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Der Talentpool an Frauen ist gut gefüllt Trotzdem gelangen immer noch zu wenig an die Spitze. Vier Frauen aus der Region erzählen, wie sie die Topposition erfolgreich erreicht haben.

An qualifizierten Frauen mangelt es nicht. Trotzdem gelangen immer noch zu wenige an die Spitze. Je höher die Kaderposition, desto männlicher die Zusammensetzung der Führungsgremien. Daran hat sich in den letzten Jahren nichts geändert. Hauptursache ist, dass genau in der Zeitspanne zwischen 30 und 40 Jahren, wenn die meisten Karriereschritte stattfinden, die Frauen Kinder kriegen.

TEXT DANIELA PALUMBO

Der Durchbruch sei gelungen. Das Jahr 2022 markiere eine Trendwende. Dies die euphorischen Worte des Schilling Reports, der seit 2006 zählt, wie viele Frauen in der Schweiz als CEO oder Verwaltungsrätin an die Spitze gelangen. Im Privaten Sektor war erstmals ein Anstieg von 4 Prozent auf 17 Prozent in der Geschäftsleitung zu verzeichnen.

Zu einem weniger optimistischen Schluss kommt der Gender Intelligence Report 2022 der Universität St. Gallen (HSG). Fortschritte seien da, aber im Schneckentempo gehe es Richtung Geschlechterparität.

Am Talentpool scheint es nicht zu liegen. Immer mehr Frauen studieren und steigen danach erfolgreich in die Berufswelt ein. Die Schweiz hat kein Nachwuchsproblem, so die aktuelle Studie des HSG. 44 Prozent der Angestellten ohne Kaderfunktion sind Frauen. Doch im Kader dominieren immer noch die Männer. Die meisten Frauen, die es ins untere Kader schaffen, besetzen jedoch keine Sprungbrettfunktionen. Sie arbeiten als Expertinnen oder in der Verwaltung. Für eine Beförderung sei Personalverantwortung indes wichtig. Auf diesen Positionen, die mit Einfluss und Entscheidungsmacht einhergehen, sitzen allerdings oft Männer. Als Nachteil für die Beförderung erweist sich auch, die unter den Frauen weit verbreitete Teilzeitarbeit. Mehr als jede zweite Frau hat keine Vollzeitstelle, was immer noch der Norm entspricht, wenn man die niedrigen Werte der Männer anschaut, die kein 100-Prozent-Pensum erreichen (15,5% Teilzeit). Während der Familienzeit sinkt der Beschäftigungsgrad der Frauen. Und zwar ausgerechnet in der Altersgruppe der 31- bis 40-Jährigen, in der die meisten Beförderungen stattfinden.

Eine Chance auf Beschleunigung wittern die Studienautoren und andere Experten immerhin, sobald die Babyboomer scharenweise in Pension gehen und Platz machen für Spitzenpositionen. Ein Betrieb, der Frauen frühzeitig in Stellung bringt, sie in Schlüsselpositionen befördert, ihnen Gremienerfahrung ermöglicht, sie vernetzt und sichtbar macht, wird wesentlich zur Geschlechterparität beitragen.

An vorderster Front – der Lohn für die Leidenschaft

An der Spitze des Museums zu Allerheiligen steht seit sieben Jahren eine Direktorin. Katharina Epprecht führt das Mehrspartenhaus und ihre Mitarbeitenden mit Engagement und Erfahrung sowie einem hohen Anspruch an die Qualität.

TEXT DANIELA PALUMBO BILD ROBERTA FELE

«Wer Karriere machen will, muss unbedingt aufhören, Stunden zu zählen», sagt die Museumsdirektorin Katharina Epprecht mit Inbrunst. «Wer weiterkommen will, muss mit Herzblut bei der Sache sein, über das Normalmass hinaus.» Es hört sich an wie das Mantra von Elon Musk. Überdurchschnittlicher Einsatz, fliessende Übergänge zwischen Arbeit und Freizeit. Kein geschlechtsspezifisches Verhalten, sondern Ausdruck einer Führungspersönlichkeit, die ihre Aufgabe als Berufung ausübt.

CHA-CHA-CHA ALS AUSGLEICH

Katharina Epprecht hat ihre Karriere nicht geplant. Absichtslos gab sie sich von Anfang an ihren Interessen hin, lernte nach dem Studium in Kunstgeschichte Japanisch und verbrachte mehrere Jahre im Land der aufgehenden Sonne. «Geduld haben und sich Zeit nehmen, etwas zu vertiefen», rät sie Frauen, die eine Führungsfunktion anstreben. «Ein mäandrierender Lebenslauf, menschliche Erfahrungen und unerwartete Kenntnisse können für einen Betrieb sehr wertvoll sein. Diverse Disziplinen befruchten sich», sagt die Direktorin des Mehrspartenmuseums. Sie selbst schränkt sich inhaltlich nicht gern ein. Neugier und Offenheit haben sie dorthin geführt, wo sie jetzt ist. Das spiegelt sich auch in ihrem Privatleben wider, wo sie immer Neues ausprobiert. Vor einem Jahr fing sie zum Beispiel mit klassischem Ballett an. Ihre Freunde scherzten: «Schon mit sechs Jahren ist man zu alt dafür, aber mit 60 definitiv.» Sie lacht darüber. Auf diese unkonventionelle Weise stillt sie jedoch ihren Bewegungsdrang, spürt die Beweglichkeit ihres Körpers und lüftet so ihren Kopf. Zudem besuchte sie in Begleitung ihres langjährigen Lebenspartners erstmals zwei Tanzkurse und lernte Cha-Cha-Cha, Rock ’n’ Roll und Foxtrott.

Mit ihrem Lebenspartner, der als selbstständiger IT-Spezialist tätig ist, führt sie eine intensive Beziehung und täglich stundenlange Gespräche. Die Themen gehen ihnen nie aus. Da er sich ein Familienleben nicht vorstellen konnte, bestand sie nicht auf ihren Kinderwunsch, als sie ihn mit 30 kennenlernte. Katharina Epprechts zahlreiche Eskapaden nach Japan im Alter zwischen 30 und 40 Jahren wären allerdings mit Kind ohnehin undenkbar gewesen, gesteht sie: «Danach war alles parat. Ich hatte mir viel angeeignet. Als Mutter hätte ich nicht mit gleichviel ungeteilter Energie loslegen können.» Statt Nachwuchs bekam sie 1998 die Stelle als Kuratorin für japanische Kunst am Museum Rietberg. Manchmal bedauert sie die Kinderlosigkeit. «Ich bin ein Familienmensch und mag es, wenn viele Leute an einem grossen Tisch sitzen und zusammen essen.» Ihre gesellige Ader lebt sie mit ihren Verwandten und Freunden aus. Am Museum Rietberg feierte sie etliche Erfolge. Nicht nur in fachlicher Hinsicht mit «überragenden Ausstellungen», wie Experten lobend anerkannten, sondern auch innerbetrieblich. Engagiert brachte sie jeweils an Teamsitzungen Ideen ein und halste sich eine Aufgabe nach der anderen zusätzlich zur Kuratorenstelle auf. Zunächst übergab man ihr die Medienverantwortung, danach wurde sie Abteilungsleiterin im Marketing- und Eventbereich. Ob das Pensum auch dementsprechend stieg? Sie überlegt. Gerechnet hat sie offensichtlich nicht. Genau wisse sie es nicht mehr. «Am Schluss war ich sicher auf 100 Prozent», sagt sie lachend. Dann war sie auch stellvertretende Direktorin.

Ihr Einsatz lässt nicht nach. Rund um die Uhr – oft kommen ihr die Ideen im Bett. Das Thema für ihre Doktorarbeit zum Beispiel oder für Ausstellungen. Belastend sei das nicht, eher bereichernd. Nur einmal kam sie an eine Grenze. Ihre Managementausbildung an der Universität Zürich machte sie neben dem 100-Prozent-Job im Museum Rietberg. Dafür opferte sie ein Jahr lang ihre Ferien und die freien Stunden abends und am Wochenende. Geprüft wurde sie im Zweiwochenrhythmus. «Das würde ich nicht mehr so machen. Das war eindeutig zu viel.»

STELLE AUF DEM SILBERTABLETT

Vor sieben Jahren wurde Katharina Epprecht zur Direktorin des Museums zu Allerheiligen gewählt. Sie war damals 53 Jahre alt, und sie realisierte, wollte sie an die Spitze eines Unternehmens, dann war jetzt der Moment gekommen: «Ich hatte Lust auf einen Karriereschritt und konnte nicht warten, bis mein Vorgesetzter pensioniert wurde.» Just zu dieser Zeit suchte das Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen eine Führungsperson. «Die Stelle lag wie auf dem Silbertablett da. Sie war auf mich zugeschnitten», sagt sie, immer noch erstaunt über diese perfekte Gelegenheit. Erfolgreich setzte sie sich gegenüber den 35 Mitbewerbenden durch. «Die Karriere wird einem auch geschenkt», glaubt sie darum. «Man kann sie nicht planen, aber sich in Position bringen. Abheben gelingt aber nur, wenn die Umgebung merkt, wie gross die Leidenschaft für die Sache ist.»

Vielseitig und perfektionistisch: Katharina Epprecht, Direktorin des Museums zu Allerheiligen. Katharina Epprecht stellt dabei hohe Ansprüche an sich selbst und andere. Sie bezeichnet sich als pingelig. Ihren Perfektionismus sieht man überall. In ihrem Arbeitszimmer im Museum zu Allerheiligen sind die modernen Designerstühle im gleichen Farbton bezogen wie der alte, grüne Kachelofen. Kein Zufall, sagt ein Mitarbeiter, der vorbeischaut, während sie sich fürs Fotoshooting zurechtmacht. Ein gutes Auge für Ästhetik, keine Kompromisse bei der Qualität, urteilte die NZZ, als sie nach Schaffhausen wechselte.

Die Museumsdirektorin will auch ihrer Führungsrolle gerecht werden. «Ich fühle mich manchmal wie ein Leuchtturm, dessen Scheinwerfer überall hin leuchtet und prüft, ob alles parat ist, an alles gedacht wurde.» Dass Frauen sich mehr unter Beweis stellen müssen als ihre männlichen Kolle-

gen, diese Tendenz bestätigt sie. «Die Wertschätzung für eine Idee, die eine Frau einbringt, ist zurückhaltender.» Einen weiteren Unterschied zu ihren Kollegen in Toppositionen sieht sie darin, dass sie ihre Entscheidungen zu begründen versuche, während Männer mit weniger Worten und dezidierter führen. «Meine Transparenz kann für meine Mitarbeitenden manchmal anstrengend sein», sagt sie offen und direkt.

Diese Direktheit stellt ihr hie und da auch ein Bein. Diplomatie behagt ihr nicht, ebenso wenig wie Seilschaften und Absprachen im Hinterzimmer. Dafür ist sie fachlich gut vernetzt, national wie international. In ihrem Fach fühlt sie sich sicher, und Anerkennung bekam sie auch auf ungewöhnliche Weise, wie eine Anekdote illustriert, die sie bis heute noch über ihr Glück wundern lässt. Als sie Kuratorin im Museum Rietberg war, sass sie eines Morgens zu Hause im Calida-Pyjama auf dem Sofa. Ihr Partner hatte den Briefkasten geleert und übergab ihr einen Umschlag. Darin befand sich ein grosser Scheck mit einer Summe von 10 000 Dollar. Ein handgeschriebener Zettel dazu: «Viel Glück in Japan!» Aus heiterem Himmel hatte eine amerikanische Stiftung ihr diesen Betrag zur bedingungslosen Verfügung gestellt. Sie reiste mit dem Geld nach Japan und ermöglichte damit eine Ausstellung, die 30 000 Leute in der Schweiz begeisterte.

SPRACHROHR FÜR GROSSE SACHE

Katharina Epprecht ist ein Sonnenkind. Ihre Eltern förderten ihre Neigungen und Begabungen: «Meine Kindheit war ein Schlaraffenland an Bildung», sagt sie und strahlt übers ganze Gesicht. Gleichzeitig musste sie sich gegenüber ihren zwei älteren Brüdern durchsetzen. «Ich habe ein gesundes Selbstvertrauen, stehe gern vorne als Sprachrohr für eine grosse Sache. Das gebe ich zu», sagt sie mit einem entwaffnenden Lächeln.

Die Museumsdirektorin scheut sich aber nicht, Entscheide zu fällen, die fachlich begründet, aber vielleicht von einer Frau anders erwartet würden. So besetzte sie die letzte von einer Kuratorin frei werdende Stelle mit einem Mann. «Hätte ich eine so gut qualifizierte Person einfach vorbeiziehen lassen sollen?» Es sei allerdings schon schlimm, jetzt führe sie ein Team, das nur aus Männern bestehe. Ihr Hauptkriterium ist letztlich nicht das Geschlecht, sondern eins, das sie selbst vorlebt: «Ich fördere alle, die mit Herzblut bei ihrer Sache sind.» 

Jung, parteilos und erst noch eine Frau

Nadja Hallauer steht bereits in der zweiten Legislatur der Gemeinde Hallau vor. Im Führungsgremium ist sie die einzige Frau unter lauter Männern. Ihre profunde Kenntnis der Gemeindeverwaltung führte sie an die Spitze.

TEXT KARIN LÜTHI BILD ROBERTA FELE

Von den 26 Gemeinden des Kantons Schaffhausen werden zurzeit nur gerade fünf von Frauen geführt. Eine dieser Frauen ist Nadja Hallauer, die seit 2017 die Geschicke von Hallau mit ruhiger und sicherer Hand leitet. In die Klettgauer Gemeinde war Nadja Hallauer zusammen mit ihrem Mann Markus erst 2012 gezogen. Als sie nur vier Jahre später von einer unabhängigen Findungskommission angefragt wurde, ob sie für das Amt als Gemeindepräsidentin kandidieren würde, überlegte sie sich das gründlich. Da das Ehepaar keine Kinder hat, war von dieser Seite her eine Kandidatur möglich. Weiter sprach ihre berufliche Qualifikation dafür: Da sie seit ihrer KV-Lehre vor rund 25 Jahren praktisch immer auf Gemeindeverwaltungen gearbeitet hatte, zuletzt als Finanzverwalterin in Flaach, kannte sie die diversen Arbeitsbereiche in einer Gemeinde sehr genau und wusste, welche Belastungen einerseits, andererseits aber auch Herausforderungen ein solches Amt mit sich bringen würde. Zudem rechnete sie sich kaum Chancen für eine Wahl aus, denn, wie sie sagt, es hätten doch einige gewichtige Nachteile gegen sie gesprochen: Sie war jung, parteilos und erst noch eine Frau. Noch nie hatte eine Frau in Hallau das Gemeindepräsidium innegehabt – doch die junge Neuzuzügerin setzte sich mit einer sehr komfortablen Mehrheit gegen ihren Konkurrenten durch. Und 2021 wurde sie mit einem guten Ergebnis wiedergewählt. Zufall? Wohl eher nicht.

AM GLEICHEN STRICK ZIEHEN

Dass Nadja Hallauer nun an der Spitze von Hallau steht, ohne zuvor im Gemeinderat tätig gewesen zu sein, hat sicher auch mit ihren profunden Kenntnissen der Gemeindestrukturen und deren Prozesse zu tun. Dieses Wissen hilft ihr, den Überblick zu behalten und vorauszuplanen. «Das thematische Spektrum in einer Gemeinde ist sehr breit, aber auch interessant. So liegt es in der Natur der Sache, dass die Anliegen und Herausforderungen, welche an die Behörde gestellt werden, mannigfaltig sind, zu denen eine Antwort oder eine Lösung von uns erwartet wird, manchmal auch kurzfristig. Dann ist es wichtig, dass wir den Entscheidungsprozess stets darauf fokussieren, was das Dorf, die Bevölke-

Transparent und zuverlässig: Nadja Hallauer, Gemeindepräsidentin von Hallau. rung braucht oder der Sache am besten dient. Jetzt und langfristig.» Allein gelinge das aber nicht, sagt sie, es brauche in der Führung einer Gemeinde ein Team, das miteinander am gleichen Strick ziehe – «und zwar in die gleiche Richtung, nicht gegeneinander!» Die fachliche Kompetenz der Behördenmitglieder fliesse im Gremium in Hallau ideal zusammen und ergebe eine beeindruckende kollektive Intelligenz, erklärt sie und weiter: «Gepaart mit dem positiven Arbeitsklima im Gemeinderat hinterlässt das nicht nur solide Entscheide, sondern macht auch Freude.»

NUMBER ONE IN HALLAU

Grosses Wissen und Teamfähigkeit: Reicht das, um eine Gemeinde in der Schweiz gut zu führen? Es seien wichtige Eigenschaften, findet die Gemeindepräsidentin, doch die politische Exekutivarbeit erfordere auch ein gewisses Mass an Multitasking, erklärt Hallauer. Doch damit nicht genug, denn

Geschlechterverteilung nach Kaderstufe

56% 56% 44% 44%

NichtKader

65% 65%

Unterstes Kader

35% 35% 27% 27%

22 22%

Mittleres Kader

78% 78% Frauen Frauen Männer Männer

Unteres Kader

73% 73% 17% 17%

Oberstes und oberes Kader

83% 83%

Quelle: Gender Intelligence Report 2022

mit diesen drei Eigenschaften ist eine sichere Führung noch nicht gewährleistet. Was bringt eine Frau im besten Alter – Nadja Hallauer ist 42 Jahre alt – für Attribute mit, dass sie als Number One in Hallau so geschätzt wird? Sich selbst bezeichnet sie als transparente, verantwortungsbewusste und zuverlässige Persönlichkeit. Sie ergänzt: «Will man karrieremässig gewisse Schritte gehen, muss man selbstkritisch sein und einen gewissen Anspruch an sich selbst haben. Und man muss auch ambitioniert sein. Im Sinne von Erfolg hat das drei Buchstaben: T-U-N. Zudem ist in einem Job wie diesem auch eine gewisse Selbstständigkeit nötig.» De facto sei es so, dass für die Behördentätigkeit Teamwork zwar sehr wichtig sei, doch die Arbeit im einzelnen Ressort sei selbstständig zu organisieren. Es erfolgten keine Arbeitsanweisungen, erklärt Hallauer.

SENSIBEL FÜRS NONVERBALE

Die Hallauer Gemeindebehörde besteht aus der Gemeindepräsidentin Nadja Hallauer und vier Gemeinderäten, die alle Männer sind. In ihrem Berufsleben auf den Gemeindeverwaltungen hat sie mehrheitlich mit Männern zusammengearbeitet und kann deswegen zumindest eine empirische Antwort auf die Frage geben, ob Frauen und Männer unterschiedliche Führungseigenschaften besitzen. «Ja, ich finde, es gibt Unterschiede, aber diese liegen im Detail. Männer wie Frauen arbeiten zweifelsohne sachbezogen. Dabei schätze ich es jedoch sehr, wie Männer fokussiert an einem Thema dran sind und ihren Standpunkt klar und direkt vertreten, aber sie hinterfragen sich vielleicht seltener als Frauen. Frauen beziehen in einem Arbeits- oder Entscheidungsprozess oft das Gesamtumfeld mit ein und sind ein Stück sensibler auf das Nonverbale.» Diese Unterschiede seien jedoch sehr wertvoll, ergänzt Hallauer. Wichtig sei, dass man einander den nötigen Respekt entgegenbringe. Gerade in der Zusammenarbeit im Gemeindegremium ergebe sich dadurch ein fruchtbares Miteinander: «Ziel ist, dass wir unsere Aufgaben zum Wohle aller erledigen, unabhängig davon, ob dies durch einen Mann oder eine Frau gemacht wird. Die Qualität muss stimmen! Wenn man Frauen vielleicht einen Ratschlag geben könnte, wäre es der, sich etwas zuzutrauen und Mut zu haben.» Sie selbst halte sich an das Motto «MZF»: Mut zum Fehler, einen wertvollen Tipp einer ihrer Lehrmeister der Verwaltungslehre, den sie heute ganz anders zu schätzen weiss als während der Ausbildung.

Die grösste Herausforderung für die Gemeindepräsidentin ist es, alles unter einen Hut zu bringen. Planung und Organisation aller Termine und Sitzungen, der mannigfaltigen Aufgaben, sowie die Anliegen der Bevölkerung oder des Personals. Und beim Organisieren all dessen den Überblick zu behalten über Wichtigkeit und Dringlichkeit und diese richtig zu priorisieren. «Das war besonders in meinem ersten Jahr eine grosse Herausforderung, denn so nebenbei lässt sich ein solches Amt nicht machen. Ich musste über die Bücher. In der Folge kündigte ich meine Anstellung auf der Gemeinde in Flaach», sagt sie rückblickend. Nach dieser anspruchsvollen ersten Zeit hat Nadja Hallauer längst die Balance gefunden – man sieht es ihr an. Was hat ihr dabei geholfen? «Wichtig für die eigene Energie ist der Support durch ein gutes Umfeld. Darüber hinaus würde sicher auch die Möglichkeit einer Supervision oder ein ‹Götti› oder eine ‹Gotte› mit Erfahrung im Berufsfeld helfen.» Auf diese Weise erwächst ihr trotz der grossen Verantwortung viel Freude bei der Arbeit fürs Gemeinwohl. 

Der Charakter ist entscheidend

In einem halben Jahr ist Katrin Breitling die neue Chefärztin der Frauenklinik am Kantonsspital Schaffhausen und Mitglied der Spitalleitung. In ihrer etwa 30-jährigen Berufskarriere hat sie sich nie benachteiligt gefühlt. Die grösste Herausforderung war, die Rolle der Mutter und der Berufsfrau unter einen Hut zu bringen. Ihr Ehemann hielt ihr dabei den Rücken frei.

TEXT VINCENT FLUCK BILD ROBERTA FELE

Schaffhausen ist zur zweiten Heimat von Katrin Breitling geworden. Erstmals in Kontakt mit der Munotstadt kam die gebürtige Deutsche in ihrem Medizinstudium. 1998, während ihres Praktikumsjahrs, war sie vier Monate lang als Unterassistentin am Kantonsspital tätig. «Das war mein erster Berührungspunkt mit dem Schweizer Gesundheitssystem», erinnert sie sich. Der Umgang, der hier zwischen Ärzten und Patienten, aber auch unter Kollegen gepflegt wurde, gefiel ihr. Ihr sagten auch die Ausbildungsmöglichkeiten und generell die Region zu. So beschloss sie, wieder zu kommen und startete nach Abschluss ihres Studiums am 1. April 2000 in Schaffhausen als Assistenzärztin. Mit Ausnahme eines Jahres in St. Gallen war sie die ganze Zeit hier. 2007 wurde sie Oberärztin, 2012 Leitende Ärztin und stellvertretende Chefärztin der Frauenklinik. Seit 2019 leitet sie das Brustzentrum Schaffhausen-Wetzikon. Und ab 1. Juli 2023 wird sie Chefärztin der Frauenklinik. In dieser Funktion wird sie auch Einsitz in die Spitalleitung der Spitäler Schaffhausen nehmen. Im Brustzentrum werden übrigens nicht nur Frauen behandelt. Denn in einem von 100 Fällen sind Männer von Brustkrebs betroffen.

NETZWERK HILFREICH

Wenn man zurückblickt, erkennt man einen gradlinigen Weg nach oben. Alle paar Jahre erklomm die Gynäkologin eine neue Karrierestufe. War das so geplant? «Das kann man nicht mit Ja oder Nein beantworten», sagt sie und stellt eine Gegenfrage: «Wann fängt man an, seine Karriere zu planen?» Ihr sei schon als Kind klar gewesen, dass sie eines Tages Kinderärztin sein würde. Deshalb habe sie Medizin studiert. Ein Praktikum habe sie dann in die Geburtshilfe und in die Gynäkologie geführt. Dies gefiel ihr sehr, sodass sie von ihrem Kindheitsziel leicht abwich. «Dann habe ich gemerkt, dass ich sehr gerne operativ tätig bin.» Mit einer eigenen Praxis ist Operieren schwierig, so zeichnete sich der Weg am Spital ab. Irgendwie war Katrin Breitling jeweils zur richtigen Zeit am richtigen Ort. «Immer, wenn ich an einem Punkt war, wo ich dachte, jetzt muss ich einen nächsten Schritt gehen, hat sich eine Möglichkeit ergeben. Und ich habe sie dann ergriffen.» So war es auch, als die Leitung der Frauenklinik beziehungsweise des «Leistungszentrums Frau und Kind» frei wurde. Sie bewarb sich und wurde zur Nachfolgerin des amtierenden Chefarztes Markus Eberhard gewählt, der im kommenden Sommer pensioniert wird.

Hatte die heute 50-Jährige ein Netzwerk, das ihr den Weg nach oben erleichterte? Anfänglich sicher nicht. Denn aufgewachsen ist sie im ostdeutschen Leipzig, als Deutschland noch zweigeteilt war. Als sie in Schaffhausen anfing, konnte sie sich nicht auf Schulfreunde abstützen. «Mein Netzwerk entwickelte sich erst im Lauf der Zeit», sagt sie. Jetzt und auch für ihre zukünftige Aufgabe sei dieses Netzwerk jedoch eine unabdingbare Voraussetzung. Die Vernetzung mit ehemaligen Kollegen, die zum Teil an anderen Spitälern tätig sind, sei wichtig für den Austausch von neuen Ideen und für Kooperationen. Hilfreich auf dem Karriereweg seien auch erfahrene Berufskollegen gewesen, «die einen unterstützen, fördern und natürlich auch fordern».

KINDERKRIPPE AM SPITAL

Die Tatsache, dass sie eine Frau ist, hatte keine Auswirkung auf ihre Karriere, findet Katrin Breitling. Die nötigen Charaktereigenschaften seien für beide Geschlechter gleich. «Vielleicht sind Frauen manchmal ein bisschen teamorientierter und vielleicht auch ein bisschen fürsorglicher.» Aber es gebe auch Frauen mit sogenannt typisch männlichen Eigenschaften, die schneller entscheiden oder auch einmal mit dem Kopf durch die Wand gehen. «Als Charaktereigenschaften braucht man sicher eine gewisse Form von Zielstrebigkeit, Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen, vielleicht auch Kreativität und Organisationstalent.»

Manchmal hört man, dass Frauen im Vergleich zu Männern doppelte Leistung erbringen müssen. Doch auch dies hat Katrin Breitling nicht so erlebt. Den Unterschied sieht sie in der Tatsache, dass die Frauen die Kinder auf die Welt bringen. Damit sei in der Regel ein beruflicher Unterbruch verbunden. «Das kann manchmal einen Rückschritt in der Karriereentwicklung bedeuten, zumindest zeitlich. Doch das holen die Frauen wieder auf.» Eine Schwierigkeit sei, dass sie oft beides – Familie und Beruf – unter einen Hut bringen wollen. «Wenn Frauen beruflich erfolgreich tätig sein wollen, unabhängig vom Pensum, dann müssen sie in der Familie meist irgendwelche Abstriche machen, und das ist nicht immer einfach.» Als Mutter einer mittlerweile 20-jährigen Tochter weiss sie, wovon sie spricht.

Zielstrebig und fürsorglich: Katrin Breitling, Chefärztin der Frauenklinik am Kantonsspital Schaffhausen. dass die Spitäler Schaffhausen über eine eigene Kinderkrippe verfügen. Die Tochter dort zu platzieren, habe gut funktioniert. Einzig die Öffnungszeiten hätten nicht immer mit ihren Schichtplänen zusammengepasst. Als die Tochter ins Kindergartenalter kam, gab es dort keinen Mittagstisch. Überbrückung leisteten zeitweise eine Tagesmutter und auch die Freunde ihrer Tochter beziehungsweise deren Familien. Schliesslich einigten sich Katrin Breitling und ihr Mann, mit dem sie seit 25 Jahren zusammen ist, dass er sein Pensum als Fitnesstrainer auf 50 Prozent reduziert und sich um Kind und Haushalt kümmert. Ohne ihn wäre die Karriere am Spital nicht möglich gewesen. «Er unterstützt mich und hält mir bei meinem doch sehr arbeitsintensiven Job den Rücken frei.» Eine solche Unterstützung bräuchten nicht nur Frauen in Führungspositionen, sondern bekanntermassen auch Männer. Die Work-Life-Balance, das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit, ist auch für Katrin Breitling nicht immer einfach zu finden. «Meine Wochen sind sehr gut ausgefüllt, da gibt es oft mehr Work als Life», schmunzelt sie. «Aber grundsätzlich arbeite ich gerne. Ich bekomme von meinen Patientinnen und Patienten, aber auch von meinen Kollegen viel zurück.» Sie schaue jedoch, dass sie die Wochenenden in Feuerthalen mit der Familie verbringe. Ansonsten sei sie gerne in der Natur unterwegs, fahre Velo, wandere und reite. Einen Teil ihrer Energie widmet Katrin Breitling seit 2016 der Krebsliga Schaffhausen. Als Vorstandsmitglied ist sie für den Bereich Brustkrebs zuständig. «Das ist eine sehr interessante Tätigkeit. Ich lerne viele Leute auf einer ganz anderen Ebene kennen. So kann ich auch präventiv tätig sein und etwas für die Vorsorge der Bevölkerung tun.» 

Zwischen Systemtechnik und Stillen

Mirjam Baumann hat sich auf dem zweiten Bildungsweg zur Informatikerin ausbilden lassen. Nun ist vorgesehen, dass sie den elterlichen IT-Betrieb übernimmt. Das verzögert sich, denn sie hat zwei Kleinkinder, die zurzeit ihre volle Aufmerksamkeit erfordern.

TEXT VINCENT FLUCK BILD ROBERTA FELE

Wäre Mirjam Baumann ein Mann, dann wäre sie jetzt Geschäftsführerin der Schaffhauser RCS IT Services. Ihr Vater Fritz Friedli hat das offizielle Pensionsalter überschritten und wäre bereit, die Leitung abzugeben. Doch Mirjam Baumann wurde vor zweieinhalb Jahren Mutter. Das erschwert die Übergabe. Damals hat sie ihr Pensum auf 40 Prozent reduziert. Und nun, seit der Geburt der zweiten Tochter im Mai, hat sie sich ganz ausgeklinkt und macht bist Ende Dezember eine Mutterschaftspause. «Im Moment ist es so, dass meine Kinder für mich die höchste Priorität haben», sagt sie. Auch ihre Vorstandsämter beim Gewerbeverband der Stadt Schaffhausen und bei der Branchenvereinigung ICT Berufsbildung Schaffhausen legte sie vorübergehend nieder. Das ist eine ganz neue Erfahrung: «Bis jetzt war ich mein ganzes Leben lang voll erwerbstätig.»

Ganz vom Familienunternehmen lösen konnte sich die 37-Jährige indessen nicht. «Seit ein paar Wochen arbeite ich wieder einen Tag in der Woche, weil wir so viel Arbeit haben.» Ihre Mutter, die für die Buchhaltung der Firma zuständig ist, kümmert sich dann jeweils um die Kleinen. Und da die jüngere immer noch gestillt wird, versucht die Informatikerin möglichst viel «remote» zu arbeiten, also über den Computer im Hallauer Homeoffice. Im Januar will sie dann wieder ihr Pensum erhöhen. Zusätzlich zur Grossmutter wird sich dann auch eine Kindertagesstätte um den Nachwuchs kümmern.

GETEILTE CHEFPOSITION

Die RCS IT Services ist im Schaffhauser Mühlental angesiedelt. Sie beschäftigt zehn Mitarbeitende, darunter zwei Lernende. Im Auftrag der Kundschaft richtet die Firma Computer-Netzwerke und Backup-Systeme ein, stellt Server auf oder bietet Cloud-Lösungen an. Zum Kundenkreis gehören nebst KMU auch internationale Konzerne. Wann genau Mirjam Baumann die Verantwortung für den Familienbetrieb übernehmen wird, ist offen. «Das ist noch in Klärung», sagt sie. «Jedenfalls müssen wir einen Geschäftsführer haben. Dann wird die Führung aufgeteilt – auf diese Person und mich.» Vorläufig werde sie sich nämlich nicht voll der Firma widmen können. Einen Versuch, einen Angestellten mit der Geschäftsführung zu betrauen, hat ihr Vater bereits unternommen. Doch nach einiger Zeit hat Fritz Friedli das Steuer wieder übernommen. Könnte Mirjam Baumann nicht einen Teil der Kinderbetreuung ihrem Gatten abtreten, damit sie mehr Zeit für die Firma hat? Das sei kein Thema, antwortet sie. «Mein Mann ist ebenfalls in einer Führungsposition. Er kann nicht weniger als 100 Prozent arbeiten.» Jahre lang in Zürich als solche gearbeitet. «Ich habe dann gemerkt, dass dieser Beruf nicht das ist, was ich mir gewünscht hatte», erinnert sie sich. So machte sie ab 2008 eine Ausbildung in IT-Systemtechnik und arbeitete nebenbei bei ihrem Vater und dann bei der KSD, dem Informatikunternehmen von Stadt und Kanton. Nach dem Abschluss mit dem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis folgten Lehr- und Wanderjahre, die sie für einige Zeit auch ins amerikanische Princeton zur Firma Tyco führten. Im Auftrag eines in der Region Schaffhausen tätigen Konzerns hatte sie unter anderem auch Einsätze in der britischen Hauptstadt. Daran erinnert sie sich sehr gerne. «Ich liebe London», sagt sie. «Ich war damals jedes Jahr ein paar Mal dort.»

LOHNGLEICHHEIT FÜR FRAUEN

Geplant war Mirjam Baumanns Karriere nicht. Sie hat sich ergeben. Ihre familiäre Herkunft ist der Grund, weshalb sie jetzt für die Unternehmensführung vorgesehen ist. «Als ich noch jünger war, sagte ich zwar immer, dass ich das nicht unbedingt will. Denn damit ist viel Verantwortung verbunden.» Mit jedem zusätzlichen Jahr an Berufserfahrung habe sich dies aber geändert. Sie ist die einzige der drei Schwestern, die sich beruflich in diese Richtung entwickelt hat. Ihre Zwillingsschwester beispielsweise absolvierte die Hotelfachschule.

Informatik gilt gemeinhin als Männerdomäne. Wie konnte sich Mirjam Baumann in dieser Branche behaupten? Dieses Bild stimme nur zum Teil, antwortet sie. «Wir haben relativ viele Frauen. Bei uns in der Firma haben diesen Sommer zwei Lernende abgeschlossen, eine davon war eine Frau.» Und diese habe die beste Schaffhauser Abschlussarbeit aller Zeiten abgeliefert. «Darüber waren wir sehr stolz.» Es sei zwar schon so, dass sich junge Frauen nicht unbedingt zur Informatik hingezogen fühlten, das merke sie immer wieder an den Berufsmessen, die sie für ICT Berufsbildung Schaffhausen organisiere. Auch in ihrer Ausbildung sei die unterschiedliche berufliche Ausrichtung der Geschlechter deutlich ins Auge gestochen. «Bei den Coiffeuren waren nur Frauen, bei der Informatik nur Männer.» Dennoch stünden die Türen für Informatikerinnen weit offen. «Die meisten IT-Firmen sind froh, wenn sie eine Frau haben. Deshalb findet keine Benachteiligung

Logisch und strukturiert: Mirjam Baumann, designierte Geschäftsführerin RCS IT Services. statt.» Und in ihrer Firma gebe es auch lohnmässig keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. «Ausserdem habe ich nie das Gefühl gehabt, dass die Kunden ein Problem haben, dass ich eine Frau bin und weniger glaubwürdig wäre.» strukturiert vorgeht? In der Regel stimme das, aber nicht immer, antwortet Mirjam Baumann. Sie selber entspreche diesem Bild. «Ganz allgemein stelle ich immer einen Plan auf», sagt sie. «Das mache ich auch jetzt als Hausfrau so. Ich brauche eine gewisse Struktur.» Obwohl viele dieser Pläne mit den Kindern immer wieder über den Haufen geworfen würden. Sie lacht. 

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