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Service: Treiber für den Unternehmenserfolg
from B&I Die Industrie-Zeitung, Ausgabe 6/24 (November)
by B&I Die Industrie-Zeitung | Betriebstechnik und Instandhaltung
Carsten Neugrodda, Geschäftsführer des Kundendienst-Verband, im Gespräch
Seit 2021 ist Carsten Neugrodda Geschäftsführer des Kundendienst-Verband Deutschland e.V. (Service-Verband KVD). Mit mehr als 20 Jahren Führungserfahrung in den Bereichen Marketing, Vertrieb, Business Development und Produktmanagement im Kundenumfeld von multinationalen Konzernen und mittelständischen Unternehmen bringt er umfassendes Know-how mit. Im Interview mit B&I spricht er über die Rolle des technischen Service für den Unternehmenserfolg.
Herr Neugrodda, warum ist der technische Service für den Unternehmenserfolg so entscheidend?
Viele Unternehmen haben stark unter den Folgen der Inflation und der Coronapandemie gelitten und tun es weiterhin. Die Produktumsätze sind teilweise massiv eingebrochen. Ein gut aufgestelltes Servicebusiness kann das Überleben sichern, auch, weil es regelmäßige Einnahmen bietet, die einen vorübergehenden Rückgang im Sales-Bereich kompensieren können.
Gerade jetzt, wo viele Unternehmen Maschinen und Anlagen länger nutzen und Investitionen hinauszögern, wird der Service zur Lebensader. Er sichert nicht nur die längere Laufzeit, sondern auch die Geschäftsbasis für die kommenden Jahre.
Zudem können sich Unternehmen immer weniger über die Qualität ihrer Produkte differenzieren. Hier gewinnt der technische Service an Bedeutung. Die Verbindung von Produkt und Service schafft ein Angebot, das schwer vergleichbar ist. Darüber hinaus ermöglicht ein kundenspezifischer Service eine höhere Preissetzung, da Kunden den Mehrwert erkennen und akzeptieren. So wird Service zum Wettbewerbsfaktor.
Welche Veränderungen im Verständnis von technischem Service bringt die Dienstleistungswende mit sich?
Insbesondere im Hinblick auf die Themen Nachhaltigkeit, Kundenzentrierung, Digitalisierung und neue, servicebasierte Geschäftsmodelle?
In der Vergangenheit war der technische Service häufig nur ein „Anhängsel“ des Vertriebs. Der Begriff „After-Sales-Service“ drückt genau das aus. Heute ist er ein elementarer Bestandteil des Angebots, gleichwertig zum Produkt selbst.
Besonders wichtig ist die Kundenzentrierung: Da der Service in der Regel die meisten Kundenkontakte hat, spielt er eine wichtige Rolle bei der Kundenbindung und -entwicklung, vor allem in Problemsituationen.
Parallel dazu erleben wir einen Wandel zu nutzungsbasierten Geschäftsmodellen (XaaS, Pay-perUse, Abomodelle); nicht nur im B2C-, sondern auch im B2B-Bereich. Hier wird der Service zur zentralen Säule für Wirtschaftlichkeit, da eine hohe Verfügbarkeit entscheidend ist.
Nicht zu vergessen ist der Beitrag zur Nachhaltigkeit: auf Unternehmensseite durch Prozessoptimierung und bessere Serviceverfügbarkeit, auf Kundenseite durch eine längere Produktlebensdauer, 2nd Life sowie Kreislaufwirtschaft.
Wie gelingt es, Diversität im technischen Service zu stärken?
Hierfür ist es wichtig, ein realistisches Bild zu zeichnen: Der Service ist schon lange keine Männerdomäne mehr. Deshalb ist es wichtig, die Sichtbarkeit der Frauen im Servicebereich zu stärken, beispielsweise, indem man sie für Testimonials nutzt.
Denn Studien zeigen, dass Frauen andere Frauen inspirieren und „anlocken“. Etablieren Sie Netzwerke, in denen Frauen sich untereinander austauschen können. Spezielle Trainings, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse eingehen, sind ebenfalls ein wichtiger Baustein.
Diversität bedeutet für uns aber nicht nur, mehr Frauen für den Serviceberuf zu begeistern, sondern auch Menschen mit Neurodivergenz stärker einzubinden. Sie bringen wertvolle Fähigkeiten mit, wie etwa die analytische Stärke von Menschen im Autismus-Spektrum oder die Kreativität und Empathie von Menschen mit ADHS. Zusätzlich spielen Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, etwa flexible Arbeitszeiten und die Anpassung von Reiseanforderungen, eine zentrale Rolle.

Wie kann man KI im technischen Service sinnvoll und gewinnbringend einsetzen?
KI bietet auch im Service neue Ansätze. Für jeden muss zunächst eine Basis geschaffen werden. Unternehmen müssen Anwendungsfälle definieren und relevante Daten bereitstellen, auf denen die KI aufbauen kann. Oft geht es erst einmal darum, Mitarbeiter zu entlasten, beispielsweise indem die KI Routinearbeiten übernimmt.
Ein Einsatzfeld, das ich nennen möchte, ist der Bereich Customer Service Automation. Hier hilft KI bei der schnellen Problemerkennung und liefert Mitarbeitern Lösungsvorschläge. Im nächsten Schritt kann die Kundenkommunikation durch KI-Bots automatisiert werden.
KI kann außerdem auf Basis von Kompetenz, Verfügbarkeit von Ersatzteilen, Arbeitszeiten und Standorten eine optimale Einsatzplanung erstellen, was Disponenten entlastet.
Mein letztes Beispiel ist Predictive Maintenance. Hierbei analysiert KI Maschinendaten, erkennt Unregelmäßigkeiten frühzeitig und verhindert so größere Ausfälle. So kann KI im Service nicht nur Effizienz steigern, sondern präventiv wirken.
Wie stark ist der technische Service vom Fachkräftemangel betroffen?
Der Fachkräftemangel macht auch vor dem technischen Service nicht Halt und stellt eine der größten Herausforderungen dar. Durch immer komplexere Produkte werden zusätzliche Kompetenzen benötigt, insbesondere in der IT. Gleichzeitig sind jüngere Generationen weniger bereit, viel unterwegs zu sein. Sprich, regelmäßige Reisetätigkeiten machen die Suche nach geeigneten Mitarbeitern schwieriger.
Die demografische Entwicklung verschärft die Situation: Viele Serviceorganisationen sind überaltert, auch weil in der Vergangenheit nicht ausreichend ausgebildet wurde. Dazu gesellt sich ein Imageproblem. Viele denken immer noch, dass im technischen Service minderwertige Aufgaben durchgeführt werden. Das ist meines Erachtens sehr schade, weil dieses Vorurteil falsch ist.
Der Serviceberuf ist einer der abwechslungsreichsten Berufe, bei denen technische Fähigkeiten mit emotionalen kombiniert werden. Zudem arbeiten Servicetechniker vermehrt mit modernsten Technologien wie KI oder Augmented Reality.
Welche neuen Technologien können eingesetzt werden, um diesem Fachkräftemangel zu begegnen?
Mittlerweile gibt es etliche neue Technologien auf dem Markt, die dabei helfen können, den Fachkräftemangel teilweise einzudämmen, allen voran KI. Sie hilft, Wissen effizienter bereitzustellen und die Lernkurve von Technikern zu verkürzen.
Selbst weniger erfahrene Mitarbeiter können dadurch schneller auf ein höheres Niveau gebracht werden, was den Pool an potenziellen Fachkräften erweitert. Zusätzlich werden Mitarbeiter durch die Übernahme von Routineaufgaben durch KI entlastet.
Virtuelle Technologien wie Augmented und Virtual Reality (AR/VR) bieten Unterstützung vor Ort, indem sie bei der Problemanalyse helfen und das Wissen anderer Experten integrieren. Remote Services reduzieren durch Fernzugriffe die Notwendigkeit von Reisen und steigern so die Effizienz, besonders im internationalen Kontext. Ein remote zugeschalteter Spezialist kann zudem weniger erfahrenen Kollegen zum Beispiel mithilfe von AR präzise Anweisungen geben. Das spart Ressourcen und minimiert den Bedarf an Experten vor Ort.
Wie lässt sich das Wissen der erfahrenen Servicetechniker, die zunehmend in den Ruhestand gehen, erfassen und weiter nutzen?
Planung ist hier das A und O. Ältere Mitarbeiter gehen ja selten überraschend in den Ruhestand, meist steht das Ausscheidedatum lange vorher fest.
Unternehmen sollten deshalb frühzeitig beginnen, das Wissen älterer Kollegen zu erfassen. Dafür eignet sich nicht zuletzt die Nutzung von Sprachmodellen. Die Techniker sprechen ihr Wissen einfach ein, und dieses wird automatisch in strukturierte Informationen umgewandelt.
Außerdem helfen gemeinsame Teams von alten und jungen Technikern dabei, Wissen on the Job weiterzugeben. Darüber hinaus können erfahrene Techniker auch nach ihrem Ruhestand als RemoteUnterstützung fungieren. Sie stehen im Hintergrund bereit, um bei komplexen Fällen ihr Fachwissen gezielt mit den jüngeren Kollegen zu teilen. Diese Ansätze helfen, wertvolles Knowhow langfristig zu sichern und in die Praxis zu überführen.