Perspektive Baden-Württemberg 01|2015

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01/2015  DOSSIER

KOLUMNE | KONSTANTIN KREMZOW

»Jeder Mensch ist und bleibt ein Mensch«

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Uhr morgens: Der Wecker klingelt. Um 7:40 Uhr beginnt die Schule. Später Mittagessen, nachmittags Freizeit und Addita. Das sind Arbeitsgemeinschaften, die jeder von uns belegen muss, wobei wir die Themen aber selbst wählen können. Dann Abendessen, Schlafengehen. Und am nächsten Tag dasselbe. Alle zwei Wochen sehe ich meine Familie. Manchmal frage ich mich, ob es die richtige Idee war, auf ein Hochbegabten-Internat zu wechseln. Aber dann denke ich an meine Klasse und bin glücklich, hier zu sein. Meistens sogar glücklicher als auf meiner alten Schule. Klar, hier schreiben viele Leute gute Noten. Vielleicht mehr als an anderen Schulen, vielleicht aber auch weniger. Auch bei uns gibt es „schlechte“ Schüler und oft einen Durchschnitt von 3,0 oder höher. Viele Leute denken wahrscheinlich bei „Landesgymnasium für Hochbegabte mit Internat und Kompetenzzentrum“ an eine abgelegene Internatsschule für Universalgenies. Doch die Realität sieht anders aus. Laut der Definition von Wikipedia ist Hochbegabung ein Konstrukt. Es errechnet, ob Menschen hochbegabt sind oder nicht. Hochbegabung heißt nicht, dass man bessere Noten schreibt oder es einfacher an der Uni oder im Job hat. Hochbegabten fällt es vielleicht leichter, diese Dinge zu erreichen, aber sie müssen trotzdem etwas dafür tun. Das ist nämlich der Punkt. Ein „normal“ begabter Mensch kann bessere Leistungen erreichen als ein „hoch“ begabter. Er muss sich vielleicht nur mehr anstrengen. Denn in allen anderen Bezügen sind hochbegabte Menschen wie alle anderen. Sie hören Musik und bauen auch mal richtig Mist. Der Umgang mit anderen, nicht hochbegabten Menschen fällt mir manchmal schwer. Zum Beispiel wurde ich auf meiner ersten Grundschule nach einem Klassensprung oft schräg

angeguckt. Eine weitere Rolle spielt das Alter. Nach einem Umzug ging ich zum Ende der vierten Klasse auf eine neue Schule. Da ich eineinhalb Jahre jünger als die anderen Jungen war, hatte ich natürlich auch andere Interessen. Aber ich mache auch viele positive Erfahrungen. Ein Paradebeispiel sind unsere Lehrer. Nicht alle sind hochbegabt, sie fordern uns aber trotzdem. Da wir insgesamt nur 235 Schüler sind, es aber 40 Lehrer gibt, ist das Fächerangebot groß. Wir können Kurse in Sprachen von Altgriechisch über Arabisch und Chinesisch bis hin zu Russisch belegen. Dieses Jahr sind wir für zwei Wochen in ein Waldschulheim gefahren. Außer uns war dort auch noch eine Gemeinschaftsschule. Mir ist aufgefallen, dass diese Klasse sehr glücklich war und viel lachte. In diesem Moment kam es mir so vor, als ob mehr Druck und Stress auf unseren Schultern liegt und dass wir dadurch trotz all unserer Möglichkeiten nicht so froh und entspannt sein können wie andere Schüler. Das ist so gesehen die Problematik der Hochbegabung. Manchmal wünsche ich mir, dass ich für einen Tag aus meiner Haut gehen, für einen Tag ein ganz normaler Mensch sein könnte. Ich müsste mich nicht mit Erweiterungen und ExtraJahrgangsthemen beschäftigen, ich könnte einfach normal in die Schule gehen und mich für Standardthemen entscheiden. Das wünsche ich mir immer dann, wenn mir alles zu viel wird, wenn ich keine Lust mehr auf „Hochbegabung“ habe. Doch dann denke ich wieder an meine Klasse, die zwar anders ist, aber trotzdem nur eine Klasse ist. Und an meine Schule, die trotz allem nur eine Schule ist. Und dann bin ich zufrieden mit dem, was ich habe.

Konstantin Kremzow ist 12 Jahre alt und besucht das Landesgymnasium für Hochbegabte in Schwäbisch Gmünd.

Ich hoffe, dass ich weiterhin so glücklich bleibe und Glück haben werde. Aber jeder Mensch ist und bleibt nur ein Mensch, egal ob hochbegabt oder nicht. Und es ist wichtig, dass wir das alle verstehen.


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