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Produktivität und ESG im Einklang

Matthias Ludwig von Radwell betont Bedeutung einer Reduzierung der Ausfallzeiten

Studien haben ergeben, dass die vorausschauende Wartung und Instandhaltung zu einer gängigen Strategie für Unternehmen geworden ist, um die steigenden Kosten von Ausfallzeiten zu vermeiden. Da jedoch die Mehrheit der produzierenden Unternehmen immer noch Anlagen betreibt, die älter als zehn Jahre sind, ist das Management von Obsoleszenz, die Vermeidung von Ausfallzeiten und die Einhaltung der unternehmensinternen Produktivitäts- und ESG-Vorgaben zu einem Balanceakt geworden. Matthias Ludwig von Radwell erläutert die Hintergründe.

Ein Bericht von Siemens mit dem Titel „Die wahren Kosten einer Stunde Ausfallzeit, 2024“ (The True Cost of Downtime, 2024) zeigt, dass die Kosten für Ausfallzeiten in den letzten fünf Jahren im Durchschnitt in allen Branchen erheblich gestiegen sind. Dem Bericht zufolge kosten ungeplante Ausfallzeiten die 500 größten Unternehmen der Welt mittlerweile elf Prozent ihres Umsatzes – insgesamt 1,4 Billionen US-Dollar. Das entspricht dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt einer großen Industrienation wie Spanien.

Die gestiegenen Kosten für Ausfallzeiten werden auch in einem kürzlich erschienenen Whitepaper von Eriks und dem britischen Forschungsinstitut IET (The Institution of Engineering and Technology) über die „Herausforderung der Obsoleszenz“ untersucht. Hier wird festgestellt, dass über die Hälfte der in 65 Prozent der Fabriken verwendeten Anlagen älter als zehn Jahre sind und dass mehr als 70 Prozent der Unternehmen Anlagen haben, für die keine Ersatzteile von OEM erhältlich sind.

Viele Anlagenhersteller haben sich in den letzten Jahren aber sehr stark auf Industrie 4.0 und IIoT (Industrial Internet of Things) als Antwort auf die Minimierung von Ausfallzeiten in der Zukunft konzentriert. Es stellt sich jedoch die Frage, wo die große Mehrheit der Unternehmen bleibt, die noch ältere Anlagen verwenden? Und wie passt das mit der Nachhaltigkeitsagenda zusammen, welche die Unternehmen dazu verpflichtet, Investitionsgüter möglichst langfristig einzusetzen?

Ersatzteile statt Ersatzsysteme

Im Sinne einer verantwortungsvollen Unternehmensführung (ESG, Environmental Social Governance) reduziert die Verwendung von Ersatzteilen anstelle von kompletten Ersatzsystemen das Abfallaufkommen sowie den Ressourcen- und Energieverbrauch. Dieser Ansatz fördert die Instandhaltung und längere Nutzung von Produkten und Systemen auf nachhaltigere und verantwortungsvollere Weise und bietet zahlreiche Vorteile.

Matthias Ludwig ist Geschäftsführer der Radwell International Germany GmbH mit Sitz in Krefeld, von wo aus das Unternehmen Industriekunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz betreut.
Bild: Radwell International

Ökologischer Nutzen

  • Ressourceneffizienz: Durch die Verwendung von Ersatzteilen bleiben funktionale und gut erhaltene Komponenten der Systeme erhalten, was den Bedarf an neuen Rohstoffen verringert.

  • Vermeidung von Abfall: Der Austausch von Teilen erzeugt weniger Abfall als der Austausch ganzer Systeme und leistet einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft.

  • Geringerer ökologischer Fußabdruck: Die Herstellung von Ersatzteilen erfordert in der Regel weniger Energie und hat geringere Treibhausgasemissionen als die Herstellung einer völlig neuen Anlage.

  • Einsparung von Wasser und Energie: Die Herstellung von Ersatzteilen benötigt im Allgemeinen weniger Wasser und Energie als die Herstellung neuer Anlagen.

Sozialer Nutzen

  • Unterstützung der lokalen Wirtschaft: Der Austausch von Teilen bedeutet häufig, dass lokale Zulieferer und Reparaturdienste beauftragt werden, was die lokale Wirtschaft unterstützt und Arbeitsplätze schafft.

  • Vertrauen der Verbraucher: Die Verwendung von Ersatzteilen zeugt von einem Engagement für die Kundenzufriedenheit, indem die Lebensdauer von Produkten und Anlagen verlängert wird.

Nutzen für die Unternehmensführung

  • Verantwortung für Ressourcen: Der Einsatz von Ersatzteilen geht mit einem verantwortungsvollen Ressourcenmanagement einher und steht im Einklang mit soliden Praktiken der Unternehmensführung, die auch langfristige Auswirkungen des Betriebs berücksichtigen.

  • Risikominimierung: Die Verwendung von Ersatzteilen kann einige der Risiken mindern, die mit dem Austausch einer Anlage verbunden sind, wie zum Beispiel Betriebsunterbrechungen, Schwierigkeiten mit der Einhaltung von Vorschriften oder Probleme mit der Reputation des Unternehmens.

  • Transparenz und Berichterstattung: Die Einbeziehung von Ersatzteilen in die Nachhaltigkeitsstrategie zeigt das Engagement für Transparenz und verantwortungsbewusste Berichterstattung; sie spiegelt einen Fokus auf die Minimierung der Umweltauswirkungen wider.

Diese Vorteile von ESG können durch einen strategischen Ansatz erreicht werden, bei dem vorausschauende Instandhaltung und Obsoleszenzmanagement in den folgenden Phasen kombiniert werden:

Risikobewertung

Die Risikobewertung wird am besten auf einer Zeitachse und auf der Grundlage eines umfassenden Plans durchgeführt, der alle Faktoren berücksichtigt, die die Wahrscheinlichkeit der Obsoleszenz erhöhen und zu ihren potenziellen Auswirkungen beitragen können.

Ein üblicher Ausgangspunkt ist dabei die Identifizierung kritischer Anlagen, gefolgt von einer qualitativen und quantitativen Bewertung des Obsoleszenzrisikos. Sobald die Risiken für jede Anlage identifiziert wurden, ist der nächste Schritt die Bewertung der Obsoleszenzwahrscheinlichkeit. Die Daten hierfür können aus verschiedenen Quellen gewonnen werden, zum Beispiel aus Wartungsprotokollen und internen Systemen oder aus der Zuverlässigkeit des Lieferanten in Bezug auf Vereinbarungen, Service und Support.

Wichtig in diesem Zusammenhang: Ein Blick auf die End-of- Line-Pläne (EOL) der Lieferanten kann das Risiko der Einstellung von Support oder Upgrades verringern.

Reparaturen

Was kann bei einer Störung repariert werden? Kann man auf eine Reparatur warten? Zwei entscheidende Fragen, die es nun zu beantworten gilt. So kommt bei Baugruppen und Anlagen, die keine Ausfallzeiten haben dürfen, beispielsweise eine Reparatur möglicherweise gar nicht infrage. Zudem sollte man bedenken, dass bei Artikeln wie zum Beispiel einem Human Machine Interface (HMI) oder einer SPS, die sehr spezifische Reparaturen erfordern, die Durchlaufzeiten mehrere Wochen betragen können.

Radwell bietet unter anderem Reparaturlösungen und Ersatzteilmanagement für industrielle Steuerungssysteme an.
Bild: Radwell International

Welcher Dienstleister?

Es ist darüber hinaus sinnvoll, von Anfang an festzulegen, welcher Dienstleister die Reparaturen durchführt und über welche Kapazitäten er verfügt. Hat er eine gute Erfolgsbilanz? Führt er die Arbeiten selbst aus oder vergibt er sie? Auch das sind wichtige Fragen, die es hierbei zu beantworten gilt. Tipp: Eine kurze Überprüfung des Unternehmens kann helfen, die Liste der Dienstleister einzugrenzen.

Welche Ersatzteile werden benötigt, um eine schnelle Verfügbarkeit zu gewährleisten? Sind diese vorrätig? Diese Fragen sollten nun beantwortet werden.

Für Artikel, bei denen eine Reparatur oder Nachrüstung nicht infrage kommt, die aber für die Produktion von entscheidender Bedeutung sind, sollten Ersatzteile vorrätig gehalten werden. So kann im Falle einer Betriebsstörung das defekte Gerät innerhalb weniger Minuten ausgetauscht werden. Dies verkürzt die Stillstandzeit und bietet die Möglichkeit, das defekte Gerät zu reparieren und wiedereinzulagern, was zukünftige Kosten für das Ersatzteilmanagement reduziert.

Tipp: Der rechtzeitige Kauf von Ersatzteilen kann viel Geld sparen im Vergleich zum Kauf bei einem bereits eingetretenen Defekt, bei dem oft Kosten für internationale Expresslieferungen anfallen.

Dasselbe gilt für die Ausrüstung selbst, die aufgrund ihres Alters heute schwer zu beschaffen und daher wesentlich teurer sein kann. Um diese Probleme zu lösen, hat Radwell vor Kurzem den Service „SparesVault“ eingeführt: ein Ersatzteillager auf Abonnementbasis, das ein vollständig ausgelagertes Ersatzteilmanagement bietet.

Sobald alle oben genannten Punkte erfüllt sind, ist es wichtig eine Strategie zu entwickeln, um die Richtlinien und Verfahren für diese laufenden Maßnahmen zu überprüfen und anzupassen.

Strategie

Auch Retrofitmaßnahmen sollten in Betracht gezogen werden. Eine Aufrüstung mitten in einer ungeplanten Betriebsstörung ist aber keinesfalls zu empfehlen.Daher sollte rechtzeitig überlegt werden, ob die Anlagen aufgerüstet werden können, bevor Probleme auftreten. Wichtig hierbei: Welche Anlagen können überhaupt aufgerüstet werden? Welche Geräte sollen wann aufgerüstet werden? Mit einem Plan, der diese Fragen beantwortet, ist man gut aufgestellt.

Retrofit

Bedenkenswert: Aufgrund ihrer Seltenheit können die Kosten für einige obsolete Ersatzteile mehr als doppelt so hoch sein wie für ein vergleichbares modernes Ersatzteil. Zudem werden neue Geräte mit Garantie geliefert und sind leichter erhältlich. Man kann sich außerdem darauf verlassen, dass der Support für mehrere Jahre gewährleistet ist.

Modernisierungen können auch die Produktivität, den Anlagenbetrieb und die Zuverlässigkeit der Maschinen erhöhen und helfen, die Energiekosten zu senken.

Tipp: Frequenzumrichter eignen sich gut für die Aufrüstung, da die meisten Anwendungen relativ einfach sind und nur geringfügige Änderungen an der Verdrahtung erfordern. Bei komplexeren Anwendungen ist die Bereitschaft zur Modernisierung im Falle einer Betriebsstörung möglicherweise nicht vorhanden.

Oft ist es einfacher, die Komponenten auszutauschen, was aber nicht immer die beste Lösung ist. Ein guter Lieferant sollte in der Lage sein, den Austausch zu unterstützen oder sogar zu organisieren, bevor die Ersatzteile oder Geräte geliefert werden. Eine proaktive Planung der Modernisierung ist immer die beste Lösung.

Autor: Matthias Ludwig, Geschäftsführer Radwell

www.radwell.de

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