NEUE PROBLEME #1

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---------------------------------------TEXTERKENNUNG

---------------------------------------GUTEN�MORGEN,�LIEBE�MARMELADE

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TEXT:� MARCUS�BÖSCH

TEXT: STEFAN�WOLF

Durch�die�Einführung�des�T9-Systems�(*1)�bei�Nutzung�des�Short� Message� Service� (*2)� wurde� die� Texteingabe� auf� Mobiltelefonen� deutlich�komfortabler.�T9�basiert�auf�einer�intelligenten�Texterkennung�anhand�eines�im�Mobiltelefon�gespeicherten�Wörterbuches.�T9� ist�jedoch�nicht�geeignet,�wenn�Texte�geschrieben�werden�sollen,� die�sehr�viele�Wörter�enthalten,�welche�nicht�Teil�der�Standardsprache�sind.�In�diesem�Fall�müssen�nicht�gefundene�Begriffe�neu� eingegeben�werden.�Diese�werden�bei�den�meisten�Mobiltelefonen� gespeichert.�Anbei�alle�neu�eingegebenen�Wörter�der�letzten�1158� Textnachrichten�meines�Mobiltelefons: 1615�1994�Bye�???�Cheers�Britpop�Boltensternstr.�Betulich�Bisserl�Bussi�Bikini�Bursche�Coocoonut�Blog�Bärchen�Arreté�Arschloch� Bauch�Breaker�Bestätigung�Bohnen�Ätsch�Bespassung�Beschützen� Ahoi� Bauchtänzerin� Adolf� Ausliegenden� Bumsen.� Doof� Da?� Döner� Das.� Festivität� Feger� Dalli� Faad� Franzerl� Figueras� Fuck� Ekelhaft� Def�Dämliche�Flamingo�Etablissement�Doofes�Fuffzig�Famos�Design� Dröge�Duper�Durchsage�Erkennst�Daheim�Exklusive�Fregatten�Dear� Freddy�30.�Haben�Hurra�Gehen�Haldern�Hürth�Ground.�Iltis�Internats� Gekuschelt�Gröhlen�Geile�Gelästert�Gewunken�Hopsa�Gilmore�Hh�Hbf� Geprellte�Gestattet�Intellektuellen�Hanja�Geilo�Händig�Kotze�Kotz� Kaffee�Like�Kuschel�Liebste�Klauke�Kompliziert�Lyoner�Legere�Kot� Jubel� Klappts� Kuscheln� Kamerun� Kotzt� Limonade� Kirstin� Kneifen� Kryptische�Joyce�Julian�Madame�Malina�Ossendorf�Mensa�Oasis�Nadine�Nakig�Narzissen�Metaphorisch�Na�Mitbewohnerin�Olé�M20�Müsstest�Morrissey�Mandarine�Servus�Regards�Sausen�Scheiß�Schnaften� Spinnt�Schlenker�Senor�Pomade�Schickst�Spatzerl�Schnurzis�Regard� Quetscht�Tschö�Trösch�Very�Truper�Verstopfung�Vereni�Vorrätigen� Venlo�Valencia�Tschau�Verdammt�Tulpen�Verschwendet�Twens�Verzwickte�Tristen�Valentine�Tierärztin�Volontär�Trödelt�Verschwitzt� Wieder�Yours�Yeah�Zufrieden�Werkeln�Zitronen�Wichser�Zahlreiche� Wechsel�Whiskey�Zweifle�Zwiebel�Wunderland�Wuscheln�

Als� Hubert� Fichte� Mitte� der� 60er� Jahre� an� seinem� Roman� ”Die� Palette”�zu�arbeiten�beginnt,�geht�es�ihm�nicht�darum,�einem�gerade�von�den�Behörden�geschlossenen�Gammlerlokal�das�Denkmal� zu�setzen�und�erst�recht�nicht�um�die�Eloge�eines�gegenkulturellen� Aufbruchs.� Ein� deutsches� ”On� the� road”� ist� nicht� intendiert.� Um� die�Frage�der�Möglichkeit�der�Übersetzung�von�Welt�in�Sprache� geht�es�ihm,�und�die�Palette�wird�als�Ort�und�Text�das�ideale� Experimentierfeld,�die�Kellerkneipe�am�Gänsemarkt�ein�Universum�im� Kleinen.�Denn�in�der�Palette,�so�ein�Leitmotiv�des�Romans,�in�der� Palette�gibt�es�alles:�Feuilleton,�Bohème�und�Halbwelt,�die�Hamburg� zweiundsechzig�echtesten�Clochards�Europas,�tags�an�den�Wänden,� Nazis,� Ostermärschler,� Stricher,� unständige� Hafenarbeiter� und� ein� Extraglas� zum� Stiefeltrinken.� Und� natürlich� eine� Jukebox.� Eine� wahrhaft�multifunktionale�Maschine,�auf�der�als�Schreibtisch�Fichtes� Jäcki�die�gebräuchlichsten�Idiome�der�Stammgäste�zum�Paletten-ABC� zusammenbuchstabiert,�gegen�die�Jäckis�Fichte�seine�Protagonisten� bei�Rangeleien�malerisch�stürzen�lässt,�die�das�Gesicht�eines�besonders�attraktiven�Gammlers,�„nach�vorn�in�das�Licht�über�den�� Schallplattentiteln”�gehängt,�dramatisch�beleuchtet�und�an�der�man� sich�nach�einigen�Besuchen�nicht�mehr�stößt. Nur�über�die�Musik�in�der�Music-Box�erfährt�man�in�Fichtes� ethnographischem�Stenogramm�seiner�Stammkneipe�wenig.�Der�spezifische�Sound�der�Palette�scheint�ihn�wunderlich�wenig�zu�interessieren.�Die�Jukebox�bleibt�ihm�Einrichtungsstück�neben�anderen,�die� Musik�nur�eines�von�vielen�Sinnesdaten�im�unhierarchischen�Ineinander�der�Empfindungen:�„Jäcki�riecht:�Gerüche�in�Gerüchen,�Bier�in� Korn�in�Patra�in�Schnee�in�Unterhose�in�Samen�in�Teer�in�Rauch,� schmeckt�er�Bier�in�Rauch,�hört�er�Wörter�in�Wörtern,�deutsche� Wörter�in�der�französischen�Bitte�um�Fric�in�der�deutschen�Bitte� um�ein�Bier�—alles�in�Elvis�und�in�Cliffy,�Igors�Rülpser�in�Elvis�und� Geräusch�des�tropfenden�Biers�in�den�Wänden�voller�Knubbeln.” Über�diese�ephemere�Behandlung�der�Musik�darf�man�staunen.� Nicht�nur,�weil�unsere�pophistorisch�unterfütterte�Gegenwart�sich� eine�Vergangenheit�ausgesucht�hat,�in�der�genau�hier,�im�Hamburg� der� frühen� Sechziger,� in� der� Heimat� von� Beatles� und� Starclub� so�etwas�wie�Pop�unter�deutschen�Bedingungen�als�Lebensform,�

*1�Text�on�9�keys�(zu�deutsch:�„Text�auf�9�Tasten”),�kurz�T9,�ist� ein�System�zur�Texteingabe�auf�einem�Mobiltelefon.� *2�Short�Message�Service�(SMS)�ist�ein�Telekommunikationsdienst� zur�Übertragung�von�Textnachrichten.

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