7 minute read

Blackout: Die gefährliche Ignoranz des realen Risikos

Experten warnen eindringlich: Ein Blackout in den kommenden fünf Jahren ist sehr wahrscheinlich – und trifft er die Schweiz, wird es böse enden. Doch das Risiko wird unterschätzt. So wie die Wahrscheinlichkeit einer Pandemie ignoriert wurde. Bis Corona kam. Die Schweiz sollte daher die richtigen Lehren ziehen – und zwar jetzt!

Herbert Saurugg ist ein europaweit gefragter und viel zitierter Experte rund ums Thema Blackout. Der Major a. D. und Master of Science für Business Development mit Spezialisierung in Sicherheitsforschung, kritische Infrastruktur sowie systemisches Risiko- und Krisenmanagement ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), Lektor an diversen (Fach-)Hochschulen und Betreiber der Website www.saurugg.net. Auf dieser warnt er: «Ein europaweiter Strom- und Infrastrukturausfall (Blackout) ist binnen der kommenden fünf Jahre sehr realistisch!»

Advertisement

Direkt daneben findet man den Link zum Film «Schweiz im Dunkeln», den das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) im Nachgang zur Sicherheitsverbundsübung (SVU) 2014 publizierte. Der Streifen zeigt, was ein Blackout auslösen würde: Die Versorgung der Bevölkerung bräche ebenso zusammen wie die Kommunikation. Panik würde ausbrechen, gefolgt von Plünderungen, Unruhen und Gewaltexzessen. Denn die Geschichte zeigt: In der existenziellen Krise greift der Mensch zum Faustrecht – und der Staat verliert die Kontrolle und das Machtmonopol.

Laut Saurugg stellt aber nicht die Möglichkeit eines Blackouts die grösste Gefahr dar, sondern die weitverbreitete, völlig weltfremde Hoffnung, so etwas werde schon nicht passieren.

Corona beweist: Risikoszenarien treten ein!

Aktuell erleben wir, wie irrational diese Annahme, die von der Politik gern gelebte Ignoranz des garantierten Risikos ist: Wir leben inmitten eines Pandemieszenarios. An dessen tatsächliches Eintreten glaubte kaum jemand – weder vor Jahresfrist noch vor sechs Jahren, als eine «InfluenzaPandemie» das zentrale Szenario der Sicherheitsverbundsübung (SVU) 2014 bildete – flankiert um Szenario 2, einen «Stromausfall mit anschliessender, längerer Strommangelversorgung», also einen Blackout. Nun führt uns die Coronakrise nicht nur vor Augen, wie schnell das theoretisch Denkbare zur bitteren Realität wird, sondern auch, dass viele der Schlussfolgerungen aus der SVU 14 zu wenig weit griffen und die Realität eben doch meist eine andere ist als die Theorie der Übung. Seit Monaten nimmt das strukturelle und handlungsbezogene Durcheinander in puncto Corona zu, vieles wirkt unbeholfen, ja teils komplett kopf- und konzeptlos. Die Folge: Das Vertrauen der Bevölkerung in die Fähigkeiten der Führung und die Sinnhaftigkeit der Massnahmen schwindet zusehends.

Corona ist lästig, der Blackout gefährlich

Verglichen mit der Coronakrise freilich hat ein Blackout weit grössere Brisanz. Zwar lähmt Corona die Wirtschaft, der Bund verliert Milliarden und viele Menschen ihren Job. Zwar muss sich die wohlstandsverwöhnte Bevölkerung längerfristig mit gewissen Restriktionen arrangieren. Doch die Grundversorgung hat Corona bis dato nie tangiert. Nicht einmal ansatzweise. Dennoch keimte im Frühjahr rasch Panik auf. Nur schon die Angst ums Klopapier trieb manche Leute dazu, die Fäuste auszupacken – völlig bar jedweder tatsächlichen Not.

Kaum vorstellbar daher, was beim Blackout geschähe. Wenn die Menschen frieren, hungern, dürsten und stinken würden. Wenn Seuchen ausbrächen, weil Müllentsorgung, Toiletten und Kläranlagen nicht mehr funktionierten. Wenn keiner fliehen könnte – mangels Treibstoff und angesichts stillstehender Busse, Züge und Flugzeuge. Wenn die Behörden stumm blieben und die Menschen nicht wüssten, was gerade passiert und wo Gefahren drohen – weil die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) tot wäre und alle Kanäle schweigen würden.

Es geschähe Folgendes: erst Panik, dann Chaos, dann Gewalt – zuerst in den Städten, wo die Abhängigkeit der Menschen von der infrastrukturellen Versorgung grösser ist, dann auch auf dem Land. Die Blaulichtkräfte (BORS) wären stark gefordert – und auf eine funktionierende IKT angewiesen.

Wer nicht kommuniziert, stirbt …

Doch ihre Kommunikationsfähigkeit wäre stark beeinträchtigt. Der Abschlussbericht der SVU 14 hält glasklar fest: «Bei einem Stromausfall von mehr als vier Stunden wäre seitens der BORS die übliche Alarmierung via Telefon und Internet nicht mehr zu garantieren.» Zudem zeigte die SVU 14, dass «von den untersuchten IKT nur jene den Anforderungen ge-

nügten, welche für den Stromausfall ausgelegt sind: Bernradio, FIS Heer, Notfunk EDA, Polycom und das (analoge) Festnetz für Telefonie.» Letzteres freilich wurde zwischenzeitlich – mit dem Segen von Bundesrat und BABS notabene – abgeschaltet!

Masterarbeit «Blackout in der Schweiz»

Eine vertiefte Betrachtung der «Alarmierung und Notkommunikation durch Behörden und BORS in der Schweiz bei einem europaweiten Stromausfall» liefert die Masterthesis «Blackout in der Schweiz». Diese hat Lucien Nicolas Schibli aus Muttenz 2019 unter Betreuung durch Herbert Saurugg an der Donau-Universität Krems erarbeitet (PDF abrufbar auf www.saurugg.net unter «Studien»). Deren Fazit lautet: «Hinsichtlich der Notkommunikation sind zentrale Anlaufstellen auf kommunaler Ebene (Notfalltreffpunkte) für die Bevölkerung vielversprechend. Sie müssen jedoch zuerst noch fertig konzipiert und umgesetzt werden. Die organisationsinterne und -übergreifende Notkommunikation basiert sehr stark auf dem Polycom-System. Da dieses aber unterschiedlich gut gehärtet ist, wären eine Überprüfung/Ausbau der Härtung sinnvoll, bis neue Systeme im Einsatz stehen». Damit bestätigt die Masterarbeit, was im Abschlussbericht zur SVU 14 steht: Im Blackout-Fall bestehen markante Defizite in den Bereichen Kommunikation, Informationsaustausch und Alarmierung der Bevölkerung. Das ist fatal, denn der Abschlussbericht zur SVU 14 konstatiert auch, dass «sichere und stabile Verbindungen für die Führung und das Managen in der Krise unabdingbar sind, wobei die untersuchten IKT-Systeme den Ansprüchen der Lage aber mehrheitlich nicht genügen würden.» Entsprechend lautete Empfehlung 11 der SVU 14: «Es muss ein sicheres Datenverbundnetz geschaffen werden, das Stellen des Bundes, der Kantone und Dritter umfasst, welche für die Sicherheit und Versorgung des Landes essenziell sind».

Viele Kantone zögern zu lange Die Umsetzung dieser Empfehlung aber verläuft bisher mehr als schleppend. Vorbildlich agierte einzig der Kanton BaselLandschaft. Er rüstete bereits 2016 alle sechs Feuerwachen mit dem autarken Paging der Swissphone Wireless AG aus (siehe Blaulicht 1/2018). Dieses autarke Funknetz nutzt die gleiche Funkfrequenz wie das TELEPAGE-Funkrufsystem und dient als autonome und ständig verfügbare Rückfallebene zu diesem. Das TELEPAGE-Funkrufsystem selbst ist

dank mehrfacher Redundanzen und ständiger Überwachung nachgewiesen zuverlässig, deckt 99 Prozent der bewohnten Gebiete der Schweiz ab und ist im Gegensatz zu IP-basierten Alarmierungssystemen nicht anfällig für Cyberangriffe. Zudem es ist es beliebig skalierbar, denn die Zahl der adressierten Funk-Pager ist unbegrenzt.

Zwischenzeitlich setzen weitere Institutionen und Gemeinden, etwa im Kanton Schwyz, auf das autarke SwissphonePaging – kombiniert mit Notfalltreffpunkten für die Bevölkerung (siehe Blaulicht 2/2020). Doch insgesamt sind es klar zu wenige. Obwohl alle wissen: Ohne funktionierende (Not-) Kommunikation zwischen den BORS und der Bevölkerung sowie den BORS untereinander ist man in einer Krise chancenlos.

Das Bewusstsein wächst – langsam Immerhin gibt folgende Meldung Anlass zur Hoffnung: Ende Juni 2020 nahmen Vertreter von Blaulichtorganisationen aus elf Kantonen sowie des Bundes an einem Swissphone-Workshop zum autarken Paging teil – trotz strikten Corona-Konzepts. Das zeigt: Die Erkenntnis, dass Blackout-resistente IKT-Systeme wichtig sind, wächst – und mit ihr die Bereit-

Kommentar | Zeitnahes Handeln ist gefragt! Die Blackout-Prävention ist eine nationale Dringlichkeit

Die Coronakrise fordert uns – und zeigt: Die Ignoranz des garantierten Schadenfalls ist ein Fehler. Gefragt ist aktives, präventives Agieren. Mit Tempo und Effizienz!

Was bei der SVU 14 noch «theoretisch» war, eine Influenza-Pandemie, ist längst Realität. Genauso wird der Blackout kommen – vermutlich eher, als uns lieb sein kann. Denn infolge von Digitalisierung, wachsender Komplexität des Europäischen Verbundnetzes, immer häufigerer meteorologischer Extremereignisse sowie steigender Cyber- und Terrorgefahr wächst das Risiko unaufhörlich.

Der Blackout muss daher als das anerkannt werden, was er ist: ein zentrales «Credible Worst-Case-Szenario» (CWC) unserer Zeit. Dabei sind zwei Punkte essenziell – insbesondere angesichts der in der Coronakrise nicht zu leugnenden teilweisen Überforderung auf Ebene Bund sowie der teils erschreckenden Inkompetenzen auf Niveau Kantone, Gemeinden, Fachexperten, Verbände und Parteipolitik: Die Prävention gegen CWC-Szenarien muss erstens Chefsache sein und zweitens national einheitlich erledigt werden. Rasch und effizient, zugunsten effektiver Lösungen – was bedingt, dass sich die zuständigen Akteure zusammensetzen und eine national umsetzbare Lösung vereinbaren. Im Sinn der erforderlichen Geschwindigkeit sollte man bevorzugen, was bereits existiert und sich bewährt hat: eine autarke Funklösung, aus der Schweiz für die Schweiz, verfügbar, finanzierbar und landesweit skalierbar. Man muss sie eigentlich nur beschaffen und installieren. Dr. Jörg Rothweiler

schaft, sich über die nötige Technik zu informieren, diese zu beschaffen und zu installieren.

Allerdings offenbarte der Workshop auch noch Erschwernisse, die es zu beseitigen gilt. Neben Herausforderungen bezüglich politischer Strukturen, Zuständigkeiten und gesetzlichen Auftrags führen auch unterschiedliche Anforderungen zu Unsicherheiten hinsichtlich der grundlegenden Organisation einer IKT für den Krisenfall. Hierzu wäre zu sagen: Da ein Blackout immer überregional ist, müssen die IKT-Systeme der BORS gemeinde-, regions- und kantonsübergreifend kompatibel sein. Die autarken Sender von Swissphone erfüllen diese Anforderungen – und sollen künftig auch die Möglichkeit zur Integration eines Notfallknopfs an der Sendestation eines Notfalltreffpunkts beinhalten. Diese Optimierung an der Schnittstelle Bevölkerung/Leitstelle wird von den Entwicklern der Swissphone Wireless AG aktuell erarbeitet – als direkte Reaktion auf Inputs aus Kundenkreisen sowie aus dem Workshop im Juni 2020.

This article is from: