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Computermodelle zur Visualisierung kommunaler Entwicklungsprojekte nutzen ..........................................................................Seite

Mithilfe der Sitzungen und themenspezifi schen Workshops im SCSF sollen neue Smart-Cities-Handlungsfelder identifiziert und daraus neue Standardisierungsprojekte initiiert werden. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden unter anderem in Impulspapieren der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt (siehe https://www.din.de/ de/forschung-und-innovation/ themen/smart-cities/smartcitiespublikationen). Aus den Aktivitäten des SCSF entstanden mit der DIN SPEC Reihe 913X7 zu Smart Cities (SPEC für englisch “specifi cation”) bisher mehrere Spezifi kationen, die unter anderem ein Referenzarchitekturmodell für eine offene urbane Plattform (DIN SPEC 91357), die Anforderungen an eine integrierte multifunktionale Straßenlaterne (DIN SPEC 91347) oder generell eine Übersicht zu den Handlungsfeldern von Kommunen und der digitalen Transformation (DIN SPEC 91387) beinhalten. Eine Übersicht dieser kostenfrei verfügbaren DIN SPECs steht auf der folgenden Webseite zur Verfügung: https://www.din.de/ de/forschung-und-innovation/ themen/smart-cities/normenund-standards/nationale-normen-und-standards.

Digitaler Zwilling für Städte und Kommunen

Das Thema digitaler Zwilling wird auf internationaler Ebene unter anderem im ISO/IEC JTC 1/SC 41/WG 6 “Digitaler

Erarbeitung der DIN SPEC 91607

Standardisierung des digitalen Zwillings für Städte und Kommunen

(BS/Joachim Schonowski/René Lindner) Das Deutsche Institut für Normung (DIN) betrachtet das übergeordnete Themenfeld Smart Cities bereits seit 2013 intensiv. Die entsprechenden Normungs- und Standardisierungsaktivitäten der relevanten deutschen Normungsgremien werden im Smart City Standards Forum (SCSF) analysiert, koordiniert und teilweise initiiert. Das SCSF als Kooperation der beiden deutschen Normungsorganisationen DIN und DKE (Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik, deutsche Normungsorganisation) ist eine Informations- und Vernetzungsplattform für Akteure aus Kommunen, Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Forschung, die die digitale Transformation von Städten und Kommunen vorantreiben möchten.

Joachim Schonowski ist Principal Business Consultant bei der msg systems ag, Vorsitzender des DIN Smart City Standards Forums und Konsortialführer der DIN SPEC 91607.

Foto: BS/Andreas Lander Organisationen, darunter etwa die Hälfte Kommunen und kommunale Verbände, zusammengefunden, um bis Ende 2023 den Standard zu erstellen.

Technische Interoperabilität

Zwilling” bearbeitet. Die derzeitigen Aktivitäten fokussieren sich aber nur bedingt auf Kommunen, sodass die geplante DIN SPEC 91607 diese Lücke füllen wird. Im Rahmen der Initiierungsphase der DIN SPEC haben sich unter der Steuerung von DIN über 30 Verschiedene Trends und Treiber der heutigen Zeit, wie die digitale Revolution oder der Klimawandel, erfordern eine stetige Anpassung der Lebensverhältnisse im kommunalen Raum. Ein Kernziel der digitalen Transformation von Kommunen soll neben einer höheren Lebensqualität die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks durch einen verbesserten Ressourceneinsatz und geringere Emissionen von Schadstoffen sein. Ein digitales Abbild einer Kommune basierend auf den verschiedenen kommunalen Daten kann bei diesem Ziel helfen. Daher sind Nutzungsszenarien und, wenn möglich, deren Gruppierung Herzstück der DIN SPEC. Die Kommune kann je nach Anforderung und mit Fokus auf Handlungsfelder (siehe DIN SPEC 91387) wie Mobilität, Energie oder Versorgung und durch Verknüpfung der verschiedenen Daten aus unterschiedlichen Blickwinkeln, z. B. Ober- oder unterirdisch, betrachtet werden. Die Visualisierung der verknüpften Daten kann nun nicht nur für eine verbesserte Quartiers- (siehe DIN SPEC 91397) oder Stadtplanung, sondern auch für viele weitere Nutzungsszenarien genutzt werden – z. B. bei der kommunalen Verwaltung oder für Simulationen unter anderem im Versorgungsbereich. Die DIN SPEC soll dabei helfen, einen ganzheitlichen Blick auf das kommunale Ökosystem – gekoppelt mit einer Darstellung für die technische Umsetzung in Form einer auf Standards basierenden Referenzarchitektur – zu bieten. Diese technische Interoperabilität soll die Bildung eines technischen Flickenteppichs sowie System- oder Herstellerabhängigkeiten vermeiden.

René Lindner ist Senior-Projektmanager bei der Gruppe Forschung und Transfer bei DIN und Leiter des Smart City Standards Forums. Foto: BS/René Lindner Nachhaltigkeitsraute: ökologisch, sozial, ökonomisch und technisch

Der digitale Zwilling fußt auf den unterschiedlichsten kommunalen Daten wie Sensordaten der kommunalen Infrastruktur (siehe DIN SPEC 91347) einer intelligenten Kommune, Verwaltungsdaten oder Daten der verschiedenen kommunalen Handlungsfelder. Diese werden in einer offenen, Standard-basierten urbanen Datenplattform in einem System von Systemen zusammengeführt (siehe DIN SPEC 91357). Dabei soll der nationale Standard nicht nur die technische Seite einer Nachhaltigkeitsraute abbilden, sondern auch ökologische, soziale und ökonomische Themen wie die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, Planungsprozesse mit Bürgerbeteiligung oder Betreiber- und Geschäftsmodelle im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufl ogik und Wirksamkeit integrieren. Ein Reifegradmodell soll unter Berücksichtigung verschiedener Parameter und der Gruppierung von Nutzungsszenarien entwickelt werden, um anderen Städten und Kommunen bei der Entwicklung ihrer digitalen Zwillinge als Orientierungshilfe zu dienen. Technologisch soll dies in eine Art modularen Baukasten überführt werden.

Die geplante DIN SPEC 91607 beschreibt damit eine übergreifende Architektur für den digitalen Zwilling für Städte und Kommunen und soll auch international nutzbar sein. Ein Abgleich mit dem Stand der oben genannten europäischen und internationalen Standardisierungsaktivitäten zum digitalen Zwilling fi ndet parallel zur Erstellung der DIN SPEC statt. Die geplante englischsprachige Übersetzung kann daher auch international verwendet werden. Initiiert wurde der geplante nationale Standard durch das BMI-geförderte Projekt “Connected Urban Twins” der Städte Hamburg, Leipzig, München und die msg systems ag. Mehr Informationen zur DIN SPEC 91607 sind unter dem folgenden Link verfügbar: https:// www.din.de/de/forschung-undinnovation/themen/smart-cities/ aktuelles/der-digitale-zwillingfuer-staedte-und-kommunenkommt--859000 .

Digitale Zwillinge bereichern die Kommunen: Sie bieten eine kleine Zeitreise in die Zukunft und visualisieren Themen, die eigentlich unsichtbar sind. Windströmungen und Klimaveränderungen lassen sich damit aufzeigen oder das Ergebnis von baulicher Aktivität. Wie sieht ein Straßenzug mit neuen Gebäuden aus? Wie verändert sich der Verkehrsfl uss, wenn wir die Kreuzung umbauen? Antworten auf diese Fragen werden im digitalen Zwilling virtuelle Realität und damit zentraler Bestandteil für Beteiligung in Planungsprozessen und Grundlage politischer Entscheidungen.

Vom digitalen Zwilling profitieren

Die Stadtverwaltung Herrenberg hat sich 2016 für den digitalen Zwilling entschieden, als sich größere städtebauliche Entwicklungspotenziale in der Kernstadt abzeichneten. Mit dem Höchstleistungszentrum der Uni Stuttgart (HLRS) wurden in Herrenberg durch das Forschungs- und Kooperationsprojekt verschiedene digitale Ansätze eröffnet, um die Auswirkung von stadtplanerischen Entscheidungen transparent zu machen. Drei Jahre später konnte die Bürgerschaft beim städtischen Neujahrsempfang mit einer 3D-Brille in der sogenannten Cave des HLRS – einem kleinen, abgetrennten Raum, der unglaubliche Mengen an Daten und Technik beinhaltet, aber räumlich leicht im Foyer der Stadthalle unterkommt – auf virtuelle Wanderschaft durch ein Herrenberg der Zukunft gehen. Gerade für die Jugendbeteiligung beim Thema Mobilitätsplanung brachte dieses Instrument einen spürbaren Mehrwert. Herrenberg gehört mit Stuttgart bislang zu den einzigen Modellkommunen.Weitere Referenzprojekte werden derzeit angegangen.

Einsatzvielfalt des digitalen Zwillings

In Herrenberg haben Sensornetzwerke und andere digitale Werkzeuge Datensätze gesammelt, um Luftqualität, Verkehrsfl uss und Fußgängerströme im digitalen Zwilling sichtbar zu machen. Auch die Ausbreitung von Emissionen lässt sich im dreidimensionalen Raum, also im Stadtraum, erstellen. Das Höchstleistungszentrum Stuttgart hat hierfür eine App entwickelt, die von Jugendlichen mit sämtlichen Daten befüllt wurde. Die Jugendlichen konnten mit der App Daten sammeln, ihre Stimmungen an unterschiedlichen Plätzen beschreiben und mitteilen, wie sie die Situation empfunden haben. Zusätzlich konnte die App mit Geräuschen oder Bildmaterial befüllt werden. Diese Informationen wurden über den digitalen Zwilling anschaulich und verständlich dargestellt. Kontinuierlich erhalten die Herrenberger Mülleimer, Baumstandorte oder Blumenkästen Sensoren, damit diese Daten ebenfalls für den digitalen Zwilling zur Verfügung stehen.

Virtueller Blick in die Zukunft der Stadt

Computermodelle zur Visualisierung kommunaler Entwicklungsprojekte nutzen

(BS/Susanne Schreiber) “Was wäre, wenn…?” – diese Frage treibt viele Akteure auf kommunaler Ebene um. Stadtplaner und Gemeinderäte, Behördenchefs und Bürgerinitiativen, Projektgruppen und runde Tische bringen gemeinsam Stadtentwicklung voran. Und dabei stoßen sie immer wieder auf ein Problem: Zukunftspläne sind meist abstrakt und wenig anschaulich. Wie aber soll man guten Gewissens Richtungsentscheidungen für die Zukunft einer Stadt treffen, von der man sich kein Bild machen kann? Der digitale Zwilling macht Planungsalternativen im virtuellen Raum greifbar und hilft dabei, dieses Dilemma zu lösen. Laufende Aktualisierung des digitalen Zwillings

Anstehende Projekte

Nur durch aktuelle Daten kann der digitale Zwilling eine korrekte Abbildung der jeweiligen Projekte ermöglichen und bleibt attraktiv. Wichtig ist dafür ein Ansprechpartner in der Kommune, Susanne Schreiber ist die der sein FachwisBaubürgermeisterin der Stadt sen einbringt und Herrenberg. die erforderlichen Foto: BS/Stadt Herrenberg Daten in Zusammenarbeit mit den Fachämtern und den Schnittstellen der Uni Stuttgart und des Höchstleistungszentrums ständig einpfl egt und aufbereitet. Wichtiges Instrument für Partizipation

Digitale Datenströme in Herrenberg

Foto: BS/HLRS

So sieht es innerhalb der Cave des HLRS mit der Präsentation von Herrenberg aus.

Foto: BS/HLRS

Der digitale Zwilling soll insbesondere bei der Überarbeitung der Gestaltungsrichtlinie im Rahmen des vom Bund geförderten Rahmenkonzepts Altstadt eingesetzt werden. Bei diesem Projekt können beispielsweise die Visualisierungen der veränderten Fassaden oder eine potenzielle PV-Pfl icht auf Dächern der Bürgerschaft dargestellt werden. Der digitale Zwilling ist für die Stadt Herrenberg auch ein wichtiges Hilfsmittel zur Planung von Klimaanpassungsmaßnahmen und für das vorausschauende Warnmanagement bzgl. signifikanter Wetterereignisse wie Hitzebelastung oder Flutereignissen. Mit Referenzwetterstationen lässt sich ein 3D-Abbild der Hitze- und Kältebelastung, der Luftfeuchtigkeit und weiterer Parameter wie Wind oder Regenmengen im Kernstadtbereich erstellen. Die Information kann zur Planung von Grünfl ächen, Bäumen, Wasserflächen und Brunnen oder zur Warnung der Bevölkerung genutzt werden. Das Konzept ist beliebig skalierbar, das Messnetz soll mittelfristig in weitere Bereiche der Stadt Herrenberg ausgedehnt werten. Das Messnetz erlaubt es, die Wirksamkeit von Maßnahmen zu prüfen. Eine Verknüpfung mit meteorologischen Modellen zur Verifi zierung ist jederzeit möglich.

Für die Mitmachstadt Herrenberg bietet der digitale Zwilling in Sachen Beteiligung einen echten Mehrwert. Die Visualisierung trägt dazu bei, komplexe Sachverhalte überschaubar darzustellen und abstrakte Konzepte greifbar zu machen. Viele Planungsprozesse erleben das sogenannte Beteiligungsparadoxon. Das Interesse an Beteiligung wird demnach immer größer, je weiter die Planungen vorangeschritten sind und je konkreter und anschaulicher die Themen werden. Leider ist zu diesem Zeitpunkt aber auch der Gestaltungs- und Einfl ussspielraum am geringsten und es kommt zu Widerständen. Die Stärken einer digitalen Mitmachstadt, die Instrumente wie den digitalen Zwilling einsetzt, liegen genau hier: in der Unterstützung frühzeitiger und informeller Beteiligungsformate, die im besten Fall für Transparenz und Akzeptanz sorgen. Lassen Sie sich vom digitalen Zwilling inspirieren und nutzen Sie die Chance der digitalen Weiterentwicklung in ihren Kommunen. Dazu möchte ich Sie ermutigen und stehe als Gesprächspartnerin für interessierte Kommunen gerne zur Verfügung.

Vier Fragen – vier Antworten Interview mit dem Heidelberger Klimabürgermeister, Raoul Schmidt-Lamontain

Foto: BS/Philipp Rothe

Behörden Spiegel: Ein großer Teil Ihrer Aufgaben als Klimabürgermeister ist die nachhaltige Mobilität. Welche Rolle spielt in Ihrer Politik das Fahrrad als emissionsfreies Verkehrsmittel?

Schmidt-Lamontain: Zuallererst setzen wir auf den Umweltverbund. Wie in den meisten deutschen Städten versuchen wir auch in Heidelberg, uns vom Auto beziehungsweise von Verbrennungsmotoren zu lösen. Ein Ziel ist es, die Stadt dabei noch lebenswerter zu gestalten. Dabei setzen wir nicht nur auf das Fahrrad, sondern möchten einen Dreiklang aus Fahrrad, Öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) und Fußverkehr schaffen. Beim Radverkehr sind wir schon auf einem guten Niveau angelangt, Heidelberg ist die “Fahrradhauptstadt des Südens”. Um diesen Status weiter auszubauen, muss eine noch sicherere und komfortablere Infrastruktur geschaffen werden. Vor allem im innerstädtischen Verkehr fungiert das Fahrrad als unser Hauptbaustein – mittlerweile wird es vom Elektrofahrrad fl ankiert. Besonders wichtig ist die Kooperation mit den umliegenden Gemeinden, weil sich mit Pedelecs und Co solche Distanzen gut zurücklegen lassen. Wir arbeiten intensiv daran, ein Radverkehrskonzept zu entwickeln, sodass auch die umliegenden Städte mit Fahrradschnellwegen erreicht werden können. Ich persönlich nutze ein Lastenfahrrad, was das Auto aus meiner Sicht vollumfänglich ersetzen kann. Morgens kann ich die Kinder damit in die Kita fahren, dann zur Arbeit radeln und später im Bedarfsfall einkaufen gehen. Die Transportmenge dieser Räder ist schon beeindruckend.

Push und Pull für die Mobilitätswende

Öffentlicher Raum soll nicht durch parkende Autos geprägt werden

(BS) Das Amt des Klimabürgermeisters gibt es in Deutschland nur zwei Mal. Vor allem Mobilitäts- und Energiethemen stehen vorwiegend auf der Agenda, wenn es darum geht, nachhaltige und klimafreundliche Politik zu betreiben. Im Gespräch mit Paul Schubert klärt der Heidelberger Klimabürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain darüber auf, welche Ziele sich die “Fahrradhauptstadt des Südens” in diesen Bereichen gesetzt hat.

Behörden Spiegel: Die Mobilitätswende hat natürlich auch ihre Nachteile für Bürgerinnen und Bürger. Im Zuge der Parkraumbewirtschaftung gibt es mittlerweile sehr wenig kostenfreie Stellfl ächen für den motorisierten Individualverkehr. Was für Gespräche führt mit man mit Bürgern, die von diesem Wandel enttäuscht sind?

Schmidt-Lamontain: Wenn es um den Stellplatz vor der eigenen Haustür geht, ist die Diskussion meist sehr emotional. Ich kann das gut nachvollziehen, weil wir in den letzten 70 Jahren stark auf das Auto konditioniert wurden – Stichwort “autogerechte Städte”. Die Konfl ikte, die aus diesen unterschiedlichen Zielvorstellungen entstehen, werden auch in der Verkehrsplanung beachtet – dabei geht es auch um soziale Fragestellungen. Wir müssen klären, wie Bürgerinnen und Bürger mitgenommen werden können, die sich den ÖPNV nicht leisten können oder die aufgrund ihres Arbeitswegs oder ihrer Arbeitszeiten weiter auf das Auto angewiesen sind. Daher müssen wir sensibel und gleichzeitig klar kommunizieren, dass niemand den Anspruch auf einen kostenfreien Parkplatz im öffentlichen Raum hat. Der Fokus liegt nichtsdestotrotz darauf, wie die Infrastruktur aufgebaut werden kann, um möglichst vielen Menschen den Umstieg auf den ÖPNV zu ermöglichen. In der Verkehrstheorie gibt es dafür die Push- und Pull-Maßnahmen, die gleichermaßen vorangetrieben werden müssen. Denn es gibt immer noch genug Leute, die das Auto aus reinem Komfort nutzen – da müssen wir den Druck erhöhen – und Menschen, denen der Radverkehr noch zu unsicher ist – ihnen können wir die Angst durch eine sichere Verkehrsplanung nehmen.

Behörden Spiegel: Dennoch werden die Autos ja nicht verschwinden. Wie wird der Parkraum, der aktuell im Zuge der Verkehrsplanung eine andere Nutzung fi ndet, wieder neu eingerichtet?

Schmidt-Lamontain: Natürlich bauen wir nach wie vor Stellplätze für Autos. Beim Gebäudeneubau fordern wir ein, dass diese mittels Tiefgaragen oder Ähnlichem integriert werden. Wie auch immer die Mobilität der Zukunft aussehen wird: Es wird immer einen Anteil an individueller Mobilität geben. Selbstverständlich wollen wir jetzt nicht jeglichen Parkraum in der Stadt abschaffen. Zumal ja auch die individuelle Mobilität der Zukunft – wie auch immer sie aussehen wird – Abstellplätze benötigen wird. Aber: Der öffentliche Raum ist besonders sensibel. Er sollte nicht durch herumstehende Autos geprägt werden. Wir brauchen den Platz, um die Infrastruktur für andere Verkehrsangebote wie Fahrradspuren und Fußgängerwege einzurichten. Wir möchten hier stärker auf Eigenverantwortung setzen, damit Menschen, die sich ein Auto anschaffen, Stellplätze anmieten und nicht darauf setzen, es im öffentlichen Raum kostenfrei zu parken.

Behörden Spiegel: Neben Mobilitätsfragen steht in der aktuellen Situation auch das Energiemanagement auf dem Prüfstand. Heidelberg möchte bis 2030 bei der Fernwärme CO²-neutral werden. Wie wird die Stadt das schaffen? Schmidt-Lamontain: Heidelberg hat eine gute Ausgangsposition und ist bei der Fernwärme bereits jetzt zu 50 Prozent CO²-neutral. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in Heidelberg bei den Power-to-Heat-Anlagen, also Wärmetauschern. Aktuell sind wir bei der Standortplanung für Flusswärmekraftwerke. Im Speziellen geht es hier um Wärmegewinnung aus dem Neckar. Die Stadt Heidelberg ist darüber hinaus Teil eines Pilotprojektes zur Tiefengeothermie im Rheingraben, in dem untersucht wird, ob Heidelberg von der Erdwärme profi tieren kann. Des Weiteren haben wir einen Energiespeicher gebaut, in welchem wir über mehrere Monate Energie – wie in einer überdimensionalen Thermoskanne – aufbewahren können; und auch andere Vorhaben wie Biogasvergärung werden eruiert. Die größten Herausforderungen sind aber die vielen Einzelheizungen, die sukzessive ersetzt werden müssen. Neben der Wärme muss auch der Strom noch grüner werden, der zur Produktion der Wärme notwendig ist. Wir fl ankieren das Ganze mit Photovoltaikanlagen und haben uns einer Gesellschaft mit 20 Stadtwerken angeschlossen, die im ländlichen Raum Strom aus Wind und Sonne für Heidelberg produzieren.

Im Kooperationsprojekt “Connected Urban Twins – Urbane Datenplattformen und Digitale Zwillinge für Integrierte Stadtentwicklung” (CUT) haben sich die Städte Hamburg, München und Leipzig im vergangenen Jahr gemeinsam auf den Weg gemacht, die Entwicklung digitaler Zwillinge für Städte und Kommunen voranzutreiben. Der aktive Wissenstransfer innerhalb des Projektes und die Replikation über seine Grenzen hinaus sind außerdem zentraler Bestandteil des Projektes. Sehen, verstehen und intelligent unterstützen

Digitale Zwillinge für Städte und Kommunen bündeln die vielfältigen Daten einer Stadt auf urbanen Datenplattformen. Ein urbaner digitaler Zwilling ist ein intelligentes und realitätsnahes digitales Abbild der Stadt. Er ist vertrauenswürdig, zuverlässig und kann zur Visualisierung, Auswertung und Simulation von städtischen Prozessen genutzt werden. Komplexe städtische Zusammenhänge werden mit digitalen Zwillingen auch für NichtFachleute nachvollziehbar. So entstehen eine fundierte Basis für den Diskurs, neue Möglichkeiten für die Bürgerbeteiligung und letztlich schnellere und neu durchdachte Entscheidungen in der Stadtentwicklung.

Connected Urban Twins

Digitale Zwillinge für Städte und Kommunen

(BS/Dr. Nora Reinecke) Seit Jahrzehnten werden Daten im städtischen Umfeld erhoben. Die Zusammenführung dieser in urbanen Datenplattformen und digitalen Zwillingen ist als Höhepunkt dieser Entwicklung zu begreifen. Die Chance: fundiertere Planungsentscheidungen in der Stadtentwicklung treffen und diese nachvollziehbarer für unterschiedliche Zielgruppen machen. Daten als Fundament

Für die Entwicklung von digitalen Dr. Nora Reinecke hat Zwillingen ist der die Gesamtprojekt- weitere Ausbau leitung für Connec- der städtischen ted Urban Twins inne. Datenplattformen Foto: BS/privat und Geodateninfrastrukturen elementar. Die zentrale Herausforderung im CUT-Projekt: Die funktionale Ausprägung der Dateninfrastrukturen ist von Stadt zu Stadt verschieden. Eine wesentliche Gemeinsamkeit der drei städtischen Dateninfrastrukturen sind die Prozesse zur Integration von Daten – also wie welche Daten in die urbanen Datenplattformen fl ießen. Mit der

SAVE the DATE

Forum für Kämmerei und Kassenwesen, Beteiligungen, Personal, Organisation und Rechnungsprüfung

Kommunaler Finanzgipfel

14.–15. Juni 2022, GOP Varieté-Theater Bonn

Unter anderem mit:

Robert Scheller, Kämmerer der Stadt Würzburg

Kommunalfinanzen in der Krise: Welche Spätfolgen hat Corona für Kommunen? Dr. Miriam Mikus, Kämmerin und Erste Beigeordnete der Stadt Detmold

Personalführung im Homeoffice: Herausforderung in der Pandemie – Chance für die Zukunft Werner Gatzer, Staatssekretär, Bundesministerium der Finanzen

Corona hat die deutsche Schuldenuhr explodieren lassen – wie geht es weiter?

Fotos (v.l.n.r.): Stadt Würzburg / Katrin Heyer; Stadt Detmold; Bundesministerium der Finanzen / Photothek Der konzeptionelle Ansatz urbaner digitaler Zwillinge

Grafik: BS/Connected Urban Twins

Urban Data Platform Hamburg (UDP_HH) beispielsweise, die der Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung (LGV) betreibt, gelingt es der Stadt Hamburg schon seit vielen Jahren, Datensilos aufzubrechen und Daten verfügbar zu machen. Jedoch gibt es auch Unterschiede in den drei städtischen Datenplattformen, die im Projekt als Potenzial zum Erfahrungsaustausch gesehen werden. Ein Beispiel hierfür ist die bereits etablierte Echtzeitdateninfrastruktur der UDP_HH und das diesbezüglich generierte Wissen, welches mit den anderen Städten geteilt werden kann. Christian Pfromm, Chief Digital Officer der Freien und Hansestadt Hamburg: “Als ein Schwerpunktthema der Hamburger Digitalstrategie soll der digitale Zwilling Eingang in die Verwaltungspraxis fi nden. Unsere Urban Data Platform hat sich als Werkzeug in der Stadtentwicklung dabei bereits bewährt.” Baukastensystem für urbane digitale Zwillinge

Projektes geht davon aus, dass alle verfügbaren Daten über die Stadt, ihre physischen Bestandteile und logischen Strukturen sowie die beteiligten Akteurinnen und Akteure und ihre Prozesse organisiert und verfügbar gemacht werden. Digitale Ressourcen einer Stadt, wie beispielsweise Geobasisinformationen und Fachdaten, bilden die Grundlage für die Erstellung urbaner digitaler Zwillinge (siehe Grafi k). Aus diesen digitalen Ressourcen können nun Instanzen erstellt werden, um Anwendungsfälle und konkrete Aufgaben aus der Stadtentwicklung zu lösen – egal ob es beispielsweise um Wohnräume oder Verkehrswege, Energie- oder Wasserversorgung geht. Es gibt also nicht “den” digitalen Zwilling für Städte und Kommunen, sondern vielmehr ein Baukastensystem. Die modular aufgebauten digitalen Zwillinge sind für die jeweiligen Zielgruppen einfach zugänglich und verständlich aufbereitet. Sie ermöglichen übertragbare Lösungen und Konzepte und fördern die digitale Souveränität einer Kommune. Ein Beispiel für einen instanziierten urbanen digitalen Zwilling ist ein “Planungszwilling”: In diesem können Bauvorhaben innerhalb eines 3D-Stadtmodells simuliert und verschiedene Szenarien verglichen werden. Auch ist es denkbar, dadurch entstandene Veränderungen im Gebäudebestand in andere Instanzen einfl ießen zu lassen, wie beispielsweise eine Instanz zur Hitzeinselsimulation.

Wissenstransfer in andere Städte

Neben der Weiterentwicklung der eigenen urbanen digitalen Zwillinge steht der Wissenstransfer im Mittelpunkt des CUT-Projektes: Die Komponenten der urbanen Datenplattformen und urbanen digitalen Zwillinge sollen konzeptioniert, implementiert und anderen Städten und Kommunen standardisiert als Open-Source-Lösungen zur Verfügung gestellt werden. Als Werkzeug für die integrierte Stadtentwicklung und Beteiligung der Stadtgesellschaft möchte das Projektteam Standards für ganz Deutschland setzen: Die Ansätze des Projektes werden in der durch das CUT-Projekt initiierten DIN-SPEC-Arbeitsgruppe “Digitaler Zwilling für Städte und Kommunen” (DIN SPEC 91607) diskutiert, in der mehr als 30 Organisationen Mitglied sind, darunter 14 Kommunen. Ziel ist es, einen nationalen DIN-Standard für digitale Zwillinge zu erarbeiten. Über Connected Urban Twins

CUT ist ein 2021 gestartetes Kooperationsprojekt der Städte Hamburg, Leipzig und München. Das Konsortium wird für fünf Jahre im Rahmen des zweiten Förderaufrufs zu Smart-City-Modellprojekten des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) gefördert.

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