NOTIZEN AUS DER EURAC
Mehrsprachigkeit – Utopie oder Realität in Südtirol? EURAC Research untersucht sprachliche Kompetenz in den Schulen aller drei Sprachgruppen BOZEN - (pka) Die Zwei- oder Mehrsprachigkeit ist hierzulande zu einem Dauerbrenner geworden. In einer repräsentativen Studie der EURAC Research wird nun die sprachliche Kompetenz unter die Lupe genommen, und zwar werden Schüler/innen aller drei Sprachgruppen hierzu mit einbezogen. Die Bezirkszeitung hat mit Forscherin Dana Engel vom Institut für Fachkommunikation und Mehrsprachigkeit an der EURAC darüber gesprochen.
Dana Engel
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Frau Engel, Mehrsprachigkeit dürfte in Südtirol eigentlich kein großes Thema darstellen, wachsen doch im Schulbereich unsere Kinder zumindest mit Deutsch und Italienisch auf. Was beinhaltet also Ihre Studie zur Mehrsprachigkeit genau und wie gehen Sie konkret vor? Unsere Studie im Projekt „RepertoirePluS“ basiert auf der Überzeugung, dass jede Sprache, jeder Dialekt und jede Sprechweise in unserem Repertoire ein „Plus“ darstellt, uns als mehrsprachige Menschen also bereichert und in vielen Lebensbereichen unterstützen kann. An den Schulen wird die Mehrsprachigkeitsdidaktik und das Vernetzen der Sprachen immer wichtiger, doch bisher fehlt noch eine solide Möglichkeit, Mehrsprachigkeitskompetenzen (und nicht nur Kompetenzen in den einzelnen Schulsprachen) angemessen zu beschreiben und zu beurteilen; das wollen wir nun ändern. Dafür haben wir zunächst einen umfangreichen Fragebogen mit vielen kreativen und detaillierten Aufgaben entwickelt, mit dem wir Mittel- und Oberschüler/innen aller drei Sprachgruppen zu ihrem
sprachlichen Hintergrund, ihrer Sprachbiographie, der Verwendung ihrer Sprachen in allgemeinen und sehr konkreten Situationen des Alltags befragen. So können wir die Sprachenrepertoires dieser Schüler/innen auswerten und uns dann dem zweiten Schritt widmen, der Frage nach der Aktivierung und Nutzbarkeit der Sprachkompetenzen. Hierfür laden wir die Klassen zu einem „Sprachendorf“ ans EURAC Research ein und während die Schüler/innen an verschiedenen Stationen ihre Mehrsprachigkeit zum Einsatz bringen, werden wir sie dabei aufnehmen und später anhand der Daten analysieren, wie sie ihre Sprachenrepertoires tatsächlich in konkreten Situationen nutzen können. Eine Gefahr der Mehrsprachigkeit – bei einer deutschsprachigen Minderheit Südtirols in Italien – dürfte wohl auch darin bestehen, dass letztlich keine der beiden Landessprachen „gut“ beherrscht werden bzw. eine Vermischung, das so genannte Kauderwelsch, vorherrschen könnte. Wie sehen Sie diese Gefahr? Die oft gefürchtete „Vermischung“ kann in der Forschung nicht belegt werden, es sind vielmehr typische Strategien wie Code-Switching und individuelle Sprechweisen im freundschaftlichen Umfeld, die zeigen, wie flexibel und kreativ uns Mehrsprachigkeit macht. Was hingegen nicht oft genug betont werden kann, ist der Fakt, dass man Mehrsprachige nicht an Einsprachigen messen darf: Wer mehrere Sprachen und Dialekte spricht, dessen Sprachkompetenzen in
Wortschatz, Grammatik, Pragmatik etc. verteilen sich eben auch auf mehrere Sprachen – insgesamt verfügt man über ein viel größeres Repertoire als eine einsprachige Person und kann sich flexibler in verschiedenen Kontexten bewegen. Dass der Umgang mit mehreren Sprachen gerade aus heutiger Sicht mehr denn je zu fördern ist, ist wohl unbestritten. Welche Kriterien wenden Sie an, um die Sprachkompetenz an den zu untersuchenden Mittel- wie Oberschulen festzustellen? Werden dabei auch praxisbezogene Vorschläge zu deren Verbesserung erarbeitet? Im Gegensatz zu den am EURAC Research bereits erfolgreich abgeschlossenen Projekten werden wir bei RepertoirePluS keine Sprachkompetenzen messen. Es geht uns vielmehr darum herauszufinden, wie man Sprachenrepertoires und Mehrsprachigkeitskompetenzen erfassen kann und wie man beschreiben kann, wie diese in interaktiven Lernszenarien tatsächlich genutzt werden. Eine theoretische Basis für diese Beschreibung bietet der Referenzrahmen für plurale Ansätze (RePA), der am Europäischen Fremdsprachenzentrum in Graz entwickelt – jedoch noch nie in der Praxis getestet wurde. Wir möchten nun eine Auswahl an RePA-Deskriptoren empirisch überprüfen und gleichzeitig didaktische Szenarien wie das Sprachendorf erproben, die dann auch an Schulen weiterentwickelt werden können. Dabei arbeiten wir eng mit allen drei Bildungsressorts zusammen und können so auch Impulse geben für die Arbeit im Sinne der
Mehrsprachencurriculums und der gemeinsamen Sprachendidaktik. Die Studie ist ja gerade erst angelaufen. Wann rechnen Sie mit den ersten Ergebnissen? Anders gefragt: Wann ist mit dem Abschluss zu rechnen und was geschieht dann mit den erhobenen Daten? Dank der Förderung durch die Provinz hat unser Projekt eine Laufzeit von drei Jahren. Aktuell befinden wir uns in der ersten Phase der Datenerhebungen an Mittel- und Oberschulen und arbeiten mit rund 250 Schüler/innen, die unseren umfassenden Fragebogen ausfüllen. Die Ergebnisse aus dieser Befragung werden wir im Sommer auswerten, mit unseren Kooperationspartnern an den Schulämtern diskutieren und dann als Basis für die Planung des Sprachendorfs in der zweiten Erhebungsphase verwenden. Die dabei erhobenen Daten werden wir ebenfalls analysieren und für die Anpassung unseres Beschreibungsmodells auswerten. Im Frühjahr 2019 gibt es dann die Veröffentlichung der Ergebnisse – darüber hinaus werden wir im Mai 2019 zu einer Tagung an die EURAC einladen, auf der wir die Ergebnisse vorstellen und zusammen mit unseren lokalen und internationalen Projektpartnern weitere Fachvorträge und Workshops im Themenbereich „Mehrsprachigkeitskompetenzen“ anbieten werden.