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Die militärische Vergangenheit

In Deutschland kann man über die eigene Vergangenheit als Volk oder Nation nicht so entspannt reden, wie das bei anderen Nationen der Fall ist. Angesichts der wenig rühmlichen deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwundert das nicht.

Nicht nur in Deutschland, sondern in sehr vielen der heute auf der Weltkarte verzeichneten Staaten spielten Gewalt und Krieg eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Ausgestaltung des Gemeinwesens und seiner politischen Kultur. Die Ereignisse selbst können weit zurückliegen oder nur wenige Jahrzehnte. In den jeweiligen Kollektiverinnerungen der meisten Staaten im heutigen Europa nehmen häufig auch ins Mythische verklärte Ereignisse oder Figuren der Vergangenheit einen zentralen Platz ein. In Frankreich etwa ist das Jeanne d’Arc und ihr Kampf um die Unabhängigkeit des Landes vom englischen Königshaus Lancaster. Blutige Gewalt durchtränkt in aller Regel solche Gründungs- und Festigungsmythen. Sie sind, ebenso wie einschneidende kollektive Kriegserlebnisse in der Vergangenheit – vor allem Siege, aber zuweilen auch Niederlagen –, wesentlich für die Konstruktion der eigenen Geschichte. Mitbestimmt wird diese durch die Erzählungen der Historiker, die ihrerseits nicht immer unbeeinflusst bleiben vom politischen Tagesgeschehen.

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Eine Bilanz dessen, was aus der Vergangenheit für die politisch-militärische Kultur der deutschen Demokratie und speziell für die Bundeswehr erkennbar von Belang ist, fällt zwiespältig aus. Keineswegs gehören alle militärischen Traditionen in den historischen Giftschrank. Auch in der Geschichte Deutschlands und seiner politischen Vorläufer stößt man auf Staatsklugheit, gediegenen militärischen Professionalismus und militärstrategische Intelligenz. Zugleich jedoch findet sich auch das Gegenteil: politische und militäri- sche Kurzsichtigkeit und Borniertheit, Rücksichtslosigkeit und Fahrlässigkeit militärischer Vorgesetzter gegenüber ihren Untergebenen, uniformierter Hochmut und Verbrechen gegenüber Zivilisten.

Im Grunde sind alle politisch-militärischen Bilanzen, gleichviel um welches Land es sich handelt, zwiespältig. Die Situation Deutschlands nach 1945 ist allerdings zusätzlich durch einen besonders dunklen Schatten gekennzeichnet. Der Fehlschlag der Demokratie von Weimar und die Zeit nationalsozialistischer Herrschaft und deutscher Aggression haben entscheidend auf die Neukonstruktion der politisch-militärischen Kultur des Neuanfangs eingewirkt.

Vorläufer Preußen

Der Dreißigjährige Krieg (1618–48) hat tiefe Wunden in der kollektiven Erinnerung der Menschen in den vielen größeren und kleineren politischen Einheiten Mitteleuropas hinterlassen. Die Geschichte dieses Krieges, der ganze Gegenden entvölkerte, muss auch verstanden werden als eine Ära, in welcher sich die Streitkräfte über ihren dienenden Status zur Durchsetzung politischer Herrschaftsinteressen hinwegsetzten. Der Krieg verselbstständigte sich. In der Phase des Wiederaufbaus nach 1650 überwanden die Menschen dieses kollektive Trauma nur sehr langsam.

Seit dem 17. Jahrhundert stieg Brandenburg-Preußen zur kleinsten unter Europas damaligen Großmächten auf. Entscheidendes Symbol und wirksamstes Instrument dieses Aufstiegs war die Armee. Mit ihr entwickelte sich die typisch preußische politisch-militärische Kultur. Als der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm, der »Große Kurfürst«, 1640 sein Amt antrat, verfügte er über ca. 2500 Soldaten, für deren Unterhalt kein Geld vorhanden war. Als er 1688 starb, hinterließ er seinem Nachfolger Friedrich III. (1688–1713, ab 1701 als Friedrich I. König in Preußen) eine Armee von 30 000 Soldaten. Preußen gab sich als Militärmonarchie.

Unter der Herrschaft von Friedrich Wilhelm I., dem »Soldatenkönig« (1713–40), und seinem Sohn Friedrich II., »Friedrich dem Großen« (1740–86), war Preußen ein machtvoller, zentralisierter und absolutistischer Großstaat, dessen Staatsgedanke sich in der Armee verkörperte. Die innen- und außenpolitischen Erfolge Preußens wurden in Gang gehalten durch einen streng fürsorglichen, bei Friedrich II. dann »aufgeklärten« Absolutismus. Der eine wie der andere zeigte gegenüber den eigenen Untertanen allerdings ein gelegentlich brutales Gesicht.

Friedrich II. soll gegen Ende der Schlacht von Kolin am 18. Juni 1757 seine fliehenden Dragoner beschimpft haben: »Hunde, wollt ihr ewig leben?« In der Schlacht von Kolin im zweiten Jahr des Siebenjährigen Krieges (1756–63) standen sich etwa 35 000 Soldaten auf preußischer und etwa 54 000 Soldaten auf österreichischer Seite gegenüber. Die Bilanz des Abends: Die Preußen, die die Schlacht verloren haben, zählten knapp 14 000 Tote und Verwundete, die Österreicher verzeichneten über 8000 Tote und Verwundete …

Preußische Militärreformen

Unter den Nachfolgern Friedrichs II. stand es weniger gut um die Militärmonarchie. Das Bürgertum verlangte nach Mitspracherechten. Zudem kam der Wunsch auf, die absolutistischen Fürstenpartikularitäten zugunsten einer politisch einheitlichen deutschen Nation zu überwinden. Vor allem der preußische Offiziersadel wehrte sich jedoch noch gegen Reformen.

Den Attacken Napoleons war die europäische Großmacht Preußen schließlich weder politisch noch militärisch gewachsen. Dafür gab es viele Ursachen: Den aufgeklärten, das heißt vor allem auch modernisierungsbereiten Absolutismus gab es kaum noch. Stattdessen stemmten sich seine Vertreter ebenso hartnäckig wie vergeblich gegen alle sozialen, politischen und ökonomischen Veränderungen. Sie verpassten den Wandel des Kriegsbildes mit seinen erhöhten Anforderungen an die Soldaten. Die politische Landkarte Europas veränderte sich ebenfalls. Napoleon ordnete sie neu nach seinem Gusto. Die deutschen Kleinstaaten in der Mitte Europas konnten ihren eigenen Gestaltungswillen in dieser Ordnung nicht zur Geltung bringen und wurden zum Objekt napoleonischer Politik. Nach der verheerenden Niederlage Preußens bei Jena und Auerstedt im Oktober 1806 war der Weg für Napoleons Einzug in Berlin frei.

Die Militärführung der Preußen erwies sich als verknöchert, und so wurde immer deutlicher, dass die Armee drastisch umorganisiert werden musste. Die Militärreformer um Gerhard von Scharnhorst, August Neidhardt von Gneisenau, Hermann von Boyen und Karl von Grolman waren jedoch weitsichtig genug zu erkennen, dass es damit nicht genug sei. Darüber hinaus kam es darauf an, die tiefe Kluft zwischen Armee und ziviler Gesellschaft zu über-

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