6 minute read

Margret Köll

Next Article
Margret Köll

Margret Köll

Höre, Euterpe, den süßen Gesang

Margret Köll spielt Barockmusik für Harfe aus Italien und England

Michael Horst

Unverzichtbar im romantischen Orchester, ist die Harfe als Soloinstrument eher etwas für Kenner und Liebhaber. Margret Köll allerdings wurde einem breiten Publikum bekannt, als sie im Januar 2017 im Eröffnungskonzert der Elbphilharmonie in Hamburg mitwirkte. Hoch oben im Rang des neuen Saales musizierte sie gemeinsam mit dem französischen Countertenor Philippe Jaroussky zwei Lieder: das berühmte Amarilli von Giulio Caccini und das weniger bekannte, aber bestens zum Ort der Aufführung passende Dalle più alte sfere („Aus den höchsten Sphären“) von Emilio de’ Cavalieri.

Die gebürtige Tirolerin zählt zu den weltweit gefragtesten Interpretinnen auf ihrem Instrument, und Ensembles wie die Akademie für Alte Musik Berlin, die Londoner Academy of Ancient Music und Il Giardino Armonico aus Italien musizieren regelmäßig mit ihr. Im Pierre Boulez Saal bestreitet sie nun solistisch einen Abend, in dem sie die ganze Bandbreite des barocken Harfenrepertoires vorstellt. „In meinem Programm sind alle Formen dessen vertreten, was die Harfenisten der damaligen Zeit gemacht haben“, erklärt sie, „Cembalo-Literatur, Lauten-Literatur, Originales für Harfe, aber auch harfenspezifische Adaptionen.“

Margret Köll reist mit zwei Harfen an, ausgewählt aus den fünf Instrumenten, die derzeit in ihrem Berliner Zuhause stehen. Gestimmt sind sie in C-Dur bzw. Es-Dur – damit ist die Musikerin in der Wahl der Tonarten flexibler und kann das passende Instrument zur jeweiligen Komposition aussuchen. „Außerdem habe ich das Programm so konzipiert“, fügt sie hinzu, „dass ich beide Harfen in jedem der beiden Konzertteile spiele. Damit kommt der Klang aus zwei verschiedenen Quellen und das Publikum hat die Möglichkeit, zu vergleichen.“ In der Abfolge der Werke ließ sie sich außerdem vom Affekt der Kompositionen leiten: Kontrastierende musikalische Stimmungen wirken sich immer belebend auf den Spannungsbogen eines Konzertabends aus. Dabei sind, so wünscht es sich die Harfenistin, für die Zuhörerinnen und Zuhörer vielerlei weitere Assoziationen möglich, „auch in dem Bewusstsein, dass die englischen Komponisten die Italiener vielfach kopiert haben und man das im Konzert sehr schön nachvollziehen kann.“

Allerdings musiziert Margret Köll, anders als man es von Geigerinnen oder Cellisten gewöhnt ist, nicht auf kostbaren Originalinstrumenten; stattdessen kommen zwei Kopien zum Einsatz, die der sogenannten Barberini-Harfe nachgebildet sind. Heute im Musikinstrumentenmuseum in Rom zu bewundern, wurde sie zwischen 1605 und 1620 ursprünglich für die römische Adelsfamilie Barberini hergestellt, deren Wappen – drei Bienen – auch auf der hölzernen Säule eingeprägt ist. Leider lässt sich die Harfe nicht mehr spielen, doch sie vereint alle Vorzüge des damals noch jungen Instruments, das erst seit der Renaissance einen großen Aufschwung erlebte. Mit ihrer dreireihigen Saiten-Konstruktion, bei der die dritte Reihe – ähnlich den schwarzen Tasten auf dem Klavier – die chromatischen Halbtöne ermöglicht (Pedale waren damals noch nicht üblich), bringt die „Arpa Barberini“ alle technischen Voraussetzungen für die Musik des Barock mit.

Überraschend viele Originalkomposition finden sich im heutigen Programm, angefangen mit dem ersten Werk, der Toccata Seconda von Giovanni Maria Trabaci. An dessen Wirkungsstätte Neapel hatte sich in den Jahren um 1600 ein kunstsinniger Zirkel gebildet, der sich insbesondere dem Harfenspiel widmete. Zu seinen Mitgliedern zählte auch Giovanni de Macque, von dem die Seconde Stravaganze erklingt. Gebürtiger Niederländer und eine Generation älter als Trabaci, war de Macque schon früh an den neapolitanischen Hof berufen worden und pflegte eine enge Freundschaft zu Carlo Gesualdo, dem komponierenden Fürsten von Venosa. Als Harfenist hoch angesehen, aber wie Trabaci als Organist in der Hofkapelle des spanischen Vizekönigs angestellt war Ascanio Mayone, dessen Toccata Prima Margret Köll für ihr Programm ausgewählt hat. Als Vierter im Bunde ist Gian Leonardo Mollica zu nennen, dessen Ruhm als Harfenist ihm schon zu Lebzeiten den Beinamen „dell’Arpa“ eintrug. Er gilt als bedeutendster Virtuose auf seinem Instrument im 16. Jahrhundert; Zeitgenossen verglichen seine Kunst mit dem Spiel des biblischen Königs David. Mollica machte sich auch als Pädagoge einen Namen – seine etwa 50 Schüler trugen die Kunst des Harfenspiels ins 17. Jahrhundert weiter. Margret Köll erinnert sich gut an ihre eigene Studienzeit bei der bedeutenden Harfenistin Helga Storck an der Musikhochschule in München. „Damals gab es Werke von Trabaci oder Mayone nur im Originaldruck, also in den vier Pentagrammen notiert, so dass man selbst das Ganze erst in ein zweiteiliges Klaviersystem übertragen musste“, erzählt sie. Heute liegen viele dieser Kompositionen in modernen Ausgaben vor oder sind, dank der elektronischen Musikbibliothek Petrucci, in privaten Übertragungen weltweit greifbar.

Doch auch abseits des Originalrepertoires für Harfe gibt es viel zu entdecken. Dabei wäre es allzu sehr aus dem heutigen Blickwinkel geurteilt, wollte man die übrigen Kompositionen dieses Programms schlicht als Bearbeitungen bezeichnen – im 17. Jahrhundert ging man mit dem Begriff „original“ noch sehr viel großzügiger um. Das zeigt gleich das erste Stück von Girolamo Frescobaldi, die Partite sopra la Monicha, aus dem Primo Libro d’Intavolatura di Toccate e Partite von 1615. Frescobaldi, gefeierter Organist an der Peterskirche in Rom, wurde berühmt für seine Kompositionen für Tasteninstrument – was Orgel genauso wie Cembalo bedeuten konnte. „Es ist schön zu sehen“, sagt Margret Köll, „dass dieses Repertoire gleichermaßen kompatibel war für Tasteninstrumente, für Lauten und für Harfen. Es ist also nichts Besonderes, und es bedarf keiner Bearbeitung, wenn man es auf der Harfe spielt.“

Etwas anders verhält es sich mit der zweiten FrescobaldiKomposition, Se l’aura spira tutta vezzosa („Wenn der Wind sehr angenehm weht“) aus dem Primo Libro d’Arie musicali von 1630. Hier handelt es sich ursprünglich um eine Arie mit ContinuoBegleitung, die Margret Köll zu einem Solostück umgearbeitet hat. Dies gilt genauso für Odi, Euterpe, il dolce canto („Höre, Euterpe, den süßen Gesang“) von Giulio Caccini, dem Florentiner Komponisten und Schöpfer der ersten Orpheus-Oper L’Euridice von 1600, wie auch für Io navigai un tempo („Ich war einmal mit dem Schiff unterwegs“) von Gian Leonardo Mollica dell’Arpa.

Bei diesen Vokal-Bearbeitungen lässt es sich Margret Köll auch nicht nehmen, eigene Improvisationen nach historischem Vorbild einzuflechten. Ebenso ist es mit der Gagliarda, einem Tanzsatz von Carlo Gesualdo, denn hier, so die Harfenistin, ist das Thema nur in Form einer Akkordfolge vorgegeben, deren Verzierungen seinerzeit von den Musikern improvisiert wurden. Improvisation oder auch Diminution: Das war das täglich Brot einer versierten Instrumentalistin jener Zeit. Dabei betreffen die Diminutionen – also das „Auffüllen“ des musikalischen Grundgerüsts durch kleinere Notenwerte – vor allem Werke aus dem Frühbarock, während im Hochbarock die improvisatorischen Verzierungen stärker in den Vordergrund treten. Heute muss diese Fertigkeit erst wieder mühevoll erlernt werden – Schritt für Schritt, wie die Harfenistin erläutert: „Zuerst schaut man sich die Traktate der Zeit an – das ist wie Vokabellernen. Dann muss man das Improvisieren täglich üben, bis es in die eigene DNA übergeht.“ Bisweilen ist der Komponist selbst der beste Lehrmeister: So hat etwa Caccini, der mit seiner Sammlung Le nuove Musiche auch das zentrale Werk über den „neuen Stil“ verfasst hat, in seinen Gesangsstücken viele Anleitungen zu Diminutionen gegeben, an denen man sich als Instrumentalistin hervorragend orientierten kann.

Ebenso prominent vertreten wie die ursprüngliche Literatur für Tasteninstrumente ist in Margret Kölls Programm Musik für Laute. Einer ihrer virtuosesten Interpreten war der Deutsch-Italiener Giovanni Girolamo Kapsberger, als Sohn eines deutschen Adligen in Venedig geboren, der im Alter von 24 Jahren seine erste eigene Sammlung von Komposition für die Chitarrone, die jüngere (und höchst populäre) Schwester der Laute, veröffentlichte. Kapsbergers Toccata Seconda Arpeggiata – der Bezug zur Harfe findet sich schon im Titel – führt ebenfalls direkt nach Rom, wo der Komponist enge Beziehungen zur Familie Barberini, insbesondere zu Kardinal Maffeo Barberini unterhielt, der als Papst Urban VIII. ein bedeutender Kunstförderer der Ewigen Stadt wurde. Margret Köll hat dieser Zeit, also der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, gemeinsam mit der Sopranistin Roberta Invernizzi auf der CD L’arpa Barberini musikalische Reverenz erwiesen – Kapsbergers Toccata eingeschlossen. Auf der Spur der Laute führt der direkte Weg nach England, wo dieses Instrument mehr als alle anderen von den zeitgenössischen Komponisten geschätzt und gepflegt wurde. Dabei hatte nicht nur Peter Philips das große Vorbild Italien fest im Blick, als er – neben Werken von Palestrina und Orlando di Lasso – Caccinis Amarilli als Amarilli di Giulio Romano in einer Lautenversion im Fitzwilliam Virginal Book drucken ließ. Auch John Dowland, Inbegriff der englischen Lautenmusik, pilgerte nach Ferrara und Venedig, um dort die neuesten musikalischen Ideen kennenzulernen. Immer wieder, wie in The Frog Galliard und Dowland’s Galliard, variieren seine Kompositionen die Gagliarde (frz. Gaillarde, ital. Gagliarda), jenen in ganz Europa beliebten Tanz im schnellen Dreiertakt, zu dessen begeisterten (und aktiven) Bewunderern übrigens auch die englische Königin Elizabeth I. zählte. William Byrd wiederum ist mit einer Lied-Bearbeitung vertreten, die ebenfalls in das Fitzwilliam Virginal Book Aufnahme fand: Lord Willobie’s Welcome Home, ein musikalischer Willkommensgruß an den aus der Schlacht zurückgekehrten General, den 11. Baron Willoghby de Eresby.

Im letzten Teil ihres Konzerts setzt Margret Köll noch einmal einen Schwerpunkt auf jene Literatur, die einst für Tasteninstrumente komponiert wurde. Domenico Scarlatti, der mit seinen mehr als 500 einsätzigen Cembalosonaten als unerschöpflicher Erfinder musikalischer Motive und ausgefallener Spieltechniken gilt, ist mit der Sonate d-moll K. 213 vertreten. Werke von Henry Purcell erklingen gleich zweimal, zum einen mit der Hornpipe aus der Musik zum Schauspiel The Old Bachelor, zum anderen mit der Suite Nr. 4 a-moll, die Margret Köll statt mit der ursprünglichen Saraband mit einem Minuet Purcells abschließt.

Mit Musik des englischen Hochbarock, für die insbesondere der Name Georg Friedrich Händel steht, beschließt die Harfenistin ihr Programm. Doch zieht sie den Kreis etwas größer, indem sie auch William Babell, den Cembalisten Händels, einschließt.

„Glücklicherweise hat Babell uns seine Lessons for Harpsichord hinterlassen“, sagt Margret Köll, „in denen er aus den Opern Händels sozusagen Medleys macht und sie außerdem mit eigenen Improvisationen verbindet.“ Dies wiederum ist der Ausgangspunkt für Kölls eigene Improvisation in diesem Programmteil. „Natürlich werde ich auch zwischendurch improvisieren, ohne dass man es unbedingt merkt“, erklärt die Harfenistin. „Aber Babell ist einfach ein besonders schönes Beispiel für Improvisation.“

Bleibt als krönender Abschluss Händels Suite F-Dur HWV 427, die zweite der insgesamt acht Suites de Pièces pour le Clavecin, die der Komponist 1720 im Selbstdruck in London publizierte, um geschäftstüchtigen Konkurrenten, die sich in den Besitz von Abschriften seiner Manuskripte gebracht hatten, zuvorzukommen. Die Verbindung zur traditionellen Suite als Folge verschiedener Tanzsätze ist hier kaum noch zu erkennen. Eher erinnert das Werk an die italienische Kirchensonate: In der zweimaligen Abfolge von langsamen und schnellen Sätzen stechen besonders das erste Adagio, eine konzertante Arie über einem gleichmäßig voranschreitenden Bass, und die abschließende dreistimmige Fuge hervor – eine letzte Gelegenheit zu zeigen, mit welcher Vielseitigkeit die Barockharfe auch Werke, die für andere Instrumente der Zeit komponiert wurden, zum Klingen zu bringen vermag.

This article is from: