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Herausforderung: Heterogenität-Lösung: Kooperationen und Standards ...... Seite

Der stetig steigenden Anzahl an Notrufen wird mit immer mehr Personal entgegenzuwirken versucht. Dieses Reaktionsschema könne angesichts des demografischen Wandels und des akuten Arbeitskräftemangels in Deutschland nicht länger funktionieren, ist sich Klaas Hagemann, Manager Projekte Leitstellenlösungen bei Sopra Steria, sicher. Dennoch müsse die Sicherung der Notrufbearbeitung gewahrt bleiben. Und das bei wachsenden gesetzlichen Anforderungen und immer neuen technischen Möglichkeiten. Sämtliche Anforderungen weiterhin zu erfüllen, gelinge nur, wenn künftig mehr zusammengearbeitet werde. Dafür seien Strukturen zu vereinheitlichen, Abläufe zu vereinfachen und Standards müssten gesetzt werden. Fluch der Heterogenität

Doch die Hürden für Kooperationen sind hoch. Neben den Leitstellen der Länderpolizeien existieren für Rettungsdienste und Feuerwehren auf Landkreisebene weitere rund 300. Während diese originär für die Notrufnummern 110 und 112 zuständig sind, bestehen weitere Kommunikationsstellen für den hausärztlichen Notruf 116117 sowie für Krankentransporte unter der Nummer 19222 – Einrichtungen, die mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen haben. Noch komplexer wird es, wenn andere Staaten hinzukommen. Schnittstellen zur Zusammenarbeit sind kaum vorhanden. Damit nicht genug. Auch aufseiten der Organisationen, die Standards setzen, sieht es nicht besser aus. Das Deutsche Institut für Normung (DIN), der Verein für Professionellen Mobilfunk (PMeV) und die Koordinierungsstelle für IT-Standards (KoSIT) seien zuständige Organisationen, die Standards entwickelten und festsetzten. Parallel dazu schaffe die Industrie de facto aber eigene Standards, zum Beispiel mit der Anwendung Rescutrack, so Klaas Hagemann.

Leitstellen als Zentralen

Herausforderung: Heterogenität – Lösung: Kooperationen und Standards

(BS/Jörn Fieseler/Dr. Barbara Held) Personalmangel, technische Neuerungen, die Notwendigkeit (grenz-)übergreifender Zusammenarbeit bei größeren Lagen sowie die Schnittstellenproblematik zwischen verschiedenen Notrufnummern prägen das Anforderungsbild moderner Leitstellen. Generell sind Kooperationen die Lösung für viele dieser Probleme. Jedoch: Leitstellen verfügen über ein hohes Maß an Autonomie. Die angestrebte Harmonisierung ist mühsam.

Neubeschaffung als Modernisierungsanstoß

Trotzdem kann Harmonisierung gelingen das zeigt das BestPractice-Beispiel aus Niedersachsen. Angestoßen worden sei die umfassende Vereinheitlichung der dortigen polizeilichen Leitstellenstruktur 2019 durch die Abkündigung des eingeführten gemeinsamen Einsatzleitsystems (ELS), berichtet Verena Paix, Leiterin des Projekts “Modernisierung der polizeilichen und kooperativen Leitstellen”, das in der Zentralen Polizeidirektion (ZPD) Niedersachsen angesiedelt ist. Bis dahin verfügte das Land über eine bunte Mischung aus kooperativen Großleitstellen und dezentralen Kleinleitstellen der Polizei. Zwar sollen auch nach der Modernisierung kooperative und polizeiliche Leitstellen bestehen bleiben, aber im Zuge der Beschaffung eines neuen Einsatzleitsystems (ELS) werden die polizeilichen Leitstellen vereinheitlicht und der technische Betrieb zentralisiert. Damit will die ZPD Niedersachsen eine höhere Leistungsfähigkeit der Kommunikationsinfrastrukturen bei gleichzeitig verbesserter Wirtschaftlichkeit erreichen. Das Projekt verfügt über 13 Mitarbeitende und ein Gesamtvolumen von rund 70 Millionen Euro. Die Zentralisierung der Technik und die Einrichtung einer zentralen Notleitstelle haben Auswirkungen auf polizeiliche Kommunikation und Datenhaltung, erläutert die Projektleiterin. So werden Stamm- und Einsatzdaten nunmehr in der jeweiligen Leitstelle wie auch am zentralen Technikstandort und der gemeinsamen Ausweichleitstelle vorgehalten. Als neue funktionale Anforderungen kamen unter anderem ein übersichtliches Dashboard für den Arbeitsplatz, ein Modul zur Unterstützung von Besonderen Aufbauorganisationen (BAOs), redundante Anbindungen an den BOS-Digitalfunk und die Möglichkeit der Fernwartung hinzu. Mit dem neuen Systemlieferanten VIVASECUR GmbH wurden inzwischen sowohl ein langfristiger System- wie auch ein Wartungsvertrag abgeschlossen. Verena Paix macht keinen Hehl daraus, dass das komplexe Projekt keineswegs problemlos läuft. So sei die Definition der funktionalen Anforderungen extrem aufwendig gewesen und auch das gemeinsame Verständnis von Auftraggeber und Auftragnehmer für Leistungen und Projektmanagement habe erst mühsam erarbeitet werden müssen. Für ihre Kolleginnen und Kollegen hat sie einige Warnungen parat. Im Zweifelsfall müsse man dem technisch Machbaren gegenüber dem “Gewollten” den Vorrang geben. Auch eigene Beistellleistungen bärgen Risiken, und schließlich dauere Datenmigration immer länger als geplant. Aber insgesamt sei man in Niedersachsen dem besten Weg.

Die aktuellen Herausforderungen für Leitstellen sind enorm. Hinzu kommt, dass es viele verschiedene Leitstellen unterschiedlicher Akteure hierzulande gibt. Foto: BS/Michael, stock.adobe

Offen bleiben für Neues

ELS-Innovation aus der Schweiz wird auch in Deutschland beliebt

(BS/Albert Schöppl*) Bekanntermaßen sollten auch Softwarehersteller bei der Entwicklung von Produkten immer wieder mal über den Tellerrand hinausschauen, um “State of the Art” zu bleiben. Daher sollten Architekten von BOS-Lösungen ständig auch Anwendungsszenarien der Industrie und sich abzeichnende technologische Trends berücksichtigen.

Aber auch die Anwender von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten profitieren davon, wenn sie sich von Zeit zu Zeit aus ihrem direkten Anwendungsspektrum etwas herausbewegen und dabei Anregungen für neue Methoden und Lösungsansätze erhalten. Gelegentlich ist dann sogar ein Blick über die Landesgrenze sinnvoll, um andere erprobte Innovationen zu entdecken. Besonders von der Schweiz, unserem unmittelbaren Nachbarn, können wir in der Hinsicht einiges lernen. Zwar sind dort EinsatzleitsystemInstallationen meist kleiner als in Deutschland und die Budgets noch mehr unter Druck, aber gerade das treibt Hersteller und die Kantone oft zu noch besser optimierten Einsatzmodellen und zu kreativen Neuerungen. So praktiziert das auch die bei Zürich ansässige LogObject AG (www.logobject.com), die in der Schweiz als einer der wichtigsten Software-Player von Lösungen für Blaulichtorganisationen gilt. Zu ihren BOS-Kunden zählen sowohl über 80 Prozent der Kantons- und Stadtpolizeien der Schweiz als auch Feuerwehren, Rettungsdienste sowie Organisationen des Bundes und des Militärs. Neben Spezialsystemen für Vorgangs- und Fallbearbeitung bietet der Branchenprimus das moderne Einsatzleitsystem (ELS) Pelix© an, maßgeblich hervorgegangen aus der 2014 erfolgten Übernahme der Schweizer Firma ROLA Security Systems. Seither wurde Pelix© ELS stark weiterentwickelt. In Pelix© fließen ständig auch Innovationen aus der Industrie ein, denn LogObject bietet im DACH-Markt auch die umfangreichste Fieldservice-Management-Lösung zur Planung, Steuerung und Optimierung großer Service-Organisationen an. Mittels hoch entwickelter Algorithmen und spezieller prädiktiver Techniken wird damit beispielsweise die Disposition von Einsatzkräften und Ressourcen erheblich optimiert und vereinfacht. Zu den Nutzern zählen namhafte Telkos wie Vodafone, Magenta und Swisscom, aber auch Energieversorger und Unternehmen der Bauwirtschaft.

LogObject hat ein hochmodernes Einsatzleitsystem im Portfolio.

Foto: BS/LogObject

App ist leicht administrierbar

Pelix© ist mittlerweile zu einem wirklich “vollständigen” ELS geworden, Ende zu Ende Workflow-basiert, mit starken GIS-Funktionen und einer mächtigen mobilen App, die auf beliebigen Geräten läuft. Den zentralen Kern bildet eine hochentwickelte Dispositions-Engine. Die gesamte Applikation ist extrem flexibel anpassbar und vom Kunden leicht administrierbar. Kürzlich erhielt LogObject im Vergabeverfahren “ELS-AAO” des Polizeiverwaltungsamtes der Polizei Sachsen den Zuschlag zur Lieferung und Implementierung eines neuen Einsatzleitsystems. Und weitere Gespräche mit anderen Organisationen sind bereits im Gange. Der Start einer neuen ELS-Ära in Deutschland.

*Albert Schöppl ist Senior Executive Consultant bei der LogObject AG. Sichere Kommunikation im Katastrophenfall

“Ohne sichere Sprach- und Datenkommunikation ist alles nichts”, konstatierte Thomas Roosen auf dem Europäischen Polizeikongress 2022. In diesem Sinne seien Leitstellen und Lagezentren die Herzstücke der Einsatzbewältigung. Der Mann muss es wissen: Als Direktor des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) ist er unter anderem für die Leitstellentechnik in Nordrhein-Westfalen zuständig. Rund 50 polizeiliche und weitere 60 sonstige Leitstellen werden vom LPZD betrieben und ständig weiterentwickelt. Als überzeugendes Beispiel für seine Behauptung bringt der LPZD-Direktor einen hauseigenen Bericht der Hochwasserkatastrophe mit, die im Juli 2021 den Süden von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verheerend traf. BOS-Digitalfunk und Mobilfunk fielen in erheblichen Umfang aus. Gleichzeitig waren rund 22.000 Einsatzkräfte aus Polizei, Feuerwehr, Bundeswehr und Rettungsdiensten auf funktionierende Kommunikationsmittel angewiesen, um effizient helfen zu können. 29 Basis-Stationen des BOS-Digitalfunks waren von den Fluten betroffen, darunter zwei vollständige Ausfälle. Der Rest war wegen Stromausfalls und gerissenen Glasfaserkabeln nur bedingt einsatzfähig beziehungsweise von den Leitstellen abgekoppelt. Ein Ausweichen auf kommerzielle Netze war nicht möglich, da hier sogar 150 Antennen ausgefallen waren. Das habe die Leistungsfähigkeit des LZPD “auf eine harte Probe gestellt”, so Roosen. Immerhin sei es gelungen, innerhalb von zwei Tagen durch den Einsatz mobiler Notstromaggregate und Basisstationen die Funkversorgung wieder aufzubauen. Zuerst habe es noch Lücken gegeben; nach fünf Tagen sei die Lage stabil gewesen.

Lessons learned

Die Lehren aus der Katastrophe hat man im LZPD umgehend gezogen: Bis Jahresende sollen 450 von 500 nordrhein-westfälischen Basisstationen mit stationären Notstromaggregaten (NEA) versehen werden, um künftig Stromausfälle zu vermeiden. Der Rest soll schnell nachgezogen werden. Im Hinblick auf die Funkversorgungen beurteilt das LZPD den Einsatz positiv. Ernsthafte Probleme seien jedoch bei einigen BOS-Liegenschaften zutage getreten, deren IT-Infrastruktur in den Fluten regelrecht abgesoffen sei. Neben der Einrichtung von Provisorien seien hier bauliche Veränderungen notwendig geworden. Das landeseigene “Innovation Lab” habe unter anderem mit der Entwicklung des HiPoS Cube (“Hybride integrative Plattform Polizeilicher Sondernetze”) auf die Flutkatastrophe reagiert, berichtet Roosen. Dieses transportable Rechenzentrum mit unabhängiger Stromversorgung soll es den Einsatzkräften künftig ermöglichen, sich beim Ausfall von ITInfrastrukturen noch schneller an die polizeilichen Netzstrukturen und somit an die Leitstellen anzubinden.

Open Source als Innovationstreiber

Nach der im vergangenen Jahr erfolgten Übernahme stellt stashcat seinen bekannten “sicheren Messenger” auf neue strategische Beine. Neben den üblichen Messenger- und Chat-Funktionen soll der Messenger als zentrales Tool in der BOS-Kommunikation etabliert werden. Den Nutzerinnen und Nutzern in Leitstellen und vor Ort stellt er künftig Sprach- und Videotelefonie inklusive Videokonferenzen, Kollaborations-Tools für Teamarbeit, Dateiablage und -verwaltung sowie Organisationsverwaltung und Administration zur Verfügung – selbstverständlich unter Wahrung aller aktuellen Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen und mit nutzerfreundlicher Oberfläche. Jan Bonde Hennies, Direktor für Business Development bei stashcat, erklärt die dahinter liegende Philosophie: Der Markt bewege sich deutliche in Richtung föderative Kommunikationsinfrastrukturen. Längerfristig strebe man “die Vernetzung der Kommunikation zwischen allen Akteuren der digitalen Verwaltung” an, das heißt BOS mitsamt Leitstellen, Nicht-BOS, Unternehmen wie auch Bürgerinnen und Bürger. Stashcat setze deshalb auf eine Matrix-basierte Architektur, die Interoperabilität zwischen den unterschiedlichsten Kommunikationsprodukten ermögliche. Bei E-Mails sei es ja auch egal, ob man sie über MS-Office oder Thunderbird verschicke, sie erreichten den Empfänger. Das zugrundeliegende Matrix-Protokoll wird als Open-Source-Projekt von einer Stiftung betrieben. Open Source Intelligence für Leitstellen

Einen ganz anderen Beitrag für die Verbesserung der Arbeit von und in polizeilichen Leitstellen strebt das Projekt SENTINEL an. Im Verbund mit dem Dortmunder Polizeipräsidium, der Deutschen Hochschule der Polizei und dem Münchner Polizeipräsidium stellt die Polizeidirektion Osnabrück ihren Leitstellen Open-SourceInformationen aus dem Internet zur Bewältigung aktueller Einsatzlagen zur Verfügung. Projektleiter Jorge Liening-Ewert von der Kooperativen Regionalleitstelle Osnabrück erklärt, dass diese frei zugänglichen Daten den exklusiven Datenbestand aus den Behördennetzen ergänzen sollen. Der einschlägig in Sozialen Medien vorgebildete sogenannte “Intel Officer” unterstütze die Leitstelle im laufenden Einsatz mit Informationen über Personen, Orte, Vorfälle etc., die er mit Suchfunktionen aus dem Internet ziehe. Die bisherige Praxiserfahrung im Projekt habe ergeben, dass der “Intel Officer” in den meisten Fällen für die Leitstellen hilfreiche Informationen beitragen könne. Spannend wird die Sache durch die rasanten Entwicklungen bei den Sozialen Netzwerken. Die Welt des Metaverse ist da nur eine Herausforderung. Blick nach Österreich

“Feuerwehr und Rettungsdienste sind bei uns auch Ländersache”, berichtet General Reinhard Schnakl, Leiter der Gruppe “Organisation, Einsatz und Dienstbetrieb” im Bundesministerium für Inneres Österreich (BMI). Zwar würden alle auf die gleiche technische Infrastruktur zurückgreifen, doch wenn eine Leitstelle fünf Jahre Mittel investiert und Personal geschult habe, dann gebe es nur wenig Bereitschaft, diese Struktur zu verändern oder gar aufzugeben. “Wir haben deshalb nur die Strukturen bei den Leitstellen der Bundespolizei konsolidiert”, erläutert Schnakl. Und das schon mit Einführung einer Leitstelle. Aber nur eine habe internationale Standards erfüllt. Durch die Umorganisation gebe es faktisch nur noch eine Leitstelle, die aber auf neun Standorte verteilt sei. Für die dafür notwendige Infrastruktur gebe es zwei Serverstandorte mit jeweiliger Redundanzstelle, sprich vier Standorte. Dieser Prozess sei mit gravierenden Umstellungen verbunden gewesen, doch heute sei man auf einem guten modernen Standard nach internationalen Vorgaben. Aber: “Wir suchen verstärkt Kooperationspartner auf internationaler Ebene, gerade in unseren Nachbarstaaten, um Kooperationen etablieren zu können”, sagt Schnakl. Nach wie vor gebe es viele technische Herausforderungen. “Wir haben Lösungen etabliert, die funktionieren, trotzdem stehen wir erst am Anfang der Entwicklung.” Zum Beispiel bei der Einrichtung eines Gehörlosen-Notrufs. Die frühere österreichische Lösung sei durch eine neue Applikation abgelöst worden. Diese App nehme Kontakt zu einer separaten Plattform auf, die dann die richtige Leitstelle aussuche. Diese Plattform sei nur ein Wegweiser, bei dem keine Daten gespeichert würden. Idealerweise könnten auch andere Notruflösungen über diese Plattform laufen oder andere Leitstellen sich daran anschließen, damit die Betroffenen in anderen Ländern die App nutzen könnten. “Entscheidend ist, dass sich jemand dieses Themas annimmt”, unterstreicht Schnakl. Doch dafür fehle es an Kopfstellen.

Noch zahlreiche Optimierungspotenziale

Dies bestätigt auch Hagemann. Eine Kopfstelle, die die Motivation aufbringe, die Dinge anzupacken, sei die erste wesentliche Voraussetzung, damit eine Kooperation gelinge. Die zweite seien die technischen Möglichkeiten. “Diese sind gerade in der IT nicht zu unterschätzen.” So ließen sich in Zukunft Aufgaben trotz geringerer Ressourcen erfüllen. Nicht jede Leitstelle müsse Dolmetscherleistungen vorhalten. Auch der Austausch über Videoformate stecke noch in den Kinderschuhen. Und selbst beim Thema Geodaten sowie beim Austausch mit nachgelagerten Prozessen gebe es noch genügend Optimierungspotenziale, sei es bei der Vorgangsbearbeitung, der Abrechnung, bei Statistik- oder Auskunftsdiensten.

Vor allem taktische, aber auch technische und nicht zuletzt wirtschaftliche Aspekte führen zu einem zukunftsfähigen Lösungsansatz: dem Leitstellenverbund. Dieser wird für die Polizei Rheinland-Pfalz bis Ende 2023 vollständig realisiert sein. Ein wichtiger Aspekt für eine Zentralisierung der polizeilichen Notrufbearbeitung im Leitstellenverbund in Rheinland-Pfalz ist die Anhebung der Qualität durch eine Konzentration auf genau diese Aufgabe. Herauszuheben ist weiterhin die Bewältigung größerer Gefahren- oder Schadenslagen, wie wir sie leider vor einigen Monaten mit der Hochwasserkatastrophe unter anderem an der Ahr erleben mussten, und auch größerer Bedrohungs- oder Kriminalitätslagen. Diese Lagen zeigen uns, dass die Zeiten von alleine agierenden Leitstellen vorbei sein müssen. Kleinere örtlich isolierte Leitstellen sind personell und aufgrund technischer und anderer kapazitiver Limitierungen mit der Bewältigung eines Notrufaufkommens sowie der damit verbundenen Einsatzsteuerung schnell überfordert. Je nach Ausmaß der Lage wird aber auch eine größere regionale Leitstelle irgendwann an ihre Grenzen stoßen.

Früher wurde Kommunikationslast verteilt

In der Vergangenheit wurde zur Bewältigung größerer Lagen zum einen anderes Leitstellenpersonal zur Unterstützung entsandt. Zum anderen wurde beispielsweise durch entsprechendes Routing des Notruf- oder Anrufaufkommens über den oder die Netzbetreiber die Kommunikationslast auf andere Leitstellen verteilt und zwischen den Leitstellen eine Aufteilung des “Alltagsgeschäfts” und der Bewältigung der Sonderlage vorgenommen. Die Nachteile dieses Vorgehens liegen auf der Hand: ein gewisser zeitlicher Vorlauf wird benötigt und entsprechender logistischer Aufwand muss zusätzlich zur Lagebewältigung betrieben werden. Hier setzt der konzipierte Leitstellenverbund an, der den Verantwortlichen diese Aufgaben abnimmt und durch automatisierte Mechanismen bereitstellt. Neben all den denkbaren Unterstützungsszenarien sind aber auch die Ersatz- oder Redundanzbetriebsszenarien mit ähnlichen administrativen und logistischen Herausforderungen nicht außer Acht zu lassen – es kommt immer mal wieder vor, dass eine Leitstelle außer Betrieb gesetzt beziehungsweise geräumt werden muss und deren Aufgaben unterbrechungsfrei in einer anderen Örtlichkeit oder durch eine andere Stelle wahrgenommen werden müssen. Einerseits nimmt die Leistungsfähigkeit der Kommunikationstechniken im Endverbraucherbereich rasant zu, während die Nutzungszeiten der Endgeräte immer stärker abnehmen, andererseits sprießen neue Entwicklungen, Protokolle und Lösungsansätze teils “wie Pilze aus dem Boden”. Soll Leitstellentechnik mithalten und wenn ja, wie? Leitstellentechnik als Gesamtsystem muss robust, langlebig, verfügbar und damit auch einfach wartbar und bedienbar sein. Die Bürgerinnen und Bürger müssen in ihrer Notsituation an der richtigen Stelle ankommen, der Einsatzsachbearbeiter oder Disponent muss in Stresssituationen das System richtig bedienen können, der technische Betreiber muss das System schnell und sicher warten und entstören können. Wir haben uns in RheinlandPfalz daher entschieden, einen technischen Standard für die Leitstellentechnik und den Leitstellenverbund festzuschreiben und einzuführen. Wir verfolgen hier das Ziel der Konzentration auf das Wesentliche und der Nutzung von etablierten technischen Standards. Wir bündeln Sprachkommunikation in der zentralen Abfrage- und Vermittlungstechnik und separieren davon alle anderen Medien und Kanäle, die wir möglichst über standardisierte Schnittstellen über das zentrale Einsatzleitsystem zur Verfügung stellen. Dies reduziert sowohl für den Anwender als auch für das technische Betriebspersonal die Komplexität. Durch wiederkehrende Anpassungsbedarfe aufgrund geänderter Umsysteme im Rahmen der technischen Innovationszyklen ist die Anpassung der eigenen Infrastruktur und Systeme zur Daueraufgabe geworden. Hier wird der Vorteil eines modular aufgebauten Gesamtsystems mit der Reduktion auf die wesentlichen Bestandteile gegenüber einem monolithischen System klar erkennbar. Im Rahmen kleinerer und unterbrechungsfreier Wartungen lässt sich das Gesamtsystem über die vorgesehene Laufzeit stets auf dem aktuellen Stand der Technik halten beziehungsweise auch darüber hinaus weiterentwickeln. Durch Nutzung einer gemeinsamen technischen Infrastruktur und standardisierter Schnittstellen wird es möglich, nicht nur landesweit und BOS-übergreifend, sondern auch mit benachbarten Bundesländern oder dem Bund zu einer effizienten Lagebewältigung in Leitstellen gemeinsam Einsätze zu bearbeiten und medienbruchfrei einsatzbezogene Informationen auszutauschen. Notrufe beziehungsweise Telefonie können entweder lastabhängig und dynamisch oder nach festen organisatorischen Regeln innerhalb des polizeilichen Leitstellenverbundes in Rheinland-Pfalz auf die Einsatzsachbearbeiter der Leitstellen verteilt werden – so werden vorhandene Ressourcen effizienter als je zuvor genutzt. Durch das zentrale Einsatzleitsystem können landesweit alle Einsätze und Einsatzdaten gemeinsam genutzt und ausgetauscht werden sowie die entsprechenden Maßnahmen und Kräftedispositionen vorgenommen werden. Noch im Jahr 2016 entfielen auf Rheinland-Pfalz alleine 67 Notrufabfragestellen. Dementsprechend sind nicht nur die fünf polizeilichen Leitstellen unter anderem mit Technik für die Notrufbearbeitung und zur Kräfte- und Einsatzsteuerung ausgestattet, sondern eben auch die Polizeiinspektionen. Eine Zentralisierung und eine Redundanz-Absicherung führen zu deutlich weniger Aufwänden, da zukünftig dezentrale Technik dafür nicht mehr beschafft, vorgehalten, betrieben und erneuert werden muss.

Einsatzsteuerung im Wandel

Der polizeiliche Leitstellenverbund in Rheinland-Pfalz

(BS/Ralf Steinbrink) Rheinland-Pfalz vollzieht bei der polizeilichen Notrufannahme und Einsatzsteuerung einen Wandel. Wurden in der Vergangenheit in dem ländlich geprägten Flächenland die Notrufe der Bürgerinnen und Bürger eher dezentral in den Polizeiinspektionen entgegengenommen und auch vor Ort die entsprechenden Maßnahmen veranlasst, werden sowohl die Notrufbearbeitung als auch die Kräftedisposition und Steuerung der Einsatzmaßnahmen zukünftig in den sogenannten Führungszentralen der Polizeipräsidien, den dortigen miteinander vernetzten Leitstellen, wahrgenommen.

Kriminaloberrat Ralf Steinbrink ist stellvertretender Leiter der Abteilung Zentrale Technik des PP ELT und gleichzeitig Leiter des Programms zur Modernisierung der Leitstelleninfrastruktur. Foto: BS/PP ELT, Abt. ZT

Behörden Spiegel: Nach dem bisher gescheiterten Versuch der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), weitere Frequenzbänder für die Weiterentwicklung des sicheren BOS-Funks auch mit Blick auf Breitband-Nutzung zu bekommen, haben Sie nun einen Vorschlag unterbreitet, der unter Einbeziehung von öffentlichen Netzen die strategische Weiterentwicklung der sicheren Kommunikation für Behörden gewährleisten soll. Wie sieht Ihr Vorschlag konkret aus?

Norbert Haslacher: Die kritische Kommunikation für den BOS-Bereich verfügt derzeit nur über geringe Bandbreiten, fokussiert sich primär auf das Thema Sprache. Für die Erstellung eines Lagebildes, besonders dann, wenn die Operatoren weit weg vom Ereignis an verschiedenen Orten sitzen, ist dies mit Sprache allein kaum möglich. Insofern ist das Thema Breitband in der Tat ein wichtiges, besonders in Leitstellen. Frequentis beschäftigt sich seit mehr als 75 Jahren mit sicherheitskritischer Kommunikation. Wir verfügen über eine umfassende Expertise im TETRABereich, haben Basisstationen geliefert sowie Leitstellen dafür gebaut und bereits vor Jahren damit begonnen, uns mit dem Thema der mobilen BreitbandKommunikation zu beschäftigen. In 150 Ländern der Welt sind wir aktiv und verfügen über eine internationale Sicht auf das Thema. Weltweit stellt sich die Frage, wie die Sicherheitsbehörden eine neue Technologie zur Verfügung gestellt bekommen, die ihnen breitbandige Services operativ zur Verfügung stellt.

Behörden Spiegel: Was braucht es denn?

Haslacher: Notwendig ist heute sicherheitskritische multimediale Gruppenkommunikation für Chats, Video-Übertragung, Einsatzdaten, Datenbankabfragen und Sprache. Doch die aktuelle TETRA-Infrastruktur macht vieles davon bei den zur Verfügung stehenden Bandbreiten nicht möglich. Daher haben wir in dieses Thema investiert und uns an einem internationalen Projekt namens “Horizon 2020 BroadWay” zur technischen Präqualifikation eines solchen europaweiten sicherheitskritischen Kommunikationssystems beteiligt. Dieses Forschungsprojekt der Europäischen Union ist mittlerweile sehr weit vorangekommen und wir sind hier als Konsortialführer einer der beiden Finalisten federführend beteiligt und konnten mehr als 40 europäischen Blaulichtorganisationen unser Pilotsystem für Anwendungstests zur Verfügung stellen. Das BroadWay-Projekt soll unter anderem sicherstellen, dass auch in Europa künftig Anbieter die Möglichkeit haben, sich an diesem zukünftigen Markt gleichermaßen zu beteiligen und mehr als nur Sprache für die Kunden über die Netze zu liefern.

Vom proprietären zum hybriden Ansatz

Kritische Kommunikation muss zukunftsfähig werden

(BS) Frequentis ist Teil einer von der EU geförderten Initiative, die eine zukunftsfähige Lösung für kritische länderübergreifende Kommunikation entwickelt. Das Stichwort heißt hier Mission X und ist eine von Frequentis entwickelte integrierte Ende-zu-Ende-Systemlösung auf Basis des von 3GPP-Standard definierten Mission Critical Services (MCS oder MCX), die sicherheitskritische multimediale Kommunikation über öffentliche, dezidierte und hybride Mobilfunknetze unter Einbeziehung verschiedener Netzbetreiber zuverlässig sicherstellen soll. Über diesen Ansatz sprach Uwe Proll, Chefredakteur und Herausgeber des Behörden Spiegel, mit dem Frequentis-Vorstandsvorsitzenden Norbert Haslacher.

Behörden Spiegel: Auf welcher Technik basiert das?

Haslacher: Den diesem Vorhaben zugrunde liegenden Standard der 3GPP (3rd Generation Partnership Project) – einer internationalen Vereinigung zur Standardisierung von Mobilfunksystemen – nennt man Mission Critical Services. Dieser Standard soll sicherheitskritische multimediale Kommunikation über öffentliche, dezidierte und hybride 4G- beziehungsweise 5G-Mobilfunknetze unter Einbeziehung von verschiedenen Netzbetreibern zuverlässig sicherstellen.

Behörden Spiegel: Was ist das Ziel von “BroadWay”?

Haslacher: Das Ziel der Projektkoordinatoren von “BroadWay” ist die Evaluierung von technischen Lösungen, um eine länderübergreifende sicherheitskritische Kommunikation von BOS zu ermöglichen. Die beteiligten Konsortien mit ihren jeweiligen Konsortialpartnern, darunter führende Mobilfunk-Netzbetreiber und eben auch Frequentis als Konsortialführer, arbeiten daran, auf europäischer Ebene die künftige Beschaffung von interoperablen Breitband-Funkkommunikationssystemen für die öffentliche Sicherheit mit ihren Konzepten und Produktportfolios zu unterstützen. Hierdurch soll es ermöglicht werden, die bisher angewendeten proprietären Systeme im BOS-Digitalfunk zu öffnen. Dies soll unter Einbeziehung aller vorhandener Mobilfunkmöglichkeiten geschehen. Dazu gehören die derzeit kommerziell genutzten Standards 4G und 5G.

“Notwendig ist heute sicherheitskritische multimediale Gruppenkommunikation für Chats, Video-Übertragung, Einsatzdaten, Datenbankabfragen und Sprache.”

Norbert Haslacher ist Vorstandsvorsitzender von Frequentis.

Foto: BS/Frequentis AG

Behörden Spiegel:

Die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) hat sich in einer Ausschreibung jüngst dafür entschieden, die im Markt agierenden Mobilfunkbetreiber ins Boot zu holen und öffentliche Mobilfunknetze für breitbandige Dienste zu nutzen. Ist das sinnvoll?

Behörden Spiegel: Es geht also auch darum, aus der relativ ausweglosen proprietären TETRASituation für den BOS-Digitalfunk herauszukommen und neue Perspektiven für Breitbandigkeit zu entwickeln?

Haslacher: Ja, richtig. Es geht darum, am Ende nicht in einer proprietären Umgebung zu landen, wo man die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten dauerhaft verfestigt. Wenn man es zukunftssicher gestalten will, muss man auf die vorhandene terrestrische Infrastruktur aufsetzen und mit unterschiedlichsten Anbietern, verschiedenen Diensten und unterschiedlichsten Kommunikationselementen über standardisierte Schnittstellen eine Plattform bilden, die die vorhandenen Investitionen einerseits sichert, aber sie gleichzeitig auf eine neue Ebene hebt.

Behörden Spiegel: Welche Lösung bieten Sie an?

Haslacher: Unsere Lösung hierfür nennen wir “MissionX”. Diese besteht als E2E-Systemlösung aus drei wesentlichen interoperablen Systemkomponenten: der Kernkomponente “MissionX-Plattform”, den mobilen Client-Applikationen und den Leitstellen-Client-Applikationen, die alle über die 3GPP-MCX definierten Schnittstellen kommunizieren. Mit der “MissionX”-Plattform wird den Bedarfsträgern ein “Baukastensystem” an standardisierten Systemlösungen angeboten, welche zum Beispiel mit Endgeräten von Drittherstellern interoperabel sind. Damit können Drittanbieter von mobilen Applikationen beziehungsweise Leitstellenlösungen, sofern diese dem 3GPP-MCX-Standard entsprechen, ebenso zum Einsatz kommen wie die in der “MissionX”-Systemlösung enthaltenen Applikationen von Frequentis (OnSite, LifeX, Asgard) und dem Kunden ein auf seinen Bedarf zugeschnittenes und passendes technisches Ökosystem bieten. Haslacher: Die Nutzung öffentlicher Funknetze ermöglicht sicherlich, das eigen beherrschte Funknetz weiter zu betreiben und über die Nutzung der kommerziellen Mobilfunkanbieter breitbandige Anwendungen an Bord zu holen. Das bedeutet aber gleichzeitig, sich mindestens für die nächsten zehn Jahre auch potenziell abhängig zu machen von öffentlichen Netzbetreibern. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Datenhaltung, der Datensicherheit, der Datenintegrität, der Datensouveränität und der Interoperabilität, welche ja für TETRANutzer bisher von entscheidender Bedeutung war.

Behörden Spiegel: Erfüllt “MissionX” die entsprechenden Anforderungen?

Haslacher: “MissionX” erfüllt die mit dieser Frage verknüpften Anforderungen. Mittels der vom 3GPP-Standard vorgesehenen integrierten “InterWorking Function” (IWF), einer ServerServer-Schnittstelle für bestehenden Mobilfunknetze, ist die “MissionX”-Plattform auf eine technologieübergreifende sicherheitskritische Kommunikation über 4G/5G mit Bestandssystemen, wie zum Beispiel TETRA, vorbereitet. Gruppen- und Rechte-Vergaben des Bestandsystems können mit “MissionX” logisch verknüpft werden, um während der Migrationsphase eine technologie- und netzübergreifende Kommunikation sicherzustellen.

Behörden Spiegel: Die jüngsten Erfahrungen, etwa bei der AhrFlut, haben gezeigt, dass terrestrische Lösungen nicht helfen, wenn sie weggespült werden. Wie soll Ihre Lösung hier Sicherheit bringen?

Haslacher: Die Satelliten-Rückfallebene und portable Netzwerke sind integrale Bestandteile unserer Lösung für das Projekt “BroadWay”. Wir haben dies bereits Anfang 2021 als Prototyp sowie in der Pilotphase 2022 erfolgreich demonstriert.

Behörden Spiegel: Die Neigung, auf gänzlich neue Technologien zu setzen, ist aufgrund der bevorstehenden Mittelknappheit beschränkt. Hinzu kommt die Frage der Integration des Kernnetzes in neue Systeme und womöglich auch die der Migration von Technologie. Was sagen Sie den Verantwortlichen dazu?

Haslacher: Der technologische Fortschritt ist ja bekanntermaßen nicht aufhaltbar. Die Frage ist nur, wann nutze ich sie für meine Anwendungsfälle. Und wir wissen ja, dass wir mit der TETRA-Technologie eine Technik haben, die in ihrem Konzept seit über 25 Jahren besteht. Jetzt kommen neue geeignete Technologien und man sollte dabei schon die Frage stellen, ob nicht gerade die kritische Kommunikation hier ein Early Adopter sein sollte. Wir glauben, dass es wegen der Kritikalität der Kommunikation hierfür auch Budgets geben wird.

Behörden Spiegel: Welchen Zeithorizont sehen Sie hier?

Haslacher: Es wird sicherlich noch einige Jahre in Anspruch nehmen, bis auch der neue 3GPP-MCS-Standard von allen verstanden und dann auch umgesetzt, ausgeschrieben und implementiert wird. Doch es wird höchste Zeit, darüber nachzudenken.

Zusätzliche Serviceangebote stellen in der technischen Umsetzung für die BOS-Leitstellen gleichermaßen große – nicht nur technische – Herausforderungen dar. Denn: Alle, die, auf welchem Wege auch immer, einen Notruf absetzen, dürfen und müssen darauf vertrauen können, dass ihr Anliegen professionell und schnell bearbeitet wird. Verschiedene Notruftypen sind aber nur ein Beispiel für die zunehmenden Anforderungen an eine Leitstelle. Parallel dazu müssen zunehmend größere Datenvolumen verarbeitet werden (Praxisbeispiel: “Ich schicke ihnen mal ein Video vom Einsatzort!"). Nicht zuletzt verändert sich die Art und Weise der taktischen Einsatzunterstützung – beispielsweise durch sogenannte Intel Officer bei der Polizei, die mit ihrer wertvollen Recherchearbeit und damit verbunden Risikoanalyse unter anderem dazu beitragen, dass dem Aspekt Eigensicherung vor und bei einem Einsatz noch intensiver Rechnung getragen werden kann.

Mehr Zentralisierung?

Doch fest steht auch: Kleinere Leitstellen sind weder technisch noch personell in der Lage, mit der Vielzahl der Entwicklungen Schritt zu halten. Zudem zwingt der spürbar steigende Kostendruck zu alternativen Lösungen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Fachforum “Leitstellen” beim vergangenen Europäischen Polizeikongress in Berlin auf jedenFall schon einmal gut platziert. Fachleute aus der Industrie und IT-Verantwortliche der Behörden nutzten die ins Leben gerufene Plattform gerne für einen intensiven Austausch. Auch in Niedersachen wurde der Ansatz von BOS-übergreifenden Kooperationen bereits diskutiert – allerdings mit bislang überschaubaren Ergebnissen. Aktuell gibt es in Niedersachsen fünf «Kooperative Leitstellen”, also ein räumliches Miteinander von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst unter einem Dach. Ohne Frage: Eine gemeinsame Nutzung von Infrastruktur sowie eine enge taktische Zusammenarbeit bieten Vorteile. Allerdings gibt es auch ungelöste Fragen. So sind es die Modernisierung “abgängiger” Systeme sowie die Zentralisierung des technischen Betriebs der Strukturen bei einer hohen Verfügbarkeit unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit, die noch Kopfschmerzen bereiten. In dem Zusammenhang reden wir auch über Budgets sowie eine zunehmend schwierige Akquise von Fachpersonal – so jedenfalls unsere Erfahrungen im Zuge von Modernisierungsprojekten.

Kooperationen und Standards

“Licht und Schatten” aus Sicht der Projektgruppe “ELS Niedersachsen”

(BS/Verena Paix/Stefan Wächter) Leitstellen sind wichtig – keine Frage. Nicht zuletzt gibt es in Deutschland einen rechtlich begründeten Anspruch darauf, im Falle eines Falles unter den Notrufnummern 110 oder 112 schnelle Hilfe zu erhalten. Auch im Jahr 2022 ist das Notrufsystem zumeist noch darauf ausgelegt, dass Menschen zum Hörer oder Handy greifen, um anzurufen. Doch längst etablieren sich alternative Wege für Hilfesuchende, wie eCall oder die Notruf-App. Mit dem Video-Notruf, auch unter Nutzung von Gebärdensprache, zeichnet sich vor dem Hintergrund einer entsprechenden EU-Verordnung ein weiterer Zugang ab.

Stefan Wächter leitet innerhalb der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen (ZPD NI) das Dezernat, in dem sich neben der Autorisierten Stelle Digitalfunk Niedersachsen (ASDN) auch die zentrale Zuständigkeit für die polizeilichen Leitstellen sowie die sichere mobile Kommunikation (Smartphones, Tablets) der Polizei befinden.

Foto: BS/ZPD NI, ASDN Verena Paix leitet innerhalb der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen (ZPD NI) das Projekt zur Modernisierung der polizeilichen und Kooperativen Leistellen in Niedersachsen in Bezug auf die Einführung eines neuen Einsatzleitsystems (ELS) sowie die Modernisierung des Kommunikationssystems für die Leitstellen.

Foto: BS/ZPD NI, ASDN Keine einfachen Lösungen

Ein möglicher Lösungsweg: noch kostenintensivere technische Lösungen, die ihrerseits ebenso qualifizierteres Expertenwissen im Betrieb erfordern. Kooperationen zwischen Leitstellen könnten ein Ansatz sein, werden aber das Problem zumindest in Niedersachsen nicht umfassend lösen können. Ein anderer Ansatz: die bundesweit zentrale Einführung von Servicestellen (inklusive technischem Betrieb) für viele oder alle Leitstellen wie bei der Notruf-App “nora” in Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister. Selbst noch weiter gehende Kooperationen sind denkbar – beispielsweise ein gemeinsames Dolmetscherzentrum (auch für Gebärdensprache). Ebenso sind bereits gemeinsame Entwicklungen und Betriebsmodelle unter Nutzung des Ansatzes von Künstlicher Intelligenz (KI) im Gespräch – natürlich immer unter dem Fokus der Wirtschaftlichkeit. Egal, ob wir uns für zentrale oder dezentrale Alternativen entscheiden. In jedem Fall braucht es gemeinsame Standards und einen von Gemeinsamkeit getragenen Willen. Eine weitere Fragestellung: Wie gehen wir damit um, wenn Leitstellen auf der einen Seite technisches und personelles Know-how und damit Unabhängigkeit aufgeben sollten, auf der anderen Seite aber weiter für einen reibungslosen Betrieb verantwortlich bleiben? Ein klassisches Dilemma! Oder mit anderen Worten: Einfache Lösungen scheinen nicht in Sicht! Aus unserer, eher technischen, Sicht wäre eine hochverfügbare Lösung mit umfassenden Redundanzen und gut aufgestelltem Betriebspersonal sicher ein zielführender Ansatz. Dazu braucht es auch Kooperationen und einheitliche Standards. Verantwortlichen ist bestimmt schon jetzt bewusst, dass wirtschaftlichen Chancen auch betriebliche Risiken gegenüberstehen. Lassen Sie uns also zum Thema unbedingt intensiv im Gespräch bleiben – die Zeit erfordert schon bald die richtigen Antworten!

An der Schnittstelle zwischen Anwendern, Planern und Herstellern einsatzkritischer Kommunikationslösungen befasst sich der Fachbereich Leitstellen des PMeV ganzheitlich mit den operativen und technischen Herausforderungen der Leitstellen und greift beispielsweise spezifische Themen mit dem Ziel der Standardisierung auf. In Expertenforen arbeiten Lösungsanbieter und Anwender zusammen. Die Herausforderungen für die Notrufleitstellen in Deutschland sind vor dem Hintergrund der technologischen, politischen, ökonomischen und ökologischen Entwicklungen und Ereignisse immens. In Krisenzeiten kommt es entscheidend auf Leitstellen an. Entsprechend vielfältig gestaltet sich die thematische Agenda des PMeV-Fachbereichs Leitstellen für den Zeitraum der kommenden fünf bis zehn Jahre. Wie sieht die nähere Zukunft der Notrufleitstellen in Deutschland aus? Welche Aufgaben und Projekte stehen an? In den letzten Jahren sind zahlreiche Leitstellen in Deutschland

Die Zukunft der Leitstellen

Die PMeV-Agenda der nächsten Jahre

(BS/Oliver Kreuer/Bernhard Klinger*) Leitstellen nehmen innerhalb des gesamten Spektrums der einsatzkritischen Kommunikation eine zentrale Rolle ein. Und ihre Bedeutung wächst weiter. Die Zukunft der Leitstellen gestaltet der PMeV – Netzwerk sichere Kommunikation entscheidend mit.

zusammengelegt worden. Die Konzentration der Leitstellen wird sich fortsetzen. An der föderalen und kommunalen Organisation der Notrufleitstellen wird sich absehbar nichts ändern. Wichtig ist aber eine stärkere Vernetzung der Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Als Beispiel ist hier das Zusammenwirken von Bevölkerungswarnung und Notrufbearbeitung zu nennen. Zugleich steht die weitere Digitalisierung der Verwaltungen mit unveränderter Dringlichkeit an. Ab 2025 müssen die Betreiber der Leitstellen das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz anwenden. Die sukzessive Ergänzung des schmalbandigen TETRA-BOSDigitalfunknetzes durch ein Breitbandnetz stellt die Herausforderung der einsatz- und sicherheitskritischen Kommunikation in den kommenden Jahren dar. Die Interaktion der bestehenden und neuen Systeme ist hierbei eine wesentliche Anforderung. Es steht aber auch eine Vielzahl von weiteren Modernisierungsprojekten der Leitstellen an. So unter anderen: die Umsetzung/ Migration auf das Internet Protocol (IP) für Notrufanschluss und Digitalfunknetz, die videound bildbasierte Nutzung von Multimedia-Anwendungen sowie die Integration von Notruf-App (und weiteren Apps) und Messengern. Die Frage der länderübergreifenden Interoperabilität und einer einheitlichen Schnittstelle dieser Anwendungen ist dabei nicht nur technischer Natur. Ein wesentlicher Faktor der Arbeit in den Leitstellen-Projekten ist der Umgang mit den Anforderungen und Auswirkungen, die sich aus dem Schutzbedarf ergeben, den IT-Sicherheit, BSI-Grundschutz und Datenschutz vorgeben. In der Zusammenarbeit von Anwendern, Planern und Herstellern ist eine einheitliche Optimierung für die Leitstellen anzustreben. Auch haben die Leitstellen in Zukunft die Integration von Anwendungen der Künstlichen Intelligenz vor sich. Dazu laufen bereits Forschungsund Entwicklungsprojekte. Und einige Hersteller bieten Lösungen an. Der wirtschaftliche Druck wird voraussichtlich die Konsolidierung der IT-Plattformen oder die stärkere Nutzung von Cloud-Services wie Leitstelle aus der Cloud/ Funktionen aus der Cloud (SaaS) beschleunigen. Das betriebliche Management der komplexen IT-Systeme stellt die Betreiber vieler Leitstellen vor eine schwierige Aufgabe. Hier gilt es in den kommenden Jahren, die Prozesse und Systeme weiter zu optimieren, um im Spannungsfeld von Komplexität, verfügbaren Ressourcen und Wirtschaftlichkeit den operativen Betrieb sicherzustellen. Und sie müssen weiterentwickelt werden, um beispielsweise Einsatzinformationen und -bearbeitung auf mobilen Smart Devices zur Verfügung zu stellen sowie eine stärkere Einbindung der Sozialen Medien in die Arbeit der Leitstellen zu ermöglichen. Weitere organisatorische Fragen werden die Themen Open Source Intelligence, Drohnensteuerung aus der Leitstelle sowie die Sirenenansteuerung über TETRA aus den Leitstellen aufwerfen. Schließlich gilt auch für die Leitstellenbranche, was für Staat und Wirtschaft generell gilt: Naturkatastrophen häufen sich. Die finanziellen Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine sind mit großen Unwägbarkeiten behaftet. Gleiches gilt für die Energieversorgungssicherheit der Leitstellen. Und auch die Gewinnung von Nachwuchsfachkräften für die Leitstellenbranche stellt eine echte Herausforderung dar. Krisenzeiten erfordern eine erstklassige und leistungsfähige Krisenkommunikation. Um Krisen zu bewältigen, darf nicht bei der Finanzierung von Infrastrukturen und Technologien der Krisenkommunikation gespart werden. Krisenkommunikation ist Prävention und schützt Leben. *Oliver Kreuer ist Vorsitzender des Fachbereichs Leitstellen des PMeV – Netzwerk sichere Kommunikation. Bernhard Klinger ist Vorsitzender des Vorstandes des PMeV – Netzwerk sichere Kommunikation.

Die Alarmierung der dreizehn Kommunen mit 82 Feuerwehreinheiten, fünf Hilfsorganisationen mit 25 Einheiten und 13 Wachen des Rettungsdienstes erfolgt über eine vollkommen neue Infrastruktur. Die Verantwortlichen gingen das Thema mit einer präzisen Netzplanung an, um den Bedarf an digitalen Alarmumsetzern (DAUs) festzulegen. Mit der Projektierung wurde die Swissphone Telecommunications GmbH beauftragt. Bei der folgenden Ausschreibung konnte sich ebenfalls Swissphone gegen die Mitbewerber durchsetzen.

Hohe Redundanz

53 digitale Alarmumsetzer sorgen für die zuverlässige – und selbstverständlich digitale – Alarmierung. Bei Ausfall eines DAUs können die benachbarten Alarmumsetzer dessen Aufgabe übernehmen. Außerdem wurden neben der Leitstelle gleich zwei DAUs installiert, von denen einer als Back-up-System operiert. Der Alarmserver ist ebenfalls redundant ausgeführt. Julian Seeger, Abteilungsleiter der Leitstelle, sagt: “Es gibt immer Rückfallebenen. Wir sind auf alles vorbereitet.” So gibt es zum Beispiel zusätzlich ein mobiles System für die Alarmierung, das aus einem Laptop mit der entsprechenden Software, Alarmumsetzer und Antenne besteht. In der komplett von Swissphone ausgestatteten Leitstelle ist der Touch-DAG-Alarmgeber in die Kommunikationsanlage – das heißt in die Software an jedem Arbeitsplatz – integriert. Eine weitere Besonderheit ist die “technische Quittierung” der Rettungsdienste. Alexander Lentzen, verantwortlich für den Betrieb des Alarmierungssystems, meint: “Die Terminals geben eine Rückmeldung, dass sie Alarm ausgelöst haben. Das gibt uns zusätzliche Sicherheit." Bei der Auswahl der Meldegeräte waren die Kriterien eindeutig. Die Verantwortlichen wollten die modernsten Terminals, die es auf dem Markt gibt. Neben der technischen Quittierung, das heißt einem Rückkanal, war unter anderem auch eine hohe Alarmierungssicherheit wichtig. Dieses Eigenschaftsprofil passt auf die RES.Q-Pager sowie die s.QUAD-Pager von Swissphone, die dank der IDEA-Verschlüsselung außerdem ein hohes Maß an Datensicherheit bieten. Die 2.800 Geräte weisen darüber hinaus eine Besonderheit auf: Über einen Notruftaster kann das Personal des Rettungsdienstes einen “stillen Alarm” auslösen. Seeger erläutert: “Man kann heute nicht mehr ausschließen, dass der Rettungsdienst bei seinen Einsätzen bedroht wird. Deshalb kann jede Einsatzkraft in Not unbemerkt einen Notruf an die Leitstelle absetzen. Die aktuelle GPSPosition des Gerätes wird dabei per Mobilfunknetz übermittelt.”

Aus einer Hand

Schnelle digitale Alarmierung mit Extras

(BS/Clemens Scherzinger*) Der Oberbergische Kreis hat ein innovatives digitales Alarmierungssystem in Betrieb genommen. Die redundante Systemarchitektur mit zentraler Datenverwaltung und zuverlässiger Meldungszustellung wie auch die Melder stammen aus dem Hause Swissphone.

Im Oberbergischen Kreis ist ein innovatives digitales Alarmierungssystem im Einsatz. Foto: BS/Swissphone Fernprogrammierung mit s.ONE Fleet

Eine weitere Option, für die sich die Verantwortlichen entschieden haben, ist die Fernprogrammierung mit s.ONE Fleet. Dazu sagt Lentzen: “Die Schlüsselverwaltung bleibt in unserer Hand und auch die RICs, die so ausgeblendet werden können, dass nur die Administratoren sie sehen. Das erhöht die Datensicherheit. Und die Einsatzkräfte sparen Zeit, weil sie nicht zur Leitstelle kommen müssen, um zum Beispiel Updates oder neue Schlüssel aufzuspielen.” Im Juli 2021 war der Oberbergische Kreis von der Flutkatastrophe betroffen. Das hat die Überlegungen hinsichtlich der Ausfallsicherheit der Alarmierung nochmals verstärkt. Lentzen erklärt: “Unsere DAUs sind mit maximaler Akku-Kapazität ausgestattet und fast alle bieten eine Einspeisemöglichkeit für Notstromaggregate.” Jetzt wird die (autarke) Energieversorgung noch weitergedacht: “Wir überlegen, Brennstoffzellen für ein Rumpfnetz von DAUs anzuschaffen, das bei einem Ausfall des Stromnetzes und anderen Blackout-Szenarien die Alarmierung sicherstellen kann.”

Moderne Gesamtlösung aus einer Hand

Der Oberbergische Kreis verfügt nun über ein hochmodernes und zukunftssicheres Alarmierungssystem, das bestens auf die individuellen Anforderungen abgestimmt ist. Und auch das Tempo der Alarmierung stimmt, wie Lentzen feststellt: “Auf dem vergangenen Anwendertreffen von Swissphone hat sich gezeigt, dass wir im Vergleich mit anderen Leitstellen sehr schnell alarmieren können.” *Clemens Scherzinger ist Leiter Vertrieb bei der Swissphone Telecommunications GmbH.

Behörden Spiegel: Herr Rhein, Sie sind der neue Ministerpräsident des Landes Hessen. Was steht auf Ihrer Agenda? Was wollen Sie bis zu den nächsten Landtagswahlen, die voraussichtlich im Herbst kommenden Jahres stattfinden, noch erreichen?

Boris Rhein: Die Koalition geht mit viel Schwung und sehr viel Dynamik in diese vor uns liegenden Monate. Wir haben noch viel vor. Wir haben viele Ziele. Dazu gehört beispielsweise die Auflage eines Klimaschutzgesetzes. Eines unserer zentralen Ziele muss es sein, mehr für den Klimaschutz zu tun. Dazu gehört unter anderem der Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Behörden Spiegel: Um was geht es Ihnen noch?

Rhein: Wir wollen den Katastrophenschutz in Hessen, der schon sehr gut aufgestellt ist, noch besser machen. Hier geht es uns vor allem um die Reaktivierung von Sirenen und um ein Schutzraumkonzept. Denn diese Räume, die leider in den vergangenen Jahren bundesweit stillgelegt worden sind, gewinnen wieder an Bedeutung. Das zeigt uns aktuell der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Da müssen wir gemeinsam mit dem Bund handeln. Ein weiteres wichtiges Politikfeld für unsere Landesregierung ist die Sozialund Pflegepolitik.

Behörden Spiegel: Was konnten Sie aus Ihren vorherigen Ämtern als Landtagspräsident sowie als Minister in Ihre neue Funktion mitnehmen?

Rhein: Die Ämter, die ich zuvor bekleidet habe, sind beste Voraussetzungen für das Amt des hessischen Ministerpräsidenten. Zumal ich ja auch kommunalpolitische Ämter, als hauptamtlicher Stadtrat in Frankfurt am Main, innehatte. Ich habe also eine große Bandbreite an Aufgaben und Themen kennengelernt, sodass mir verschiedenste politische Bereiche bekannt und vertraut sind.

Behörden Spiegel: Welche Schwerpunkte werden Sie im anstehenden Wahlkampf und dann gegebenenfalls auch in der

Kein Stillstand in Hessen

Ministerpräsident Rhein hat noch viele Punkte auf der Agenda

(BS) Voraussichtlich im Herbst 2023 wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Bis dahin ist noch ein umfangreiches politisches Programm umzusetzen. Darüber spricht Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) im Interview mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellten Uwe Proll und Marco Feldmann.

kommenden Legislaturperiode im Bereich der Inneren Sicherheit setzen?

Rhein: Innere Sicherheit hat für die hessische Landesregierung und die CDU immer höchste Priorität genossen. Wir haben seit 1999 enorme Schritte gemacht. Die Aufklärungsquote von Straftaten ist erheblich gestiegen. Außerdem haben wir deutlich mehr Polizeibeamte auf der Straße und den Etat des Innenministeriums gegenüber 1999 mehr als verdoppelt. Wir werden auch weiterhin einen Schwerpunkt auf die Innere Sicherheit legen, vor allem auch im CyberBereich. Außerdem wollen wir den Einsatz von Technik ausbauen, mit der sich Straftaten im besten Fall verhindern oder zumindest prognostizieren lassen.

Behörden Spiegel: Um was geht es Ihnen noch?

Rhein: Beim Thema Digitalisierung der Polizei werden wir selbstverständlich auch weiter auf die Ausstattung mit Smartphones und Tablets setzen. Ein weiterer Punkt, der mir persönlich ganz besonders am Herzen liegt, ist der Kampf gegen den Missbrauch von Kindern. Hier müssen wir konstatieren, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass sich der Bundesjustizminister in diesem Deliktsfeld der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung verweigert. Ebenfalls wichtig ist uns die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Hier muss man sowohl reaktiv als auch präventiv tätig werden. Wir setzen also weiterhin stark auf den Ausbau der Inneren Sicherheit und damit auf einen starken Staat.

Behörden Spiegel: Erwarten Sie, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Ihre Gegenkandidatin im hessischen Landtagswahlkampf wird?

“Innere Sicherheit hat für die hessische Landesregierung und die CDU immer höchste Priorität genossen.”

Boris Rhein (CDU) ist neuer Ministerpräsident des Landes Hessen. Zuvor war er dort unter anderem Präsident des Landtages sowie Innenminister.

Foto: BS/Hessische Staatskanzlei

Rhein: Ich glaube, das weiß Frau Faeser noch nicht einmal selbst. Und ihre Partei weiß es deshalb auch noch nicht. Ich nehme wahr, dass die hessische Sozialdemokratie in einem Findungsprozess ist. Ich würde mich unwohl fühlen, wenn die CDU vor einer solch bedeutenden Landtagswahl derart unsortiert wäre. Aber das muss die Sozialdemokratie mit sich ausmachen. Ich schätze Nancy Faeser als Person sehr und ich nehme sie genauso wie andere Mitbewerberinnen und Mitbewerber überaus ernst. Aber zunächst muss die SPD ja noch eine Kandidatin oder einen Kandidaten benennen. Ich bin gespannt.

Behörden Spiegel: Braucht es im Bereich der Cyber-Abwehr und -Sicherheit mehr Zentralisierung und stärkere Bundeskompetenzen? Das hatte Frau Faeser ja kürzlich vorgeschlagen?

Rhein: Wir haben es derzeit mit einer Bundesregierung zu tun, die weitgehend aus Ministerinnen und Ministern besteht, die weder Verwaltungserfahrungen haben noch sich in der Lenkung größerer Apparate in den Bundesländern auskennen. Und deswegen will ich den Vorstoß der Bundesinnenministerin genau auf diesen Tatbestand zurückführen. Denn zunächst einmal ist es ja ein diffuser Vorschlag. Uns jedenfalls würde es schon helfen, wenn die Bundesinnenministerin klar darstellen würde, was denn die konkreten Pläne für eine Stärkung der CyberAbwehr und der ITInfrastruktur in Deutschland sind.

Behörden Spiegel: Lohnt diese Diskussion denn?

Rhein: Ja, grundsätzlich können wir darüber diskutieren. Das haben wir in der Vergangenheit ja auch schon in den verschiedensten Phänomenbereichen des Extremismus getan. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern ist immer eine gute Sache. Und die Abstimmung zwischen Bund und Ländern ist auch immer eine gute Sache. Aber wer eine Grundgesetzänderung herbeiführen will, um Angelegenheiten von Ländern abzuziehen, der geht fehl. Das ist nicht notwendig. Denn wir sind gut aufgestellt. Außerdem hat sich unser föderales System an dieser Stelle immer wieder bewiesen. Das sollten wir nicht unnötig infrage stellen.

Behörden Spiegel: Im Gegensatz zur allgemeinen Kriminalität, die in der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) abgebildet wird und die rückläufig ist, steigt die Politisch motivierte Kriminalität (PMK). Woran liegt das und was ist zu tun?

Rhein: Aufgrund der CoronaPandemie werden die politischen Ränder stärker und viele Menschen radikalisieren sich. Das führt zu mehr Politisch motivierter Kriminalität. Es gibt aber sicher noch andere Erklärungsmuster. Aus meiner Sicht braucht es dringend eine gute politische Bildung, um Politisch motivierte Kriminalität effektiv bekämpfen zu können.

Behörden Spiegel:

Es gibt eine heftige Diskussion um Extremisten im Öffentlichen Dienst. Es existieren Überlegungen, sogar Beamte auf Lebenszeit bei bestimmten Anhaltspunkten auf ihre Verfassungstreue zu überprüfen. Wie steht Hessen dazu?

Rhein: Es ist leider nicht auszuschließen, dass sich auch im Öffentlichen Dienst Extremisten befinden. Allerdings kann ich nur davor warnen, gerade unsere Sicherheitsbehörden unter einen Generalverdacht zu stellen. Mindestens 99,9 Prozent unserer Beamtinnen und Beamten verrichten ihren Dienst tadellos und leisten eine großartige Arbeit für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Und das Vertrauen der Bürger – vor allem in die Polizei – ist sehr groß.

Behörden Spiegel: Es gibt heftigen Streit um die Beamtenbesoldung in Hessen. Wie wollen Sie das Problem lösen?

Rhein: Das Bundesverfassungsgericht hat, nachdem der Hessische Verwaltungsgerichtshof einen Vorlagebeschluss gemacht hat, einen Paradigmenwechsel bei der Alimentation der Beamtinnen und Beamten eingeleitet. Dieser wird zu massiven Belastungen des Landeshaushaltes sowie zu einer höchstwahrscheinlich verfassungswidrigen Beamtenalimentation bei uns in Hessen führen. Deshalb werden wir in Kürze ein Gesetz vorlegen, um die Reparaturarbeiten an der Besoldung vorzunehmen. Das sind wir unseren Beamtinnen und Beamten schuldig.

Behörden Spiegel: Ein Problem sind Angriffe auf Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes. Hier gab es in der Vergangenheit wiederholt Verschärfungen im Strafgesetzbuch. Braucht es weitere Verschärfungen oder was ist zu tun?

Rhein: Ich habe mich schon in meiner Zeit als hessischer Innenminister immer für Strafverschärfungen eingesetzt, vor allem für Mindeststrafen. Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass es ganz dringend einen “Schutzparagrafen für Schutzleute” braucht. Hier haben wir – nicht zuletzt aufgrund einer Bundesratsinitiative aus Hessen – schon viel erreicht. Allerdings benötigen unsere Einsatzkräfte noch mehr Respekt. Darüber müssen wir unbedingt sprechen und diesen Respekt auch dringend einfordern. Zudem braucht es eine noch konsequentere Justiz. Hier haben wir in Hessen schon vieles erreicht. Bundesweit besteht aber noch deutliches Verbesserungspotenzial.

Behörden Spiegel: Die Bundesländer werben sich den Nachwuchs gegenseitig ab. Was kann hier unternommen werden?

Rhein: Bei der Beamtenbesoldung existiert ein stark ausgeprägter Wettbewerbsföderalismus. Das macht uns durchaus zu schaffen. Aber kaum bei der Polizei. Denn dort haben wir kaum Nachwuchsprobleme. Und es gibt auch keine massiven Abwanderungen zu Behörden des Bundes. Probleme haben wir allerdings bei der Richterbesoldung, die nach der Besoldungsgruppe R erfolgt. Denn unsere RBesoldung besteht aus weitaus mehr Erfahrungsstufen als beispielsweise die RBesoldung in Bayern. Und das führt dazu, dass ein bayerischer Richter spürbar mehr verdienen kann als ein hessischer Richter. Das führt zu Abwanderungen, gerade in den Grenzregionen. Hier werden wir Abhilfe mithilfe des gerade erwähnten Gesetzes zur Reform der Beamtenbesoldung schaffen.

Seit Jahren wächst der Bevölkerungsanteil älterer Menschen. Allein die Ausgaben der Pflegeversicherung haben sich nach Daten des Bundesgesundheitsministeriums von 20,9 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 50,2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt – ein lohnendes Ziel für Betrugsstraftaten. Dementsprechend nehmen auch die Ermittlungsverfahren wegen Pflegebetrugs massiv zu: Seit Beginn der gesonderten Erfassung 2015 hat sich die Zahl neuer Verfahren bei der Kriminalpolizeiinspektion Leipzig mehr als verdreifacht. Eine Besonderheit bei Ermittlungsverfahren des Abrechnungsbetruges besteht darin, dass diese fachlich enorm komplex sind. Neben den quantitativen und qualitativen Ermittlungsanforderungen müssen die Sachbearbeitenden auch Kompetenzen in verschiedenen Rechtsgebieten haben: Es greift beim Pflegebetrug unter anderem das Sozial, Berufs und Medizinstrafrecht.

Überprüfung bislang nur durch Menschen

Derzeit rechnen Pflegedienste gegenüber den Krankenkassen überwiegend mit Papierunterlagen ab, digitale Beweismittel stehen kaum zur Verfügung. Leistungsnachweise sind dabei die wesentliche Abrechnungsgrundlage bei den Krankenkassen. Sie enthalten Uhrzeiten, Unterschriften und die Zuordnung zu den Leistungen. Gleichzeitig sind Touren und Dienstpläne die organisatorische Basis der Dienste. Diese mit den Abrechnungsdaten zu vergleichen, kann Hinweise auf Betrugsfälle liefern. Diese Überprüfung wird bisher rein von Menschenhand durchgeführt und ist zeit und arbeitsaufwendig, was die Strafverfolgung immens verzögert. Häufig ist deshalb eine voll umfängliche Auswertung aller betrugsverdächtigen Fälle nicht möglich. Das beschränkt oft den Ermittlungsumfang, wodurch der Unrechtsgehalt eines Abrechnungsbetruges im Strafverfahren nicht vollständig abgebildet wird.

PflegeForensik: Software unterstützt Strafverfolgung

Mit Künstlicher Intelligenz gegen Abrechnungsbetrug im Pflegedienst

(BS/Antje Schindler/ Dr. Elisabeth Leoff) Gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft Dresden und der Polizeidirektion Leipzig gehen Forschende des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM gegen Abrechnungsbetrug in der Pflege vor. Sie entwickeln im Projekt “PflegeForensik” eine auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Software. Denn hier gibt es eine hohe kriminelle Energie.

Machine-Learning-Verfahren unterstützt smarte Betrugserkennung

Das Verbundprojekt “PflegeForensik” stellt sich dieser komplexen Aufgabe und wird dabei vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Kernziel ist das Entwickeln von Algorithmen zum automatischen Einlesen und intelligenten Auswerten der Papierberge. Jeder Pflegedienst hat seine eigenen Papierdokumente. Sie werden handschriftlich ergänzt, mal sind es Tabellen, mal Fließtext. Ein automatisiertes Prüfen ist eine echte Herausforderung. Bisher werden die Ergebnisse aus der fallbezogenen Prüfung verschiedener Dokumente manuell in Tabellen übertragen. Mit Bildverarbeitung kann man einiges automatisieren. Sowohl die Struktur als auch die Inhalte lassen sich mit Algorithmen der KI erfassen. So lassen sich etwa Unterschriften finden und den richtigen Mitarbeitenden zuordnen. Die Forschenden am Fraunhofer ITWM entwickeln und implementieren dazu KIAlgorithmen, mit denen die verschiedenartigen Abrechnungsdokumente digitalisiert werden. Die erkannten Inhalte werden dann vom Nutzenden stichprobenartig mit dem Originaldokument verglichen und so wird die Zuverlässigkeit der Algorithmen nachvollzogen. Für die weitere Ermittlung werden die Informationen in eine Ergebnisdatenbank übertragen. Das ermöglicht eine dokumentenübergreifende Analyse. Zum Erkennen von Auffälligkeiten wurden durch die Ermittelnden der Polizei realistische Szenarien und Auswertungen erstellt, die in Ermittlungsverfahren von Interesse sind. Zum Trainieren der KIAlgorithmen wird vom ITWMTeam und der Polizeidirektion Leipzig mit großem Aufwand Datenannotation betrieben. Das heißt: Mehrere tausend Dokumente werden von Menschen erstellt und manuell markiert, um die Algorithmen überhaupt intelligent zu gestalten. Sie werden auch in Zukunft immer wieder mit Daten aus echten Ermittlungsverfahren getestet und verbessert. So wird die KI den Menschen nicht ersetzen, sondern im Prozess unterstützen.

Kriminalhauptkommissarin Antje Schindler (l.) ist Sozialwissenschaftlerin und seit 2010 bei der Kriminalpolizeiinspektion Leipzig als Ermittlerin im Bereich Wirtschaftskriminalität tätig, seit 2013 mit Spezialisierung auf das Deliktfeld “Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen”. Sie hat die fachliche Leitung des Projekts “PflegeForensik” für die Polizeidirektion Leipzig inne. Dr. Elisabeth Leoff (r.) ist promovierte Mathematikerin und stellvertretende Abteilungsleiterin der Abteilung “Finanzmathematik” am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern. Die Wissenschaftlerin leitet zudem das Forschungsprojekt “PflegeForensik”. Foto: BS/privat Software vereinfacht und beschleunigt Arbeit

Ziel des zweijährigen Forschungsprojektes ist es, den Ermittelnden ein SoftwareTool an die Hand zu geben, das hilft, die Betrugsfälle schneller systematisch aufzudecken. Zugleich soll es möglichst einfach zu bedienen sein und gerichtsfeste Ergebnisse liefern. In der Entwicklung werden daher Aspekte wie Datensicherheit, Zugriffsprotokollierung und Nachvollziehbarkeit bereits berücksichtigt. Eine große Herausforderung ist auch die Anpassung an die ITInfrastruktur der Polizei. Um sicherzustellen, dass die Software dort perspektivisch integriert werden kann, ist das Polizeiverwaltungsamt als assoziierter Partner ebenfalls beteiligt. Erste Arbeitsergebnisse ermöglichen bereits jetzt die automatische Erkennung von typischen Tabellenstrukturen und inhalten. Die Auswertungen sind in einem SoftwareDemonstrator umgesetzt. Die Projektfortschritte stimmen zuversichtlich, dass die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden vereinfacht werden kann.

Behörden Spiegel: Inwiefern hilft es Ihnen in Ihrem neuen Amt, dass die SPD im Saarland nun alleine regieren kann?

Reinhold Jost: Einerseits wird es einfacher, weil keine Abstimmung mehr mit anderen Ministerien oder Koalitionspartnern nötig ist. Andererseits nimmt der politische Druck zu, angekündigte Projekte auch tatsächlich umzusetzen. Zumal es jetzt andere wichtige Abstimmungsprozesse gibt, etwa mit einer sehr selbstbewussten SPD-Fraktion im Saarbrücker Landtag. Am Ende geht es aber immer darum, das Beste für das Land und seine Bürgerinnen und Bürger zu erreichen.

Behörden Spiegel: Herr Jost, Sie sind noch recht neu im Amt des saarländischen Innenministers. Welche Reformen sind im Bereich der Inneren Sicherheit in dieser Legislaturperiode geplant?

Jost: In den letzten zehn Jahren in der großen Koalition haben wir für die Innere Sicherheit sowie die Polizei schon einiges geleistet. Wir stellen aber fest, dass sowohl die Struktur als auch die Ausrichtung immer noch unter Fehlern leidet, die an einigen Stellen bereits vor zehn Jahren gemacht wurden. Hier müssen Reformen starten. Zumal es inzwischen Kriminalitätsphänomene gibt, die vor zehn Jahren noch nicht bekannt waren. Das gilt unter anderem für die Verbreitung kinderpornografischen Materials oder Cyber Crime.

Behörden Spiegel: Woran hapert es noch?

Immer das Beste für die Bürger erreichen

Saarlands Innenminister Reinhold Jost über seine Agenda und Ziele

(BS) Reinhold Jost ist der neue saarländische Innenminister. Im Interview mit dem Behörden Spiegel erläutert der Sozialdemokrat sein politisches Programm. Und er spricht über Herausforderungen im Bereich der Inneren Sicherheit. Die Fragen stellten Uwe Proll und Marco Feldmann.

Jost: Wir müssen einen Personalmangel bei der saarländischen Polizei konstatieren. Hier wurde und wird zwar durch verstärkte Neueinstellungen und Ausbildung gegengesteuert, aber das dauert. Das ist kein Spurt, sondern ein Marathon. Wir erstellen darüber hinaus eine Potenzialanalyse für die saarländische Polizei.

Behörden Spiegel: Worum geht es da?

Jost: Ziel ist es, mehr Blau auf die Straße zu bringen. Dadurch sollen die Polizeipräsenz gestärkt und das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger verbessert werden. Außerdem geht es uns darum, die Abbrecherquote bei den Polizeianwärterinnen und -anwärtern zu verringern sowie weitere Berufsgruppen mit entsprechenden Erfahrungen für den Polizeiberuf zu gewinnen. Hier gibt es noch Potenziale, die gehoben werden können. Etwa für Personen mit Mittlerer Reife oder einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung bietet sich eine Fachoberschule für die Polizei an.

Behörden Spiegel: Was ist Ihnen außerdem wichtig?

Jost: Ich kann und will es nicht akzeptieren, wenn Polizistinnen und Polizisten angegriffen werden, sei dies verbal oder körperlich. Hiergegen werde ich weiter vorgehen. Rohheitsdelikte gegen die Kräfte der Blaulichtorganisationen sind nicht zu tolerieren.

Behörden Spiegel: Haben Sie bei der saarländischen Polizei mit vielen Abwerbungen durch andere Polizeibehörden zu tun?

Jost: Natürlich stehen wir auch im Saarland im Wettbewerb zu anderen Landespolizeien sowie der Bundespolizei. Diesen Wettbewerb erachte ich aber nicht als Bedrohung. Hier findet keine Kannibalisierung statt. Wir als Landesregierung sind gefordert, möglichst gute Rahmenbedingungen für unsere Polizistinnen und Polizisten zu schaffen. Hier haben wir bereits nachgesteuert. Es gibt aber immer noch Nachholbedarf.

“Wir müssen einen Personalmangel bei der saarländischen Polizei konstatieren. Hier wurde und wird zwar durch verstärkte Neueinstellungen und Ausbildung gegengesteuert, aber das dauert.”

Behörden Spiegel: Sind Änderungen im Polizeigesetz oder beim Zulagenwesen geplant? Jost: Viele Erwartungen der Polizisten sind berechtigt. Ich kann darüber aber nicht allein entscheiden. Das Finanzministerium hat hier auch ein gewichtiges Wort mitzureden und gibt Rahmenbedingungen vor. Wir als Innenministerium können aber an einigen Stellschrauben drehen. Dazu gehören unter anderem die Beförderungswartezeiten. Hier will ich ab Oktober ein zusätzliches Budget nutzen, um lange Beförderungswartezeiten abbauen zu können. Das Zulagenwesen im Saarland ist in einigen Bereichen gut, in anderen aber noch sehr ausbaufähig. Das müssen wir uns nochmal sehr genau anschauen und nachbessern. Das Zulagenwesen nur zu vereinfachen und zu verschlanken, wäre aber nicht gerecht.

Reinhold Jost (SPD) ist der neue Innenminister des Saarlandes. Zuvor hatte er dort bereits Behörden Spiegel: verschiedene Ministerposten inne. Laut Polizeilicher KrimiFoto: BS/Jennifer Weyland nalitätsstatistik (PKS) hat die Gewalt gegen Einsatzkräfte zuletzt zugenommen. Was ist zu tun? Jost: Es wäre schon einmal hilfreich, wenn angegriffene Polizeibeamte von den Justizbehörden eine Rückmeldung erhielten, was aus dem jeweiligen Verfahren geworden ist. Außerdem dürfen solche Verfahren nicht einfach eingestellt werden, auch wenn wir hier schon in einem guten Austausch mit der saarländischen Justiz sind. Ich finde es aber erschreckend und beschämend, wie einige Teile der Gesellschaft den respektlosen Umgang mit Angehörigen der Blaulichtorganisationen hinnehmen. Hier ist auch die Zivilgesellschaft gefragt. Behörden Spiegel: Wie stehen Sie zu Bodycam und Distanzelektroimpulsgeräten? Jost: Die saarländische Polizei nutzt bereits beides. Wir haben jetzt auch festgestellt, dass es sinnvoll ist, beide Techniken miteinander zu verbinden. Wenn das Distanzelektroimpulsgerät gezogen wird, stellt sich dann die Bodycam scharf. Bei den Körperkameras beschaffen wir zudem derzeit neueste Modelle. Das Distanzelektroimpulsgerät ist für uns ein sehr probates Einsatzmittel.

Behörden Spiegel: Sollte die Kompetenz zur Cyber-Abwehr beim Bund zentralisiert werden?

Jost: Ich hätte keine Probleme mit einer solchen Zentralisierung. Am besten ist es hier aber, im Verbund zu arbeiten. Im Saarland werden wir im kommenden Jahr mit der Ausbildung von Cyber-Kriminalisten beginnen.

Behörden Spiegel: Wie wollen Sie gegen Extremisten in den Sicherheitsbehörden vorgehen?

Jost: Wir sind von Auswüchsen, die es hier in anderen Bundesländern gab, verschont geblieben. Hier hat uns ein gutes Präventions- und Bildungskonzept geholfen. Außerdem ist das Saarland ja ein recht kleines Bundesland. Wir würden also schnell merken, wenn sich verdächtige Personen bei den Sicherheitsbehörden bewerben würden.

Das komplette Videointerview findet sich hier:

“Ich will nicht sagen, dass früher alles besser war”, stellt der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) auf dem Polizeitag in Düsseldorf, organisiert vom Behörden Spiegel und der Gewerkschaft der Polizei (GdP), fest. Dennoch habe eine Radikalisierung stattgefunden. Die Gewalt gehe nur von einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung aus. “Zwischen dem Bürger und der Polizei passt kein Blatt”, so der Innenminister. Die Täter seien eine spezielle Gruppe. Reul sieht mehrere Gründe für eine derartige Radikalisierung dieser Gruppe. So gebe es einen “pervertierten Individualismus”, der sich im besonderen Maße in der Corona-Pandemie Bahn gebrochen hätte. Deshalb sorgt sich der Innenminister vor den erwarteten Protesten im Herbst und Winter. Dem Innenministerium in Düsseldorf lägen derzeit Erkenntnisse vor, dass radikale Gruppierungen eine eventuelle Gasmangellage und die hohen Energiekosten für Proteste gegen den Staat instrumentalisieren wollten. Die Konsequenzen und die Angriffe trügen die Beamtinnen und Beamten vor Ort. Deshalb müsse der Staat dafür sorgen, dass Einsatzvoraussetzungen für die Beamten stimmen. Gerade der Ausstattung misst Reul einen besonderen Stellenwert bei. “Ich tue alles dafür, damit Sie gut ausgerüstet sind”, kündigt der Innenressortchef an.

Die Polizei schafft es nicht alleine

Gewalt gegen Polizeikräfte im Mittelpunkt

(BS/bk) Das Thema ist seit einigen Jahren an der Tagesordnung. Die Frage nach dem Warum steht dennoch immer noch im Raum. Ebenso wird nach einer Lösung gesucht. Die Rede ist von Gewalt gegen Polizeikräfte. In Nordrhein-Westfalen ist man auf die Suche gegangen. Klar ist aber jetzt schon: Es gibt viele Ansätze.

Gefährliche Mischung

Auch Andreas Bialas (SPD), Abgeordneter des Landestages in Düsseldorf, erkennt ebenso als Ursache für den Anstieg der Gewalt gegen Einsatzkräfte “eine überinterpretierte Form der individuellen Freiheit”. Dies sei eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Gerade die Sozialen Medien hätten diese nochmals verstärkt. Dem kann sich Dr. Christos Katzidis, Innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen, anschließen. Die Sozialen Medien trügen dazu bei, Hass und Hetze zu verbreiten. Aber auch der Autoritätsabbau sowie die Überbetonung der individuellen Freiheit bauten Hemmungen ab, Gewalt gegen Staatsbedienstete einzusetzen. Landtagsabgeordnete Dorothea Deppermann (Bündnis90/Die Grünen) hält eine vielschichtige Erklärung für plausibel. Trotz der immer noch hohen Wertschätzung in der Bevölkerung sei eine Distanz zwischen manchen Bürgern und der Polizei entstanden. Diese Lücke müsse wieder mit Vertrauen gefüllt werden. Dies könne über mehr Bürgernähe der Polizei oder einen Polizeibeauftragten für Bürger und Polizei geschehen. Dieser könne mit einem Qualitätsmanager in der Wirtschaft verglichen werden, so Deppermann. Die Landespolitiker sind sich parteiübergreifend einig, dass der Abbau der Gewaltbereitschaft in Teilen der Bevölkerung nur gesamtgesellschaftlich funktionieren kann. “Respekt muss wieder verstärkt vermittelt werden. Auch die Konfliktkommunikation muss erlernt werden”, unterstreicht Michael Mertens, GdP-Landesvorsitzender Nordrhein-Westfalen. “Wir können die Krankheit nicht kurieren, sondern nur die Pflaster aufkleben”, so Mertens zur polizeilichen Arbeit. Der Idee eines Polizeibeauftragten, wie er im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen formuliert wird, kann der Gewerkschaftler nicht viel abgewinnen. Durch diese weitere Kontrollinstanz würde das Vertrauen in der Bevölkerung weiter sinken. Während man wenig Potenzial bei der Polizei selbst zur Änderung des Problems sieht, gebe es durchaus Änderungsmöglichkeiten bei der Justiz. Man müsse nicht den gesetzlichen Rahmen immer mehr erweitern, sondern die Justiz müsse durchsetzungsfähiger werden, sagt Katzidis. Es bringe nichts, wenn Verfahren wegen Angriffen erst sechs Monate oder gar zwei Jahre nach der Tat gestartet werden. Auch der FDP-Politiker Marc Lürbke sagt, dass man eher hier ansetzen müsse. Gerade bei jungen Straftätern sei dies wichtig, damit diese eine unmittelbare Konsequenz erführen.

“Lieber einen Strafantrag zu viel als einen zu wenig”, sagte Polizeipräsident Falk Schnabel. Foto: BS/Klawon

DIGITALER ZOLLTAG 2022

Finanzkriminalität und Organisierte Formen der Schwarzarbeit – Multiple Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden

27. SEPTEMBER 2022 | WWW.DIGITALER-STAAT.ONLINE

Anträge unbedingt stellen

Nicht entschuldigen, aber einordnen möchte Falk Schnabel, Polizeipräsident in Köln. Der frühere Staatsanwalt erklärt: “Staatsanwälte in NRW bearbeiten pro Jahr im Schnitt 453 Verfahren. Amtsanwälte bearbeiten in der gleichen Zeit 1.200 Verfahren. D. h. sie müssen sechs Verfahren pro Tag abfertigen. Sonst saufen die ab.” Dies sei keine Entschuldigung dafür, dass Verfahren wegen Beleidigung oder Angriffen eingestellt würden. Man müsse sich dies aber vor Augen führen, so der Polizeipräsident. Nichtdestotrotz sei es wichtig, bei einem Angriff ein Strafantrag zu stellen. Nur so könne der Umfang der Gewalt sichtbar werden. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) bleibe der Tatbestand "Widerstand gegen die Vollstreckungsbeamte" (Paragraf 113 Strafgesetzbuch (StGB)) immer noch auf hohem Niveau. Im vergangenen Jahr habe es diesbzgl. 8.400 Delikte in NRW gegeben. Dennoch erkennt Schnabel einen Wandel innerhalb der Justiz. Das Denken, dass eine Beleidigung oder ein Angriff zum Beruf des Polizisten dazugehöre, werde abgebaut. Zu diesem Wandel habe auch eine Richtlinie aus dem Jahr 2020 beigetragen. Diese besagt, dass einer Straftat, die zum Nachteil eines Amtsträgers geschieht, im Regelfall eine Anklage folgen muss. Einen Sonderfall stellt in diesem Zusammenhang verbale Gewalt gegenüber Amtsträgern dar. So habe es mehrere Verfahren bis zum Bundesverfassungsgericht (BVerG) gegeben, umzuklären, ob eine Beleidigung gegen Polizeibeamte von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Dies sei nicht so einfach zu bewerten und von Fall zu Fall unterschiedlich. Schnabel zeigt sich dennoch überzeugt, dass ein Strafantrag durch die Behördenleitung besonders wichtig ist. “Es gibt die Nummer 90 der Richtlinie für Straf- und Bußgeldverfahren. Um eine Beleidigung zu verfolgen, braucht es einen Strafantrag. Das kann der vom verletzten Polizeibeamten oder ein Strafantrag vom Behördenleiter sein. Letzterer bewirkt jedoch was anderes”, erklärt Schnabel. Wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren dann einstellen wolle, dann könne sie das nicht so einfach tun, weil die Staatsanwaltschaft der Behördenleitung die Möglichkeit der Stellungnahme geben müsse. Dann gehe die Stellungnahme vom Amts- bzw. Staatsanwalt zum Oberstaatsanwalt, dann zum Behördenleiter. Das sei kein Trick, um den Staatsanwälten ins Handwerk zu pfuschen. “Nehmen Sie Ihr Recht wahr und erinnern Sie notfalls daran, dass es die Nummer 90 gibt, d.h. Sie haben als Dienstvorgesetzter einen Anspruch auf rechtmäßiges Gehör, sollte dort etwas eingestellt werden”, so Schnabel. Dies bringe vielleicht die Justiz dazu, ein weiteres Mal darüber nachzudenken, ein Verfahren einzustellen.

Behörden Spiegel: In Thüringen ist die Zahl der Politisch motivierten Straftaten – erfasst in der PMK – zuletzt massiv gestiegen. Was sind die Gründe? Zeitgleich gab es in der allgemeinen Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) Rückgänge. Wie sind diese Unterschiede zu erklären?

Georg Maier: Es ist wirklich erstaunlich. In der einen Statistik werden historische Höchststande verzeichnet, in der anderen – der klassischen Kriminalitätsstatistik – sind wir fast auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen. Was klassische Kriminalität angeht, ist Thüringen ein sehr sicheres Bundesland. Teilweise war es das schon früher, aber teilweise sind es auch die Früchte unserer Arbeit. Gewisse Deliktfelder – zum Beispiel Wohnungseinbrüche – sind wir sehr fokussiert angegangen. Hier haben wir eine gute Aufklärungsquote. Auch in der Rauschgiftkriminalität haben wir aufgrund der Entschlüsselung der EncroChat-Daten große Erfolge erzielt.

Behörden Spiegel: Und warum ist zugleich die PMK angestiegen?

Maier: Im Gegensatz dazu ist die Politisch motivierte Kriminalität aus verschiedenen Gründen stark angestiegen. Unter anderem fanden im letzten Jahr Wahlen statt, wodurch die politische Atmosphäre stark aufgeheizt war. Es kam zu Politisch motivierten Straftaten wie der Beschädigung von Wahlplakaten. Aber es wäre zu einfach, die PMK nur damit zu erklären. Wir haben es in Thüringen mit neuen, unerfreulichen Entwicklungen zu tun. Es gab sehr viele Corona-skeptische Demonstrationen. Häufi g kam es dabei zu Gewalt. Wir kennen die Anstifter, die dahinterstecken. In der Regel sind es Rechtsextremisten. Diese Verbrechen haben sprunghaft zugenommen. Unsere Demokratie steht unter Druck.

Zwiespältige Entwicklung in Thüringen

Kriminalität hat sich im Freistaat sehr unterschiedlich entwickelt

(BS) In Thüringen hat die allgemeine Kriminalität zuletzt abgenommen. Zugleich haben die Politisch motivierten Taten zugenommen. Woran das liegt, erläutert Landesinnenminister Georg Maier (SPD) im Behörden Spiegel-Interview. Die Fragen stellten Uwe Proll, Marco Feldmann und Benjamin Hilbricht.

“Wir haben es in Thüringen mit neuen, unerfreulichen Entwicklungen zu tun.”

Georg Maier (SPD) ist Innenminister des Landes Thüringen. Er setzt sich für genügend Personal und ausreichend Nachwuchs für die Landespolizei ein.

Screenshot: BS/Hilbricht

Behörden Spiegel: Erwarten Sie einen heißen Herbst? Behörden Spiegel: 2024 wird der Landtag in Thüringen neu gewählt. Was wollen Sie als Innenminister bis dahin im Sicherheitsbereich noch erreichen?

Maier: Wir müssen uns vorbereiten. Ich möchte keine Drohkulisse an die Wand malen. Aber wir merken jetzt schon, dass rechtsextremistische Strömungen versuchen, die Lage zu nutzen. Im letzten Jahr ist es ihnen gelungen, die Menschen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen auf die Straße zu bringen. Dieses Potenzial steht wieder zur Verfügung. Durch den Krieg in der Ukraine steigen die Energiepreise. Die Sanktionen haben Folgen für uns, das ist klar. Es ist entscheidend, dass die schweigende Mehrheit deutlich macht, wofür wir stehen, wofür Deutschland steht. Wir sind solidarisch mit der Ukraine.

Maier: In Thüringen mangelt es in allen Bereichen an Personal. Das liegt an der Demografi e. Jedes Jahr gibt es weniger Berufseinsteiger. Mein Ziel ist, junge Menschen für den Polizeiberuf zu begeistern, sodass wir weiter in der Lage sind, jedes Jahr 300 Anwärterinnen und Anwärter einzustellen. Momentan gelingt uns das ganz gut. Wir haben eine neue Kampagne gestartet. Aber nicht nur der Innenminister, die ganze Politik muss sich hinter die Polizei stellen. Wir müssen den Kolleginnen und Kollegen wertschätzend entgegentreten. Das ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft.

Aktuell, aber nicht neu

Elektroantriebe bei der Feuerwehr

(BS/Wilfried Gräfling) Elektroantrieb in Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr? Ist dies eine aktuelle Fragestellung? Sicherlich, aber keine neue! Im Jahr 1983 war dies genau das Thema meiner Hausarbeit zur Staatsprüfung für den höheren feuerwehrtechnischen Dienst, also bereits vor mehr als 39 Jahren!

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Pferdegespanne durch Fahrzeuge mit eigenem Antrieb ersetzt. Drei verschiedene Antriebsmaschinen standen zur Wahl: Dampfmaschine, Verbrennungs-, Benzin- oder Elektromotor. Der Elektromotor wurde als der sicherste, zuverlässigste und günstigste Antriebsmotor angesehen und kam bei einigen Feuerwehren zum Einsatz. 1902 wurde der erste Automobil-Löschzug mit Elektroantrieb in Hannover in Dienst gestellt. Die geringe Reichweite, das hohe Eigengewicht (Batterien) und die geringe Nutzlast und im Gegensatz dazu die zunehmende Zuverlässigkeit des Verbrennungsmotors führten dazu, dass sich der Verbrennungsmotor durchsetzte. Die letzten batterieelektrischen Feuerwehrfahrzeuge wurden 1939 ausgemustert. Abhängigkeit von Öl reduzieren

Zunehmendes Umweltbewusstsein bei steigenden Erdölpreisen sowie der Wunsch, nicht nur allein vom Primärenergieträger Erdöl abhängig zu sein, führten zu Beginn der 1970er-Jahre zur Entwicklung und Erprobung alternativer Kraftstoff- und Antriebskonzepte. In dem durch das damalige Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) geförderte Projekt “Alternative Energien für den Straßenverkehr” wurden neben Fahrzeugen mit Methanol- beziehungsweise Methanol-Mischkraftstoffantrieb (M 100, M 15) und Wasserstofftechnologie auch Fahrzeuge mit Elektroantrieb erprobt. Vorhandene Personenkraftwagen, Kleintransporter und Busse wurden dabei auf Elektroantrieb umgerüstet. Als Energiespeicher wurden Blei-Säure-Batterien verwendet. Aufgrund der geringen Fahrleistungen konnte sich der batterieelektrische Antrieb nicht durchsetzen. Ein Einsatz in Feuerwehrfahrzeugen war ebenso nicht möglich.

Wilfried Gräfling ist Landesbranddirektor Berlins a. D.

Foto: BS/Berliner Feuerwehr

Es wird Fortschritte geben

Umweltbewusstsein und der Wunsch, von fossilen Energieträgern unabhängig zu sein, sind beim Thema Elektromobilität erneut die treibenden Kräfte. Die Entwicklung bei Personenkraftwagen hat gezeigt, dass Fahrleistungen und Reichweiten von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen aufgrund der fortgeschrittenen Batterietechnik mit denen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor konkurrieren können. Elektrische Antriebe in Nutzfahrzeugen sind noch selten. Es ist aber zu erwarten, dass sich auch hier Fortschritte ergeben werden. Die diesjährige Messe Interschutz in Hannover hat deutlich gemacht, dass sich namhafte Hersteller von Feuerwehrfahrzeugen der Thematik Elektroantrieb in Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr angenommen haben. Prototypen und Studien zeigen, dass dies grundsätzlich möglich ist. Die normativen Anforderungen an Reichweite und Betrieb lassen sich bei batterieelektrischen Fahrzeugen allerdings nur mit einem Verbrennungsmotor als Back-up erfüllen. Eine Herausforderung stellt unter anderem die Bereitstellung der Ladeinfrastruktur dar – insbesondere mit steigender Zahl der elektrisch betriebenen Fahrzeuge.

Wasserstoffantriebe sind sinnvoll

Meiner Einschätzung nach sind Elektroantriebe in Feuerwehrfahrzeugen unter “Normalbedingungen” möglich und insbesondere aus Gründen des Umweltschutzes sinnvoll. Leider haben die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit jedoch gezeigt, dass eine eingeschränkte oder zerstörte Infrastruktur aufgrund von Großschadenslagen, Katastrophen oder kriegerischen Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden kann. Damit wäre auch die Ladeinfrastruktur betroffen. Aber auch dann – oder gerade in diesen Fällen – müssen nicht nur die Fahrzeuge des Zivil- und Katastrophenschutzes, sondern auch “normale” Feuerwehrfahrzeuge funktionsfähig bleiben. Ich sehe nicht, dass dies bei den derzeitigen Konzepten gewährleistet ist und bin den batterieelektrischen Antrieben gegenüber daher sehr skeptisch. Für die Zukunft sehe ich bei den Feuerwehren eher den Einsatz von Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen als Energieträger als sinnvoll an. Bevorratung und Transport bieten gegenüber elektrischer Energie deutliche Vorteile. Es ist gut abzuwägen, welcher Technologie unter Berücksichtigung auch einer “Katastrophenschutzfähigkeit” der Vorzug gegeben werden soll. Behörden Spiegel: Was ist noch zu tun?

Maier: Die zweite große Baustelle ist die Digitalisierung der Polizei. Da müssen höchste Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit gelten. Bis zur Landtagswahl will ich allen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten mobile Endgeräte zur Verfügung stellen, um die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten zu erleichtern.

Behörden Spiegel: Das Programm P20 ist etwas in Zeitverzug. Welche Beiträge kann Thüringen noch zum Programm leisten?

Maier: P20 ist nicht in Zeitverzug. Es ist ein Projekt für ein Jahrzehnt. Wir sind föderal organisiert, aber das darf für die Sicherheit in Deutschland kein Nachteil sein. Umso wichtiger sind die Koordinierung und das gemeinsame Vorgehen. Einzelwege sind die zweitbeste Lösung. Wir müssen die Kompetenzen bündeln. Jedes Bundesland hat im Programm Polizei 2020 unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Thüringen als eines der kleineren Länder setzt auf die Strategie, gemeinsam Kompetenzen zu entwickeln. Das Bundeskriminalamt spielt dabei eine entscheidende Rolle, unter anderem bei der Bekämpfung von Cyber Crime.

Behörden Spiegel: Was wollen Sie erreichen?

Maier: Uns schwebt eine Art “Security as a Service” vor. Das Bundeskriminalamt muss Services bereithalten, auf die die Länder zugreifen können. Außerdem stärkt Thüringen aber auch seine eigenen Kompetenzen, beispielsweise gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Netz vorzugehen. Aber das schließt Kooperation nicht aus. Gerade bei der Digitalisierung sind wir nur gemeinsam stark.

Behörden Spiegel: Sie errichten Wohnungen für Polizeianwärterinnen und -anwärter. Was wollen Sie noch unternehmen, um genügend Nachwuchs für die Landespolizei zu gewinnen?

Maier: Wir bauen Unterkunftsgebäude für unsere Anwärterinnen und Anwärter in unserer Polizeischule in Meiningen. Dazu kooperieren wir mit der Landesentwicklungsgesellschaft. Die LEG baut uns die Unterkünfte sehr kurzfristig und wir mieten sie dann. Teilweise sind es noch Minderjährige, die ihre Ausbildung bei der Polizei anfangen. Es ist meine Pfl icht als Dienstherr, Unterkünfte zu schaffen, die zeitgemäß sind. Früher war die Unterbringung nicht sonderlich wohnlich. Diese Rückstände gleichen wir jetzt mit modernen, energieeffi zienten Gebäuden aus Holz aus. Das wird eine gute Sache.

Behörden Spiegel: Wie steht es um den geplanten Anwärtersonderzuschlag für die Landespolizei?

Maier: Der Anwärtersonderzuschlag kommt. Wir diskutieren zwar noch mit dem Finanzministerium. Das achtet sehr darauf, dass nicht überall im Land Anwärterbezüge erhöht werden, sondern nur dort, wo es erforderlich ist, um junge Menschen zu gewinnen. Aber ich bin zuversichtlich, dass es uns noch fl ächendeckend gelingt. Bisher haben wir nur für den mittleren Dienst eine Vereinbarung über die Erhöhung der Bezüge getroffen, weil dort der Bewerbermangel so groß war. Aber ich setze mich dafür ein, dass wir auch die Bezüge für den gehobenen Dienst erhöhen. Die Bewerberlage darf nicht asymmetrisch werden. Deswegen müssen wir vernünftig bezahlen. Ansonsten wandern unsere jungen Leute in andere Bundesländer ab.

Behörden Spiegel: Die Polizeigewerkschaften fordern weiterhin einen Ausgleich für die geschlossenen Einheiten, um der Einsatzbereitschaft der Kräfte und deren Verzicht auf Freizeitaktivitäten bei Unterbringung am auswärtigen Ort gerecht zur werden. Wie stehen Sie dazu? Behörden Spiegel: Ihr Ministerium ist auch für die Kommunen zuständig. Was wollen Sie hier unternehmen, um dort für noch mehr Sicherheit zu sorgen?

Maier: In den großen Städten in Thüringen gibt es ein gutes Miteinander zwischen den verschiedenen Ordnungskräften. Beispielsweise führen Polizei und Ordnungsamt in Erfurt gemeinsame Streifen durch. Die Frage ist, ob auch die Kreise eigene Ordnungskräfte aufbauen sollten. Im Rahmen der Corona-Pandemie waren die Ordnungsämter mit der Durchsetzung der Maßnahmen teilweise überfordert. Da hat die Polizei im Rahmen der Amtshilfe geholfen. Dennoch bin ich nicht davon überzeugt, dass jetzt jeder Ort eigene Ordnungskräfte braucht. Punktuell mag das Sinn ergeben, aber ich setze darauf, dass die Polizei unterstützend tätig wird, wenn es erforderlich ist.

Behörden Spiegel: Sie sind SPD-Landesvorsitzender in Thüringen: Werden Sie als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl im übernächsten Jahr antreten?

Maier: Das muss die Partei entscheiden. Ich habe ein Angebot gemacht. Ich bin Landesvorsitzender und strebe an, bei der nächsten Landtagswahl als Spitzenkandidat anzutreten. Aber die Entscheidung muss in den Parteigremien fallen. Es ist ein Gebot der Fairness und der Parteiautonomie, dass ich das nicht vorwegnehme. Ich würde mich freuen, wenn ich für die SPD antreten dürfte. Und ich würde mit ganzer Kraft anstreben, für die SPD ein gutes Ergebnis zu holen.

Das komplette Videointerview mit Minister Maier fi ndet sich unter:

Maier: Wir sind schon seit geraumer Zeit in guten Gesprächen, weil die Zulagensystematik die sich über die Jahre verändernde polizeiliche Einsatzlage nicht mehr angemessen berücksichtigt. Man hat verschiedene Zulagen für einzelne, früher die Polizeiarbeit prägende Bereiche. Andere Bereiche, wie die Bereitschaftspolizei, fi nden dagegen weniger Beachtung. Ich will das vereinheitlichen, weil insbesondere die geschlossenen Einheiten im letzten Winter Unglaubliches geleistet haben. Daher strebe ich danach, insbesondere die geschlossenen Einheiten mit einer Zulage auszustatten, die ihren Einsatz abdeckt. Das ist nicht ganz trivial, weil das Finanzministerium mitredet, um die Kosten unter Kontrolle zu halten. Aber ich bin mir hier mit den Gewerkschaften weitestgehend einig.