GFS AXE

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Einführung „Das Schiff, auf dem Theseus mit den Jünglingen losgesegelt und auch sicher zurückgekehrt ist, eine Galeere mit 30 Rudern, wurde von den Athenern bis zur Zeit des Demetrios Phaleros aufbewahrt. Von Zeit zu Zeit entfernten sie daraus alte Planken und ersetzten sie durch neue intakte. Das Schiff wurde daher für die Philosophen zu einer ständigen Veranschaulichung zur Streitfrage der Weiterentwicklung; denn die einen behaupteten, das Boot sei nach wie vor dasselbe geblieben, die anderen hingegen, es sei nicht mehr dasselbe.“ Plutarch (45-125 n.Chr) „Die Axt des Grossvaters“, auch besser bekannt in der Variante des „Schiff des Theseus“, ist ein Paradoxon, das seit der Antike diskutiert wird. Verliert ein Objekt seine Identität, wenn viele oder gar alle seine Einzelteile nacheinander ausgetauscht werden? Können wir immer noch von derselben Axt sprechen, nachdem nacheinander Stiel und Kopf ersetzt wurden? Oder existieren nun sogar zwei Äxte: die reparierte und die der ausrangierten Einzelteile? Das Gedankenspiel um die Identität eines Dinges kann auch auf die Zellen des Menschlichen Körpers angewendet werden. Die Frage stellt sich, ob und warum wir immer noch die selbe Person sind, wenn sich unsere Körperzellen und unsere Organe in unterschiedlichen Zeitintervallen erneuern. Zelle für Zelle tauschen wir uns durch ein Replikat unserer selbst aus, von der Haut bis zu unseren Nervenzellen – sogar der Ort unseres Denkens wird dabei erneuert. Wie aber verhält es sich mit der Identität eines Ortes? Was genau macht einen Ort aus und inwiefern wird seine Identität durch seine vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Bestandteile beeinflusst? Der aktuell stattfindende Eingriff in die bestehende Bausubstanz der Kaserne Basel und die soeben beendete Renovierung der Klosterkirche Klingental geben uns die Gelegenheit, einen Blick darauf zu werfen, welche vorangegangen Existenzen dieses Ortes zu seiner gegenwärtigen Identität geführt haben. Welche Rolle spielt das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung einer Stadt, welche die materielle Realität der gebauten Umwelt? Welche Geschichten erzählen uns die Steine und befinden sich wirklich alle Moleküle des Universums in einem immer währenden Kreislauf? Um solche und weitere damit zusammenhängende Fragen soll es in der vorliegenden Publikation gehen. Sie wird durch Beiträge der Künstler und Künstlerinnen von „Grandfather’s Axe“ ergänzt. Bianca Pedrina

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[Bild: Sandsteinrelief, Augusta Raurica, Bianca Pedrina, 2018]

[Bild: Gotischer Fensterbogen, Ausstellungsraum Klingental Basel, Bianca Pedrina, 2020]

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„I realized that with material gesture, we always relate to a site. Looking at any building material, ‚a‘ site is always present, namely, the same place where we source our material from. Our mines, excavations and quarries are the source for building. In order to build, we mine. Therefore, we work on at least two sites: the place of sourcing our raw material and the place of sourcing of building construction. All places in between, where the material is worked on and transformed, could be considered as sites as well. How is the meaning and value of an object changed by removal to another site? Stone can be understood as a metaphor for site.“ Anne Holtrop Studio, August 2020

[Image: Workers at the J.K. Pirie Granite Quarry in Barre, vermonthistory.org]

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Material Truth Wie sah es am Standort des Ausstellungsraums Klingental aus zu jener Zeit, als sich die Steine geformt haben, welche zum Bau seiner Mauern verwendet wurden?

„Vor langer Zeit, als die Steine noch jung gewesen sind…“ Daniel Kehlmann, Tyll

Auf dem Gebiet des heutigen Basels befanden sich in Zeitabschnitten mehrerer Millionen Jahre abwechslungsweise Meere, Flusslandschaften, tropische Zonen und Wüsten, und Warmzeiten wechselten sich mit Eiszeitaltern ab. Gletscher rollten über die Oberfläche der Erde, schliffen tiefe Täler und verlagerten ganze Berge. Fischsaurier schwammen über den Boden des heutigen Münster Standortes, scharfzahnige Dinosaurier wanderten durch die Wüste des späteren Novartis Campus, Wollnashörner und Höhlenhyänen lebten an den Stellen, an welchen im Mittelalter Klöster gebaut wurden.

Die Unmöglichkeit einer Chronologie Trias

1. Im nahe gelegenen Südschwarzwald sind diejenigen Buntsandsteinvorkommen zu finden, aus denen das Baumaterial für zahlreiche Gebäude und Infrastrukturen rund um und in Basel-Stadt gewonnen wurde. Sowohl grosse Teile des Basler Münsters wie auch die erste Stadtmauer wurden aus diesem Sandstein gebaut, und beim verwendeten Sandstein in der Klosterkirche Klingental geht man ebenfalls davon aus, dass dieser aus historischen Steinbrüchen bei Degerfelden gewonnen wurde. Als die Buntsandsteinschicht vor rund 250 Millionen Jahren entstanden ist, herrschte in der Region Basel ein heisses, trockenes Wüstenklima. Das vorhandene Grundgebirge wurde durch Erosion abgetragen und in diesem Klima zu Kies und zu feinen Sanden verwittert. Diese Sedimente sammelten sich in Ablagerungen an und wurden in der Folgezeit unter Druck zu neuem Gestein zusammengepresst. 2. Einige Millionen Jahre später, in der darauffolgenden Epoche des Muschelkalks, wurde die Region Basel regelmässig von Meeren überflutet. Das Klima war sehr heiss und trocken, vergleichbar wie etwa heute am Persischen Golf. In der Folge von tektonischen Prozessen wurde die Verbindung zum Ozean immer wieder abgeschnürt und Binnenmeere entstanden. Phasen der Öffnung und der Schliessung wechselten sich ab, Festland verwandelte sich zu marinem Lebensraum, zu Insel- und Lagunenlandschaften. Korallenriffe bedeckten weite Teile der Region und versteinerten zu Korallenkalk, der bis heute ein beliebtes Baumaterial ist. Auch die Felsenhöhle im Wallfahrtsort Mariastein nahe Basel, die später zu einer Kapelle ausgebaut wurde, besteht aus Korallenkalk. 3. Während der nachfolgenden Epoche des Keupers herrschten feuchte bis trockene Bedingungen. Das warme Meer zog sich in dieser Zeit immer weiter zurück, mäandrierende Flüsse durchzogen die Landschaft. Diese Gesteinsschicht ist äusserst fossilienreich, man findet häufig Muscheln, Muschelkrebse oder Knochen und Zähne von Wirbeltieren. Auch das Skelett eines 4,5 Meter langen Plateosauriers ist in einer Tongrube im benachbarten Frick gefunden worden. Man geht davon aus, dass diese frühen Proto-Dinosaurier zahlreich und in Herden in der Region Basel vorkamen und sich von prähistorischen Riesen-Schachtelhalmen ernährt haben.

Jura

Der Jura (vor 201 bis 145 Millionen Jahren) war das Zeitalter, in dem der Superkontinent Pangäa begann auseinander zu driften. Die Zahl der Dinosaurier vergrößerte sich und neue Arten erschienen. Das Gebiet der heutigen Schweiz lag damals in den Subtropen und über dem künftigen Tessin waren die Gewässer relativ seicht. In dem warmen Meer entstand ein Kalk, der in seiner Beschaffenheit wegen der vielen kleinen Kügelchen an Fischrogen erinnert und lange fälschlicherweise für versteinerte Fischeier gehalten wurde.

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[Illustration: Mélanie Corre, Grandfather’s Axe, 2020]

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Dieser Kalkstein wurde früher als Baustein und zur Zementherstellung benutzt. Bei jüngsten Ausgrabungen der Archäologischen Bodenforschung im Rahmen der aktuellen Kasernensanierung ist man auf die Reste eines Kalkbrennofens gestossen. Es wird vermutet, dass der Ofen beim Bau des Klingental Klosters oder der Kaserne zum Einsatz gekommen ist. Eine Datierung ist zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht geklärt.

Kleinbasel

Erste Siedlungsspuren in Basel-Stadt stammen zwar aus der Altsteinzeit, doch man geht davon aus, dass die ersten Menschen erst ca. 5’000 v.Chr. hier sesshaft wurden, vor allem auf den erhöhten Gebieten Grossbasels. Im Kleinbasel, also am Standort des Ausstellungsraums Klingental, wurde eine Besiedlung wegen der Überschwemmungsgefahr lange gemieden. Erst in römischer Zeit zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert n.Chr. befand sich am rechtsrheinischen Gebiet eine wichtige Verkehrsachse von Augusta Raurica in den oberrheinischen Raum. Mit einem Munimentum (ein kleiner römischer Festungsbau) als Anlegestelle am Rhein für die benachbarte römische Siedlung auf dem Münsterhügel, wurde das Kleinbasel erschlossen. Knapp ein Jahrtausend später trugen die Gründungen der beiden Frauenklöster St. Clara und Klingental wesentlich zum Aufblühen Kleinbasels bei…

[Bild: Spätrömisches Lebensbild: Basel, um 374 n. Chr.; Zu sehen sind die befestigte Siedlung auf dem Münsterhügel, die Ansiedlung im Birsigtal und die rechtsrheinische Kleinfestung (der Burgus); das Lebensbild wurde 2011 erstellt für die neuen Infotafeln in der archäologischen Infostelle im Schulhaus zur Mücke (Schlüsselberg 14). Marco Bernasconi und Jonas Christen, 2011]

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Klingental:

vom Gebetsraum zum Ausstellungsraum Anne Huijbers

Der Raum, der die Ausstellung „Grandfather’s Axe“ beherbergt, war einst Teil der Kirche des grossen und wohlhabenden Frauenklosters namens Klingental. Das heutige Kasernenareal gibt einen Eindruck von den Dimensionen des damaligen Klosters, das im 14. Jahrhundert fertig gebaut wurde. Hier lebten die Klingentalerinnen: eine dominikanische Frauengemeinde, die sich 1274 in Kleinbasel ansiedelte. Das Kloster hatte umfangreiche Güter, Vorrechte und Einkünfte in Basel, im Elsass und in habsburgischen Gebieten. Es wurde zum reichsten der Basler Klöster und beherbergte zirka dreissig bis vierzig Nonnen mit ihren Bediensteten. Ein „Eintrittsticket“ ins Kloster kostete etwa 100 Gulden, was sich fast nur Familien der gesellschaftlichen Oberschichten leisten konnten. Die Nonnen stammten deshalb aus einflussreichen Familien. In der Kirche feierten die Nonnen von Klingental täglich die Messe und verehrten Gott mit Gebeten, ebenso die Jungfrau Maria und Heilige wie Ursula, Euphrosyne und Dominikus. Im Mittelalter war die Kirche in einen Chor für die Klosterfrauen und ein Langhaus für die Laien aufgeteilt. Beide Räume waren durch einen Lettner, eine hohe Trennwand, getrennt. Genau dort befand sich das Grab der Heiligen Euphrosyne, das einzige Heiligengrab im damaligen Basel. Der Legende nach war Euphrosyne eine der Begleiterinnen der Heiligen Ursula, die nach Rom pilgerte, um einer Ehe mit einem „heidnischen“ Mann zu entfliehen. Sie alle erlitten den Märtyrertod. Wo die Gebeine der einst in Basel verehrten Frau geblieben sind, wissen wir nicht. Nur eine Front des Heiligengrabs ist im kleinen Münsterkreuzgang erhalten. Fast alle Spuren des katholischen Glaubens sind seit der Reformation im 16. Jahrhundert aus der Kirche verschwunden. Nur einige Objekte sind erhalten geblieben. Im Historischen Museum Basel sind zum Beispiel ein Altarbehang und eine Figurengruppe mit der Heiligen Ursula und ihren Gefährtinnen zu sehen.

Die Klingentalerinnen

In den Quellen des 15. Jahrhunderts lesen wir viele Beschwerden über das „weltliche“ Leben der Klingentalerinnen, die ihre Gelübde verletzten. Sie lebten nicht in Armut, sondern mit privatem Besitz; nicht in Keuschheit, sondern Unzucht; nicht in Klausur, sondern machten Badefahrten auf dem Rhein. Vielleicht wurden die Vorwürfe übertrieben, um die Macht der Frauen zu schmälern. Es ist aber klar, dass die Klingentalerinnen die Ordensgelübde nicht so strikt befolgen wollten, wie es der Stadtrat und die Predigerbrüder wünschten. 1480 kamen bei einem Reformversuch externe „Reformschwestern“ ins Kloster und zwangen den Klingentalerinnen ihre Lebensweise auf. Die Klingentalerinnen aktivierten nun ihre Reichtümer und Netzwerke, um die Reform abzuwehren und beklagten sich beim Papst und beim Erzherzog von Österreich. Laut den Reformern wehrten die Frauen sich mit Gewalt und drohten gar das eigene Kloster in Brand zu legen. Nach einem drei Jahre andauernden Konflikt siegten die Klingentalerinnen und traten dem Orden der Augustiner Chorfrauen bei. Konnten sich die Frauen den observanten Reformversuchen widersetzen, so nicht der Reformation, die ab 1517 einsetzte. Diese nahm den Klosterfrauen ihre Lebensweise ein für alle Mal. Doch die Klostergemeinde starb einen langsamen Tod. Im Vergleich zu Zürich akzeptierte der Stadtrat von Basel die Reformation nur zögerlich. Erst nach den Bilderstürmen von 1528 und 1529, als der Protestantismus immer mehr Anhänger fand, führte Basel offiziell die Reformation ein. Zwölf katholische Ratsmitglieder mussten den Stadtrat verlassen. Die Annahme der Reformation bedeutete zugleich die Aufhebung der städtischen Klöster. Im Klingental lebten zu diesem Zeitpunkt aber noch zwanzig Nonnen. Um das Ende ihres Klosters zu

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verhindern, schalteten die Klingentalerinnen ihre Familien und weitreichende politische Netzwerke ein – wie beim Reformversuch von 1480. Sie engagierten sogar den obersten weltlichen Machthaber, Kaiser Karl V., der katholisch geblieben war. Im Staatsarchiv Basel-Stadt befindet sich eine grossformatige Urkunde mit seinem Siegel, die die Klingentalerinnen gegen die reformatorischen Massnahmen zu beschützen versuchte.1 Da sich einige Frauen beharrlich weigerten das Kloster zu verlassen, beschloss der Stadtrat 1534, sie bis zu ihrem Tod im Kloster leben zu lassen. Als eine kleine katholische Insel inmitten einer protestantischen Stadt verharrten die Frauen innerhalb ihrer Klostermauern in ihrem alten Glauben. Sie feierten weiterhin die katholische Messe und verehrten ihre Heiligen. Am 10. Oktober 1557, vierzig Jahre nach dem Ausbruch der protestantischen Reformation, starb die Äbtissin Walpurg von Runs als letzte katholische Klostervorsteherin von Basel. Die Grabplatte dieser mächtigen Frau, die das Kloster ab 1519 geleitet hatte, ist heute noch im Hof des Kleinen Klingentals zu sehen. Aus dem roten Sandstein erhebt sich die Heilige Jungfrau Maria mit dem Christuskind. Über ihrem Haupt schweben die Wappen der Familie von Runs (drei Halbmonde) und des Klosters Klingental (eine Glocke). 1

Staatsarchiv Basel-Stadt, KlA Klingental Urkunde Nr. 2640, 12. August 1530. [Bild: Die Grabplatte der letzten Äbtissin Walpurg von Runs im Hof des Kleinen Klingentals © Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt, Foto Bruno Thüring]

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Profess-Blatt der Reformschwester (1480)

Viele Dokumente der ehemaligen Klingentalerinnen werden heute im Staatsarchiv Basel-Stadt aufbewahrt: Rechnungsbücher, Urkunden, Testamente und Briefbücher geben uns einen Einblick in das Leben, das die Klingentalerinnen zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert an diesem Ort geführt haben. Ein Dokument ist in der Ausstellung „Grandfather’s Axe“ ausgestellt: ein Formular der Profess, mit der eine angehende Nonne versprach, „bis in den Tod“ in der Ordensgemeinschaft zu leben und der Klosterregel zu folgen. Das bedeutete, Gott, der Heiligen Maria, dem Heiligen Dominikus, der Priorin des Klosters (damals Agatha Stroulerin) und dem Generalmagister des Predigerordens (damals Leonardo Mansueti aus Perugia) gehorsam zu sein. Das Gehorsamsversprechen schloss die Verpflichtung zu freiwilliger Armut und eheloser Keuschheit implizit ein.2 „Ich suester .N. tun profess und versprich gehorsam got und sant Marie und sant Dominic und dir suester Agatha Stroulerin priorin des closters Clingental, anstat Bruder Lienhart von Perus, Meister Brediger ordens und siner nachkommen, nach sant Augustinus Regel und uffsatzung und statuten der suester, die Brediger orden zu versorgen bevolen sind, Das ich dir und andren minen priorin gehorsam wurd sin bis in den tod“ 2

Staatsarchiv Basel-Stadt, Klosterarchiv, Klingental, HH5.

Chronologie 1236: 1248: 1256: 1274: 1482: 1529: 1530: 1557: 1559: 1798:

Gründung des Frauenklosters in Hüsern (Elsass). Das Kloster wird dem Dominikanerorden inkorporiert. Umsiedlung nach Wehr (Schwarzwald) unter der Schirmherrschaft von Walther von Klingen. Das Kloster nimmt den Namen «Klingental» an. Die Klingentalerinnen siedeln sich in Kleinbasel an. Die Klingentalerinnen widerstehen den observanten Reformbemühungen. Basel führt die Reformation ein. Die Klingentalerinnen unterstellen sich dem Schutz des Kaisers. Die letzte Äbtissin Walpurg von Runs stirbt. Die letzte Klingentalerin, Ursula von Fulach, verlässt das Kloster unter Druck. Ende der Existenz des Klosters Klingental als Verwaltungseinheit.

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[Bild: Ansicht der Stadt Basel, Schweiz um 1642, Matthäus Merian]

Mehr erfahren?

Knecht, S. Ausharren oder austreten? Lebenswege ehemaliger Nonnen nach der Klosteraufhebung am Beispiel der Städte Zürich, Bern und Basel. Dissertation, Universität Zürich, 2016. Maurer, F. (Hrsg). Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt. Bd. IV:2, Basel, 1961, S. 13-140. Weis-Müller, R. Die Reform des Klosters Klingental und ihr Personenkreis. Basel, 1956.

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Aldo Rossi’s City of Collective Memory Robin Monotti Graziadei

What is collective memory? Is it a valid category for studying how the city works, and is this category accepted by contemporary society as useful in the description of architecture in the city? Aldo Rossi’s answer to those questions was that in many ways, collective memory is another way of describing what the city actually is. Collective memory exists not as an abstract category of thought, unverifiable by scientific means, but it exists in the relation between the urban fabric of the city and those who inhabit it. Rossi writes: „One can say that the city itself is the collective memory of its people, and like memory it is associated with objects and places. The city is the locus of the collective memory. This relationship between the locus and the citizenry then becomes the city’s predominant image, both of architecture and of landscape, and as certain artifacts become part of its memory, new ones emerge.“ Rossi reintroduced the classical concept of the locus. The locus is where, as explained by Frances Yates in The Art Of Memory (how memory attaches itself to certain spatial structures) memories attach themselves to the city. The locus, for Rossi, becomes the primary attribute of the city of collective memory. Rossi writes: „Thus we consider locus the characteristic principle of urban artifacts; the concepts of locus, architecture, permanences, and history together help us to understand the complexity of urban artifacts. The collective memory participates in the actual transformation of space in the works of the collective, a transformation that is always conditioned by whatever material realities oppose it. Understood in this way memory becomes the guiding thread of the entire complex urban structure and in this respect the architecture of urban

artifacts is distinguished from art, in as much as the latter is an element that exists for itself alone, while the greatest monuments of architecture are of necessity linked intimately to the city.“ This highlights the urban paradox of the memorial, for example the equestrian statue placed in a position where there is no longer a living memory of who this sculpture portrays. A city like London has a number of these statues, yet as there is little shared memory of who they portray in the place in which they have been erected, they contribute very little to the collective memory of the city. This is an example of where there is a dislocation of memory from place, therefore a failure in an attempt to create a locus artificially. A successful architectural intervention in the city which brings out the locus through other means than the isolated monument is able to contribute successfully to the collective memory of the city. On the other hand, a statue or a fragment of one, which has many living memories ascribed to it, is able to define locus more effectively than an entire urban block, an example of this being Rome’s statue of Pasquino, which has served as a place of continuously renewing city memories and satires attached to its base for a good four centuries to date. The classical statue was found in 1501 during excavation works, and was re-erected in roughly the same location it was found. Although the interpretation of who the statue itself represented varies, it created an involuntary monument dedicated to satirical or protest narratives for the city of Rome via notes in verse attached to its base. It is now probably the statue most loved by the Romans because of the set of memories of city life it has created a locus for. What social media like Twitter does today outside of a physical space, Pasquino or those who attach their satirical verses to it, has been doing for centuries while also creating a locus of collective memory in the city. Pasquino or what was created by Romans with it seems perfectly described in this passage from Rossi’s The Architecture of the City: „Memory, within this structure, is the consciousness of the city; it is a rational operation whose development demonstrates with maximum clarity, economy, and harmony that which has already come to be accepted.“ Returning to the architecture of the city and its relation to history, Rossi highlights the two way relation between them, as exemplified by the acci-

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dental finding and re-erection of the ancient statue of Pasquino. In order to intervene in the city we need to bridge from the past to the present, leaving a door open for the future history allowed by our intervention. This ties back to Rossi’s view of what progressive architecture actually is, it is an architecture that allows possibilities and histories rather than limits them. The form of the architecture is there to allow a series of events, and it is these events that become the history of the city. The associations between form, event and history are what create the locus of collective memory. The two way continuous feedback process between form and historical event is called shaping. Much like the architect shapes the form of the buildings, the building or artifact then shapes the collective memory of the inhabitants of the city: „The value of history seen as collective memory, as the relationship of the collective to its place, is that it helps us to grasp the significance of the urban structure, its individuality, and its architecture which is the form of this individuality. This individuality ultimately is connected to an original artifact...it is an event and a form. Thus the union between the past and the future exists in the very idea of the city that it flows through in the same way that memory flows through the life of a person; and always, in order to be realized, this idea must not only shape but be shaped by reality. This shaping is a permanent aspect of a city’s unique artifacts, monuments, and the idea we have of it. It also explains why in antiquity the founding of a city became part of the city’s mythology.“ Reading Rossi it becomes apparent that many contemporary interventions in the city are focused on shaping the form of a building, and few are intent on shaping a locus for the collective memory of the city. We need less form and more shaping. A disfigured and mutilated statue of Pasquino on a low accessible base is more effective in allowing the shaping of a locus than dozens of pristine equestrian statues of generals on raised plinths.

[Image: Speculum Romanae Magnificentiae: Statue of Pasquin in the House Of Cardinal Ursino, Nicolas Beatrizet (1515 - ca. 1566 Rome)]

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Topsoil Yuki Higashino

You wake up in the morning, drink a glass of water, use toilet, take shower. The water you poured into the glass is from the tap connected to the waterworks, and the hot water that washed your body flows into the drain that is connected to the sewers, so is the toilet. If you live in a big city, sewers and waterworks are among the largest structures humanity has ever built. For instance, the total length of sewers in Tokyo is about 16’000 km, roughly the distance between New York and Sydney. This vast system maintains your life, hydrating you and keeping you clean. One can also say that you are just a tiny conduit of a gigantic pipe that circulates water. And the stream through this gargantuan system penetrates your innermost self and keeps you alive. So can anyone tell where the city ends and you start?

Such a blurring of boundary is what it means to be in a city, and an urban existence is a relentless modulation of this blur. Your sound system can erase the walls that separate you from the neighbors, packed subway does away with your personal space, a food delivery app makes your kitchen redundant, and we recently learnt that many boundaries that keep us apart from strangers are indeed porous for virus. Architecture of city is defined by this blur, physical and chronological.

[Image: Yuki Higashino, Paris, February 2018]

If the quintessential architecture of countryside is a Palladian villa, a freestanding, distinct point of contrast with the surrounding landscape with its original design intact, an archetypical urban building is the Great Mosque of Damascus. It was initially the Roman Temple of Jupiter, later converted into Christian church, and then converted/expanded into a mosque. Underneath it, there is an archeological evidence of even older, Iron Age worship ground. There, different historical periods coexist but with unequal visibility, much like the wealthier and poorer residents of the apartment block in Georges Perec’s Life: A User‘s Manual live in the same building but with different prominence.

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Urban architecture is built of layers. Even if it does not appropriate an existing structure, a building usually stands on a plot where there used to be another building. (Which raises the question whether cities like LA or the postwar Japanese megalopolis are really cities or if they are just gigantic villages. Kenzo Tange and Kazuo Shinohara grappled with this question.) When in an urban building, our consciousness moves up and down through its many layers as though in a lift. If you live in a place like Vienna, your seemingly unremarkable apartment could have many levels beneath its surface. Maybe it was built on the site of a Roman settlement. Perhaps the building that was standing there before was bombed during WW2. It was probably a larger bourgeois apartment, later subdivided into smaller flats. Was it stolen from a Jew? History runs through you, or your mind is just a conduit for history to flow, just like your body is but a conduit for the city’s waterworks. Circulation is what distinguishes a modern city from a medieval one. Movement of people, goods, electricity, army, airplanes, data, etc. Paris became a modern city after Haussmann’s intervention, and Vienna became a modern city when the Ringstrasse and the Stadtbahn were built. Everything constantly moves, horizontally, vertically and temporally. It is probably not a coincidence that Ferdinand de Saussure used the train, the most modern mode of transportation, to illustrate the Ship of Theseus-like working of our language. (“The 8.45 Geneva to Paris” train that leaves one day and the same train that leaves the day after are treated as the “same” train even though the carriage, people, etc. are all different.) So we build these apparently permanent infrastructures to ensure everything keeps on flowing, that nothing stays the same, like a latter-day Roman aqueduct. It is also not a coincidence that modern art developed along with modern cities, and came up with that most temporary of format: the exhibition. If the Veronese fresco in Palladio’s Villa Barbaro represents the art of the bygone era, the art of modernity is embodied not by a particular work but by the constant circulation of works through thousands of white cubes in the cities around the world. A current. And galleries are usually another building, converted. A former factory, church, warehouse, store, apartment, and so on. It is the top layer of the strata that is urban architecture, as thin as the coat of white paint on its walls. The topsoil. And art floods through it, artists and their studio, parts of the piping. So an artist may ask: Where does the city end and my art begin?

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Kaserne Basel Umbau 2018–2021

Mitte des 19. Jahrhunderts wichen die mittelalterlichen Gebäude des ehemaligen Nonnenklosters und die angehörenden Teile der Stadtmauer dem neugotischen Kasernenbau von Johann Jakob Stehlin. Die Klosterkirche und das Kleine Klingental erinnern noch an die Existenz eines Frauenklosters und stehen heute dem Bau der Militärkaserne gegenüber. Die Schweizer Armee nutzte das Areal rund hundert Jahre lang als Truppenunterkunft und Exerzierplatz. Nach jahrzehntelangen Debatten über die Zukunft des ehemaligen Kasernenareals wurde dem Basler Stimmvolk 2017 eine Initiative zur „Gesamtsanierung und Umbau des Kasernenhauptbaus zum Kreativ- und Kulturzentrum“ vorgelegt. Mit der „längst fälligen Sanierung des Kasernenhauptbaus“ sollte, wie es in der Medienmitteilung vom Dezember 2016 heisst, „das Kleinbasel einen offenen, lebendigen Begegnungsort erhalten. Einen Bau, der sich zum Rhein hin öffnet und für Durchlässigkeit sorgt, gleichzeitig in seiner Substanz aber nicht unnötig verändert wird.“ Bereits drei Jahre zuvor hatte das Architekturbüro um Hans Focketyn und Miquel del Río Sanín den Wettbewerb gewonnen, 2021 soll das Projekt abgeschlossen werden. Der Umbau und die Umnutzung des Hauptbaus als Kulturzentrum sieht einen neuen öffentlichen Ort vor, der den Kasernenplatz mit der Rheinpromenade verbinden wird, aber auch eine gedeckte Plaza als neuer Treffpunkt. Im Gebäude selbst sollen Räume für unterschiedlichste Nutzungen entstehen, unter anderem Projekträume, ein Saal für Veranstaltungen, ein Proberaum, eine Moschee sowie Cafés und Restaurants.

Interview

zwischen Hans Focketyn (FOCKETYN DEL RIO Studio) und Bianca Pedrina März 2020 BP: Ich möchte über die Bedeutung eurer Eingriffe beim Umbau der Kaserne Basel sprechen. Mit der Öffnung des Gebäudes zum Rhein hin, zur Seitengasse und mit dem öffentlichen Zugang zur neuen konsumfreien Plaza, werdet ihr die bisherige Nutzung des gesamten Kasernenareals verändern. Wieviel dieser Eingriffe waren in der Wettbewerbsausschreibung bereits gegeben?

HF: In der Ausschreibung war nur eine Verbindung zum Rhein festgelegt, sowie die Hauptnutzung als Kulturzentrum neben der Gebäudesanierung. Die Öffnung der Kaserne war ein schon lange debattiertes Thema in der Stadt. Uns war wichtig, die Ausschreibung nicht 1:1 umzusetzen. Es werden auf verschiedenen Ebenen Verbindungen hergestellt: zwei Hauptverbindungen an den Seiten des Ensembles, einer davon ein grosser Durchbruch, der 24 Stunden offen sein wird, der andere ein bereits bestehender Durchbruch, der reaktiviert wird. Weiter wird es eine urbane Verbindung geben mit der

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Plaza und der Treppe, ein öffentlicher Raum für Alle, der auch im Winter, der in der Schweiz ja ziemlich lange dauern kann, zugänglich sein wird. Wir sprechen dabei immer von einer „Porosität“ des Gebäudes. Auf dem Kasernenareal soll diese „Porosität“ auch eine Vermischung der Nutzer und Nutzung bewirken, mit Blickachsen und dem Zusammentreffen des Nutzers vom Haus und der Öffentlichkeit: Man kann von der Plaza aus in die privaten Räume blicken und umgekehrt. Wir wollten die Wahrnehmung und das Bild des Gebäudes nicht ändern, so dass die existierende Figur des Ensembles von den Kasernenbauten auf dem Areal

bestehen bleibt. Die Fassade, abgesehen von den gerade beschriebenen Eingriffen und neuen, bis zum Boden gezogenen Fenstern in den Erdgeschossen, bleibt unverändert. Dafür geschieht im Inneren des Hauses viel, auf unterschiedlichen Ebenen und mit differenzierten Eingriffstiefen. So wie die Räumlichkeiten zuvor Quartiere für Soldaten waren, danach Schulzimmer und Schneiderateliers, so passen wir die Struktur nun flexibel an und aktivieren beispielsweise die sehr weiten Gänge. Diese sind aus dem Grund so breit, damit sich die Soldaten zum Appell versammeln konnten. Wir konfigurieren diese jetzt zu neuen

[Bild: Adria Goula, 2019]

Arbeitsräumen. Gewisse Räume haben wir lediglich renoviert, andere haben wir geöffnet und vergrössert. Wir haben zwei neue Treppenhäuser im linken und rechten Trakt aus Beton eingebaut. Diese dienen als Verbindung, bieten neue Zugänge und sind auch für die Erdbebensicherheit wichtig. Sie sind direkt in die alte Bausubstanz eingegossen. BP: Nach dem Auszug des Militärs Ende der 1960er Jahre wurde eine Umnutzung des gesamten Areals öffentlich ausgeschrieben. Es folgte eine hitzige Debatte um die Zukunft der Kaserne, in der Projektentwürfe zur Nutzung des Geländes als Tiefgarage mit Park, als Wohnüberbauung oder der Bau von Schwimmhallen und Hotels vorgeschlagen wurden. Letztendlich kam es zu keiner Entscheidung und das vorgeschlagene Projekt namens „Ent-Stoh-Lo“, das im Wettbewerb scheiterte, wurde zum eigentlichen Gewinner der Ausschreibung. Es forderte ein Belassen des Areals im Status quo. Hat euch diese Diskussion beeinflusst? HF: Der damalige Wettbewerb ist meiner Meinung nach mit dem indirekt umgesetzten Vorschlag des „Entstehen-lassens“ gut ausgegangen. Das Referendum wurde in dem Moment abgehalten, als die Bevölkerung dafür bereit war. Wenn wir über das Projekt reden, zeige ich oft eine Fotografie des Areals, als vom jetzigen Standort des Parterres an der Klybeckstrasse aus das Gebiet noch mit einem Eisengitter umzäunt war. Man findet auch Bilder des Parkplatzes, der dort in den 1960 Jahren stand, mit dutzenden Autos direkt vor der Kaserne geparkt. Auch ein Provisorium von Globus existierte da eine Weile. Man kann sich das Areal so schon gar nicht mehr vorstellen. Wir hoffen, dass der aktuelle Umbau auch diese Selbstverständlichkeit haben wird: dass man sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass es mal ganz anders war. BP: Die Kaserne Basel wurde 1863 gebaut; in einem Video sprecht ihr davon, dass das Gebäude in den letzten 150 Jahren verschiedene Leben gehabt hat und ihr mit dem Umbau den Blick auf die kommenden 150 Jahre werft. Kannst du etwas dazu erzählen wie ihr den Faden dieser Geschichte wieder aufnehmt und weitererzählt? Welche Rolle spielt dabei die Materialität des Gebäudes?

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HF: Wir wollten Puffer in der Planung lassen, damit eine freie Entwicklung in den Räumen stattfinden kann. Es gibt dabei spezifische und unspezifische Räume in unserem Projekt und das wird auch in der Wahl der Materialien sichtbar. Je nach Tiefe der Intervention variiert auch die Materialwahl: Wir haben gezielt mit Kontrasten gearbeitet in diesen spezifischen Räumen und andererseits mit Materialien die nahe am Bestand sind in Räumen, die unspezifischer sind. Wir haben auch mit der Denkmalpflege zusammengearbeitet und diese Diskussionen haben im Prozess das Projekt auf verschieden Ebenen verbessert. Wir wollten Materialien verwenden, die zwar neu sind, dies auf den ersten Blick aber nicht verraten. So arbeiten wir beispielsweise mit rot eingefärbtem Beton, den wir an der fast unveränderten Fassade auch sandgestrahlt haben. Beim Näherkommen erst kann man den Beton vom Sandstein unterscheiden. Wir sind sehr „materialehrlich“ und zeigen jedes Material in seinem Wesen. Je mehr man in die Tiefe des Gebäudes geht, desto mehr werden unsere Eingriffe offengelegt. In den neuen Treppentürmen links und rechts im Gebäude beispielsweise wurde der Sichtbeton offengelegt. Im ganzen Gebäude findet man Spuren aus der Vergangenheit, aus früheren Umbauten und unterschiedlichen Nutzungen. So waren im zentralen Treppenhaus ursprünglich rote Sandsteinstufen verbaut worden. Diese wurden in den 1930er Jahren durch resistenteren Granitstein ersetzt. Oder in den Gängen findet man schwarzen Gussasphalt. Diesen haben wir im Bereich der Plaza aufgenommen. Dort verwenden wir geschliffenen Hartbeton, der aussieht wie ein Terrazzoboden. Wir sind in konstantem Dialog mit dem Haus. Es hat eine starke Eigenidentität, und wenn man nicht weiter weiss, wird es einem sagen, wie man weiterplanen soll. Man kann sich gegen die Regeln des Hauses und der Substanz nicht wehren. Man muss den Dialog suchen.

Wir wollten diese unterschiedlichen Spuren und Geschichten miteinander verknüpfen. Wir reden bei der Kaserne von einer Polytypologie - vergleichbar mit der Polyphonie in der Musik, wo mehrere unabhängige Melodien selbständig nebeneinander spielen. Alte und neue Typologien bestehen gleichzeitig nebeneinander, wie beispielsweise beim zentralen Treppenhaus, dem wir zwei neue Treppenhäuser links und rechts davon gegenüberstellen. BP: Inwiefern hat sich deiner Meinung nach die Rolle des Rheins für die Stadt Basel in den letzten Jahrzehnten verändert und was bedeutet dies für die Kaserne? HF: Ich bin seit 1999 und Miquel del Rio ist seit 2003 in Basel, wir konnten den Bedeutungswandel vom Rheinbord selbst miterleben. In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Nutzung sehr stark verändert. Der Rhein hat eine grosse Bedeutung für Basel, insbesondere für das Kleinbasel, dessen Wahrnehmung sich in diesen zwanzig Jahren ebenfalls stark verändert hat. Unser Projekt wird diese Entwicklung wahrscheinlich noch stärker vorantreiben. Die Öffnung der Kaserne zum Rhein hin wird das Gross- und Kleinbasel mehr miteinander verschränken. Irgendwann wird man vielleicht keinen Unterschied mehr feststellen können zwischen den beiden Rheinseiten, wie das zum Beispiel in Paris der Fall ist zwischen Rive Gauche und Rive Droite.

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[Bild: Ausstellungsraum Klingental, Bianca Pedrina, 2020]

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In Ballast

In the hull of large ships there exists a dark sedimented muddy cavity called a ballast tank. It serves as stabilising quarters: the theory being that a heavy load at the base of a ship improves its stability, keeping it on the straight-and-narrow. Animal structures like the blowfish and some types of octopus inspired the creation of the ballast tanks of cargo ships. At every port ballast water is loaded and then discharged again at the next port. In the past they used stones from ruined buildings, or ammunition. Nowadays, they are extremely inhospitable environments, home only to naked-eye outcasts: bacterial and insect communities, toxic chemicals, microplastics.


The story of ballast water is also the story of the passive translocation of invasive species around the globe. The marathon involuntary hitchhike of insect species makes them accidentally terrestrial and unwanted arrivals in faraway lands. The balancing act that ballast water performs for a singular ship ultimately causes an ecological imbalance. So it makes sense that global invasion modelling is linked closely to cargo pathways. That we may carry with us species from remote locations is not a new condition. Up until the 19th century women would operate shared washhouses—or lavoirs—two to four times a year to control the threat of epidemic diseases. The lavoir often had a gabled roof and hosted a body of water that was a mélange of a nearby stream, street runoff, insects, bacteria and dirty laundry combined to rinse garments, bed sheets etc. The lavoir or Buuchhüsli (a variant existent in the Basel region) was always a place of both boisterous discursion and quiet turbulence.

The Headstone to all Insects

At number 6 Brandstätte in Vienna is the Zacherlhaus, resides a giant headstone on the grave of insects. Johann Zacherl for which the building was built, had a key role in the insecticide business via his use of pyrethrum, a substance coming from pyrethrum blossoms, known as „persian powder“ after being exported to Europe from Tbilisi. The toxicity levels of the pyrethrum are high, so much so that it can affect humans when in constant contact with it. This is why the pyrethrum blossoms itself can repel pest insects if used as a companion plant. To make the pesticide, dried flowers are crushed and mixed with water. Zacherl also invented pyrethrum soap and a companion carpet cleaning machine which was a great success. The Zacherlhaus was conceived between 1903 and 1905 as a business and residential building by Slovene architect Jože Plečnik which was later transformed into a warehouse for Zacher’s company. It was known around town as the „Wanzenburg“


or „The Castle of Bugs“. Deep in the core of the building‘s interior, a large sculpture in the shape of a defeated, melting insect sits atop a grand oval staircase. Envisioned as a lamp, Zacherl‘s monument to the plague-to-be-eradicated stands as an immortal incandescent being.

Lifeforms

The insect is a postmodern animal, bacteria is postindustrial. The spiraling whitefly is a small insect that sucks sap from plants came to Europe most likely in ballast water. It looks like the ghost of a housefly, but gets its name from an ornate spiraling of honeydew that it disperses. The dew then grows a type of mold which stops the photosynthesis process, killing the host plant. The amount of honeydew it leaves can be so extreme that if a car is within 15 meters of a Bradford pear—a fruit the spiraling whitefly is particularly fond of—it could be coated in honeydew. The amount of possible host plants for the spiraling whitefly are growing, meaning: it is gradually taking a liking to more plants to which it will stifle. It very quickly becomes a metaphoric playground when you think about the idea that the world is divisible by host and guest. Even with the topic of pesticides, the mind easily wanders. But the Whitefly cannot be killed from pesticides. You need to use a combination of oil and soap to stop it from being airborne.




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Seite 33/Page 33 Seit September 2018 wurden von der Archäologischen Bodenforschung Basel Stadt umfangreiche Bauarbeiten auf dem Areal der ehemaligen Kaserne Klingental begleitet. Anlass war die Neugestaltung des Areals, welche auch die Innensanierung sämtlicher Gebäude inklusive des Ausstellungsraums Klingental beinhaltete. Zu diesem Zweck wurden alle Böden um ca. 70 cm abgesenkt und grosse Teile des Hauptgebäudes neu unterkellert. Dadurch konnte dieses Gelände erstmals grossflächig archäologisch untersucht werden. Dabei stießen die Archäologen auf eine Grube mit einem rechteckigen Mauerwerk aus Backsteinen das aufgrund starker Brandrötung und mehrerer Schlackeschichten als mittelalterlicher Feuerungsraum eines handwerklich genutzten Ofens gedeutet wurde. Ansammlungen von Kalkpulver ließen dabei auf einen Kalkbrennofen schliessen, der zur Herstellung von gebranntem Kalk verwendet wurde. Solche Kalköfen waren bis ins frühe 20. Jahrhundert weit verbreitet, da holzgebrannter Kalk jahrtausendelang ein essenzieller Baustoff war. In jedem Dorf gab es mindestens eine Person, die wusste, wie man ihn herstellt und verarbeitet. Since September 2018, extensive construction work on the area of the former Klingental barracks has been accompanied by Archäologische Bodenforschung of the city of Basel. The reason was the redesign of the area, which also included the interior renovation of all buildings, including the Ausstellungsraum Klingental. For this purpose, all floors were lowered by approx. 70 cm and large parts of the main building were newly built. As a result, this area could be archaeologically examined on a large scale for the first time. In doing so, the archaeologists came across a pit with a rectangular brickwork that was interpreted as the medieval furnace of a traditionally used kiln due to the strong reddening of bricks and several layers of cinder. Accumulations of lime powder suggest a lime kiln that was used to produce quick lime. Such lime kilns were widespread until the early 20th century, as wood-burned lime was an essential building material for thousands of years. In every village there was at least one person who knew how to make and use it. [Bild: Archäologische Bodenforschung Basel Stadt und Samuel Thiessen]

Seite 34/Page 34 Für seine Aktion „Grassello“ (ital. für „Löschkalk“) brachte Joseph Beuys 1978 säckeweise gebrannten Kalk von Pescara nach Düsseldorf um ihn dort zu löschen und anschließend die Wände seines Wohnhauses damit zu streichen. Der Transfer von Italien nach Deutschland wurde von Buby Durini fotografisch dokumentiert und später in einer Publikation veröffentlicht, die den eigentlichen Kern der Aktion darstellt. Darin lässt sich auch diese Zeichnung von Beuys finden, die den Kalkkreislauf illustriert: Kalkstein wird mittels Feuer in gebrannten Kalk (Calciumoxid) umgewandelt, wobei CO2 abgegeben wird. Gibt man diesem Branntkalk nach dem Abkühlen Wasser hinzu, kommt es unter Hitzeentwicklung zu einer Umwandlung in Löschkalk (Calciumhydroxid). In Form von Putz oder Farbe an die Wand gebracht, bindet dieser gelöschte Kalk unter Aufnahme von CO2 chemisch wieder zu Kalkstein ab. Diese alchemistisch anmutende Transformation von Stein zu Stein verkörperte für Beuys ein harmonisches Verhältnis des Menschen zur Natur, das sich auf uraltem Wissen begründet.

For his action “Grassello” (Italian for “slaking lime“), Joseph Beuys brought sacks of burnt lime from Pescara to Düsseldorf in 1978 to slake it and then paint the walls of his house with it. The transfer from Italy to Germany was documented photographically by Buby Durini and later published in a publication that represents the actual core of the action. This drawing by Beuys can also be found in there, which illustrates the lime cycle: Limestone is converted into burnt lime (Calcium oxide) by means of fire, whereby CO2 is emitted. If water is added to this quicklime, it is converted into slake lime (Calcium hydroxide) with the development of heat. When applied to the wall in the form of plaster or paint, this lime putty chemically binds back to limestone by absorbing CO2. For Beuys, this seemingly alchemical transformation from stone to stone embodied a harmonious relationship between man and nature, based on ancient knowledge. Seite 35/Page 35 Der Schweizer Verein kalkwerk setzt sich für die Förderung und Vermittlung der traditionellen Herstellung von Kalk ein. Auf experimentelle Weise versuchen die Mitglieder ein Stück uraltes Wissen zu bewahren, das droht in Vergessenheit zu gerten. Ende Juli 2020 haben sie mithilfe zahlreicher freiwilliger Helfer*innen 15 Tonnen Dolomitkalksteine sorgfältig ausgewählt, eingesammelt und im historischen Kalkofen „Chalchera Stella“ im Engadin mit fachlichem Können aufgeschichtet. Das Holzfeuer brannte anschließend für 6 Tage mit Temperaturen über 1000° Celsius. Nach dem Brand durfte der Ofen eine Woche auskühlen, bevor der so gewonnene Branntkalk entnommen und in luftdichte Fässer verpackt werden konnte. Ein Teil dieses Branntkalks wird zur Eröffnung der Ausstellung „Grandfather‘s Axe“ im Ausstellungsraum Klingental vor Publikum gelöscht und darf über die gesamte Ausstellungsdauer hinweg „einsumpfen“. The Swiss association kalkwerk is committed to promoting and imparting the traditional production of lime. In an experimental way, the members try to preserve a piece of ancient knowledge that is on the verge of sinking into oblivion. At the end of July 2020, with the help of numerous voluntary helpers, 15 tons of dolomite limestone were carefully selected, collected and piled up in the historic “Chalchera Stella“ lime kiln in the Engadine with professional skill. The fire then burned for 6 days with temperatures above 1000° Celsius. After the fire, the furnace was allowed to cool down for a week before the quicklime obtained in this way could be removed and packed in airtight barrels. A part of this quicklime will be slaked in front of the public at the opening of the exhibition „ Grandfather‘s Axe” in the Ausstellungsraum Klingental and will be allowed to mature for the entire duration of the exhibition. [Bild: kalkwerk und Christoph Stahel (Doppelseite) kalkwerk und Joannes Wetzel]

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Ideenwettbewerb 1972 –

Vom ehemaligen Klostergebäude zum heutigen Kulturzentrum

Die mittelalterlichen Gebäude des ehemaligen Frauenklosters und die dazu gehörenden Teile der Stadtmauer mussten 1860 dem Bau der Basler Militärkaserne weichen. Zu dieser Zeit erfolgte eine umfassende Modernisierung auf gesamtstädtischem Territorium, um das starke städtische Bevölkerungswachstum zu bewältigen und den damit verbundenen hygienischen Missständen entgegenzuwirken. Noch im Jahr 1855 grassierte eine Choleraepidemie in Basel, in deren Folge die Schleifung der Stadtmauern, der Stadttore und Schanzen so wie das Auffüllen der Stadtgräben veranlasst wurde. Das neue Kasernengebäude wurde vom damaligen „Stararchitekten“ Jakob Stehlin entworfen, der u.a. auch das alte Theater und das Stadtcasino gebaut hatte. Der neugotische Neubau sollte der Schweizer Armee zur Truppenunterkunft und zur Ausbildung von Sanitäterrekruten dienen. Eine Zeitspanne von lediglich hundert Jahren genügte, um die Bedeutung des Militärs ins Wanken zu bringen, was 1966 den vollständigen Auszug der Schweizer Armee aus den Kleinbasler Gebäuden zur Folge hatte. Übrigens: Im selben Jahr 1966, in dem die mehrheitlich männliche Armee aus dem ehemaligen Nonnenkloster auszog, wurde in Basel-Stadt das kantonale Frauenstimmrecht eingeführt. Es stellte sich nun die Frage, was aus dem Areal werden sollte. Schon im Jahr 1964, also noch während der Militärnutzung, wurde das erste Künstleratelier in der Klosterkirche als Provisorium eingerichtet, woraufhin nach und nach weitere folgten und schliesslich die Ateliergenossenschaft gegründet wurde. 1974 wurde der Ausstellungsraum eröffnet. Eine breite öffentliche Debatte zur Umnutzung des Kasernenareals wurde jedoch erst zu dieser Zeit angestossen. Bis dahin verhielt sich die Disziplin Stadtplanung grundsätzlich eher nach dem Top-down Prinzip; offene Wettbewerbe für Bauten der öffentlichen Hand hatten in Basel Seltenheitswert. Doch die politischen Unruhen der 1960er Jahre brachten auch in der Stadt Basel, die seit 1950 erstmals wieder mit einer linken Mehrheit regiert wurde, neue Verhältnisse mit sich. Der Grosse Rat beschloss zum ersten Mal, die Bevölkerung in die Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen und richtete einen mehrstufigen Ideenwettbewerb für die Zukunft des Kasernenareals aus. In einem ersten Schritt wurde im März 1970 der Bevölkerung eine in den lokalen Medien publizierte Volksumfrage vorgelegt, woraufhin 93 Anregungen eingingen. Dabei waren vorwiegend Vorschläge zum Bau von Autoeinstellhallen, Wohnungen und Parkanlagen, aber auch Ideen wie eine Kunsteisbahn, ein „Institut für Friedensforschung“ oder ein „Untersuchungsgefängnis mit Gerichtsgebäude“. In einem weiteren Schritt schrieb das Baudepartement 1972 einen öffentlichen Ideenwettbewerb in zwei Varianten aus: „Überbauung und Garage“ oder „Park und Garage“. Bis zum Eingabetermin ein Jahr später waren 69 Projekte beim Preisgericht eingegangen, darunter zahlreiche Terrassenhäuser, Hallenbäder, ein Hotel und unterschiedliche Visionen von Tiefgaragen. Das Rheinbord war zu dieser Zeit noch befahrbar und die heutige Auffassung vom Rheinufer als städtische Naherholungszone musste sich noch einige Dekaden gedulden. Der als Vordenker der Urbanismuskritik der 1960er- und 70er-Jahre geltende Basler Lucius Burckhardt beteiligte sich mit dem Projekt „Software“ ebenfalls am Wettbewerb und setzte sich mit einem der wenigen Projekte gegen den Abriss des heute unter Denkmalschutz stehenden Militärgebäudes ein. Da es sich bei seiner Eingabe jedoch um eine offenbar provokative „Tonbildschau“ handelte, die sich vorwiegend kritisch mit der Art der Wettbewerbsausführung und deren Legitimation auseinandersetzte und dabei keinen konkreten Vorschlag machte, fiel „Software“ bei der Jury durch. Doch zumindest gedanklich war Burckhardts soziale Planungstheorie letztendlich durchaus der eigentliche Gewinner des Wettbewerbes, allerdings in einer konkreterer Form von Ruedi Bachmann in seinem eigenen Projektvorschlag „Ent-Stoh-Loh“ formuliert. Dieser forderte eine Belassung vorhandener Bausubstanz und die Sanierung gewisser Bereiche, vor allem aber das Zulassen von organischem Wachstum und unterschiedlichen Nutzungen des Areals. So, wie schliesslich in den darauffolgenden Jahrzehnten mit dem gesamten Areal umgegangen wurde.

Bilder auf den folgenden Seiten: Projektmodelle Öffentlicher Ideenwettbewerb für die Gestaltung des Areals der ehemaligen Kaserne, 1973 Bilder: Ruedi Bachmann und prokasernenareal.ch

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Futurecity [Bild: Speculum Romanae Magnificentiae: The Colosseum, 16th Jh, Anonym]

„Auf den Straßen wuchs Gras, auf dem Forum weideten Kühe. Die restlichen Bewohner – es waren zeitweise kaum mehr als 1000 – gewöhnten sich an das Donnern einstürzender Paläste wie Alpenbewohner an das Krachen der Lawinen. Die antiken Bauten dienten im Mittelalter jahrhundertelang als Steinbruch, Schutt füllte die Täler zwischen den sieben Hügeln.“ Wolf Schneider, Überall ist Babylon. Die Stadt als Schicksal des Menschen von Ur bis Utopia, 1960 Zukunftsbilder Unsere Vorstellung von Städten, die nach der Vorherrschaft des Menschen einsam in seiner Abwesenheit vor sich hin verfallen, ist beeinflusst von unseren Eindrücken bereits vorhandener Ruinen. Von Bildern der ruinierten Stadt, des von Vegetation überwachsenen, kollabierten, korrodierten und dekonstruierten Gebildes auf der Oberfläche dieses Planeten. Eine Oberfläche, die der Mensch mehr oder weniger erfolgreich umgestaltet hat. Bildstarke, aus Film und Literatur stammende Visionen formen diese Sicht auf die ferne Zukunft, sie veranschaulichen effektvoll die eigene Nichtigkeit und das unbarmherzige Voranschreiten der Zeit. Science-Fiction Werke unterstreichen gerne diese orgasmische Vorstellung der eigenen Vergänglichkeit. Der Gedanke an den Untergang der eigenen Spezies (und damit dem der eigenen Existenz) kann etwas seltsam befriedigendes haben. [Bild: Filmposter, „Oblivion“ Regie: Joseph Kosinski, 2013]

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Oft sehen wir durch die Augen eines meist männlichen Protagonisten, der in der gottähnlichen Vogelperspektive auf das Erbe – und damit auf das Versagen – der Menschheit hinunterblickt. Tom Cruise in „Oblivion“ beispielsweise, der in seinem Kugel-Jet über üppig grüne Landschaften flitzt und in den Tiefen der Canyons unter seinen Füssen die Glasfassaden einstiger HochhausMetropolen erkennt. Oder Ryan Gosling in „Blade Runner 2049“, der in die scheinbar radioaktiv verseuchte Vergnügungswüste des verfallenen Las Vegas hinein schwebt, unter dessen sandiger Dunstglocke Umrisse mumifizierter Architektur auftauchen. Und in der ikonischen Szene in „Planet der Affen“, wo der halbnackte Charlton Heston zwar nicht schwebend, dafür auf dem Rücken eines Pferdes reitend, das halb versunkene Gerippe der Freiheitsstatue erblickt, vor ihr in den Sand sinkt und schreit: „You Maniacs! You blew it up! Ah, damn you! God damn you all to hell!“ [Bild: Arata Isozaki, Tsukuba Centre in Ruins III, 1985, Siebdruck (© Misa Shin & Co)]

„Im Rücken die Ruinen der Zukunft“

Dass Schöpfung auch immer mit Destruktion in einer Wechselbeziehung steht und sich beide Phasen in einem permanenten Kreislauf befinden, war insbesondere auch den Architekten des 20. Jahrhunderts bewusst. So baute der 2020 verstorbene Architekt und Theoretiker Yona Friedman seine urbanen Strategien auf die Ereignisse seiner Jugend als Überlebender der Zerstörungen in Budapest im zweiten Weltkrieg auf. Der Hiroshima-Überlebende Arata Isozaki stellte u.a. sein 1985 erbautes „Tsukuba Centre“ in bunten Collagen als Ruine der Zukunft dar und verstand sein Schaffen grundsätzlich als eine zirkuläre Beziehung von Kreation und Destruktion. In dem architektur- und kulturkritischen Werk von SITE (Sculpture In The Environment) um den amerikanischen Architekten James Wines spielt die Vergänglichkeit und der zerstörerische Faktor der Zeit eine wichtige Rolle und wird oft auch humorvoll angegangen. In den BEST-Kaufhäuser aus den 1970er Jahren wurde der zukünftige Verfall bereits mit eingeplant. Beispielsweise in einer ausgefransten Ziegelsteinfassade, aus der sich scheinbar herabfallende Ziegel in einen Haufen auf das Vordach ergiessen. Oder beim BEST-Forest Building von 1980, in dem die bestehende Baumvegetation in das Gebäude integriert ist und wie eine überwucherte Ruine wirkt. Einen prophetischen Charakter hatte auch der leider wieder zerstörte „Ghost Parking Lot“: eine Parkplatzlandschaft, in der Autos unter Asphaltdecken begraben wurden und zu einer Einheit mit dem Boden verschmolzen.

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[Bild: SITE, BEST Forest Building, Richmond VA, 1979 courtesy James Wines SITE]

[Bild: Ghost Parking Lot National Shopping Centers parking lot Hamden CT, 1977. Courtesy James Wines SITE]

Superstudio, eine in den 1960er Jahren in Florenz gegründete Gruppe von Architekten und Theoretikern, blieben in ihren Projekten oftmals auf theoretischer Ebene und entwarfen weltumfassende Utopien als Reaktion zu damaligen Tendenzen des „International Style“ in Architektur und Stadtplanung. Unter dem Titel: „Twelve Ideal Cities. Premonitions of the mystical rebirth of urbanism“ von 1971 entwarfen sie eine Stadt „auf einem kontinuierlichen Produktionsförderband. Sie bewegt sich wie eine majestätische Schlange über Neuland und nimmt ihre 8 Millionen Einwohner mit auf eine Reise durch Täler und Hügel. Das Oberhaupt der Stadt ist Generation um Generation die grosse Fabrik. Vier Meilen breit und hundert Meter hoch so wie die Stadt, die sie kontinuierlich produziert. Sie nutzt die unterirdischen Materialien des Territoriums, das sie durchquert und gewinnt daraus auf wundersame Weise alles, was sie für den Bau der Stadt benötigt.“ Die grosse Fabrik schreitet über das Land, produziert immerzu neue Gebäude, währenddem die ältesten sich wieder dem Erdboden entgegen bewegen und allmählich verfallen. Superstudios Utopie, offensichtlich eine Kritik an der Wegwerf-Konsumkultur, scheint sich zumindest in den neuen Megastädten Asiens und den sich endlos ausdehnenden Ausläufern von Siedlungen in den USA bewahrheitet zu haben.

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[Bild: Le dodici Città Ideali. Settima città: Città nastro a produzione continua, 1971, Disegno]

Der selbsternannte „Realist“ Yona Friedman entwarf mit seiner „Ville Spatiale“ schwebende Architekturen, die überhalb bereits vorhandenem Stadtraum schweben und in denen die Menschen in selbst entworfenen Wohnungen leben und arbeiten können. Damit wollte er gleichzeitig Wachstum von Städten ermöglichen und den Flächenverbrauch einschränken. Ohne den aktiven Bewohner ist die Stadt nur eine Ruine: “An architect does not create a city, only an accumulation of objects. It is the inhabitant who ‘invents’ the city; an uninhabited city, even if new, is only a ‘ruin.’” Yona Friedman quote from Pro Domo, 2006

[Bild: Notes and Sketches on a New Museum of Modern Art, 1999, electric photostatic print, courtesy Yona Friedman and MoMA New York]

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Artist Contributions Pages 4-9 Karsten Födinger

Pages 18-19

Anna Maria Balint „Fragments“ 2020 Beim letztmaligen Umbau der ehemaligen Klosterkirche Klingental wurden farbige Glasfragmente entdeckt. Sie scheinen der bisher einzige Hinweis dafür zu sein, dass die gotischen Fenster einst mit farbigen Glasbildern ausgefüllt waren. Diese Glasfragmente sind stellvertretend für die zahlreichen in Vergessenheit geratene baulichen Eingriffe in die Substanz des Gebäudes.

Pages 22-23

Michiel Huijben Excerpts from „How small a thought“ 2020

Pages 30-32

Valle Medina, Benjamin Reynolds (Pa.LaC.E) Image 1 Car seat as ballast water. An Ischnura posita is made into an organic hitchhiker, accidentally terrestrial in a place several hundred kilometers away from where it was. Image 2 Envisioned as a lamp, Zacherl‘s monument to the plague-to-be-eradicated stands as an immortal incandescent being. Conceived by Jože Plečnik at Zacherlhaus between 1903 to 1905. Image 3 The Japanese MV Cougar Ace vessel was hit by a large wave, losing stability during ballast water transfer. Image 4 Ornate spiraling of honeydew by the Spiralling Whitefly. The dew then grows a type of mold which stops the photosynthesis process, killing the host plant. Image 5 Fourteen individual stones form a semi-circular lavoir of 6.75 by 6 meters to wash on your knees. Thonon-les-Bains, 1848.

Pages 33-36 Christian Kosmas Mayer

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Imprint This magazine is published in conjunction with the exhibition „Grandfather’s Axe“ Ausstellungsraum Klingental, Kasernenstrasse 23, 4058 Basel 11.10.2020 – 15.11.2020 www.ausstellungsraum.ch

Participating artists: Anna Maria Balint Karsten Födinger Michiel Huijben Valle Medina, Benjamin Reynolds (Pa.LaC.E) Christian Kosmas Mayer Superstudio Curator: Bianca Pedrina Accompanied for Ausstellungsraum Klingental by Simon Krebs and Gerome Gadient

Authors:

Mélanie Corre, artist and illustrator based in Amsterdam Yuki Higashino, artist and author, based in Vienna Anne Huijbers, medievalist and lecturer at Universität Basel Robin Monotti Graziadei, architect, lecturer and producer based in London Bianca Pedrina, artist and curator, based in Basel and Vienna Editing: Bianca Pedrina Copy Editing: Stefan Karrer, Cornelia Lein, Raphaël Schmid Design: Aljoscha Lanz Edition: 500

Special thanks to

Anna Lena Müller, Frank Löbbecke, Marco Bernasconi, Ruedi Bachmann, Mirjam Brodbeck, Staatsarchiv Basel-Stadt, Museum Kleines Klingental, Gian Piero Frassinelli, Gina Kim, Aljoscha Lanz, Cornelia Lein, Raphaël Schmid, Gerome Gadient, Simon Krebs, Thomas Heimann, Stefan Karrer, Ruth, Gisèle und Antonio Pedrina This exhibition and publication were made possible thanks to Ausstellungsraum Klingental, Hans und Renée Müller-Meylan Stiftung, Österreichisches Kulturforum Bern All rights reserved. No part of this magazine may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopy, recording or any other storage and retrieval system, without the prior permission in writing from the authors, artists and editor. ©2020

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