«Bioterra» September/Oktober 2020

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GÄRTNERN | GESTALTEN | GENIESSEN

WILDSTAUDEN

LIEBESERKLÄRUNG AN DIE KRATZDISTEL

ANGEBOTE

MATRIXPFLANZUNG

FRÜHBLÜHER, LAUCH UND PRÄRIEPFLANZEN

GESTALTUNG, INSPIRIERT VON DER NATUR

PERMAKULTUR LEBEN VOM EIGENEN BODEN

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E D IT O RIAL

IM TEA M

JAHRESTHEMA

2020

Blumen für die BIODIVERSITÄT

ERNTEDANK

Was für ein Geschenk! In den letzten Monaten meiner coronabedingten Homeoffice-Zeit konnte ich mich meiner schattigen Oase intensiver denn je widmen. Mit dem Ergebnis, dass einerseits etliche neue Stauden in die Beete Christine Kunovits eingezogen sind. Andererseits Chefredaktorin «Bioterra» kam all meinen Pflanzen meine zusätzliche Zuwendung zugute. Dies deshalb, weil ich meine Extrazeit, die ich sonst morgens wie abends mit 45 Minuten pendeln zubringe, in Gartenpflege investiert habe. Mein kleines Reich dankt es mir: So üppig und gesund wie dieses Jahr war es noch nie. Grosse Freude erfüllt mich dieses Jahr ausserdem, weil unsere Bioterra-Community erneut gewachsen ist! Von April 2019 bis März 2020 konnten wir unser Magazin 16 951 Gartenbegeisterten zukommen lassen. Via Post, Gartencenter oder über den Kiosk. Das sind 370 Menschen mehr als im Vorjahr, wie die offizielle Beglaubigung durch die Werbemedien-Forschung, die WEMF AG, ergeben hat. Unser Ziel für 2021: dass wir uns an dieser Stelle in einem Jahr über 17 000 Menschen freuen können, die sich durch die Zeitschrift «Bioterra» fürs biologische, naturnahe Gärtnern inspirieren lassen.

Julia Müller – Die gebürtige Winterthurerin hatte während der letzten 16 Monate eine komplexe Aufgabe zu meistern: Als Projektleiterin war sie für die Überarbeitung des gesamten Webauftrittes von Bioterra verantwortlich. Das Ergebnis sehen Sie im Verlauf des Septembers auf www.bioterra.ch. Seit ihrem Studiumsabschluss in Journalismus und OrganisationsKommunikation arbeitet die 35-Jährige im breiten Feld der Kommunikation. Für Bioterra ist sie seit Mai 2019 tätig. Bei allen Projekten, an denen sie arbeitet, ist ihr die Sinnhaftigkeit der Dinge sehr wichtig. Privat kultiviert Julia Müller seit Längerem ihren bunten Balkongarten. Und vor drei Jahren kam, unterhalb des Üetliberges in Zürich, eine Familiengartenparzelle dazu, die sie zusammen mit einer Gruppe von Leuten bewirtschaftet.

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GÄRTNERN | GESTALTEN | GENIESSEN

WILDSTAUDEN

LIEBESERKLÄRUNG AN DIE KRATZDISTEL

ANGEBOTE

Ganz herzlich und bleiben Sie weiterhin gesund!

MATRIXPFLANZUNG

FRÜHBLÜHER, LAUCH UND PRÄRIEPFLANZEN

GESTALTUNG, INSPIRIERT VON DER NATUR

PERMAKULTUR LEBEN VOM EIGENEN BODEN

Titelbild | Herbstliche Blütenpracht und Gemüsefülle im Permakultur-Garten – Foto: B. Dittli

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B I OT E R R A 6 / 2 02 0 | FOTO: BENEDIKT DIT TLI, PHILIPP KRÜSI

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I NHA L T

Saison

Sieben Seiten aktuelle Gartentipps für Bio-, Naturgarten und Balkon

...................................................... 4 Permakultur

Warum sich das Paar Suter / Bolli in Tscheppach SO selbst versorgt

...................................................... 14 Allium

Welchen Lauch Insekten schätzen und welcher essbar ist. Mit Angebot

..................................................... 26 SERIE:

Biogarten

Wie der Kreislauf von Ernten und gleichzeitigem Säen funktioniert

..................................................... 28

Gartenkinder

Was es für die Buben und Mädchen im Herbst in den Beeten zu tun gibt

..................................................... 32

DIE SELBSTVERSORGER Gemüse, alte Obstsorten, Wildgehölze und mehr wächst im Permakulturgarten von Barbara Suter und Richard Bolli

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Präriepflanzen

Welche sonnenliebenden Stauden frische Böden mögen. Mit Angebot

..................................................... 34 SERIE:

Wildstauden

Was den Charme der einheimischen Kratzdistel ausmacht

..................................................... 36 Frühblüher

Welche Pflanzen ab März Insekten und Gartenbesitzer erfreuen. Mit Angebot

..................................................... 38 Matrixpflanzung

Wie ein nach dem Vorbild der Natur gestalteter Hang prächtig blüht

LESERANGEBOTE Sieben Alliumsorten Seite 26 — neun Präriepflanzen Seite 34 — sechs einheimische Frühblüher Seite 38 zum Bestellen!

..................................................... 42 SERIE:

Gestaltung

Welche Elemente einen Garten leicht und transparent wirken lassen

..................................................... 48 Vegetarische Küche

Warum Autorin Barbara Bonassoli nichts von Vegiwürsten hält

..................................................... 50 Porträt

Was den Sonnhalde-Gärtner Stefan Best inspiriert

..................................................... 54 Rubriken Notizen .................... 24 Vorschau/Impressum .... 62 Gartenberatung .......... 41 Leserservice ............... 63 Bioterra leben ............ 57 Bestelltalon .............. 67

BIOGARTEN Erntezeit bei Ursula Winistörfer in Malters LU Seite 28

MATRIXPFLANZUNG Garten-Profi Anne Forster gestaltete einen Hang Seite 42

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SAISON — Wurzelgemüse ernten und lagern, Obstbäume pflanzen,

Walnüsse trocknen sowie Brennnesselsamen sammeln. Von Ute Studer und Jochen Elbs-Glatz

Herbst-Anemonen —

STRÄUSSE FÜR DIE VASE Sie können bis Saisonende wunderbar zu Sträussen gebunden werden, sofern man sie zum richtigen Zeitpunkt schneidet. Bei Herbst-Anemonen gilt es zu warten, bis die oberste Blüte am Ende des Triebes ganz aufgeblüht ist. Zu früh geschnitten, gehen die anderen Knospen in der Vase nicht auf.

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S A I S ON

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Buch — Blick hinter die Kulissen

Wie passioniert seit über zwei Jahrhunderten in England gegärtnert wird, erfährt man in diesem Bildband. Das Buch gewährt einen Einblick hinter die Kulissen der Royal Horticultural Society RHS und erzählt über Aktivitäten und Leistungen dieser Gartenbau- gesellschaft. Die Idee dazu entstand 1804 in London bei einer Versammlung von Botanikern. Die RHS hat heute mehr als eine halbe Million Mitglieder und organisiert u. a. die weltbekannte Chelsea Flower Show in London. Gärtnern aus Leidenschaft, die Royal Horticultural Society, Matthew Biggs, Verlag Gerstenberg, Hildesheim 2019, Fr. 51.90, Bestelltalon Seite 67.

Kamille —

BLÜTENERNTE FÜR DEN WINTER Die Erntezeit für Kamille Matricaria chamomilla endet Anfang September. Bis dahin kann man Teevorräte anlegen. Blütenköpfchen in der Mittagszeit sammeln, wenn etwa zwei Drittel der Röhrenblüten geöffnet sind. Sodann die Blüten im Schatten etwa eine halbe Stunde ausbreiten, damit Insekten sie verlassen können. Danach im Schatten an einem trockenen, warmen Ort trocknen.

Brokkoli —

Zweijährige —

Späte Bienennahrung

Auch wenn die Haupt- und Nebenknospen geerntet sind, schiebt der Brokkoli immer noch neue Blütenansätze. Das Gemüse ist ziemlich frostfest, und man kann noch lange die kleinen Knospen ernten. Lässt man einige hellgelbe Blüten aufgehen, freut das Bienen, Schwebfliegen, Hummeln und spät fliegende Schmetterlinge, die so im Herbst noch Nahrung finden. Übrigens schmecken die Blüten auch im Salat.

Die im Frühling gesäten Zweijahresblumen wie Stiefmütterchen, Vergissmeinnicht, Marienglockenblumen, Bartnelken, Fingerhut, Goldlack sind im September stark genug, um sie in den Garten zu pflanzen. 20 bis 30 cm Pflanzabstand scheinen viel, haben sich aber bewährt. So bleibt Zwischenraum für Blumenzwiebeln. Gründlich angiessen und feucht halten fördert das Wachstum. Und wer nicht selbst gesät hat, kann die Setzlinge in einer Biogärtnerei erstehen.

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Richtig platzieren

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S A IS ON

Tipp des Biogärtners MARTIN DIETWYLER

Dietwyler Erlebnisgärtnerei Haselweg 3, 5235 Rüfenach AG, www.dieerlebnisgaertnerei.ch 1

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Sommerflor —

Frosthart überwintern

Einige Sommerblumen sind im Jugendstadium frosthart und überwintern gut als kleine Rosetten. Sie können schon im Herbst ausgesät werden und blühen dann im folgenden Jahr früher als die im Frühling angezogenen. Nur bei sehr strengem Kahlfrost ist ein Winterschutz aus Tannenästen angebracht. Säen kann man Kalifornischen Mohn Eschscholtzia californica (1), Cerinthe Cerinthe major (2), Vergissmeinnicht Myosotis sylvatica (3), Spiegelei-Blume Limnanthes douglasii (4), Jungfer im Grünen Nigella damascena, Seidenmohn Papaver rhoeas, Judassilberling Lunaria annua, Feld-Rittersporn Consolida regalis, Kornblume Cyanus segetum und Ringelblume Calendula officinalis.

PIMPERNUSS – DEKORATIVER STRAUCH Sie ist zwar einheimisch, aber bei uns in der Natur eher selten anzutreffen. In Südeuropa hingegen ist der sehr dekorative, zwei bis fünf Meter hohe, etwas sparrig wachsende Strauch häufiger zu finden. Die Pimpernuss Staphylea pinnata liebt eine sonnige, warme Lage und kann im Garten als Solitär oder auf der Sonnenseite einer Hecke gepflanzt werden. Sie wächst am liebsten auf mageren und kalkhaltigen Böden. Im Frühling zieren auffällige weisse und zart duftende Blütenrispen den Strauch – Bienen besuchen sie oft. Die zwei bis fünf nussartigen, kleinen und braunen Kerne sind von einer aufgeblasenen, weiss-grünlichen Hülle umgeben, werden jetzt im Herbst braun und hart und sind essbar. Die im Mai austreibenden Blätter sind unpaarig gefiedert und frischgrün. Im Herbst verfärben sie sich hellgelb.

Kräuter —

ALS STECKLINGE ÜBERWINTERN Wenn der Platz zum Überwintern der frostempfindlichen Kräuter fehlt, kann man sie als Stecklinge überwintern. Die Stecklinge von Zitronenverbene, Afrikanischem Basilikum (Bild), Buntlaubigem Salbei und Duftpelargonie schneiden, in Töpfen anziehen und hell und frostfrei überwintern.

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Rosen — Gefüllte Blüten bieten Bienen Futter

Die Blüten der einfach blühenden Wildrosen bieten vielen Insekten kaum Nektar, dafür aber viel eiweissreichen Pollen. Das gilt auch bei den gefüllt blühenden Rosen, obwohl bei diesen die Staubgefässe zu Blütenblättern umgewandelt wurden. Trotzdem bleiben bei vielen gefüllt blühenden Sorten noch genügend Staubgefässe übrig, um Bienen, Hummeln und Co. mit Pollennahrung zu versorgen. Über die ganze Saison gerechnet, bieten moderne, öfter blühende Rosen meist sogar mehr Pollen an, weil sie von Juni bis zum Frost blühen. Gerade im Herbst sind spät fliegende Insekten dankbar dafür.

Lilium henryi —

ZIERDE IM HALBEN SCHATTEN Die Riesenzwiebeln von Lilium henryi werden im Oktober 25 cm tief in ein gut gelockertes, reichlich mit Sand und reifem Kompost verbessertes Pflanzloch gesetzt. Ein Kragen aus Kaninchendraht hilft gegen Mäuse.

Pflanzzeit im Spätsommer

Clematis —

Beste Pflanzzeit für Waldreben Clematis ist der Spätsommer bis Oktober, da dann die Bodentemperatur zwischen 14 °C und 22 °C liegt und optimal für ein gutes Anwurzeln ist. Waldreben möchten den Kopf in der Sonne haben und die Füsse im Schatten. Man setzt sie etwa 5–10 cm tiefer, als sie im Topf standen, in humose und gleichmässig feuchte Erde, ohne Staunässe.

Buch — Das Glück des unvollkommenen Gartens

Wabi Sabi kommt aus Japan und steht für perfekte Unvollkommenheit. Dieses Prinzip überträgt Autorin Annette Lepple auf den Garten, in dem sie Zufriedenheit, Achtsamkeit, Heiterkeit und Entschleunigung findet. Sie zeigt, welche Pflanzen, Elemente und Materialien für den naturhaften, einfachen und doch ästhetischen Pflanzstil stehen: Stauden und Gräser, die auch im Tod noch attraktiv sind, und Bäume und Sträucher, die den Wandel der Jahreszeiten erlebbar machen. Mein Wabi-Sabi-Garten, respektvoll gestalten, achtsam geniessen, Annette Lepple, UlmerVerlag, 2020, Fr. 35.90, Bestelltalon Seite 67.

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VOM EIGENEN BODEN

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PERMAK ULTUR

Barbara Suter und Richard Bolli.

Getreide, Kartoffeln, mannigfaltiges Gemüse, alte Obstsorten, Reben, Wildgehölze und farbenfrohe Blumen: Der Selbstversorger-Garten von Barbara Suter und Richard Bolli ist ein in sich geschlossener Kreislauf, ein nährendes Kleinod für Mensch und Tier. FOTOS: GAP-PHOTOS, IDI HÄBERLI

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Kunstvoll und verspielt: Die selbst geflochtenen Kugeln aus Weidenruten in den alten Apfelbäumen.

Gespinste zaubern eine melancholische Herbststimmung.

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Die wunderschön gezeichnete Zebraspinne.

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PERMAK ULTUR

Der Kompostplatz mit Asthaufen.

Kreisläufe

Alles bleibt im Garten. Eingegriffen wird nur, wo es notwendig ist. Von Katharina Nüesch

Schnittgut der Wiese.

Starker Wind fegt am sonnigen Herbsttag über die Felder, schickt die Wolken schnell Richtung Süden und zerzaust pfeifend Wiesen und Bäume. Über dem frisch abgeräumten Acker nutzt ein Milan elegant die Thermik. Vom Dorf her gehts mit der Bise im Rücken ein paar hundert Meter das Kirchgässli hinauf, dann kurz hinunter. Und schon steht man mitten im Bitzihof. Der kleine Weiler mit drei bäuerlichen Liegenschaften gehört zum Dorf Tscheppach im Solothurner Bucheggberg. Seit zehn Jahren wohnen Barbara Suter und Richard Bolli hier – zwischen Feldern und Weiden, wiederkäuenden Rindern und ratternden Traktoren.

in der Heimat, fanden sie bald ihr heutiges Zuhause, einen Kleinbauernhof mit Umschwung. Das Paar lebt heute weitgehend selbstversorgend.

VON BRASILIEN IN DEN KANTON SOLOTHURN Das Paar – beide haben Biologie studiert – hat inmitten ländlicher Beschaulichkeit einen langgehegten Traum verwirklicht: selbstversorgend zu leben. Ursprünglich begann alles etwas spektakulärer – in Brasilien, wo die beiden die Betriebsleitung einer zehn Hektaren grossen Fazenda in einem Projekt für Biolandbau in den Tropen innehatten. Nach zwei Jahren kehrten Richard Bolli und Barbara Suter in die Heimat zurück, zu viele Unwägbarkeiten gab es im tropischen Bahia. Für die beiden war klar, dass sie auch hierzulande von dem leben wollten, was der Boden und ihrer Hände Arbeit hergeben. Zurück

ANNÄHERUNG ANS GLEICHGEWICHT Die Achtung vor der Natur, der schonende Umgang mit Ressourcen, geschlossene Kreisläufe und die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren sind dem Paar wichtig. Es bestellt seinen Boden nach den Prinzipien der Permakultur. Diese Bewirtschaftungsform passt sich optimal den lokalen Bedingungen und Verhältnissen an und liefert auf kleinem Raum hohen Ertrag, und das in grösstmöglicher Vielfalt. «Es wird Jahr für Jahr besser, ein Gleichgewicht stellt sich zunehmend ein», erzählt Barbara Suter. Ziel sei es, nur dort einzugreifen, wo unbedingt notwendig. «Anfangs war es aufwendig, da unser Vorgänger das Land

Während Richard Bolli in einem Teilzeitpensum ausser Haus arbeitet, befindet sich Barbara Suters Werkstätte im und ums Haus: Tag für Tag verbringt sie im Garten, am Feierabend und an den Wochenenden tatkräftig unterstützt von ihrem Mann. Dann wässert er die Kulturen, bringt Pflanzengüllen aus, schneidet Obstbäume und Hecken, mäht Wiesen und Bord. Und zwar mit der Sense, denn motorisierte Geräte verwenden Bolli-Suters keine.

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NOT IZ E N

DAS RÄTSEL der vielgestaltigen SAMEN Die R ingelblumen Schöne Blumen, lasst euch pflücken, ihr müsst meinen Hals jetzt schmücken, eine Kette sollt ihr werden, nicht so sitzen in der Erden! Also sprach die kleine Liese, hüpfte durch die ganze Wiese, hörte nicht die Bienlein summen, sieht nur nach den Ringelblumen, macht sich eine hübsche Kette – keine Königin, ich wette, kann in ihrem Perlenschein glücklicher als Lieschen sein. August Corrodi 1826–1885

Von Ute Studer

Ringelblumen! Eigentlich sollte ich glücklich sein wie Lieschen, wenn sie im Frühjahr keimen. Kaum hat die Sonne den Boden erwärmt, erscheinen sie überall. Zwei kleine, grüne Ohren strecken sie aus der dunklen Erde, ich denke immer, sie wollen erst mal hören, was der Frühlingswind ihnen zuflüstert. Dieses Jahr haben sie es sogar geschafft, mit einigen Exemplaren, ganz dicht an den Boden gedrückt, den Winter zu überleben. Ich bemerkte sie, als sie mir mit zahlreichen orange leuchtenden Blüten zuriefen: «Hallo, da sind wir wieder, und ganz viele kleine Sämlinge stehen schon in den Startlöchern, um den Garten mit orangefarbigen Blüten zu überziehen.» Damals nahm ich traurig zur Kenntnis, dass von den Prachtkerzen nur noch erfrorene, braune Stängel gen Himmel ragten, während mir die Ringelblumen mit ihrem strahlenden Optimismus vergnügt zuwinkten. Leider ist Orange im Garten keineswegs meine Lieblingsfarbe. Zwar dulde ich einige der leuchtenden Sonnen, sie peppen das brave Grün der Gemüsebeete auf, zudem befreien sie den Boden von lästigen Fadenwürmern, geben eine tolle Heilsalbe und dekorieren jede Salatschüssel. Doch die kleinen grünen Hasenöhrchen erschienen überall im Garten und kündigten eine richtige Orange-Invasion an. Biodiversität adieu, der Garten würde ohne mein Einschreiten ein einziges, orangefarbenes Blütenmeer. Feuriges Leuchten unter seidenzarten, rosa Rosen? Ein Albtraum! Das feine Weiss der Nachtviolen und davor ordinäres Orange? Ein NoGo! Auch wenn ich noch so viele ausgerissen habe, ihre Reproduktionsfreudigkeit ist nicht zu überbieten, und das Überleben ihrer Art ist in meinem Garten auch so gewähr-

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leistet. Denn sie ist eine Samenkünstlerin der besonderen Art. Jede Pflanze hat ihre eigene Strategie der Samenverteilung, und ihre Samenformen sind dem angepasst. Der Storchschnabel schleudert seine weit fort, die Klette heftet sie an das Fell von Tieren, und der Löwenzahn schickt sie mit kleinen Fallschirmen auf die Reise. Die Ringelblumen bilden innerhalb eines Blütenköpfchens gleich drei Samenformen mit unterschiedlicher Verbreitungsstrategie aus. Jede der Körbchenblüten besteht aus ganz vielen kleinen Einzelblüten. Die braune oder gelbe Mitte wird von eng aneinander sitzenden Röhrenblüten gebildet, die mit ihrem Pollen für die Befruchtung der am äusseren Rand sitzenden, weiblichen Zungenblüten sorgen. Diese äusseren weiblichen Blüten, mit denen wir «Er liebt mich, er liebt mich nicht» spielen, bilden nach dem Verblühen drei verschiedene Samen aus. Bogenförmige Hakenfrüchte stehen am äusseren Rand. Sie verhaken sich mit ihrem stacheligen Rücken in Tierfellen. Weiter innen sitzen aerodynamisch geformte Segel-Typen, die vom Wind über weite Distanzen verbreitet werden. Ganz innen befinden sich die faulen, kleinen, ringförmigen Kringel, die sich einfach nur zu Boden fallen lassen. Bestenfalls kugeln sie noch ein bisschen herum oder werden vom Regen weggespült. Interessant ist, dass die abfallenden Samen die geringste Keimrate haben, während die Flugobjekte und die Fellhafter keimfähiger sind. In meinem Garten verbreiten sich vor allem die Faulen, und wenn sie auch nicht alle keimen, sind es immer noch viel zu viele. Die Flugobjekte erfreuen vor allem meine Nachbarn, aus deren Gärten sie mir auch jetzt am Ende des Sommers noch feurig entgegenlächeln. Einen ganzen Strauss der orangefarbenen Sonnenwirbel trug meine Nachbarin gestern im Fahrradkorb nach Hause. «Ich werde die Blütenblätter trocknen und als Safran verwenden», verriet sie mir stolz. Da bin ich froh, denn so finden die Samen nicht in meinen Garten zurück. Da die Felltiere in meinem Garten hauptsächlich aus überfütterten Stubentigern bestehen, vermute ich, dass die Samen in deren Fell vor allem auf den Sofas der umliegenden Wohnungen landen. Dort ist ihre Reise zu Ende und die Keimrate gleich null, denn die Aussaat wird mit dem Staubsauger verhindert.

| H I L LU S T R AT I O N : CORINNA STAFFE

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NOTI Z E N

PFLANZENREISEN, SAMENREISEN

Von Jochen Elbs-Glatz

Reisen sind wichtig. Wir haben viel durchlitten, als sie uns jüngst eine kleine Weile verboten waren. Pflanzen, ihre Samen oder Pollen reisen in wichtigster Mission, dem Erhalt und der Verbreitung ihrer Art. Wir unternehmen Fuss-, Velo-, Auto-, Bus-, Bahn-, Schiffs- und Flugreisen. Selbst ortsfeste Pflanzen nutzen interessante Fortbewegungsmittel, und findige Botaniker fanden ihnen schöne Namen: Anemochoren reisen mit dem Wind. Der Wind weht, wo er will, und nimmt Samen mit, die so klein und leicht sind, dass sie wie von selbst mitfliegen. Beispielsweise Orchideensamen, von denen 1,35 Millionen gerade ein Gramm wiegen. Grössere haben Flügel wie Ahornsamen oder Schirmchen wie der Löwenzahn, die sie in grosse Höhen aufsteigen und weite Strecken überwinden lassen. Anthropochoren reisen mit dem Menschen. Der Mensch ist das evolutionär jüngste Transportmittel für Pflanzen, aber gewiss das effektivste. Dabei ist nicht nur an Klettensamen am Gärtnerkittel und verschleppte Neophyten zu denken. Alle Kulturpflanzen wurden zu Nutzen und Zierde vom Menschen überallhin verbreitet. Im Permafrost auf Spitzbergen lagern Pflanzensamen für eine nicht abzusehende Zukunft.

Ballochoren reisen als Geschoss. Springkräuter bauen zur Samenreife in den Samenkapseln einen so hohen Druck auf, dass sie bei der geringsten Berührung platzen und die Samen wegschleudern. Auf einige Meter sehr effektiv. Zoochoren reisen an und in Tieren. Anhängliche wie Vergissmeinnicht, Waldmeister oder Bärlauch haften am Fell und werden am neuen Ort wieder abgestreift. Der Froschlöffel streut feine Samen in den Schlamm, mit dem sie an Vogelfüssen klebend verbreitet werden. Die «Darmpassage», bei der Früchte gefressen und die Samen mit dem Kot wieder ausgeschieden werden, macht viele Samen, beispielsweise von Blaubeeren und Geissblatt, erst keimbereit. Myrmekochoren reisen mit Ameisen. Weltweit werden etwa 3100 Pflanzenarten von Ameisen verbreitet.

Veilchen, Leberblümchen, Christrosen, Schneeglöckchen und Beinwell zählen dazu. Als Belohnung für ihre Tragearbeit und das zur Keimung günstige Klima im Bau bekommen die Ameisen das Elaiosom, ein fett-, zucker- und eiweissreiches Anhängsel an jedem Samen. Nur das interessiert sie.

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1 Rutenhirse Panicum virgatum ‘Northwind’

2 Weidenblättrige Sonnenblume Helianthus salicifolius

3 Herbst-Kopfgras Sesleria autumnalis

Charakter PRÄRIE-

4 Blaue Indigolupine Baptisia australis

5 Kalifornische Grindelie Grindelia robusta

7 Weisse Kugeldistel Echinops niveus 'Arctic Glow'

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8 Gelbe Indigolupine Baptisia 'Lemon Meringue'

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6 Blausternbusch Amsonia tabernaemontana 'Storm Cloud'

9 Sonnenbraut Helenium cultorum 'Amber Dwarf' 9

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PRÄ RIEPF L A NZ E N

Assoziiert werden sie mit kargen Böden. Xavier Allemann hat Präriestauden zusammengestellt, die auf humosen Gartenböden im Schweizer Mittelland gut gedeihen. Von Carmen Hocker

Welche Emotionen können Pflanzen wecken, welche Geschichte erzählen sie? Das sind Fragen, die sich Staudengärtner Xavier Allemann stellt, wenn er eine neue Pflanzung plant. Um dies zu illustrieren, erzählt er von einem Erlebnis im Garten der niederländischen Landschaftsarchitektin Mien Ruys (1904–1999): «Als ich auf einem schmalen Pfad zwischen einer Eibenhecke und Chinaschilf ging, streichelten mich plötzlich die feinen Blütenwedel und mir kamen wider Willen die Tränen.» Das Faszinierende an der Handschrift der Niederländerin sei, dass ihre Gärten nicht nur schön seien, sondern aufgrund der subtilen Gestaltung mit Licht, Wasser und Pflanzen Emotionen weckten. Auch Piet Oudolf, der den Begriff des Präriegartens massgeblich geprägt hat, nahm seine Landsmännin zum Vorbild. Xavier Allemann verfolgt zudem seit einigen Jahren einen britischen Gartengestalter, dessen Ansätze er als wegweisend betrachtet: Nigel Dunnett, Professor für Pflanzenverwendung an der Universität Sheffield. Bekanntheit erlangte dieser unter anderem durch den Olympischen Park in London, für den er 2012 heimische mit ausgewählten exotischen Arten zu wiesenähnlichen Bildern kombiniert hat: «Er versteht es, mit einfachen Mitteln naturalistische, artenreiche Pflanzengemeinschaften zu schaffen.» LANDSCHAFTEN INTERPRETIEREN Prärien gibt es auf der ganzen Welt. Entwickelt haben sie sich durch natürliche Brände, aber auch durch den Eingriff des Menschen. Wo Wald gerodet wurde, um den Boden urbar zu machen, entstanden Brachen, auf denen sich die Natur frei entfalten konnte. Xavier

Allemann erinnert sich an die artenreichen Magerwiesen seiner Kindheit im Schweizer Jura: «Die Doldenblütler waren voller Leben.» Mit einer Präriepflanzung lässt sich der Charakter einer solchen Landschaft im kleineren Massstab in den Garten holen. Da die meisten Böden im Mittelland aber humos sind, umfasst das «Bioterra»-Leserangebot Sonne liebende Pflanzen, die in eher frischen Böden gedeihen. Um einen Wow-Effekt zu erzielen, sollte die Fläche gut 30 m2 gross sein, wobei sie durchaus von Wegen durchzogen sein darf. Für kleinere Gärten können Pflanzen wie das HerbstKopfgras (3) in Kleingruppen als grüne Ruhepole im Beet gesetzt werden. Andere, wie die imposante Rutenhirse (1) oder der Blausternbusch (6) mit seinem buschartigen Habitus, eignen sich als Solitäre. BILDER FÜR JEDE JAHRESZEIT Im Gegensatz zu einer Wiese ist eine Präriepflanzung über viele Monate im Jahr ein Blickfang. Bei einer Pflanzung im Herbst können sich die Stauden über den Winter etablieren. Da sich die meisten Pflanzen erst später im Jahr – ab Mai und Juni – entwickeln, empfiehlt Xavier Allemann eine Kombination mit Frühlingsblühern, damit es bereits ab Februar in den Beeten etwas Farbe gibt. Bei der Anlage eines Beets sollte darauf geachtet werden, welchen Umfang eine Staude erreichen kann, um genügend Abstand zwischen den Pflanzen zu lassen. So entwickelt sich die Indigolupine (4, 8), vergleichbar mit Pfingstrosen, erst mit den Jahren zu einem grösseren Busch und sollte aufgrund ihrer tiefen Pfahlwurzeln nicht verpflanzt werden. Als Lückenfüller können heimische

Vagabunden wie Akelei oder Nachtviole eingestreut werden. Für die Fauna sind die Korbblütler interessant: Grindelie (5) , Sonnenblume (2) und Sonnenbraut (9) ziehen allerlei Insekten an. Besonders eindrücklich ist die Kugeldistel (7): «Man könnte sich auf einen Hocker davorsetzen und immer wieder neue Besucher entdecken», schwärmt Xavier Allemann. Im Winter bleiben alle Stauden und Gräser stehen, da sie Unterschlupf für Kleintiere und hübsche Winterstrukturen bieten. Die Pflanzen werden im Februar mit einer scharfen Heckenschere bodennah zurückgeschnitten. Ein Teil des Schnittguts bleibt als Mulchmaterial liegen, um dem Boden Nährstoffe zurückzugeben und Vögeln Nistmaterial bereitzustellen. BEWEGENDE GRÄSER Den ungezwungenen, dynamischen Charme verdanken Präriepflanzungen den Gräsern. Im frischen Gartenboden fühlt sich die erwähnte Rutenhirse (1) besonders wohl. Der straff aufrechte Habitus ihres Horstes setzt Akzente, während der Blütenschleier duftig darüber schwebt. Das niedrige Herbst-Kopfgras (3) zählt zu den sogenannten Matrix-Pflanzen, die von verschiedenen Blütenpflanzen durchwirkt werden können (siehe dazu auch S. 42, Matrixpflanzung). Es ist anspruchslos in Bezug auf den Boden und wächst sogar im Schatten von Gehölzen. Zur Inspiration empfiehlt Xavier Allemann einen Besuch im Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof im süddeutschen Weinheim. Dort führen schmale Wege durch die «hohe nordamerikanische Prärie», und auf einer Hinweistafel ist zu lesen: «So sollen sich die ersten Siedler gefühlt haben, als sie zum ersten Mal durch diese Landschaften streiften.»

LESERANGEBOT Die Übersicht der neun Präriepflanzen von der Staudengärtnerei lautrejardin in Cormérod FR finden Sie auf Seite 66. FOTOS: GAP-PHOTOS, IDI HÄBERLI

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L E S E R A N G E B OT

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FRÜHBL ÜHE R

Damit sie ihre bunten Blütenköpfe früh aus der Erde strecken und Insekten Nahrung bieten, gilt es, einheimische Wildstauden jetzt zu pflanzen. Wir bieten sechs zum Bestellen an. Von Ute Studer

Mit den einheimischen Frühlingsblühern locken wir Wildbienen, Hummeln und Falter in den Garten, denen erste Blütenfarbtupfer nach der langen Winterzeit im Garten besonders willkommen sind. Damit es im Frühling blüht, muss jetzt gepflanzt werden. Dann zeigen die farbenfrohen, einheimischen Wildstauden ab März ihre ganze Blütenpracht, noch bevor die Laubbäume ihr schattenspendendes Laub entfalten. In der Natur sind die Frühaufsteher oft an halbschattigen oder schattigen Orten in Wäldern oder am Waldrand zu finden, da sie dort zeitig im Jahr genügend Licht bekommen, um bunte Blütenteppiche zu weben, ohne von konkurrenzstarken Gräsern verdrängt zu werden. SONNENANBETER Das fröhlich gelbe Frühlings-Fingerkraut Potentilla neumanniana (6) leuchtet ab März mit seinen Blüten als flach wachsender Bodendecker auf von der Sonne verwöhnten, trockenen Standorten. Für die eben aus der Winterruhe erwachten Wildbienen ist der Pollen eine wichtige Nahrungsquelle. Die goldgelbe Schönheit erzeugt oft vom Spätsommer bis in den Herbst eine Nachblüte, die Insekten dann ein zweites Mal Nahrung bietet. An ihrer Seite fühlen sich die Küchenschelle Pulsatilla vulgaris, der weisse Mauerpfeffer Sedum album und das Sonnenröschen Helianthemum wohl. Ebenfalls bereits ab März lockt auf sonnigen Mauerkronen die AlpenGänsekresse Arabis alpina (2) mit ihren weissen Blütenpolstern Falter und Wildbienen an. Nach einem Rückschnitt der verblühten Samenstände bildet sie

bis in den Oktober Nachblüten. Als Polster über Mauern oder Topfrändern hängend ist die Gänsekresse ein dankbarer Dauerblüher. Wuchsfreudig und pflegeleicht, gibt sie sich auch mit halbschattigen Standorten zufrieden und gedeiht gut neben anderen Polsterpflanzen wie Blaukissen Aubrieta, Heide-Nelken Dianthus deltoides und Polster-Phlox Phlox subulata. Die weissen Blüten der Gänsekresse sind auch eine Bereicherung in der Küche. FÜR SONNIGE BIS EHER SCHATTIGE PLÄTZE Die Frühlings-Platterbse Lathyrus vernus (4) ist eine der auffälligsten farbig blühenden einheimischen Wildstauden. Sie zeigt ab März zuerst ihre metallblauen Blüten, die sich im Verlauf der Blütezeit in ein Farbspiel von Blauviolett über Rosa bis Tiefrot verwandeln. Die Hummeln besuchen sie gerne im Halbschatten oder sogar im Schatten von Waldrändern, Sträuchern oder Hecken. Sie passt gut zu Lungenkraut Pulmonaria officinalis, Veilchen Viola oder Akelei Aquilegia vulgaris. Auch der Frühlingsschlüsselblume Primula veris (3) behagt es sowohl in der Sonne wie im lichten Halbschatten, und wo sie sich wohlfühlt, versamt sie sich dankbar. Vielleicht haben wir dann sogar das Glück, den seltenen Schlüsselblumen-Schachbrettfalter zu Gesicht zu bekommen, wenn er an der Pflanze seine Eier ablegt. Die grünen Blätter können im Frühling im Salat genossen werden, und aus den getrockneten Blüten wird ein HustenTee gebrüht. Gute Nachbarn sind Zittergras Briza media und Milchstern Ornithogalum.

STARBESETZUNG AUCH BEI WENIG SONNE Eine majestätische, eindrückliche Erscheinung ist die erste Blütenpflanze des Jahres. Schade, dass man ihr den hässlichen Namen Stinkende Nieswurz Helleborus foetidus (5) gegeben hat, welcher der tollen Wildstaude mit den formschön gefiederten Blättern nicht gerecht wird. Ich nenne sie Palmblattnieswurz, da ich vom angeblichen Geruch ihrer Blätter noch nie etwas gemerkt habe. Ab Februar bietet die imposante Wildstaude ihre grünlich-gelben, rot gerandeten Blütenglocken den früh erwachenden Hummelköniginnen als Nektarquelle zur Stärkung und zum Aufwärmen an. Das warme Nektarsüppchen ist nämlich, dank der Arbeit von Hefepilzen, 5 °C wärmer als die Umgebung. Die Staude gedeiht wunderbar im trockenen Halbschatten oder sogar im Schatten unter Laubbäumen und Sträuchern. Sie ist eher eine unerkannte Prinzessin, die aus ihrem Hofstaat von Lungenkraut Pulmonaria und Schneemarbel Luzula nivea herausragt. Der Rundblättrige Steinbrech Saxifraga rotundifolia (1) schliesslich ist eine eher unbekannte heimische Schönheit. Dieser Frühlingsblüher zaubert mit seiner Blütenfülle herrliche Bilder in den Schattengarten. Wie mit Sommersprossen übersäte, neugierige Kindergesichter sehen die weissen Blüten mit den kleinen roten Pünktchen aus. Dazu bekommt die Pflanze durch ihre rundlich geformten, gezackten, hellgrünen Blätter fast eine Kugelform, die neben Farnen besonders schön zur Geltung kommt.

LESERANGEBOT Die Übersicht der sechs Frühlingsblüher aus der Staudengärtnerei Eulenhof in Möhlin AG gibt es auf Seite 63. FOTOS: GAP-PHOTOS, IDI HÄBERLI

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HEILUNGSBIOTOPE

schaffen

Von Gabriela Bonin

Allein die Anfahrt nach Gempen ist erhebend: Man kurvt über die Hochebene des Juras an Kirsch- und Laubbäumen, Föhren und Feldern vorbei. Im Dorf Gempen liegt noch ein «Dorf»: die Sonnhalde. Eine soziale Institution, in der rund 190 Menschen mit Autismus und anderen seelisch-geistigen Störungen leben, lernen und arbeiten. Einer, der seit 32 Jahren einen Beitrag für deren Wohl leistet, ist Stefan Best, 57. Er hat auf diesem Areal unter anderem einen fünf Hektaren grossen Natur-Gartenpark konzipiert, geplant und gemeinsam mit seinen Mitarbeitenden umgesetzt. Das sind rund ein halbes Dutzend Leute, Fachkräfte wie auch Menschen mit Betreuungsbedarf. Kaum ist man in den Park eingetreten, spürt man es: dieses Gefühl von Stimmigkeit. Stefan Best nennt es «Kohärenz»: Alles passt, steht in einem Zusammenhang, «das hat therapeutische Wirkung». Nicht nur für Menschen mit seelischen Störungen, sondern für alle: «Vielen Leuten ist die Beziehung zur Natur verloren gegangen. Bei uns fühlen sie die Anwesenheit einer höheren Ordnung und entspannen sich.» Daher kommen immer wieder Auswärtige aus der Region auf die Sonnhalde zu Besuch, sei es, um den NaturGartenpark zu geniessen oder um hier von der hauseigenen Gärtnerei und Bäckerei Bio- und Demeter-Produkte zu kaufen. Stefan Best begibt sich zum Kindergarten, den die Gempner Dorfkinder und Sonnhalde-Kinder gemeinsam besuchen. Neben einer Tagessonderschule mit Kindergarten gibt es auf der Sonnhalde eine Grund- und Werkschule sowie Ausbildungsplätze, alles auf der Basis der Anthroposophie, bei der die biologisch-dynamische Landwirt-

NATURGÄRTNER STEFAN BEST Naturgärtner Stefan Best hat im Areal der Sonnhalde Gempen im Kanton Solothurn mit viel Gespür, Fachwissen und Beharrlichkeit einen Natur-Gartenpark geprägt: Dieser Park zeugt von ehrlicher Naturverbundenheit und schenkt heilende, stärkende Impulse. www.sonnhalde.ch

schaft eine wichtige Rolle spielt. Vor einem Wohnhaus baumelt unter einer Föhre eine grosse, urige Schaukelliege. Zu Beginn von Stefan Bests Tätigkeit, so erzählt er, war auf der Sonnhalde alles zweckmässig-nüchtern gestaltet. Das wollte er ändern: So ist Beton geschwungenen Trockenmauern gewichen. Heimische Pflanzgesellschaften wie etwa Kalk-Aster, Hirschheil und Klebriger Salbei werten Böschungen und Wegränder auf. «Wir haben Geborgenheit und Rückzugswinkel geschaffen.» Natürlich ist Stefan Best nach über dreissig Jahren im Fach, nach Ausbildungen als Gemüsegärtner und Naturgarten- und Therapiegartenfachmann ein Vollprofi, doch das reicht ihm nicht. Er will die Pflanzenwelt nicht einfach akkurat in ein Areal einfügen. Es drängt ihn dazu, ein Ohr und Auge für ihre Botschaften zu haben. Um diese zu hören, verharrt er zuweilen in seinem hügeligen Reich, schweigt, schaut, lauscht. Innere Bilder tauchen auf: An der Stelle von nackten Wegen erheben sich blühende Säume, anstelle von Rasen entstehen Teiche, Lauben, Weidenhäuschen, Wasserläufe, Sandflächen zum Buddeln. Trennende Strukturen lösen sich auf,

Durchgänge öffnen sich, neue Räume tun sich auf. Derartige Visionen hat er in den letzten Jahren zusammen mit seinen Mitarbeitenden in die Realität umgesetzt: beharrlich, geduldig. Immer nach dem Prinzip, dass man möglichst nicht eingrenzt und absperrt, nicht gegen die Natur der Pflanzen und der Menschen arbeitet, sondern deren Kräfte in eine positive, nützliche Richtung lenkt. Oft hat er dafür Hand in Hand mit den zu therapierenden Kindern und Erwachsenen gearbeitet. «Die Gartenarbeit tut ihnen gut, sie sind sehr stolz auf ihre Werke», sagt er. Eine Schulklasse half zum Beispiel mit, einen Naturteich zu bauen. Heute werden hier Sumpfschildkröten aufgezogen. Es tummeln sich Grasfrösche, Erdkröten und Ringelnattern. Verschiedenste Libellenarten schwirren herum. Dank all dieser Massnahmen konnte der Natur-Gartenpark nachweislich mehr Insekten-, Reptilien-, Vogel- und Pflanzenarten anziehen und erhält Ehrungen aus Fachkreisen. Wichtiger als Anerkennung von aussen ist Stefan Best aber die Wirkung nach innen: «Wir schaffen Heilungsbiotope im weitesten Sinne. Das möchte ich künftig auch in anderen Gärten tun.» Darum weitet er seine Tätigkeit aus und betreut nun auch ausgewählte Projekte eigener Kunden. Sein Fachwissen bleibt der Sonnhalde aber weiterhin erhalten. Unter anderem ist er für die Landschaftsplanung rund um projektierte Neubauten zuständig. Zudem führt er neue Mitarbeitende in die gärtnerische Herangehensweise ein. «Schön und wichtig ist, dass der Natur-Gartenpark auch fortan von Menschen betreut wird, die eine starke Beziehung zur Natur pflegen.»

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Machen Sie das Beste aus Ihrer Mitgliedschaft!

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Das Stift-Höfli-Team (v. l. n. r.) Julia Frei (in Ausbildung), Claudia Pfalzgraf, Rahel Mansfeld, Miriam Feuz, Michal Stiegler (in Ausbildung), Veronika Kraus. Nicht im Bild: Deborah Joner, Chayanne Hartmann, Xenia Feldmann, Jasmin Vogel, alle in Ausbildung.

WER STECKT HINTER DER WILDSTAUDEN-

GÄRTNEREI IM STIFT HÖFLI?

Seit 2009 Veronika Kraus GRÜNDUNG: Stift Höfli 1979, Gärtnerei 1999 MITARBEITENDE: 8 in der Gärtnerei, 100 im gesamten Betrieb SORTIMENT: 400 verschiedene einheimische Wildstauden ORT: Nussbaumen TG BETRIEBSLEITUNG:

Stiftung Wildstaudengärtnerei Stift Höfli, 052 745 10 48, info@wildstauden-gærtnerei.ch

Unsere Wildstaudengärtnerei ist Teil der gemeinnützigen Stiftung «Stift Höfli». Bei uns werden Jugendliche mit einer leichten Lernschwäche in 11 Berufen, unter anderem zu Staudengärtnerinnen und -gärtnern, ausgebildet. Gegründet hat diese Institution der Frauenfelder Architekt Josef Räschle. Nahezu unser gesamtes Saatgut sammeln wir selbst in der Umgebung. Und ziehen daraus 99 % der Pflanzen. Botanisch sprechen wir von generativer Vermehrung. Später im Jahr, ab Dezember, werden die gereinigten Samen gesät oder aber ein kleiner Teil der Wildstauden aus Wurzelschnittlingen gezogen. Jede Pflanze hat auch in der Kultivierung ihre Eigenheit. Der Gelbe Lerchensporn Corydalis lutea beispielsweise ist uns regelmässig eingegangen. Jetzt lassen wir ihn sich selber versamen und setzen die kleinen Pflanzen direkt in den Topf.

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Luzia Steiner ist seit 29 Jahren Präsidentin der BioterraRegionalgruppe St. Gallen und ausserdem eidgenössisch ausgebildete Akupunkteurin.

DREI FRAGEN AN LUZIA STEINER Sie treten nach fast 30 Jahren Ende September als Leiterin der Regionalgruppe St. Gallen zurück. Wie geht es Ihnen?

Ich fühle mich erleichtert, dass ich alles Organisatorische abgeben kann, und hoffe auf mehr freie Zeitfenster. Unter anderem möchte ich zwei Bücher von Stephen Harrod Buhner, einem Experten für Pflanzenmedizin, intensiv durchstudieren. Ich werde aber auch weiterhin meine Gartenbaukurse und -vorträge für Bioterra geben. Und übrigens: Meine Nachfolge steht zu 99,9 %. Gewählt wird Ende September, künftig wird das Präsidium im Jobsharing geführt.

EVENT FRECHE PFLANZENSORTEN FRÜCHTCHEN BESTIMMEN Sie bilden einen wichtigen Teil FÜHRUNG

Es ist eine echte Detektivarbeit, die richtige Pflanzensorte zu bestimmen. Lernen Sie unter fachkundiger Anleitung und mithilfe eines Bestimmungsschlüssels, historischen Katalogen, modernen Medien und dem Blick fürs Detail, wie es geht. Datum ⁄ Ort: Mo., 7. September, 14 – 15 Uhr, Merian Gärten Basel

Datum ⁄ Ort: Sa, 11. 10., 10 – 16 Uhr, Botanischer Garten Bern, Info: www.botanischergarten.ch

NER OFGFAE RTEN

Schwalbenschwänze liegen Ihnen am Herzen …

Ja, sehr! Diese Schmetterlinge stehen auf der Roten Liste. Ich möchte, dass auch meine Enkel noch solche Falter in der Natur bewundern können. Vor zehn Jahren hat mich ein langjähriges Bioterra-Mitglied auf das Thema aufmerksam gemacht. Ursula Iseli hatte eine Schwalbenschwanzzucht und zeigte mir, wie ich die Schmetterlinge selber ansiedeln kann. Seither verteile ich an alle Gartenbaukursteilnehmerinnen und -teilnehmer Teefenchelsamen. Mit der Aufforderung, diese Futterpflanze für die Schwalbenschwanzlarven im Garten zu setzen, als Ersatzpflanze für den Wiesenkerbel. Ihr schönstes Erlebnis in all den Jahren?

Es gibt nicht ein wirklich schönstes Erlebnis. Ich habe immer die Begegnungen mit interessierten Menschen geschätzt. Ein Aufsteller war 1996. Damals kamen 120 Personen an meinen ersten Vortrag zum Thema «99 Blumen, die mit Schnecken gedeihen». Ich hatte dazu auch ein Merkblatt geschrieben, das dann über 6000 Mal den Weg zu Biogärtnernden gefunden hat!

Gartenkinder

BESUCH OFFENE HERBSTGÄRTEN Die Saison neigt sich zwar bald dem Ende zu. Doch noch gibt es bis in den Oktober hinein Gärten im ganzen Land zu besichtigen. So zum Beispiel das Paradies von Hans und Yvonne Massler in Linn AG (Bild), in dem jetzt Astern und etliche Gräser zu bewundern sind. Es ist am 27. September geöffnet. Alle Termine: www.offenergarten.ch

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der menschlichen Nahrung, aber nicht alle Früchte sind essbar. Viel Spannendes und Verblüffendes aus dieser faszinierenden Welt gibt es im Botanischen Garten Bern zu erfahren. Das Programm umfasst Führungen, Bastelwerkstatt, Informationsstand, fruchtige Leckerbissen und vieles mehr.

Auflösung von Seite 32. Hast du die fünf Unterschiede bei der Herbstaster gefunden? Wenn nicht, oben sind sie eingezeichnet.

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