Jahresvorschau 2017-2018

Page 30

Il trittico Drei Opern, jede einzelne in sich abgeschlossen. Drei Geschichten, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, drei Orte und drei Zeiten. Keine einheitliche Erzählung, keine durchgängigen Figuren, nicht einmal derselbe musikalische Stil. Oder doch? Was Puccini in seinen drei Einaktern macht, die er unter dem der Kunstgeschichte entlehnten Begriff „Triptychon“ zusammengefasst hat, ist höchst modern – und sagt mindestens so viel über seine Zeit aus wie über Puccinis Fähigkeit, ihre Charakteristik zu erfassen. Denn die drei kurzen Opern Il tabarro, Suor Angelica und Gianni Schicchi sind „Wirklichkeitsausschnitte“: An die Stelle der Behauptung, in einer großen Oper wie in einem großen Roman die Welt als Ganzes abbilden zu können, treten drei historische Schlaglichter. Puccini siedelt die Stücke in drei verschiedenen Epochen an, und zwar rückläufig – beginnend um 1910 und endend im frühen Mittelalter. Er blickt von oben auf die Vergangenheit und erzählt uns die Geschichte der Menschheit anhand von drei scheinbar zufällig ausgewählten Begebenheiten. Doch in der Art, wie er die Ereignisse entfaltet, nutzt er ganz spezifische Elemente von Zeit, Ort und Situation, in denen die Figuren zu sehen sind. Es ist, als würde er in einen kleinen Ausschnitt der Welt hineinzoomen und trotzdem eine universelle Perspektive gewinnen. Sie erinnert an einen riesenhaften schwarzen Tunnel, der existentiell gewendet ins Nirgendwo führt, oder an den Trichter, mit dem Walter Benjamin die Zeit als „Medium des Zwanges“ beschrieben hat, oder an jenen Tunnel, den Menschen mit Nahtoderfahrung beschrieben haben – verbunden mit Puccinis eigenem Erleben, während er dieses Werk schrieb. Der Tunnel entpuppt sich als Metapher des Lebens: Niemand weiß, wo er hergekommen ist noch wo er hingeht. Am Ende wird deutlich: Alle drei Teile von Il trittico handeln davon, wie die Menschen in ihrem Leben mit dem Tod umgehen, wie sie darum ringen, mit Verlusten fertigzuwerden, und wie ihr Verhalten dabei ihre Zukunft bestimmt. Der Tod und die Unfähigkeit der Menschen, mit der Sterblichkeit zurechtzukommen, prägen Puccinis Meisterwerk aus einer Zeit, die jeden Halt zu verlieren scheint. Es ist kein Zufall, dass dieses Stück geschrieben wurde, als der Erste Weltkrieg in Europa wütete. Und zugleich fällt es nicht schwer, die Verbindung ins Heute zu ziehen, denn gerade wegen seiner konkreten Ausarbeitung im Detail handelt es sich bei Il trittico um eine universell gültige Darstellung der conditio humana. Oper

Lotte de Beer 29


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.