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Voraussetzungen und Grundlagen

Voraussetzungen und Grundlagen

Die Landesarchäologie Brandenburg ist sozusagen im ehemaligen »Zentrum des Bösen« tätig, wo sich im Umkreis der Reichshauptstadt alle Arten von Zwangslagern, aber auch die Überreste des Krieges und der Zeit unmittelbar danach konzentrieren. Sie hat daher eine besondere Verantwortung für diese Denkmäler wahrzunehmen.17

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Im heutigen Land Brandenburg lagen gleich zwei große nationalsozialistische Konzentrationslager, nämlich Sachsenhausen bei Oranienburg und Ravensbrück bei Fürstenberg/Havel. Zu diesen beiden Lagern wurden nach und nach insgesamt über 100 Außenlager angelegt.18 Sie wurden offiziell seit 1959 bzw. 1961 Gedenkstätten der NS-Verbrechen. Nach der Wende sind hier – meist veranlasst durch gestalterische Maßnahmen – jeweils größere Untersuchungs-, Forschungs- und Restaurierungsprojekte auf dem Gedenkstättengelände durchgeführt worden, zunehmend auch mit Methoden und Fragestellungen der archäologischen Disziplin.19 Noch vor etwa 25 Jahren spielte die Archäologie im Zusammenhang mit der Erforschung von NSHinterlassenschaften fast keine Rolle. Mittlerweile aber, nach einer ganzen Reihe erfolgreicher Ausgrabungen in ehemaligen Lagerarealen (nicht nur) in Brandenburg, ist die Archäologie integraler Bestandteil der Forschung geworden.20 Eine analytische Zusammenschau des dabei Erreichten steht noch aus, sowohl auf Bundes-, als auch auf Landesebene, und kann auch an dieser Stelle nicht umfassend geliefert werden. Interessant ist aber auch, die Reaktionen der Öffentlichkeit auf dieses neue Thema zu verfolgen.21

Generell ist nicht damit zu rechnen, dass zeitgenössische Dokumentationen aller Änderungen, Erweiterungen und Neubauten, die an den ehemaligen Lagern vorgenommen wurden, aufbewahrt wurden oder überhaupt existierten. In vielen Fällen, insbesondere bei temporären Bauten, sind sie gar nicht dokumentiert worden, und gerade deswegen kann die Archäologie hier entscheidende Erkenntnisse bringen. Zwar existiert umfangreiches schriftliches Quellenmaterial, das über die Vorgänge und Verbrechen der NS-Zeit gut informiert. Tatsächlich aber herrscht ein ausgesprochener Mangel an Schriftquellen, Karten, Plänen und Bildmaterial, vor allem an Bauakten, welche die Errichtung und Existenz der Lager betreffen.22

Viele Dokumente wurden von den Tätern 1945 in letzter Minute zerstört; aus Bewusstsein der Schuld, zur Geheimhaltung und Verschleierung wurden Papiere und Akten vernichtet und stehen als historische Quellen nicht mehr zur Verfügung. Die Alliierten haben schriftliche Quellen als Beweismaterial sichergestellt, die der zeitgeschichtlichen Forschung bis heute nicht komplett zur Verfügung stehen. Die Betriebsarchive der beteiligten Konzerne werden nur selten der Forschung zugänglich gemacht, und die mündlichen Quellen sind nur ein kleiner und sehr subjektiver Bruchteil der Gesamtgeschichte. Der archäologische Befund muss also zum Sprechen gebracht werden, und bei Untersuchungen an Lagerstandorten in Brandenburg wurden z.B. immer wieder Unterschiede zwischen den zeitgenössischen Plänen und der konkreten Bauausführung in den archäologischen Ergebnissen dokumentiert.

Da in Brandenburg aufgrund der Nähe zur damaligen Reichshauptstadt Berlin die Dichte derartiger Spuren mit Denkmalcharakter außergewöhnlich groß ist, hat sich die brandenburgische Bodendenkmalpflege im Laufe der 1990er Jahre der zunächst völlig neuartigen Aufgabe gestellt und sich mittlerweile in Deutschland eine gewisse Vorreiterrolle beim spezifischen Umgang mit dieser Denkmalgattung sichern können.23

Ein Denkmalschutzgesetz (von 1991, das erste in den neuen Bundesländern) ohne zeitliche Begrenzung der Denkmale ermöglicht (und erfordert!) es, im Zusammenhang mit der Führung der Denkmalliste als Aufgabe des Fachamtes, alle zur Kenntnis gelangenden Lagerstandorte als Bodendenkmale abzugrenzen und auszuweisen. In Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen kann man angesichts der Vielfalt dieser Denkmalgattung, deren Erforschung noch am Anfang steht, das ganze Potential des historischen und archäologischen Methodenspektrums nutzen, um die vielen komplizierten Aspekte des NS-Lagersystems zu erforschen – auch, um die Ergebnisse der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Die Orte des Unrechts, um die es hier geht, sind als Untersuchungsobjekte nicht »neutral«, sondern bergen Konfliktpotential durch die Einbindung verschiedener Interessengruppen

Abb. 2 Karte Bodendenkmale des 20. Jh. (S. Schwarzländer AIDZ BLDAM)

(Denkmalpflege, Gedenkstätten, Eigentümer, Investoren, gesellschaftliche Gruppen wie z.B. Opfer- bzw. Hinterbliebenenvereine; vgl. Abb. 5). Für eine Institution wie das Landesamt spielt ihr politischer Charakter eine nicht unwesentliche Rolle, gerade ihr Charakter als »Opferorte« macht es dem Fachamt derzeit leicht, sie unter Schutz zu stellen – hier wird niemand widersprechen, um nicht Beifall »von der falschen Seite« zu bekommen. Im Gegenteil – häufig verspüren im heutigen Brandenburg Gemeinden und ihre Bürger einen gewissen Legitimationsdruck, sich »gegen rechts« zu positionieren, und begrüßen die Ausweisung entsprechender Bodendenkmale in ihrer Funktion als Erinnerungsort.24

Notwendig und nützlich ist es, durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit die Bedeutung zeitgeschichtlicher Komplexe, die mit Krieg und Terror verbunden sind, für die Landesarchäologie stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Immer noch werden z.B. wertvolle Informationen zu Lagerstandorten nicht an das zuständige Fachamt weitergeleitet, weil Privatpersonen, Vereine oder Institutionen – bei ihrem lobenswerten Bestreben, so schnell und so viel wie möglich Gedenkorte zu schaffen25 – sich nicht darüber im Klaren sind, dass diese Orte auch Belange der Landesarchäologie und der Denkmalpflege berühren.

Dabei ist immer wieder festzustellen, dass überall dort, wo mit archäologischen Methoden zeitgeschichtliche Kenntnis- und Forschungslücken geschlossen und Unsichtbares sichtbar gemacht wird, neue Fragen formuliert werden.26 Neben der wissenschaftlichen Relevanz stellt sich sofort auch eine öffentliche Wahrnehmung ein, die über die der »normalen ur- und frühgeschichtlichen Archäologie« weit hinausreicht.

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