BDEW-Magazin "Streitfragen!" - 01/2012

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» Die Technologieentwicklung muss viel besser abgestimmt werden. Das betrifft insbesondere das Zusammenwirken von erneuerbaren Energien und herkömmlicher Energieerzeugung.« Herr Dr. Huthmacher, Deutschland steht vor dem Komplettumbau der Energieversorgung und dann das: Der Energiebranche mangele es an Innovationskraft, sagte Matthias Kurth, kurz bevor er das Amt des Präsidenten der Bundesnetzagentur abgab. Was ist dran an der Aussage? Dr. Karl Eugen Huthmacher Es ist richtig, dass die Energiebranche in weiten Teilen ein Beharrungsvermögen hatte. Schon vor der Energiewende hätte man erkennen können, in welche Richtung die Entwicklung geht. Und das gilt nicht nur für die Energieversorger, es gilt auch für die Photovoltaik-Indus­ trie, die sich der Konkurrenz aus Asien nicht rechtzeitig mit neuen Ideen entgegengestellt hat. Zurzeit versuchen wir das zu korrigieren, etwa mit dem 100-Millionen-Photovoltaik-Forschungsförderprogramm in Kooperation mit dem Bundesumweltministerium.

Auch wenn Technologien ausgereift sind und zu akzeptablen Kosten zur Verfügung stehen, werden sie oft nicht eingesetzt. Die Erforschung der Akzeptanz ist ein wichtiger Punkt Ihrer Arbeit. Welche ersten Ergebnisse gibt es? Huthmacher Ich spreche ungern von Akzeptanz, weil damit der Eindruck verbunden ist, es gehe nur darum, dass die Bürgerinnen und Bürger das von der Politik Erdachte akzeptieren sollen. Es geht bei der Neugestaltung unseres Energiesystems um einen neuen integrativen Ansatz. Der wichtigste neue Aspekt in der künftigen Forschungsagenda ist, dass wir das systemische Denken in den Mittelpunkt rücken. Darunter verstehen wir zwei Dinge: Erstens muss die Technologieentwicklung viel besser abgestimmt werden. Das betrifft insbesondere das Zusammenwirken von erneuerbaren Energien und herkömmlicher Energieerzeugung. Zweitens geht es aber auch darum, im künf-

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tigen Energiesystem besser die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen und deren Ideen einzubringen. Nachfrageforschung, Verhaltensforschung und die Frage „Wie beteiligen wir Bürgerinnen und Bürger am Ausbau der Infrastruktur, der Netze und Speicher, bei gleichzeitigem Bemühen um zügige Verfahren?“ verlangen durchdachte Lösungen. Was heißt das in der Praxis? Huthmacher Betrachten wir ein konkretes Beispiel aus unserer Forschung. Hier ging es um den Bau neuer Windkraftanlagen. Voraussetzung für die Beteiligung ist Transparenz. Es muss nachvollziehbar sein, warum ein bestimmter Standort ausgewählt wurde. In einem unserer Projekte wurden Bürgerinnen und Bürger gebeten, mitzuteilen, was ihnen zum Beispiel Artenschutz und ein gewisser Mindestabstand zur Wohnung in Geld wert sind. Das Ergebnis war eine Art Landkarte der optimalen Standorte in einer Region und damit Transparenz der Standortentscheidung. Von den beteiligten Praxispartnern wurde bestätigt, dass dadurch der Ausbau der Windenergie schneller vorankam.

Ein Förderschwerpunkt im 6. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung liegt bei erneuerbaren Energien. Welche konventionelle Erzeugungsart wird die Bundesregierung verstärkt fördern? Huthmacher Bis 2050 soll der Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch 80 Prozent und der Anteil am BruttoEndenergieverbrauch 60 Prozent betragen. Das bedeutet: Fossile Energieträger werden auch noch lange einen wesentlichen Beitrag zu unserer Energieversorgung leisten müssen. Daher gilt es, die Systemintegration von Kraftwerksprozessen weiter zu optimieren und deren Flexibilität zu erhöhen, die Effizienz weiter zu steigern, Emissionen zu reduzieren und neue technologische Optionen zu erschließen. Diese Aspekte werden vor allem im Förderschwerpunkt „Kraftwerkstechnik und CCS-Technologien“ des Bundeswirtschaftsministeriums verfolgt. Wichtige Themen sind Dampfkraftwerke, Gasturbinen und Gas-und-DampfKraftwerke.

Trotz des Ausstiegs aus der Kernenergie bis 2023: Was muss noch an Forschung und Entwicklung im Bereich der Kernenergie und Endlagerung geleistet werden? Huthmacher Wir brauchen auch weiterhin nukleare Sicherheitsforschung. Das Bundesforschungsministerium fördert mit seiner nuklearen Sicherheits- und


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