Almanach der Bachwoche Ansbach 2019 (Ausschnitte)

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Vierzig Jahre nach der Gründung kehrte Ferdinand Leitner ein letztes Mal zur Bachwoche zurück und dirigierte die Uraufführung des Doppelkonzerts von Gerhard Schedl. Die Geiger im Jahre 1987 waren Christian Altenburger und Kurt Guntner, Konzertmeister der Solistengemeinschaft.

„Da ich selbst zu denjenigen gehörte, die in den vergangenen 12 Jahren teilweise verboten oder unerwünscht waren, glaube ich ein besonders feines Empinden für diese Dinge zu haben. Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass dieser Mann wieder seinem Beruf nachgehen kann.“ 1 Schreibt Ferdinand Leitner am 31. August 1946. „Dieser Mann“ ist Carl Weymar, zu dessen Entlastung der frischgebackene Münchner Operndirektor beitragen will. Leitner, Jahrgang 1912, gehörte jener Generation an, deren Entwicklungsmöglichkeiten die Nazis massiv behindert hatten. Erst 1945 konnte der Dirigent durchstarten, zuerst für je ein Jahr in Hamburg und München, ab 1947 dann in Stuttgart, wo er 22 Jahre lang als Generalmusikdirektor Oper und Musikleben der Stadt prägte, gemeinsam übrigens mit dem Intendanten Walter Erich Schäfer (1901-1981), dem Vater des späteren Bachwoche-Leiters Hans-Georg Schäfer. Seine Karriere setzte Leitner bis 1984 als Chefdirigent der Züricher Oper fort, um sie, bis zu seinem Tod im Juni 1996, als freier Dirigent ausklingen zu lassen.

LEITNER, LUDWIG HOELSCHER UND DIE BACHWOCHE POMMERSFELDEN Im Spätherbst 1946, erzählte Leitner mir im Jahre 1989, traf er an einem regnerischen Tag in München den Cellisten Ludwig Hoelscher, einen alten Freund und Kollegen. Hoelscher erzählte von Konzerten auf Schloss Weissenstein. Wenn die erinnerte Chronologie so stimmt, war es just der Zeitpunkt, als Karl Graf von Schönborn den Jugendfreund um Rat gefragt hatte, wie er denn auf dem Schloss im Sommer kommenden Jahres ein Musikfest organisieren könne. Die Veranstaltung dieses Festes zur Kompensation einer gravierenden „Sühneleistung“ war einer Idee (oder: Vorgabe?) des Gewerkschafters Oskar Embacher entsprungen.2 Leitner, der eine amerikanische Lizenz zum Konzertveranstalten besaß, war erfreut über diese Aussicht und schlug ein. In seinem Büro schmiedeten er und Hoelscher große Pläne. Für die geschäftlichen und organisatorischen Dinge sollte Carl Weymar, passionierter Bratscher und Geschäftsmann in München gewonnen werden. Dieser, wissen wir aus der Feder Hoelschers, schlug seinerseits vor, das Pommersfeldener Musikfest „ins Zeichen Johann Sebastian Bachs zu stellen“3, verlegte die Bachwoche 1948 nach Ansbach4 und organisierte sie hier bis 1964.

1) Spruchkammerverfahren Carl Weymar im Staatsarchiv München, Karton 4419, AZ 324 2) Brief Oskar Embacher an Ernestina Gräin Schönborn vom 19. Oktober 1946, im Schönbornschen Hausarchiv 3) Brief Ludwig Hoelscher an Carl Weymar, 27. Januar 1957, Stadtarchiv Ansbach

4) Die Gründe für diesen Umzug sind, wie im Almanach zur Bachwoche 2017 beschrieben, noch nicht hinreichend geklärt. Während Weymar sich bereits in Pommersfelden mit Hoelscher, Embacher und der Familie Schönborn überworfen hatte und in Schloss Weissenstein 1948 nur noch sehr eingeschränkt hätte tätig werden können, hielt Leitner dem Organisator und (...weiter nächste Seite)

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