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Gewitter im Kopf - Epilepsie

Yolo-Team Gewitter im Kopf - Epilepsie

Der Begriff Epilepsie bedeutet auf Deutsch Anfall, abgeleitet von Fall, Sturz, Fallsucht. Heute wird es manchmal noch Anfallsleiden oder auch Krampfleiden genannt.

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Seit dem 16. Jahrhundert ist Epilepsie nachweisbar. Epilepsie bezeichnet eine Erkrankung mit mindestens einem spontan auftretenden epileptischen Anfall, der nicht durch eine aktuell bestehende, erkennbare Ursache (z.B. eine akute Entzündung des Gehirns, einen Schlaganfall oder eine Kopfverletzung) oder einen anderen Auslöser (wie Entzug von Alkohol oder massiven Schlafmangel) hervorgerufen wurde. Ein epileptischer Anfall ist eine Folge plötzlich auftretender, gleichzeitiger elektrischer Entladungen von Nervenzellen im Gehirn, die zu unwillkürlichen stereotypen (gleichartigen) Bewegungs- oder Befindensstörungen führen. Weltweit erkranken ca. 3 bis 5 % im Laufe ihres Lebens (vorübergehend) an Epilepsie. Eine Epilepsie haben meistens Kinder und alte Menschen. Die Krankheit kann nicht geheilt werden. Aber mit Medikamenten kann dafür gesorgt werden, dass die Anfälle seltener werden oder ganz aufhören. Einem von drei Betroffenen helfen die Medikamente nicht.

Diagnose Voraussetzung für die Diagnoseerstellung ist ein hohes Wiederholungsrisiko. Laut Definition liegt erst nach zwei Anfällen im Abstand von mindestens 24 Stunden eine Epilepsie vor. Die Diagnose wird sowohl mit Hilfe der Betroffenen, als auch der Angehörigen oder Dritter, die die Anfälle beobachtet haben, erhoben. Auch bildgebende Untersuchungen gehören in der Regel zur Routinediagnostik. Speziellere Verfahren sind besonderen Fragestellungen vorbehalten. Die Behandlung besteht in der Gabe von anfallsunterdrückenden Medikamenten. In therapieresistenten Fällen kommen auch andere Methoden wie die Epilepsiechirurgie zum Einsatz.

Verlauf

Epileptische Anfälle verlaufen je nach Person und Anfallsart unterschiedlich. Ein großer Anfall beginnt generell mit einem Initialschrei. Der Patient fällt zu Boden und muskuläre Zuckungen breiten sich über den gesamten Körper aus. Das dauert in der Regel ein bis drei Minuten. Es folgt eine kurze Tiefschlafphase. Die Betroffenen können sich an den Anfall nicht erinnern. Manche Menschen sind in den Stunden nach einem Anfall erschöpft und schlafen dann sehr viel. Andere Menschen sind nach wenigen Minuten völlig wiederhergestellt und können zum Beispiel wieder ihrer Arbeit nachgehen oder am Schulunterricht teilnehmen.

Folgen Epilepsie hat Auswirkungen auf das Alltagsleben, wie die Nicht-Eignung für bestimmte Berufe, z.B. Dachdecker, Koch, Bus/ Taxifahrer, Tauchlehrer. Der Führerschein ist erst nach einem vollen anfallsfreien Jahr möglich. Es kann auch zu depressiven Beschwerden, Vergesslichkeit, Sprachstörungen oder Lähmungen kommen, die aber wieder vorübergehen.

Gewitter im Kopf - Epilepsie

Wie leiste ich Erste Hilfe?

Ja, bitte!

 Ruhe bewahren!  Beobachte den Anfall und schau auf die

Uhr  Bei einem großen Anfall den/die Betroffene/n vor Verletzungen schützen. Etwas

Weiches unter den Kopf der Person legen, z.B. Jacke, Tasche  Nach dem Anfall in die stabile Seitenlage bringen  Die Person nach dem Anfall ansprechen um die Bewusstseinslage zu prüfen, z.B.

Frage nach Namen, Ort oder Datum  Die Person wenn nötig ausruhen lassen

Nein, danke!

 Nichts zwischen die Zähne stecken  Verkrampfungen nicht mit Gewalt lösen  Zuckende Gliedmaßen nicht festhalten

Wenn ein epileptischer Anfall länger als fünf Minuten dauert, ist unter der Nummer 112 der Notarzt zu verständigen.

Fotos: Yolo-Team

Tanja Doritsch, Epilepsiefachberaterin i.A., vom Institut für Epilepsie, im Gespräch mit Yolo

Tanja Doritsch beim Interview

Erzählen Sie bitte etwas über das Institut für Epilepsie.

Das Institut für Epilepsie wurde vor zehn Jahren gegründet. Wir haben heuer Jubiläum. Wir haben hier mehrere Projekte. Zum einen haben wir eine Epilepsie Beratungsstelle, in der sich alle Hilfesuchenden, Ratsuchenden zum Thema Epilepsie an uns wenden können, seien es Kinder, Jugendliche oder Schulen. Wir arbeiten mit allen zusammen. Zum anderen gibt es ein Projekt, das sich »Leben mit Epilepsie in der Arbeitswelt« nennt. Wir bieten Arbeitsassistenz an. Wir unterstützen bei der Arbeitssuche, Arbeitsplatzsicherung und alles was irgendwie mit Epilepsie und Arbeit zu tun hat.

Was genau ist Epilepsie? Wie entsteht sie und warum?

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung. Es ist die häufigste neurologische Erkrankung weltweit. D.h. Epilepsie ist eine Erkrankung des Gehirns. Ich gehe jetzt nicht zu sehr ins Detail, aber es ist auf jeden Fall eine Schädigung und es sind Nervenzellen, die sich entladen. Dadurch entsteht ein Epileptischer Anfall.

Wie kann man Epilepsie feststellen?

Es gibt unterschiedliche Methoden wie man Epilepsie feststellen kann und man spricht nach einem epileptischen Anfall noch nicht gleich von Epilepsie. Es müssen zwei Anfälle auftreten, damit man die Diagnose stellen kann.

Was kann Anfälle auslösen?

Epilepsie ist eine Krankheit, die man nicht pauschalisieren kann. Das heißt, man muss sich jeden Einzelnen anschauen. Jeder hat andere Auslöser. Epilepsie ist eine Krankheit, die unterschiedlich ausschauen kann. Die meisten von uns kennen den Epileptischen Anfall mit Krampfen und Zucken. Das ist aber in der Tat gar nicht so häufig. Die Absencen-Epilepsie (das ist zum Beispiel wie Narrenkastel schauen) dauert nur ein paar Sekunden, das ist viel häufiger. Dementsprechend sind auch die Anfallsauslöser anders. Was bei dem Einen durch zu viel Alkohol oder zu wenig Schlaf ein Anfallsauslöser sein kann, kann beim Anderen aber, wenn er zum Beispiel Cola trinkt, ein Anfallsauslöser sein.

Welche Verletzungen können bei einem Epileptischen Anfall vorkommen?

Je nachdem welche Art von Epilepsie ich habe, können auch unterschiedliche Verletzungen auftreten. Bei einer Absencen-Epilepsie z.B. entstehen gar keine Verletzungen, weil man da nicht immer stürzt. Von einem »Grand Mal-Anfall« spricht man, wenn ein großer Anfall mit Zucken, Krampfen und Sturz vorkommt. Dabei können natürlich Verletzungen passieren. Zum Beispiel, dass man sich beim Sturz den Kopf verletzt, weil man am Boden aufschlägt. Aber das muss nicht immer so sein.

In welchem Alter tritt Epilepsie auf?

Epilepsie kann im jedem Alter auftreten und es ist unabhängig vom Geschlecht, von der Herkunft, von der Sozialen Schicht. Epilepsie kann uns alle immer und jederzeit treffen. Es gibt da auch keine richtig und falsche Antwort und kein bestimmtes Alter.

Welche Medikamente werden eingesetzt?

Das ist auch wieder unterschiedlich. Es gibt über 20 verschiedene Anti-Epileptika mit verschiedenen Wirkstoffen, die man bei Menschen mit Epilepsie einsetzt. Kommt immer darauf an welche Art von Epilepsie ich habe, welche Region im Gehirn betroffen ist. Bei den meisten kann man mit Medikamenten die Krankheit sehr gut einstellen.

Gibt es für Menschen mit Epilepsie Einschränkung, etwa beim Führerschein oder in der Arbeit?

Ja, die gibt es. Es gibt eine genaue Führerscheinregelung bei Menschen mit einer Epilepsie. Das hängt davon ab, wie viele und welche Anfälle sie vor allem haben. Es gibt eine gesetzliche Bestimmung dazu. In der Regel muss ein Jahr anfallsfrei sein. Aber das hängt auch wieder von mehreren Faktoren ab: Ob das ein provozierter oder unprovozierter Anfall ist, es spielen mehrere Faktoren zusammen. Auch beim Arbeitsplatz ist das so. Es kommt immer drauf an, wie der Anfall ist, wie die Person stürzt oder was die Person bei einem Anfall macht. Kann die betreffende Person den Beruf überhaupt ausüben, den sie gerade macht. In den meisten Fällen geht es ganz gut, aber dazu muss man genau wissen was bei einem Anfall passiert. Das machen wir auch im Projekt am Institut für Epilepsie. Es gibt einen Fragebogen, wir schauen uns gemeinsam an, was bei einem Anfall passiert und ob man diesen Beruf ausüben kann. Wenn nicht, finden wir Alternativen, welchen Beruf man mit dieser Art von Anfällen machen könnte.

Gewitter im Kopf - Epilepsie

Wie soll man reagieren, wenn jemand einen epileptischen Anfall hat?

Das ist auch wieder von der Anfallsart abhängig. Bei jemandem, der zum Beispiel nur Absencen hat und ganz kurz weggetreten ist, muss ich nicht die gleiche Erste Hilfe leisten, wie bei einem Grand Mal-SturzAnfall. Wenn wir davon ausgehen, dass die Person einen Sturzanfall hat, dann ist das Erste was ich mache, Ruhe zu bewahren. Nicht gleich in Panik zu geraten und ganz wichtig ist es, auf die Uhr zu schauen. Am besten mit Sekundenzeiger oder die Stoppuhr am Handy einstellen. Ich komm gleich dazu, warum das so wichtig ist. Und man muss natürlich schauen, wenn die Person stürzt, dass sie sich nicht verletzt, also alle Gefahrenquellen irgendwie einzudämmen, z.B. dass keine spitzen Gegenstände in der Nähe sind. Wenn die Person eine Brille hat, sollte man die Brille abnehmen. Der Kopf sollte nicht auf den Boden aufschlagen, wenn die Person krampfend am Boden liegt. Man soll etwas Weiches unter den Kopf geben, Jacke, Tasche, Polster. Wenn nichts da ist, kann ich die eigenen Oberschenkel unterlegen. Was ich nicht machen darf, ist die Person festhalten und versuchen die Verkrampfungen zu lösen. Ich darf auch nichts in den Mund stecken, keinen Keil, weil sich die Person daran verletzen könnte oder man gebissen wird. Warum ich das mit der Uhrzeit gesagt habe: Nach drei Minuten soll, wenn ich nicht weiß, dass die Person Epilepsie hat, die Rettung gerufen werden. Wenn bekannt ist, dass die Person ein Notfall-Medikament hat, muss dieses verabreichen werden. Deshalb ist es ganz wichtig, auf die Uhr zu schauen. Das ist nicht immer ganz so einfach, bei dem Stress. Der erste Anfall, bei dem man dabei war, ist immer auch ein bisschen schockierend und schaut nicht schön aus. Aber trotzdem, Ruhe bewahren! Wenn man aber weiß, dass die Person Epilepsie hat und dass der Anfall nach einer Minute wieder aufhört, braucht man keine Rettung rufen.

Wie wirkt sich die Epilepsie auf den Körper aus?

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, aber es sterben keine Nervenzellen beim Anfall ab bzw. nur ganz wenige. Viele glauben, dass ganz viele Nervenzellen bei einem Epileptischen Anfall absterben. Das ist aber nicht der Fall. Natürlich, bei einem Epileptischen Anfall mit Zucken und Krampfen kann es schon dazu kommen, dass die betroffene Person am nächsten Tag Verspannungen und Muskelkater hat, weil es doch sehr anstrengend sein kann und für den Körper eine Belastung ist.

Welchen Einfluss hat die Ernährung auf Epilepsie?

Ich würde sagen, eine gesunde und ausgewogene Ernährung ist für alle Menschen wichtig. Es kann aber sein, dass bei jemandem, der Epilepsie hat, wenn der eine Tomate isst, das anfallsauslösend sein kann. Aber diese Wahrscheinlichkeit ist sehr gering. Menschen mit Epilepsie können und sollen sich ganz normal ernähren. Was es gibt ist die »ketogene Diät«. Das ist eine Therapieform, die bei speziellen Epilepsieformen angewendet wird. Diese Diät ist auf Fette basierend. Die Leber produziert Ketonkörper aus Fettsäuren. Diese Diät wird im Krankenhaus genau mit Ärzten besprochen. Es gibt einen Ernährungsplan, an den man sich strikt halten muss. Man muss speziell darauf achten, dass man alles zu sich nimmt, was in diesem Ernährungsplan vorgesehen ist und man darf nichts weglassen oder nicht zu viel essen, weil sonst bringt die ganze Diät nichts. Aber wenn man sich wirklich streng an die Diät hält,

dann führt das zu guten Erfolgen. Man kann damit die Anfälle tatsächlich sehr vermindern.

Was sind die häufigsten Mythen und Irrtümer über Epilepsie?

Ich glaube, der häufigste Mythos ist, dass Epilepsie eine Geisteskrankheit ist. Das stimmt so überhaupt nicht! Das ist noch von früher, als man sich nicht erklären konnte, warum die Menschen plötzlich ganz anders reagierten. Was auch ein Mythos ist, dass alle glauben, dass Epilepsie mit Sturz und Krämpfen einhergeht. Das stimmt nicht, es gibt wirklich sehr viele unterschiedliche Formen von Epilepsie. Viele verlieren auch gar nicht das Bewusstsein, das hängt immer davon ab, in welcher Hirnregion der epileptische Anfall vorkommt. Es kann auch sein, dass zum Beispiel, wenn man nur mit einer Hand zuckt, das auch schon ein epileptischer Anfall ist, während man aber ganz normal weiter spricht. Die wenigsten wissen, dass Epilepsie ganz viele Erscheinungsformen hat.

Kann man Anfälle vorbeugen?

Wenn man weiß, was der Anfallsauslöser bei der betreffenden Person ist, dann kann man natürlich Vorsichtsmaßnahmen treffen. Wenn ich weiß, dass ich genügend Schlaf brauche, weil ich sonst gleich einen epileptischen Anfall bekomme, dann muss ich schauen, dass ich genügend Schlaf bekomme. Oder bei manchen ist Stress oder Alkohol der Anfallsauslöser, dann muss ich schauen, dass ich vielleicht nicht so viel Stress habe und Alkohol vermeide. Je nachdem was für die betroffene Person Anfallsauslöser ist, kann ich das vermeiden. Aber nicht alle haben das. Ganz viele wissen nicht, was ein Anfallsauslöser ist. Dann ist es natürlich schwierig, dagegen zu steuern.

Welche Entspannungsmethoden können helfen?

Es gibt einen Akupressurpunkt, der ist zwischen der Nase und den Lippenbändchen, da kann man mit dem Nagel vibrierend drauf drücken. Man kann das tun, wenn man bei einem epileptischen Anfall dabei ist. Das kann einen Anfall unterbrechen, oder schneller beenden - kann sein, muss aber nicht. Das ist wie mit Akupunktur, bei manchen hilft sie sehr gut. Ich kann nichts falsch machen dabei, im schlimmsten Fall hilft es halt nicht. Andere Entspannungsmethoden muss jeder für sich selbst heraus finden. Das kann meditieren sein was einem gut tut, generell eben weil man schon ein bisschen sagt, dass viele Anfälle auch häufig auftreten in Kombination mit Stress. Es ist immer gut, wenn ich da ein bisschen was mache, damit mein Stressgefühl gemindert wird. Vielen Dank für das Gespräch! 

Das ganze Gespräch gibt es in einer unserer nächsten Sendungen auf »RadioUnerhört«

Das Yolo Team mit Frau Doritsch (rechts) im Institut für Epilepsie in Graz

Infobox

Institut für Epilepsie

Rat, Hilfe, Fragen rund um Epilepsie Adresse: Ger o r g ig a s s e 1 2 , 8 0 2 0 Gr a z Telefon: 0664 /60 177-4110 E-Mail: o ffic e @in s titu t-fuer-epilepsie.at Homepage: in s titu t-fuer-epilepsie.at

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