Sozialisation & Resozialisierung Cybermobbing
«Neue Medien geben einem alten Problem eine neue Dimension» «Etwa 10 – 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen leidet in irgendeiner Form unter Cybermobbing», sagt Andreas Kohli, Präventionsfachmann von der Stiftung Berner Gesundheit. Ein Anteil, der erschreckt. «impuls» wollte dem brandaktuellen Thema aus Sicht der Praxis und der Forschung auf den Grund gehen und lud zum Gespräch. Gesprächsmoderation: Denise Sidler Kopp
Denise Sidler Kopp Kommunikationsfachfrau denise.sidler@bfh.ch
In jüngster Zeit hört man immer mehr von Cybermobbing. Was steckt hinter dem Begriff? Andreas Kohli: In der Praxis verstehen wir unter Cybermobbing einen Angriff auf die Seele des Einzelnen. Wenn jemand immer wieder belästigt, blossgestellt, bedroht oder verunglimpft wird – und zwar mit Hilfe der neuen Technologien. Immer mehr läuft dabei über soziale Netzwerke, aber auch über SMS. Eigentlich geht es um einen Missbrauch der Möglichkeiten, welche die Neuen Medien bieten. Jachen C. Nett: Strafrechtlich werden bereits vergleichsweise harmlose Dinge relevant, etwa wenn jemand ein Bild von jemandem ins Netz stellt, ohne dazu autorisiert zu sein. Das Spektrum reicht von bagatellhaften bis zu relativ schweren Straftatbeständen. Mit Neuen Medien erreicht man viel schneller viel mehr Leute. Das Internet hat zudem ein langes Gedächtnis: Was einmal drin ist, lässt sich nicht so schnell wieder herausfiltern.
eine neue Dimension und ich glaube, wir sind noch nicht am Ende der Entwicklung. Kohli: Konflikte Face to Face gehören zum Schulalltag, verlagern sich aber auch in die virtuelle Welt. Viele Kinder und Jugendliche denken, sie könnten durch die Neuen Medien anonym mobben. Das ver lockt natürlich, da mitzumachen. Das Mit gefühl bleibt dabei auf der Strecke. Dies ist der zentrale Ansatz bei der Prävention: In Rollenspielen und Sensibilisierungs veranstaltungen werden Kinder und Jugendliche daran herangeführt, dass sie sich fragen, wie es dem anderen geht, wenn plötzlich 28 Kinder aus der Klasse angeben, dass sie ihn hassen.
gewichtige Konsequenzen. Als Erwachse ner ist man eher gewappnet. Kohli: Jugendliche können dem Mob bing auch nicht entfliehen: Sie sind ja eingebunden in die jeweilige Institution, in der Schule oder im Heim. Der Druck ist dadurch natürlich enorm gross. Rondi: Mir ist bekannt, dass es häufig eine Überschneidung gibt von Opfer und Täter. Beobachten Sie das auch, Herr Kohli?
«Plötzlich kann man nicht mehr sagen, wer eigentlich Täter und wer Opfer ist.»
Betrifft Cybermobbing also primär Heranwachsende? Chiara Rondi: Ich habe mich mit einem Kollegen aus dem Institut Alter ausge tauscht. Er arbeitet im Projekt TAO, das Seniorinnen und Senioren in OnlineCommunities einbinden möchte. Offenbar ist Cybermobbing auch bei Erwachsenen ein Problem. Das hat mich überrascht. Nett: Aber die Tragweite ist eine andere: Die Peer-Group übernimmt in der Soziali sation eines Jugendlichen eine wichtige Rolle, sie ist zentral für die Ablösung von den Eltern. Daher hat Cybermobbing für die Entwicklung eines Jugendlichen
Kohli: Ja, vielfach reagieren die Betroffe nen natürlich auf die Attacken, die sie erleben. Die Sache schaukelt sich hoch und plötzlich kann man nicht mehr sagen, wer eigentlich Täter und wer Opfer ist. Darum geben wir den Jugendlichen auch den Tipp, nicht mitzumachen. Sie sollen Beweise sichern, Screenshots machen, um zu belegen, was passiert ist. In Studien zum Thema hat man herausgefunden, dass 10–20 Prozent der Jugendlichen in irgendeiner Form unter Cybermobbing leiden. Dem Thema kann sich weder die Schule, noch die Schulsozialarbeit, noch der Sozialarbeitende im Jugendtreff ent ziehen.
Andreas Kohli ist Präventionsfachmann bei der Berner Gesundheit, Stiftung für Gesundheitsförderung und Sucht fragen. Er arbeitete während 10 Jahren als Lehrer und hat danach Psychologie studiert.
Chiara Rondi arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Soziale Arbeit der Berner Fachhochschule im Bereich Forschung und Weiterbildung. Sie hat in Bern Psychologie, Strafrecht und Kriminologie studiert.
«Das Spektrum reicht von bagatellhaften bis zu relativ schweren Straf tatbeständen.» Das Thema erhält eine neue Qualität, weil es heutzutage auch immer jüngere Kinder und Jugendliche direkt betrifft, da sie die mobilen Geräte selbst besitzen und die Kontrolle durch Erwachsene häufig fehlt. Neue Medien geben einem alten Problem
48
BFH impuls Januar 2013