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Vorwort

Der Vorhang unserer Bühnengeschichte hebt sich vor über 100 Jahren. Es ist der 29. November 1919, wir haben jüdische Wurzeln, Professor Max Reinhardt ist der Gründer des Großen Schauspielhauses. Schon deswegen ändern die Nationalsozialisten 1934 den Namen in Theater des Volkes. In der Sowjetischen Besatzungszone gelegen, trägt das Haus ab 1947 den Namen Friedrichstadt-Palast. Nur 174 Meter vom alten Standort entfernt wird 1984 das heutige Theatergebäude als letzter großer Repräsentationsbau der DDR eröffnet.

»Ein Jahrhundert Palast« lautet die Überschrift der Spielzeit 2019/20. Aber das Jubiläum kann kein Jubeljahr werden. Zu dicht liegen in unserer Geschichte Licht und Abgründe beieinander. Aufgrund seines fundierten historischen Interesses bitte ich Guido Herrmann, den Verwaltungsdirektor und Stellvertreter des Intendanten, das Bühnenjubiläum zu kuratieren. Meine einzige Vorgabe: dass wir die Rolle des Palastes von 1933 bis 1945 aufarbeiten lassen und das Jubiläum bescheiden begehen.

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Die schonungslose Ausleuchtung der NS-Zeit durch die Historikerin Sabine Schneller erweitert Guido Herrmann um Forschungsaufträge zur deutsch-deutschen »Zwischenzeit« von Kriegsende bis Mauerbau 1961 sowie um eine Betrachtung des Palastes in der westwärts eingemauerten DDR. Pandemiebedingt mit etwas Verzögerung blickt die Trilogie Buch für Buch schließlich auf 57 wechselvolle Jahre unserer Historie.

Dass das Naziregime für Menschen, die durch das ideologische Raster fallen, bedrohlich bis lebensgefährlich ist, ist Allgemeinwissen schon zu Hitlers Zeiten. Was im Rückblick, auch in Theaterkreisen, gerne ausgeblendet wird: Für Bühnen und Kulturschaffende, die hingegen ins Raster passen oder sich passend machen, ist es oft ein Schlaraffenland. Im Vergleich zur Kaiserzeit und Weimarer Republik steigen die staatlichen Subventionen enorm und in der Folge die Größe der Ensembles, die Ausstattung und bisweilen auch die Qualität der Aufführungen sowie die Zahl der Gäste. Selbst im Krieg steigen noch die Kulturausgaben, ein Teufelspakt im Gegenzug für Wohlverhalten und zur Schau gestellte Zuversicht. »In Zeiten, die von so starken Spannungen erfüllt sind, muß ich in der Kunst für Entspannung sorgen«,* meint unser damaliger politischer Grundherr, Reichsminister Joseph Goebbels. Bis er schließlich, kurz nach seiner Ernennung zum »Generalbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz« durch Hitler, im Spätsommer 1944 doch alle Bühnen im Reich schließen lässt und die letzte kulturelle Maskierung des Terrorregimes fällt.

Theaterschaffende haben das Kriegsende im Rückblick gerne als »Zäsur« dargestellt, und die Schönfärberei schreckt auch nicht vor ihrer Rolle im Dritten Reich zurück. Sie hätten doch lange vor der Machtergreifung der Nazis schon Shakespeare, Schiller und Wagner gespielt und dann auch während der Nazizeit und danach ebenso. Ihre Spielpläne seien also gänzlich unpolitisch gewesen und hätten inmitten der allgegenwärtigen Barbarei gar unverzagt den Humanismus der Klassiker hochgehalten. Dieses heuchlerische Theater wirkt nicht selten bis heute nach.

Die offizielle Rolle der Kulturschaffenden im NS-Regime und ihre Wortmeldungen, nicht zuletzt in den Programmheften, entlarven solche Behauptungen als Legenden. Die Wahrheit ist: Deutsche Bühnen stärkten durch ihre Aufführungen die Moral an Front und Heimatfront, wir waren kriegswichtig.

Auch von einer Zäsur, einem Bruch mit der Vergangenheit, kann 1945, vor allem in Westdeutschland, kaum die Rede sein. Zwar wird fortan auf völkisch-nationalistische Dramatik verzichtet, aber es gibt eine frappierende Nahtlosigkeit in den radikal konservativen Spielplänen und Inszenierungen und ebenso in Theaterleitungen, Schauspiel- und Orchesterensembles sowie Kulturreferaten. Selbst in Zeitungen und Rundfunk werden die meisten Kulturredakteure nicht entlassen und dürfen, höchstens unterbrochen durch eine Kriegsgefangenschaft, ihre Sichtweisen vor und nach 1945 verbreiten. Es liegt auf der Hand, dass eine haltbare Auseinandersetzung mit der NS-Zeit so nicht stattfinden kann.

Wenigstens hier geht unser Haus für kurze Zeit einen anderen Weg. Sein letzter, noch direkt von Goebbels eingesetzter Intendant verschwindet im Nebel der Geschichte und Marion Spadoni, eine Frau mit italienischen Wurzeln und dem Segen des sowjetischen Stadtkommandanten, macht ab Spätsommer 1945 etwas anderes als Operette. Sie nennt das Haus nun PALAST und im Untertitel, aufgrund der ungefähren Anzahl an Sitzplätzen, »Varieté der 3000«. Bis dann 1947 die Vorläufer der späteren DDR die Riesenbühne doch lieber selbst unter ihre Fittiche nehmen.

Als Intendant entschuldige ich mich dafür, dass es fast acht Jahrzehnte gedauert hat, bis wir unsere Rolle und Verantwortung in der NS-Zeit wissenschaftlich aufarbeiten ließen. Mit der künstlerischen Doppelunterstellung unter Joseph Goebbels’ Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda sowie Robert Leys nationalsozialistisches Freizeitwerk »Kraft durch Freude« (KdF) waren wir als Kultureinrichtung in die Diktatur besonders tief verstrickt. Als größtes Theater des Reiches haben wir unseren Beitrag dazu geleistet, die Verbrecher und ihre Verbrechen künstlerisch zu bemänteln und zu stützen. Wer mitspielt, ist mitschuldig.

Daraus ziehe ich die einzige wegweisende Lehre, die der Nationalsozialismus zu bieten hat: selbst das Richtige zu tun und sich Feinden der Vielfalt, Freiheit und Demokratie rechtzeitig (!) entgegenzustellen.

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