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das baugerüst 3/09 KinderLeben

b en

Kind

Sprache und Kommunikation

aej

information Zeitschrift für die Evangelische Jugend in Deutschland

2/2010 www.evangelische-jugend.de

Ökumene ist immer stattfand, fragen sich einige, ob man angesichts

der festgefahrenen Situation „die Ökumene“ nicht einfach abhaken sollte. Andere wiederum fanden schon vor dem 2. ÖKT die Lage in

ökumenischen Grundsatzfragen nur noch im

evangelische Bildungsarbeit, die weder an konfessionellen noch an nationalen Grenzen haltmacht. Schon seit mehr als einem halben Jahrhundert arbeiten in diesem Sinne in der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) Vertreter(innen) unterschiedlicher historischer Konfessionen geschwisterlich und im Respekt vor den jeweiligen theologischen und kulturellen Hintergründen zusammen. Reformierte und Baptist(inn)en, Methodist(inn)en und Lutheraner(innen) sind genauso mit von der Partie wie etwa Herrnhuter(innen) und Unierte oder pfingstkirchlich geprägte Freikirchler(innen), wenn es um die wirkungsvolle Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche in Deutschland geht. Die gelegentlich innerhalb der Evangelischen Jugend hervortretenden unterschiedlichen Auffassungen in politischen, pädagogischen und manchmal auch

DPAG Postvertriebsstück ISSN 0947-8329 Entgelt bezahlt Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) Otto-Brenner-Straße 9, 30159 Hannover

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information Zeitschrift für die Evangelische Jugend in Deutschland

1/2011 www.evangelische-jugend.de

Jugendliche in der Migrationsgesellschaft Reflexionen zu einer Unterscheidungspraxis von Claudia Machold und Paul Mecheril

Jugendlich zu sein – etwa in Abgrenzung zu Erwachsensein – stellt eine kulturell bestimmte Unterscheidung dar, die sowohl für gesellschaftliche Teilhabe als auch Identität bedeutsam ist. Was unter Jugendlichsein verstanden wird, ist abhängig vom gesellschafts-historischen Kontext.

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Römer 12, 21) Gedanken zur Jahreslosung 2011 – von Sarah Vogel Überwindung bedeutet über seinen eigenen Schatten springen und einen Schritt tun, der einem schwer fällt. Auf fremde Menschen zuzugehen, fällt uns nicht leicht, das Fremde kann uns unheimlich sein und Angst machen. Fremde Sprache, fremdes Aussehen, fremde Lebensweisen müssen aber nicht fremd bleiben, wenn wir uns überwinden, einen Schritt auf Menschen – beispielsweise eine Nachbarin oder einen Kollegen – zuzugehen. Dann können wir schnell erkennen, dass das Fremde nicht das Böse ist, sondern dass wir mit dem Schritt der Überwindung das Böse in uns besiegen und uns durch diesen Mut gut fühlen können. So können wir es schaffen, Ängste und Vorurteile abzubauen und das Gute in uns und unseren Mitmenschen, die uns bislang fremd waren, zu entdecken. „Auch ohne Gewalt auskommen/Böses mit Gutem vergelten/Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen/ Gilt für weise“, schreibt Bertolt Brecht in einem Gedicht aus dem dänischen Exil, herausgerissen aus seiner Heimat. Und er fügt hinzu: „Alles das kann ich nicht: Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!“ In diesen Zeiten des Exils, der Angst, des Lebens in der Fremde und Ferne ohne seine Sprache, Freunde, Familie, lebte Bertolt Brecht tatsächlich in finsteren Zeiten und konnte kein Leben ohne Furcht verbringen und das Böse mit Gutem vergelten, wie er es sich gewünscht hat und wie es auch die Jahreslosung fordert. Aber mit dem Titel des Gedichtes „An die Nachgeborenen“ müssen diese Verse als Appell verstanden werden. Denn heute haben wir die Chance, in einem freien Land zu leben, zu denken und nach Brecht „weise“ zu handeln. Daher sollten wir in unserer Migrationsgesellschaft uns überwinden und auf Menschen zugehen, sie kennenlernen, damit wir sie nicht mehr als Fremde sehen und sie sich auch nicht mehr fremd fühlen müssen. Wir können ohne Furcht leben und haben die Verantwortung, dies möglichst vielen Menschen zu ermöglichen, denn wir sind die Nachgeborenen.

Hier, so könnte man sagen, ist die Strukturdifferenz Generation entscheidend. Jugendlich in der Migrationsgesellschaft zu sein, richtet die Aufmerksamkeit auf eine weitere Zugehörigkeitsordnung: Migrant(inn)en und Nicht-Migrant(inn)en oder Jugendliche „mit Migrationshintergrund“ und Jugendliche „ohne Migrationshintergrund“. Diese Unterscheidungen sind Unterscheidungen, in denen natio-ethno-kulturelle Differenzen relevant gesetzt werden (vgl. Mecheril 2003). Wie alle Differenzkonstruktionen muss auch diese gleichsam kulturell hervorgebrachte und für Teilhabe und Identität relevante Strukturkategorie in ihrer relationalen Eigenschaft betrachtet werden. Das Sprechen über Jugendliche „mit Migrationshintergrund“ konstituiert gleichzeitig Jugendliche „ohne Migrationshintergrund“ (auch wenn diese komplementäre Konstruktion zumeist unbenannt bleibt). Die Liste der für Individuen aktuell relevanten Differenzlinien und -ordnungen ließe sich fortsetzen (Gender, Religion, [Dis-]Ability, …) und nicht ohne Grund orientiert sich eine an Differenz interessierte sozialwissenschaftliche Forschung zunehmend auf die Verschränktheit der unterschiedlichen Kategorien, ihre Intersektionalität oder Interdependenz. An dieser Stelle möchten wir jedoch unsere Ausführungen auf die aus unserer Sicht zentrale Differenz beim Nachdenken über die Migrationsgesellschaft und ihre Jugendlichen fokussieren: natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit. Dass hier dieses Ordnungsverhältnis herausgestellt wird, begründet sich unter anderem in der Selbstverständlichkeit, in der gegenwärtig über Jugendliche „mit Migrationshintergrund“ in medialen, wissenschaftlichen, pädagogischen und anderen Zusammenhängen gesprochen wird. Eine Redeweise hat sich durchgesetzt. Allein deshalb macht es Sinn, diese kulturelle Praxis der Unterscheidung zu reflektieren. Fokussieren werden wir also die Bezeichnungs- und insofern Unterscheidungspraxis von Jugendlichen „mit“ und „ohne Migrationshintergrund“. Die Häufigkeit, in der gegenwärtig die Unterscheidung zwischen Jugendlichen „mit“ und „ohne Migrationshintergrund“ wahrgenommen, gehört und gelesen werden kann, bringt zum Ausdruck, welche Bedeutung Migration als faktisches und symbolisches Ereignis zukommt. Migration als die Bewegungen von Menschen über relevante Grenzen hinweg hat es zu allen historischen Zeiten und fast überall gegeben. Migration ist eine universelle Praxis,

eine allgemeine menschliche Handlungsform. Allerdings haben sich Art und Ausmaß der Wanderungsbewegungen wie auch die Ordnungen, die Grenzen hervorbringen und damit die Grenzen selbst, im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt. Für gesellschaftliche Verhältnisse der Gegenwart sind Migrationsphänomene von besonderer Bedeutung. Migration konturiert und rekonturiert das Bekannte und das Bestehende. In politischen und alltagsweltlichen Auseinandersetzungen um das Thema Migration geht es immer um die Frage, wie und wo ein nationalstaatlicher Kontext seine Grenze festlegen und wie er innerhalb dieser Grenze mit Differenz, Heterogenität und Ungleichheit umgehen will. Migration problematisiert Grenzen. Dies sind nicht so sehr die konkreten territorialen Grenzen, sondern eher symbolische Grenzen der Zugehörigkeit. Durch Migration wird die Frage der Zugehörigkeit – nicht nur die der sogenannten Migrantinnen und Migranten – individuell, sozial und auch gesellschaftlich zum Thema, da durch Migration eine Differenzlinie problematisiert wird, die zu den grundlegendsten gesellschaftlichen Unterscheidungen gehört, die das „Innen“ von dem „Außen“ scheidet. Migration ist somit nicht angemessen allein als Prozess des Überschreitens von Grenzen beschrieben, sondern ein Phänomen, das die Thematisierung und Problematisierung von Grenzen zwischen „Innen“ und „Außen“ und zwischen „Wir“ und „Nicht-Wir“ nach sich zieht und damit DPAG Postvertriebsstück ISSN 0947-8329 Entgelt bezahlt Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) Otto-Brenner-Straße 9, 30159 Hannover

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Dr. Uwe-Karsten Plisch, Theologischer Referent in der Geschäftsstelle der Evangelischen StudentInnengemeinde in Deutschland (ESG)

Kontakt: Dr. Uwe-Karsten Plisch, ESG, Otto-Brenner-Str. 9, 30159 Hannover, Telefon: 0511 1215-143, E-Mail: forum1@bundes-esg.de, Internet: www.bundes-esg.de

Nicht erst nach dem Ende des 2. Ökumenischen Kirchentags (ÖKT), der im Mai 2010 in München

Deutschland so entspannt, dass sie von

Geschichtsbuch lesen wollten. Für die aej stellt sich diese Frage anders. Die Evangelische Jugend in Deutschland und andernorts ist in ihrem Selbstverständnis ein Teil der Kirche und zwar der weltweit Einen Kirche Jesu Christi. Schon daraus folgt die Unabdingbarkeit ihres ökumenischen Engagements – weder die ökumenische Dimension der Kirche noch die der Evangelischen Jugend ist optional oder nur ein Spezialthema für Expert(inn)en an passenden Feiertagen wie Pfingsten oder Erntedank. Die nationalen Synoden sowohl der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als auch der römisch-katholischen Bistümer in der Bundesrepublik haben dazu passende Worte gefunden. Dem „Wir sind nur dann evangelisch, wenn wir zugleich ökumenisch sind.“ aus der Kundgebung „Eins in Christus. Kirchen unterwegs zu mehr Gemeinschaft“ der EKDSynode 2000 entspricht die Einsicht der römisch-katholischen Gemeinsamen Synode, „dass ‚ökumenisch‘ nicht irgendein Sachgebiet kirchlicher Tätigkeit neben anderen bezeichnet, sondern eine notwendige Dimension aller Lebensäußerungen der Kirche“ (Beschluss Pastorale Zusammenarbeit der Kirchen im Dienst an der christlichen Einheit, 1976). Die Evangelische Jugend ist ein Teil der (unerlösten) Welt und steht mit deren anderen Teilen in vielfältigen, z. B. politischen, kulturellen und materiellen Beziehungen. Daraus erwächst ihre Verantwortung, ihre Gaben und Möglichkeiten für sich und andere im gemeinsamen Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einzusetzen. Ihre ökumenische Jugendarbeit ist somit im besten Sinne

nachgedacht

nachgedacht

Die Evangelische Jugend in Deutschland nach dem ÖKT in München Ökumenischer Brennpunkt: Gemeinsames Abendmahl „Jedes Jahr im Januar beginne ich das Arbeitsjahr mit einem Wochenendseminar zum Thema der ökumenischen Bibelwoche, eine langjährige Kooperationsveranstaltung mit einer evangelischen und einer katholischen Studierendengemeinde. Drei Tage lang denken wir gemeinsam über Texte der Heiligen Schrift nach und am Sonntag endet das Seminar jeweils mit dem gemeinsamen Besuch der Heiligen Messe. Die Messe zelebriert in der Regel der katholische Studierendenpfarrer. Jahrelang hielt es der katholische Kollege so, dass er die Frage der gemeinsamen Eucharistie durch möglichste Nichterwähnung zu umgehen versuchte. Jedes Jahr standen wir Evangelischen vor der Frage – nach drei Tagen gemeinsamen Bibelstudiums: Nehmen wir nun teil oder nicht? Der neue Kollege schaffte vor zwei Jahren Klarheit: Er lud die Evangelischen explizit aus, indem er sie einlud, mit nach vorn zu kommen und sich einen Segen abzuholen. Kein(e) Protestant(in) mit einem Funken Selbstachtung tut sich das an. Nach drei Tagen Bibelstudium als Christ(inn)en nicht gemeinsam an den Tisch des Herrn zu treten, ist absurd, ja schlimmer, es ist blasphemisch. Anderswo passiert es längst und natürlich habe ich auch schon selbst wiederholt die Eucharistie empfangen. In den Studierendengemeinden hat das ohnehin eine lange Tradition. Die theologischen Fragen sind längst geklärt, die Differenzen sind überbrückbar. Wenn wir uns klarmachen, dass es Jesus Christus ist, der einlädt, sollte es eigentlich kein Problem sein, sich über unsere jeweiligen Irrtümer hinweg zu verständigen. Wir sind längst soweit! Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass es bei der bestehenden Trennung von oben her nicht um Theologie geht, sondern um Macht und Kontrolle über Menschen. Denn das Gefühl von Macht ist je größer, desto absurder die Vorschrift ist. Aber nur, wenn sich jemand daran hält.“

Generationen - gerechtigkeit - bilder - konflikte


das baugerüst für Jugend- und Bildungsarbeit

die Zeitschrift

die weiterdenkt!

Zeitschrift für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der evang. Jugendarbeit und außerschulischen Bildung ISSN 0005-6618 Verlag: Verein zur Förderung evangelischer Jugendarbeit, Nürnberg Herausgeber: Verein zur Förderung Evangelischer Jugendarbeit e.V. Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (aej) Amt für Evangelische Jugendarbeit in Bayern Geschäftsf. Herausgeber: Dr. Hans-Gerd Bauer Verantwortl. Redakteur: Wolfgang Noack Redaktion: Rainer Brandt, Gabriele Bruhns, Michael Freitag, Ines Güther, Marianne Hassel, Regina Miehling, Barbara Overmann, Dr. Thomas Schalla, Kerstin Sommer, Ulla Taplik, Uli Willmer Beirat: Arbeitsgemeinschaft der Landesjugendpfarrerinnen und Landesjugendpfarrer in der Bundesrepublik Deutschland das baugerüst wird gefördert aus Mitteln des BMFSFJ Anschrift der Redaktion: Postfach 45 01 31, 90212 Nürnberg Hummelsteiner Weg 100, 90459 Nürnberg Telefon: 0911/ 4304-0 Durchwahl: -279 u. -278 Telefax: 0911/ 4304-205 E-Mail: baugeruest@ejb.de www.baugeruest.ejb.de Mitglied des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik Druck: E. Riedel GmbH, Gunzenhausen/Mfr. Erscheinungsweise vierteljährlich Preis jährlich 18.- zuzügl. Versandkosten Einzelheft 5.- zuzügl. Versandkosten Abbestellungen sind bis zu vier Wochen vor Ende eines Jahres möglich. Unverlangt eingesandte Rezensionsexemplare werden nicht zurückgeschickt. das baugerüst erscheint im 64. Jahrgang


B rief d es H erausg eb ers

Liebe Leserin, lieber Leser Ich kam kurz vor dem Bau der Mauer im Juni 1961 zur Welt. Die Beatles habe ich noch original „im Ohr“. Zu den Zeltlagern, die ich als Ehrenamtlicher leitete, kamen Kinder der Jahrgänge 1965 -1973. Nach dem Abitur jobbte ich in der Altenpflege. Dort kam ich einmal pro Woche zu einem ostpreußischen Mann, um ihn zu waschen. Gebannt hörte ich zu, als er mit seinen 89 Jahren davon erzählte, wie er am Straßenrand in Berlin stand und der Kaiser „hoch zu Roß, gespornt und gestriegelt“ in Berlin einritt. Das muss so um 1911 gewesen sein. Mir kam es vor, als erlebte ich hier historisches Kino, so lebendig war die Schilderung des alten Herrn. Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und wenn's köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen. So wird im Psalm 90 über das Leben räsoniert. Keine Segmente, keine Lebensabschnitte kommen in den Blick, sondern der Blick geht auf das Ganze. Die volle Lebensspanne macht das Menschenleben aus. In der Fülle seiner Erfahrungen bittet der Psalmbeter dann: Gott, sei uns freundlich und fördere das Werk unsrer Hände. Kein Alter, keine bestimmte so genannte Zielgruppe wird genannt. Vor Gott steht die ganze Lebensspanne –altersunabhängig, altersübergreifend, ohne Ansehen des Alters. Unsere heutigen soziologisch-politischen Abwägungen und Zuschnitte sehen anders aus: Man spricht von - Generation Golf – die 68´er – „DIE JUGEND“ – DIE ALTEN“ – Web 2.0-Generation – die Kriegs- und die Nachkriegsgeneration – Flower-Power- und LoveGeneration – das Jahr 2012 wird ausgerufen als das Internationale Jahr der Generationengerechtigkeit. Warum sprechen Politiker gerade bei Haushaltsdebatten so gerne von Generationenvertrag? Warum werden Generationenkonflikte bis hin zum Krieg der Generationen beschworen, wenn es um Renten und die Zukunft des Sozialstaates geht? Was aber meint der Begriff Generation überhaupt? Klar scheint es, dass in diesen Debatten die Generationen nicht nur im Unterschied von „Jung“ und „Alt“ zu fassen sind. Aber wie dann und mit welchen Absichten? Ein spannendes, altersübergreifendes baugerüst liegt vor Ihnen. Ich wünsche Ihnen anregende Lektüre zum Themenkreis der so genannten Generationen. Ihr

Gerd Bauer


Inha l t thema 6 Wolfgang Noack Im Jahr der Generationengerechtigkeit Einführung in das Heft 7 Tanja Breukelchen Deutschland verändert sich 10 Kurt Lüscher Generationen in Gegenwart und Zukunft Über Generationen diskutieren, mit Generationen arbeiten: Fünf Stichworte

hintergrund 17 Franz Segbers Was heißt Gerechtigkeit zwischen den Generationen? 24 Wolfgang Gründinger Generationen, vertragt euch! 30 Angelika Overath Generationen-Bilder 38 Daniel Grein Jugend(verbands)arbeit in einer älter werdenden Gesellschaft 42 Johannes Taschner Nicht werden wie die Eltern Zum Verhältnis der Generationen in der Bibel

kontrovers 48 Udo Bußmann Die Zukunftsfähigkeit der Kirche stärken Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen fördern und sichern – ein Plädoyer 54 Barbara Bauer Ressourcenverteilung Steuerung der kirchlichen Ressourcen heute und in 30 Jahren

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I nhalt gespräch 60 Jugendliche haben ein Kündigungsrecht Gespräch mit Fulbert Steffensky über die Jugend, das Alter und den Umgang miteinander.

standpunkt 65 Michael Freitag Jugendkirche - Altenkirche und das Generationenhaus des Glaubens

forum 68 Hannah Beitzer Netzwärts Endlich haben wir unseren Generationenkonflikt! 74 Reinhold Ostermann Generative Jugendarbeit 78 Nichts bleibt wie es war In jeder Epoche haben die Menschen an andere Wahrheiten geglaubt 79 Robert Zeidler Eigene Räume für Jugendliche 82 Birgit Riedel Familienzentren und Mehrgenerationenhäuser – neue Orte der Begegnung? 86 Bärbel Matos Mendoza Vorurteile brechen in sich zusammen Verschiedene Generationen treffen sich in Taizé 90 Simon Schnetzer Was eine Stadt zusammenhält Alt & Jung im Dialog über ihre Lebenswelten 95

Rezensionen

98 Autorinnen und Autoren

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Einf ü h r u n g

Wolfgang Noack

Im Jahr der Generationengerechtigkeit Altsein ist schön. Jeden Abend kurz vor dem Wetterbericht der „Heute“-Sendung um 19 Uhr im ZDF zeigen uns die beiden Rentner, wie man das Leben richtig genießt: Kreuzfahrten in die große weite Welt, gute Renditen auf Bankkonten oder Komfort im eigenen Haus, wenn nötig auch mit Treppenlift. Bis ins hohe Alter genießen. Das mediale Bild der Jugend hingegen speist sich aus einer anderen Perspektive. Facebook Partys, Komasaufen und Gewaltbereitschaft auf Schulhöfen schaffen es in die Abendnachrichten. Massenmedien prägen Bilder, die Generationen übereinander besitzen. Unterfüttert werden die Bilder von dem Albtraum der Demographie, der Sorge vom Aussterben, zumindest aber von der Angst, dass die wenigen Jugendlichen die steigende Zahl der Rentner und Pensionäre nicht mehr angemessen versorgen können. Wechselseitig tauchen dann Schreckensszenarien vom Aufstand der Jungen oder der Alten auf. Und das Ganze im Jahr 2012, dem Jahr der Generationengerechtigkeit. Zwei Punkte sind hier interessant: Menschen leben länger, sind bis ins hohe Alter noch fit, werden aber nicht mehr gebraucht. Alle Bemühungen, über 60-Jährige am Arbeitsmarkt zu halten, sind Sonntagsreden; lediglich ein Viertel der 60- bis 64-Jährigen verfügt über einen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitarbeitsplatz. Die Diskussion um die Rente mit 67 (manchmal ist auch von 69 die Rede) ist nichts anderes als eine Rentenkürzung. Vernünftige Arbeit gäbe es genug. Würde man Kommunen oder sozialen Einrichtungen die finanziellen Möglichkeiten geben, sie könnten vollwertige Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Senioren könnten sich neuen Herausforderungen stellen. Und das Geld ist vorhanden. Der Sozialwissenschaftler Gerd Bosbach (FHS Remagen) schreibt, dass seit der Wiedervereinigung die wirtschaftliche Leistung in diesem Land um 30 Prozent gestiegen ist und das bei vier Prozent weniger Arbeitsstunden. Wenn diese 30 Prozent

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nicht bei den Menschen - oder in den Sozialsystemen - angekommen sind, „hat das offensichtlich nichts mit Demographie zu tun, sondern mit der Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer.“ Und Zweitens: „Fast alle, die heute dreißig, vierzig, fünfzig Jahre alt sind, stellen irgendwann fest, dass sie viel jünger aussehen, sich fühlen und benehmen, als das in den Biografiefahrplänen vorgesehen war“, schreibt Claudius Seidl, Autor des Buches „Schöne junge Welt - Warum wir nicht mehr älter werden“. Wenn aber jugendliche Eigenschaften wie Flexibilität, Offenheit, Dynamik und Mobilität die Welt dominieren, werden Werte wie Weisheit, Erfahrung und Stetigkeit in einer Welt, die atemlos dem Wandel unterworfen ist, nichts mehr gelten. Der englische Essayist R.P. Harrison meint, dass nur extreme Jugendlichkeit diese Anpassung an die immer dramatischeren Transformationen gewährleisten kann. Extreme Jugendlichkeit bis ins hohe Alter und auf dem Arbeitsmarkt ab 50 zum alten Eisen zu gehören - das kann ja wohl nicht die Perspektive sein. Ein neues Verständnis von Jung und Alt und eine Diskussion über das Verhältnis der Generationen ist nötig - im Jahr der Generationengerechtigkeit 2012.


H int erg rund

Deutschland verändert sich von Tanja Breukelchen Deutschland verändert sich. Und das schon lange bevor der demographische Wandel überhaupt Thema war. 1964 gab es mit 1.357.304 Neugeborenen die höchste Geburtenrate nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch schon seit 1972 ist die Geburtenrate konstant niedriger als die Sterberate. So kamen 2009 nur noch 665.000 Kinder zur Welt, während es im gleichen Jahr laut Statistischem Bundesamt 855.000 Sterbefälle gab. Und die Zahl der Einwohner fiel erstmals unter die 82-Millionen-Grenze. Für 2010 rechnet man erneut mit einem Geburtendefizit von bis zu 195.000. Und schon jetzt sagen Prognosen voraus, dass 2030 nur noch rund 77 Millionen Menschen in Deutschland leben werden.

Doch nicht nur die Größe der Bevölkerung verändert sich, sondern auch ihre Struktur. Die Jungen werden immer weniger, die Alten immer mehr. Im Jahr 2030 wird in Deutschland fast ein Viertel weniger Kinder und Jugendliche leben als heute. Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter, zwischen 20 und 65 Jahren, wird um 7,7 Millionen (15 Prozent) zurückgehen. Nur die Altersgruppe über 65 Jahre wird ansteigen – von knapp 16 Millionen im Jahr auf 2005 auf 22 Millionen 2030. Ein Anstieg um 40 Prozent. – Diese Zahlen variieren aber innerhalb Deutschlands, da immer mehr Junge in die Städte ziehen und generell eine Wanderungsbewegung in den Süden Deutschlands festzustellen ist. Eine Binnenwanderung, die Konsequenzen

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Im Jahr 2030 wird in Deutschland fast ein Viertel weniger Kinder und Jugendliche leben als heute Aus: „change – das Magazin der Bertelsmann Stiftung“. Der Nachdruck geschieht mit freundl. Genehmigung der Redaktion


Hinte r g r u n d für ländliche Regionen und da ganz besonders für die neuen Bundesländer hat. So wird zum Beispiel in Hamburg die Bevölkerung bis 2020 sogar um fast drei Prozent steigen, während Bundesländer wie Sachsen-Anhalt (- 11,9 Prozent) und Sachsen (- 8,6 Prozent) immer weniger und gleichzeitig immer ältere Einwohner haben. Zudem hat sich die Lebenserwartung seit 1880 mehr als verdoppelt: bei den Männern von 35,6 auf 75,9 Jahre und bei den Frauen von 38,5 auf 81,6 Jahre. Zugleich bleiben die älteren Menschen länger gesund, sind geistig und körperlich fit. Der demographische Wandel aber geht noch weiter, betrifft auch die Familien. Sie werden seit Jahren immer bunter, Familienformen wandeln sich – von Patchworkfamilien bis zu alleinerziehenden oder geschiedenen Eltern. Mit der aktuell durchschnittlichen Kinderzahl von 1,36 Kindern pro Frau ersetzt die Kindergartengeneration in Deutschland schon lange nicht mehr die Elterngeneration. Und: Auch Eltern werden immer älter. Nach Angaben der Bertelsmann Stiftung stieg das durchschnittliche Geburtsalter bei Frauen in Deutschland von 2002 bis 2006 kontinuierlich von 29,8 auf 30,1 Jahre an. Dass Frauen mit über 40 Jahren Kinder bekommen, ist längst keine Seltenheit mehr. Ein wichtiger Grund dafür ist die Tatsache, dass Kinder und Karriere noch immer nicht einfach miteinander zu vereinbaren sind. Die Folge ist, dass gerade bei Frauen mit gutem Bildungsabschluss der Kinderwunsch immer weiter nach hinten verschoben wird – bis die Familiengründung vielfach nicht mehr klappt oder nur dank medizinischer Eingriffe ermöglicht wird. Und noch ein Faktor beeinflusst den demographischen Wandel: die Zuwanderung. Zwar ist der Zuzug durch Migration in den letzten zwei Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen, durch die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt wird jedoch innerhalb der Europäischen Union ein jährliches Wanderungssaldo von bis zu 200.000 Menschen erwartet. Wie sollen ein Land, eine Gesellschaft und die Politik darauf reagieren? Zu Beginn des neuen Jahrtausends schien der demographische Wandel wie ein Schreckgespenst durch die Medien zu wandeln. Frank Schirrmacher warnte in seinem Buch „Das Methusalem-Komplott“ (2004) vor einem Generationenkrieg. Das ZDF schockte

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T hema drei Jahre später mit seinem selbst ernannten Demographen-Krimi „2030 – Aufstand der Alten“. Der Nachfolgefilm „2030 – Aufstand der Jungen“ floppte Anfang dieses Jahres. Womöglich ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft den demographischen Wandel längst nicht mehr nur als Bedrohung betrachtet, sondern eher als Herausforderung.

den über 60-jährigen Gaststudenten fiel die Zunahme mit fast 60 Prozent besonders hoch aus. Und umgekehrt geben die Älteren ihre Erfahrung an die Jüngeren weiter – im Ehrenamt als Vorleser in der Kita, in Unternehmen als Senior-Coach oder als Trainer in Sportvereinen.

Arbeitsmarkt

Mit der steigenden Lebenserwartung steigen die Anforderungen an das Gesundheitssystem. So wird sich die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland bis 2050 vermutlich verdoppeln. Krankheitsbilder verändern sich, und die Altersmedizin stellt Ärzte und Pfleger vor neue Herausforderungen. Doch die Veränderungen betreffen ebenso die Geburtshilfe. Nicht nur, weil Frauen sehr spät noch Kinder bekommen, sondern auch, weil viele junge Eltern bei dem Thema Schwangerschaft Beratung brauchen – von der Geburt über die Babypflege bis hin zur Frage von Karriere-Comeback und Kinderbetreuung.

Seit 1960 hat sich der durchschnittliche Rentenbezug auf über 128 Jahre fast verdoppelt. Bis 2030 wird die erwerbsfähige Bevölkerung um 6,3 Millionen Menschen sinken. Die Konsequenz hat der Deutsche Bundestag mit der Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre beschlossen. Von 2000 bis 2009 nahm die Zahl der Arbeitnehmer, die das 55. Lebensjahr bereits vollendet haben, um 28 Prozent auf 5,5 Millionen Menschen zu. Arbeitgeber müssen umdenken und sich auf mehr ältere Arbeitnehmer einstellen. Zugleich erschließen sich durch den demographischen Wandel aber auch neue Märkte – vom barrierefreien Bauen über Beratungsfirmen für Demographiegerechtigkeit bis hin zu Pflege-, Bildungs- oder Familienbetreuungs-Angeboten.

Gesundheitswesen

Zu Beginn des neuen Jahrtausends schien der demographische Wandel wie ein Schreckgespenst durch die Medien zu wandeln

Altersaufbau in Deutschland 2005 und 2030*

Bevölkerung nach Altersgruppen in Prozent der Bevölkerung

Bildung Der Blick auf das Alter hat sich gewandelt. Den Menschen wird bewusst, dass sie nach dem Beruf kostbare Lebenszeit vor sich haben, sie wollen frisch im Kopf bleiben und weiter lernen. Laut Statistischem Bundesamt waren allein im Wintersemester 2009/2010 41.900 Gasthörer an deutschen Hochschulen gemeldet. Ihre Zahl ist in den letzten zehn Jahren um vier Prozent gestiegen. Bei

* 2030 Ergebnisse der 11. koordiniedrten Bevölkerungsvorausberechnung Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder

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Thema

Kurt Lüscher

Generationen in Gegenwart und Zukunft

Über Generationen diskutieren, mit Generationen arbeiten: Fünf Stichworte

Die Aktualität der Generationenfrage

Das Bild eines Vertrags zwischen Alt und Jung ist ohnehin fragwürdig

Wenn von Generationen die Rede ist, denken viele an die Beziehungen zwischen Alt und Jung. Der Wandel des Altersaufbaus der Bevölkerung verstärkt seit einiger Zeit das Interesse an der Generationenfrage. Dabei finden sich auf der einen Seite Krisenszenarien: Anlass dafür ist vor allem die Sorge um die Sicherheit der Altersrenten oder die Angst vor einer Entfremdung von Alt und Jung. Auf der anderen Seite kommt es zu einer Idealisierung der Beziehungen, beispielsweise unter Bezugnahme auf Umfrageergebnisse, die eine angeblich unproblematische Solidarität von Großeltern, Eltern und Kindern in den Familien belegen. Doch diese Daten dokumentieren in der Regel lediglich Hilfeleistungen zwischen einem Drittel oder höchstens der Hälfte der Studienteilnehmenden und lassen somit große Teile der Bevölkerung außer Acht. Das Bild eines Vertrags zwischen Alt und Jung ist ohnehin fragwürdig, denn die Beteiligten ha-

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ben den so genannten Generationenvertrag keineswegs im juristischen Sinne geschlossen, sondern sind in ein bestehendes wohlfahrtsstaatliches System hineingeboren worden. In Tat und Wahrheit sind die Dinge also komplizierter als es zunächst den Anschein macht. In dieser Situation mag es hilfreich sein, darüber nachzudenken, was mit den Begriffen Generation und Generationenbeziehungen gemeint ist oder gemeint sein kann, sich also auf so etwas wie ein Generationenvokabular zu besinnen. Diesem Zweck dienen die folgenden Stichworte.

Was meinen wir, wenn von Generationen die Rede ist? Von Generationen ist im Alltag mindestens in dreifacher Weise die Rede. Erstens dient der Begriff der Generation dazu, Alt und Jung zu unterscheiden. Zweitens wird von Generationen in Familie und Verwandtschaft gesprochen, wobei sich die individuellen Zugehörigkeiten mit


sozialen Rollen wie Kind, Eltern und Großeltern verbinden. Drittens finden sich historische und zeitdiagnostische Generationenzuschreibungen wie die 68er-Generation oder die „Babyboomer“. Es gibt darüber hinaus noch ein weiteres wichtiges Generationenverhältnis: das pädagogische. Es versteht sich eigentlich von selbst, wird aber als solches weniger angesprochen. Dabei findet es sich eigentlich schon in den Anfängen des Begriffes. Generationenzugehörigkeiten können sich im Weiteren auch aus der Zugehörigkeit zu Organisationen oder aus dem Eintritt in einen Betrieb ergeben. Den Generationenzuschreibungen ist überdies eigen, dass sie auf eine Abfolge von Generationen verweisen. Das kann mehr oder weniger ausdrücklich geschehen. Am wenigsten trifft dies zu, wenn von Generationen lediglich im Sinne von Alt und

Jung die Rede ist. Man kann darum mit guten Gründen fragen, ob in diesem Fall der Begriff nicht eigentlich zu kurz greift. Jedenfalls wird ein bedeutsames Element seiner Spezifik verpasst, nämlich seine sozialhistorische Dimension und die sich daraus ergebende Dynamik. Darauf stößt man unvermeidlich, wenn man die wechselseitige Verflechtung der Generationenbegriffe und folglich auch der faktischen Generationenzugehörigkeiten in den Blick nimmt. In der Tat können dem Einzelnen immer mehrere Generationenzugehörigkeiten zugeschrieben werden. Eine Mutter ist beispielsweise auch eine Mutter der Babyboomer-Generation und dies wiederum kann mit ihrem Verständnis als Erziehende zusammenhängen. Um die Tragweite von Generationenzugehörigkeiten und -beziehungen im Hinblick auf das praktische Han-

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Kinder sind ihren Eltern ähnlich und sind auf sie angewiesen


Thema

Von Transfers zu reden greift zu kurz

deln zu erfassen, schlage ich also vor, anzunehmen, dass Generationenzugehörigkeiten bedeutsam für die Zuschreibung von wichtigen Facetten der Persönlichkeit, also der Identität des Einzelnen sind. Dieses Verständnis von Generation rückt in differenzierter Weise die lebenspraktische Bedeutung von Generationenzugehörigkeiten und -beziehungen in den Vordergrund, ebenso ihre Bedeutung für die damit einhergehenden moralischen Vorstellungen und Überzeugungen. Wenn wir „Generationenzugehörigkeiten“ als Identitätszuschreibungen verstehen, können wir einen Anschluss an all jene Vorstellungen persönlicher Identität herstellen, gemäß

derer der Einzelne im Umgang mit anderen ein Bild von sich – seinem „Selbst“ – entwickelt; dieses wiederum lässt sich als Referenz für verantwortliches Handeln vor sich selbst und gegenüber anderen (in der religiösen Lesart: auch gegenüber Gott) verstehen. Die Erfahrung, auf andere angewiesen zu sein, nimmt im familialen Generationenverbund einen herausragenden Platz ein. Zugleich geht damit auch eine fundamentale Erfahrung des Andersseins einher. Einfach und verkürzt ausgedrückt: Kinder sind ihren Eltern ähnlich und sind auf sie angewiesen. Zugleich sind Kinder und Eltern fundamental verschieden; sie sind vorab „Jung“ und „Alt“ – und zwar mit allem was dazugehört, und mit allen Differenzierungen, die dieser Unterschied im Laufe des Lebens beinhaltet und sie unterscheiden sich in ihrer Persönlichkeit. Es liegt darum auch nahe, dass diese fundamentale Erfahrung gleichzeitiger Gemeinsamkeit und Verschiedenheit in mehr oder weniger ausgeprägtem Maße auch in anderen Generationenbeziehungen von Belang ist.

Generationenlernen Wir alle wissen: Jung lernt von Alt. Das erleben wir tagtäglich. – Das Umgekehrte gilt ebenso: Alt lernt von Jung. Doch es gibt noch ein drittes: Alt und Jung lernen miteinander – und zwar indem sie sich mit ihren Gemeinsamkeiten und ihren Differenzen sowie mit dem gemeinsamen Erbe auseinandersetzen. Der Akzent, den ich setzen möchte, ist verhalten aber wichtig: Die Älteren geben nicht einfach – sozusagen mechanisch – das Erbe weiter. Schlicht von „Transfers“ zu reden, wie das oft

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H int erg rund geschieht, greift zu kurz. Denn die Älteren haben die Chance, zu bedenken, was sich weiterzugeben lohnt und wie dies geschehen soll. Gleichzeitig können sich auch die Jüngeren mit dem Erbe kritisch auseinandersetzen und bedenken, was sie sich aneignen, also zu Eigen machen wollen. Veranschaulicht am einfachen Beispiel der Großeltern bedeutet dies: Es geht nicht schlicht nur darum, dass diese aus „früheren Zeiten“ berichten und so eine gewisse Beständigkeit repräsentieren. Ebenso wichtig dürfte sein, dass die Enkelkinder schon früh die Erfahrung machen, dass es neben der Mutter und dem Vater Menschen gibt, die ihnen ihre volle Zuneigung zeigen und dennoch etwas anders mit ihnen umgehen als die Eltern dies tun. Allgemeiner gesprochen: Großeltern können Enkelkindern vor dem Hintergrund einer grundsätzlich voraussetzbaren persönlichen Zuwendung und Wertschätzung wichtige Erfahrungen von „Differenz“ vermitteln. Das trifft auch in späteren Lebensphasen zu. Doch das Beispiel lässt sich auch umkehren: Großeltern können im Umgang mit ihren Enkeln eine doppelte Differenzerfahrung machen. Sie stellen fest, dass die Enkel andere Kinder sind als seinerzeit ihre eigenen Töchter und Söhne. Und: Die Enkel, vor allem wenn sie älter werden, leben in anderen aktuellen und virtuellen Welten. Dennoch kann man sich gegenseitig verständigen. Ein derartiges Generationenlernen geschieht nicht nur in Familie und Verwandtschaft, sondern auch in den mannigfaltigen Aktivitäten, die unter dem Begriff „Generationendialog“ zusammengefasst werden können. Es ist ein Lernen, das allen Beteiligten, eben Jung und Alt, die Möglichkeit bietet, sich als Persönlichkeiten weiter zu entwickeln.

Daraus leite ich die These ab, dass diese Aktivitäten als Bildungsprojekte verstanden und gestaltet werden können. Die übergreifende Kennzeichnung „Generationendialog“, mit Betonung auf Dialog, bringt die Chancen dieses gemeinsamen Tuns treffend zum Ausdruck. Dabei möchte ich hervorheben, was unsere praktischen Erfahrungen zeigen und wissenschaftliche Beobachtungen bestätigen: Sich als Person einzubringen, sich zu entfalten und zu entwickeln ist ein wichtiges Motiv vieler Teilnehmenden an diesen Aktivitäten und Projekten, vorab der älteren, aber auch der jüngeren Menschen. Ebenso ist dies ein Anreiz für diejenigen, die sich als Fachpersonen in den Projekten engagieren. In der Praxis ist in der Regel vermutlich nicht, wie plakativ behauptet wird, der gesellschaftliche Zusammenhang, die gesellschaftliche Solidarität die treibende Kraft, sondern das Streben nach Bildung und Persönlichkeitsentfaltung.

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Großeltern können im Umgang mit ihren Enkeln eine doppelte Differenzerfahrung machen


Thema Generationenambivalenz

Wir müssen und können uns mit Differenzen auseinandersetzen

Ambivalenzerfahrungen können auch diejenigen machen, die als Fachleute oft einer anderen Generation angehören

Der besondere Charakter – und die Anziehungskraft – dieser Aktivitäten besteht darin, dass mit mannigfachen Differenzen umgegangen wird. Dazu gehört die Wahrnehmung des eigenen Körpers, das Reden und das Schreiben – von unterschiedlichen Gewohnheiten, Fähigkeiten, Kenntnissen und Überzeugungen aller Art ganz zu schweigen. Die Differenzen zeigen sich, wenn man miteinander isst und trinkt, wenn man ein Programm für eine „Modenschau“ zusammenstellt oder versucht, einen Waldweg instandzusetzen oder sich mit einem Computerprogramm vertraut macht – um nur einige Beispiele zu nennen. Immer ist dabei auch Gemeinsamkeit im Spiel. Sich auf solche Bildungsprojekte einzulassen kann mühsam und anforderungsreich sein und dies, je anspruchsvoller die gemeinsamen Aufgaben sind. Gelingen und Misslingen liegen nahe beieinander. Für das Erleben gleichzeitiger Verschiedenheit und Gemeinsamkeit, wenn mehr oder weniger bewusst die eigene Persönlichkeit mit im Spiel ist, gibt es eine Bezeichnung: Es geht um die Erfahrung von Ambivalenzen. Wir kennen den Begriff aus dem Alltag. Wenn wir sagen, eine Beziehung sei ambivalent, dann geschieht das allerdings oft mit einem negativen Unterton. Wir erfahren uns als zwiespältig, als hin- und hergerissen. Doch es gibt auch eine andere Lesart. Wir nehmen wechselseitig unser Anderssein wahr. Dies geschieht indessen vor dem Hintergrund des gemeinsamen Menschseins. Wir müssen und können uns mit Differenzen auseinandersetzen. Das hat auch etwas Befreiendes: die Einsicht, dass wir nicht im Gehäuse unseres Selbst,

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also ein für allemal auf eine Identität festgelegt sind. Menschsein ist immer auch anders möglich, für unser Gegenüber und grundsätzlich auch für uns selbst. Die Erfahrung von Ambivalenzen kann somit sowohl einengend als auch befreiend sein und sie kann neue Gemeinsamkeit(en) stiften. Das sind Erfahrungen, die viele von uns in „Generationendialogen“ machen, in jenen in den Familien, der Verwandtschaft ebenso wie in Veranstaltungen der Kirchen und kirchennaher Organisationen, freier Träger sowie spontaner Initiativen in den Kommunen und in den Nachbarschaften. Zugleich können sie für jeden von uns Anlass sein, sich selbst mit anderen Augen zu sehen. Worauf es ankommt, sind indessen nicht die Differenzen als solche, sondern das Erleben eines dynamischen Hin und Her, der Wechsel von der einen Sichtweise zur anderen, die unterschiedlichen Herangehensweisen an eine konkrete Aufgabe, sei es der Bau einer Waldhütte, das Vorbereiten einer Modenschau, das Erzählen und Anhören einer gemeinsamen Geschichte und vieles mehr. Ambivalenzerfahrungen können auch diejenigen machen, die als Fachleute, oft einer anderen Generation angehörend, diese Dialoge initiieren und begleiten, gewissermaßen „oszillierend“ zwischen Mitmachen und Beobachten, zwischen Gewähren-lassen und Leiten, zwischen Tradition und Innovation. Die Bereitschaft, sich die Ambivalenzen in unseren Beziehungen einzugestehen, sich ihnen zu stellen und mit ihnen in einer sozial verträglichen, konstruktiven Weise umzugehen, ist in allen Lebensphasen eine


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wichtige Voraussetzung der Persönlichkeitsentfaltung und der Daseinsbewältigung. Darum ist das, was die Beteiligten in den gemeinsamen Projekten erleben, erfahren und lernen, über diese Projekte hinaus von Belang. Darin liegt meines Erachtens eine wichtige gesellschaftspolitische Bedeutung der „Generationendialoge“. So betrachtet, lassen sich die als Teil einer Generationenpolitik verstehen, deren Konturen sich allmählich abzeichnen.

Generationenpolitik Ihr Herzstück ist das Bemühen um Generationengerechtigkeit. Davon ist in der Regel unter dem Gesichtspunkt der Nutzung und der Verteilung von Ressourcen die Rede. Das ist unbestreitbar ein wichtiges Anliegen. Doch

die „Generationendialoge“ – verstanden als Bildungsprojekte – verweisen noch auf einen weiteren wichtigen Aspekt: die Teilhabegerechtigkeit. Es geht darum, im Großen und im Kleinen gesellschaftliche Bedingungen für eine Praxis in den Familien, den Bildungseinrichtungen, den Betrieben, den Vereinen und in der Politik zu schaffen, damit die Generationenbeziehungen der Entfaltung zu einer eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit und der gesellschaftlichen Entwicklung förderlich sind – ungeachtet der Unterschiede nach Geschlecht, sozialer und kultureller Herkunft. Dann – so kann man mit guten Gründen annehmen – sind sie nachhaltig, auch im Blick auf die Generationenbeziehungen zukünftig lebender Generationen.

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Generationenpolitik ist sowohl Gegenwartspolitik als auch Zukunftspolitik


Thema Im Weiteren geht es in der Verwaltung und in den Bereichen des zivilgesellschaftlichen Handelns um eine unvoreingenommene Zusammenschau all jener Politikbereiche, in denen das Verhältnis und die Beziehungen zwischen den Generationen teils offensichtlich, teils verdeckt von Belang sind. Es geht also um eine Zusammenschau der Familien-, der Alters-, der Kinder-, der Jugend-, der Gesundheits- und vor allem der Bildungspolitik. Praktisch heißt das: ein Überwinden des Denkens in Ressorts und Abteilungen.

Werden die Interessen künftiger Generationen bedacht?

Da die Projekte zum „Generationendialog“ in eben diesen Feldern stattfinden und oft zwischen diesen vermitteln, sind sie hervorragend geeignet, die Idee der Generationenpolitik zu erproben und voranzutreiben. Kommt hinzu – und dies möchte ich hervorheben: Initianten und Träger der Generationendialoge sind nicht nur der Staat und staatliche Organe, sondern auch die Kirchen und kirchennahe Organisationen. Vor allem aber sind sie ein Anliegen zivilge-

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sellschaftlicher Organisationen und Initiativen an der Basis. Darin liegen – um es zu wiederholen und zu unterstreichen – ihre gesellschaftspolitische Tragweite und ihre Potentiale, die noch lange nicht ausgeschöpft zu sein scheinen. Generationenpolitik ist sowohl Gegenwartspolitik als auch Zukunftspolitik. Dementsprechend lassen sich dafür zusammenfassend zwei allgemeine Leitsätze formulieren. Erstens: Die Interessen künftiger Generationen werden dann am besten gewährleistet, wenn die Beziehungen unter den heutigen Generationen gerecht organisiert sind, also von allen Menschen in allen Lebensphasen persönlichkeitsfördernd und verantwortungsvoll gelebt werden können. Dies weitet den Blick in die Zukunft. Doch diese Einsicht lässt sich auch rückbezüglich lesen. Darum folgt zweitens: Werden die Interessen künftiger Generationen bedacht, stiftet dies Lebenssinn und hat dementsprechend Konsequenzen für das Zusammenleben unter heute lebenden Generationen.


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Franz Segbers

Was heißt Gerechtigkeit zwischen den Generationen? Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst einer schrumpfenden und vergreisenden Gesellschaft. Besorgte Demographen haben einen Alarmismus angestimmt, der von publizistischen Schaumschlägern schrill vermarktet wird. Es scheint keine Zweifel zu geben: Die Systeme sozialer Sicherung bluten aus und die Jungen können die Last der vielen Alten nicht mehr tragen. Bis zum Jahr 2020 werden in Deutschland voraussichtlich Vermögenswerte im Umfang von 2,6 Billionen (also 2.600 Millionen) Euro vererbt. Doch die Verteilung ist höchst ungerecht, denn immer mehr Erben erhalten immer weniger und immer Weniger erben immer mehr. Über Zweidrittel der Erbschaften liegen unter 50.000 Euro. Nur 2,5 Prozent erben über eine halbe Million Euro. Die ungleiche Verteilung von Erbschaften spiegelt sehr genau die ungleiche Verteilung von Vermögen. Vererbt wird also nicht nur Vermögen, sondern auch soziale Ungleichheit.

Bis zum Jahr 2020 werden Vermögenswerte im Umfang von 2,6 Billionen Euro vererbt 17


Hinte r g r u n d

Was schulden Generationen einander?

Was heißt hier „Gerechtigkeit zwischen den Generationen“? Was Gerechtigkeit meint, lässt sich gut als Antwort mit der Frage fassen, was Menschen einander schulden. Was schulden Alt und Jung, was schulden die Generationen einander?

„Generationengerechtigkeit“ – ein Begriff aus dem Falschwörterbuch des Neoliberalismus

Der Begriff „Generationenvertrag“ benannte ein Rentenkonzept, das die Solidarität in den Familien zwischen Alt und Jung sozialpolitisch nachbilden wollte

Bert Brecht lässt in seinen „Flüchtlingsgesprächen“ den Physiker Ziffel sagen, dass die „Begriffe die Griffe sind, mit denen man die Dinge bewegen kann.“ Ein solcher Griff, mit dem man die Wirklichkeit nicht nur bewegen, sondern gleichsam auf den Kopf zu stellen vermochte, ist der Begriff „Generationengerechtigkeit“. Er gibt sich moralisch aufgeladen und konnte mit einer vermeintlichen Klarheit schnell die Diskussion auf den Punkt bringen. Dabei ist er doch nur eine interessengeleitete Wortneuschöpfung, die nach 1995 zu einem Schlüsselbegriff in der politischen Debatte um die Zukunft der Altersversorgung wurde. Diese Wortneuschöpfung „Generationengerechtigkeit“ entstammt dem Falschwörterbuch des Neoliberalismus und sollte einen anderen Begriff verdrängen, der zuvor das Gemeinte benannte: der Generationenvertrag. Was macht nun den Unterschied zwischen Generationenvertrag und Generationengerechtigkeit aus? Der Generationenvertrag bezeichnet das gemeinsame Zusammenleben der verschiedenen Generationen und ist Ausdruck für einen fiktiven „Solidar-Vertrag zwischen jeweils zwei Generationen“, so Wilfred Schreiber, der maßgeblich die Rentenreform von 1956 konzeptionell gestaltet hatte. Der Begriff „Generationenvertrag“ benannte ein Rentenkonzept, das die Solidarität in den Familien

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zwischen Alt und Jung sozialpolitisch nachbilden wollte. Das Große Bertelsmann-Lexikon hatte 1990 den „Generationenvertrag“ so definiert: „Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass das Arbeitseinkommen, das durch Erwerbstätigkeit erzielt wird, als Lebenseinkommen zu verstehen ist. Es wird begründet durch die Lebensphasen: Kindheit und Jugend (eine Phase, in der die Fähigkeiten zur Erwerbstätigkeit erworben werden) und Arbeitsalter (während dessen man Einkommen erwirbt). Aber es muss auch für die Phase des Lebensabends ausreichen. Sieht man die Gesellschaft als Solidargemeinschaft, kann sie (und muss sie zur Sicherung des sozialen Friedens zwischen den Generationen) Lösungen zur Verteilung des von der mittleren Generation erarbeiteten Einkommens finden, die sowohl deren Unterhalt als auch den der Kinder und der alten Menschen sichert. Diese Aufgabe fällt dem jeweiligen System der sozialen Sicherung zu.“ Ein Beispiel kann dies illustrieren: Vor kurzem traf ich einen jungen Ingenieur, der gerade sein Studium beendet hatte. Er erzählte mir stolz, dass er von seinem ersten Monatseinkommen sogleich zwei private Rentenversicherungen abgeschlossen habe, denn die gesetzliche - auf einer Umlage basierende - Rentenversicherung würde ihn im Alter in Armut stürzen. Er meinte damit: Auf die frühere Solidarität derjenigen die arbeiten mit denen, die nicht mehr erwerbstätig sind, kann ich mich nicht mehr verlassen. Deshalb ist die private Vorsorge notwendig statt nur der bisherigen mit einer solidarischen Umlage. Diese sozialpolitische Umsteuerung von einer solidarischen Versorgung der Rentner durch die Erwerbstätigen bildet auch den Hintergrund für die Wortneuschöpfung „Generationengerechtigkeit“. Der in der vorindustri-


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ellen Gesellschaft bestehende ‚Solidarvertrag‘ innerhalb der Familie, der darin bestand, dass die Eltern die Kinder großgezogen haben auch selber Anspruch auf Unterstützung im Alter haben, sollte für die Industriegesellschaft als Grundprinzip des Zusammenlebens der Generationen übersetzt werden. Die Gerechtigkeit besteht darin, dass die Generationen sich gleich behandeln: So wie die Eltern sich um ihre Kinder gesorgt haben, so sorgen sich die dann erwachsenen Kinder um ihre alt gewordenen Eltern. Es geht um eine „Gerechtigkeit“, die Solidarität und Gleichheit der Generationen zu ihrem Kern hat. Die Wortfabrikanten des Begriffs der „Generationengerechtigkeit“ wollten genau diese Gleichheit der Generationen und ihre solidarische Verbundenheit auflösen. Generationengerechtigkeit verschiebt diese Solidarität der jetzt miteinander lebenden Generationen auf zeitlich aufeinanderfolgende Generationen. Im Namen der Generationengerechtigkeit soll der

Generationenvertrag unter dem Motto aufgekündigt werden: „Wir dürfen nicht auf Kosten unserer Kinder leben.“ Die älteren Menschen werden hier gleichsam als Zechpreller der Jüngeren dargestellt, wenn sie jene Solidarität im Alter in Anspruch nehmen, die sie selber für die nachwachsende Generation geübt hatten. Betrieben wird eine Entsolidarisierung der Generationen zueinander im Zeichen der Gerechtigkeit.

Generationengerechtigkeit statt Generationenvertrag In einer Publikation des RomanHerzog-Instituts über GenerationenGerechtigkeit“ (2010) (1) heißt es: „Langfristig orientiertes, nachhaltiges politisches Handeln muss sich für die heute handelnden Akteure lohnen. Sonst müssen kommende Generationen die Lasten tragen, die das politische Handeln und unser Verhalten heute aufbürden.“ Weiter heißt es,

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Solidarische Verbundenheit

Die Gerechtigkeit besteht darin, dass die Generationen sich gleich behandeln


Hinte r g r u n d

Ein 1,5-prozentiger Zuwachs pro Jahr würde reichen, einen wachsenden Wohlstand zu sichern

Betrieben wird eine Entsolidarisierung der Generationen zueinander im Zeichen der Gerechtigkeit

dass das Ziel sein müsse, dass jede Generation „jeweils mindestens so gute Ausgangsbedingungen hinterlässt, wie sie sie vorgefunden hat“ (S. 26). Wer möchte dem widersprechen? Ist es nicht nur gerecht, dass die nachfolgenden Generationen vergleichbar gute Ausgangsbedingungen und Chancen vorfinden können? Wenn man dem Falschwörterbuch des Neoliberalismus auf die Schliche kommen will, muss man den Schleier des Widerspruchs zwischen dem Begriff und der Sache lüften. Wenn die Sache selber falsch ist, kommt der neue Begriff als Verhüllung daher. Das Roman-Herzog-Institut nennt den demografischen Wandel eine der „zentralen Anpassungslasten für die Generationengerechtigkeit“: „Bis zum Jahr 2060 wird die Bevölkerung von heute 82 Millionen auf 65 Millionen bis 70 Millionen sinken“ (S. 16). Der Statistiker Gerd Bosbach nannte Prognosen, die über eine Frist von fünfzig Jahre reichen, eine Form von moderner Kaffeesatzleserei. Diese sind empirisch unhaltbar, wie sich an einer fiktiven Prognose aus dem Jahr 1950 leicht illustrieren lässt. Vor fünfzig Jahren, hatte niemand solch demografisch bedeutsame Entwicklungen vorhersehen können wie den Geburtenknick durch die Antibabypille, den Zuzug ausländischer Arbeitnehmer mit ihren Familien, die deutsche Wiedervereinigung oder die Erweiterung der EU mit ihren Zuzugsregelungen. Bezeichnend ist, dass das RomanHerzog-Institut mit einer Prognose des Statistischen Bundesamtes argumentiert, doch von neun dort angebotenen Varianten die dramatischste wählt. Hätte das Institut auch nur die mittlere Prognosevariante gewählt, wäre die Dramatik weg. Nach der gewählten Variante liegt im Jahr 2060 die prognostizierte Bevölkerungszahl bei 65 bis 70 Millionen Menschen und wird sich kaum unterscheiden von den 69 Mil-

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lionen Menschen, die 1950 in Deutschland lebten. Und damals war Deutschland keineswegs menschenleer! Die überhohen Kosten der Alten – sprich: die Renten - könnten von der jungen Generation nicht mehr getragen werden – so lautet das zweite Hauptargument. Das Institut macht die Rechnung auf, dass im Jahr 2060 auf einhundert Personen im Alter von 20 bis 65 Jahren bereits 67 Personen kommen, die älter als 65 Jahre sind. Diese Überzahl der Rentner sei eine Last für jene, die für die Renten der Alten sorgen müssten. Die Behauptung, die materiellen Lasten seien nicht zu schultern, widerlegt ein Blick in die Statistik. Seit 1970 hat sich die Produktivitätsentwicklung mehr als verdoppelt. Ein 1,5-prozentiger Zuwachs pro Jahr würde somit reichen, um allen - den Jungen und den Alten – auf Jahrzehnte hin einen wachsenden Wohlstand zu sichern. Demnach würde jeder Erwerbstätige im Jahr 2050 real doppelt so viel erwirtschaften, und das Realeinkommen pro Kopf würde sich etwa verdoppeln. Die Produktivität schlägt die Alterung. Ein auf diese ökonomische Grundtatsache basierendes System der Alterssicherheit kann dem demografischen Wandel in Ruhe entgegensehen. Warum sollte diese Aufteilung des Produktivitätsfortschrittes in Zukunft nicht mehr möglich sein? Es geht also um eine Verteilungsfrage. Doch eben diese will man mit der Wortfabrikation „Generationengerechtigkeit“ verdrängen. Das solidarische Umlageverfahren, wie es mit dem Generationenvertrag begründet wurde, eignet sich am besten, die Solidarität zwischen den Generationen zu realisieren ohne individuelle Vorsorge durch eine Kapitaldeckung. Im Unterschied zum Umlageverfahren ist das Kapitaldeckungsverfahren nicht auf das wirtschaftliche Ergebnis in Deutschland


H int erg rund angewiesen – so sagt man. Doch muss man bedenken, dass das Kapitaldeckungsverfahren abhängig ist von den Wechselkurs- und Kapitalrisiken auf dem Weltmarkt. Wollen wir nach den Erfahrungen mit der Finanzkrise unsere Zukunft dem Kapitalmarkt anvertrauen? Auch wenn die Politik den Abschluss von privat finanzierten Rentenverträgen fördert, spricht die Entwicklung auf den Finanzmärkten eine andere Sprache. „Die Zahlen sind Furcht erregend. Aufgrund der Finanzkrise haben private Pensionsfonds in der OECD im Jahr 2008 23 Prozent ihres Investitionswertes - dies entspricht 5,4 Billionen USD - verloren.“ So eröffnete die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 2008 ihren Bericht über die Alterssicherheit und kommentierte: „Die öffentliche wie die private Alterssicherung sind erheblich von der globalen Wirtschaftskrise betroffen. Kapitalgedeckte Systeme und private Pensionsfonds

in der ganzen Welt haben im vergangenen Jahr erhebliche Verluste erlitten.“(2) Die Finanzkrise legt die schon immer befürchtete Verletzlichkeit einer kapitalgedeckten Rentenversicherung offen, belegt aber auch, dass die umlagefinanzierte solidarische Rentenversicherung krisenfester ist. Seit der Einführung der Riester-Rente haben die Rahmenbedingungen dazu geführt, dass die zu erwartenden Rentenhöhen um mehr als ein Drittel gesunken sind. Die Riesterrente kann nicht mehr zu dem Ziel einer armutsfesten und lebensstandardsichernden Altersvorsorge beitragen. (3) Eine Rentenpolitik, die ihre Absichten mit dem Begriff der „Generationengerechtigkeit“ bemäntelte und den Generationenvertrag aufkündigte, kommt in eine neue Situation, die überwunden schien: Altersarmut. Der grundlegende Wechsel in der Rentenpolitik seit der rot-grünen Koalition bestand im Abschied von der Lebensstandardsicherung sowie der Senkung des Ren-

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Die Produktivität schlägt die Alterung

Die Spaltung unserer Gesellschaft


Hinte r g r u n d Der Streit um Gerechtigkeiten

Was schulden die Generationen einander?

Im Namen der Gerechtigkeit verabschiedet man sich vom Verständnis der Gerechtigkeit als soziale Gleichheit

tenniveaus um 43 Prozent. Das entspricht einer Rentenkürzung um rund 20 Prozent bis zum Jahr 2030. Der Übergang vom Generationenvertrag zur Generationengerechtigkeit führt dazu, dass die durchschnittliche Rente, die 1995 noch 956 Euro betragen hat, im Jahre 2021 gerade noch 822 Euro betragen wird. Dabei ist dieses Land so reich wie nie zuvor und man wagt zu sagen, dass die Reichen die Kosten für eine anständige Rente nicht mehr schultern könnten. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank beträgt das private Geldvermögen in Deutschland im 1. Quartal 2011 4,825 Billionen Euro und verzeichnet gegenüber 2009 ein Plus von 203 Mrd. Euro - die freilich extrem ungleich verteilt sind. Diese Schieflage zeigt die tatsächliche Spaltung unserer Gesellschaft. Sie verläuft nicht zwischen den Generationen, sondern zwischen Arm und Reich. Es gibt arme Alte und reiche Junge wie es arme Junge und reiche Alte gibt. Generationengerechtigkeit spricht von Gerechtigkeit, die die Vorstellung von Solidarität hervorruft, entpuppt sich aber tatsächlich als ein Schmiermittel für einen unsolidarischen Umgang der Jungen mit den Alten.

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Die Wortneuschöpfung ist Teil einer umfassenderen Umprogrammierung der Gerechtigkeit im Zuge der grundsätzlichen Umorientierung der Sozialpolitik durch die Agenda 2010 und Hartz IV. Parteien führten eine Debatte um ein neues Verständnis von Gerechtigkeit und vervielfältigen den Begriff Gerechtigkeit in Chancen-, Befähigungs- oder Generationengerechtigkeit, denn Gerechtigkeit müsse an die Bedingungen des 21. Jahrhunderts angepasst und neu, modern, zeitgemäß definiert werden. So forderte Angela Merkel 2003 in einer Grundsatzrede, ein „veraltetes Verständnis von Verteilungsgerechtigkeit“(4) beiseite zu legen. Die CDU suchte in ihrer „Mainzer Erklärung“ (2006) eine „Neue Gerechtigkeit“ durch mehr Freiheit, die als Chancen-, Generationen-, Leistungs- und Familiengerechtigkeit ausgedeutet wird.(5) Auch der damalige Generalsekretär der SPD Olaf Scholz plädierte ebenfalls für einen „modernisierten Begriff von Gerechtigkeit: Verteilungsgerechtigkeit. Diese Perspektive wird den aktuellen Herausforderungen nicht mehr gerecht. Wir brauchen einen umfassenderen Begriff von Gerechtigkeit.“ (6) Chancengerechtigkeit wird zum Ersatzbegriff für Verteilungsgerechtigkeit. Es wurde also ein neuer Gerechtigkeitsbegriff propagiert, der das Leitbild der Verteilungsgerechtigkeit ablösen sollte. Im Namen der Gerechtigkeit verabschiedet man sich vom Verständnis der Gerechtigkeit als soziale Gleichheit und produziert eine Spaltung zwischen denen, die eine Chance bekommen sollen, weil sie produktiv für die Verbesserung der Standortbedingungen sind - und den Rest.


H int erg rund Die Gerechtigkeitsdebatte zeigt, dass mit dem Mantel vielfältiger Gerechtigkeitsbegriffe die Gerechtigkeit mit ihrem Kern der Gleichheit und Solidarität umprogrammiert werden soll: - von der Bedarfsgerechtigkeit zur Leistungsgerechtigkeit, - von der Verteilungsgerechtigkeit zur Teilhabegerechtigkeit und - von der sozialen Gerechtigkeit zur Generationengerechtigkeit. Diese Umprogrammierung des Begriffs der Gerechtigkeit stellt eine Sache selber außer Streit: Die so dringend benötigte Verteilungsgerechtigkeit.

Was schulden die Generationen einander? Da die Generationen aufeinander angewiesen sind und das Aufkündigen der Kooperation zwischen ihnen zu ihrer aller Schaden wäre, ist der Generationenvertrag Bestandteil der gesellschaftlichen Solidarität. Es geht um die Suche nach einer Gesellschaft, in der junge und alte Menschen einander dadurch gerecht werden, dass sie den gesellschaftlichen Reichtum teilen und solidarisch miteinander leben. Die Finanzkrise hat Ungleichheiten und gesellschaftliche Risse zwischen Arm und Reich noch weiter verschärft. Wer von Gerechtigkeit redet, der muss über ein Gegenbild zu dieser Situation sprechen und darf diese Situation gerade nicht mit einer Sprachneuschöpfung verhüllen. Dieses Gegenbild hat mit Gleichheit zu tun. Was jedoch ist der Bezugspunkt dieser Gleichheit? In modernen, demokratischen Gesellschaften besteht die Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger ob sie alt oder jung, arm oder reich sind, darin, dass sich die Mitglieder einer Gesellschaft wechselseitig als gleiche anerkennen und auch

wechselseitig das gleiche Recht zusprechen, als gleiche anerkannt und behandelt zu werden. Es darf also keine marginalisierte Armutsbevölkerung geben. Wenn es jedoch wirtschaftliche und gesellschaftliche Unterschiede gibt, dann sollten sie nur die Folge von persönlichen Begabungen sein, nicht jedoch Folge von Einkommen oder einer Herkunftsfamilie. Wer von einer Generation spricht, der meint im Alltagssprachgebrauch die durchschnittliche Lebenszeit eines Menschen, nicht aber eine Folge von Generationen, wie der Begriff „Generationengerechtigkeit“ unterstellt. Gerecht geht es zwischen den Generationen zu, wenn die Geschlechter, die Erwerbstätigen, Arbeitenden und Rentnern derselben Generation solidarisch miteinander umgehen und den gesellschaftlichen Reichtum gerecht teilen. Recht verstanden geht es bei der Gerechtigkeit zwischen den Generationen somit um die Verteilung von Gütern und die Belastung der jeweiligen Generationen, also um Fragen der Verteilungsgerechtigkeit. Dann wird die bestehende Kluft zwischen den jungen Armen und den reichen Alten wie zwischen den reichen Jungen und den armen Alten der heute lebenden Generation geschlossen. Das heißt Generationengerechtigkeit im 21. Jahrhundert.

Anmerkungen (1) Roman Herzog Institut, GenerationenGerechtigkeit. Was vererben wir unseren (Enkel-)Kindern? München 2010 (2) OECD vom 23. Juni 2009: Pensions at a glance, Berlin / Paris 2009. (3) Axel Kleinlein. Zehn Jahre „Riester-Rente“ – eine ernüchternde Rentabiltätsanalyse, WISO-direkt, Sept. 2011, 3. (4) www.cdu.de/tagesthema/01_10_03_ quo_vadis_deutschland_rede_fv.pdf. (5) Ronald Pofalla, Neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.1.2006.

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Gerecht geht es zwischen den Generationen zu, wenn die Geschlechter, die Erwerbstätigen, Arbeitenden und Rentner derselben Generation solidarisch miteinander umgehen

Dr. Franz Segbers ist Professor für Sozialethik an der Universität Marburg und Sprecher der Landesarmutskonferenz in Rheinland-Pfalz


Hinte r g r u n d

Wolfgang Gründinger

Generationen, vertragt euch!

Man bekommt Angst vor dem Krieg der Generationen

Letzte Woche fand ich eine Werbung für Kukident in meinem Briefkasten, adressiert an Gründinger. Man fühlt sich auf einmal älter, und das macht nicht unbedingt Freude. Manchmal aber doch. Zum Beispiel, wenn man das Buch „Das Methusalem-Komplott“ von Frank Schirrmacher liest. Das Buch macht eigentlich wenig Hoffnung. Das Altern der deutschen Gesellschaft, sagt Schirrmacher voraus, werde eine riesige Katastrophe auslösen. Zum Beispiel: „Deutschland wird im Jahre 2050 zwölf Millionen Menschen verloren haben – das sind mehr als die Gefallenen aller Länder im ersten Weltkrieg. … Gesellschaft und

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Kultur werden so erschüttert sein wie nach einem lautlosen Krieg.“ So die Prognose. Man bekommt Angst vor dem Krieg der Generationen. Aber liest man weiter, fühlt man sich doch wieder besser. Zum Beispiel schreibt Schirrmacher: „Unsere Kinder werden wieder zu Zeitgenossen der Wölfe! Bundesländer werden verwildern!“ Das ist toll. Unsere Kinder werden also stramme Naturführer, die beeindruckte chinesische Touristen durch riesige deutsche Nationalparks führen. Die Wälder erholen sich und es gibt endlich wieder mehr Natur in diesem Land, und nicht nur Autobahnen. Wir werden zum Öko-Vorzeigeland. Schirrmacher sagt außerdem voraus: „Unsere Welt wird wie ein Altersheim durchs Weltall kreisen.“ Ein kreisendes Altersheim, das ist eine komische


H int erg rund Vorstellung. Außerirdische werden uns für ein Volk von Kabarettisten halten. Der demografische Wandel kann also auch zur Heiterkeit beitragen. Die „demografische Zeitbombe“ tickte schon einmal – nur andersherum. Noch vor 40 Jahren wünschten sich die Deutschen sinkende Geburtenraten, weil die rapide wachsende Menschheit von der Erde nicht mehr verkraftet werden könne. Wenn die „Bevölkerungsbombe“ explodiere, sagte damals der amerikanische Biologe Paul Ehrlich, dann seien Hungersnöte und Umweltkatastrophen unausweichlich. Hollywood fand eine wenig elegante Lösung für die Überbevölkerung: Im Film Soylent Green wurden Rentner stilvoll vergiftet und zu Lebensmitteln verarbeitet.

Zu viele Menschen, aber zu wenige Deutsche? Da passt etwas nicht zusammen. Aus ökologischer Sicht sind auch heute niedrige Geburtenraten geboten, da bei kleinerer Bevölkerung der Umweltverbrauch leichter auf ein verträgliches Maß reduziert werden könnte. Dies gilt gerade für Industrieländer, deren Pro-Kopf-Umweltverbrauch um mehrere Dimensionen höher ist als von Entwicklungsländern. Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir über den demografischen Wandel sprechen. Die Alterung und Schrumpfung unserer Gesellschaft hat auch Chancen und Vorteile. Trotzdem möchte ich nicht alles gesund beten. Die Belastungen, die aus der Demografie resultieren, möchte ich gar nicht wegdiskutieren. Aber ein Krieg der Generationen steht uns nicht bevor. Jung und Alt in Deutschland verstehen sich heutzutage noch gut, allem Kriegsgetrommel zum

Trotz. „Die Beziehungen zwischen den Generationen innerhalb der Familien sind so gut wie wohl kaum jemals zuvor, und die überwiegende Zahl der Menschen fühlt sich in ihren Familien wohl“, belegt das vom Institut für Demoskopie Allensbach vorgelegte Generationen-Barometer 2006. Jung und Alt verstehen sich so gut wie nie zuvor. Vom Aufkündigen der Solidarität mit der älteren Generation kann keine Rede sein. Eine im November 2007 durchgeführte Forsa-Umfrage im Auftrag der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hat dafür eindeutige und außerdem überraschende Zahlen geliefert: Den Generationenvertrag, also das Prinzip „Jung zahlt für Alt“, halten 66 Prozent aller Bundesbürger grundsätzlich für gerecht. Interessant ist: Die höchste Zustimmung zum Generationenvertrag gibt es bei den 14- bis 29-Jährigen, von denen 79 Prozent dieses Prinzip für gerecht halten. Die niedrigste Zustimmung gibt es überraschenderweise bei den Alten über 60, von denen der Anteil nur 59 Prozent beträgt. Fragt man genauer nach, ob der Generationenvertrag auch dann noch gerecht ist, wenn statt drei nur zwei Erwerbstätige auf einen Rentner kommen, dann stimmt diesem Prinzip immer noch die Hälfte der jungen Leute zu, aber nicht mal ein Drittel der Alten. Das heißt: Die Jungen fühlen sich mit den Alten solidarisch, aber den Alten wird es unangenehm, von den Jungen versorgt zu werden. Obwohl sie selbst, als sie jung waren, auch ihre Elterngeneration genauso versorgt haben. Trotzdem: Das Generationenverhältnis ist auf der Makroebene zunehmend belastet. Die Jugend von heute ist eine „pragmatische Generation unter Druck“. Die Jugend hat immer

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Der demografische Wandel kann auch zur Heiterkeit beitragen

Die Alterung und Schrumpfung unserer Gesellschaft hat auch Chancen und Vorteile


Hinte r g r u n d

Die junge Generation fühlt sich als Verliererin im Konflikt um die Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen

Für die RiesterRente wird viel Steuergeld sinnlos verschwendet

noch ein sehr positives Bild von der Zukunft, doch dieser Optimismus bröckelt dort, wo wir Jungen keinen Aufstieg mehr sehen. Wir sehen keine Langfrist-Perspektive mehr. Die Shell-Studie sagt uns: - Die Hälfte der Jugendlichen bezeichnet das Generationenverhältnis als „angespannt“. - Zwei Drittel der Jugendlichen sehen im Altern ein Problem für die Gesellschaft. - Ebenfalls zwei Drittel glauben, dass die staatlichen Gelder zum größten Teil an die Alten verteilt werden. - Jeder vierte Jugendliche erwartet eine zukünftige Verschlechterung im Verhältnis der Generationen. - 91 Prozent der Jugendlichen glauben, später weniger Rente zu bekommen. Das hat sicher damit zu tun, dass das soziale Netz immer weiter abgebaut wird – die junge Generation ist zunehmend schlechter sozial abgesichert als die Generation ihrer Eltern. Die junge Generation fühlt sich als Verliererin im Konflikt um die Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen. Doch wie sollte das auch anders sein, wenn Politiker und Journalisten jede Woche einen neuen Sprengsatz zwischen Jung und Alt werfen? Der Krieg der Generationen wird zur „self-fulfilling prophecy“, indem das Vertrauen in den Generationenvertrag systematisch untergraben wird. Die Fronten in der Schlacht um Generationengerechtigkeit sind inzwischen derart ideologisch verhärtet, dass ein sachliches Reden über den Kern von Generationengerechtigkeit kaum mehr möglich ist, ohne zunächst viel Diplomatie und Zeit darauf zu verwenden, die geistigen Vorurteile und Denksperren aus dem Weg zu räumen. Auf der einen Seite sind da die wirtschaftsliberalen, „neoliberalen“ Zeitgeister, die den Sozial-

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staat schleifen wollen und dafür das Leitbild der Generationengerechtigkeit vor sich hertragen, um ihre politischen Pläne moralisch anzumalen; auf der anderen Seite sind die Stimmen aus dem gewerkschaftsnahen, „linken“ politischen Spektrum, die jede Auseinandersetzung mit dem Thema verweigern. Bei all der Angst, der Wut, den verkürzten Parolen und Angriffen bleibt wenig Raum für eine konstruktive, lösungsorientierte Debatte. Was wir also zuallererst von der Politik erwarten sollten, ist ein Ende der ideologischen Grabenkämpfe. Denn das Zukunftsversagen unserer Gesellschaft ist zu ernst, als dass wir einfach so weitermachen können wie bisher. Wir müssen uns klar machen, was sich hinter den strapazierten Forderungen nach Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit verbirgt, und uns unserer Zukunftsverantwortung stellen. Das ist bedeutend für viele Bereiche, wie Staatsverschuldung, Bildung, Umwelt, Arbeitsmarkt und natürlich die Sozialversicherungen. Damit lassen sich eigene Konferenzen füllen. Ich möchte daher hier nur drei Punkte herausgreifen, die mir wichtig sind.

Zur Rentenversicherung Mit Riester und Rürup hat man es geschafft, dass der Beitragssatz in der GRV trotz demografischen Wandels bis 2030 nicht über 22 Prozent steigen wird. Das wird uns als Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit hingestellt. Der niedrige Beitragssatz wurde aber erreicht um den Preis der deutlichen Absenkung des Rentenniveaus. Diese Absenkung muss aufgefangen werden durch private Vorsorge. Die Renditen auf dem Kapitalmarkt sind aber genauso wie im Umlageverfahren ab-


H int erg rund hängig vom demografischen Wandel. Wenn die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter eintreten und ihren Kapitalstock „entsparen“ wollen, also ihr Kapital auflösen, dann steht ein großes Kapitalangebot einer großen alten Bevölkerung der geringeren Kapitalnachfrage der kleineren jüngeren Bevölkerung gegenüber. Damit schmelzen die Renditen zwangsläufig. Außerdem müssen wir beobachten, dass die einkommensschwachen Schichten vom privaten Sparen keinen Gebrauch machen. Die staatliche Förderspritze für die Riester-Versicherungen sollte zwar Haushalte mit niedrigem Einkommen in die Lage versetzen, häufiger und mehr in die private Kapitalrente anzulegen. Diese Subvention erzeugt jedoch vor allem Mitnahmeeffekte. Seit der Studie der FU Berlin von 2007 haben wir die gesicherte Erkenntnis, dass die RiesterSubvention vor allem dazu geführt hat, dass Kapitalanlagen von nichtgeförderten Anlageformen in geförderte Anlageformen umgeschichtet werden, aber nicht, dass mehr gespart wird, vor allem nicht von den einkommensschwachen Schichten. Für die Riester-Rente wird also viel Steuergeld sinnlos verschwendet. Besonders irritierend ist die Stellungnahme der OECD zu den Riester- und Rürup-Reformen. Da heißt es als ersten Satz: „Deutschland hat mit den Reformen der vergangenen Jahre die finanzielle Nachhaltigkeit des Systems deutlich erhöht“. Dann aber steht im zweiten Satz: „Allerdings müssen Arbeitnehmer nun verstärkt privat vorsorgen, um eine ausreichende und im OECD-Vergleich übliche Rente zu erhalten. Altersarmut könnte zur Gefahr werden.“ Die Financial Times kommentiert: „Jungen Arbeitnehmern droht im Alter Armut.“ Die OECD sagt also: Die Nachhaltigkeit des Rentensystems wird erhöht,

doch eine auskömmliche Rente wird es für die junge Generation nicht mehr geben und die Altersarmut wird zurückkehren – wie passt das zusammen? Kein Wunder, dass Vertreter der nachwachsenden Generation, in deren

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Vom Aufkündigen der Solidarität mit der älteren Generation kann keine Rede sein


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Die soziale Sicherung junger Menschen ist inzwischen geringer als bei ihrer Elterngeneration

Ältere bekommen mehr Lohn, genießen einen deutlich besseren Kündigungsschutz

Namen die Riester-Reform gemacht wurde, gegen die Rentenpläne auf die Straße gingen. Vor dem Reichstag protestierte die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen gegen die Riester-Rente und trug die Generationengerechtigkeit symbolisch zu Grabe. Anders als manchmal aus linkem Spektrum gesagt wird, ist die private Altersvorsorge nicht des Teufels. Im Grunde gibt es einen Expertenkonsens, dass die beste Lösung für den Risikostrukturausgleich ein Mischverhältnis aus staatlicher und privater Rente ist. Über die Anteile in diesem Mischverhältnis können wir trefflich streiten. Ich möchte aber ganz entschieden dafür werben, das Umlageverfahren nicht schlecht zu reden.

Arbeitsmarkt Für die junge Generation wird es zunehmend schwieriger, die unterste Sprosse der Karriereleiter zu erklimmen. Während sich selbst hoch qua-

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lifizierte junge Berufseinsteiger ohne soziale Sicherung und unter- oder ganz unbezahlt von der einen befristeten Stelle zur nächsten hangeln, ohne Hoffnung auf eine reguläre Anstellung, sind zugleich die Älteren besser bezahlt und abgesichert. Das soziale Netz wird löchriger, die soziale Sicherung junger Menschen ist inzwischen geringer als bei ihrer Elterngeneration. „Die fetten Jahre sind vorbei – für die Jungen“, schreibt zuspitzend ein Artikel in der Zeit. Die „Generation Praktikum“ droht auf einem niedrigeren Wohlstandsniveau hängen zu bleiben als ihre Elterngeneration. Mit der Ausbreitung von Scheinpraktika haben prekäre Verhältnisse inzwischen sogar bei der höchstqualifizierten Bevölkerungsschicht, den Hochschulabsolventen, Einzug gehalten. Der Missbrauch von Praktika ist zwar derzeit noch kein Massenphänomen, doch ein deutlicher Trend, der weder übertrieben noch verharmlost werden darf. Fast 40 Prozent der Akademiker absolvieren heute nach ihrem Abschluss noch mindestens ein Praktikum, im Vergleich zu 25 Prozent beim Jahrgang drei Jahre zuvor. Die Hälfte der Praktika ist unvergütet. Die Praktika dauern durchschnittlich fünf bis sechs Monate. Ein Beispiel: Von einem großen Entsorgungsunternehmen wurde einem jungen Diplom-Kaufmann ein sechsmonatiges Praktikum mit Aussicht auf Festanstellung angeboten. Er arbeitete rund 60 Stunden pro Woche und bekam dafür 500 Euro brutto pro Monat. Außer ihm arbeiten noch vier weitere Praktikanten in seiner Abteilung. Nach dem halben Jahr war von Festanstellung keine Rede mehr. Ihm wurde lediglich die Verlängerung des Praktikums angeboten. Das ist keine Ausnahme. Es gibt nicht nur ein paar schwarze Schafe, son-


H int erg rund dern eine ganze Herde von schwarzen Schafen. Was noch an Ungerechtigkeit hinzukommt, sind die vielen Altersprivilegien in deutschen Besoldungstarifen und Tarifverträgen. Ältere bekommen mehr Lohn, genießen einen deutlich besseren Kündigungsschutz, haben mehr Urlaub und müssen weniger Arbeitsstunden pro Woche leisten als ihre jüngeren Kollegen, obwohl alle die gleiche Arbeit erledigen. Das ist nicht fair gegenüber den Jungen, die sich eine eigene Existenz aufbauen müssen, die vielleicht eine Familie gründen wollen und die Perspektiven für ihr Leben brauchen. Selbst bei der Raumvergabe im Deutschen Bundestag macht das Senioritätsprinzip nicht Halt: Die besten Büroräume in den Bundestagsfluren werden konventionsgemäß nach dem Senioritätsprinzip verteilt. Aus Gründen der Generationengerechtigkeit müssen Altersprivilegien abgeschafft werden. Statt einem Lohn, der mit dem Alter steigt, muss es höhere Einstiegsgehälter geben.

Demokratie In einer Demokratie wird Masse zum Machtfaktor und damit existiert die Gefahr, dass die Alten die politische Agenda bestimmen, und zwar allein durch ihr Wählergewicht, ob sie es nun bewusst wollen oder nicht. In einer alten Gesellschaft wird fast zwangsläufig auch die Definition des Gemeinwohls älter. Dann bekämen die Jungen wirklich das Gefühl, auf der Strecke zu bleiben, und könnten das Vertrauen in den Generationenvertrag verlieren. Daher brauchen wir eine Containment-Politik wider das Gefühl der Ohnmacht: wir brauchen mehr Chancen für die Jungen, ihr Gewicht in die Waagschale zu werfen. Das heißt:

Wir brauchen ein Wahlrecht für die Jungen. Nicht nur eine Senkung des Wahlalters auf 16 oder 14 Jahre, sondern mittelfristig eine Abschaffung der Altersgrenze. Wie soll denn das funktionieren? Sollen Babys künftig zur Wahl gehen? Nein, solche Vorstellungen sind natürlich Quatsch. Aber jeder sollte unabhängig vom Alter das Wahlrecht ausüben dürfen, wenn und sobald er will. Kleinkinder werden das aus verständlichen Gründen kaum tun. Aber sobald ein junger Mensch wählen will, sollte er nicht allein aufgrund seines Alters daran gehindert werden. Da tun sich natürlich Bedenken auf. Zum Beispiel: Wollen Kinder überhaupt wählen? Die Frage stellt sich aber gar nicht. Auch das Demonstrationsrecht wird ja nicht abgeschafft, nur weil eine kleine Minderheit es nutzt. Oder: Kennen sich Kinder genug mit Politik aus? Die Frage ist unerheblich, weil es in einer Demokratie keine Wissenstests geben kann und darf. Übrigens: Mit dem Stellvertreterwahlrecht, bei dem die Eltern für ihre Kinder wählen sollen, hat das nichts zu tun. Ich möchte hier dafür werben, dass die jungen Menschen selbst wählen sollen, und nicht von ihren Eltern vertreten werden. Wir brauchen eine ganz neue Kultur der Jugendpartizipation. Die kann sich aber nur entwickeln, wenn sich etwas in den Köpfen der Erwachsenen ändert. Dafür ist das Wahlrecht ohne Altersgrenze ein wichtiger, ja entscheidender Schritt. Das Wahlrecht ohne Altersgrenze bedeutet, dass Jugendliche ernst genommen werden. Es bedeutet, dass Jugendliche ihre Rechte kennen- und schätzen lernen. Es bedeutet, dass die Politik generationengerechter gestaltet und der drohende Generationenkonflikt de-eskaliert werden kann. Es gibt nur Chancen, keine Gefahren. Wir sollten mehr Demokratie wagen.

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Wir brauchen eine ganz neue Kultur der Jugendpartizipation

Wolfgang Gründinger ist Demokratieforscher und Publizist mit den Schwerpunkten Energiepolitik, Lobbyismus, Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Er ist Sprecher der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und ist Mitglied im Think Tank 30, der jungen Denkfabrik des Club of Rome.


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Generationen-Bilder von Angelika Overath Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung aus dem Buch von Angelika Overath „Generationen-Bilder. Erkundungen zum Familienglück“, Libelle Verlag 2005. Abdruck und Kürzungen erfolgen mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

Wörterbuch Das Bedürfnis, einer Generation anzugehören, einen verbindlichen Namen zu erhalten für eine Jahrgangsgruppe, in die das persönliche Geburtsdatum den Einzelnen stellt, scheint vergleichsweise neu zu sein. Im Grimmschen Wörterbuch kommt das Wort Generation nicht vor. Mag sein, es war im 19. Jahrhundert noch nicht als ein deutsches Wort empfunden worden.

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Seit dem 16./ 17. Jahrhundert war es aus dem Lateinischen, wo es Zeugung, Zeugungskraft, Nachkommenschaft meinte, langsam ins Deutsche übergegangen, als ein Wort für Menschenalter oder die Gesamtheit der Menschen einer Altersstufe. Über das lateinische genus, Abstammung, hängt es mit der Familie zusammen, einem Wort, das ebenfalls ziemlich spät, erst im 17./18. Jahrhundert, aus dem Französischen ins Deutsche übernommen wurde.


H int erg rund Das Grimmsche Wörterbuch notiert Familie zwischen fämen (= schäumen) und famos. (...) Die Hochkonjunktur des Wortes Familie im 19. Jahrhundert wurde gegen Ende des 20. Jahrhunderts abgelöst durch die ältere Vokabel Generation. Nach zwei verlorenen Kriegen und dem Holocaust hatten die tradierten väterlichen Werte ihren Vorbildcharakter eingebüßt. Zudem bestärkte die Antibabypille, die Anfang der 60er-Jahre auf den Markt kam und im Land des deutschen Wirtschaftswunders Karriere machte, eine neue Unabhängigkeit der Frau. (...) Der Begriff der Familie war genealogisch vergleichsweise klar, auch wenn er in früheren Zeiten alles an Haus, Hof und Abhängigen subsumieren konnte, was zu einem Familienoberhaupt gehörte.

Was macht eine Generation aus? (...) In der Sprache des Alltags stoßen heute Versuche, drei jüngere Generationen zu unterscheiden – als die 68er, die 78er und die 89er – auf einen relativen Konsens. In der Terminologie des Soziologen Karl Mannheims wären nur die 68er eine Generationseinheit, da sie sich theoretisch wie praktisch in Aktionen, Schriften, Moralvorstellungen und Lebensstil bewusst gegen die Autorität der Väter abgesetzt haben; die 78er und 89er würde Mannheim wohl eher in einem Generationszusammenhang sehen. Die Hamburger Soziologin und ehemalige Tänzerin Gabriele Klein (Jahrgang 1957) hat in ihrem Buch Electronic Vibration (1999) eine anregende Unterscheidung nach generationellen Körpermodellen gefunden. Die 68er-Generation zeichne ein politischer Körper aus, ihre sexuelle Befreiung war Teil und Ausdruck eines politischen Kampfes; die 78er stehen

unter dem Naturkörper, ihr Leben sei bestimmt durch eine besondere Beachtung der Ökologie und der Frage nach den natürlichen Bedürfnissen des Körpers. Hingegen präge die 89er-Generation ein Kunstkörper. Sie verstünden ihren Körper als einen Rohstoff, der zu kultivieren sei, der in eine optimale Form gebracht werden könne und durch Eingriffe wie Tattoos und Piercings zu adeln sei. So weit, so anschaulich – und doch auch leicht zu relativieren. Lebensreformbewegungen des natürlichen Körpers gab es exzessiv bereits zu Beginn des Jahrhunderts und ein Blick nach Hollywood macht schlagartig klar, was ein Kunstkörper schon in früheren Generationen war. Und dass der Körper als öffentlicher Körper immer auch ein politischer Körper ist, wird leicht verstehen, wer sich Propagandabilder von nationalsozialistischen Ertüchtigungsprogrammen bis zu Solidaritätsplakaten der Aidsprävention ansieht. Die sexuelle Revolution, wer immer sie gelebt haben mag, schreibt nur eines der vielen politischen Körperkapitel. Verwirrender noch wird es, wenn sich allein für die zwischen den Jahren 1965 und 1975 Geborenen mindestens vier Generationenbegriffe finden lassen. Florian Illies, Jahrgang 1971, schrieb 2000 mit Generation Golf eine Zeitgeiststudie über seine Kindheit zwischen Schaumbad und New Economy. Nach den Ereignissen des 11. September 2001 musste er ihr mit Generation Golf zwei eine Quarterlife-Crisis-Korrektur geben. Katja Kullmann, Jahrgang 1970, wagte sich 2002 mit Generation Ally, genannt nach der Erfolgsserie Ally McBeal, an die weibliche Entsprechung zu Illies Inventur. Heinz Bude, Jahrgang 1955, brachte 1999 den Begriff Generation Berlin ins Spiel, für die zukunftsträchtige Jugend der neuen Hauptstadt. Und Paul Nolte, Jahrgang 1963,

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Das Bedürfnis, einer Generation anzugehören, scheint neu zu sein

Täglich tauchen Generationennamen auf wie Werbespots


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Die 68 Generation und die Punker Generation

Erst seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert kennen wir die Vier-, ja sogar die FünfGenerationenFamilie

sieht die Zukunft einer kommenden konservativen Werteelite der Generation Reform (2004) aufgetragen. Täglich tauchen Generationennamen auf wie Werbespots: so sind die Generation XXL etwa die dicken FastfoodKinder, die Generation@ jene, die vor dem Computer aufgewachsen sind, und auch rückblickend kann am Familienstammbaum der Generationen gebastelt werden: Fernsprechteilnehmer, die ihren Zeigefinger noch in Zahlenkreise steckten, mutieren nun zur Generation Wählscheibe. All diese Chiffren haben etwas, in nuce fangen sie Zeitgeist ein, und sie sind leicht kommensurabel. Und wenn sie sich abgenutzt haben, gibt es wieder neue (...)

Vom Geschlecht zur Generation (...) Erst seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert kennen wir die Vier-, ja sogar die Fünf-Generationen-Familie. Selbst die heute völlig normale DreiGenerationen-Konstellation mit der Sandwichgeneration, das heißt der mittleren Elterngeneration, die schon eigene Kinder hat, aber auch noch Eltern, die zum Teil aktiv bei der Betreuung der Enkel mitwirken, kam in der Antike kaum vor. Die wenigsten der potentiellen Großeltern erlebten die Geburt von Enkeln. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag deutlich unter 30 Jahren (derzeit liegt sie in Europa mit regionalen und geschlechtsspezifischen Schwankungen etwa bei 75 Jahren). Sehr wohl konn-

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ten Einzelne auch wirklich alt werden (in die Statistik geht die damalige extrem hohe Kindersterblichkeit ein, die rein mathematisch das tatsächliche Lebensalter der Erwachsenen senkt), die Chance, mit ein und demselben Partner gemeinsam das Heranwachsen der eigenen Kinder zu erleben und dann auch noch das Enkelglück zu genießen, war trotzdem denkbar gering. Meist starb einer der Eheleute schon, während die Kinder noch klein waren. Den Scheidungswaisen der Gegenwart, die, wie oft reklamiert, in keiner richtigen Familie mehr groß werden, gehen die realen Halb- und Vollwaisen der meisten geschichtlichen Epochen voraus, die richtige Familien sehr viel seltener kannten, als wir nostalgisch gerne annehmen. Generationen müssen nicht nur, dem Wortsinn gemäß, erzeugt, sie müssen umsorgt werden, bis sie ihrerseits überlebens- und fortpflanzungsfähig sind. Das ist ein weiter Weg. In der Antike starb jedes dritte Kind vor Vollendung seines ersten Lebensjahres, und von den Überlebenden wurden nur zwei von dreien 10 Jahre alt. Damit die Bevölkerungszahl auch nur konstant blieb, musste jede Frau im Durchschnitt fünf bis sechs Kinder gebären. Selbst höchste Kinderzahlen garantierten indessen nicht den Fortbestand der Familie. Auch vornehmste und privilegierteste Geschlechter in Rom waren immer vom Aussterben bedroht. Kaiser Marc Aurel hatte mit seiner Frau Faustina


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mindestens 12 Kinder, lediglich ein Sohn, der spätere Kaiser Commodus, überlebte seinen Vater. Vielen antiken Texten zufolge galten ein bis zwei Kinder (darunter mindestens ein Sohn) als das familiäre Ideal. Diese Zahl entspringt zunächst nüchternem Realismus: gewöhnlich waren mehr Überlebende nicht zu erwarten. Zum anderen waren sie auch keineswegs erwünscht. Denn Familien, die vier oder fünf Kinder bis zum Erwachsenenalter großzogen, waren von Verarmung bedroht. Unter den männlichen Nachkommen musste der Besitz aufgeteilt werden, die Mädchen waren mit einer Mitgift auszustatten. Die Angst vor Kindersegen erklärt das irritierende Phänomen der legalen Kindesaussetzung in Gesellschaften, die Kinderlosigkeit als Übel brandmarkten. Die Kontinuität der Generationenfolge – in antiken Gesellschaften das höchste Gut des sozialen Lebens – war ein aufreibendes Lavieren zwischen der Gefahr auszusterben und der zu verelenden. In Griechenland und Rom entwickelte sich ein Heiratsmuster, das an heutige Professoren-Ehen erinnert: der Mann ist alt, die Frau ist jung. In einer breiteren Gesellschaftsschicht setzt sich diese Alterskonstellation oft nach Scheidungen durch, wenn die Männer mittleren Alters Frauen der Jahrgänge ihrer Töchter heiraten. Für den Mann der Antike war dies bereits die Ausgangssituation. Da er vor dem Tod des Vaters über kein ei-

genes Vermögen verfügte, heiratete er kaum vor dem dreißigsten Jahr. Frauen hingegen galten mit dem Eintreten der Geschlechtsreife als heiratsfähig. Ein Altersunterschied von 15 und mehr Jahren zwischen den Ehepartnern war durchaus normal. Der Generationenabstand war deshalb zwischen den Vätern und ihren Kindern vergleichsweise groß, die Mütter hingegen konnten ihren Kindern vom Alter her sehr nahe sein. Da Frauen, wenn sie am Leben blieben, jedoch über einen Zeitraum von 30 Jahren Kinder zur Welt brachten, war auch hier eine beträchtliche Generationsstaffelung innerhalb der eigenen Kinderschar möglich. Die modernen westeuropäischen Gesellschaften, in denen typischerweise nahezu gleichaltrige Partner etwa um das dreißigste Lebensjahr herum im Abstand von zwei bis drei Jahren zwei Kinder bekommen, sind, was die Angehörigkeit von Geschwistern zu einer Generation und den gleichmäßigen Abstand zu beiden Eltern angeht, sehr viel gleichförmiger als die Gesellschaften der Antike. Die Versorgung der Eltern galt als unbedingte Pflicht der Kinder. Sowohl Gerichtsprotokolle wie literarische Texte zeigen jedoch, dass die Kinder diesem Gebot durchaus nicht immer nachkommen wollten. Aristophanes rät in seiner Komödie Die Wespen den Athener Vätern, ihr Vermögen bis zuletzt nicht an die Söhne weiterzugeben. Sie könnten es bereuen. Solche Konflikte aber waren Probleme zwischen Alten und Jun-

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Die Generation „Wählscheibe“ und die Generation „C-64“

Die Kontinuität der Generationenfolge war ein aufreibendes Lavieren zwischen der Gefahr auszusterben und der zu verelenden


Hinte r g r u n d gen. Sie waren lebenszeitlich, genealogisch bedingt und nicht etwa durch gesellschaftliche Umbrüche. Erst in der Moderne treten Krisen zwischen den Generationen auf, die sich nicht mehr allein auf den Abstand des Alters zurückführen lassen. (...)

Die Welt der Eltern war verbindlich

Die genealogisch geprägten Gesellschaften der Vormoderne haben, nur scheinbar paradox, kein wirkliches Generationenproblem. Der Sohn wird leben, wie sein Vater gelebt hat, und er wird sein Wissen und seine Erfahrung wiederum an seinen Sohn weitergeben. Je beschleunigter demgegenüber das Tempo der sozialen Dynamik wird, umso geschwinder und vielfältiger die Ausdifferenzierung von spezifisch sich abgrenzenden Generationseinheiten. Generationen als aktive soziale Bewegungen gibt es also erst etwa seit dem 18. Jahrhundert. Natürlich kannten auch vormoderne Gesellschaften den Gegensatz von Jungen und Alten, von unmündigen Kindern, leistungsfähigen Erwachsenen und hinfälligen Greisen, und verfügten damit fraglos über so etwas wie ein Generationsbewusstsein. Es gestaltete sich nur anders in einer Gesellschaft, in der die Jungen von ihrer Zukunft nichts anderes erwarteten als die Weiterführung des Lebens ihrer Erzeuger. Die Welt der Eltern war verbindlich, es konnte Streit geben über die Frage, wann und in welchem Umfang die Jungen sie übernehmen und ihre Vorfahren damit verdrängen würden. Erst in modernen Gesellschaften – und auch hier in breitem Maß erst ab dem 20. Jahrhundert – wachsen die Jungen nicht mehr im Bewusstsein auf, die Eltern in deren Welt – ihren Arbeits- und Lebensformen, ihren grundlegenden Orientierungen und Wertvorstellungen – eines Tages abzulösen, sondern die Eltern mitsamt dieser Lebenswelt bald hinter sich zu lassen.

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Fraglos modern ist auch ein anderes Phänomen, das die Generationen der neuesten Zeit charakterisiert: Gruppen Gleichaltriger an weit voneinander entfernten Orten vereinigen sich in bestimmten Aspekten des Lebensstils. Jugendliche in Rom, London, Los Angeles oder Sao Paolo, die die gleiche Musik hören, die gleiche schwarze Limonade trinken und dieselben Markennamen tragen, können sich trotz aller kulturellen Unterschiede weltweit als Angehörige einer Generation fühlen. (...)

Idealbiographie und Wirklichkeit Der Greis ist voller Husten, Auswurf und Schmutz, bis er dann zu Staub und Asche geworden, daraus er genommen. So heißt es in einem lateinischen Traktat aus dem 13. Jahrhundert, dem regimen sanitatis des Arnaldus von Villanova. Arnaldus war einer der bedeutendsten Ärzte des Mittelalters; seine Schrift sollte Belehrung über die Etappen des menschlichen Lebens und die richtige medizinische Betreuung jeder Altersstufe sein. In Anlehnung an die sieben Planeten unterschied Arnaldus sieben Lebensperioden: die infantia bis zum 7. Jahr; die pueritia bis zum 14.; die adolescentia, die mit dem 21. Jahr endet, die Jugend (juventus), die hernach bis zum 45., wenn nicht 50. Jahr dauert. Es folgt die reife Zeit, die zwischen Jugend und Alter liegt, sie heißt gravitas (Gewichtigkeit). Das Alter (senectus) tritt erst ein, wenn die Leute wieder klein werden, denn die Alten sind nicht mehr wie früher bei Verstand und reden dummes Zeug. Zwei Dinge vor allem sind für heutige Leser verblüffend an dieser siebenstufigen Idealbiographie. So vertraut uns die Sehnsucht ist, bis 50 jung zu bleiben, so wenig würde sich ein Endvierziger unserer Zeit als Jugendlicher


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ansprechen lassen. Sodann verwundert bei einem mittelalterlichen Autor der Entwurf eines Lebens, das bis zum Alter von nahezu siebzig Jahren mit Elan (juventus) und Würde (gravitas) geführt wird, um erst im allerletzten Stadium von Senilität bedroht zu werden. Denn wie sah die Wirklichkeit aus? Auch das europäische Mittelalter kannte das Miteinander von drei oder gar vier Generationen so gut wie gar nicht. Zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert betrug die durchschnittliche Lebenserwartung 25 bis 32 Jahre. Rechnet man die hohe Kindersterblichkeit (40–60%) ab, die zu dieser erschreckend niedrigen Zahl führt, bleibt eine mittlere Lebenserwartung von 47 Jahren für Männer (die oft im Krieg ihr Leben ließen) und 44 Jahren für Frauen (die häufig im Kindbett starben). Alte Menschen waren eine Rarität: es gab nicht viele 70-Jährige, die ein halbes Jahrhundert überschauen und das Wissen der Urahnen leibhaftig vorstellen und vermitteln konnten. Von daher dürfte die hohe Wertschätzung rühren, die die gravitätischen Alten dank ihres Erfahrungsschatzes genossen, bevor sie zu schwach an Körper oder Geist wurden, um noch

nützlich zu sein. Graues Haar war kostbar (Arno Borst). Die mittelalterliche Familie war – und dabei blieb es bis weit in die Neuzeit hinein – ein Verband, der über die aus Eltern und Kindern bestehende Kernfamilie hinaus auch das Gesinde und Vieh, im Fall eines Adelsherrn auch ganze Heerscharen von Dienstleuten und die abhängigen Bauern umfasste. Obwohl das familiäre Haus also eher ein Großunternehmen mit zahlreichen Beschäftigten verschiedener Altersgruppen war, erweist sich die Vorstellung einer Lebensgemeinschaft der Generationen, die es früher gegeben haben soll, auch hier als pure Sozialromantik. Der eine, bereits erwähnte Grund ist der frühe Tod, der eine nennenswerte Generation der Alten erst gar nicht entstehen ließ. Sodann zeichnet sich schon im Mittelalter eine Tendenz zur ökonomischen und räumlichen Trennung der Generationen ab. In Nordwest- und Mitteleuropa setzt sich allmählich das – wie Historiker es nennen – simple-household-system durch, bei dem ein Hof jeweils nur von einem Ehepaar und gegebenenfalls dessen Mägden und Knechten bewirtschaftet wird. Da die Eheschließung

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Das familiäre Haus erweist sich als pure Sozialromantik


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Die christliche Ehe ist nicht mehr wie früher ein Rechtsakt zwischen zwei Familien

mit der Übernahme des väterlichen oder eines anderen frei werdenden Hofs verbunden war, heirateten beide Partner vergleichsweise spät. Entweder zog das Paar also von den Eltern weg, oder es übernahm den Elternhof, häufig erst nach dem Tod des Vaters. Ab dem 13. Jahrhundert verbreiteten sich dann in Europa die sogenannten Ausgedingverträge, in denen bäuerliche Familien genau die Übergabe der Wirtschaft und die Versorgung der überlebenden Alten regelten. Der Hoferbe erhielt Land und Vieh unter der Auflage, durch Arbeits-, Naturaloder Geldleistungen den Unterhalt der Eltern zu sichern. Zogen diese sich dann aufs sogenannte Altenteil zurück, bestand zwischen den Generationen eine klare wirtschaftliche und räumliche Demarkationslinie. So setzt sich zunächst in Nordwesteuropa jenes Familienmodell durch, das langfristig die europäische Familienentwicklung überhaupt prägen sollte: die gattenzentrierte Kernfamilie, in der alles auf die neu gestiftete Gemeinschaft der Eheleute ausgerichtet ist. Die Herkunftsfamilien verlieren an Bedeutung und Einfluss, Familienleben ist die Gemeinschaft des neuen Paares und seiner Kinder – bis zu dem Punkt, an dem die Kinder selbst eine Familie gründen und sich damit als neue Generation von ihren Eltern trennen. Auf dem Weg vom antiken Generationenverständnis (Fortsetzung eines Geschlechts) zum modernen (Zugehörigkeit zu einer von den anderen klar unterschiedenen Altersgruppe) findet im Mittelalter der entscheidende Übergang statt. Verantwortlich dafür war das Christentum, das auf allen Gebieten den Primat der Abstammung, der Bindung an die Herkunftssippe, konsequent entkräftete. Die Jünger Christi im Neuen Testament müssen ihre Familien verlassen, um dem Herrn nachzufolgen. Wer

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gläubig ist, gehört einer Gemeinde von Gotteskindern an, umgeben von Brüdern und Schwestern, die spirituell wichtiger sind als die leiblichen Geschwister. Über die Stellung in der Gemeinde entscheiden allein die individuellen Taten und nicht die Verdienste der Väter. Ahnenkult ist eine Sünde. Die christliche Ehe ist nicht mehr wie früher ein Rechtsakt zwischen zwei Familien; sie sollte zumindest dem Geist nach auf einer freien Übereinkunft der Eheleute beruhen, die sich bei der Trauung auch wechselseitig das Ehesakrament stiften. Sie werden sein ein Fleisch – d. h., sie lassen das Fleisch und Blut, dem sie entstammen, hinter sich und bilden eine neue, lebenschaffende Einheit. So verpflichtet das Christentum zwar selbstverständlich die Kinder dazu, Vater und Mutter zu ehren, gibt der Abwendung jeder neuen Generation von ihren Erzeugern aber ein erhebliches religiöses Gewicht. (...)

Generationengerechtigkeit Der Mensch der Moderne ist ein Zauberlehrling über Leben und Tod geworden; es kann ihm auch passieren, dass er das Geschlecht von Himmel und Erde beendet. Wenn es ihm nicht gelingt, als einem globalen pater familias, sich für seinen Weltenhaushalt verantwortlich zu zeigen, werden kommende Generationen mit kaum vorstellbaren Umweltveränderungen zu rechnen haben. Flutkatastrophen, Wirbelstürme, die Zunahme des Ozongehalts in der Luft, das Schmelzen der Gletscher wie das Ansteigen der Meere, die Versteppung ganzer Regionen und das nun absehbare Versiegen nicht erneuerbarer Energiequellen geben erste Ideen davon, wie sich das Leben auf der Erde in nächster Zukunft verändern könnte. Schon heute haben fast zwei Milliar-


H int erg rund den Menschen kein sauberes Trinkwasser mehr. Ökologisches Denken kann nicht anders als ein vorausschauendes, Generationen übergreifendes Denken sein. Während noch in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Fragen des Umweltschutzes virulent im Bewusstsein waren, haben Börsencrash, 11. September, Irakkrieg und weltweiter Terror die Aufmerksamkeit der Medien absorbiert. Hinzu kommt, dass in Zeiten der ökonomischen Krise ökologische Fragen leicht als Luxusprobleme gelten. Das ist ein Irrtum. Zur Zeit wächst die Weltbevölkerung alle neun Monate um 80 Millionen, also um die Einwohnerzahl von ganz Deutschland. Im Bereich der Energieversorgung ist die Menschheit zu mehr als 80 Prozent auf nicht erneuerbare Energiequellen angewiesen. Diese werden, wenn auch nicht so bald, wie viele noch vor einigen Jahren vermuteten, aber dennoch in absehbarer Zeit, also in Jahrzehnten, versiegt sein. Die Versteppung und Verwüstung ganzer Landstriche sind die Folgen einer zu intensiven Bodennutzung oder Waldrodung. Über 8,1 Millionen Quadratkilometer Acker-, Wald- oder Weideland sind in den letzten 50 Jahren zu Wüsten geworden, jedes Jahr kommen 61 000 Quadratkilometer hinzu. Der tropische Regenwald wird jedes Jahr um 171 000 Quadratkilometer reduziert, mehr als die Hälfte des ursprünglichen Regenwaldes ist bereits vernichtet. Rund 36 000 Arten sterben pro Jahr aus, die meisten davon durch menschliche Eingriffe. So zu lesen im Handbuch Generationengerechtigkeit (2003), das die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen herausgibt. In dieser Stiftung, einem gemeinnützigen Forschungsinstitut an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik, haben sich Gelehrte der verschiedensten

Disziplinen zusammengetan, deren Ziel eine handlungsorientierte Aufklärung ist: Generationengerechtigkeit ist für uns erreicht, wenn die Chancen zukünftiger Generationen auf Befriedigung der eigenen Bedürfnisse mindestens so groß sind wie die der heutigen Generation. Dem Konzept liegt der Gedanke zugrunde, dass man nicht auf Kosten seiner Nachkommen leben sollte. Hat der Kirchenvater Augustinus Recht und wir stehen, freilich ziemlich anders als er es meinte, am Ende des Menschengeschlechts? Seit Augustinus wird der Weltenlauf gerne parallel zum menschlichen Lebenslauf gefasst. Im Menschen, der kleinen Welt, ist er vorweggenommen. Von Adam bis zur Sintflut reicht die Weltzeit der infantia, die Kindheit; von der Sintflut bis Abraham die Zeit der pueritia, die Schülerzeit. Von Abraham bis zu David ist die Zeit der adolescentia, der Beginn der Zeugungsjahre. Danach folgt – von David bis zur Babylonischen Gefangenschaft – die juventus, die Jugend, und nun von der Babylonischen Gefangenschaft bis zur Geburt Christi die gravitas, die Zeit der Reife. Das weltgeschichtliche Greisenalter, senectus, beginnt mit Christi Geburt und endet mit seiner Wiederkehr am Tag des Jüngsten Gerichts. In dieser Chronik der Weltgeschichte sind wir also das senile Ende. Lebte der Mensch des Mittelalters ganz selbstverständlich mit der Vorstellung der Endzeitlichkeit, so trat der Mensch der Moderne an unter einem prinzipiell offenen Horizont. Mit ihm begann der sich perpetuierende Fortschritt. Die postmoderne Idee von Zukünftigkeit wird sich kaum an einem immer weiter forcierten Machen orientieren können, eher an einem bewahrenden Zurücktreten, an einer neuen, verantworteten Sorgfalt vielleicht.

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Angelika Overath arbeitet als freie Autorin und Literaturkritikerin in der Schweiz. Ihr Roman „Nahe Tage“ wurde 2005 mit dem Thaddäus-Troll-Preis ausgezeichnet. Seit 1998 sind von ihr vorwiegend Prosawerke erschienen; daneben hat sie mehrere Anthologien herausgegeben und ist Dozentin an der Schweizer Journalistenschule MAZ.


Daniel Grein

Jugend(verbands)arbeit in einer 채lter werdenden Gesellschaft 38


H int erg rund Die Situation der Jugend(verbands-) arbeit ist immer gesellschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen unterworfen. Besonders Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur sind nicht unerheblich für diese Arbeit. Zurzeit gehen wir unter dem Stichwort „Demographischer Wandel“ von einer Gesellschaft in der Zukunft aus, die im Schnitt sehr viel älter ist, und in der Kinder und Jugendliche eine deutliche Minderheit darstellen. Dies ist natürlich nur ein sehr grober Blick. Ein Blick auf die Auswirkungen auf die Jugend(verbands-)arbeit führt zwangsläufig zu der Feststellung, dass vor allem strukturschwache und ländliche Regionen einen Wegzug junger Menschen und Familien verzeichnen müssen, während in anderen Regionen das Gegenteil zu beobachten ist. Konkret muss sich also Jugend(verbands-) arbeit mit sehr unterschiedlichen Situationen auseinandersetzen. Sollten junge Menschen also zukünftig – global oder auch im konkreten regionalen Einzelfall – eine Minderheit darstellen, so könnte man ganz naiv davon ausgehen, dass dies positive Effekte haben müsste. Pro Kopf müsste doch erheblich mehr Geld und Fachkraft zu Verfügung stehen; endlich, so könnte man meinen, kann in der Bildungspolitik und der Jugendarbeit das umgesetzt und verwirklicht werden, was fachlich schon lange gefordert wird, wofür jedoch die finanziellen Mittel fehlten. Ich denke, solche Visionen sind schön – doch weit gefehlt. Vielmehr sind es aus meiner Sicht drei mögliche zentrale, eher negative Entwicklungen, die es zu beachten gilt: I. Öffentliche Geldgeber sehen den zahlenmäßigen Rückgang junger Menschen als gute Möglichkeit zu sparen. Es lässt sich schon jetzt beobachten, dass Mittel mit der Begrün-

dung des demographischen Wandels auch an Stellen gekürzt werden, an denen dieser noch gar nicht konkret spürbar ist. Ob begründet oder nicht, wird das Argument der abnehmenden Quantität der Generation 1:1 auf Mittel, die investiert werden, umgesetzt. Dies ist hochproblemtisch. Nicht nur weil viele Angebote der Jugendarbeit eigentlich ohnehin finanziell unterversorgt sind, sondern weil die Rechnung so einfach nicht aufgeht. Ein Beispiel: Ein Jugendzentrum kostet einen gewissen Betrag, völlig egal, ob dort täglich 150 oder 75 Jugendliche ein- und ausgehen. Eine Halbierung der Finanzierung analog der Nutzer/innenzahlen würde vermutlich zu Schließung der Einrichtung führen. Das Ergebnis wäre: Kein Angebot mehr für die verbleibenden Jugendlichen. Dies lässt sich an beliebig vielen anderen Beispielen aufzeigen. Das Zurückziehen von Jugendarbeit als überflüssiger Luxus für zu wenig Zielgruppe lässt nicht nur junge Menschen ohne Angebot zurück; dies wäre bereits problematisch genug und kaum zu akzeptieren. Aber es öffnet auch politisch extremen Gruppen Tür und Tor, ihre „Jugendarbeit“ anzubieten. Denn rechte Organisationen haben das Potential von Jugendarbeit auch für wenige „Zurückgelassene“ längst erkannt; dies muss bei aller Diskussion um eine sogenannte demographische Rendite mitbedacht werden. Kerntenor muss sein: Pro Kopf müssen die Ausgaben für Jugendarbeit in einer alternden Gesellschaft steigen. Nur so ist es möglich, jungen Menschen auch weiterhin ein gutes Angebot zu machen. Der Anspruch des SGB VIII § 1, in dem jedem jungen Menschen das Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zugesprochen wird, verfällt schließlich nicht durch

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Endlich, so könnte man meinen, kann in der Bildungspolitik und der Jugendarbeit das umgesetzt und verwirklicht werden, was fachlich schon lange gefordert wird

Öffentliche Geldgeber sehen den zahlenmäßigen Rückgang junger Menschen als gute Möglichkeit zu sparen


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Die Gesellschaft, der Arbeitsmarkt, die sozialen Sicherungssysteme erwarten das „Funktionieren“ von der kommenden Generation

die quantitative Abnahme einer Generation. Jugendarbeit wird sich allerdings – so meine skeptische Befürchtung – damit auseinandersetzen müssen, dass dieses logische Argument dem Scheuklappendenken so mancher Kämmerer und Finanzpolitiker nicht zugänglich ist. II. Junge Menschen werden als notwendige Ressource gesehen. Weil es immer weniger junge Menschen gibt, erkennt die Gesellschaft, dass „keineR verloren gehen darf“. Was zunächst positiv klingt, kann auch eine erhebliche Belastung für junge Menschen werden. Die Gesellschaft, der Arbeitsmarkt, die sozialen Sicherungssysteme erwarten v.a. das „Funktionieren“ von der kommenden Generation und braucht Sie als Bürger/-innen, Fachkräfte und Beitragszahler/-innen. Jungen Menschen wird deshalb die Freiheit, selbstbestimmt einen Weg zu finden, immer stärker verbaut, da ihre Biographie, natürlich im Sinne der

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Gesamtgesellschaft, immer stromlinienförmiger und zielgerichter, sprich verzweckter, aufgebaut sein soll. Neben der deutlichen jugendpolitischen Kritik daran, die der DBJR u.a. in seiner Position „Selbstbestimmt und nicht verzweckt“ vorbringt, muss dies auch im Hinblick auf die Jugend(verbands-)arbeit betrachtet werden. In dieser Gesamtgemengelage wird von Jugend(verbands-)arbeit zukünftig immer mehr „Outcome“ erwartet werden. Dass Jugendliche ihre Freizeit selbstbestimmt gestalten, dass sie füreinander und miteinander aktiv werden, dass sie ihre eigene Meinung bilden und Verantwortung übernehmen, dass sie sich vergemeinschaften, ja Gemeinschaft leben, werden zunehmend weniger wahrgenommene Effekte sein. Die Fragen, die jetzt schon und in einer älter werdenden Gesellschaft zunehmend gestellt werden könnten, sind: Was bringt dies für die spätere Berufstätigkeit, welche Qualifikationen werden erworben, welche gesellschaftskonforme Orientierung wird gegeben? Die Jugend(verbands-)arbeit wird sich zunehmend in der Rolle wiederfinden bzw. sich der Erwartung gegenüber sehen, einen Beitrag dazu zu leisten, die „gesellschaftlichen Potentiale“ der jungen Menschen zu heben bzw. mit zu entwickeln und die Vorbereitung auf ihr Erwachsenenleben zu organisieren. Alternativ wird der Jugend(verbands-)arbeit der Untergang prophezeit, da Konzepte wie Ganztagsschulen, Mentorenprogramme, Praktika etc, die dies alternativ bieten sollen, schon alle zeitlichen Lücken im Kalender von Kindern und Jugendlichen füllen könnten. Jugend(verbands-)arbeit könnte sich im worst case zwischen Pest und Cholera wiederfinden. Für selbstorgansierte Vergemeinschaftung oder emanzipierte Jugendpolitik ist hier ggf. kein Platz mehr.


H int erg rund III. Politische Entscheidungen sind nicht immer Entscheidungen, die für alle gesellschaftlichen Gruppen gleich gut oder schlecht sind. Politik ist oft eine Politik der Mehrheiten. Jungen Menschen fehlt bereits jetzt, u.a. anderem wegen des fehlenden Wahlrechts, eine gute Möglichkeit, Mehrheiten für sich zu gewinnen. In einer älter werdenden Gesellschaft wird sich dieser Trend verstärken. Ich zweifle nicht daran, dass es auch in Zukunft genug Sonntags- oder auch Wochentagsreden geben wird, die die Bedeutung der Jugend und die Notwendigkeit, deren Anliegen ernst zu nehmen, hochloben. Konkrete Entscheidungen – v.a. grundsätzlicher oder finanzieller Art – die einer breiten Mehrheit v.a. der Wähler/-innen bedürfen, werden für diese Gruppe gemacht. Da junge Menschen in dieser jedoch zunehmend weniger vertreten sein werden, werden ihre Anliegen dort auch weniger Gehör finden. Auch die Jugend(verbands-)arbeit in ihrer Funktion als Sprachrohr und InteressenvertreterIn wird dies deutlich spüren. Ist dies die Prophezeiung des unvermeidlichen Untergangs der Jugend(verbands-)arbeit wie wir sie kennen? Nein! Es ist aus meiner Sicht aber notwendig, sich dieses Szenario sehr deutlich zu machen. Dies ist keine Zukunftsmusik. Es sind Entwicklungen, deren Auswirkungen bereits jetzt schon zu spüren sind und eine Veränderung der Jugend(verbands-) arbeit hervorrufen (werden). Es ist an allen Verantwortlichen in diesem Feld, sich die benannten Gefahren bewusst zu machen und sich ggf. auch deutlich dagegen zu Wehr zu setzen. Jugend(verbands-)arbeit darf sich im Interesse von Kindern und Jugendlichen trotz deren sinkenden Anzahl nicht unreflektiert in eine ge-

sellschaftliche Pflicht nehmen lassen, sondern muss mutig und auch gegen Widerstände für Freiräume und Interessen streiten. Es geht darum, finanzielle Mittel, zeitliche Ressourcen, eigene Lebenskonzepte und gesellschaftliche Mitsprache zu verteidigen bzw. zurück zu erlangen. Diesen Kampf muss die Jugend(verbands-) arbeit aufnehmen. Hier gilt es, mit politischen Entscheider/-innen gemeinsam eine Jugendpolitik zu gestalten, die nicht das düstere, oben beschriebene Szenario zulässt und Jugend(verbands-)arbeit auch in einer älter werdenden Gesellschaft mit ihren ihr eigenen Stärken wirken lässt. Genau wie der demographische Wandel ist dieser Blick auf die Zukunft der Jugend(verbands-)arbeit auch nur eine Prognose. Es ist an uns allen, die Zukunft so zu gestalten, wie wir sie uns vorstellen.

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Daniel Grein ist Geschäftsführer des Deutschen Bundesjugendrings

Alternativ wird der Jugend (verbands-) arbeit der Untergang prophezeit


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Johannes Taschner

Nicht werden wie die Eltern Zum Verh채ltnis der Generationen in der Bibel

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H int erg rund Die Beziehung zwischen zwei Menschen, die unterschiedlichen Generationen angehören, gehört mit zu den anregendsten Motiven in Film und Literatur. Immer wieder wird das Thema aufgegriffen, von allen Seiten beleuchtet und durchgespielt. „Harold and Maude“, „Der alte Mann und das Meer“ und die Novelle „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ sind hier nur die gängigsten Beispiele. Immer wieder geht es darum, dass ein Jugendlicher, eine Jugendliche bei einem älteren Menschen Orientierung, Halt und so etwas wie ein Zuhause sucht und für eine kurze Zeit vielleicht auch findet. Dann entschwindet dieses kurze Glück wieder. Für beide Seiten, vor allem für den Jugendlichen oder die Jugendliche, bleibt es jedoch eine nachhaltige und prägende Erfahrung. In den drei genannten Beispielen besteht der grundlegende und bleibende Unterschied der Generationen auch nach der Begegnung weiter fort. Was fasziniert so an einer generationenübergreifenden Freundschaft? Sie gelingt selten und ist eine äußerst sensible Pflanze. Wenn sie aber wächst, hat sie etwas so Faszinierendes, dass es sich lohnt, von ihr zu erzählen. Warum?

Mose stellt seine Generation nicht als Vorbild dar Das fünfte und letzte Buch Mose ist insgesamt sehr bewusst als ein Generationen übergreifendes Gespräch gestaltet. Im Grunde ist es eine Sammlung all dessen, was Mose am letzten Tag vor seinem Tod der auf ihn folgenden Generation mit auf den Weg gibt. Mose erzählt. Immer wieder bezieht er sich auf den Exodus Israels aus dem Sklavenhaus Ägypten und auf die darin begründete Freiheit. Doch es liegt Mose fern, die alten Zeiten zu glorifizieren. Im Gegenteil.

Schonungslos erzählt er davon, wie seine Generation die geschenkte Freiheit im Tanz um das goldene Stierbild verspielte. Er erzählt von dem Zorn Gottes und von seiner Gnade, die sich darin äußerte, dass er Israel zunächst die 10 Gebote mit auf den Weg gab. Sie sollen dazu dienen, die Freiheit zu bewahren. Damit nicht genug: Mose erzählt gleich zu Beginn seiner Reden von einem ersten gescheiterten Landnahmeversuch, der an dem mangelnden Vertrauen und Mut scheiterte und in einem 40-jährigen Wüstenaufenthalt mündete (5.Mose 1). Während dieser Zeit starben die Angehörigen seiner Generation nach und nach. Niemand von ihnen würde das schon Abraham, Isaak und Jakob versprochene Land zu sehen bekommen. Nur die Kinder der sogenannten „Wüstengeneration“ werden nun in den Genuss der Erfüllung kommen. Selbst Mose wird zurückbleiben. Anstatt sich zurückzuziehen um zu sterben, redet Mose. Er hört gar nicht mehr auf. Er erlässt Gebote und Regeln, die er selbst von Gott empfangen hat. Sie sollen der kommenden Generation dazu dienen, als von Gott Befreite und Beschenkte im Land zu leben. Die Erzählungen des Mose sind Ausdruck der unerhörten Hoffnung, dass eben nicht jede Generation ihre eigenen Erfahrungen machen muss. Er stellt seine Generation nicht als Vorbild dar. Mose erzählt von den Fehlern seiner Generation, damit die nun folgende Generation, die ins Land einzieht, aus diesen Fehlern lernen kann. Vor diesem Hintergrund ist die Verheißung zu verstehen, die auf der Befolgung des vierten Gebotes liegt: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, wie Adonaj, deine Gottheit, dir gebietet, damit du lange lebst und es dir wohl ergeht auf dem Ackerboden, den Adonaj, deine Gottheit dir gibt.“ (5.Mose 5,15 p Ex 20,12).

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Mose erzählt von den Fehlern seiner Generation, damit die nun folgende Generation, die ins Land einzieht, aus diesen Fehlern lernen kann


Hinte r g r u n d

Die Weitergabe von Geschichte und Tradition hat den Sinn, dass die Kinder nicht so werden wie ihre Eltern

Das hebräische Wort kabed, das im Allgemeinen mit „ehren“ übersetzt wird, besagt in seiner Grundbedeutung zunächst einmal nur „schwer sein“ bzw. „schwer machen“. Die Eltern sollen sozusagen einen gewichtigen Platz im Leben der Angesprochenen einnehmen. Damit ist sicherlich zunächst einmal an eine ganz handfeste materielle Altersversorgung gedacht. Gerade in einer altorientalisch-patriarchalen Gesellschaft, aus der dieser Text entstammt, kommt diesem Aspekt eine zentrale Bedeutung zu. „Sie [die Alten] können die Freiheit und das Land, auf dem sie beruht, nicht mehr selbst wahrnehmen. Ihre Freiheit - ihnen wie den Söhnen von Jahwe gewährt - realisiert sich ausschließlich noch über das Verhalten der Söhne.“(1) Darüber hinaus soll die gewichtige Stellung der Eltern dadurch zum Ausdruck kommen, dass sie ihre Erfahrung an die nächste Generation weitergeben können - zum Nutzen beider Seiten. An keiner Stelle des fünften Buches Mose ist dabei an eine Vorbildfunktion der Eltern gedacht. Das genaue Gegenteil ist richtig: Um den Eltern das Gewicht zu verleihen, das ihnen zukommt, bedarf es einer gewissen Distanz. Erst aus ihr heraus können die Fehler der Eltern erkannt und von ihren Erfahrungen profitiert werden. Dazu ist jedoch wiederum ein waches Geschichtsbewusstsein vonnöten. Überspitzt ließe sich sagen: Die Weitergabe von Geschichte und Tradition hat den Sinn, dass die Kinder nicht so werden wie ihre Eltern. Genau diese Überspitzung findet sich tatsächlich in einem Psalm: Er richtete seine Verordnungen in Jakob auf und gab in Israel Weisung, die er unseren Eltern geboten hatte, zu lehren ihre Kinder, damit sie es ihre Kinder nach ihnen lehren, die noch geboren werden.

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Die sollen aufstehen und es wiederum ihre Kinder lehren, damit sie auf Gott ihre Hoffnung setzen und nicht vergäßen die Taten Gottes, sondern die Gebote halten und nicht wie ihre Eltern werden. (Ps 78,5-8)

Die geschenkte Freiheit bewahren Auf die Mosereden bezogen hieße dies: Mose erzählt davon, was er und seine Generation mit eigenen Augen gesehen haben, die Befreiung aus Ägypten, die Untreue des Volkes und die Gabe der Gebote, damit die nun folgende Generation es anders macht. Sie sollen, wenn sie in ein Land kommen und satt werden, den nicht vergessen, dem sie all dies zu verdanken haben: Den Gott, der ihre Eltern in die Freiheit geführt hat und ihnen selbst dieses Land schenkt. Wenn dich nun Adonaj, deine Gottheit in das Land bringt, das er deinen Eltern Abraham, Isaak und Jakob zugesagt hat, es dir zu geben: große und gute Städte, die du nicht gebaut hast, Häuser, gefüllt mit Gütern, die du nicht erbracht hast und ausgehauene Zisternen, die du nicht ausgehauen hast, Weinberge und Ölbäume, die du nicht gepflanzt hast - wenn du nun isst und satt wirst: Hüte dich davor, dass du Adonaj, deine Gottheit vergisst, der dich aus Ägypten, aus der Sklaverei geführt hat. (5.Mose 6,10-12) Mit anderen Worten: Die Generation, die nun in das Land einzieht, wird die im Exodus geschenkte Freiheit nur dann bewahren können, wenn es die Geschichte dieser Befreiung im Gedächtnis bewahrt. Alle Gebote, die Mose am Tag vor seinem Tod erlässt und aufschreibt, dienen dazu, Israel davor zu schützen, diese Freiheit erneut zu verspielen, so wie die Vorgängergeneration sie im Tanz um das


H int erg rund goldene Stierbild verdrehte und pervertierte. Es mag sein, dass diejenigen, die die Folge der Untreue am eigenen Leib verspüren mussten, diese Erfahrung nie wieder vergessen. Was ist aber mit der nachfolgenden Generation? Um die Erfahrung der Eltern nicht selbst noch einmal machen zu müssen, sollen die Gebote und Verordnungen den Nachkommen ständig präsent sein. Der ganze Lebensraum soll mit den Verordnungen und Geboten völlig ausgekleidet werden: Du sollst sie als Zeichen auf deine Hand binden und als Erinnerung zwischen deine Augen. Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und auf deine Tore schreiben. (5.Mose 6,8-9) Die ganz alltägliche Welt soll mit Tora gleichsam ausgemalt sein. Da hinein sollen die Kinder der Landnahmegeneration wachsen. Natürlich weckt eine solche Umgebung die Fragen der Kinder: Wenn dein Kind dich morgen fragt: Was sind das für Weisungen, Gebote und Satzungen, die euch Adonaj, unser Gott geboten hat? (5.Mose 6,20) Die Tradition soll dem Kind nicht „übergestülpt“ werden. Der oder die Erwachsene soll auf die Frage des Kindes warten. Das ist der Moment, in dem der oder die Erwachsene beginnen soll zu erzählen, so wie Mose einst erzählte.(2) Dabei ist zu beachten, dass die Frage des Kindes sehr genau formuliert ist: Es kennt die Weisungen, Gebote und Satzungen, nach denen es fragt. Es hat sie ja ständig vor Augen. Und doch fragt es: Was hat es mit ihnen auf sich? Wozu dienen sie? Auch steht für das Kind nicht in Frage, dass der Gott, mit dem es die Erwachsenen zu tun haben, auch sein Gott ist. Es redet von „unserem“ Gott. Und doch unterstreicht das Kind mit seiner Frage den Unterschied zwischen den Generationen: Es betont, dass „unser Gott“ die Weisungen, Gebote und

Satzungen „euch“, sprich: den Eltern geboten hat. An ihnen liegt es nun, sie an das Kind weiterzugeben und ihm zu vermitteln, was es mit diesen Weisungen auf sich hat und wozu sie dienen.

Das gute, freie Leben im Land Die Eltern tun gut daran, auf diesen Moment gut vorbereitet zu sein. In der Moserede heißt es, dass die Eltern auf die Frage des Kindes nach den Weisungen von der Befreiungstat Gottes erzählen sollen. Sie sollen davon berichten, dass Gott ihnen die Gebote und Weisungen gegeben hat, damit es ihnen gut geht und sie leben - „so wie es jetzt ist“ (5.Mose 6,24). Das Kind soll begreifen, dass das gute, freie Leben im Land keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Es wird davon abhängen, dass auch das

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Mose zerschmettert die Steintafeln mit den Worten des Bundes; Rembrandt; 1659

Um die Erfahrung der Eltern nicht selbst noch einmal machen zu müssen, sollen die Gebote und Verordnungen den Nachkommen ständig präsent sein


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„Wenn dein Kind dich morgen fragt...“ 5.Mose 6,20

Kind, also die folgende Generation, sich an die die Freiheit bewahrenden Gebote hält. Und das, obwohl es kein Augenzeuge der negativen Folgen des Tanzes um das goldene Stierbild ist. Alles Aufschreiben, Tradieren, Wiederholen der Gebote ist Ausdruck des Willens, die nächste Generation vor diesen Erfahrungen zu bewahren. Moralische Indoktrination ist jedoch keinesfalls gemeint. Leider hängt der Bibel immer noch der Geruch einer Moralkeule an, vor der es sich zu schützen gilt. Auf diese Weise verstellt die Bibel das Gespräch zwischen den Generationen mehr als es zu fördern. Dem hier drohenden Gefälle

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wird im fünften Buch dadurch begegnet, dass der oder die Erwachsene auf die Frage des Kindes warten soll. Ein Leben nach den Weisungen Gottes ist ungewöhnlich. Es wird die Fragen der Kinder von ganz alleine hervorrufen. Die Generationen übergreifenden Folgen von Raubbau und Verschwendung stehen uns heute noch viel deutlicher vor Augen: Das Motto des evangelischen Kirchentages 2005 in Hannover war die Einleitung der Kinderfrage ohne deren Ausformulierung. Es lautet: „Wenn dein Kind dich morgen fragt...“ (5.Mose 6,20). In der Tat: Was werden uns unsere Kinder morgen fragen? Ob die überwiegende Mehrheit der Kinder nach den Geboten Gottes fragen wird, die die Erwachsenen befolgen, möchte ich bezweifeln. Der Gedanke an die Fragen unserer Kinder hat vielmehr etwas Beunruhigendes. „Warum hast du die Luft, die ich zum Atmen brauche, durch den Vergaser deines Autos, die Triebwerke deines Ferienfliegers und die Schornsteine deiner Kraftwerke gejagt?“ „Schon damals zeichnete sich der Klimawandel ab. Warum hast du dich in die Büsche eines geschäftigen Lebens geschlagen und immer wieder weggesehen?“ „Warum habt Ihr es damals zugelassen, dass Eure Politiker, nur um wiedergewählt zu werden, Schulden auf Schulden häuften? Schulden, die wir heute zurückbezahlen müssen!“ Die Kinderfragen von heute und morgen stellen unser heutiges Tun und Handeln in ein hartes, kontrastreiches Licht. Auch diese Möglichkeit, dass den Kindern nichts anderes übrig bleibt als nach den üblen Folgen der Taten der Vorgängergeneration zu fragen, wird in der großen Moserede warnend vor Augen gestellt: Wenn die künftigen Generationen, eure Kinder, die nach euch aufkommen, und die Fremden, die aus fernen Ländern kommen, die Plagen dieses


H int erg rund Landes sehen und die Krankheiten, mit denen Adonaj es geschlagen hat - mit Schwefel und Salz hat er ihr ganzes Land verbrannt, es kann nicht mehr besät werden, weil dort nichts mehr sprießt und kein Kraut mehr wächst, genauso wie Sodom, Gomorra und Zebojim zerstört sind, die Adonaj in seinem Zorn und Grimm geschlagen hat - alle Völker werden fragen: ‚Warum hat Adonaj an diesem Land so gehandelt?‘ (5.Mose 29,2123a) Das eigene Handeln ist demnach an den zukünftigen Fragen der Kinder und Fremden zu bemessen. Beide kommen von außen und bringen einen unverstellten Blick mit. Auf diese Weise wird das Thema „Kinderfragen“ zu einer Anfrage an die Erwachsenen: Vor welche Kinderfragen wollen sie gestellt werden? Vor die nach den Folgen des eigenen Tuns oder vor die nach der Geschichte Gottes mit seinem Volk und seinen Geboten? Diese Frage entscheidet sich einzig und

allein an der eigenen Lebenspraxis. Ein ungewöhnliches Leben nach den Geboten Gottes hat es nicht nötig, Kinder zu indoktrinieren. Es wird vielmehr bei den Kindern die Fragen aufwerfen, die der Beginn einer so seltenen wie wertvollen Freundschaft über die Generationengrenze hinweg sein kann. Der Grundstock einer solchen Beziehung fasziniert wohl deshalb so sehr, weil er dem Kind den Erfahrungsschatz der vorangehenden Generation begehbar macht. Dies ist nur möglich, weil es die Freiheit hat, daraus die eigenen Schlüsse zu ziehen. Es kann von den Älteren lernen, sie „ehren“, ohne so werden zu müssen wie sie. Anmerkungen (1) Frank Crüsemann, Bewahrung der Freiheit. Das Thema des Dekalogs in sozialgeschichtlicher Perspektive, Gütersloh 1993, 62. (2) Johannes Taschner, Die Mosereden im Deuteronomium. Eine kanonorientierte Untersuchung, FAT 59, Tübingen 2008, 129ff.

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Dr. Johannes Taschner ist Privatdozent für Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel

Das Kind soll begreifen, dass das gute, freie Leben im Land keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist


Kontr o v e r s Wohin gehen die finanziellen Ressourcen zukünftig? Welche Bedeutung werden die verschiedenen kirchlichen Arbeitsbereiche bei einer demographischen Veränderung haben? Wie sieht die angemessene Reaktion aus - personell, finanziell, räumlich? Um eine Positionierung baten wir den Landesjugendpfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen, Udo Bußmann, zugleich auch Schatzmeister im Vorstand der aej, sowie die Oberkirchenrätin der Evangelischen Landeskirche Baden, Barbara Bauer, die in der Kirchenleitung den Bereich Finanzen verantwortet.

Udo Bußmann

Die Zukunftsfähigkeit der Kirche stärken Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen fördern und sichern - Ein Plädoyer Kirche mit Zukunft - Kirche mit Kindern und Jugendlichen!

Das Geld wird weniger

Das Geld wird weniger. Nicht nur aus konjunkturellen, sondern aus strukturellen Gründen. Der demographische Wandel ist nicht mehr zu leugnen: Die Evangelischen in Deutschland werden weniger. Und noch stärker als dieses Schrumpfen ist der Rückgang der Kirchensteuer zahlenden Gemeindeglieder. Die Faustformel wird mittlerweile mantramäßig verbreitet: Von 2000 bis 2030 werden die evangelischen Kirchen in Deutschland ein Drittel ihrer Gemeindeglieder und die Hälfte ihres Kirchensteueraufkommens verlieren.

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Dass mit dieser Entwicklung ein Abbau hauptberuflicher Strukturen sowohl bei den privatrechtlich wie bei den öffentlich-rechtlich beschäftigten Mitarbeitenden verbunden ist, liegt auf der Hand. Zukunft wird diese kleinere Kirche als Organisation aber nur haben, wenn sie parallel einen prioritätengeleiteten Umbau vornimmt. Dabei muss die evangelische Kinder- und Jugendarbeit im Zentrum aller Überlegungen stehen, denn eines ist deutlich: Wer heute Verantwortung trägt, muss sich bewusst sein, dass unsere heutigen Kinder und Jugendlichen im Jahr 2030 und danach die Handelnden sein werden. Wenn wir uns also heute Gedanken


H int erg rund

um die Kinder- und Jugendarbeit, ihre Qualität und ihre Finanzierung machen, dann sind wir direkt bei dem Thema „Kirche mit Zukunft“. Alle Aktivitäten der Kirche basieren auf dem Taufbefehl Jesu (Mt. 28). Aufgrund dieses Auftrags hat die Kirche ihre Praxis der Kindertaufe und des konfirmierenden Handelns ausgebildet und damit eine besondere Verantwortung für Kinder und Jugendliche übernommen. Angesichts des sich vollziehenden Traditionsabbruchs, dass Eltern ihre Kinder ganz selbstverständlich auch religiös bilden und erziehen, ist die Arbeit mit und für Kinder und Jugendliche in all ihren Fassetten (von der Taufbegleitung der Eltern über Krabbelgruppe und Kindergarten bis zum Religionsunterricht und den Angeboten der offenen und verbandlichen Kinderund Jugendarbeit) verstärkt zu einer grundlegenden Aufgabe geworden. Deshalb gilt: „Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist eine Grundaufgabe von Kirche. Die Gestaltung dieses Arbeitsfeldes gehört in die Mitte der

Überlegungen zum Reformprozess „Kirche mit Zukunft“: In Gemeinden und Kirchenkreisen, in den Gestaltungsräumen, in unserer Landeskirche.“ (1) Auch der Rat der EKD stellt fest: „In den Gemeinden müssen die religiöse Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen, Kinder- und Jugendarbeit sowie Konfirmandenarbeit als wichtige Chance zur Weitergabe des Evangeliums an die nächste Generation neue Priorität erhalten.“ (2) Ob jemand nämlich der Kirche verbunden ist und bleibt, entscheidet sich im Wesentlichen im Kinder- und Jugendalter. Alle Kinder haben „ein Recht auf Religion“ (F. Schweitzer), weil religiöse Fragen sie umtreiben. Kinder und Jugendliche brauchen aber nicht nur Glaubensunterweisung im Sinne einer formalen Bildung in der Kindertagesstätte und im Religionsunterricht, sie brauchen Angebote und Menschen, mit denen sie ihren eigenen Glauben in ihrer Lebenswelt mit ihren Zugängen und Fragen entwickeln und ausprobieren können. Aus empirischen Untersuchungen wissen

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Zukunft wird diese kleinere Kirche als Organisation aber nur haben, wenn sie parallel einen prioritätengeleiteten Umbau vornimmt


Kontr o v e r s „Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist eine Grundaufgabe von Kirche. Die Gestaltung dieses Arbeitsfeldes gehört in die Mitte der Überlegungen zum Reformprozess „Kirche mit Zukunft“

Die evangelische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist erfolgreich und wirksam

wir, dass für Jugendliche der Glaube kein Thema für sich ist. Mit Fragen des Glaubens setzen sie sich in ihrer Gruppe (Freundeskreis) an Beispielen des Alltags auseinander. Hier lernen sie den Glauben nicht als Schulwissen, sondern als Ermutigung zum Leben kennen und schätzen. Und darum geht es, wenn Bindungen entstehen sollen. Dies ist also überdeutlich: Wer heute Kinder und Jugendliche nicht ins Zentrum der Zukunftsplanungen stellt, braucht die Zukunft eigentlich gar nicht mehr zu planen. Dass dafür neben anderem auch materielle Ressourcen nötig sind, steht außer Frage.

Evangelische Kinder- und Jugendarbeit ist erfolgreich und wirksam Zukünftig werden die finanziellen Ressourcen sicherlich auch nach dem Kriterium verteilt werden, ob deren Einsatz „erfolgreich“ ist. Evangelische Kinder- und Jugendarbeit kann schon heute zeigen, dass sie erfolgreich und wirksam ist. Nach neuesten Untersuchungen (3) erreicht die Evangelische Jugend über 10% aller jungen Menschen zwischen 10 und 20 Jahren. 81% dieser jungen Menschen sind evangelisch (4), 12% katholisch, der Rest verteilt sich auf andere Religionen und Konfessionslose. Und evangelische Jugendarbeit wirkt: „Die religiöse Bindung von Jugendlichen an die Kirche führt zu markanten Unterschieden im Lebensgefühl und in der Lebensauffassung im Vergleich zu anderen Jugendlichen. ... Besonders wichtig ist für kirchlich geprägte Jugendliche das Ziel, eine gute und vielseitige Bildung zu erhalten und immer wieder Neues zu lernen. Markant ist der Unterschied auch in der Haltung zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit, die bei jungen Christen ebenso ausgeprägter ist wie die Bereitschaft, in Not geratenen Menschen zu

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helfen. Kirchlich gebundene Jugendliche wollen mit größerer Eindeutigkeit als ihre religiös indifferenten Altersgenossen Kinder haben, in kreativen Berufen und Lebenssituationen leben, Verantwortung für andere übernehmen und die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage suchen, während ihnen hohes Einkommen und das Ziel, Spaß zu haben und das Leben zu genießen, nicht ganz so wichtig erscheinen.“ (5) Damit dies zukünftig so bleibt, braucht evangelische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen allerdings auch eine bestimmte Qualität und damit die notwendigen Ressourcen. Denn „Evangelische Jugend ist ein wichtiger Begegnungsort zwischen der biblischen Botschaft und den Lebensfragen junger Menschen. Die Studie zeigt, dass die Auseinandersetzung mit religiösen Fragen und den Grundlagen des Christentums nicht isoliert geschehen kann. Sie entfaltet sich eingebunden in weitere Motivzusammenhänge. Der Wunsch, selbstständig mit anderen etwas Sinnvolles für sich und andere zu tun, ist eine wichtige Bedingung dafür, sich als junger Mensch selbstbestimmt den Fragen nach Gott und einer eigenen Glaubenspraxis zu stellen.“ (6) Und diesen Motiven wird nicht dadurch entsprochen, dass mal hier und dann auch mal wo anders irgendein Event angeboten wird. Projekte steigern nur die Attraktivität des Grundangebotes, können dieses aber nicht ersetzen. Das Grundangebot sichern zurzeit in der Kinder- und Jugendarbeit (im Gegensatz zu manchen anderen Handlungsfeldern) die Ehrenamtlichen. Damit dies so bleibt, brauchen diese für ihre Arbeit Aus- und Fortbildung sowie Begleitung im Alltag durch Hauptberufliche. Ob und wie dies sichergestellt werden kann, ist die erste Grundfrage an jede zukünftige Konzeption in Gemeinden und Kirchenkreisen (Dekanaten).


H int erg rund Empirische Untersuchungen zeigen aber auch, dass es für die Evangelische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen noch erhebliche Wachstumspotentiale gibt: „Auffallend ist, dass in der Gruppe der 16- bis 29-jährigen jeder Fünfte ein stark ausgeprägtes Interesse hat.“ (7) Diese älteren Jugendlichen in Ausbildung, Studium und Berufseinstieg werden mit den bisherigen Formen zu wenig erreicht, denn die bisher erreichten Jugendlichen organisieren sich fast ausschließlich in regelmäßig stattfindenden Gruppen (auch in der Offenen Arbeit), die eine Leiterin oder einen Leiter haben. 10% der Erreichten bezeichnen sich selbst als Leiterin bzw. Leiter. (8) Neuere Formen haben sich also bisher noch nicht in der Empirie niedergeschlagen: Jugendcamps, Freizeiten, Events, Jugendkirchen oder Jugendgemeinden (eben auch an den Universitäten und Hochschulen). Erste Erfahrungen in diesen neuen Strukturen zeigen, dass Jugendliche und junge Erwachsene diese Angebote annehmen. Sie sollten daher ausgebaut werden. Das Bewährte sichern und Neues entdecken, dies beschreibt die Aufgabe, die von der Kinder- und Jugendarbeit in den nächsten Jahren angegangen werden muss. Deshalb zum Schluss eine Anregung für die Zukunft, von der ich meine, dass sie die Begleitung der Ehrenamtlichen wie den Auf- und Ausbau neuer Angebote leisten kann.

Evangelische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen braucht Qualität

Die lebensweltorientierte Organisation der Kinder- und Jugendarbeit als Anregung Der folgende Vorschlag geht davon aus, dass bei den Mitarbeitenden ein Mentalitätswechsel stattfindet. „Kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezeugen ihren Glauben unabhängig davon, wie ihre Arbeit finanziert wird. Auch Mitarbeite-

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Kontr o v e r s

Für die Evangelische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gibt es noch erhebliche Wachstumspotentiale

Die Arbeit ist zukünftig noch weniger als bisher an bestimmte kirchliche Orte gebunden

rinnen und Mitarbeiter, deren Arbeit vom Staat oder von den Sozialversicherungen finanziert wird, sind kirchliche Mitarbeiter.“ (9) Deshalb können ihnen in strikt begrenztem Umfang auch kirchliche Aufgaben übertragen werden, indem dadurch das Profil und die Wirksamkeit ihrer ‚eigentlichen‘ Aufgabe gestärkt wird. Dieser Mentalitätswandel ist nötig, um eine religionspädagogische Biographiebegleitung durch die Kirche möglich zu machen, die die bisherige Versäulung des Handlungsfeldes in Kindertagesstätten, Schule und gemeindlichen wie übergemeindlichen Aktivitäten mit ihren Säulen Kinderund Jugendarbeit, Jugendhilfe, Religionsunterricht, Konfirmandenarbeit und Kirchenmusik sowie die damit verbundene Konkurrenz der Professionen zu überwinden. Vernetzung statt Versäulung ist der Grundgedanke: das ist auf der einen Seite das Einsparpotential, aber auf der anderen eben auch die Mindestausstattung, die die Kirchen für ihre Zukunft investieren muss. Leitbild der zukünftigen Evangelischen Kinder- und Jugendarbeit ist deshalb für mich die Vorstellung einer integrierten Religionspädagogik des Kinder- und Jugendalters, die Biographiebegleitung als (Selbst)Bildung, Erziehung und Freizeitgestaltung in der Pluralität anbietet. Allerdings ist dies zukünftig noch weniger als bisher an bestimmte kirchliche Orte (Kirche und Gemeindehaus eines

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Pfarrbezirkes bzw. einer Kirchengemeinde) und an bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Gruppen leiten, gebunden. Vielmehr wird die Arbeit zukünftig in unterschiedlichen, von den Lebenssituationen der Kinder und Jugendlichen bestimmten Sozialräumen stattfinden. Die erste zu nennende Lebenswelt ist der Einzugsbereich der Kindertagesstätte. Als Partner des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe kann hier das gesamte Programm der religionspädagogischen Begleitung der Kinder und ihrer Eltern angeboten werden. Die Mitarbeiterinnen und (zukünftig auch hoffentlich vermehrt) Mitarbeiter der Einrichtungen in evangelischer Trägerschaft sind für die Ausund Fortbildung sowie die Begleitung der Ehrenamtlichen auf dieser Ebene verantwortlich. Ihre Ansprechpartner für die Konzeptionsentwicklung und andere Fragen des Alltags finden sie bei jemandem aus dem kirchensteuerfinanzierten Hauptamtlichenteam (siehe unten). Sodann ist die Grundschule, vor allem die offene Ganztagsschule im Primarbereich, als kirchlicher Ort zu entdecken. Der Vorteil hier ist, dass es bereits geregelte Andockstellen gibt. Zu nennen ist neben dem Religionsunterricht vor allem die Kontaktstunde und der in Verantwortung von Ehrenamtlichen liegende Konfirmandenunterricht im dritten Schuljahr sowie die Trägerschaft bzw. Beteiligung an der Offenen Ganztagsschule im Primarbereich (zumindest in NRW). Die Aus- und Fortbildung der zu gewinnenden Ehrenamtlichen sowie deren Begleitung in der Praxis kann in den Händen der Hauptberuflichen des Offenen Ganztags in evangelischer Trägerschaft sowie der Religionslehrerinnen und -lehrer liegen. Waren in den bisherigen Lebenswelten alle Kinder während des Tages an einem Ort, so ändert sich dies bei


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den Jugendlichen. Durch unser drei(faktisch fünf-)gliedriges Schulsystem werden in der Regel aufgrund der sozialen Herkunft der Jugendlichen diese räumlich getrennt, was im Sinn der religionspädagogischen Biographiebegleitung nicht wünschenswert ist. Deshalb ist in und für diese Lebenswelt der eigene kirchliche Raum als Ort der Vergemeinschaftung über soziale Grenzen hinweg vorzusehen. In enger Kooperation mit dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe ist deshalb die Erhaltung bzw. die Einrichtung eines Hauses der offenen Tür anzustreben. Das dort beschäftigte, in hohem Maße refinanzierte hauptamtliche Personal ist neben der Gestaltung der eigenen Angebote für die Aus- und Fortbildung konfirmierter Jugendlicher zuständig, die selbst organisierte Angebote in den einzelnen Schulen der Sekundarstufe I und kirchlichen Orten begleiten können. Als letzte Lebenswelt praktischer alltäglicher Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nenne ich eine Mittelebene, die wesentlich geprägt ist von der Hauptamtlichkeit kirchensteuerfinanzierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Neben den pädagogisch ausgebildeten Mitarbeitenden mit theologischer Zusatzqualifikation (z.B. Gemeindepädagoginnen und -pädagogen) arbeiten hier theologisch ausgebildete Mitarbeitende mit pädagogischer Zusatzqualifikation (z.B. Gemeinde-, Kindergarten-, Schul- und Jugendpfarrerin/pfarrer) im Team.

Hier ist die Aus-, Fort- und Weiterbildung des hauptamtlichen Personals der anderen Ebenen konzentriert. Eine wichtige Dimension der dortigen Arbeit ist die kirchen- und jugendpolitische Vertretung des Arbeitsbereiches sowie das Fundraising. Idealerweise wäre das Team verantwortlich für eine Kinder- und Jugendkirche mit angeschlossenen Gemeinderäumen mit Übernachtungsmöglichkeiten. So entstünde ein Leuchtturm, der nicht nur den von Ferne Anreisenden den Weg wiese, sondern auch die Praxis des Alltags der Umliegenden ins Licht stellte. Anmerkungen (1) Verhandlungen der 3. (ordentlichen) Tagung der 14. Westfälischen Landessynode vom 11.-14. November 2002, S. 149 (2) Kirche der Freiheit S. 79. Siehe auch S. 23: „Entscheidend für die zukünftige Entwicklung der Kirche ist die Frage, inwieweit es ihr gelingt, den Glauben an die nächste Generation zu vermitteln.“ (3) Vgl. K. Fauser/A. Fischer/R. Münchmeier, Jugendliche als Akteure im Verband. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung der Evangelischen Jugend, Opladen 2006. (4) Konkret heißt das, dass ca. 25% der evangelischen Jugendlichen von sich aus sagen, ich nehme an den Angeboten der Evangelischen Jugend teil, eine Quote die bei den anderen Generationen bei weitem nicht erreicht wird. (5) Kirche der Freiheit S. 16 (6) Bischof W. Huber anlässlich der Vorstellung der Studie Münchmeier/Fischer in Berlin (7) Kirche der Freiheit S. 16 (8) Münchmeier/Fischer (9) Kirche der Freiheit S. 64

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So entstünde ein Leuchtturm, der nicht nur den von Ferne Anreisenden den Weg wiese

Udo Bußmann ist Landesjugendpfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen und Schatzmeister im Vorstand der aej


Hinte r g r u n d

Ressourcenverteilung Steuerung der kirchlichen Ressourcen heute und in 30 Jahren von Barbara Bauer

Sehr berechtigte Fragen angesichts der demographischen Fakten

Einige sehr konkrete Fragen hat mir das baugerüst gestellt: Wohin gehen zukünftig die Ressourcen kirchlicher Arbeit? Verändert sich die Bedeutung verschiedener kirchlicher Arbeitsbereiche bei einer demographischen Veränderung? Werden bei zurückgehender Jugendarbeit evtl. andere Arbeitsbereiche wie Alten- oder Familienarbeit finanziell, personell und räumlich angemessener gefördert? Können Sie

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einschätzen, wie die Zielgruppenarbeit zukünftig ausgestattet sein wird? Damit hat die Zeitschrift für Jugendund Bildungsarbeit beeindruckend ihren eigenen Untertitel bestätigt: die Zeitschrift, die weiterdenkt! Ich nehme hinter diesen Fragen einige Erkenntnisse, Vermutungen und auch Sorgen wahr. In meinen Ohren klingt bereits mit: Wir werden doch


Ko nt ro vers insgesamt weniger, das Verhältnis der Altersgruppen verschiebt sich zugunsten der Älteren. Kriegen die dann mehr vom Kuchen kirchlicher Arbeit und wir weniger? Wieviel weniger? Sehr berechtigte Fragen angesichts der demographischen Fakten und ein beachtlicher Weitblick in der Perspektiventwicklung des eigenen Arbeitsbereiches! Ich will mich in folgenden Schritten einigen Antworten annähern: 1. Statistisches Material zur Ressourcenverteilung 2. Veränderungen in der Mitgliedschaftsstruktur 3. Art der heutigen Ressourcensteuerung 4. Langfristige Änderungen in der Ressourcensteuerung 5. Folgerungen für die kirchliche Jugendarbeit

Tabelle 1

Tabelle 2

Statistisches Material zur Ressourcenverteilung In Deutschland leben rund 82 Mio. Menschen. Davon gehören rund 24 Mio. der Evangelischen Kirche in Deutschland an. Die rund 10 Mrd. Euro, die im Jahr 2005 für Aufgaben der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Gliedkirchen ausgegeben wurden, verteilen sich ausweislich der EKD-Statistik wie in Tabelle eins ersichtlich. Was wissen wir nun über die Ressourcenverteilung zwischen der Jugendarbeit, der Alten- und der Familienarbeit? Alten- und Familienarbeit werden nicht ausdrücklich ausgewiesen, müssen also irgendwo mit gemeint sein. Übergemeindliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wird benannt, aber zahlenmäßig bei der allgemeinen Gemeindearbeit ausgewiesen.

Etwas mehr erfahren wir aus der Statistik der Evangelischen Landeskirche in Baden (s. Tabelle 2). 6,1 Prozent der Gesamtausgaben werden für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ausgewiesen. Altenund Familienarbeit sind aber auch hier nicht als eigene Kategorien enthalten.

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Kontr o v e r s

Was einmal da war, wurde fortgeschrieben

Es scheint, als ob das baugerüst in seiner Fragestellung den kirchlichen Statistiken einige Schritte voraus ist. Vielleicht gar der Realität kirchlicher Arbeit? Strukturen für eine eigenständige kirchliche Altenarbeit sind derzeit erst im Aufbau. Familienarbeit wird weitgehend als Teil diakonischer Arbeit verstanden und vorrangig auf Familien mit besonderem Bedarf ausgerichtet. Die Notwendigkeit beider Arbeitsbereiche als Eigenständige ist aber erkannt und wird sicher noch zu Veränderungen in den kirchlichen Strukturen führen – was sich dann irgendwann auch in den Statistiken niederschlagen dürfte.

Veränderungen in der Mitgliedschaftsstruktur Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ist abhängig von der Höhe der Lebenserwartung, der Geburtenhäufigkeit und dem zu erwartenden Wanderungssaldo. Die „12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung“ des statistischen Bundesamtes enthält auf der Basis des Bevölkerungsstandes von 2008 diverse Varianten, denen unterschiedliche Annahmen zu den genannten Zwölfte koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung

"Mittlere" Bevölkerung Obergrenze "Mittlere" Bevölkerung Untergrenze

Bevölkerungsentwicklung ohne Wanderungsgewinne

Faktoren zugrunde liegen. Unter der Annahme annähernd konstanter Geburtenhäufigkeit, eines Anstiegs der Lebenserwartung um etwa acht Jahre bei Männern und sieben Jahre bei Frauen und eines Wanderungssaldos von 100.000 bzw. 200.000 Personen im Jahr, lässt sich ein Korridor der Bevölkerungsentwicklung mit der höchsten Wahrscheinlichkeit aufzeigen (vgl. EKD Kirchenmitgliederprognose. Grafik links). Hieraus lassen sich Prognosen für die Kirchenmitgliedschaft ableiten. Da die Bevölkerungsentwicklung und die Kirchenmitgliedschaftsentwicklung regional sehr unterschiedlichen Bedingungen unterliegen, ist eine Durchschnittsangabe wenig hilfreich. Es müssen jeweils die Prognosen der Landesstatistikämter mit den Trends der eigenen Kirchenmitgliederentwicklung zusammengeführt werden. Für die Evangelische Landeskirche in Baden haben wir dies berechnet. Deutlich wurden dabei zwei Trends: - die Abnahme der Kirchenglieder geschieht schneller als die der allgemeinen Bevölkerung die Alterszusammensetzung der - Kirchenglieder weist zunehmende Abweichungen zu ungunsten der jüngeren Jahrgänge auf. Im Jahr 2040 wird beispielsweise in Baden voraussichtlich die Gruppe der Kirchenglieder im Alter von 60+ so groß sein wie die der 20–60-Jährigen, was bei der Gesamtbevölkerung – noch – nicht der Fall sein wird. Zusammengefasst werden sich alle Kirchen auf folgende Entwicklungen in regional unterschiedlicher Ausprägung einstellen müssen: - die Gesamtbevölkerung nimmt ab und wird durchschnittlich älter - die Kirchenmitgliedschaft nimmt

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H int erg rund

prozentual stärker ab und wird ein durchschnittlich höheres Lebensalter aufweisen. Man kann das mit Überalterung beschreiben mit der Gefahr einer Altersdiskriminierung oder Unterjüngung mit der Gefahr des Euphemismus.

Art der Ressourcensteuerung heute In den Nachkriegsjahrzehnten konnten kirchliche Haushalte im Wesentlichen auf nominellem Wachstum der Kirchensteuern aufbauen. Das führte – grob vereinfacht – zu folgendem Mechanismus: Was einmal da war, wurde fortgeschrieben. Um die Verteilung der Zuwächse wurde zwischen den unterschiedlichen Interessengruppen gerungen. Im Ergebnis führte dies zu recht stabilen Grundstrukturen mit der Tendenz des wabenartigen Ausbaus rundherum.

Es konnten für bestimmte neu gesehene Aufgaben Arbeitsbereiche mit je eigenen, z. T. flächendeckenden Strukturen gebildet werden. In Phasen, in denen das Kirchensteueraufkommen nicht die Kostensteigerungen abdecken konnte, funktionierte das System nicht mehr störungsfrei. Es mussten Entscheidungen gefällt werden, die mit gravierenden Einschnitten in den gewohnten Lauf der Dinge verbunden waren. Arbeitsbereiche wurden eingeschränkt oder eingestellt, ausgebildete Theologinnen und Theologen erhielten keine Übernahmegarantie mehr, Immobilien konnten nicht mehr gehalten werden. Was anfänglich als vorübergehende Ausnahme angesehen wurde, die es nur zu überbrücken galt, hat sich zwischenzeitlich überall als Trend gezeigt: Die realen Wachstumsphasen sind vorbei. Es geht derzeit um Konsolidierung und teilweise auch bereits um Rückbau.

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Überfüllte Kirchen? Die Abnahme der Kirchenglieder geschieht schneller als die der allgemeinen Bevölkerung

Die Wachstumsphasen sind vorbei. Es geht derzeit um Konsolidierung und teilweise auch bereits um Rückbau


Kontr o v e r s

Die ganze Welt ändert sich andauernd, aber meine Kirche riecht immer wie gewohnt

Budgets bekommen diejenigen, die für bestimmte Aufgaben die überzeugendsten Konzepte vorlegen

Langfristig werden alle Kirchen ihre Organisationsformen restrukturieren müssen. Hierfür wird ein wesentlicher Steuerungsmechanismus die Ressourcenverteilung sein. Die Frage ist, geschieht sie in einem transparenten, zielorientierten, partizipativen, langfristig ausgerichteten Modus? Oder wird kurzfristig, von wenigen verantwortet, nur jeweils das Notwendigste veranlasst? Die Kirchen haben in unterschiedlicher Weise Instrumente zielorientierten Handelns eingesetzt. Die Evangelische Landeskirche in Baden hat beispielsweise den „Kirchenkompass“(3) entwickelt. Dieser ermöglicht die Entwicklung und Verabschiedung von zeitlich befristeten Zielen, zu deren Verwirklichung die Arbeitsbereiche Beiträge erbringen. Die Ressourcen werden partiell zielorientiert eingesetzt und für die Ergebnisse existiert ein Controlingsystem. Finanzielle Gestaltungsspielräume werden bevorzugt für die Verwirklichung der definierten Ziele eingesetzt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Steuerung des Ressourceneinsatzes tendenziell nicht mehr nur das Bestehende fortschreibt, sondern alle Arbeitsbereiche nach dem Beitrag zur Verwirklichung definierter Ziele befragt.

Langfristige Änderungen in der Ressourcensteuerung Neben der oben aufgezeigten stärkeren Ausrichtung auf zielorientierte Arbeitsweisen erwarte ich weitere Änderungen in der Ressourcensteuerung, die sich mit Flexibilisierung, formal wie inhaltlich, umschreiben lassen. Kirchliche Arbeit wird voraussichtlich künftig sehr viel stärker als bisher die

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Fähigkeit ausweisen müssen, flexibel auf unterschiedliche Anforderungen reagieren zu können. Der Supermarkt in meinem Wohngebiet bietet vierteljährlich Kochkurse für wechselnde Zielgruppen an. Mal sind junge Eltern angesprochen – Kinderbetreuung ist selbstverständlich Teil des Angebots. Mal werden Männer mit verschiedenen Graden an Vorkenntnissen eingeladen, mal ist Cooking mit Single-Dating verbunden. Und unsere Kirchengemeinden? Unser kirchliches hauptamtliches Personal ist in der Regel für ein konkretes Berufsbild ausgebildet, das bis zum Ruhestand als Konstantes gedacht ist. Für manche Kirchenglieder bietet das die notwendige Geborgenheit – die ganze Welt ändert sich andauernd, aber meine Kirche riecht immer wie gewohnt. Andere fühlen sich davon nicht mehr angesprochen und wenden sich für sie passenderen Anbietern zu. Flexibilität wird möglicherweise formal in der Ressourcensteuerung verankert, indem größere Teile der zu vergebenden Budgets nicht mehr festen Arbeitsbereichen zugeordnet werden, sondern denjenigen zukommen, die für bestimmte Aufgaben die überzeugendsten Konzepte vorlegen. So könnte beispielsweise eine Synode die Entwicklung neuer Wohnformen als Aufgabe ausschreiben. Es bewerben sich um die Mittel die Erwachsenenbildung mit dem Angebot entsprechender Workshops, die Frauenarbeit mit einem konkreten Wohnprojekt, die Gemeinde xy mit der Idee zur Gründung einer integrativ ausgerichteten Wohnungsbaugenossenschaft usw. Und eine weitere Veränderung in der Ressourcensteuerung erwarte ich, nämlich eine stärkere Betonung der Einheit von Wort und Tat. Etwas plakativer ausgedrückt: wo Kirche draufsteht, soll Kirche erkennbar drin sein. Da unsere Gesellschaft nicht mehr


Ko nt ro vers durchgängig christlich geprägt ist, muss der Zusammenhang von christlichem Selbstverständnis und kirchlichem Handeln bewusst erfahrbar gemacht werden. Arbeitsfelder, die hier Stärken haben, werden überzeugender um knapper werdende Ressourcen konkurrieren können als andere.

Folgerungen für die kirchliche Jugendarbeit Niemand wird die prozentualen Veränderungen in der Altersstruktur der Kirchenglieder zum Maßstab des Kirchensteuereinsatzes machen. Es wird keine automatischen Verschiebungen von der Jugendarbeit zur Seniorenarbeit geben. Aber es wird sicher genauer hingeschaut werden, wer welchen Beitrag dazu leistet, kurz–, mittel– und langfristig Kirchengliedern eine Bindung an ihre Kirche zu ermöglichen. Zeigt Jugendarbeit sich hierzu in der Lage, wird sie die gleichen Chancen haben wie andere Arbeitsbereiche – relativ unabhängig von den quantitativen Verschiebungen in den zugrunde liegenden Zielgruppen. Ein weiteres Kriterium wird die Flexibilität in den eigenen Angeboten sein. Kann man neue Herausforderungen in den Aufgabenstellungen kirchlicher Arbeit – z. B. Mobilität, Identitätspluralität, Lebensabschnittsfamilien – in den vorhandenen Strukturen aufgreifen? Kommen gar die Ideen für solche Themen aus gemeinsamen Prozessen zustande? Oder beweist man mit unschöner Regelmäßigkeit, dass mehr vom Gleichen erforderlich ist, weswegen irgendwo anderes weniger werden müsse? Schließlich wird die Fähigkeit zu vernetztem Arbeiten wichtiger werden. Die meisten Themen lassen sich nicht mehr vollständig in einem Arbeitsfeld abbilden. Wer gut vernetzt ist, kann darauf flexibler reagieren als wer erst

mühsam lernen muss, wie die Welt um ihn herum aussieht. Im o.g.Beispiel zur Entwicklung neuer Wohnformen könnte das überzeugendste Konzept aus der Jugendarbeit kommen, weil es ihr durch bereits bestehende Kontakte gelungen ist, alle Akteure in ein gemeinsames Projekt einzubinden, das die größte Wirkung verspricht. Und last but not least wird die Jugendarbeit wie alle anderen Arbeitsbereiche auskunftsfähig sein müssen, woran sie als kirchlich erkennbar ist. Dazu bedarf es eines Profilierungsprozesses nach innen und sicher auch einer bewussteren Missionshaltung nach außen. Dieses Kriterium wird manchen nicht gefallen, die sich gerade durch einen Verzicht auf jeden missionarischen Impuls auszeichnen wollen. Der Begriff Mission wirft auch sicher aufgrund der Geschichte des politischen Missbrauchs christlicher Mission manche berechtigten Fragen auf. Aber die konstruktive Auseinandersetzung damit ist erforderlich. Nur Christen, die ihren Glauben weitergeben wollen, können zukunftsoffen Kirche gestalten, statt Bestände zu verwalten.

Es wird keine automatischen Verschiebungen von der Jugendarbeit zur Seniorenarbeit geben

Mit dieser Provokation möchte ich mein Nachdenken beenden. Danke, dass Sie mich dazu eingeladen haben! Anmerkungen (1) Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Kirche in Deutschland, Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben, S. 38 (2) Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden 2009 (3) Zitat Broschüre Hinrichs

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Barbara Bauer ist Oberkirchenrätin der Evangelischen Landeskirche Baden und verantwortet dort in der Kirchenleitung den Bereich Geschäftsleitung und Finanzen


Gesp r ä c h

Jugendliche haben ein Kündigungsrecht Gespräch mit Fulbert Steffensky über die Jugend, das Alter und den Umgang miteinander baugerüst: Herr Steffensky, Sie wurden 1933 geboren, sind nun 78 Jahre alt. Möchten Sie noch einmal jung sein, vielleicht 17, 18 Jahre alt sein? Oder schreckt Sie der Gedanke eher?

Fulbert Steffensky studierte katholische und evangelische Theologie. Zuletzt war er Professor für Religionspädagogik an der Universität Hamburg

Steffensky: Ich glaube das Leben ist gelebt, ich würde das nicht mehr gerne wiederholen wollen. Ich würde ganz gerne einige Fehler nicht gemacht haben, aber man hat sie gemacht und so ist es. Ich glaube es ist der Vorteil des Alters, dass man sich nicht rechtfertigen muss für das was war oder nicht war. Aber jung sein möchte ich nicht mehr. baugerüst: Wenn Sie an ihre Eltern denken, die um die vorletzte Jahrhundertwende geboren wurden. Glauben Sie, dass die am Ende ihres Lebens nochmals jung sein wollten? Steffensky: Das glaube ich nicht. Diese Generation ist am Ende ihres Lebens mit der veränderten Welt nicht fertig geworden. Für das Leben meiner Eltern waren die Brüche einfach zu stark. In ihrer Welt kannte man nur den eigenen Katholizismus und die Kargheit. Es war auch eine solidarische Welt, die man aber immer mit äußerster Treue zum Ganzen bezahlen musste. Man musste sein wie die anderen und jede

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Form der Abweichung wurde bestraft. Man sollte im selben Glauben, in derselben Kirche, im selben Dorf bleiben. Überleben war nur möglich, wenn man zusammenblieb. Das wurde dann ja völlig anders. baugerüst: Reden wir über die Jugend. Verstehen Sie die Jugendlichen heute noch? Steffensky: Ich verstehe vieles nicht mehr, obwohl ich ein sehr schönes Verhältnis zu meinen Enkeln habe. Ich verstehe ihre Musik nur zum Teil oder auch nicht mehr, ich verstehe ihre ganze Computertechnik nur sehr bruchstückhaft, aber ich muss sie auch nicht verstehen. Das ist die große Erleichterung. Für meine Lage ist mir ein Wort wichtig: die Hochschätzung des Abdankens. baugerüst: Beneiden Sie heutige Jugendliche? Steffensky: Nein, ich beneide sie nicht. Eher habe ich ein schlechtes Gewissen diesen Jugendlichen gegenüber. Ich denke oft, was haben wir ihnen für eine Welt vermacht. Das jüngste Enkelkind ist neun Monate alt, und ich frage mich, wie wird dieses Mädchen leben, wenn sie zwanzig oder fünfzig Jahre alt ist? Was haben wir ihr überlassen. Wir Alten sind ja mit unserem falschen Leben auch das Gericht unserer Kinder.


Gesp räch Wir Alten sind auf deren Vergebung angewiesen. Was haben wir ihnen an Lasten aufgebürdet. Dieser Gedanke könnte uns vor der Arroganz schützen, wir hätten es besser gemacht oder früher wäre es besser gewesen. Ich glaube nicht, dass es früher besser war. baugerüst: Jugendliche wachsen zukünftig unter immer mehr älteren Menschen auf. Was bedeutet dies für Kinder und Jugendliche? Steffensky: Das ist erst einmal eine Last. Sie müssen die Alten ertragen und bezahlen. Aber es ist auch schön. Jugendliche wachsen immer stärker in Widersprüchen auf. Sie erfahren die verschiedenen Welten der Alten und der Uralten. Man wird nur an Widerständen stark. Wer nur eine Welt erfährt, verdummt. Auch wer nur eine Generationenwelt erfährt, weiß zu wenig. Die Alten könnten ja auch die Erzähler einer verloren gehenden Geschichte sein. baugerüst: Die junge Generation hat den Glauben verloren, dass sie mehr abbekommen kann als ein paar Krümel, sagt Wolfgang Gründinger von der Initiative für Generationengerechtigkeit. Die junge Generation sieht sich als der große Verlierer? Stimmt das? Steffensky: Ja, das ist so. Wenn Sie den Arbeitsmarkt, den Ressourcenverbrauch, die Überbevölkerung oder die Kriegsgefahren sehen, dann sind die Jugendlichen die Verlierer. baugerüst: Aber Jugendliche haben heute auch viel mehr Möglichkeiten als früher. Steffensky: Natürlich haben junge Menschen Möglichkeiten, die ich mir in meiner Jugend nicht erträumen ließ. Sie können reisen, Bücher lesen,

andere Welten sehen. Sie sind nicht mehr mit einem Lebenskonzept verflochten, man kann wechseln. Wir hätten uns nie vorstellen können, Lebenskonzeptionen zu kündigen, die uns die Alten überliefert haben. Das große Recht der Jugendlichen heute ist ihr Kündigungsrecht.

Man wird nur an Widerständen stark

baugerüst: Jungsein ist heute angesagt. 60-Jährige laufen mit dem Lebensgefühl von 40-Jährigen herum und kleiden sich oft auch so. In der Werbung sieht man nur fitte Alte, die reisen, Wellness machen und das Leben genießen. Gehört zum Altwerden Mut? Steffensky: Ja, der Mut der eigenen Lächerlichkeit zu entgehen, sich jugendlich zu gebärden. Dazu gehört das Bewusstsein, dass mein Leben endlich ist. Alte Menschen wollen heute nicht alt genannt werden. Es ist ja auch nicht einfach, der Mensch stirbt nicht nur am Ende des Lebens, man stirbt ja langsam aus der Welt heraus: aus der Sprache dieser Welt, aus den Künsten, aus der Geschwindigkeit dieser Welt. Man stirbt heraus und die Weigerung zu sterben zwingt manche zu dieser lächerlichen Jugendlichkeit. Dieser Wahn wird ökonomisch natürlich sehr begrüßt. baugerüst: Wenn Erwachsene den Lebensstil der Jugendlichen kopieren, enteignen sie die junge Generation. Was für Möglichkeiten bleiben der Tochter noch sich zu unterscheiden, wenn sich die Mutter fast genauso kleidet? Steffensky: Wir schulden der jüngeren Generation auch unser Anderssein. Wenn die Lehrerin sich so gibt wie die Schülerinnen oder wenn der Pfarrer dieselbe Sprache spricht wie seine Konfirmanden, fehlt die Möglichkeit zum Widerstand. Die Alten sollen nicht mehr die Diktatoren der Kinder sein, wie das früher

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Wir schulden der jüngeren Generation auch unser Anderssein


Gesp r ä c h in der Schule, der Kirche oder im Elternhaus der Fall war. Aber zugleich schuldet man der jungen Generation das andere Gesicht. baugerüst: Man wird an Widerständen stark sagten Sie.

Abdanken heißt für mich: sich ohne Ressentiment zu verabschieden

Resignieren heißt ja zunächst, die Zeichen der Macht abzulegen

Steffensky: Als mein ältester Enkel noch 15 Jahre alt war, hatten wir eine Trauung von einer Freundin der Familie. Während der Trauung sah ich, dass der Enkel las und ich fragte ihn nachher, was er gelesen habe. Einen Krimi sagte er mir. Mit meiner Liberalität habe ich dann geschwiegen und gelitten und nachher dachte ich, was tue ich eigentlich diesem Menschen an, wenn ich mich ihm nicht zeige, wenn ich nicht sage, was ich davon halte. Wie soll er stark werden, wenn er mich immer mit der Freundlichkeit einer Gummizelle erlebt? Und ich sagte zu ihm: ´Es war feige und respektlos. Du hast nicht respektiert, was anderen wichtig ist und du warst feige draußen zu bleiben, wenn es dir nichts sagt´. Später hatten wir ein sehr schönes und ernsthaftes Gespräch darüber. Was hätte ich ihm verweigert, wenn ich geschwiegen hätte. Es ist eine große Gefahr von uns Alten, dass wir von den Jugendlichen geliebt werden wollen. baugerüst: Bei dem öffentlichen Bild von alten Menschen blenden wir die Hinfälligkeit des Menschen aus. Steffensky: Dabei ist die sichtbare Hinfälligkeit vielleicht eine der wichtigen Lehren, die wir Alten geben können. Das Leben ist endlich, wir werden sterben - auch du. Es geht um die Einübung in Sterben und Tod. Dazu gehört, dass man sterbende, hinfällige, verwirrte, im Alter gebrechliche Menschen sieht. Dazu gehört aber auch der Gedanke der Gnade: der Mensch ist nicht gerechtfertigt durch

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seine Stärke. Wir Alten können uns nicht mehr rechtfertigen durch unseren Witz, durch unsere Stärken, durch das was wir leisten. Eine Gesellschaft, die zulässt, dass Menschen würdig leben, die sich selbst nicht mehr rechtfertigen können, das finde ich einen sehr schönen Gedanken. Das grobe Gegenteil dazu war die Nazizeit. baugerüst: Sie sprachen am Anfang über das Abdanken. Ist das nur Verzicht oder auch Gewinn? Steffensky: Abdanken heißt für mich: sich ohne Ressentiment zu verabschieden, vom Leben, von seinen Stärken und von den Möglichkeiten. Ich mag aber auch das Wort resignieren sehr gerne. Resignieren heißt ja zunächst, die Zeichen der Macht abzulegen. Der König gibt sein Zepter ab, weil ein Nachfolger da ist. Sich nicht mürrisch verabschieden, sondern in einer bewussten Haltung akzeptieren, dass ich herauswachse. baugerüst: Aber es ist doch auch ein Gefühl von Verlust. Steffensky: Ja, es ist ein Verlust. Zu sterben ist nun mal ein schwerer Verlust. Aber es ist ein Verlust, in dem ich Subjekt bleibe. Ich weiß, meine Zeit ist um, die Zeit meiner Sprache, meiner Lieder, meiner Dichter, meines starken Körpers ist um oder geht zu Ende. Ich nehme das an. Ich erlaube mir nicht mehr zu wünschen ein Anderer zu sein. baugerüst: Welche Stärke oder Kraft gehört zu so einer Haltung? Steffensky: Es ist wohl nicht so ganz einfach. Es hat etwas mit Gnade zu tun. Gnade heißt ja eigentlich, dass ich nicht gezwungen bin mich selbst zu gebären, mich nicht selbst rechtfertigen zu müssen. In dieser Hinsicht ist


Gesp räch unsere Gesellschaft mit ihren Ganzheitszwängen natürlich gnadenlos. Wenn Menschen gelernt hätten, nicht Garant ihrer selbst sein zu müssen, sondern sich als Fragment zu sehen, dann könnten sie im Alter vielleicht Einschränkungen auch leichter annehmen. baugerüst: Steckt da nicht die Gier nach ungelebtem Leben dahinter? Steffensky: Nicht nur die Gier, auch das Schicksal eines ungelebten Lebens. baugerüst: Kommt man im Leben irgendwann ans Ziel? Steffensky: Man muss ja nicht. Ich glaube, dass man die Fragmente oder die Spuren eines Ziels erreicht. Dazu gehört auch das Einverständnis mit dem Teil der gelungen ist, oder der uns geschenkt worden ist. In Heiterkeit Fragment sein, so möchte ich alt werden wollen. baugerüst: Ich bin der ich bin, ich muss mich nicht rechtfertigen, sagten Sie gerade. Das ist ja ein ungemein lebenserleichternder Satz. Steffensky: Das ist ein Satz gegen die böse Verzweiflung. Wenn ich mich nicht durch mich selbst rechtfertigen muss, bin ich auch nicht gezwungen an meiner eigenen Schuld zu kleben. Die eigene Schuld gesegnet sein zu lassen, so verstehe ich das.

lebendiges Leben, in dem man nicht auch Zerstörer ist. Aber das Leben ist stärker als meine Schuld. Oder Gott ist größer als meine Schuld. baugerüst: „Wenn der Mensch fühlt, dass er nicht mehr hinten hoch kann“, schreibt Kurt Tucholsky in seiner Satire „Der Mensch“, "wird er fromm und weise“. Warum werden Menschen am Ende ihres Lebens wieder religiös? Steffensky: Die Frage ist ja, ob das stimmt. Ich glaube ich war zu anderen Zeiten meines Lebens viel religiöser als heute. Ich glaube Menschen werden religiös, weil sie mehr brauchen als ihnen selbst gelungen ist. Je älter ich werde, schätze ich die Schönheit der Religion. In meiner Jugend habe ich das Gesetz der Religion das auferlegt war geschätzt. Als ich stärker wurde, habe ich die Moralität der Religion geschätzt. Ich habe relativ spät angefangen die Schönheit der Religion zu sehen. Wenn wir hier sitzen und essen, ist es schön, ein Dankgebet zu sprechen oder das Brot zu segnen. Es ist schön, bestimmte Zeiten einzuhalten. Wir haben Religion sehr stark verzweckt. baugerüst: Wie kann die Schönheit der Religion oder diese Sichtweise auf Religion Jugendlichen vermittelt werden?

baugerüst: Ist es vielleicht die große Kunst, die wir zu lernen haben, dass wir das Urteil über uns selber nicht fällen müssen?

Steffensky: Bei dem Religionsunterricht kommt es mir nicht darauf an, dass Jugendliche im christlichen Sinne religiös sind. Es kommt mir darauf an, dass sie Lebensoptionen sehen, die charmant sind, die die Würde des Menschen ausdrücken, bei denen man sagen kann, es lohnt sich zu leben.

Steffensky: Ja, sich des Urteils über sich selber zu enthalten, auch über das Negative. Das heißt ja nicht, dass man nicht sieht, welche Zerstörungen man angerichtet hat. Es gibt kein

baugerüst: Heißt das, zu erkennen, es gibt noch eine andere Tagesordnung als jene, die diese Welt schreibt, ein Satz, den ich bei Dorothee Sölle gelesen habe?

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Wenn ich mich nicht durch mich selbst rechtfertigen muss, bin ich auch nicht gezwungen an meiner eigenen Schuld zu kleben

Wir haben Religion sehr stark verzweckt


Gesp r ä c h

Schönheit, Dankbarkeit, Verehrung oder Lob sind mir wichtig geworden

Steffensky: Ja, das beinhaltet auch ein sehr widerständiges Potential, das ich nicht gering schätze. Aber ich habe schon lange das Gefühl, dass das nicht genügt. Schönheit, Dankbarkeit, Verehrung oder Lob sind mir wichtig geworden. Vielleicht sind das Begriffe, die einem in ihrer Bedeutung erst im Alter zuwachsen, vielleicht nach einer größeren Anzahl von Niederlagen. Wenn es etwas gibt, was uns weise machen kann, dann sind es die geglückten Niederlagen, die einen nicht nur bitter gemacht haben. Ich glaube es gibt noch ein Moment der Weisheit im Alter, es ist, dass man nicht mehr alles ganz für ernst nehmen muss. baugerüst: Wird man auch zum Narren?

Ich glaube nicht, dass junge Menschen heute weniger religiös sind als wir es waren

Steffensky: Man wird zum Spieler zwischen den Zeilen oder zwischen den Stühlen. Wenn ich daran denke, mit welcher Ernsthaftigkeit wir in der Erziehungswissenschaft oder der Theologie Paradigmen verteidigt haben, die nach zehn Jahren ausgetauscht wurden. Das ist jetzt nicht zynisch gemeint mit dem Satz, das hatten wir schon. Mit der eigenen Endlichkeit im Blick, sieht man auch die Endlichkeit der Konzeptionen. Es stellt sich ein produktiver Zweifel ein, gegen alles was sich gravitätisch gibt, was sich eisern und für ewig hält. baugerüst: Von älteren Menschen wird oft ein religiöser Traditionsabbruch beklagt. Sehen Sie das so? Bedauern Sie das? Steffensky: Es gibt einen Traditionsabbruch. Die Frage ist nur, wie er zu deuten ist. Wer das beklagt meint ja, dass es früher gut war. Ich bezweifle, dass wir in unserem Land oder in Europa eine gute Religiosität hatten. Religion war ganz oft mit Gewalt, mit Krieg und mit Ausbeutung verbun-

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den. Außerdem war sie weithin nicht internalisiert. Hat es überhaupt eine Tradition in einem würdigen Sinn des Wortes gegeben. Die Männer bei uns zu Hause im Dorf sind alle in die Kirche gegangen, es gab keinen, der nicht in die Kirche ging, oh wie wäre es dem schlecht gegangen. Aber zur Predigt sind sie rausgegangen zum Rauchen. Was war das für eine Form der Frömmigkeit? Ich will sie nicht verdammen, aber ich will nur ihren Zwiespalt sehen. Traditionen sind gebrochen, das ist gar keine Frage. Der größere Bruch ist aber das Verschwinden von Religion aus der Öffentlichkeit. Die Fastenzeit, mit ihren Bräuchen und Vorschriften, das Mittagsläuten, das Angelusläuten. Die Religion war früher vollkommen öffentlich. Heute spielt Religion im öffentlichen Leben eine immer geringere Rolle. baugerüst: Haben junge Menschen auch ein Recht auf Traditionsabbruch? Steffensky: Ja, sie haben ein Kündigungsrecht. Aber sie wenden sich diesen Traditionen ja auch zu. Es ist nicht nur erstaunlich, was gebrochen ist, sondern es ist auch erstaunlich, wie viele sich verlorenen Fragen noch einmal zuwenden. Ich glaube nicht, dass junge Menschen heute weniger religiös sind als wir es waren unter diesem religiösen Deckel mit dem wir lebten. Vielleicht gibt es ja doch einige nicht auszurottende Fragen. Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach dem Schmerz, nach der Schuld. Ich bin nicht ganz optimistisch, auch weil ich sehe, wie diese Fragen verhindert werden können. Aber ich sehe bei jungen Menschen auch die Lust, mit dem eigenen Leben etwas zu wollen. Das Gespräch mit Fulbert Steffensky führte Wolfgang Noack


S t and p unkt

Michael Freitag

Jugendkirche - Altenkirche und das Generationenhaus des Glaubens Es gibt Jugendkirchen und die – vermeintliche – Altenkirche. Und es gibt den Traum von der Kirche als Generationenhaus des Glaubens. Immerhin - aus diesem Traum wird häufiger, als die beckmessernd-kirchenkritische Nachrede es zulässt, durchaus auch Realität: Eine Lern- und Erfahrungsgemeinschaft des Glaubens.

Jugendkirchen ... sind, etwas verkürzt und trocken gesagt, eine alterskohortenspezifische und zielgruppenorientierte Ausformung von Kirche. Sie sind ein Angebot kirchlicher Öffnung und Beheimatung für Jugendliche und ihrer Lebenswelten, für deren Beteiligung und Selbstbestimmung und für ihre eigenen Zugänge zu Gott und Glauben. Sie sind insofern streng subjektorien-

tiert und haben dabei ihre „Objekte“, die Jugendlichen, stets fest im Blick. Jugendkirchen sind ihrem Selbstverständnis nach bewusst entgrenzend: Sie wollen Kirche für alle Jugendlichen sein und nicht nur offen für die hochidentischen Eigenkulturen und Eigengewächse kirchlicher Reproduktionsmechanismen. Sie sind insofern sogar missionarisch. Jugendkirchen gehören damit zur Spezies der sogenannten Profilkirchen, die auf eine bestimmte Klientel ausgerichtet sind und deren Bedürfnisse und vermuteten Bedarfslagen bedienen.

Die Altenkirche ... ist, jedenfalls der kritischen Nachrede zufolge, die allwöchentliche Realität der gesamten Kirche: Die Gottesdienste am Sonntagmorgen

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Jugendkirchen gehören zur Spezies der Profilkirchen


Stan d p u n k t

Kirche war immer eine Traditionsgemeinschaft

Die jungen Menschen sollen nicht stören, nichts verändern und möglichst wenig von ihren eigenen Stilen und Kulturformen einbringen

pünktlich um 10:00 oder 10:30 Uhr werden überproportional von älteren Menschen besucht („Kirche ist was für Ältere“), und das Gesamtbild der Gottesdienstbesuchenden wird nur durch die pflichtbewusst anwesenden und zur Teilnahme verdonnerten Konfis jugendlich aufgehellt. Die Angebote unter der Woche richten sich vornehmlich an Senioren, und die ehrenamtlich Mitarbeitenden sind häufig schon in Rente und haben entsprechend Zeit. Die liturgische Inszenierung von Gottesdiensten ist genauso wie die Verkündigung sowieso traditionell ausgerichtet und entspricht damit eher den Bedarfslagen älterer Menschen. Kirche ist damit auf eine Kultur der Tradition und traditioneller Milieus ausgerichtet. Der allwöchentliche Vollzug von Kirche und Gemeinde insgesamt wäre somit faktisch auch alterskohortenspezifisch und zielgruppenorientiert ausgerichtet – auf ältere Menschen eben. Dieses Image haftet der Kirche schon seit langen Zeiten an. Die Normalgestalt von Kirche wäre damit, ohne es zu wollen, in ihrem faktischen Vollzug ebenfalls Profilkirche, für die Älteren eben. Die Befürchtung ist, dass demografische Faktoren diesen Trend verstärken.

Der Traum von Kirche ....sieht ein bisschen anders aus. Biblische Bilder haben die Vorlagen gezeichnet: Die Kirche bzw. die Gemeinde ist ein Leib, der in seinen unterschiedlichen Bestandteilen zusammengehört, weil Gott ihn zusammengefügt hat. Jeder und jede hat seinen bzw. ihren Platz und Raum und jedem ist seine Aufgabe zugewiesen. Man braucht einander, sorgt füreinander und alle gehören dazu - nicht nur ideell-geistlich, sondern

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auch im praktischen Alltagsvollzug des Lebens. Alle Gemeindemitglieder bilden eine geistliche und genauso eine soziale Einheit (1.Korinther 12). Diese Vorlage ist durchaus nicht ins Leere gegangen: Kirche war immer eine Traditionsgemeinschaft, in der der Glaube von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Und zumindest im sonntäglichen Kultus hat sich die kirchliche Generationengemeinschaft lange Jahrhunderte realisiert. Auch heute noch gibt es viele Hauptgottesdienste, in denen „Alte mit den Jungen gemeinsam loben den Namen des Herrn“, wie es in einem programmatischen Lied aus dem letzten Jahrhundert so schön heißt. Freikirchen und pietistisch geprägte Gemeindeformen haben es auf Grund ihrer familial geprägten und familiär ausgerichteten Gemeindestruktur bei diesem Programm besonders leicht. Ob dieser Traum eines auch sozial realisierten Gemeindeleibes über das räumliche Nebeneinander in den Kirchenbänken und über die geistliche Gemeinschaft im Abendmahl hinaus wirklich attraktiv ist und gelebt werden kann, darf bezweifelt werden. Selbstverständlich freuen sich ältere Menschen, wenn viele junge Leute im Gottesdienst oder im Gemeindeleben anwesend sind, weil das „frischen Wind bringt“ und schließlich ja auch Hoffnung auf die Zukunft der Kirche macht. Andererseits sollen die jungen Menschen aber nicht stören, nichts verändern und möglichst wenig von ihren eigenen Stilen und Kulturformen einbringen; das traditionelle System soll eben nicht geändert werden (fairerweise muss ich aus vielfältiger Erfahrung hinzufügen, dass gerade Senioren und Seniorinnen oft mehr Offenheit und Verständnis für Jugendkulturen aufbringen als erwartet – und als es die mittlere Generation aufbringt). Umgekehrt gibt es viele junge Men-


S t and p unkt schen, die auch älteren Menschen freundlich und zugewandt begegnen und sehr hilfsbereit sind. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie ihr Leben und ihr Glaubensleben mit ihnen teilen.

Das Generationenhaus des Glaubens ist keine Illusion Im Gegenteil: es ist wichtig. Es lässt sich allerdings nicht einfach so herstellen und als selbstverständliche und allwöchentliche Generationengemeinschaft der Erfahrung und der Praxis des Glaubens realisieren. Dazu sind die kulturellen Unterschiede zwischen den Generationen und vor allem die unterschiedlichen biografischen Settings des Glaubens und die entsprechenden Bedarfslagen und Aneignungsformen viel zu unterschiedlich und stehen sich oft genug fremd gegenüber. Wer ernst nimmt, dass junge Menschen ihre eigenen und nicht von Erwachsenen dominierten Räume und Erfahrungsorte des Glaubens brauchen und ihre eigen-sinnigen Zugangsformen zu Gott und Glauben entwickeln müssen, muss anderen Generationen diese „passgenauen und eigensinnigen“ Räume auch zugestehen. Insofern haben Profilkirchen und alterskohortenspezifische Angebotsformen für alle Generationen ihr unabweisbares Recht. Dennoch brauchen wir ein Generationenhaus des Glaubens: - Kirche braucht die Weitergabe von Traditionen. Glaube kann niemals nur auf den eigenen (jugendlichen oder senioralen) Lebenserfahrungen und Glaubenstheorien basieren, sondern braucht den korrigierenden „Schatz der Überlieferungen“, auch wenn er subjektiv und damit auch altersspezifisch angeeignet werden muss. Das Vorrecht dieser Traditi-

onsweitergabe haben in der Regel die Älteren. - In „Sachen des Glaubens“ können und müssen Generationen voneinander lernen. Junge Menschen profitieren von den Glaubens- und Lebenserfahrungen von älteren Menschen und ihrer Glaubensweisheit, so sie denn weise ist. Umgekehrt können ältere Menschen durch junge Menschen viel Glaubensinspiration erleben und ihre Sicht der Dinge verändern lassen. Das Vorrecht für Neues, Zukunftsorientiertes und Veränderndes haben zumeist junge Menschen. In einer Lerngemeinschaft des Glaubens treffen Tradition und Revolution, Bewahrung des Alten und Veränderung durch das Neue aufeinander – nicht nur im Streit und in Konkurrenz, sondern auch mit Neugier und Wertschätzung und der Bereitschaft zum Umdenken. - Das Generationenhaus des Glaubens braucht dazu Gelegenheitsfenster – oder um im Bild zu bleiben: Gelegenheitstüren und Gelegenheitsräume. Diese Räume sind punktuelle Kontakte: Der Teeni-Kreis lädt zum Beispiel einen vertrauenswürdigen älteren Menschen ein, der von seinem Leben und der Rolle des Glaubens bei der Bewältigung seines Lebens erzählt – nach meiner Erfahrung hören Teenager sehr gespannt zu. Oder umgekehrt: eine Jugendgruppe gestaltet einen Abend für Senioren und Seniorinnen – beide Seiten werden ganz begeistert mitmachen. - Es kann gemeinsame Projekte geben. Gemeinsames Tun verbindet auch Generationen. - Gelegentliche gemeinsame Orte des Gotteslobes - und sei es im Gottesdienst am Sonntagmorgen - sind nicht ausgeschlossen und können sogar Spaß machen – wenn er gut vorbereitet ist.

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Das Vorrecht für Neues, Zukunftsorientiertes und Veränderndes haben zumeist junge Menschen

Michael Freitag, Hannover, Referent für Theologie, Bildung und Jugendsoziologie der Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Jugend (aej)


F or u m

Hannah Beitzer

Netzwärts

Endlich haben wir unseren Generationenkonflikt!

Jahrelang haben die Alten an den Jungen herumgenörgelt. Sie seien zu angepasst, zu ichbezogen, hätten keinerlei Visionen und Ideale. Jetzt gibt es auf einmal eine Bewegung der 68er-Kinder: die Piraten - eine Partei, deren Anhänger im Durchschnitt 30 Jahre alt sind. Und wieder passt es den Alten nicht. Dieses Geschimpfe ist wohlfeil.

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Es ist zum Heulen: Jahrelang mussten sich die Kinder der 68er von ihren Eltern anhören, sie seien zu angepasst, zu ichbezogen, hätten weder Ideale noch Visionen und bekämen nicht mal eine ordentliche Jugendbewegung hin. Jetzt gibt es auf einmal eine Bewegung der 68er-Kinder: die Piraten - eine Partei, deren Mitglieder und Wähler im Durchschnitt 30 Jahre alt


Fo rum sind. Und schon wieder passt es den Alten nicht. Sie meckern über fehlende Inhalte und eine chaotische Struktur. Doch was ihnen eigentlich nicht passt, ist, dass sich die Piratenpartei nicht mit den Kategorien fassen lässt, die sie selbst einmal in grauer Vorzeit für ihre eigene Revolte definiert haben: Wie, die haben keine Meinung zu Krieg oder Frieden in Afghanistan? Wie, die haben keine Frauenquote? Wie, die wissen nicht mal, ob sie rechts oder links sind? Den Piraten werden ständig Schablonen übergestülpt, die die Alten für wichtig halten. Schon mit dem Auftreten der Piraten kommen die Eltern nicht klar. Die sind ja so brav! Wollen keine Weltrevolution, sondern nur ein bisschen Internet für alle! Wenn man sie angreift, lächeln sie höflich und bedanken sich für die konstruktive Kritik! Und ausgerechnet die wollen das System verändern? Man könnte fast glauben, dass die Eltern es besser fänden, wenn junge Leute Steine in Schaufenster werfen und Autos anzünden würden. Die Alten suchen unterbewusst bei den Piraten nach einem zweiten Joschka Fischer - und sind enttäuscht, dass da stattdessen freundliche, blasse, etwas naive Computerfreaks sind, die niemals außerhalb der virtuellen Welt Steine werfen würden. „Wo ist da das Charisma?“, fragen die Alten - und kapieren nicht, dass die Jungen genug haben von Berufsrevolutionären, denen es nur um ihr eigenes Ego geht. Die entdecken ja doch nur irgendwann, wie gut sie in Boss-Anzügen aussehen und wie viel bequemer es ist, mit der Wirtschaft zu kuscheln, als irgendwas zu verändern. Die Alten verlangen von den Piraten

außerdem ein ordentliches Parteiprogramm. Aber wo ist denn die klare Linie bei den etablierten Parteien? Die SPD führt Hartz IV ein, die Grünen stimmen Kampfeinsätzen zu, die CDU schafft die Wehrpflicht ab und die FDP - ach, geschenkt, die wählt eh keiner mehr. Dass die Piratenanhänger sich nicht für Inhalte interessieren und die Partei nur aus Protest wählen, ist Quatsch. Klar, in den vergangenen Wochen hieß es oft: lieber eine Partei, die zu ihrer Inkompetenz steht, als eine Partei, die nur so tut, als wüsste sie Bescheid. Die meisten Sympathisanten erwarten aber sehr wohl von den Piraten, dass sie bis zur Bundestagswahl eine Meinung zu Kriegseinsätzen und Sozialpolitik haben - und einen Plan, wie man ihre Vorstellungen umsetzen kann. Im Moment reicht es aber, dass sie eine faszinierende Methode haben. Junge Leute finden die Piraten gut, weil die ihr Parteiprogramm online zusammen entwickeln, weil man mitreden kann, weil es dort nicht heißt: Hier ist unser Programm, hier ist unser Führungspersonal: friss oder stirb. So was wie „Durchregieren“ gibt‘s da nicht. Viele Kinder der 68er fühlen sich schon lange nicht mehr von den etablierten Parteien vertreten. Das gilt nicht nur für die tatsächlichen Söhne und Töchter der Alt-Revolutionäre, sondern für eine ganze Generation, die nach 1975 geboren wurde. Viele junge Leute wären bei der jüngsten Bundestagswahl am liebsten zu Hause geblieben - und einige haben das auch getan. Noch bis vor kurzem haben sie abends in der Studentenküche bei Wein und Wokpfanne eher über die politische Lage in Russland und Lateinamerika diskutiert als über die vor der eigenen Haustür. Es erschien unmöglich, Politik anders als von der

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Jahrelang haben die Alten an den Jungen herumgenörgelt

Die Generation um die 30 kam überhaupt nicht mehr zu Wort


F or u m ropa den Bach runter. Es wurde also höchste Zeit, dass die Jungen endlich aus ihrer Schockstarre aufwachten. Denn wer soll denn bitte die Welt von morgen gestalten, wenn nicht diejenigen, die darin leben werden?

Es wurde also höchste Zeit, dass die Jungen endlich aus ihrer Schockstarre aufwachten

Währenddessen machten sich die Alten in den Parteien, Parlamenten und Medien breit

Metaebene aus zu betrachten: als absurdes Theater, in dem um Posten und Gelder geschachert wird. Die Generation um die 30 kam überhaupt nicht mehr zu Wort. Sie begnügte sich bestenfalls damit, ihren Lebenslauf zu optimieren und in internationalen Konzernen Karriere zu machen. Schlimmstenfalls schlug sie sich mit befristeten Jobs, unklarer Zukunft und unerfülltem Kinderwunsch herum. Sicher, es gab auch Leute, die sich engagierten. Die gingen zu Attac, gründeten Online-Klima-Initiativen oder starteten eine Laufbahn bei den UN. Doch in die Entscheidungsorgane der deutschen Politik drangen sie kaum vor. Währenddessen machten sich die Alten in den Parteien, Parlamenten und Medien breit, verwässerten erst die soziale Marktwirtschaft in Deutschland und dann ging auch noch Eu-

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Jetzt kann man natürlich sagen, dass es schon vor den Piraten junge Leute in der Politik gab, Philipp Rösler und Christian Lindner zum Beispiel. Aber die könnten genauso gut 50 sein. Sie sind so absolut glatt, so absolut angepasst, so absolut gesichtslos, so absolut karrieristisch. So absolut FDP. Und dann erst Familienministerin Kristina Schröder! Die ist zwar jung, aber an ihrer Politik merkt man das nicht. Betreuungsgeld, also echt! Die Idee hätte besser in die 1950er Jahre als ins 21. Jahrhundert gepasst. Früher einmal, da konnte man die Grünen gut finden. Heute aber ist von deren fortschrittlichen Ideen außer jugendlich gefärbten Haaren und bunten Schals nicht mehr viel übrig. Eine Partei, die ihre Popularität großteils daraus speist, gegen Bahnhöfe, Straßen und Flughäfen zu protestieren? Da könnte man ja gleich der CDU beitreten, jetzt, wo der Atomausstieg geschafft ist. Und in der SPD gilt immer noch die inzwischen 41-jährige Andrea Nahles als „Nachwuchstalent“ - was für ein Witz! Doch auf einmal ist da etwas anderes, etwas Neues: die Piraten mit ihrer Idee von Transparenz und Online-Mitbestimmung. Und auf einmal kommen sie raus aus ihren Löchern, die Kinder der 68er. Fast möchte man sagen: Endlich haben wir unseren Generationenkonflikt! Viele junge Leute würden die Piraten im Moment noch nicht einmal wählen, aber die Idee dahinter ist verlockend: Endlich kann man das Internet mit seinen unendlichen Möglichkeiten, die Spielwiese der


Fo rum jungen Generation, nicht mehr nur zur persönlichen Kontaktpflege und zum Nachrichten- und Pornokonsum nutzen, sondern dazu, Gleichgesinnte zu finden, Demonstrationen zu organisieren, vielleicht ja sogar Politik in Parlamenten zu machen.

aber oft gar keinen Festnetzanschluss, sondern eine Mobilfunk-Flatrate. Was wunderbar zeigt, wie wenig der politische Apparat - etablierte Parteien, Medien, Institute - mit einer Bewegung klarkommt, die sich nicht an dessen Regeln hält.

Könnte sich tatsächlich am System was ändern? Könnte tatsächlich auf einmal die Meinung des Einzelnen gehört werden? Fragen wie diese trauen sie sich jetzt wieder laut zu stellen, diese Globalisierungskinder, die schon mit Ende 20 so vernünftig und desillusioniert waren, als hätten sie ein langes, enttäuschendes Leben hinter sich.

Auf Pressekonferenzen der Piraten in Berlin spielen sich seit ihrem Einzug ins Abgeordnetenhaus regelmäßig absurde Szenen ab. Die 40-plusJournalisten fragen genüsslich wieder und wieder dieselben Themen ab: na, immer noch keine Meinung zum Euro-Rettungsschirm? Zum Militäreinsatz in Libyen? Aha! Und werfen

Die 40-plusJournalisten fragen genüsslich wieder und wieder dieselben Themen ab

An den Piraten sehen diese Desillusionierten auf einmal, dass man auch als junger Mensch im Politikbetrieb was bewegen kann. Und siehe da: Auf einmal wird auch auf den Wok-und-Wein-Abenden wieder über Politik diskutiert, etwa über die Occupy-Bewegung, die ein ähnliches Demokratieverständnis hat wie die Piratenpartei. Auch dort treffen sich Menschen - und nicht nur junge -, die ein unbestimmtes Gefühl haben, dass vieles nicht stimmt mit dem System. Und sie denken wie die Piraten, dass man die Lösung am besten gemeinsam finden kann. Zugegeben: Das ist eine Idee, die auch viele junge Menschen naiv finden. Die Piraten vertreten auf keinen Fall die Interessen aller 30-Jährigen, genau wie die 68er-Bewegung keine Bewegung der gesamten Jugend, sondern der linken Studentenschaft war. Aber immerhin: Nach jüngsten Umfragen kämen die Piraten auf sieben Prozent der Wählerstimmen. Vermutlich sind es noch mehr, weil die meisten Institute für ihre Umfragen nur auf Festnetzanschlüssen anrufen - die Kernwählerschaft der Piraten hat

sich dann gegenseitig kopfschüttelnd Blicke zu, die sagen sollen: „Was für eine Chaos-Truppe“. Die jungen Polit-Amateure erklären etwas irritiert zum wiederholten Mal, dass darüber die nächsten Jahre gemeinsam diskutiert und entschieden werde, etwa über Liquid Feedback, eine Art parteiinterne Online-Plattform, auf der gemeinsam Anträge erarbeitet werden. Da könne ja dann

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Endlich haben wir unseren Generationenkonflikt!


Hinte r g r u n d

Die 68er trugen ihren Protest auf die Straße, wo ihn ihre Eltern sehen konnten

Die meisten PolitikerTweets klingen, als würden sie vom Pressereferenten befüllt, so hölzern sind sie

jeder kommen, versuchen die Journalisten eine Provokation. „Auch Sie können uns gerne Vorschläge machen, wir freuen uns über jeden“, entgegnete einmal die politische Geschäftsführerin der Piraten, Marina Weisband. Und so reden Kinder und Eltern aufs schönste aneinander vorbei. Ziemlich treffend twitterte neulich einer der frisch gewählten Berliner Piraten, der Abgeordnete Christopher Lauer: „Journalisten Antworten zu Themen geben, von denen ich keine Ahnung habe, weil sie von den Themen, von denen ich Ahnung habe, keine Ahnung haben.“ Die Artikel, die nach solchen Gesprächen erscheinen, in denen den Piraten oft ihre Planlosigkeit vorgeworfen wird, kommentieren die Anhänger im Netz nur mit „gähn“, um dann munter weiter zu diskutieren - auch über Themen, die auch Ältere interessieren könnten. Den Frauenanteil in der Partei etwa: Muss man ihn steigern? Oder sind wir eh alle post-gender? Dass die Piraten solche Meinungsverschiedenheiten aus Prinzip öffentlich austragen, bestätigt zusätzlich das Bild der „Chaos-Truppe“. Sie streiten

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sich vor aller Welt darüber, wie man mit ehemaligen NDP-Mitgliedern umgeht und darüber, wer Fraktionsvorsitzender wird. Was bei den etablierten Parteien eine Panne ist wenn alles durcheinanderschreit, sich widerspricht, ist bei den Piraten der gewollte Normalzustand: kein Geklüngel, keine verschlossenen Türen, keine druckreifen Pressemitteilungen. Trotzdem gab es Leute, die sich wunderten, als beim ersten Antrag der Piraten im Abgeordnetenhaus jeder von ihnen abstimmte, wie er wollte. „Ach, bei uns gibt‘s gar keinen Fraktionszwang... äh... ich mein‘ Fraktionsdisziplin? Übarraschung“ (sic!) twitterte der Fraktionsvorsitzende Andreas Baum hinterher. Die etablierten Parteien führen den Erfolg der Truppe nur auf deren Internetpräsenz zurück. „Wir sind doch auch online“, rufen sie und versuchen, auf den Zug aufzuspringen - die Grünen mit einem Antrag über die Chancen des Internets, die Union in Gestalt von Peter Altmaier, der munter twittert oder Thomas Oppermann von der SPD, der via Twitter dem Chaos Computer Club für die Aufdeckung der Staatstrojaner-Affäre dankt.


Fo rum Vieles davon wirkt nicht sonderlich authentisch. Die meisten PolitikerTweets klingen, als würden sie vom Pressereferenten befüllt, so hölzern sind sie. Da wird einfach die Partei­ meinung in 140 Zeichen gepresst. Anders bei den Piraten. „Ich prangere diese Unterleibsschmerzen an“, twittert zum Beispiel Marina Weisband, „sie sind sexistisch und von keiner Stelle legitimiert.“ Entscheidender ist noch ein anderer Punkt: Obwohl sich die Piraten selbstverständlich im Netz bewegen, ist der Vorwurf, sie überhöhten das Internet, seltsam. Denn sie überhöhen es viel weniger, als es einige konservative Politiker tun. Es sind nicht die Piraten, die sich vor dem Netz fürchten, als sei es eine wütende Bestie, die alles auffrisst, was sich hinein begibt. Nicht die Piraten machen das Netz verantwortlich für Terror, Mobbing und Kriminalität. Die Piraten wissen, dass meist nicht das Medium für die „Message“ verantwortlich ist, sondern die, die es benutzen. Also Menschen. Die verlockendste Botschaft der Piraten ist auch nicht das Internet, es sind die Möglichkeiten, die daraus erwachsen: Transparenz und Mitbestimmung. Hier liegt das wahre Potential der Partei. Mehr Mitmachen wünschen sich nicht nur Computer-Nerds, sondern auch wohlsituierte Bürgersfrauen, Rentner und Familienväter. Das hat die bunte Mischung auf den OccupyProtesten gezeigt. Nun teilen ausgerechnet die Alt-68er den Piratenanhängern gönnerhaft mit, dass das mit der Basisdemokratie nicht so einfach sei, weil das schließlich schon die Grünen vor 25 Jahren vergeblich versucht hätten. Dass Basisdemokratie schwierig ist, wissen die Piraten selber, sie sind nach der

Bundestagswahl 2009 fast an internen Streitereien zerbrochen. Und es wird bei ihnen wohl auch in Zukunft viel Zoff geben. Vielleicht werden sie als Partei sogar scheitern. Aber ein Grund, es gleich ganz bleiben zu lassen, ist das nicht. Die Idee der OnlineMitbestimmung ist in der Welt.

Hannah Beitzer schreibt als Journalistin für die Süddeutsche Zeitung

Die 68er trugen ihren Protest auf die Straße, wo ihn ihre Eltern sehen konnten. Heute sind die Jungen im Netz - wo die Alten sich nicht auskennen. Die Piraten holen jetzt das Netz rein in den Politikbetrieb. Al-

les, was daraus folgt, ist immer noch ein Generationenkonflikt, aber einer nach gewohntem Muster: Die Alten meckern, wissen alles besser, prophezeien ein Scheitern. Die Jungen experimentieren, scheitern wirklich, machen trotzdem weiter und verändern am Schluss vielleicht nur ein bisschen was, nicht alles. Aber auf dieses bisschen kommt es an.

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Heute sind die Jungen im Netz - wo die Alten sich nicht auskennen


F or u m

Reinhold Ostermann

Generative Jugendarbeit

Mit der Aufgabe dieses Anspruches verliert Jugendarbeit ihre Legitimation für Jugendliche

Der demografische Wandel hat ein neues Thema auf die Agenda gesetzt: Intergenerative Arbeit. Zu beobachten ist z.Z.: Mehrgenerationenhäuser werden gegründet bzw. bestehende Familienarbeit bekommt einen neuen Titel, damit die notwendigen Fördergelder für die praktische Arbeit noch beantragt werden können. Da wird gute Arbeit geleistet. Nun erreicht dieses Thema die Jugendarbeit – mit welchen Absichten? Die Alten werden mehr und die Jugendlichen sollen an den entstehenden Aufgaben beteiligt werden. Das ist ein altbekanntes Schema der letzten Jahrzehnte. In der Gesellschaft tritt ein Problem auf und Schule bzw. Jugendarbeit sollen das Problem lösen: Zu viele Drogentote: Drogenprävention in der Jugendarbeit; zu hoher Alkoholkonsum: Alkoholprävention in Jugendprojekten; Gewalt auf der Straße und in der Öffentlichkeit: Gewaltprävention und Konfliktlösungsseminare (Mediatorenausbildung) für Kinder und Jugendliche; Rechtsextremismus: ein Sonderprogramm wird aufgelegt; Defizite in der Wissensgesellschaft: Kompetenztrainings in der Jugendarbeit. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Die SPD fordert die finanzielle Förderung von Demokratiepädagogik für die Jugendarbeit. Geht es hier unter neuem Titel um die strukturelle und finanzielle Stabilisierung der Jugendarbeit oder um die Lösung eines Demokratieproblems (bei sinkender Wahlbeteiligung) in unserer Gesellschaft?

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Alles gut und richtig Alle diese Aufgaben sind gut und richtig, doch sie verstellen die Sicht auf den Grundauftrag von Jugendarbeit. Jugendarbeit bietet Jugendlichen (insbesondere im Alter von 13 bis 17 Jahren) einen Freiraum zur persönlichen Entwicklung. Dieses Moratorium, beziehungsweise diese zweite Chance der Persönlichkeitsentwicklung, hat eine konstituierende Kraft, wenn sie keinem gesellschaftlichen Leistungszwang ausgesetzt ist. In jeder Form von Jugendarbeit, deren Grundcharakter die Freiwilligkeit ist, werden über Beziehungen und Aktivitäten Jugendlichen in Gruppen von Gleichaltrigen Möglichkeiten von Gestaltung und Erfahrung angeboten. Jugendarbeit muss sich immer wieder der Gefahr der Verzweckung entziehen, ohne ihre jeweiligen Zugänge und Themen zu vernachlässigen. Hier lebt heute noch ein notwendiger anthropologischer und sozialer Vorgang: „Sich-Absetzen“ von der nachwachsenden Generation, von den Zweckverfügungen der vorhandenen Erwachsenengesellschaft mit ihren Prägungen, um dann selber als gewachsene Persönlichkeiten in sozialen Beziehungen in die Erwachsenenwelt eintreten zu können. Mit der Aufgabe dieses Anspruches verliert Jugendarbeit ihre Legitimation für Jugendliche, eine Aufgabe, die im Fluss der Generationen steht. Eine Zweckbestimmung der Jugendarbeit


H int erg rund

für eine Programmatik, die durch die größer werdende Seniorengruppe bestimmt ist, ist deshalb entschieden abzulehnen. Jugendarbeit lebt von dem Verständnis, Subjektivität der Jugendlichen ernst zu nehmen und sie Selbstwirksamkeitserfahrungen machen zu lassen. Dann entwickeln sich die oben beschriebenen Anforderungen aus der Politik von ganz alleine. Menschen mit Kompetenzen und einer starken Persönlichkeit sind in der Lage, den Widrigkeiten des Lebens zu trotzen.

beschrieben (VIII. Sozialgesetzbuch). Diese Altersspanne umfasst nach Erikson drei Stadien mit entsprechenden Hinweisen: - ca. 6 bis 11/12 Jahre: Schulalter: Werksinn vs. Minderwertigkeitsgefühl - ca. 11/12 bis 15/16 Jahre: Adoleszenz: Identität & Ablehnung vs. Identitätsdiffusion - frühes Erwachsenenalter: Intimität und Solidarität vs. Isolierung. Für Hauptberufliche in der Jugendarbeit hinzu, ist zu ergänzen: - Erwachsenenalter: Generativität vs. Selbstabsorption.

Jugendarbeit selber ist schon ein generatives Geschehen

Die jeweiligen Beschreibungen der Stadien sind nicht das Wesentliche, sondern die Folge der Stadien. Personen aus dem jeweiligen nächsten Stadium übernehmen innerhalb der Jugendarbeit zuerst als Ehrenamtliche und dann als Hauptberufliche Verantwortung für die jeweils Jüngeren im Stadium vorher: - 14 bis 16-Jährige übernehmen Verantwortung für Kinder im Schul-

Der Psychoanalytiker und Entwicklungspsychologe Erik H. Erikson hat ein allgemein anerkanntes Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung des Menschen entwickelt, indem er acht Stadien unterscheidet. Im Jugendhilferecht wird Jugendarbeit für die Zielgruppe von 6 bis 27 Jahren

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Jugendarbeit lebt von dem Verständnis, Subjektivität der Jugendlichen ernst zu nehmen


Hinte r g r u n d und Hauptberuflichen nicht hilfreich. Vielmehr bezeichnen die Teilnehmenden die jeweils älteren Verantwortlichen als die Älteren.

Wenn Jugendliche über die Älteren sprechen, meinen sie nicht Freundschaft

alter in Gruppen, Aktivitäten und Freizeiten. - Junge Erwachsene sind Gruppenleiter und Verantwortliche für die 12bis 13-Jährigen. - Erwachsene Ehrenamtliche und Hauptberufliche übernehmen die Begleitung von Gruppen und Freizeiten, Veranstaltungen und Aktivitäten, sowie die strukturelle und inhaltliche Sicherung des Arbeitsfeldes Jugendarbeit. Jugendarbeit lebt von der Generationenfolge der jeweils Älteren, die Verantwortung für Gestaltung und Ermöglichung für die jeweils Jüngeren übernehmen. Genau dies beschreibt die aej-Studie „Jugendliche als Akteur im Verband“ unter II Befunde: 17. Exkurs: Wie sehen Jugendliche die Älteren im Jugendverband? Denn der Begriff „Erwachsene“ ist für die Ehrenamtlichen

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Jugendliche unterscheiden zwischen den „Peers“ - den Gleichaltrigen, in denen sie sich in Cliquen und Gruppen bewegen - und den Älteren. In den Freundschaftsbeziehungen der Peers unterstützen sich Jugendliche in der Persönlichkeitsentwicklung. Anders formuliert: Die Jugendlichen helfen sich gegenseitig bei der „Inneneinrichtung der Seele“. Die Älteren in der Jugendarbeit werden von den Jugendlichen in ihrer Individualität als Person und in ihrer Funktion als Hauptberuflicher oder Ehrenamtlicher, als Trainerin oder Anleiter, Jugendpfarrer oder Jugendreferentin, bzw. Verantwortlicher oder Verantwortlicher wahrgenommen. Diese Wahrnehmung ist sensibel, differenziert und reflektiert. Sie spielt eine Rolle ob und wie Jugendliche sich in die Jugendarbeit einbringen. Jugendliche machen sich ihre Gedanken über die Älteren: Was können sie? Was eher nicht? Wie geht er/sie mit sich um? Was ist ihnen wichtig? Ist das spannend und interessant? Hat er/sie ein Interesse an uns? Und worin besteht dies? Wenn Jugendliche über die Älteren sprechen, meinen sie nicht Freundschaft. Eher beschreiben sie, dass es etwas gibt auf gleicher Augenhöhe. Dabei erwarten sie, dass die Älteren Orientierung geben im Bereich von Sozialverhalten, von Werten und Glauben. Jugendliche brauchen den Eindruck eines echten Interesses an ihrer Person und an dem, was sie tun, denn Akzeptanz erzeugt Akzeptanz und persönliche Sympathie. Bei der Qualität der Kontakte zu den Älteren spielen folgende Fragen eine Rolle: - Kann ich der Person vertrauen?


Fo rum - Kann man mit ihr reden? - Ist sie da, wenn man sie braucht? - Akzeptiert er oder sie Jugendliche wie sie sind? - Hat er oder sie Humor?

Ältere unter Jugendlichen Jugendarbeit gelingt nur dann, wenn die Beteiligten sich in ein Beziehungsgeschehen einlassen. Im Normalfall reagieren Jugendliche in der Pubertät auf die Impulse der Älteren ohne Protesthaltung oder Abgrenzung - im Gegensatz zu den Eltern bzw. den Erziehungsberechtigten. Ist der Ältere aber im selben Alter wie die eigenen Eltern, kann es in Aktivitäten, Gruppen und Freizeiten bei erzieherischen Impulsen zu Übertragungsphänomenen kommen (dem Hauptberuflichen wird die Rolle der Eltern zugewiesen), die die handelnden Personen aufnehmen und mit ihnen professionell und pädagogisch umgehen müssen. Für die Älteren könnte man beschreiben: - Zwanzig- bis dreißigjährige Profis müssen sich dem Phänomen der eigenen Entschiedenheit stellen, ihre Ideen nicht vor die Ideen der Jugendlichen zu stellen. - Fünfundzwanzig- bis fünfundvierzigjährige Profis müssen insbesondere mit Übertragungsphänomenen (siehe oben) umgehen können. Vierzig- bis fünfzigjährige Profis - werden insbesondere als der andere Erwachsene (eben nicht Eltern oder Lehrer, bzw. Vorgesetzter) wahrgenommen, dessen privater, persönlicher, familiärer, auch politischer Alltag als Lebensmodell interessant ist. Dies sichtbar werden zu lassen, ohne sie direkt daran teilhaben zu lassen, ist eine Herausforderung. Manchmal gibt es die Aufgabe ein „väterlicher Freund“ oder eine

„mütterliche Freundin“ zu sein. Fünfundvierzig- bis fünfundsech- zigjährige Profis werden insbesondere an ihrem Interesse für die Jugendlichen und ihre Lebenswelten gemessen. Dabei spielt eine besondere Rolle, ob die Impulse in der inhaltlichen Arbeit als aktuell und nicht „erneut aufgekocht“ erlebt werden. Grundsätzlich gilt für alle Älteren im pädagogischen Alltag: Können sie mit den medialen und anderen Kommunikationsformen, den ästhetischen Ausdrucksweisen und den Sozialformen der jungen Menschen akzeptierend und konstruktiv umgehen? Wenn nicht, wird dies genau registriert und kann zur Aufgabe des freiwilligen Mitwirkens in der Jugendarbeit führen. Nur wer seine Angebote systematisch in Inhalten, Themen und Methoden weiterentwickelt bzw. anpasst kann im Beziehungsgeschehen mit den Jugendlichen überleben. Die Regel heißt: Vermeidung der einfachen Wiederholung der Angebote. Konstruktive generative Beziehungen in der Jugendarbeit ermöglichen Jugendlichen eigene Entwicklungschancen.

Reinhold Ostermann ist Referent für Konzeptionsentwicklung im Amt für evangelische Jugendarbeit in Bayern

Literatur: Mike Corsa, Michael Freitag: „Jugendliche als Akteure im Verband“ – Hinweise und Einschätzungen aus Sicht der Evangelischen Jugend zu den Ergebnissen der Studie, aej – Materialien, Hannover, 2006 Katrin Fauser, Arthur Fischer, Richard Münchmeier: Jugendliche als Akteure im Verband – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung der Evangelischen Jugend, Jugend im Verband 1, Verlag Barbara Budrich, Opladen, 2006 Horst Petri: Der Wert der Freundschaft – Schutz, Freiheit und Verletzlichkeit einer Beziehung, Kreuz-Verlag, Stuttgart, 2005 Ulrich Schmidt-Denter: Soziale Beziehungen im Lebenslauf – Lehrbuch der sozialen Entwicklung, Beltz-Verlag, Weilheim, 2005 http://de.wikipedia.org/wiki/Stufenmodell_der_psychosozialen_Entwicklung (05.01.2012)

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Hinte r g r u n d

Nichts bleibt, wie es war In jeder Epoche haben die Menschen an andere Wahrheiten geglaubt In den fünfziger Jahren, in denen ich geboren wurde, dachte fast jeder, dass Deutschland die im Krieg verlorenen Ostgebiete auf keinen Fall aufgeben dürfe, dass Frauen nur in Ausnahmefällen arbeiten gehen sollten, dass Homosexualität eine Perversion sei, über die man am besten nicht spricht, dass es tausend wichtigere Dinge gäbe als Umweltschutz. Heute denkt fast jeder in diesen Fragen ungefähr das Gegenteil. Auch ich denke das Gegenteil. Ich denke ziemlich genau das Gegenteil von dem, was meine Großeltern gedacht haben, die allerdings, in ihrer Zeit, völlig normal waren, mit anderen Worten: Mainstream. In jeder Epoche haben die Menschen an andere Wahrheiten geglaubt, und zwar an die gleichen wie ihre Nachbarn. Die Furcht vor Hexen oder die Verehrung für den Kaiser, die in den Köpfen meiner Urgroßeltern wohnten, sind meinen Großeltern genauso falsch vorgekommen, wie mir heute der Gedanke falsch vorkommt, dass man die Ostgebiete nicht aufgeben darf. Und weil die Geschichte immer weitergeht, werden meine heutigen Meinungen den Nachgeborenen wohl auch seltsam vorkommen. Ich weiß, dass ich in den Augen der Zukünftigen eine lächerliche Figur bin. Diese Erkenntnis macht mich demütig. Leute, die eine Meinung mit großer Selbstgewissheit vertreten, ohne die Spur eines Zweifels, so, als ob es kein Morgen gäbe, kommen mir dumm vor. Die einzige Haltung, die garantiert jeder Revision standhält, ist vermutlich der Zweifel. Die Außenseiter, die Verweigerer des Mainstreams, haben nämlich oft recht behalten. Galileo Galilei wurde eingesperrt, weil er die Ansicht vertrat, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Die ersten Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht waren in den Augen der Mehrheit Spinnerinnen. 1980 waren die Grünen eine Randgruppe. Auszug aus: Der Sog der Masse. Essay von Harald Martenstein. Dossier Die Zeit Nt. 46 von 2011

Praxistip Kommunikation, Mobilität, Ernährung, Sexualität, Energie, Religion, Geld, Familie, Arbeit ...... In Gruppen könnten die Einstellungen der Großeltern mit den eigenen verglichen werden. Was wird die nächste oder übernächste Generation denken?

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Fo rum

Robert Zeidler

Eigene Räume für Jugendliche Ein Märchen? Es war einmal ein Zelt in „JAM City“, der Jugendstadt am Maschsee. Junge Menschen konnten dort während der Weltausstellung Expo 2000 übernachten. Das Zelt war die Kapelle dieser Zeltstadt. Eine Gruppe von jungen Menschen aus dem Kirchenkreis Blankenese hatte sich vorgenommen, diese Kapelle eine Woche lang mit Leben zu füllen. Die ganze Woche über stand das Thema „Zeit – mit allen Sinnen“ im Mittelpunkt der Angebote, die von Stundengebeten bis zu Abendgottesdiensten reichten. Das Team hatte viel Spaß in dieser Woche – und schon nach wenigen Tagen lebten sie die ganze Zeit in dieser Kapelle. Schließlich schliefen sie auch dort anstatt in den bereitgestellten Containern. Auf der Rückfahrt nach Hamburg sagte dann einer der jungen Menschen: „Das war eine gute Zeit. Es war unsere Kapelle. Wir konnten dort machen, was wir wollten, ohne dass uns da jemand reinredete. Weißt du was? Wir wollen eine eigene Kirche haben. Ohne Kirchenvorstand, ohne Küster. Ich finde, es sollte eine Jugendkirche geben. Von uns und für uns!“

Kein Märchen! Es hat etwas gedauert. Genau genommen fast acht Jahre. So lange haben die Jugendlichen das Thema

„Jugendkirche“ immer wieder eingebracht, haben Konzepte geschrieben und weiterentwickelt. Sie haben den Traum einer Jugendkirche weitergetragen. Nach viel Überzeugung und harter Arbeit wurde die Jugendkirche im April 2008 feierlich eröffnet und arbeitet seitdem sehr erfolgreich mit dem Ansatz: Jugendliche „machen“ Kirche für Jugendliche. Das allgemeine Priestertum aller Gläubigen wird in der Jugendkirche auf besondere Weise gelebt: Die Gottesdienste werden von und mit jungen Menschen entwickelt und dann von ihnen auch gehalten - von der Begrüßung bis zum Segen. Auch Partizipation wird in der Jugendkirche ernst genommen: Das Team bestimmt, was in der Jugendkirche passiert – welche Band spielen soll, welche Ausstellung gezeigt werden soll, welche Angebote entwickelt oder weiterentwickelt werden. Gut 2000 Stunden sind die Ehrenamtlichen im Jahr in der Jugendkirche aktiv. Von der Technik über die Ausstellungsbegleitung, von Jugendgottesdiensten bis zur Hausband, vom Catering bis zur Öffentlichkeitsarbeit. Für die jungen Menschen ist die Jugendkirche ihre Kirche – und sie füllen sie sehr intensiv aber auch sehr verantwortungsbewusst mit Leben. Die Geschichte der Jugendkirche zeigt exemplarisch wichtige Aspekte der Jugendphase, die auch über dieses Projekt hinaus Bedeutung haben.

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Wir wollen eine eigene Kirche haben. Ohne Kirchenvorstand, ohne Küster


Hinte r g r u n d

Jugendkirche Hamburg

Jugendliche brauchen Räume der Selbstvergewisserung und Orte, die nicht durch Kommerz und Konsum geprägt sind

Die Jugendlichen und die Phase „Jugend“ Für die Jugendlichen steht außer Frage, dass sie in einer besonderen Lebensphase leben, die ihre eigenen Fragen, Chancen und auch Schwierigkeiten in sich birgt. Das KJHG definiert die Altersspanne von 14-27 Jahren(1). Obwohl dies sehr weit gefasst ist und in sich schon wieder unterschiedliche Lebenswelten und -abschnitte umfasst, nimmt diese Definition aber gleichzeitig ernst, dass sich die Jugendphase in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausgedehnt hat und bei vielen Jugendlichen bis in das dritte Lebensjahrzehnt reicht. Aus diesem Selbstbewusstsein leiten sie auch das Recht ab, eigene Lebensräume besetzen zu können – oder sie sich zu schaffen und ggf. auch zu erkämpfen. Diese Räume sind notwendiger denn je für Jugendliche: Die Auseinandersetzung mit den drei in dieser Lebensphase typischen Themen Person, Körper und Psyche fordern viel Kraft. In unserer Gesellschaft, die immer weniger klare Normen, Ansprüche und

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Werte vertritt finden Jugendliche auf der einen Seite weniger Reibungspunkte (die Erwachsenen wollen ja auch gerne jugendlich sein) und auf der anderen Seite auch weniger Orientierung zur Ausprägung ihrer Identität, weil das gesellschaftliche Wertesystem bestenfalls als diffus zu bezeichnen ist. Deswegen brauchen sie Räume der Selbstvergewisserung und Orte, die nicht durch Kommerz und Konsum geprägt sind. Solche Räume finden sie u.a. in den Kirchengemeinden, in denen noch Hauptamtliche in den Gemeinden für diesen Arbeitsbereich angestellt sind.(2)

Spirituell obdachlos? Im gottesdienstlichen Leben der Gemeinde sind die Jugendlichen in der Regel nicht präsent – wenn es nicht gerade einen Jugendgottesdienst gibt. Auch wenn sie sich in ihrer Gemeinde zu Hause fühlen, die Sprache, die Musik und die Formen der liturgischen Inszenierung des „normalen“ Gottesdienstes ist ihnen allzu oft schlicht fremd. Und auch die Gottesdienstbesuche in der KonfirmandInnenzeit reichen in der Regel nicht aus, um


Fo rum sich in dem Gemeindegottesdienst zu Hause zu fühlen. Dennoch formulieren die Jugendlichen immer wieder die Sehnsucht nach Spiritualität. Sie sind auf der Suche nach Orten und Formen, in denen sie sich mit ihren Fragen, Sehnsüchten und Phantasien wohl fühlen. Manchmal ist dieser Ort der Jugendkeller, manchmal ist es Taizé oder die Andacht auf der Sommerreise.

Experimentierfeld Jugendkirche Dieser Sehnsucht gibt die Jugendkirche Raum: Hier können die Jugendlichen nach ihren Formen suchen, hier können sie ihre Musik - immerhin das Leitmedium der Jugendlichen – einbringen und hier können sie Inszenierungen entwickeln, die die gute Nachricht hörbar, fühlbar und erlebbar werden lassen. Das Wichtigste aber ist: die Jugendlichen machen, was immer zu tun ist. Sie können das, was ihnen am Glauben wichtig ist authentisch kommunizieren – und auch Fragen und Unsicherheiten benennen. Deswegen leiten sie am Ende den Gottesdienst. Wenn möglich von der Begrüßung bis zum Segen. Sie können die Gruppen durch die Ausstellungen begleiten und sind mit einer entsprechenden Schulung in der Lage, die Jugendlichen für das Thema zu interessieren und in einen lebendigen Austausch mit ihnen zu kommen. Es wird in der Arbeit mit den Jugendlichen immer wieder deutlich, dass sie ein sehr gutes Gespür dafür haben, wie Botschaften in Szene gesetzt werden können. Und sie setzen die in der Jugendkirche vorhandenen technischen Möglichkeiten sehr bewusst und gezielt ein – auch wenn der Spieltrieb mit den Technikern manchmal durchgeht.

Es werden auch scheinbar verrückte Ideen gesponnen, überdacht und dann umgesetzt. So kam die Idee auf: „Ich hätte mal Lust, etwas zum Thema „Wasser“ in der Jugendkirche zu machen. Mit richtig Wasser. Zum Anfassen. Und einen Wasserfall. Das wäre mal was anderes!“ Die berechtigten Sorgen (Was, wenn das Becken leckt und das Wasser in die Heizungsanlage läuft?) wurden bedacht – und am Ende stand ein 5x5 Meter großes Becken in Kreuzform in der Kirche, das in die verschiedenen Veranstaltungen, vom Sommerfest über Jugendgottesdienste bis zur Kirchenkreissynode eingebunden wurde. Ein Wasserfall fiel von der Empore und wer die Kirche betreten wollte, musste auf einer Brücke über das Wasser gehen. Ungewöhnlich – aber nicht ohne Sinn. Schöpfung, Taufe, das Wasser des Lebens – all diese Themen wurden in den Wochen aufgegriffen. Mal spielerisch, mal eher meditativ. Immer aber mit klarem Bezug zur guten Nachricht und von Jugendlichen ausgedacht und durchgeführt. Jugendliche brauchen eigene Räume um sich zu vergewissern, zurückzuziehen und Räume, in denen sie die Gestaltungshoheit haben. Die Jugendkirche zeigt: Es funktioniert und bereichert viele – nicht nur die, die mitmachen.

Jugendliche sind auf der Suche nach Orten und Formen, in denen sie sich mit ihren Fragen, Sehnsüchten und Phantasien wohl fühlen

Robert Zeidler ist Pastor an der Jugendkirche Hamburg

Anmerkungen (1) Vgl.: KJHG §7: Begriffsbestimmungen: Im Sinne dieses Buches ist „1. Kind, wer noch nicht 14 Jahre alt ist, (...) 2. Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, 3. junger Volljähriger, wer 18, aber noch nicht 27 Jahre alt ist, 4. junger Mensch, wer noch nicht 27 Jahre alt ist (…).“ (2) An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Jugendlichen zur Aufrechterhaltung dieser Lebens- und Spielräume in den Strukturen der verfassten Kirche auf Hauptamtliche, sprich: Erwachsene, angewiesen sind. Deren vorrangige Aufgabe ist die Aufrechterhaltung dieser Freiräume und die Sorge für Kontinuität. Im Sinne der Partizipation sollen die Jugendlichen aber die Hauptakteure bei der Gestaltung sein.

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F or u m

Birgit Riedel

Familienzentren und Mehrgenerationenhäuser – neue Orte der Begegnung?

In Deutschland ist in den letzten Jahren eine schillernde Landschaft von Einrichtungen entstanden, die alltagsnah die Bedürfnisse von Familien und Nachbarschaften aufgreifen und mit integrierten Angeboten und Hilfen darauf reagieren. Die Einrichtungen treten unter verschiedenen Bezeichnungen wie Familienzentren, Eltern-Kind-Zentren, Mehrgenerationenhäuser, Häuser für Familien u.a.m. in Erscheinung. Sie stellen allerdings nur die Spitze des Eisbergs dar, denn in vielen Fällen gehört es heute auch für ganz „normale“ Einrichtungen – von der Kita bis zum

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Seniorenzentrum – zur guten Praxis, sich verstärkt zu ihrem Umfeld hin zu öffnen, Kooperationen einzugehen und sich untereinander enger zu vernetzen, um ein tragfähiges Netz an Hilfen und Unterstützung vor Ort zu knüpfen – ohne dass sie sich deshalb gleich mit einem neuen Etikett schmücken. Im Ergebnis finden sich z.B. Kindertageseinrichtungen, die PEKiP-Kurse („Prager Eltern Kind Programm"), ein Elterncafé einrichten, in Kooperation mit der Erziehungsberatungsstelle Sprechstunden durchführen oder als Stützpunkt für Stadtteilmütter aus der türkischen Community fungieren. Die Motive und Ziele, die hinter der Weiterentwicklung von ganz unterschiedlichen Institutionen stehen, weisen eine große Bandbreite auf. Während den nach dem Vorbild der englischen Early Excellence Centers entstandenen Familienzentren vor allem daran gelegen ist, ein positives Umfeld für das Aufwachsen von Kindern zu schaffen und Familien zu stärken, orientieren sich andere Einrichtungen am größeren Generationenzusammenhang. Ihnen geht es gerade auch darum, über die Familie hinaus Gelegenheiten für Kontakte zwischen Jung und Alt bereitzustellen, die sich heute oft nicht mehr ohne Weiteres von selbst


Fo rum ergeben. Bei allen inhaltlichen Unterschieden nimmt hier eine neue Generation von Diensten und Einrichtungen Gestalt an, die sich durch eine Reihe von Strukturbesonderheiten und damit verbunden Chancen aber auch Risiken auszeichnet. Der Beitrag versucht, dieses Feld aufzufächern, bevor es um die Frage geht, welches Potenzial die Einrichtungen haben, zu Orten eines lebendigen sozialen Austauschs zu werden.

Multizentrische Dynamik Empirische Untersuchungen fehlen bisher allerdings ebenso wie Daten zur Reichweite dieser Entwicklung, die ihre Dynamik von zwei Seiten erhält. Zum einen sind Familienzentren, Mehrgenerationenhäuser und verwandte Einrichtungen Ausdruck innovativer Praxisentwicklungen „von unten“, die häufig von einzelnen Trägern oder Einrichtungen aus dem spezifischen lokalen Bedarf heraus angestoßen werden. Zum anderen wird die Entwicklung „von oben“ über entsprechende Anreizprogramme von Bund und Ländern vorangetrieben. Diese spielen auch insofern eine Rolle, als sie wesentlich zu einer fachlichen Profilierung der Einrichtungen beitragen. Wenn hier vor allem von Familienzentren und Mehrgenerationenhäusern die Rede ist, dann deshalb, weil sich mit diesen Begriffen die beiden exponiertesten Programme verbinden. So wurde im Jahr 2006 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser ins Leben gerufen. Im Kontext dieses Programms sind bundesweit rund 500 Mehrgenerationenhäuser entstanden, die die Zielsetzung verfolgen, generationenübergreifende Begegnungen und Austausch zu fördern, Dienste und Alltagshilfen für

unterschiedliche Lebensphasen und Lebenslagen zu bündeln und insbesondere der älteren Generation neue Zugänge zu freiwilligem Engagement zu eröffnen. Auf Länderebene hat insbesondere Nordrhein-Westfalen seit 2005 nahezu jede vierte Kindertageseinrichtung zu einem Familienzentrum ausgebaut. Andere Bundesländer, wie Brandenburg, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Berlin oder Hessen, sind dem Beispiel gefolgt und fördern, wenngleich in unterschiedlichem Umfang, entsprechende Weiterentwicklungen ihrer Kitas.

Konzeptionelle Unterschiede Es stellt sich die Frage, ob sich Familienzentren und Mehrgenerationenhäuser überhaupt in einem Atemzug nennen lassen. Zwischen beiden gibt es augenfällige Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten. Betrachtet man die Unterschiede, so haben sich Familienzentren in der Regel aus Kindertageseinrichtungen heraus entwickelt, die zugleich den konzeptionellen Dreh- und Angelpunkt darstellen. An sie docken weitere Angebote an. Typisch ist die Verknüpfung mit Beratungsangeboten, mit der Familienbildung, der Kindertagespflege, mit aufsuchenden Hilfen, wie der sozialpädagogischen Familienhilfe, aber auch mit Gesundheits- und therapeutischen Diensten. Durch die Zusammenarbeit mit anderen Trägern können Familienzentren eine breite Unterstützung gewährleisten. Sie nutzen dabei die Vertrauensstellung, die sie bei den Eltern haben, um Brücken zu anderen Hilfen zu schlagen, die sonst eher hohe Zugangsschwellen aufweisen. Das Angebotsspektrum wird durch Begegnungsmöglichkeiten für Familien ergänzt, die Raum für informellen Austausch, Kontakte und Selbsthilfeaktivitäten bieten.

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Mehrgenerationenhäuser eröffnen der älteren Generation neue Zugänge zu freiwilligem Engagement


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Mit dem Verlust intakter Nachbarschaften fallen Erfahrungsund Begegnungsräume zwischen den Generationen weg

Demgegenüber verstehen sich Mehrgenerationenhäuser zuallererst als Orte der intergenerationellen Begegnung, wobei sie die gesamte Lebensspanne im Blick haben. Dies macht ihre Besonderheit und Stärke aus. Sie gehen dabei aus ganz unterschiedlichen Einrichtungen hervor. Oft sind es Familienbildungsstätten, Familien- oder Mütterzentren, Nachbarschaftszentren und Bürgertreffs bis hin zu Kirchengemeinden und Seniorenbüros, die den generationenübergreifenden Aspekt in ihrer Arbeit aufgreifen oder verstärken. Die Angebote entfalten sich fast immer um einen offenen Treffpunkt als dem „Herzstück“ jedes Mehrgenerationenhauses, oft ein Café oder Bistro, das ungezwungene Begegnungen ermöglicht. Der offene Treff fungiert als Ausgangspunkt für viele weitere Aktivitäten, die sich meist unter Beteiligung oder in Eigenregie der ehrenamtlich engagierten Besucher entwickeln. Das Angebot, das in der Regel ein breites Kurs-, Freizeit- und Kulturangebot, aber auch familienorientierte Dienste und Alltagshilfen umfasst (wie z.B. flexible Kinderbetreuung, Hausaufgabenbetreuung, Mittagstisch, Wäscheservice, kleinere Reparaturdienste u.a.m.), eignet sich besonders dafür, vielfältige Formen des Kontakts zu initiieren, und gibt den Kompetenzen, dem von- und miteinander Lernen der Generationen breiten Raum – ob in Form von Mentorenprogrammen, Geschichtswerkstätten oder Internetkursen für Senioren. Darüber hinaus gehört die Kooperation von Profis und Laien zum Konzept. Während Familienzentren vorrangig auf die Bündelung und Verknüpfung professioneller Hilfen und sozialstaatlicher Leistungsangebote setzen, steht in Mehrgenerationenhäusern die Pflege und Aktivierung sozialen Kapitals, nachbarschaftlich organisierter Selbsthilfe sowie der Mitarbeitsbereitschaft gerade auch älterer Menschen im Vordergrund.

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Inszenierung sozialer Netze und Generationenbeziehungen Richtet man den Blick auf Gemeinsamkeiten, zeichnen sich Familienzentren und Mehrgenerationenhäuser durch eine besondere Aufmerksamkeit für soziale Nahbezüge und die Potenziale informeller Beziehungs- und Hilfenetze aus, die sie als ebenso unverzichtbare wie vielfach übersehene Ressource einer gelingenden Alltagsbewältigung zu stärken versuchen. Damit reagieren sie darauf, dass familiäre Netze kleiner werden und vor Ort oft völlig fehlen. Zugleich wird auch die Ein- und Rückbindung in Nachbarschaften, in Vereine oder traditionelle Milieus schwächer, die immer weniger imstande sind, als stabilisierende Geländer der Lebensführung Hilfen und Orientierung im Alltag zu bieten. Eltern können nicht mehr ohne Weiteres davon ausgehen, dass sie automatisch Kontakt zu anderen Familien finden, dass sie auf die Lebenserfahrung Älterer zurückgreifen können oder informelle Hilfenetze zur Verfügung stehen, wenn Rat gesucht wird oder jemand, der eben mal auf die Kinder aufpasst. Ähnlich müssen Ältere erfahren, dass niemand da ist, der sie zum Arzt begleitet, im Garten hilft oder sich für ein Gespräch Zeit nimmt. Mit dem Verlust intakter Nachbarschaften fallen aber nicht nur niederschwellig abrufbare Unterstützungsressourcen weg, sondern gehen auch Erfahrungs- und Begegnungsräume zwischen den Generationen, beiläufige Gelegenheiten für Kontakte und die Weitergabe von Wissen verloren. Damit schwindet zugleich ein wichtiger Nährboden für soziales Lernen und (intergenerationelle) Solidarität. Es bedarf daher neuer Orte, die diese verloren gegangenen Funktionen übernehmen. In diesem


Fo rum Sinn geht es in Familienzentren und Mehrgenerationenhäusern auch um die Aktivierung von Hilfenetzen, die sich nicht mehr „naturwüchsig“ herstellen, um die Förderung von Sozialkapital und die Stärkung von familialen und zivilgesellschaftlichen Ressourcen.

Ein neuer Raum für Generationenbegegnungen? Welchen Beitrag aber können sie als „Vermittlungsagenturen“ für Generationenbeziehungen und Engagement realistisch leisten? Betrachtet man, wer erreicht wird, so sind dies bei Familienzentren in der Regel Familien mit kleinen Kindern. Die hohe Akzeptanz und der tägliche Kontakt zur Kita sind idealer Ausgangspunkt, um Kontakte zu anderen Eltern zu knüpfen, daraus können langfristige Freundschaften und tragfähige wechselseitige Hilfenetze entstehen. Manche Familienzentren versuchen gezielt, über niedrigschwellige und zugehende Angebote ihre Einrichtung zudem auch für Gruppen zu öffnen, die sonst kaum öffentliche Räume nutzen. Aber nicht allen gelingt es, sich für Familien aus dem Umfeld zu öffnen, die nicht zu den Nutzern der Kita zählen. Darüber hinaus fördern Familienzentren eher die Querverstrebungen zu Familien in der gleichen Lebensphase, mit der Einbeziehung von Großeltern oder Senioren als freiwillig Engagierten tun sie sich oft schwer. Im offenen Setting der Mehrgenerationenhäuser sind demgegenüber die Übergänge zwischen Gelegenheitsbesuchern, Stammkunden und Engagierten fließend. Betrachtet man die Altersverteilung der Nutzer, so verteilen sie sich stärker über die gesamte Lebensspanne. Aber auch hier stellen Erwachsene in der Familien-

phase die größte Nutzergruppe dar. Jugendliche bleiben hingegen weitgehend außen vor, ihnen haben die Einrichtungen bisher offenbar wenig zu bieten. Gerade in der Pubertät geht es Jugendlichen allerdings auch in erster Linie um Abgrenzung von der Familie, steigt die Bedeutung von Gleichaltrigengruppen und wollen sie eher eigene Räume besetzen. Betrachtet man diejenigen, die sich in den Mehrgenerationenhäusern freiwillig engagieren, so konzentriert sich die Gruppe noch einmal sehr viel stärker auf die mittlere Generation. Auch wenn die Mehrgenerationenhäuser den Älteren neue Zugänge zum Engagement eröffnen, geht die einfache Rechnung „Ältere mit viel Zeit entlasten gestresste Familien in der Rush hour des Lebens“ nicht auf. Nicht zuletzt finden mit Blick auf intergenerationelle Beziehungen auch in Mehrgenerationenhäusern alte Menschen und Jugendliche nicht automatisch den Zugang zueinander. Nicht nur für Jugendliche, auch für Ältere gibt es ein starkes und berechtigtes Bedürfnis, unter sich zu bleiben. Gelingende intergenerationelle Beziehungen, so zeigt die Erfahrung, setzen gemeinsame Interessen und subjektiv wichtige Bindungen voraus. Gute Erfahrungen werden etwa mit Mentorenprogrammen oder gemeinsamen Kulturprojekten berichtet. In diesem Punkt zeigt sich aber gerade auch das Potenzial der neuen offenen Begegnungsorte: Sie stellen eine Experimentierwerkstatt dar, in der vieles ausprobiert werden kann, Erfahrungen gesammelt werden und sich langfristig eine Kultur intergenerationeller Ansätze entwickeln kann. Von solchen Ansätzen guter Praxis wiederum muss das institutionelle Umfeld - Schulen, Vereine usw. - lernen, um für den demografischen Wandel gerüstet zu sein.

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Nicht nur für Jugendliche, auch für Ältere gibt es ein starkes und berechtigtes Bedürfnis, unter sich zu bleiben

Birgit Riedel MA Politologin und Grundsatzreferentin Abt. Kinder und Kinderbetreuung im Deutschen Jugendinstitut


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Bärbel Matos Mendoza

Vorurteile brechen in sich zusammen Verschiedene Generationen treffen sich in Taizé

Taizé, Sommer 2011. Wir nehmen teil an einer Woche der Familientreffen in Taizé. Während die Eltern vormittags einer Bibeleinführung durch einen Bruder von Taizé zuhören und sich anschließend in kleinen Gruppen über verschiedene Fragen, die der Text aufgeworfen hat, austauschen, betreuen jugendliche Freiwillige die Kinder: Jugendliche aus mehr als dreißig Nationen sind hier beisammen. Schon während sie gemeinsam

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im Freien ihr einfaches Frühstück einnehmen, beobachte ich, wie sie gemeinsam überlegen, welches Lied, welches Spiel die Kinder über alle Sprachbarrieren hinweg begeistern könnte. Die Verantwortung, die sie mit dieser Kinderbetreuung übernommen haben, nehmen sie sehr ernst. Ich freue mich, ihre Lebendigkeit und ansteckende Fröhlichkeit zu sehen, ihre Unvoreingenommenheit und ihre Frische. Die Kinder und ihre Eltern


Fo rum sind begeistert von diesen Jugendlichen und staunen über das Potential, das hier sichtbar wird. In Taizé ist es eigentlich eher die Ausnahme, dass die verschiedenen Generationen sich so direkt begegnen: Seit einigen Jahrzehnten finden hier das ganze Jahr über die Jugendtreffen statt. Und nach wie vor ist dieser Ort im französischen Burgund zutiefst geprägt von den zahlreichen Jugendlichen, die aus der ganzen Welt jedes Jahr für eine oder mehrere Wochen dorthin fahren. Eingeladen von den Brüdern von Taizé, ihr Leben in aller Schlichtheit für eine oder auch mehrere Wochen zu teilen, lassen sie sich auf das Wagnis eines sehr einfachen Lebensstils und einer für sie vielleicht ganz neuen und unbekannten Spiritualität ein. Dabei erleben sie, dass in sie ein großes Vertrauen gelegt wird. Dies beginnt schon beim organisatorischen Ablauf: Dass es überhaupt für so viele Menschen möglich ist, mit einem Minimum an Infrastruktur und ohne jegliche Angestellte zusammenzuleben, zu essen, zu beten, gelingt nur durch das Zusammenhelfen aller, unterstützt durch die Brüder. Freilich wird durch das gemeinsame Arbeiten ( z.B. Klos und Duschen putzen, oder Essen vorbereiten) oft eine recht intensive Gemeinschaft möglich, gerade weil die Jugendlichen unter sich bleiben und es so auch keine erwachsenen „Experten“ gibt, die sie belehren wollen. Ähnlich verhält es sich bei den Gesprächsgruppen. Weil es in allen Lebensphasen unterschiedliche „Lebensthemen“ gibt, ist es gut, dass Jugendliche und junge Erwachsene sich mit etwa Gleichaltrigen austauschen können. Die Brüder sehen sich nie als „Lehrmeister“ der Jugendlichen. Statt ihnen „spirituelle Weisheiten“ zu vermitteln, hören sie ihnen zu, versuchen sie zu verstehen und legen ein großes Vertrauen in sie. Nie geht es um irgendwelche „Erfolge“:

Was die Jugendlichen mit den Impulsen anfangen, die sie aus Taizé nach Hause mitbringen, was das in ihrer Biographie vielleicht verändert, bleibt ganz ihnen selbst überlassen. Jugendliche sind in Taizé immer willkommen und können immer auch spontan und kurzfristig anreisen. Für die Erwachsenen über 30 Jahre ist es nicht ganz so einfach: Man sollte sich rechtzeitig anmelden, kann nur einmal im Jahr kommen und sollte die vollen Sommerferienwochen möglichst meiden. Familien mit Kindern können aus Platzgründen nur höchstens alle zwei Jahre kommen. Auch wenn das von einigen bedauert wird, die vielleicht selbst als Jugendliche schon in Taizé waren und hier Kostbares für ihr Leben entdeckt haben. Nur so ist es möglich, immer noch Freiräume für die „heutigen“ Jugendlichen zu schaffen, die ja in einer Phase sind, in der sie meistens entscheidende Weichen für ihr Leben stellen. Die sonst in der Gesellschaft vorherrschende Unterordnung der Interessen der jungen Generation unter die der älteren wird hier auf den Kopf gestellt und es entsteht erstaunlicherweise vielleicht gerade dadurch letztendlich ein tiefer gegenseitiger Respekt voreinander. So habe ich Erwachsene „im besten Alter“ und auch Ältere in Taizé erlebt, die voller Freude waren nach einem der gemeinsamen Gebete, an dem ja alle, die gerade in Taizé zu Gast sind, drei Mal am Tag teilnehmen. Sie hätten die Kirche noch nie so lebendig, so vielfältig erlebt wie hier, äußerten sie. Ich erinnere mich an eine ältere Frau, die meinte sie hätte jetzt wieder so viel Hoffnung für die Zukunft der Kirche und für die Zukunft überhaupt, wenn sie all die jungen Leute aus der ganzen Welt sähe, „ganz normale Jungen und Mädchen, und doch so ernsthaft, wenn sie miteinander im Singen und Beten und in der gemeinsamen Stille verbunden sind.“

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Die Brüder sehen sich nie als „Lehrmeister“ der Jugendlichen

Es entsteht ein tiefer gegenseitiger Respekt voreinander


F or u m Achtung und Respekt

Ich fand es umwerfend, was uns Siebzehnjährigen dort ernsthaft zugetraut wurde

Frère Roger betonte immer wieder wie wichtig es wäre, dass die Alten den Jungen zuhörten

Ich selbst kenne Taizé aus beiden (Alters-)Perspektiven und möchte keine davon missen. Das erste Mal war ich mit 15 Jahren dort, zusammen mit meiner Mutter, die – neugierig geworden durch die Schriften von Frère Roger und durch ein kleines TaizéTreffen in München – selbst wissen wollte, was es mit diesem besonderen Ort auf sich hätte. Schon damals (in den siebziger Jahren) wohnten Jugendliche und Erwachsene in eigenen Bereichen in Taizé. Diese Trennung war für uns sehr ungewohnt und wir reisten bald wieder ab. Einen tiefen Eindruck hatte bei mir aber das Gebet mit den Brüdern und den vielen jungen Leuten hinterlassen, die teilweise nur wenige Jahre älter waren als ich, merkte ich doch, dass Glauben kein Privileg für einige wenige war. Zwei Jahre später konnte ich etliche Klassenkameraden zu einer Fahrt nach Taizé in den Pfingstferien motivieren. Als erwachsene Begleiter fuhren meine Mutter und sogar meine Großmutter mit. Ich fand es umwerfend, was uns Siebzehnjährigen dort ernsthaft zugetraut wurde. Ein Vertrauen in den Glauben, in Christus wurde lebendig und wir konnten es „zu unserer eigenen Sache“ machen. (Wir trafen uns dann tatsächlich, zusammen mit anderen, die nicht in Taizé mit dabei gewesen waren, noch bis zum Abitur jeden Morgen in der Kapelle unserer Schule zu einer kleinen Morgenandacht.) Dass die Erwachsenen ihr eigenes Treffen hatten war gut und wir konnten uns dadurch viel freier und unbeobachteter fühlen. Gleichzeitig entdeckten wir aber auch gerade durch diese gewisse Distanz neue, positive Seiten an den Erwachsenen und ich persönlich freute mich, dass ich meine eigenen Erfahrungen mit anderen in der Familie teilen konnte. Für meine Großmutter war die per-

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sönliche Begegnung mit Frère Roger ein sehr wichtiges Ereignis. Gerade Frère Roger betonte immer wieder, wie wichtig die alten Menschen in der Gesellschaft seien und wie wichtig es wäre, dass die Alten den Jungen zuhörten und für sie da wären. Heute, nun selbst seit langem bei den „Erwachsenen“, beobachte ich immer wieder in Taizé, wie Menschen im Laufe einer Woche dort ihre Voreingenommenheit gegenüber anderen ablegen können. Das betrifft nicht nur die unterschiedlichen Kulturen, Hautfarben oder ihre soziale Schicht, sondern eben auch das unterschiedliche Alter. Ich erlebe dort einen liebevollen, von Achtung und Respekt geprägten Umgang der Generationen miteinander. Ich traf Jugendliche, die plötzlich den alten Seelsorger in ihrer Heimatgemeinde in einem ganz anderen Licht sahen, die plötzlich mithelfen wollten in dieser Gemeinde, damit sie wieder zu einem lebendigen Ort würde, an dem sich viele willkommen fühlen. Und ich traf immer wieder Erwachsene, die ihr festgelegtes Bild von der „heutigen Jugend“ von Grund auf revidierten und vieles von dem, was sie in ihrer Jugend an Lebensträumen und Wünschen gehabt hatten, in den heutigen Jugendlichen wiederfanden, ja, die merkten, wie wichtig es wäre, den Jugendlichen Mut zu machen, ihre Lebens-Pläne umzusetzen. Unsere eigenen „großen“ Kinder (18 und 20 Jahre) fahren sehr gerne nach Taizé und zu den großen Jugendtreffen zum Jahreswechsel. Auch sie haben das, was sie in Taizé als fundamental und wichtig entdeckt haben – beide auf ihre jeweils eigene Weise „zu ihrer Sache gemacht“. Die jüngste Tochter (10 Jahre) erzählt immer noch ganz begeistert vom Familientreffen im Sommer. Es hat den Anschein, dass durch die Anwesenheit der Älteren (und Jüngeren) nicht automatisch


Fo rum das Empfinden der Jugendlichen, dass Taizé „ihr“ Ort ist, zerstört wird. Wie wichtig es für die junge Generation ist, ernst genommen zu werden, Freiräume zu finden, gerade in einer Zeit, in der scheinbar immer mehr Druck auf sie ausgeübt wird und in der es immer schwerer scheint, den eigenen Platz im Leben und in der Gesellschaft zu finden, habe ich in Taizé sehr stark wahrgenommen. Ebenso, wie essentiell notwendig es ist, den jungen Menschen Vertrauen entgegenzubringen und ihnen wirkliche Verantwortung zu übergeben. Aber auch für die Älteren ist es manchmal, bedingt durch die Vorstellung in unserer Gesellschaft, dass nur das zählt, was Jugend und Dynamik vermittelt, sehr schwer das Älterwerden zu akzeptieren. Meine Mutter (jetzt 72 Jahre) meinte einmal dazu: „Taizé hat meine Einstellung zu einem gleichwertigen Miteinander aller Generationen sehr geprägt. Ich weiß nicht genau wieso, aber seit ich Taizé kenne, habe ich auch erkannt, dass ältere und alte Menschen ein wertvoller Schatz sein können. Inzwischen gehöre ich ja selber dazu und diese Wertschätzung hilft auch mir heute, mich nicht weniger wertvoll als in jüngeren Jahren zu sehen.“

Europäische Jugendtreffen Eine Besonderheit im Austausch zwischen Menschen aller Generationen stellen die Europäischen Jugendtreffen dar, die seit mehr als 30 Jahren stattfinden. Auf Einladung der Kirchen bereiten Brüder aus Taizé zusammen mit jungen Freiwilligen in einer europäischen Großstadt diese Treffen vor. Zum Jahreswechsel konnten so Tausende von Jugendlichen aus ganz Europa in Berlin zusammenkommen. Aufgenommen wurden sie von Menschen verschiedensten Alters in den

unterschiedlichsten Lebenssituationen. Dabei kommt es oft zu sehr eindrücklichen Begegnungen. Ich selbst erinnere mich gut an das Treffen kurz nach dem Mauerfall 1989 in Breslau, wo ich zusammen mit einem anderen deutschen Mädchen bei einem sehr alten polnischen Ehepaar wohnen durfte. Die umwerfende Gastfreundschaft und Warmherzigkeit dieser beiden alten Menschen, die uns vorbehaltlos aufgenommen hatten und uns schier überschütteten mit Liebe und Fürsorglichkeit, obwohl sie selbst fast nichts hatten und extra für das Treffen ihre Lebensmittelkarten aufgespart hatten, werde ich niemals vergessen. Mittlerweile fahren unsere Kinder begeistert zu den Europäischen Treffen. Ana Maria (20) meint dazu: „Warum ich so gerne mitfahre? Man lernt eine neue Stadt kennen, aber nicht aus einem touristischen Blickwinkel heraus, sondern aus der Sicht der Menschen, die dort leben. Angefangen bei der Gastfamilie, die so großzügig ist, in aller Herzlichkeit „wildfremde“ Jugendliche bei sich zuhause aufzunehmen, über die Kirchengemeinde, mit der man die Morgengebete und besonders auch den Jahreswechsel feiert, bis hin zu Polizisten, Straßenkehrern oder Passanten, die einen sofort unterstützen, wenn man gerade wieder einmal den Weg nicht findet. Man lernt die Menschen, die Wurzeln einer jeden Stadt kennen und findet, allen vorhandenen Sprachbarrieren zum Trotz, sofort zahllose Gemeinsamkeiten, wo doch zunächst nur Unterschiede zu sein schienen. Viele Vorurteile brechen in sich zusammen. Und gerade bei so einem Treffen gilt doch: Was wären die Jugendlichen ohne die Älteren? Und welche Bereicherung können diese Jugendlichen, die oft auf der Suche, aber voller Lebensfreude sind, für die Älteren sein.“

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Taizé hat meine Einstellung zu einem gleichwertigen Miteinander aller Generationen sehr geprägt

Bärbel Matos Mendoza lebt in München und veranstaltet in verschiedenen Gemeinden Taizé Gottesdienste. S. www.brot-undfisch.de


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Simon Schnetzer

Was eine Stadt zusammenhält Alt & Jung im Dialog über ihre Lebenswelten Dieser Artikel beschreibt die Notwendigkeit für mehr sozialen Zusammenhalt und stellt das Konzept eines Generationenforums über soziales Miteinander und die Altersbilder jüngerer und älterer Menschen im Wandel vor. Das Generationenforum ist eine Weiterentwicklung des 2010 initiierten Projekts „junge Deutsche“.

Unter der Oberfläche zeichnen sich Risse ab

Ich träume davon, dass Menschen fröhlich sind und das Miteinander zelebrieren. Tatsächlich aber leben wir uns immer weiter auseinander. Ein jeder zieht sich in die eigene kleine Lebenswelt zurück. Engagierte und integrativ arbeitende Menschen durchbrechen diese Entwicklung und lassen in ihrem Umfeld Miteinander entstehen. Dieses Miteinander ist bereichernd, Glück stiftend und es ist der Kitt und das Fundament des sozialen Friedens in unserer Gesellschaft. Das friedliche Miteinander ist keineswegs der natürliche Zustand einer Gesellschaft, sondern ein kostbares Gut, das es zu pflegen gilt. Das gelebte Miteinander zwischen Generationen, Schichten und BürgerInnen verschiedener Herkunftsländer darf meines Erachtens kein Traum bleiben, sondern muss der Normalzustand werden. Jeder kann einen Beitrag leisten, wie eine freundliche Geste beim Einkaufen, sich Zeit nehmen für ein Gespräch mit den Nachbarn oder Engagement für eine gute Sache.

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Die Zukunft wird das Jetzt der Jungen Wir schreiben das Jahr 2012. Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist eine anhaltende Erfolgsgeschichte. Krisen kamen und gingen, doch die Wirtschaft und der Wohlstand wuchsen stetig. In einer Momentaufnahme der heutigen Lage lässt sich ein wunderbares Bild von Deutschland malen, zumindest oberflächlich. Unter der Oberfläche zeichnen sich Risse ab. Risse die sich durch die Gesellschaft ziehen und das friedliche Miteinander gefährden: eine größer werdende Kluft der Einkommensverteilung zwischen Arm und Reich, die (in Griechenland anschaulich dargestellten) Gefahren öffentlicher Verschuldung, ein nicht tragfähiges Zwei-Klassen Renten- und Gesundheitssystem, verbreitete Unsicherheit junger Menschen aufgrund prekärer Beschäftigungsverhältnisse und die Alterung der Gesellschaft. Die Erfolgsgeschichte Deutschlands


Fo rum lässt sich fortschreiben, wenn diese Entwicklungen generationenübergreifend, nachhaltig gelöst werden. Das Generationenforum dient als Konzept um Lösungsprozesse für die Probleme gesellschaftlicher Nachhaltigkeit auf lokaler und nationaler Ebene zu entwickeln. Es ist eine Weiterentwicklung von „junge Deutsche“, einem Projekt um die Rahmenbedingungen des Erwachsenwerdens für junge Menschen zu analysieren und zu verbessern. Die Studie „junge Deutsche 2011“ soll die Lebenssituation 18-34-Jähriger in Deutschland bzgl. Beruf, Familie, politische Beteiligung etc. sichtbar machen und die Anpassungen, politisch und institutionell, an heutige Realitäten vorantreiben. Unter www.jungedeutsche.de steht die Studie in Form von Essays, Statistiken und Geschichten zum Lesen und Bestellen bereit. Das Fazit der Studie sind fünf politische Forderungen:

• Schluss mit prekärer Beschäftigung! • Die Staatsverschuldung muss nicht gebremst sondern abgebaut werden! • Wachstum, Wettbewerb und Beschleunigung haben Grenzen! • Familie und Beruf müssen vereinbar sein! • Deutschland braucht einen neuen Generationenvertrag! In den meisten Punkten decken sich

diese Forderungen mit den Interessen der Gesamtbevölkerung im Sinne einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung, auch wenn Themen wie Bildung, Berufseinstieg oder Familiengründung insbesondere die Jüngeren betreffen.

Jung gegen Alt ist keine Lösung „Hör auf, das fragt man doch nicht!“ – bekommen wir schon als kleine Kinder eingebleut, wenn sie jemanden fragen warum er (oder sie) arm, krank, schlecht gelaunt oder ohne Arbeit ist. Es verwundert daher nicht, dass jüngere und ältere Menschen erstaunlich wenig über die Lebenswelten der anderen wissen. Ihr weniges Wissen beziehen sie eher über Reportagen als aus direktem Kontakt mit anderen Lebenswelten. Dabei ist es genau dieses Erfahrungswissen, das aus einer mit Konflikt beladenen Konfrontation einen von Verständnis und Mitgefühl geprägten konstruktiven Dialog erwachsen lässt. Alt und Jung sitzen im selben Boot. Alle wollen ein gutes Leben leben, gesund sein, sich etwas leisten können und respektiert werden. Die

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Jüngere und ältere Menschen wissen erstaunlich wenig über die Lebenswelten der Anderen


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Toleranz, Verständnis und mehr Miteinander werden wir nur erreichen, wenn wir das Monologisieren durchbrechen

Älteren hängen mit ihrer gesundheitlichen Versorgung und ihren Rentenbezügen von einem System ab, dessen Fortbestand die Jüngeren gewährleisten sollen. Das können die Jungen nur leisten, wenn dieses System den demografischen Veränderungen und den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst wird: die Belastung auf alle Schultern verteilen, die Leistungsansprüche auf ein vernünftiges Maß beschränken und überfällige Reformen vorantreiben. Anders als die mächtige Lobby älterer Menschen ist die politische Lobby junger Menschen diffus und wenig einflussreich. Nachhaltigkeit lässt sich nur erreichen, wenn Jung und Alt ihre gemeinsamen Ziele verstehen und verfolgen.

Generationenmonologe In meiner lokalen Zeitung gibt es die Kinderseite „Capito“. Ältere Menschen erzählen hier von ihren Lebenserfahrungen – aber wo ist die Seite, auf der jüngere Menschen ihre Lebenswelt den Älteren erklären? Es ist eines von zahllosen Beispielen, in denen der Dialog zwischen Generationen nur als Einbahnstraße verstanden wird – Ältere erzählen und Jüngere sollen zuhören. Das Interesse an dem Wissen der Jüngeren besteht oft nur im Umgang mit technologischen Anwendungen. Toleranz, Verständnis und mehr Miteinander werden wir nur erreichen, wenn wir das Monologisieren durchbrechen und ehrliches Interesse füreinander wecken. Es gilt dafür Themen zu identifizieren, Orte zu schaffen und Gelegenheiten zu provozieren, die den beteiligten Gruppen ein unterhaltsames, interessantes oder schönes Miteinander ermöglichen. Das Generationenforum hat sich genau das zum Ziel gemacht: Miteinander

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zu gestalten, gegenseitiges Verständnis zu fördern und somit eine intergenerative Plattform für mehr Nachhaltigkeit zu schaffen.

Über das Generationenforum Die Stadt Kempten im Allgäu ist der Durchführungsort für dieses Pilotprojekt. Das Motto des Generationenforums ist „Miteinander verstehen & Zusammenhalt fördern“. Die konkreten Ziele sind: 1. Die Konzeption einer partizipativen & replizierbaren Methodik der Erforschung sozialen Zusammenhalts und des Dialogs zwischen Generationen 2. Die Auswertung der quantitativen & qualitativen Forschung über Alters- und Jugendbilder in Form einer Studie (soziale Kartographie): Statistiken und Geschichten (Bürgerinterviews) über soziales Miteinander 3. Die Projektauswertung auf kommunaler Ebene: Kenntnisse über verschiedenenartige Lebenswelten werden genutzt um Dialog zu schaffen, Miteinander zu fördern und sozialen Frieden zu wahren Getragen und durchgeführt wird das Projekt von dem Illustrative e.V (ein gemeinnütziger Verein für die Förderung von Kunst und Dialog in der Gesellschaft), von Datajockey (ein auf Gesellschaftsforschung und Dialog spezialisiertes Institut) und der Stadt Kempten (die sich mit dem Aktionsbündnis „Zukunft 2020“ für die Herausforderungen des demografischen Wandels fit macht). Kooperationen mit nationalen Projektpartnern wie der BAGSO (Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen) oder dem DBJR (Deutscher Bundesjugendring) sind vorgesehen.


Fo rum Partizipative Generationenforschung – Dialog ist Programm Es geht darum, die Voraussetzung für mehr Toleranz und Miteinander zu schaffen, indem junge Menschen die verschiedenartigen Lebenswelten älterer Menschen erfahren und ältere Menschen die verschiedenartigen Lebenswelten jüngerer Menschen. Zu diesem Zweck werden nach bestimmten Kriterien - wie Alter, Geschlecht, Lebensumstände oder kulturelle Wurzeln - Gruppen von jeweils zehn Älteren und Jüngeren gebildet. Die ProjektteilnehmerInnen werden selbst Aktionsforscher und Toleranzbotschafter. Sie werden auf eine national replizierbare Weise rekrutiert, z.B. über Senioren- und Jugendorganisationen, Glaubensgemeinschaften, Vereine, Gewerkschaften oder Schulen. In einem moderierten Prozess entsteht zu verschiedenen Themen – z.B. Technik, Familie, Liebe oder Freizeit - eine Übersicht von generationenübergreifend relevanten Fragestellungen: die Grundlage für den intergenerativen Fragebogen. Die konkrete Forschungsarbeit wird von Zweiergruppen, bestehend aus jeweils einer/-m Jüngeren und einer/-m Älteren, durchgeführt. In diesen Projektgruppen unterstützen sich die Teilnehmer gegenseitig dabei, die Gruppe der/-s jeweils anderen auf Grundlage des Fragebogens und mit Interviews zu erforschen. Dieser Prozess wird von den Beteiligten und einer Mediengruppe in vorgegebenen Formaten dokumentiert. Parallel zu den Befragungen können Bürgerinnen und Bürger auch online an der Befragung teilnehmen. Im Ergebnis entsteht eine quantitative Studie, die Aussagen über Themen und Orte aus der Sicht verschiedener Generationen und Schichten

treffen kann. Der qualitative Teil, die Auswertung der Interviews in multimedialer Form, erlaubt es die Zahlen der Studie durch die Erfahrungen der Interviewer und Geschichten der Menschen zu beleuchten und zu hinterfragen. Außerdem lassen sich aus den Gesprächen Gestaltungsvorschläge für mehr Miteinander auf kommunaler Ebene konkretisieren. Eine weitere Ergebnisdimension stellen die Bekanntschaften, Erkenntnisse und geteilten Erfahrungen der ProjektteilnehmerInnen untereinander und mit den Interviewten dar.

Die Vision des Generationenforums Das Pilotprojekt in Kempten wird 2012 erfolgreich abgeschlossen. Die Methodik wird so aufbereitet, dass sie auf andere Städte und Gemeinden in Deutschland und Europa übertragen werden kann. Die Ergebnisse des Projekts werden genutzt, um die Herausforderungen des demografischen und gesellschaftlichen Wandels gemeinschaftlich zu lösen. Es entsteht eine neue Kommunikationskultur zwischen Alt und Jung, die von gegenseitigem Verständnis und von Toleranz geprägt ist. Die Ergebnisse der bundesweit durchgeführten Forschung und Dialoge werden in Form eines Kunst-Edutainment-Ausstellungskonzepts erfahrbar gemacht. Schließlich entsteht ein neuer Generationenvertrag auf der Basis eines konstruktiven Dialogs und unter gleichberechtigten Beteiligten. Das Projekt ist deutscher Beitrag des Europäischen Jahres 2012 für Aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen.

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Es entsteht eine neue Kommunikationskultur zwischen Alt und Jung, die von gegenseitigem Verständnis und von Toleranz geprägt ist

Simon Schnetzer, Dipl.-Volkswirt und Gründer des Projekts „junge Deutsche“ www. jungedeutsche.de


WOCHEN SCHAU VERLAG ... ein Begriff für politische Bildung

Außerschulische Jugendbildung

Benno Hafeneger (Hrsg.)

Handbuch Außerschulische Jugendbildung Grundlagen – Handlungsfelder – Akteure Das neue Handbuch zu grundlegenden Themen und Handlungsfeldern der außerschulischen Jugendbildung. Wie lässt sich das bildende Lernfeld verorten? Wie ist der aktuelle Stand der Diskussion? Diese Fragen beantwortet das neue Handbuch. Der Band richtet sich an Studierende, Lehrende, Forschende und all jene, die sich mit Jugendund Bildungsfragen außerhalb der Schule auseinandersetzen.

ISBN 978-3-89974655-6, 512 S., € 49,80

Autorinnen und Autoren: Michele Barricelli, Hildegard Bockhorst, Lothar Böhnisch, Gerd Brenner, Micha Brumlik, Stephan Bundschuh, Thomas Coelen, Ulrich Deinet, Friedrun Erben, Uwe Feldbusch, Carola Gold, Frank Gusinde, Thomas Hänsgen, Benno Hafeneger, Birgit Jagusch, Michael Kohlstruck, Thomas Kreher, Margitta Kunert-Zier, Martin Lücke, Michael May, Meron Mendel, Andrea Möllmann, Richard Münchmeier, Yvonne Niekrenz, Andreas Oehme, Jens Pothmann, Wibke Riekmann, Sieghard Scheffczyk, Albert Scherr, Achim Schröder, Ulrich Schwab, Andreas Thimmel, Werner Thole, Dirk Villányi, Gunda Voigts, Klaus Waldmann, Matthias D. Witte, Benedikt Widmaier, Hans-Jürgen von Wensierski, Ulrich Wethkamp.

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R ez ensio nen Birgit Gebhardt, 2037 – unser Alltag in der Zukunft, edition KörberStiftung Die Trendforscherin Birgit Gebhardt entwirft in 2037 realistische Bilder einer Welt von übermorgen. Wie sich Zukunft im globalen Zusammenhang gestalten wird, kann niemand vorhersehen – aber die genaue Beobachtung der Gegenwart eröffnet Perspektiven, die plausible Prognosen erlauben. Die Erkenntnisse des Trendbüros liefern die empirische Basis für die ergänzenden Faktentexte. Im Zusammenspiel von Fakten und Fiktionen zeigt Birgit Gebhardt unseren Weg in die Zukunft. Die Faszination für die Zukunft ist so alt wie die Menschheit. Egal ob voller Hoffnungen und Träume oder voll Angst und Sorge – Menschen möchten wissen, was auf sie zukommt. Wie werden wir in 25 Jahren leben? Wie wird unsere Arbeitswelt aussehen? Wie wird sich unser Familienleben verändern? Und wie unser Alter? Wie werden wir uns kleiden? Und wofür werden wir kämpfen? Zukunftsszenarien: Birgit Gebhardt beschreibt in dem Buch 2037 den 65-jährigen Unternehmensberater Geoffrey, der beruflich wie privat neu durchstartet, die 45-jährige Nana, die um die Wirtschaftlichkeit ihres Unternehmens kämpft und die 34-jährige IT-Lehrerin Womina, die in Deutschland eine zweite Existenz für sich und ihre Familie aufbauen will. Durch diese konstruktive Gedankengymnastik entsteht das Bild einer Welt, die uns noch fern scheint, aber doch schon nahe ist.

Wolfgang Gründinger, Aufstand der Jungen: Wie wir den Krieg der Generationen vermeiden können. Beck Verlag, München 2009 Das Buch von Wolfgang Gründinger, Vorstand der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, liefert eine differenzierte Sichtweise auf umstrittene Fragen: Was ist dran am inflationär gebrauchten Schlagwort „Nachhaltigkeit“? Ist es richtig, wenn der Staat im Namen kommender Generationen bei seinen Ausgaben spart – oder haben nicht unsere Kinder auch ein Interesse an Staatsausgaben für Kindergärten, Bildung und Umweltschutz? Wie sicher ist unsere Rente? Warum bekommen die Deutschen so wenige Kinder, und wie wirkt sich der demografische Wandel auf die Lebenschancen der jungen Generation aus? Was bringt die „Nachhaltigkeitsstrategie“ der Bundesregierung? Und was können wir tun, um das Entstehen einer „Generation Praktikum“ zu verhindern? Seine These: Wir brauchen einen Aufstand der Jungen – nicht gegen die Alten, sondern gegen einen unfairen Zustand.

2030 - Aufstand der Jungen Die Doku-Fiction beschreibt die möglichen Folgen des demografischen Wandels aus der Sicht der jungen Generation, die um 2030 die Leistungsträger der Gesellschaft stellt. Die Journalistin Lena Bach wird auf den Fall des 30-jährigen Tim Burdenski aufmerksam. Das Leben des jungen Mannes, eines so genannten „Milleniumkindes“, wurde seit seiner Geburt von einem Fernsehteam dokumentiert. Jetzt ist er angeblich tot, doch Tims Freundin Sophie hat Zweifel. Gemeinsam machen sich die bei-

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Reze n si o n e n den Frauen auf die Suche nach Tim. Lena und Sophie finden heraus, dass die Langzeitdokumentation grob verfälscht wurde und Tim in Wahrheit hoch verschuldet war und in Armut lebte. Bei ihren Recherchen stoßen sie auf eine Art Parallelgesellschaft im Berliner Ghetto „Höllenberg“, die schon lange nicht mehr auf die Unterstützung der Regierung wartet und ihre eigenen Regeln aufgestellt hat. Themen: Schuldenfalle, die Kosten für die Pflegebedürftigkeit, Zweiklassenmedizin, Überwachungsstaat, Gentests bei Einstufungen zur Krankenversicherung, Datenschutz, eine unbezahlbare Rente, Bürgerrechte und demografische Entwicklung. 2030 – Aufstand der Alten (deutscher Fernsehfilm 2007) Inhalt: Eine Nachrichtensondersendung meldet am 12. September 2030: Die Bundesregierung tritt unter Verweis auf die „MFaktor-Affäre“ geschlossen zurück. Anschließend folgt ein Rückblick auf die Ereignisse, die zu dieser Entscheidung geführt haben. Die junge investigative Journalistin Lena Bach will einen mörderischen Skandal um alte Menschen aufdecken. In dieser fiktiven Zukunft lebt ein Drittel der Rentner unterhalb der Armutsgrenze. Viele Alte müssen betteln. Seit 2015 gibt es häusliche Pflege nur noch für Wohlhabende. Seit 2019 steht „freiwilliges Frühableben“ im Leistungskatalog der skizzierten Krankenkassen. Themen: - Wohnen im Alter - Rente, Armut im Alter, Rentenreform - Medizinische Versorgung: Gesundheit für alle – oder ZweiklassenMedizin?

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- Pflege – ambulante Pflege zu Hause – Pflegeheime - Menschenwürde im Alter, in Würde leben und sterben - Kürzung von Ausgaben für die Kultur zugunsten von Sozialausgaben - Staatliche Versorgung – private Vorsorge – kommerzielle Versorgungssysteme – „Entsorgung“ alter Menschen. - Suizid im Alter, „Freiwilliges Frühableben“, Sterbehilfe gegen den Willen der Betroffenen - Kriminalität im Alter - Generationenvertrag, Generationenbeziehungen in der Familie und in der Gesellschaft. Overath, Angelika. Generationen-Bilder Erkundungen zum Familienglück. Libelle Verlag, 2005 Gegen den medialen Rummel um Generation X, Generation Golf und wahrscheinlich bald Generation Tattoo setzt Angelika Overath auf beschwingt anschauliches und gründliches Nachdenken. Sie blättert ein Album auf mit Szenen ihres Familienalltags, mal komisch, mal schneidend, und gibt ihnen mit einer eindrücklichen kulturgeschichtlichen Tour d`Horizont nötige Tiefenschärfe. Es geht um Zusammenhalt und Brüche in den Wunschbildern vom Generationengefüge.


R ez ensio nen Barbara Hanusa/Gerhard Hess/PaulStefan Roß (Hrsg.) Engagiert in der Kirche. Ehrenamtsförderung durch Freiwilligenmanagement Schriften der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, Stuttgart 2010, 211 Seiten Das lesenswerte Buch widmet sich der Gewinnung, Begleitung und Förderung ehrenamtlicher bzw. freiwilliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dabei geht es um einen Grundpfeiler kirchlicher und diakonischer Arbeit, wie die Herausgeberin und die beiden Herausgeber betonen. Ein Arbeitsfeld, das entsprechend intensive Beachtung und Begleitung braucht. Paul-Stefan Roß´ Grundsatzbeitrag: „Warum freiwilliges Engagement (wieder) ein Thema ist“ nimmt die veränderten Lebensbedingungen, gewandelten Erwartungen und Wünsche Freiwilliger in den Blick. Seine Beobachtungen zum „alten“ und „neuen“ Ehrenamt klingen den Leser/ innen der letzten Shell-Jugendstudien vertraut. Wer sich engagiert, hat bestimmte Interessen. Es soll ihm und anderen etwas bringen können. Dabei entzieht sich der mündige Freiwillige einer Einordnung in hierarische Strukturen, wenn der Wille zur verantwortlichen Mitgestaltung nicht ausreichend wahrgenommen wird. Heute engagieren sich nicht weniger Menschen als früher. „Waren es vor zwanzig Jahren beispielsweise 30 hochengagierte Frauen und Männer, die „alles im Griff“ hatten, sind die heute Engagierten zeitlich und inhaltlich klar begrenzt tätig; aber ihre Gesamtzahl hat sich erhöht.“ (aaO. 22) Insofern geht es heute weniger um einen Motivwandel, wohl aber um einen Strukturwandel. Mit der Einsicht, dass die verschiedenen Lebensphasen unterschiedliche Chancen und Risiken für ein freiwilliges Engagement bergen. Wer sich am Begriff des Freiwilligenmanagements stört, bekommt auf die

Frage: „Kann man Menschen managen?“ überzeugende Argumente. Barbara Hanusa betont in ihrem Beitrag, dass es kein Priestertum aller Getauften geben kann, ohne entsprechendes Freiwilligenmanagement. Sie und Raph Charbonnier beleuchten aus systematisch-theologischer Sicht und vor dem Hintergrund der Gemeindeentwicklung was es heißt, in der Kirche freiwillig engagiert zu sein. Dabei fällt Charbonnier auf, dass freiwilliges oder ehrenamtliches Engagement in der Kirche insbesondere dann thematisiert wird, „wenn ein professionelles oder hauptamtliches Engagement problematisch wird.“ (aaO. 66) Eine Entwicklung, die nicht auf die 90ziger Jahre des letzten Jahrhunderts begrenzt ist. Freiwilligenmanagement als Sparmodell funktioniert aber nicht. So, eine von 15 „Quintessenzen der Herausgeber“, die am Ende des Buches stehen. 15 Quintessenzen, hinter die die kirchliche Freiwilligenarbeit nicht zurückgehen sollte. Dabei zieht sich durch alle Beiträge die Erkenntnis, Freiwilligenmanagement kostet um erfolgreich zu sein Personaleinsatz, Sachmittel und Räume. Denn Freiwilligenmanagement ist ein Investitionsprogramm in lebendige Gemeinden (aaO. 207). Die Frage nach dem Innenverhältnis von „Hauptamtlichen“ und „Ehrenamtlichen“ und ihrem Zusammenwirken ist damit verbunden. Eine theologisch grundlegende Frage und anspruchsvolle Aufgabe, die bisher weder in der Ausbildung noch in der berufsbegleitenden Fortbildungen ausreichend bedacht wird. Nun könnte man der irrigen Meinung sein, dass dies für die Jugendarbeit Schnee von gestern sei. Gerhard Hess, selbst lange Jahre in der Jugendarbeit verwurzelt, weiß um die Schätze der Jugendarbeit, gerade auch beim Freiwilligenmanagement. Viele Konzepte sind umgesetzt und die Jugendarbeit

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Reze n si o n e n besitzt reichhaltige Erfahrungen in der Begleitung, Förderung und Gewinnung ehrenamtlicher Mitarbeitender. Hinzu kommt eine erprobte Anerkennungs- und Würdigungskultur. Dennoch sieht Hess Handlungsbedarf, etwa im Bereich der Evaluation und einer systematischen Bedarfseinschätzung, die die verschiedenen Felder der Kinder- und Jugendarbeit erfasst. Eine bessere Abstimmung der unterschiedlichen Zuständigkeiten auf Orts-, Regional- und Landesebene sieht er als weitere Punkte. Vor diesem Hintergrund beurteilt Hess das Konzept des Freiwilligenmanagement als „guten Orientierungsrahmen, auch für die MitarbeiterInnenausbildung und – förderung in der Evangelischen Kinder- und Jugendarbeit. “ (aaO. 155). Wer dennoch überzeugt ist, in der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen längst alles bedacht und getan zu haben, wird sich davon nicht überzeugen lassen. Umso bedauerlicher, weil viele der Beiträge des Sammelbandes aus landeskirchlichen Erprobungen heraus entwickelt wurden, mit hilfreichen und erprobten Anregungen für die Praxis vor Ort. Angewandtes Freiwilligenmanagement heißt dann, Anleitungen zu finden für ein Jahresgespräch mit ehrenamtlichen Mitarbeitenden, thematische Anregungen für eine Veranstaltung zur Gewinnung von Mitarbeitenden und vieles mehr. Insofern bietet der vorgelegte Band vielfältige Anregungen vor dem Hintergrund reflektierter Praxis. Die nicht immer gelungene passgenaue Abgrenzung der einzelnen Beiträge führt zu vermeidbaren Wiederholungen grundsätzlicher Erkenntnisse und Forschungsergebnisse. Es hilft aber denen, die nur einzelne Beiträge lesen werden. Zu diesen unverzichtbaren Beiträgen sollte der von Katharina Witte gehören. Sie beobachtet

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aus Sicht einer Gemeindeberaterin und Supervisorin das Freiwilligenmanagement in kirchlichen Einrichtungen. In Aufnahme eines Wortes von Laotse :„Wer Menschen führen will, muss hinter ihnen gehen“ sucht sie nach der verantwortlichen Verortung der Begleitung innerhalb kirchlicher Organisationen, denn nur nebenbei ist dies nicht zu leisten. Umso mehr bleibt die Frage: Warum muss ich mir dies alles noch aufladen, bei aller anstehenden Arbeit? Die Antwort ist einfach. Der Anteil der Freiwilligen wird steigen, ihre Ansprüche und die der Organisationen auch. Dabei gilt der Grundsatz, wie in der Präambel des Ehrenamtsgesetzes der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern dargelegt: „Aller Dienst am kirchlichen Auftrag ist, unabhängig davon, ob er haupt-, neben- oder ehrenamtlich geschieht, gleichwertig.“ Es geht somit um ein umfassendes Investitionsprogramm, das unsere Aufmerksamkeit braucht, auch in evangelischer Jugendarbeit. Rainer Brandt Neues wagen, Pfade meiner Spiritualität entdecken 10. - 14. September 2012 im Mangfallgebirge In einer kleinen Gruppe in einem abgelegenen Tal des Mangfallgebirges bereiten wir uns gemeinsam auf eine Zeit des Alleinseins in der Natur vor. Gemeinsame Rituale, Erzählen und Zuhören unterstützen diesen Weg (mit Methoden aus der Visionssuchearbeit), das Erlebte, Antworten und neue Fragen in das Leben zu integrieren. Leitung: Gabi Bruhns u. Wolfgang Schindler Weitere Informationen: www.josefstal.de/kurse/spirituell/2012-09-10 Tel: 08026/ 97 56-24; mail: studienzentrum@josefstal.de


Autorinnen und Autoren Ausführliche Hinweise zu den Autorinnen und Autoren finden Sie bei den jeweiligen Artikeln. Barbara Bauer, Karlsruhe Oberkirchenrätin Hannah Beitzer, München Journalistin Tanja Breukelchen, Hamburg Freie Redakteurin Udo Bußmann, Schwerte Landesjugendpfarrer Michael Freitag, Hannover Grundsatzreferent der aej Daniel Grein, Berlin Geschäftsf. Deutscher Bundesjugendring Wolfgang Gründinger, Berlin Demokratieforscher M.A. Dr. Kurt Lüscher, Bern Professor Bärbel Matos Mendoza, München Mitarbeiterin Reinhold Ostermann, Nürnberg Referent im Amt für Jugendarbeit Angelika Overath, Sent Schriftstellerin Birgit Riedel, München Politologin Dr. Franz Segbers, Marburg Professor Simon Schnetzer, Kempten Dipl.- Volkswirt Dr. Fulbert Steffensky, Luzern Professor Dr. Johannes Taschner, Bielefeld Privatdozent Robert Zeidler, Hamburg Pastor an der Jugendkirche ●

das baugerüst 2/12 Narben und Verletzungen

• Körperliche und seelische Narben • Narbenerinnerungen • Öffentliche Narben • Wundmale des Gekreuzigten • Verletzungen in der Bibel • Religiöse Verletzungen • Umgang mit Verletzungen Blumen, Kerzen, Teddys • Selbstverletzungen • Die verletzlichen Jahre • Verletzungen in Beziehungen • Umgang mit Mobbing • Trauerarbeit mit Jugendlichen • Erinnerungskultur • u.v.a.m.

Bildnachweis: Titel: Venture; S. 7, 8,10, 11, 12, 13, 21, 24, 28, 32, 40, 41, 46, 47, 49, 51, 53, 54, 57, 60, 65, 76, : Wolfgang Noack; S. 11: Daniel Rennen; S.11: Nicole Müller; S. 15: Toni Anett Kuchinke; S. 16: Frank Fischer; S. 17: Jose Manuel Gelpi; S. 19: Zsolt Nyulaszi; S. 27: Wilm Ihlenfeld; S. 30: DrGenn; S. 42: Erwin Wodicka; S. 68: Gerd Altmann; S. 72: Universum Film; S. 75: toolklickit; S. 80: Jugendkirche Hamburg; S. 86: Taizé; S. 91: Ralf Lienert

das baugerüst 3/12 Zeitlos • Gott und die Zeit • Als die Zeit erfüllt war • Die getaktete Zeit • Zeitverständnis in anderen Kulturen • Nutze die Zeit - Zeit zur Muße • Kontrovers: Effizienz und Nichtstun • Jugendliche und Zeitverständnis • Keine Zeit fürs Ehrenamt • Alles gleichzeitig • Wer sind die Zeitdiebe? • Individualisierung von Zeit • Langeweile und Zeitvermehrung • Rhythmische Zeit und Echtzeit • Leben ohne Zeitmanagement? • u.v.a.m.


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das baugerüst 3/09 KinderLeben

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Sprache und Kommunikation

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2/2010 www.evangelische-jugend.de

Ökumene ist immer stattfand, fragen sich einige, ob man angesichts

der festgefahrenen Situation „die Ökumene“ nicht einfach abhaken sollte. Andere wiederum fanden schon vor dem 2. ÖKT die Lage in

ökumenischen Grundsatzfragen nur noch im

evangelische Bildungsarbeit, die weder an konfessionellen noch an nationalen Grenzen haltmacht. Schon seit mehr als einem halben Jahrhundert arbeiten in diesem Sinne in der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) Vertreter(innen) unterschiedlicher historischer Konfessionen geschwisterlich und im Respekt vor den jeweiligen theologischen und kulturellen Hintergründen zusammen. Reformierte und Baptist(inn)en, Methodist(inn)en und Lutheraner(innen) sind genauso mit von der Partie wie etwa Herrnhuter(innen) und Unierte oder pfingstkirchlich geprägte Freikirchler(innen), wenn es um die wirkungsvolle Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche in Deutschland geht. Die gelegentlich innerhalb der Evangelischen Jugend hervortretenden unterschiedlichen Auffassungen in politischen, pädagogischen und manchmal auch

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Jugendliche in der Migrationsgesellschaft Reflexionen zu einer Unterscheidungspraxis von Claudia Machold und Paul Mecheril

Jugendlich zu sein – etwa in Abgrenzung zu Erwachsensein – stellt eine kulturell bestimmte Unterscheidung dar, die sowohl für gesellschaftliche Teilhabe als auch Identität bedeutsam ist. Was unter Jugendlichsein verstanden wird, ist abhängig vom gesellschafts-historischen Kontext.

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Römer 12, 21) Gedanken zur Jahreslosung 2011 – von Sarah Vogel Überwindung bedeutet über seinen eigenen Schatten springen und einen Schritt tun, der einem schwer fällt. Auf fremde Menschen zuzugehen, fällt uns nicht leicht, das Fremde kann uns unheimlich sein und Angst machen. Fremde Sprache, fremdes Aussehen, fremde Lebensweisen müssen aber nicht fremd bleiben, wenn wir uns überwinden, einen Schritt auf Menschen – beispielsweise eine Nachbarin oder einen Kollegen – zuzugehen. Dann können wir schnell erkennen, dass das Fremde nicht das Böse ist, sondern dass wir mit dem Schritt der Überwindung das Böse in uns besiegen und uns durch diesen Mut gut fühlen können. So können wir es schaffen, Ängste und Vorurteile abzubauen und das Gute in uns und unseren Mitmenschen, die uns bislang fremd waren, zu entdecken. „Auch ohne Gewalt auskommen/Böses mit Gutem vergelten/Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen/ Gilt für weise“, schreibt Bertolt Brecht in einem Gedicht aus dem dänischen Exil, herausgerissen aus seiner Heimat. Und er fügt hinzu: „Alles das kann ich nicht: Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!“ In diesen Zeiten des Exils, der Angst, des Lebens in der Fremde und Ferne ohne seine Sprache, Freunde, Familie, lebte Bertolt Brecht tatsächlich in finsteren Zeiten und konnte kein Leben ohne Furcht verbringen und das Böse mit Gutem vergelten, wie er es sich gewünscht hat und wie es auch die Jahreslosung fordert. Aber mit dem Titel des Gedichtes „An die Nachgeborenen“ müssen diese Verse als Appell verstanden werden. Denn heute haben wir die Chance, in einem freien Land zu leben, zu denken und nach Brecht „weise“ zu handeln. Daher sollten wir in unserer Migrationsgesellschaft uns überwinden und auf Menschen zugehen, sie kennenlernen, damit wir sie nicht mehr als Fremde sehen und sie sich auch nicht mehr fremd fühlen müssen. Wir können ohne Furcht leben und haben die Verantwortung, dies möglichst vielen Menschen zu ermöglichen, denn wir sind die Nachgeborenen.

Hier, so könnte man sagen, ist die Strukturdifferenz Generation entscheidend. Jugendlich in der Migrationsgesellschaft zu sein, richtet die Aufmerksamkeit auf eine weitere Zugehörigkeitsordnung: Migrant(inn)en und Nicht-Migrant(inn)en oder Jugendliche „mit Migrationshintergrund“ und Jugendliche „ohne Migrationshintergrund“. Diese Unterscheidungen sind Unterscheidungen, in denen natio-ethno-kulturelle Differenzen relevant gesetzt werden (vgl. Mecheril 2003). Wie alle Differenzkonstruktionen muss auch diese gleichsam kulturell hervorgebrachte und für Teilhabe und Identität relevante Strukturkategorie in ihrer relationalen Eigenschaft betrachtet werden. Das Sprechen über Jugendliche „mit Migrationshintergrund“ konstituiert gleichzeitig Jugendliche „ohne Migrationshintergrund“ (auch wenn diese komplementäre Konstruktion zumeist unbenannt bleibt). Die Liste der für Individuen aktuell relevanten Differenzlinien und -ordnungen ließe sich fortsetzen (Gender, Religion, [Dis-]Ability, …) und nicht ohne Grund orientiert sich eine an Differenz interessierte sozialwissenschaftliche Forschung zunehmend auf die Verschränktheit der unterschiedlichen Kategorien, ihre Intersektionalität oder Interdependenz. An dieser Stelle möchten wir jedoch unsere Ausführungen auf die aus unserer Sicht zentrale Differenz beim Nachdenken über die Migrationsgesellschaft und ihre Jugendlichen fokussieren: natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit. Dass hier dieses Ordnungsverhältnis herausgestellt wird, begründet sich unter anderem in der Selbstverständlichkeit, in der gegenwärtig über Jugendliche „mit Migrationshintergrund“ in medialen, wissenschaftlichen, pädagogischen und anderen Zusammenhängen gesprochen wird. Eine Redeweise hat sich durchgesetzt. Allein deshalb macht es Sinn, diese kulturelle Praxis der Unterscheidung zu reflektieren. Fokussieren werden wir also die Bezeichnungs- und insofern Unterscheidungspraxis von Jugendlichen „mit“ und „ohne Migrationshintergrund“. Die Häufigkeit, in der gegenwärtig die Unterscheidung zwischen Jugendlichen „mit“ und „ohne Migrationshintergrund“ wahrgenommen, gehört und gelesen werden kann, bringt zum Ausdruck, welche Bedeutung Migration als faktisches und symbolisches Ereignis zukommt. Migration als die Bewegungen von Menschen über relevante Grenzen hinweg hat es zu allen historischen Zeiten und fast überall gegeben. Migration ist eine universelle Praxis,

eine allgemeine menschliche Handlungsform. Allerdings haben sich Art und Ausmaß der Wanderungsbewegungen wie auch die Ordnungen, die Grenzen hervorbringen und damit die Grenzen selbst, im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt. Für gesellschaftliche Verhältnisse der Gegenwart sind Migrationsphänomene von besonderer Bedeutung. Migration konturiert und rekonturiert das Bekannte und das Bestehende. In politischen und alltagsweltlichen Auseinandersetzungen um das Thema Migration geht es immer um die Frage, wie und wo ein nationalstaatlicher Kontext seine Grenze festlegen und wie er innerhalb dieser Grenze mit Differenz, Heterogenität und Ungleichheit umgehen will. Migration problematisiert Grenzen. Dies sind nicht so sehr die konkreten territorialen Grenzen, sondern eher symbolische Grenzen der Zugehörigkeit. Durch Migration wird die Frage der Zugehörigkeit – nicht nur die der sogenannten Migrantinnen und Migranten – individuell, sozial und auch gesellschaftlich zum Thema, da durch Migration eine Differenzlinie problematisiert wird, die zu den grundlegendsten gesellschaftlichen Unterscheidungen gehört, die das „Innen“ von dem „Außen“ scheidet. Migration ist somit nicht angemessen allein als Prozess des Überschreitens von Grenzen beschrieben, sondern ein Phänomen, das die Thematisierung und Problematisierung von Grenzen zwischen „Innen“ und „Außen“ und zwischen „Wir“ und „Nicht-Wir“ nach sich zieht und damit DPAG Postvertriebsstück ISSN 0947-8329 Entgelt bezahlt Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej) Otto-Brenner-Straße 9, 30159 Hannover

das baugerüst 1/12 Generationen

Dr. Uwe-Karsten Plisch, Theologischer Referent in der Geschäftsstelle der Evangelischen StudentInnengemeinde in Deutschland (ESG)

Kontakt: Dr. Uwe-Karsten Plisch, ESG, Otto-Brenner-Str. 9, 30159 Hannover, Telefon: 0511 1215-143, E-Mail: forum1@bundes-esg.de, Internet: www.bundes-esg.de

Nicht erst nach dem Ende des 2. Ökumenischen Kirchentags (ÖKT), der im Mai 2010 in München

Deutschland so entspannt, dass sie von

Geschichtsbuch lesen wollten. Für die aej stellt sich diese Frage anders. Die Evangelische Jugend in Deutschland und andernorts ist in ihrem Selbstverständnis ein Teil der Kirche und zwar der weltweit Einen Kirche Jesu Christi. Schon daraus folgt die Unabdingbarkeit ihres ökumenischen Engagements – weder die ökumenische Dimension der Kirche noch die der Evangelischen Jugend ist optional oder nur ein Spezialthema für Expert(inn)en an passenden Feiertagen wie Pfingsten oder Erntedank. Die nationalen Synoden sowohl der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als auch der römisch-katholischen Bistümer in der Bundesrepublik haben dazu passende Worte gefunden. Dem „Wir sind nur dann evangelisch, wenn wir zugleich ökumenisch sind.“ aus der Kundgebung „Eins in Christus. Kirchen unterwegs zu mehr Gemeinschaft“ der EKDSynode 2000 entspricht die Einsicht der römisch-katholischen Gemeinsamen Synode, „dass ‚ökumenisch‘ nicht irgendein Sachgebiet kirchlicher Tätigkeit neben anderen bezeichnet, sondern eine notwendige Dimension aller Lebensäußerungen der Kirche“ (Beschluss Pastorale Zusammenarbeit der Kirchen im Dienst an der christlichen Einheit, 1976). Die Evangelische Jugend ist ein Teil der (unerlösten) Welt und steht mit deren anderen Teilen in vielfältigen, z. B. politischen, kulturellen und materiellen Beziehungen. Daraus erwächst ihre Verantwortung, ihre Gaben und Möglichkeiten für sich und andere im gemeinsamen Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einzusetzen. Ihre ökumenische Jugendarbeit ist somit im besten Sinne

nachgedacht

nachgedacht

Die Evangelische Jugend in Deutschland nach dem ÖKT in München Ökumenischer Brennpunkt: Gemeinsames Abendmahl „Jedes Jahr im Januar beginne ich das Arbeitsjahr mit einem Wochenendseminar zum Thema der ökumenischen Bibelwoche, eine langjährige Kooperationsveranstaltung mit einer evangelischen und einer katholischen Studierendengemeinde. Drei Tage lang denken wir gemeinsam über Texte der Heiligen Schrift nach und am Sonntag endet das Seminar jeweils mit dem gemeinsamen Besuch der Heiligen Messe. Die Messe zelebriert in der Regel der katholische Studierendenpfarrer. Jahrelang hielt es der katholische Kollege so, dass er die Frage der gemeinsamen Eucharistie durch möglichste Nichterwähnung zu umgehen versuchte. Jedes Jahr standen wir Evangelischen vor der Frage – nach drei Tagen gemeinsamen Bibelstudiums: Nehmen wir nun teil oder nicht? Der neue Kollege schaffte vor zwei Jahren Klarheit: Er lud die Evangelischen explizit aus, indem er sie einlud, mit nach vorn zu kommen und sich einen Segen abzuholen. Kein(e) Protestant(in) mit einem Funken Selbstachtung tut sich das an. Nach drei Tagen Bibelstudium als Christ(inn)en nicht gemeinsam an den Tisch des Herrn zu treten, ist absurd, ja schlimmer, es ist blasphemisch. Anderswo passiert es längst und natürlich habe ich auch schon selbst wiederholt die Eucharistie empfangen. In den Studierendengemeinden hat das ohnehin eine lange Tradition. Die theologischen Fragen sind längst geklärt, die Differenzen sind überbrückbar. Wenn wir uns klarmachen, dass es Jesus Christus ist, der einlädt, sollte es eigentlich kein Problem sein, sich über unsere jeweiligen Irrtümer hinweg zu verständigen. Wir sind längst soweit! Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass es bei der bestehenden Trennung von oben her nicht um Theologie geht, sondern um Macht und Kontrolle über Menschen. Denn das Gefühl von Macht ist je größer, desto absurder die Vorschrift ist. Aber nur, wenn sich jemand daran hält.“

Generationen - gerechtigkeit - bilder - konflikte


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