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Einleitung
Zur über 100-jährigen Bühnengeschichte des Großen Schauspielhauses und späteren Friedrichstadt-Palastes gehört auch das nahezu vergessene Kapitel des Theaters des Volkes. Schon früh hatten die Nationalsozialisten keinen Zweifel daran gelassen, was ihre Auffassung von der Rolle des Theaters war. Adolf Hitler formulierte 1933 zur »Erneuerung des deutschen Theaters« eine offene Drohung an alle Künstler:innen einschließlich der Bühnenbeschäftigten, die sich nicht den Zielen des Regimes unterordnen wollten:
»Natürlich muß sich auch das Theater erneuern. Aber die Erneuerung muß von innen her kommen. Und die Leute, die glauben, wenn sie jetzt überlaufen, könnten sie unter neuer Maske die alten Dinge weiter treiben, irren sich ganz gewaltig. Sie werden von Grund auf umlernen müssen. Wer nicht umlernen will, vernichtet sich selbst, ohne daß wir dazu einen Finger zu rühren brauchen. Ich lasse mich nicht bestechen. Was ich tun kann, Mittelmäßigkeit und Verlogenheit auszurotten, das geschieht. Wer wirklich etwas kann, der braucht noch lange nicht davor Heil zu rufen. Der echte Künstler kommt von selbst zu uns, weil wir aufbauen. Jede wirkliche Kunst ist aufbauend, und daher findet der Künstler nur bei uns seine verlorene Kraft wieder.«*
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Nach der Machtübernahme brachte die »Deutsche Arbeitsfront« (DAF) das Große Schauspielhaus in ihren Besitz. Gemeinsam mit dem Reichspropagandaministerium betrieb die Freizeitorganisation der DAF »Kraft durch Freude« das Theater und stellte es in den Dienst der NS-Propaganda.
Noch bevor sich Anfang September 1944 der Vorhang für fast alle Bühnen im sogenannten Dritten Reich endgültig senkte, beendete ein Luftangriff im Juni des Jahres die Ära des Theaters des Volkes. Dann stand das Theater leer, mit zerstörtem Bühnenhaus und ohne jedes Ensemble, bis die Artistin Marion Spadoni sich im Juni 1945 vom südlichen Stadtteil Steglitz aus zu Fuß ins alte Zentrum BerlinMitte aufmachte, um dem Haus neues Leben einzuhauchen.
Das Vorherige geriet damit schnell in Vergessenheit, viel absoluter als bei den meisten anderen Bühnen. Zu radikal war schon der Bruch mit der Zeit von Reinhardt, Charell und Poelzig gewesen, zu vernichtend in jeder Hinsicht die Zeit des Nationalsozialismus. So »befreite« sich die Stadtgesellschaft von diesem Kapitel der Theatergeschichte, das fortan für Jahrzehnte auch im toten Winkel der Forschung verschwand.
Im Vorfeld des 100-jährigen Jubiläums unserer Bühne ahnten wir: Wir können nur Fenster in die Geschichte öffnen, nie alles aufarbeiten. Dennoch ist aus einem ursprünglich als Forschungsauftrag gedachten Projekt nun ein Buch entstanden, das diesen Baustein deutscher Theatergeschichte wieder ins Gesamtmosaik einfügt.
Entstanden ist ein Bild der Zeit und der Menschen, das, entgegen zumindest meinen persönlichen Erwartungen, im ersten Moment manchmal fast schon banal alltäglich wirkt. In der Gesamtheit betrachtet aber machte das zunächst Verführerische das zugleich Vernichtende wohl erst aus.
Zum Schluss hatten die Bühnen sogar noch regen Zulauf, nicht nur, weil das Regime den Durchhaltewillen der Bevölkerung stärken wollte – die meisten waren für jede Art der Zerstreuung aufgeschlossen, auch oder gerade weil Bombenkrater und Leichen zum Alltag gehörten.
Bedanken möchte ich mich bei Sabine Schneller, die in mühevoller Kleinstarbeit, dazu vielfach vor pandemiebedingt geschlossenen Archiven stehend, diese Geschichte rekonstruiert hat. Bei Gero Konietzko für die Bildrecherchen und bei Nora Förster für die ruhige Gesamtkoordination. Vor allem aber bei Dr. Berndt Schmidt, ohne dessen Weitsicht die Geschichte unserer Bühne wohl immer noch fragmentarisch dargestellt wäre.
Die Geschichte des Theaters des Volkes ist auch eine Flucht- und Verfolgungsgeschichte. Stellvertretend für diejenigen, die bitteres Leid ertragen mussten seien hier genannt: der große Bühnenbildner Ernst Stern, die Diva Fritzi Massary und der Komiker Ernst Pallenberg. Gitta Alpar, der Star des »Ball im Savoy«, Siegfried Arno aus dem »Weißen Rössl«. Von den Spielplänen verbannt werden die Operetten Ralph Benatzkys und Paul Abrahams. Die Comedian Harmonists erhalten Auftrittsverbot an Deutschlands Bühnen. Paul Morgan und Joseph Schmidt bezahlen die Verfolgung mit ihrem Leben. Nicht nur durch ihren Weggang, ihre Vertreibung, ihren Tod, verlor das einst so strahlende Große Schauspielhaus sein Gesicht.
Mit dem Theater des Volkes war die Bühnengeschichte des Hauses nicht beendet. Ebenso wenig, das ist heute sicher, eher allgemeiner Konsens als noch vor wenigen Jahrzehnten, kann man diese Jahre einfach als »Unglücksfall« abtun, um danach zu einer fiktiven »Stunde null« überzugehen. Das gilt nicht nur für das Theater des Volkes.
Schon deshalb bleibt das letzte Wort in diesem Kapitel und am Ende dieses Buches der Kunst überlassen, in diesem Fall dem großartigen Max Frisch – seine Mahnung untermauernd, dass dieser Epilog nicht wieder zu einem Prolog werden möge.
Guido Herrmann Herausgeber