, ich hätte diesen zweiten Brunnen nicht anzunehmen, als wenn er ihn – entweder – bis zu gutem Trinkwasser graben, oder durch die Stadt-Wasserleitung zum gewollten Gebrauche herrichten lässt. Wäre wohl unser freundlicher Herr Gross so gut, dieser Sache als Sachverständiger sich
anzunehmen? –
Ich ging heute Abend an Ihrer Wohnung vorbei, erblickte Sie bei der Gaslampe lesend, entschied mich aber dafür, Sie nicht zu besuchen. Warum? – Ich wollte Ihnen meine sehr schlechte Stimmung nicht zeigen, – wenn auch nur, um Sie in Ihrer optimistischen Welt-
laune nicht zu beunruhigen. Tag für Tag erwarte ich einen Bescheid, – eine Wendung. Dem König (auch Düfflipp) habe ich sofort in der bewussten (jammervoll lächerlichen) Angelegenheit geschrieben. Welche Gedanken müssen mir ankommen, wenn ich denke, dass solch ein elender Anlass verletzter Eitelkeit stillschweigend zu der
Tücke treibt, unter welcher die bedeutendsten Unternehmungen zu leiden haben! –
Doch – ich erschlaffe nicht! Vielleicht kann ich Ihnen schon sehr bald mit einiger Genugthuung Resultate meiner erneueten Bemühungen melden! 40
Bis dahin bleiben Sie – wie immer – gut und freundlich
Bayreuth. ergebnen
15 Jan. 1874. Richard Wagner.
Geehrter, lieber Freund!
Es geziemt mir, an Sie, den thätigsten und meisterwirkenden Begründer und Pfleger eines Vereines zur Förderung der von mir beabsichtigten Bühnenfestspiele, mich zu wenden, wenn es sich hierfür um einen entscheidenden Schritt handelt, welcher geeigne- 5 ter von einem verständnissvollen und bewährten Freunde meiner Unternehmung, als von mir, der diese Unternehmung als die seinige zu betrachten hat, selbst ausgeführt werden darf.
Eine mächtige Hilfe ist uns nöthig geworden, wenn das begonnene Werk einer baldigen Vollendung entgegengeführt werden soll;
an dieser baldigen Ausführung ist aber Alles gelegen, weil sie von der Rüstigkeit meiner persönlichen Lebenskraft abhängt. Wir sind im Laufe zweier Jahre dahin gelangt, von näheren Freunden meiner Kunst mit Einhunderttausend Thalern versehen zu werden: mit diesem Gelde haben wir den dauernden Grund der ganzen Unter-
nehmung durch Errichtung eines Bühnenfestspielhauses gelegt, dessen bauliche Solididät es für eine undenkliche Zeit als nutzbar sichert. Allein, gerade jetzt, wo allerspätestens die bestimmten Aufträge für die Herstellung der Bühnenmaschinerie und der Dekorationen zu ertheilen waren, sind die Kräfte der bisherigen Förderer
der Unternehmung erschöpft, der Fortgang derselben ist nothwendig aufgehalten, und sie selbst somit einem bedenklichen Loose verfallen, wenn keine entscheidende Macht hilfreich hierfür eintritt. –
Meine hiesigen Verwalter sind der Meinung, es sei das Unternehmen um jeden Preis nun bis zu dem Punkte seiner wirklich bevor-
stehenden Ausführung zu fördern, um dann mit Sicherheit aus dem Ertrage der uns von weit her zuströmenden Antheilnahme für das
ganz ausserordentliche Kunstereigniss die Deckung der aufgewendeten Kosten zu erwarten. In diesem Sinne bedurften wir nur einer genügenden Garantie hierfür, um durch nöthig werdende Anleihen 30 uns der Mittel zur ununterbrochenen Fortführung des Begonnenen zu versichern. Um die Leistung einer solchen Garantie ging ich zuletzt meinen erhabenen Wohlthäter, den König von Bayern an; aus mir unklar bleibenden Gründen hat Seine Majestät mich jedoch abschläglich beschieden.
Sie wissen nun, dass wir eine solche Garantie neuerdings unter besonders vermögenden geneigten Freunden aufsuchen. Sollte uns auch von dieser Seite her noch eine, jedoch wohl nur vorübergehend dienliche Hilfe erwachsen, so bin ich dagegen nun entschlossen, das Heil der so bedeutenden Angelegenheit an der Stelle 40 aufzusuchen, von welcher ihr die einzig entsprechende Würde zuertheilt werden kann.
Wenn ich hiermit an das „Reich“ denke, so ist Ihnen nicht unbekannt geblieben, dass ich bisher stets vor dem Gedanken, meine Unternehmung und den ihr zu Grunde liegenden Kulturwillensakt
von den Abgeordneten zu unsrem Reichstage discutirt zu sehen, zurückschreckte, weil ich unter allen Diesen nicht einen Einzigen herauszufinden wusste, welcher, der schmählichen Verunglimpfung meines Vorhabens durch die, gänzlich unwissende, herrschende grosse und kleine Presse gegenüber, die richtige Bedeutung dessel-
ben überzeugend darlegen und vertreten könnte. – Hiergegen bin ich nun auf den Gedanken gekommen, unsrem Siegreichen Kaiser selbst die ersten Aufführungen meines Werkes zu einer LustralFeier des im Jahre 1871 abgeschlossenen ruhmreichen Friedens mit Frankreich anzubieten. – Es käme hierbei darauf an, das von mir
unter so neuen, dem deutschen Wesen eigenthümlich entsprechenden Umständen aufgeführte Nibelungenwerk in einen Vergleich mit den theatralischen Festaufführungen zu stellen, durch welche bisher, einem nicht sehr rühmlichen Herkommen gemäss, solche erhabene Erinnerungstage gefeiert wurden: ich sollte vermeinen,
dass mit der Annahme meines Anerbietens dann zugleich auch die Anerkennung eines wichtigen deutschen Kulturgedankens ausgesprochen sein dürfte. – Hierüber sich kräftig und überredend zu äussern, kann aber nicht mir zukommen; ich muss durchaus unter den Freunden meiner Kunst, unter den Gönnern meiner Unterneh-
mung, die Fürsprecher suchen, welche, gestützt auf die von mir verfassten ausführlichen Anleitungen zu einem Urtheile hierüber,
an der entscheidenden Stelle die Bedeutung meines Vorhabens in das erforderliche Licht zu setzen vermögen.
In diesem, sowie in jedem Sinne, gereicht es mir zur schönen 70 Ermuthigung, Sie, lieber geehrter Freund, für die Wahl eines ersten Fürsprechers an Ihren eigenen Landesfürsten, den von mir so hoch verehrten Herrn Grossherzog von Baden, verweisen zu können. Dieser musterhafte deutsche Fürst war es, der, als ich im Jahre 1861 nach langer Verbannung Deutschland zuerst wieder betrat, 75 mit wahrhaft erleuchtetem Wohlwollen mir und meinen künstlerischen Unternehmungen entgegen kam. Ich habe seitdem keinen Grund erhalten, dieselben hochherzigen Gesinnungen, welche mich damals begrüssten, für erkaltet zu halten, und glaube daher, dass Sie auf eine tief vorbereitete, ernstlich geneigte Stimmung bei 80 Seiner Königlichen Hoheit treffen, wenn Sie den Herrn Grossherzog im Namen aller Derer, welche meinem Unternehmen bereits ihre Kräfte liehen, und unter denen ich mit besonderer Genugthuung meinen Durchlauchtigsten Gönner ja selbst zu zählen habe, um die Vermittelung einer entscheidenden Hilfe auf dem zuvor von 85 mir bezeichneten Wege angehen.
Es kann mir nicht zustehen, für die Beschreitung dieses Weges, wenn sie von dem Herrn Grossherzoge beschlossen werden sollte, nähere Maassnahmen anzugeben, da es sich denn wohl von selbst verstehen würde, dass die Mitwirkung Seiner Kaiserlichen und 90 Königlichen Hoheit des Kronprinzen des deutschen Reiches als die allerwirksamste sofort von meinem Durchlauchtigsten Gönner in das Auge gefasst werden dürfte. Nur würde ich mir erlauben, auch die Herren Grossherzöge von Sachsen-Weimar und Mecklenburg, sowie den Herrn Herzog von Dessau, welche sich bereits im per-
sönlich geneigten Sinne an meinem Unternehmen betheiligten, als vermuthlich zu einer Mitwirkung gestimmt aufzuführen.
Wollte ich nun genau bezeichnen, welches Resultat ich mir als das, alle meine Bestrebungen und Wünsche krönende Ergebniss einer so mächtigen Bemühung für mein Unternehmen vorstelle, so
wäre diess der hierdurch zu erwirkende Auftrag des deutschen Kaisers an mich, gegen die hierfür zu gewährende Unterstützung von Einhunderttausend Thalern, also des Drittheiles der Gesammtkosten derselben, drei vollständige Aufführungen meines Bühnenfestspieles „Der Ring des Nibelungen“ auf dem eigens hierzu erbauten
Festtheater zu Bayreuth, zur ersten Lustral-Feier des mit Frankreich
abgeschlossenen Friedens, im Sommer des Jahres 1876 zu veranstalten.
Da in Folge hiervon es ein Leichtes sein würde, die Berechtigung zur Verfügung über die, jener Summe entsprechende Anzahl von
Zuschauerplätzen, nach Maassgabe der bisherigen Patronats-Berechtigungen, in deutlichen Ziffern zu bezeichnen, übergehe ich in dieser Mittheilung an Sie jede nähere Ausführung dieses geschäftlichen Theiles der Angelegenheit, und ersuche Sie nun, im Vereine mit unseren werthen Freunden in Mannheim, den ersten Schritt
zur Verwirklichung des mir vorschwebenden Gedankens zu thun, den ich gern als Ihren eigenen Ihnen hiermit zurückgebe.
Mit hochachtungsvoller Freundschaft
Ihr Bayreuth. ergebener 120 16 Jan. 1874. Richard Wagner.
15. A N F RANZ M RAZEK IN M ÜNCHEN (T ELEGRAMM )
B AYREUTH , F REITAG , 16. JANUAR 1874
Geduld, alter Freund! Gott wird schon helfen. Netti bekommt morgen einen Brief meiner Frau. Richard Wagner.
16. A N J OSEPH N ADER IN W IEN
B AYREUTH , F REITAG , 16. JANUAR 1874
Werthester Herr Nader!
Ich komme wieder einmal zu Ihnen, um Sie um Ihre Vermittlung einer Bestellung an Ihr geehrtes Haus anzugehen. Gegenwärtig richte ich mir mein eigenes Haus ein, zu welchem ich meine älteren Seidenstoffe ziemlich gut noch verwenden kann, da ich einiges 5 davon recht glücklich habe färben können lassen. Nur die leichteren Stoffe zu Tentüren, Doublüren u.s.w. sind unbrauchbar geworden. Ich wollte Sie desshalb bitten, nach den beiliegenden zwei Mustern von jeder Farbe, also weiss u. gelb 100 Mêtres bald möglichst zu besorgen. Die Qualität des Atlasses kann dieselbe sein, nur
ziehe ich die Qualität des weissen Musters der des gelben vor. Der
Stoff, d. h. das Gewebe braucht durchaus nicht stark zu sein, da er nur hängt und nöthigenfalls gefüttert wird.
Alles kommt aber auf den Effect an, nämlich dass er sehr glänzend satinirt, also weit gewoben ist. –
Ich hoffe, Sie setzen mir recht billige Preise an und fördern die Bestellung nach Möglichkeit. Vielleicht hätten Sie Vorrath davon?
Auch würden wir gern eine reiche Auswahl von Mustern Ihrer glatten Möbel-Atlasse in allen Farben haben, da die Fauteils u.s.w. allerdings der Erneuerung bedürfen.
Ich hoffe bald günstige Nachricht von Ihnen zu empfangen und verbleibe in alter Freundschaft u. Hochachtung
Bayreuth. Richard Wagner. 16. Jan. 1874. 25
17. A N G IOVANNI A NTONIO B ONFANTINI IN B ASEL B AYREUTH , S AMSTAG , 17. JANUAR 1874
Geehrter Herr!
Ich muss aus Ihrer neuesten Zusendung ersehen, dass die Correctur-blätter meiner ersten Rücksendung, welche ich „sous bande“ der Post übergeben liess, verloren gegangen sind, – was mich für die Folge zu grösserer Vorsicht, selbst in der Zusendung blosser 5 Correcturen, bestimmt.
Wollen Sie daher für den Rest der Arbeit zukünftig (wie früher) auch die zweiten Correcturen, d. h. ohne Manuscript, versiegelt der Post übergeben. In der Schweiz schien mir diess nicht nöthig: in Deutschland ist aber jeder Postbeamte – namentlich in Bayern –
zu sehr mit mir bekannt. Sie könnten aber die Beilegung eines zweiten Druckexemplares, welches ich doch nicht beachte, füglich unterlassen.
Mit grösster Hochachtung empfiehlt sich Ihnen
Ihr 15 Bayreuth. ergebener
17 Jan. 1874. Richard Wagner.
18. A N E RNST W ILHELM F RITZSCH IN L EIPZIG
B AYREUTH , S AMSTAG , 17. JANUAR 1874
Lieber Herr Fritzsch!
Redigiren Sie doch eine kleine Notiz für Ihr M. W., worin Sie –manchen Anfragen zu genügen – einfach anzeigen, dass am Klavierauszug der „Götterdämmerung“ gegenwärtig von Prof. K. Klindworth in Moskau gearbeitet wird, und derselbe im Laufe dieses
5 Jahres bei Schott erscheinen soll. –
Mit herzlicher Erwiderung Ihres Neujahrgrusses bin ich
Bayreuth. ergebener
10
17 Jan. 1874. Rich. Wagner.
19. A N F RIEDRICH F EUSTEL IN B AYREUTH
B AYREUTH , M ITTWOCH , 21. JANUAR 1874
Mein theurer Freund!
Meine herzlichsten Glückwünsche zu Ihrem heutigen Geburtstage spreche ich Ihnen heute Nachmittag noch mündlich aus! Einstweilen bringen Ihnen unsere Kinder – ausser einer Frucht unserer Treibhauskunst – das Theater der Zukunft, welches Sie mir vorm
5 Jahre nach seiner äusserlichen Gestalt zuführten, nach seinem inneren Gehalt: öffnen Sie, und Sie werden gewahren, was die unscheinbare Form innen verschliesst, – das Kunstwerk der Gegenwart für den rechten Genuss zubereitet! –
Bleiben Sie mir gut! Diess wünsche ich mir zu Ihrem Geburtstage! 10
Mit dem freundschaftlichsten Gruss
Bayreuth. dankbar ergebener
21 Januar 1874. Richard Wagner.
20. A N P HILIPP H AAS & S ÖHNE IN W IEN
B AYREUTH , D ONNERSTAG , 22. JANUAR 1874
Herrn Philipp Haas & Söhne in Wien
Ew. Hochwohlgeboren
für die Zusendung der Muster, welche ich hiermit zurückgehen lasse, bestens dankend, halte ich, da keines derselben unsren Wünschen entspricht, mich an Ihre mir gemeldete Bereitwilligkeit, die 5 beiden Atlasse, nämlich 100 Mêtres weiss und 100 Mêtres gelb, binnen 6 Wochen neu anfertigen zu lassen, und bitte hierbei den schmäleren, ganz seidenen Stoff zum Muster zu nehmen, nur mit einer Verbesserung der Qualität um 1 Gulden, so dass wir 5 Gulden für den Mêtre als Preis festsetzen wollen. 10
Der gefälligen Zusendung von Mustern von bunten Möbel-Atlassen entgegensehend, verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung
Ew. Hochwohlgeboren Bayreuth ergebener 22 Jan. 1874. Richard Wagner.
21. A N F RANZ S CHOTT IN M AINZ
B AYREUTH , F REITAG , 23. JANUAR 1874
Mein hochgeehrter Freund!
Ich brauche zehntausend Gulden um mit meinem Hause und Garten fertig zu werden. Wollen Sie mir diese Summe sofort auf zu liefernde Compositionen vorschiessen, so würde ich mich dagegen verpflichten, sechs grössere Orchesterwerke, jedes von dem Um-
fange und der Bedeutung einer grossen Ouvertüre von halb Jahr zu halb Jahr zu liefern, und die erste Lieferung bis spätestens am Schlusse dieses Jahres 1874 Ihnen einzusenden. Bis Mitte dieses Sommers sind wir mit der Herausgabe der „Götterdämmerung“ fertig. Ich habe dann freie Zeit, Entwürfe, mit denen ich mich seit
länger beschäftigt, auszuführen, was mir eine bessere Laune machen wird, als dramatische Partituren zu schreiben, von denen ich doch weiss, dass sie unsere Theater meistens verhunzen, während ich mit solchen Orchestercompositionen immer Glück gehabt habe. Nun beurtheile ich den Werth eines solchen Stückes billigerweise nach
dem Antrage, welchen mir die Firma Peters gestellt hat, als sie sich, nach dem Erfolge des Kaisermarsches einer neuen Orchestercomposition von mir versichern wollte: sie bot mir Eintausend Thaler, und ich darf glauben, es dürfte mir nicht schwer fallen, von derselben die Vorausbezahlung von 6 solchen Werken zu erzielen. Doch,
hiervon ganz abgesehen, so mache ich mir jetzt diese bei mir stehende Möglichkeit eines Verdienstes durch Arbeit zu nütze, um mir das Geld zu verschaffen, dessen ich jetzt zur Vollendung meines Hauses – zu welchem, wie wohl immer, vieles Unvorhergesehene dazugekommen ist – bedarf.
Ist mein Vorschlag, mein Wunsch, meine Bitte, etwas nicht ganz Gewöhnliches, so ist es aber Franz Schott, an den ich sie richte, und am Ende ist es Richard Wagner, der diess thut.
Wollen Sie einen Vertrag hierüber aufsetzen, so stelle ich Ihnen jede Klausel frei, da meiner Seits Alles wohl erwogen ist und ich
sicher bin meinen Verpflichtungen pünktlich nachkommen zu können. – Mir liegt dagegen Alles an dem sehr baldigen Erhalt jener Summe, da sie eingerechnet ist und ich sie für mein Haus nothwendig brauche, im übrigen aber genug habe, um für mein Leben auch ohne solche Extra-Einnahmen auszukommen.
Ich hoffe, Sie gehen auf meinen Wunsch ein.
Neues Manuscript für den Klavierauszug ist im Anzuge. –
Ein Conzert in Mainz im nächsten Frühjahre wird mir jetzt immer plausibeler, wo ich noch für den Theaterbau aufzukommen habe. Gott wird das Weitere in dieser Angelegenheit beschliessen:
täglich erwarte ich entscheidende Nachrichten.
Mit den hochachtungsvollsten Grüssen
Ihr Bayreuth ergebenster
23 Jan. 1874. Richard Wagner.
22. A N R UDOLF F IEGE IN B ERLIN
B AYREUTH , S AMSTAG , 24. JANUAR 1874
[...] Suchen Sie doch Frl. Mallinger zu bestimmen, daß sie sich sofort von Herrn v. Hülsen einige Tage Urlaub ausbittet, um zu mir nach Bayreuth zu kommen; ich will ihr dann die Elisabeth so einstudieren, wie mir dies seinerzeit mit der Eva gelang: ich denke, sie wird sich dessen bewußt sein, von welchem Vorteil ihr dies Studium
für ihre ganze Laufbahn geworden ist. Da ich gerade auch hierbei kennen gelernt habe, wie ungemein schnell und sicher Frl. Mallinger das Richtige wiederzugeben weiß, wenn es ihr eben auf die rechte Weise gezeigt wird, halte ich einen vollen Tag Aufenthaltes hier für genügend zu dem, was ich ihr beizubringen habe. Folgt sie
mir, so wird die Elisabeth, von deren Darstellung ihrerseits ich bisher nichts Vorteilhaftes gehört habe, eine ebenso vorzügliche Partie von ihr werden wie die Eva. Außerdem sollte es mich sehr freuen, die Dame jetzt wieder kennen zu lernen, da ich auf sie gern für meine Bayreuther Festaufführungen Rücksicht nehmen können
möchte. – Was es mit der „Umarbeitung“ des „Fliegenden Holländers“ für eine Bewandtnis haben mag, verstehe ich nicht. Dem jetzigen Verleger der Oper habe ich wohl angezeigt, daß ich, wenn die Partitur gestochen werden soll, dieselbe zuvor umarbeiten wolle. Ist dies gemeint? Oder – wer macht eine Umarbeitung davon?
Sollte „Der fliegende Holländer“ in der bis jetzt einzig existierenden Bearbeitung wieder gegeben werden wollen, so würde ich auf das eifrigste wünschen, daß Herr Betz Frau Mallinger hierher begleite. Hier liegen eben Dunkelheiten und Nebel vor, welche ich ganz allein zerstreuen kann. Ich bin überzeugt, auch Betz wird in
dieser Rolle schön werden, wenn er sie mit mir einmal durchgenommen hat. – Für alle Ihre freundschaftlichen Nachrichten bestens dankend, grüße ich Sie hochachtungsvoll als
Mein lieber freundlicher Herr Gross!
Ich habe Ihnen noch gestern Abend eine Rechnung von Herrn Giessel mit fl. 1184. Kr. 46 zur gefälligen Auszahlung zugewiesen. Da meine übrigen Rechnungen sich ungemein zersplittern, ist es mir in jedem Betracht (namentlich auch dem der Schonung für Ihr 5 werthes Comptoir) wünschenswerth sie durch meine Haushälterin unter der Hand auszahlen zu lassen, und ich ersuche Sie daher, den, nach Auszahlung Giessel’s, von meiner Quittung auf die Berliner Theaterkasse mir zu gut kommenden Rest vom Betrage derselben in Baar zustellen zu wollen. Meine nächsten Einnahmen fallen
dann wieder in das schöne Conto-corrent, welches jetzt nicht eben brillant aussieht.
Mit den herzlichsten Grüssen von Haus zu Haus
Bayreuth stets verpflichteter 15
24 Jan. 1874. Richard Wagner.
B
Lieber Freund!
Erfreuen Sie mich doch recht bald wieder durch eine Zusendung, die erste war doch gar zu dünn um dem Verleger zu imponiren!
Warten Sie nicht ab bis Sie den ganzen Akt fertig haben! –
Ich arbeite vor, bin aber jetzt wieder sehr gestört gewesen. Meine 5 grosse Sache macht mir grämliche Noth: Gott weiss, wenn ich sie zu Stande bringe! –
Herzlich grüsse ich Sie, wie ebenso meine Frau diess thut!
Bleiben Sie gut
Ihrem 10
Bayreuth. ergebenen
27 Jan. 1874 Rich. Wagner.
Vergessen Sie doch auch nie, mir den richtigen Empfang einer Sendung anzuzeigen. Den Schluss des I Aktes haben Sie doch erhalten? 15
25. A N P HILIPP H AAS & S ÖHNE IN W IEN
B AYREUTH , M ITTWOCH , 28. JANUAR 1874
Herrn Ph. Haas & Söhne Wien.
Ich empfange soeben Ihr Werthes vom 26. d. M. und finde, dass wir für die Bestellung der 200 Mêtre Atlas (weiss u. gelb) noch nicht einig sind, und berichtige daher.
1. Beide Farben sollen von gleich guter Qualität des Stoffes sein. 5
2. Nicht den 77 centim. breiten Stoff (d. h. den mit Baumwolle versetzten) habe ich zum Muster gewählt, sondern, den schmäle-
ren, ganz seidenen, welchen Sie mit circa 2½ fl die W. Elle berechneten: dieser sollte um 1 fl pr Elle verbessert werden, dem Zufolge ich für das Mêtre (da wir diess Maass zu unserer Berechnung 10 bedürfen) 5 fl festsetzte. Ich glaube nun für diesen Preis (über 12 francs!) eine bereits sehr gute Qualität zu erhalten, wenigstens liefert man sie Paris dafür. Um jeden Irrthum zu vermeiden, lege ich noch die beiliegenden Muster für Farbe und Gewebe bei. Im Betreff der Zeit der Lieferung muss ich auf Mitte März bestehen. 15 Aber vielleicht hätten Sie doch Vorrath?
Für alle Fälle glaube ich mich nun deutlich genug ausgedrückt zu haben, um kein Missverständniss mehr aufkommen zu lassen.
Recht sehr danken wir für die anvertrauten Atlas-MöbelstoffMuster, davon wir sorgfältig Auswahl treffen und mit nächstem 20 hierüber berichten werden.
Mit grösster Hochachtung
Ergebenst
Bayreuth Richard Wagner.
28. Jan. 1874. 25
26. A N J OSEF H OFFMANN IN W IEN B AYREUTH , M ITTWOCH , 28. JANUAR 1874
Hochgeehrter Herr und Freund!
Auf Ihre verständnissvolle Beurtheilung meiner Lage musste ich rechnen, als ich Sie lange ohne Bescheid liess. Ob ich Ihnen heute zu spät, oder zu früh schreibe, ist mir immer noch unklar. Ich habe Ihnen bei Ihrem letzten Besuche in Bayreuth unverholen gelassen,
dass wir für die Möglichkeit, die Aufträge für das Jahr 1875 ergehen zu lassen, einzig von der Gewährung einer Garantie für nöthige Anleihen von Seiten des Königs von Bayern abhingen. Ich wollte von Ihnen und Herrn Brandt wissen, bis wann diese Aufträge contraktlich ertheilt werden müssten, um die Vorarbeiten für
die Vollendung im Sommer 1875 rechtzeitig angreifen zu können. Wir kamen überein, dass diess bis Mitte Dezember v. J. geschehen müsse, damit vom 1 Januar an die Arbeiten begonnen würden. Seitdem wir uns, Anfang Dezember, trennten, hatte ich nun vollen Grund, jeden Tag die erwünschte Nachricht aus München zu
erwarten: es bedurfte nichts als diesen einen kurzen Bescheides,
um uns augenblicklich in den Stand versetzt zu sehen, die nöthigen Abschlüsse mit Ihnen einzugehen.
Da ich endlich in den ersten Tagen dieses Januar durch den K. Hofsecretär einen abschläglichen Bescheid mitgetheilt erhielt, 20 glaubte ich Ihnen diess sofort kundmachen und somit die Bestellungen für jetzt zurücknehmen zu müssen. Was mich wieder hiervon zurückhielt, war, dass zugleich vertraulich mir mitgetheilt wurde, der Grund dieser momentanen Verstimmung des Königs gegen mich sei, dass ihm etwas berichtet worden, was er mir übel 25 genommen habe. Ueber diese (sehr thörige) Veranlassung konnte ich nun den König sofort zu meinen Gunsten aufklären: mir wurde von Neuem noch etwas Geduld angerathen; und wirklich erhielt ich gestern ein so ausserordentlich gnädiges Schreiben meines erhabenen Wohlthäters, dass ich, auch nach seinen Ausdrücken und 30 Versicherungen hierüber, nicht zweifeln kann, es werde in den nächsten Tagen zu dem gewünschten Arrangement kommen. So steht es nun wieder! Wie soll ich mich in dieser sonderbaren Lage wieder zu Ihnen verhalten?
Sie können sich, wie der Mitschöpfung, so auch der Mitleiden-
schaft bei diesem ausserordentlichen Unternehmen nicht entziehen, wenn Sie überhaupt daran mitwirken wollen, – und, das versichere ich Ihnen, meine Qualen waren gross.
Mich dünkt, es käme augenblicklich Alles darauf an, dass Sie den Termin für Unerlässlichkeit der definitiven Erklärung noch um ein
weniges hinauszurücken suchen. Ist das schon für den Januar bisher Versäumte unwiderbringlich, und können Sie den äussersten Termin nicht etwa noch auf 15 Februar hinausschieben, – so ist es entschieden, dass wir das Jahr 1875 für die Aufführungen nicht einhalten können, und demnach für jetzt Alle Weiter-Arbeit suspen-
diren, nämlich bis dahin, wo genügende Fonds für das Eingehen von Bestellungen uns zu Gebote sind. Dann würde es sich nur darum handeln, Sie für diesen versäumten Monat u.s.w. zu entschädigen, wobei ich Ihnen zu bedenken geben müsste, dass wir noch nicht den Bau vollständig bezahlen konnten, und ich unter allen
Umständen noch mühsam suchen muss, einiges Geld hierfür aufzutreiben.
Nehmen Sie nun diese durchaus vertrauliche Mittheilung freundschaftlich auf, und rechnen Sie mir nichts zum Uebel an, worunter ich selbst bis zu steter Schlaflosigkeit gelitten habe. Finden Sie noch
Mittel und Wege, von Mitte nächsten Monates ab noch die Zeit zu
Nr. 27 / 29. Januar 1874
gewinnen, die Arbeiten bis Sommer 1875 fertig zu liefern, so ist es allerdings heute sehr denkbar, dass durch einen letzten günstigen Bescheid (den ich jetzt eigentlich zu erwarten durchaus berechtigt bin) Alles sofort gerettet ist. Die Erfüllung aller Ihrer Wünsche und
Bedingungen erleidet dann keinen Zweifel. Sie haben das, wie Sie mir es mittheilen, alles vortrefflich geordnet, und nur mit dem grössten Danke kann ich auf alle Ihre Anordnungen eingehen.
Nicht minder fühlt sich auch meine Frau Ihnen verbunden, und wir Beide empfehlen uns Ihnen mit den herzlichsten Wünschen
und Grüssen. Ihr Bayreuth. sehr ergebener 28 Jan. 1874 Richard Wagner.
B AYREUTH , D ONNERSTAG , 29. JANUAR 1874
Verehrter Freund!
Wenn Sie in diesen nächsten Tagen keine drängenden, und Sie belästigenden Auslagen für mich zu besorgen haben, so bitte ich Sie, mit der Verpfändung der Papiere meiner Frau noch ein wenig zu warten, da es möglich ist, dass ich der Geldaufnahme gar nicht
bedarf. In spätestens 8 Tagen würde sich diess entscheiden. Mit den herzlichsten Grüssen
Ihr Bayreuth, stets dankbar ergebener 29 Jan. 1874. Rich. Wagner.
B
Hochgeehrter Herr und Freund!
Ich sehe, ich muss Ihnen noch einmal ausführlicher schreiben, um unsere Sache zu einem kurzen Schlusse zu bringen. – Vorerst treffen Sie nicht das Rechte, wenn Sie meinen, zu meinem letzten Vorschlage an Sie habe mich das
meine Arbeiten so hoch
wie möglich anzuschlagen bestimmt; vielmehr steht die Sache so: ich brauche jetzt fl. 10,000 - (um die alte Erfahrung zu bestätigen, dass ein Hausbau – und Einrichtung immer noch einmal soviel kostet, als man anschlägt.) Dieses nöthige Geld erbitte ich mir von meinem wohlvermögenden Herrn Verleger als Vorschuss auf meine
künftig ihm zu liefernden Arbeiten. Ich glaubte einfach die Sache Ihnen ebenso vortragen zu können, und komme nun auf diese einfache Form zurück; die Schwierigkeit sah ich einzig voraus, eine Taxe für den Verlagswerth meiner zukünftigen Arbeiten zu liefern, und, um jeder später entstehenden, vielleicht aufreizenden Diffe-
renz in diesem Punkte auszuweichen, griff ich zur Bezeichnung einer Taxation, wie sie mir durch ein Anerbieten der Firma Peters an die Hand gegeben war; und dieser Weg erschien mir um so willkommener, da ich wirklich, während der mühevollen Ausarbeitung meiner grossen dramatischen Partituren, viele Ansätze und schnell
entstandene Entwürfe zu solchen Orchestercompositionen, wie ich sie Ihnen jetzt anbot, unterdrückte und zurücklegte, welche ich nun, mit der Vollendung jener letzten grossen Partitur, zu wahrer Erholung und Freude vorzunehmen und auszuführen gedenke. Dass Sie im Wesentlichen nun auf meinen Vorschlag eingehen, freut
mich sehr; die vorläufige Beschränkung des anschläglichen Honorares für die angetragenen Orchestercompositionen, muss ich mir gefallen lassen, da es sich namentlich darum handelt, dass Sie mir diese Honorare auf nicht fertige Arbeiten zum Voraus zahlen sollen. Nur liegt es mir daran, jetzt fl. 10,000 zu haben, weil ich sonst
mit meinem Hause nicht weiter kann, da es sich um Rückstände und baare Anschaffungen handelt. – Sie bringen nun die Frage wegen der Texte des Nibelungenwerkes auf. – Sie wissen, hochgeehrtester Freund, dass ich damals, als wir über die Herausgabe meiner Nibelungenwerke überhaupt verkehrten, in einer so sehr verwahr-
losten und verlassenen Lebenslage mich befand, dass ich im allgemeinen nur Unterstützung und Aushilfe von Ihnen erbat, und Sie mit mir der Meinung waren, mir Geldvorschüsse zu machen auf zu liefernde Arbeiten, deren Werth wir seiner Zeit nach Billigkeit berechnen würden. Hierüber sind Jahre vergangen, in welchen sich
meine Lage auch in so weit bedeutend veränderte, dass meine Arbeiten in immer grösserer Ausbreitung das Publikum interessirten. So schwierig bisher auch noch mit der Zur-Aufführung-Fertigwerdung der Stücke des Nibelungen-Ringes es steht, so ist es mir jedoch evident geworden, dass ein neues dramatisches Werk von
mir, als welches ich vor einiger Zeit noch „die Götterdämmerung“ hätte ansehen können, von manchem Verleger, welcher eben ein solches Werk von mir in seinem Verlage gewünscht hätte, wohl noch einmal so hoch honorirt worden wäre, als ich diess von Ihnen, in Folge früherer brieflicher Zusicherungen, jetzt mit Recht bean-
spruchen konnte. Durch Bestimmungen des neuen Reichsgesetzes hierauf hingeleitet, lag es mir daher wohl nahe, an eine Erhaltung der Verwerthung des Textes für mich zu denken, und diess um so mehr, als gerade diesen neueren Bestimmungen nach solche Texte jetzt und in Zukunft bedeutend höher zu verwerthen sind, als diess
nach den früheren laxen Gesetzbestimmungen möglich war. In Berücksichtigung dieses Umstandes wäre es an Ihnen, hochgeehrtester Freund, gewesen, als es zur Abrechnung zwischen uns kommen sollte, mit einem dem erhöheten Werthe der Sache entsprechenden Anerbieten mir entgegenzukommen. Ein mir noch jetzt
unerklärliches Zögern Ihrer Seits in diesem Punkte machte mich –traurig, und ich musste es nicht für ungeeignet halten, Geschäftskundigen zur Veranlassung einer Abrechnung und Preisermittelung Vollmacht zu ertheilen. Diese Vollmacht an die Herren Voltz u. Batz ist aber mit jener förmlichen Abrechnung erloschen, worüber
ich neuerdings auch bestimmt an diese Herren mich erklärt habe. Sie haben demnach jetzt überhaupt nur mit mir selbst zu thun, wenn es zu einem neuen Abschluss kommen soll. Ehe ich Ihnen meinen Vorschlag hierfür formulire, muss ich aber noch einmal auf die Texte besonders zurückkommen. Ich weiss, was unter günstigen
Umständen, der Verkauf dieser Texte eintragen kann, und zwar eben durch Breitkopf & Härtel, welchen ich den Text zu „Lohengrin“ gegen die Theilung des Reinertrages mit mir abgetreten hatte: diese fanden sich veranlasst als erste Abrechnung im Jahre 1859 mir fr. 1000 zu übersenden. Bald darauf gerieth ich in solche
Nöthen, dass ich jenen Herren gegen 100 Louisdor überhaupt alle meine weiteren Ansprüche für Lohengrin abtrat. Als wir uns eine Abrechnung überhaupt noch vorbehalten liessen, bedang ich mir aber bereits, dass ich die Gesammtdichtung des „Ring des Nibelungen“ bei einem Buchhändler meiner Wahl besonders herausgeben
dürfte, wofür das öffentliche Erscheinen dieser Dichtung bei J. J. Weber zeugt. Leider konnte ich diesem mir sehr bedenklich gewordenen Herren eine zweite Auflage davon nicht entziehen; diese hat aber mit diesem Jahre zu erlöschen, und das Recht fernerer Auflagen fällt mir allein zu. Dieses Recht, also mit den einzelnen Texten
der Stücke auch die ganze Dichtung zusammen in Zukunft zu veranstalten, will ich nun Ihnen förmlich abtreten, und nur das Einzige mir ausbedingen, dass es ferner in neuen Auflagen meiner gesammelten Schriften u. Dichtungen (9 Bände) unbeanstandet wieder abgedruckt werden darf. – Nur wünsche ich dieses Recht Ihnen
nicht mit einem bestimmten Honorare für alle Zeiten zu verkaufen, sondern es möge stipulirt werden, dass Sie und Ihre Erben oder Rechtsnachfolger bis 30 Jahre nach meinem Tode (Reichsgesetzmässig) das einzige Recht haben, meine Dichtung: der Ring des Nibelungen vollständig oder die einzelnen Theile derselben zu
drucken und zu verkaufen, wogegen Sie für sich, Ihre Erben oder Rechtsnachfolger sich verpflichten, mir, oder meinen Erben oder Rechtsnachfolgern, die Hälfte des, nach Abzug der Druck- und Vertriebskosten sich herausstellenden Reinertrages hiervon in jährlichen Abrechnungen auszuzahlen.
Ich ersuche Sie nun, diese Uebereinkunft, als Anhang (oder Zusatz) Ihrem Exemplare des von uns zuletzt abgeschlossenen Vertrages deutlich ausführen zu lassen, und – da Sie wünschen dass auch unsere neueste Uebereinkunft im Betreff des gewünschten
Vorschusses in den gleichen Vertrag eingefügt werden möge – so
bitte ich Sie ferner, diesen Schlusspunkt, dem Sinne nach, in folgender Fassung zu genehmigen und eintragen zu lassen.
„Ich (R. W.) verpflichte mich ausserdem, von heute ab jedes von mir zu verfassende Musikwerk Herrn F. Sch. zum Verlage zuzustellen, und soll der Honorar-Werth meiner Compositio-
nen nach dem Maasse berechnet werden, nach welchem eine Orchestercomposition von der Grösse und Bedeutung einer Ouvertüre, wie ähnlich die von mir vor längerer Zeit erschienene „Faust-Ouvertüre“, als Minimum mit fl. 1000 bezahlt wird; wogegen ein vollständiges grosses dramatisches Werk
einer besonderen Vereinbarung wegen des Preises unterworfen bleibt. Hiergegen zahlt Herr F. Sch. sofort an R. W. die Summe von fl. 10,000 aus, welche als Vorschuss sowohl auf die zu liefernden Compositionen, als auf die R. W. zukommenden Antheile am Vertrieb der Texte zu dem „R. d. N.“, bis zur gänz-
lichen Tilgung desselben, berechnet wird.“ –
Thun Sie das, mein hochgeehrter Freund, denn so hat Alles einen guten Anstand! Schicken Sie mir das so ergänzte Exemplar des Vertrages mit Ihrer Unterschrift zu; ich lasse dann das meine genau darnach hier herstellen, und wir tauschen diese Exemplare dann
Nr. 29 / 31. Januar 1874
mit unsren gegenseitigen Unterschriften versehen aus, wogegen ich das dritte Exemplar aus den Händen meiner früheren Bevollmächtigten zurückziehe.
Das Geld selbst bitte ich mir sofort mit fl. 4000 baar (oder dem gleich), den Rest von fl. 6000 in zwei Wechseln auf 6 Wochen und 130 3 Monate zu übermachen. Seien Sie versichert, es wird zu Gutem führen!
Mit hochachtungsvollen Grüssen der Ihrige Bayreuth 31 Jan. 1874 Richard Wagner. 135
29. A N U NBEKANNT
B AYREUTH , S AMSTAG , 31. JANUAR 1874
Geehrtester Freund
[...] Was Fürstner betrifft, so will ich nichts mit ihm zu thun haben. Er hatte [...] die Unverschämtheit für meine neuen Scenen zu „Tannhäuser“ mir 200 Thr. zu bieten [...] An die Umarbeitung des „fliegenden Holländers“ gedenke ich einmal nach Jahren zu 5 gehen, wenn ich Lust dazu habe, oder man mir Lust dazu machen wird [...]
Meine [...] Verhandlung mit Schott habe ich schliesslich dahin gewendet, dass ich ihm das Recht des Textverlages des „Ring d. Nibelungen“ gegen die jährliche Ablieferung der Hälfte des Rein- 10 ertrages, bis 30 Jahre nach meinem Tode [...] einräume [...] Sie sehen, ich habe mir für meine Bedürfnisse selbst helfen müssen [...]
30. A N A DOLF G ROSS IN B AYREUTH
B AYREUTH , M ONTAG , 2. F EBRUAR 1874
Lieber Herr Gross!
Ich habe für meine Rechnungen noch so viel übrig, dass ich davon eine Zahlung von Francs 1000 nach Mailand machen kann. Mühselig habe ich mir berechnet, dass ich hierfür fl. 466. 40 kr. bedarf; die Wechselkosten eingerechnet wird also 470 fl. (welche 5 ich Ihnen hier beilege) nicht zu viel sein. Somit bitte ich Sie an
Madame Charlotte Chaillon
Confections et Nouveautés Place St. Charles. Milan.
die genannte Summe von Eintausend Francs (Goldwährung) für 10 mich auszahlen zu lassen. –
Gott erhalte uns Alle! Bald wird es sehr schön sein! Mit herzlichem Dank für alle Ihre Freundlichkeiten
Bayreuth. sehr verbundener 15
2 Febr 1874. Richard Wagner.
Mein hochgeliebter erhabener Freund und Wohlthäter!
Es widerfährt mir ein Glück, dem ich bereits entsagen zu müssen geglaubt hatte: ich darf Ihnen wieder vertraulich schreiben, wie es Ihr Wunsch mir gestattet. Hiermit ist gesagt, dass mich Ihr gesegnetes letztes Schreiben aus einer tief innerlichen Bedrängniss befreit 5 hat: diese Ihnen zu schildern, will ich versuchen.
Wir sind in das zehnte Erinnerungsjahr Ihrer an mich ergangenen Berufung getreten: seit dieser Zeit hing mein Gedeihen von Ihrer Liebe und Gnade ab; ich genoss unausgesetzt die Wohlthaten einer nie ermüdenden Huld, und musste so ein Leben wieder liebgewin-
nen, von welchem ich, gerade jetzt vor zehn Jahren, mich im tiefsten Ernste gänzlich abwenden zu müssen glaubte. Meine damalige Lage habe ich Ihnen oft genau bezeichnet. Ich war seit langen Jahren endlich wieder nach Deutschland zurückgekehrt: mein Ruhm hatte sich in dieser Zeit verbreitet; wohin ich aber die Hand aus-
streckte, um einen Boden des heimischen Gedeihens und Schaffens zu gewinnen, stiess ich bei Fürsten und Vornehmen auf Aengstlichkeit und Engigkeit, bei Niederern und anscheinenden Kunstgenossen auf offene Feindseligkeit und Verunglimpfung. Damals frug ich mich zum ersten Male: „was ist deutsch?“ 20
Ich hatte es immer tiefer erkannt, dass nur mit dem deutschen Gedanken, mit dem Glauben an einen sich angehörenden deutschen Geist, die mich einnehmende Idee eines grossen, neuen, durchaus eigenthümlichen Kunstwerkes zum Leben gelangen konnte. Wie nun stellte sich mir das deutsche Wesen dar?(!)
Sie allein, holder Erhabener, retteten meinen Glauben! Da Sie mir aufgingen als neuer, ungeahnter und nie verhoffter Lebensstern, lebte auch mein Glaube an den deutschen Geist wieder auf, ja, er gedieh jetzt erst zu einem festen Bekenntnisse. Nur eine Wundermacht konnte den tief gesunkenen und entarteten Geist des
deutschen Wesens, wie ich ihn in jeder Region bei uns angetroffen hatte, heben und kräftigen; die Allgemeinheit spottete, wenn ihr diese Forderung gestellt wurde, über sich selbst: nur wer über der Allgemeinheit stand, durfte sie zur richtigen Erkenntniss zwingen, und zwar einzig durch das unbeirrt majestätische Beispiel. O mein
König! Der Wille zu diesem Beispiel war in Ihnen zu einer lebendigen Macht geworden; und dieser Wille erleuchtete mich: nur ein König, und gerade nur dieser König Bayerns konnte dem ganzen Deutschland dieses Beispiel geben.
In mir hat dieser feste Glaube bis heute als einzig tröstlich fort-
gelebt, selbst dann, als ich mich zu dem Versuche genöthigt sah, der deutschen Allgemeinheit selbst die Frage vorzulegen, wie weit sie an der Ausführung des Werkes selbst sich betheiligen könne. Sage ich es offen, dass ich hierbei vor Allem wieder den alten Schaden des deutschen Wesen’s erkannte: seine Fürsten haben kein Gefühl
für das Grosse und Eigene, und das Volk weiss, ohne die rechte Führung, nicht woran es ist. Im Kriegswesen einzig hat die alte preussische Kriegszucht etwas kräftig sich Darstellendes geleistet: was das Geistesleben der grossen, vieltheiligen Nation betrifft, geht Alles nach trägem Herkommen her; hier sind Beamtungen und
Anstellungen an die Stelle reger Beförderung des Tüchtigen und Eigenthümlichen eingetreten, wo es denn genügt, dass ein ungewöhnlicher Kopf einmal einen neuen Gedanken ausspricht, um diesen sogleich von allen Universitätsbeamtungen u.s.w. auszuschliessen, wo die mittelmässigen und stumpfen Köpfe, unter dem
Schutze einer trägen Gleichgiltigkeit von oben, Jahr aus Jahr ein sich ihre Beamtungen und Beförderungen zusichern. Mich hat es gerührt, Freunde meiner Unternehmung da zu finden, wo ich wirklich kaum irgend welche Zumuthungen stellen konnte; aber die Kräfte sind hier schwach: eine ausgezeichnete Freundin musste zu
allen Mitteln, welche ihre vortheilhafte Stellung ihr an die Hand gab, greifen, um mir Patrone unter Leuten zu werben, welchen die Sache, der es gilt, selbst ganz gleichgiltig ist: so geschah es mit dem Sultan und dem Vicekönige von Aegypten(!). Ich sage es aufrichtig: Ja! Einhunderttausend Thaler zur Erbauung unseres Bühnenfest-
hauses haben wir zusammen bekommen, – aber – stolz bin ich nicht darauf, denn die deutsche Nation hat wenig dazu beigetragen, sondern nur sehr vereinzelte, enthusiastische, jetzt in offener Verzweifelung begriffene Freunde; so dass wir uns nicht verhehlen, die immer noch verhoffte dereinstige Deckung der Kosten werde nur
der Neugierde der von weitherzuströmenden Schaulustigen zu verdanken sein.
Somit hatte ich denn nun wiederum darüber nachzudenken und mich zu fragen: „was ist deutsch!“
Die Frage war mir einst in Ihnen, theuerster Erhabener, als klar
gelöst aufgegangen. Ermessen Sie nun die tiefe Bedrängniss, welche mich erfasste, wenn jene Lösung sich mir wieder in bange Zweifel trübte! – Sie beglücken mich immer wieder mit dem Namen Ihres „Freundes“; mit welcher Demuth ich dieses ungemeine Glück mir anzueignen habe, hat meinem Gefühle von je nahe gestanden; dass
mir aber nie ein Recht darauf zustehen konnte, musste dadurch ganz deutlich werden, dass ich nun jetzt so lange Jahre hindurch Ihre heissgesegneten Wohlthaten fortgesetzt geniessen durfte, ohne Ihnen durch mein Wirken und Schaffen meinen Dank ausdrücken zu können. Oder, musste es mich bedünken, Sie seien unempfind-
lich hierfür geworden, seitdem ich mich darauf angewiesen sah, für die Ausführung meines grössten Wirkens und Schaffen’s mich auf die Theilnahme Derjenigen zu stützen, denen ich einst, als Sie mir aufgingen, ruhig den Rücken wenden zu dürfen glaubte? Mein gnadenvoller König! Ich habe zuletzt drei qualvolle Monate zu durch-
leben gehabt, wie ich mir sie nicht mehr vorbehalten wähnte: ich gelangte zu einer tiefen und vollständigen Resignation. Nicht dieses eine grosse Nibelungenwerk, sondern alle meine Werke musste ich als umsonst geschaffen erkennen, wenn ich nicht endlich in dem einen grossen Beispiele für dauernd es der Welt zeigen konnte, was
diese Werke sind und wie sie einzig dargestellt werden müssen, wenn sie als Das, was sie sind, deutlich erkannt sein sollen. Diess, mein erhabener Freund, that ich Ihnen zuletzt kund, und mich dünkt nun, dass Sie, mit mir, auf den gleichen Standpunkt der Betrachtung geriethen: der innig vertraute Freund lächelte mir da
wieder zu: „weisst Du denn nicht, dass Wir das Gleiche wollen?“
So darf ich ja die herrlichen Versicherungen verstehen, welche Ihr huldvolles Schreiben mir ausdrückt?
Seien Sie aus tiefster Seele ewig und immer dafür gesegnet! Dass Sie hiermit mir wieder neuen Lebensmuth geben, dass ich die Aus-
führung meines Unternehmens nun wieder als möglich, ja gesichert betrachten zu dürfen glaube, diess will mich, als der Erfolg Ihrer gnadenvollen Erweisungen, noch nicht so wichtig dünken, als der weite Blick in eine hierdurch abermals mir eröffnete Zukunft der Entfaltung des deutschen Geistes. Oh, könnte ich Ihnen diesen
110 Blick ganz so zu eigen machen, wie er es mir ist, wie er von Neuem durch Sie mir sich erschlossen hat!
Sie würdigen mich der Mittheilung, dass Sie gegenwärtig vorzüglich Geschichts-Studien Sich widmeten. Wie wichtig würde es mir sein, einen Blick in die hiermit bezeichneten Gebiete der Thätigkeit
115 Ihres Geistes werfen zu können! Bin ja doch auch ich stets wieder auf dieselben Felder der Erkenntniss hingewiesen, um mir zu erklären – nicht, was der Mensch ist (denn um diess zu erkennen, kann uns die Geschichte nur irre leiten!) – sondern, wie dieses Etwas zu fassen ist, was wir als die, gewissen Perioden und Völkern eigen-
120 thümliche Form des Geistes, welcher einzig aus ihren Werken zu uns spricht, zu verstehen haben. In ihren Thaten zeigen die Völker, wie die Individuen, sich zum Erschrecken gleich: gute und böse, habsüchtige und aufopferungsvolle, träge und feurig thätige Menschen füllen ewig neben einander die Flächen und Zeiten der Ge- 125 schichte aus; was zur Blüthe gelangt, erhält sich so lange bis es der Fäulniss verfällt: so die gefällige Daseinsform der romanischen Völker, deren Verfall wir in Italien, Spanien und Frankreich erleben. Was ihr Geist war und noch ist, können wir nur aus ihren Werken erkennen, und was die Menschen, für welche diese Werke
geschaffen wurden, werth waren und werth sind, ermessen wir nur aus ihrem Verhalten zu ihnen. Wie räthselhaft erscheint uns nun unter dieser Betrachtung der Deutsche! Je eigenthümlicheres und Idealeres der deutsche Geist schuf, desto fremder stand er zu seiner Zeitumgebung, desto bitterer hatte er diese Entfremdung zu emp-
finden. Und wiederum waren diese Werke doch nur von Deutschen denkbar: kein Romane wird sie je würdigen, ja nur verstehen können. Somit muss der deutsche Geist doch im deutschen Wesen selbst begründet liegen, und es gilt nur dieses Verborgene gleichsam aus diesem Volkswesen zur thätigen Erscheinung hervorzulocken. 140
Offenbar können diess nur die wirklichen Vorbilder und Gestalter seines politischen und geselligen Lebens, das heisst: seine Fürsten? Das können doch gewiss keine Abgeordneten-Kammern, wie sie aus den unsinnigsten Wahlen nach Stimmenmehrheit hervorgehen; noch auch können diess die Staatsräthe und Politiker, welche mit
diesem Chaos der sogenannten Volksrepräsentation zu paktiren und zu balanciren haben; diess kann doch nur der König, welcher die Idee des Ganzen darstellt, und diese Idee zum lebendigen Willensakt erhebt? Nicht unrichtig ist daher ausgesagt worden: wie seine Herrscher, so das Volk. Die Willigkeit des Volkes seinem Fürs-
150 ten zu folgen ist immer noch als das entscheidende Merkmal dafür erkannt worden, dass dem Volke selbst noch eine lebenskräftige Bestimmung inne wohne. Die romanischen Völker, welche keinen eingeborenen Fürsten mehr zu folgen vermögen, haben auch ersichtlich ihre Zukunft verwirkt; und was uns an die gute Bestim-
155 mung der deutschen Völker noch glauben machen kann, ist dass sie zu ihren Fürsten halten und nach diesen sich richten. Hier ist noch die Möglichkeit einer Blüthe vorhanden, in welcher das Ideal des Volksgeistes sich praktisch erfüllen könnte.
Oh, mein huldvoller König! Blicken Sie nur auf alle deutschen
160 Fürsten, so erkennen Sie, dass nur Sie es sind, auf welchen der deutsche Geist noch hoffend blickt. Sie sind es, der die Vereinigung des Reiches hervorrief, und was Niemand, ausser einzig Sie, vollenden können wird, dazu sind Sie vom Schicksale berufen, – die letzte Hoffnung der einem grauenvollen Verderben preisgegebenen deut-
165 schen Seele. Luther übersetzte das Wort „barbaros“ als „undeutsch“, mit dem gleichen Stolze, mit welchem die Hellenen alles nicht-Hellenische eben „barbarisch“ nannten. Dieser kühne Zug hat mich wahrhaft entzückt, denn ich weiss nun, was ich sage, wenn ich es ausspreche, dass der undeutsche Deutsche ein Barbar ist. Es
170 ist wirkliche Barbarei, in welcher wir gegenwärtig befangen sind. Ich rufe den Retter vor diesem Elend! –
Allzusehr habe ich Sie, mein huldvoller Erhabener, gewiss schon ermüdet! Da Sie mir so gnadenreich wieder Ihren Wunsch zu erkennen gaben, Etwas von mir zu hören, waren es wohl nicht
Ergiessungen dieser Art, welche Sie forderten. Und doch – was bin ich, was kann irgend Jemand sein, wenn ich nicht in der Ganzheit der Ideen aufgenommen werde, welche aller meiner Lebenstriebe sich vollständig bemächtigt haben? Was von je aus meinen Werken zu Ihnen sprach, athmet nur aus dieser einen Seele, welche Form 180 es auch annehmen möge.
Doch haben Sie auch den so gnädig schmeichelnden Wunsch ausgesprochen, mit meinem geliebten Weibe und ihren Kindern mich in einer photographischen Aufnahme zu besitzen. Hiermit ist uns ein lieblicher Befehl zugegangen, welchem wir mit Dank und Rüh-
rung bereits entsprachen: wir hoffen, dass die Aufnahmen gut ausgefallen seien, und Cosima wünscht sich die Ehre zuertheilt, unserem hochgeliebten Wohlthäter die Bilder übersenden, und die Sendung mit einem Schreiben begleiten zu dürfen, welchem ich diessmal gern alle die weiteren Mittheilungen an den erhabenen 190 Freund anvertraue, die dem Schöpfer und Erhalter unseres glücklichen Gedeihens als Familie nicht unwillkommen erachtet werden dürfen.
Somit scheide ich für heute von Ihnen, als Wiedergeborener von dem Neubelebenden! Möge jede göttliche Huld auf dem Segen- 195 spender meines Lebens ruhen! Sein Leiden wird von uns Allen mitgelitten. Ihn zu erfreuen ist der stolzeste Wunsch meiner Seele!
Gegrüsst und gesegnet sei der hochgeliebte Freund von Seinem stets neu sich ergänzenden
200 Bayreuth. ewigen Eigen 3 Febr. 1874. Richard Wagner.
Mein hochgeehrtester Freund!
Ich ersehe, dass wir etwas in das Umständliche verfallen, was um so überflüssiger dünkt, als Sie in der Hauptsache mir zu Willen sein wollen, wofür ich Ihnen herzlich Anerkennung und Dank sage. –Ich erwarte nun, was Sie mir für die Zusprechung der Textbücher
für die Nibelungenstücke und die Meistersinger nachträglich noch gewähren wollen, und gestehe Ihnen gern zu, dass auch ich im Ganzen froh bin, wenn ich diese Affaire auf einmal loswerde, – wiewohl ich im Betreff der Einträglichkeit dieser Textbücher denn doch Erfahrungen gemacht habe, welche der Geringschätzung dieses
Geschäftes von Ihrer Seite widersprechen. Ich führte Ihnen, der vollen Wahrheit getreu, den Fall mit Härtels im Betreff des Lohengrintextes an; ich füge dem noch die sehr frühe Erfahrung davon hinzu, dass das Breslauer Theater im ersten Winter der TannhäuserAufführung 5000 Exempl. des Textes davon aus Dresden bezog, –
wobei denn doch immer etwas für den Eigenthümer abfallen muss.
Abb. 1: Richard, Cosima und Siegfried Wagner, Fotografie von Adolf Groß, 1. Februar 1874
Im Betreff der – feineren – Ausgaben der vollständigen Dichtung des „Ring des Nibelungen“ würde dann einfach zu stipuliren sein, dass jede neue Auflage im Betreff des Honorares u. der Ausstattung besonders vereinbart werden sollte. Wollen Sie aber, zur Vermei- 20 dung späterer Collisionen (auch für Erben u. Rechtsnachfolger) hierfür sofort ein Fixum bestimmen, so erwarte ich eine mir möglichst günstige Stipulation hierfür von Ihnen, – und zwar mit Recht, – denn Ihre Erben werden jedenfalls einmal reicher sein als die meinigen, – und – was ist ein „Geschäft“ für eine Person? (Pardon der 25 Abschweifung!) – J. J. Weber hat nie ein allgemeines Verlagsrecht der Dichtung besessen, sondern nur das einer Auflage von 600–700 Exempl. mit der einzigen (meinerseits unüberlegten) Klausel, dass die Veranstaltung einer zweiten Auflage vom Gutachten des Verlegers über deren Thunlichkeit abhängen sollte, was er (ärgerlicher 30 Weise) dazu benutzte, mir das Recht zu einer zweiten Auflage noch abzuzwingen. Sein Verzicht auf ferneres Verlagsrecht ist in Briefen an Hrn. Batz enthalten, welchen ich Sie (falls Sie hierauf bestehen) zur Vorlage derselben aufzufordern angehen müsste. –
So will ich denn des Weiteren erwarten was ich von Ihnen
erfahre, und danke Ihnen nochmals im Voraus für die unter allen Umständen anzuerkennende mir gewährte Hülfe. Mit grösster Hochachtung
Ihr Bayreuth ergebenster 40
3 Febr. 1874. Richard Wagner.
Als Nachtrag noch die gute Notiz, dass ganz neuerdings der König von Bayern sich geneigt zeigt, für mein grosses Bayreuther Unternehmen die Garantie zu übernehmen, so dass die Aufführungen in möglichst baldiger Zeit nun gesichert erscheinen.
33. A N C ARL V OLTZ UND C ARL B ATZ IN W IESBADEN
B AYREUTH , D IENSTAG , 3. F EBRUAR 1874
[...] Ich muß Ihnen noch, der nöthigen geschäftlichen Ordnung wegen, anzeigen, daß ich mit Hrn. Schott in einem Vertragsabschluß begriffen bin, nach welchem ich ihm, außer den einzelnen Textbüchern zu den Nibelungenstücken auch das Textbuch der
„Meistersinger“ zum Vertriebe überlassen habe [...] Ich erhalte hier- 5 für, was mir augenblicklich sehr wertvoll ist, nämlich eine größere Vorausbezahlung, deren ich, wie Ihnen dieß nicht unbekannt ist, im höchsten Grade benöthigt bin. Da ich noch kein Conto für verkaufte Textbücher von den „Meistersingern“ von Ihnen erhalten zu haben mich entsinne, weiß ich auch nicht wie Sie sich in diesem 10 Punkte bisher zu Schott gestellt hatten. Jedenfalls ist es nun nöthig, daß Sie das früher zweifelhafte Recht als jetzt von mir bestätigt dem Verleger wieder zustellen [...]
34. *A N C ARL V OLTZ IN W IESBADEN
B AYREUTH , M ITTWOCH , 4. F EBRUAR 1874
35. A N G IOVANNI A NTONIO B ONFANTINI IN B ASEL
B AYREUTH , F REITAG , 6. F EBRUAR 1874
Cher Monsieur,
c’est par malentendu que vous m’envoyez deux exemplaires de seconde épreuve, au lieu de quoi j’avais demandé un seul exemplaire de seconde épreuve, mais avec les feuilles de la première correction faite par moi, ce qui a pour but de me faciliter la revue des
corrections faites par vous d’après mes adnotations. Sans cela je suis obligé de parcourir (ou plutôt de relire) encore une fois soigneusement tout le texte de la seconde épreuve, comme si c’était une première, ne sachant pas ou retrouver les erreurs reconnues la première fois. Ainsi, je vous prie de m’envoyer encore les feuilles 10 de la prémière épreuve avec mes corrections, pour bien me convaincre, qu’il n’y a pas de malentendu entre nous au sujet de ces corrections de ma main.
Avec la plus parfaite considération
Votre devoué
Bayreuth. Rich. Wagner.
6 Fevr. 1874.
Lieber Herr Schott!
Ich bin durch eine Mittheilung des Herrn Batz im höchsten Grade aus der Fassung gebracht worden. Er hatte mir zuletzt, im Jahre 1872, nachdem ich ihn beauftragt hatte, mich von J. J. Weber loszumachen, berichtet:
1.) J. J. Weber bestehe (Ehren halber) nur noch auf einer zweiten Auflage, und übergebe mir von dann ab seine Verlagsrechte, woraus folgte, dass
2.) J. J. Weber gegen den Druck der Special-Texte keinen Einwand zu erheben gedenke.
Jetzt nun, als Sie über diese Texte mit mir abzuschliessen wünschten, und ich desshalb an die Zeugnisse des Herrn Batz mich wende, schreibt mir dieser, J. J. Weber sei von seinem Verzicht wieder zurückgekommen und bestehe auf seinen „ausschliesslichen“ Rechten, demgemäss er (Batz) als den einzigen Ausweg anrathe, Sie
(Herr Schott) möchten sich mit J. J. Weber zum Zwecke eines Abkaufs seiner Rechte abfinden.
Hierauf habe ich mir meinen Contract mit J. J. Weber, welchen ich in Hrn. Batz’s Händen gelassen hatte, von diesem zurückstellen lassen, und lege ihn nun denselben hier bei. Aus diesem Document
ist allerdings zu ersehen, dass ich seiner Zeit die Unvorsichtigkeit begangen habe, den Vertrag zu unterschreiben, ohne darauf zu bestehen, dass ich das Recht des Einzeldruckes der Texte zum Zwecke des Verkaufes namentlich bei den Theater-Aufführungen mir vorbehalte. Da in dem Contract jedoch nur von der „von mir ver-
fassten Dichtung: der Ring des Nibelungen Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend“ die Rede war, ein Recht, die einzelnen Theile dieser Dichtung zum Zwecke des Vertriebes bei Theateraufführungen zu drucken, jedoch in keiner Weise bezeichnet war, – so blieb ich der Meinung, es sei auch durch diese Form des
Vertrages meine mündliche Abmachung mit J. J. Weber unverändert geblieben, nach welcher ich diesem ausdrücklich nur die Gesammtausgabe der Dichtung, als Litteraturproduct, übertragen hatte, den Text-Druck u. Verkauf aber ganz bestimmt mir, oder resp. meinem Musikverleger reservirt hatte.
Da nun ersichtlich in diesem, jetzt Ihnen vorliegenden Vertrage, dieses Einzeldruckes der Texte in keiner Weise erwähnt, noch