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Kleine Traumfabrik

MAGAZIN KLEINE TRAUMFABRIK

Wer einen Blick ins Allerheiligste eines Formel 1-Teams machen möchte, der ist bei der Scuderia AlphaTauri im italienischen Faenza bestens bedient. Denn hier macht der Chef persönlich die Hausführungen, berichtet Formel 1-Reporter Andi Gröbl.

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Franz Tost ist die beeindruckende Antithese zu den schillernden Formel 1-Teamchefs, die er in seiner mittlerweile 15-jährigen Amtszeit allesamt überlebt hat: den Karrierediplomaten Jean Todt, den Grenzgänger Flavio Briatore, den Paradiesvogel Vijay Mallya oder den selbstbewussten Ron Dennis. Ohne selbst ins Rampenlicht zu drängen hat er mittlerweile Veteranenstatus bei den Teamchef-Meetings. Nur Kollege Christian Horner von Red Bull Racing hat ein Jahr länger auf dem Buckel. Mit der Ruhe und Beharrlichkeit eines Dampferkapitäns hat er das kleine Team aus Oberitalien durch unruhige Gewässer zu mittlerweile zwei Grand Prix-Siegen geführt.

Wer die Fabrik von AlphaTauri betritt wird exakt zum ausgemachten Zeitpunkt von Franz Tost in Empfang genommen. In der Formel 1 sollte man also mit der Uhr gut umgehen können. „Die Führungen macht Franz immer selbst. Das ist ihm ganz wichtig“, flüstert uns die nette Mitzwanzigerin am Empfang noch rasch zu, ehe die Tour auf tirolerisch startet. Dass es den ehemaligen Formel 3-Piloten aus dem Gschnitztal ausgerechnet nach Faenza nahe Imola verschlägt war so auch nie geplant. Nach fünf sehr erfolgreichen Jahren als Teammanager bei BMW-Williams kam 2005 der Anruf von Red Bull. Man hatte gerade das marode Minardi-Team gekauft. Franz sollte daraus eine Art Formel 1-Kindergarten für zukünftige Champions machen. „Mir war klar, dass das nur von England aus gehen würde“, lächelt er. Der Rest ist Geschichte.

Heute arbeiten im Saisonschnitt rund 500 Menschen in der Via della Boaria. Eine Gegend, in der man Keramikfabriken, Lagerhäuser und unzählige Mopedwerkstätten in unmittelbarer Nähe findet. Das Familiäre aus den Anfangstagen ist geblieben. Einige haben hier bereits in Minardi-Teamkleidung gearbeitet. Der ergraute Endvierziger am Simulator für Belastungstests der Radaufhängungen hat einst noch für Verstappen die Reifen gewaschen. Jos wohlgemerkt, den Vater von Max. Franz Tost parliert abwechselnd auf Englisch, Italienisch und Deutsch. Doch für Sentimentalitäten hat er nichts übrig. „Für mich gibt es im Rennsport genau eine Messgröße. Und das ist die Stoppuhr. Die lügt nie.“

Die Wände zwischen Empfang, Designbüro oder Werkstatt sind trotzdem liebevoll geschmückt mit Familienfotos. Im Stiegenaufgang prangt ein großes Bild von Sebastian Vettel, gerade der Zahnspange entwachsen. Monza 2008 – die Sternstunde schlechthin. Arm in Arm mit einem champagnergeduschten Gerhard Berger, der bis 2008 Mitbesitzer des Teams war, lächelt er vom Siegespodest. Ein paar Gänge weiter hängt in Überlebensgröße das bemerkenswerteste Foto der Saison 2020: Pierre Gasly auf dem Siegespodest in Monza. Das Gesicht in seine Hände vergraben. Überzogen von einer Mischung aus Champagner, Konfetti und Fassungslosigkeit. Der Franzose hat mit dem zweiten Wunder von Monza seinen Lebenstraum vom Grand PrixSieg ausgerechnet in einem AlphaTauri erreicht. Auch das war so nicht geplant.

Sauberes arbeiten: Um jede hundertstel Sekunde herauszuholen, muss die Präzision schon in der Fertigung stimmen

Jeder einzelne Bolide wird vom Chef selbst kritisch inspiziert LEBENSEINSTELLUNG PRÄZISION

Franz Tost kommt richtig auf Temperatur, wenn es ans Eingemachte geht. Zwischen Werkbank, Kohlefasergewebe, Harzmischungen und 3DDruckmaschinen huscht immer wieder ein unvermutetes Lächeln über sein Gesicht. Präzision ist eine Lebenseinstellung. Den mediterranen Schlendrian hat er auch seinen engsten Vertrauten rasch ausgetrieben. „Unser erster Technischer Direktor hat mir damals erklärt, dass wir keine Qualitätskontrolle der Bauteile mehr brauchen, weil ohnehin alle so genau arbeiten.“ Wenig später war der Herr Geschichte. Denn Ferrari beschäftigte zu diesem Zeitpunkt alleine 50 Mitarbeiter zu diesem Zweck. Und der große Bruder aus Maranello war immer eine imaginäre Messlatte für die Hinterbänkler. Und als wir an einem aufgestellten Unterboden des AT02 vorbeigehen verrät der Teamchef trocken: „Bei uns gibt es in jedem Rennen einen neuen Unterboden. Der ist aerodynamisch unglaublich wichtig. Wer hier spart, spart am falschen Platz“. Macht in Summe gut 50 bis 60 Unterböden pro Jahr. Stückpreis sechsstellig. Konkurrenten fahren oft sechs Rennen und mehr mit einem Unterboden.

Generell ist Franz Tost ein Motorsportmanager traditionellen Zuschnitts. Ein Racer und unermüdlicher Arbeiter, der seine Prinzipien hat. Sitzkreise, Teambuilding-Seminare und Yogastunden für die Führungsetage wie bei Mercedes? Dem Tiroler entlockt das nur ein müdes Lächeln: „Das geht in Teams, wo sich eigenes Personal um solche Dinge kümmert. Wir müssen das anders lösen. Wer nicht ins Team passt, der muss gehen.“ Wenigstens weiß man dann immer, woran man ist. Franz Tost erledigt nebenbei in Eigenregie, wofür große Formel 1-Player ein Dutzend eigene Leute beschäftigen. Das vereinfacht aber auch vieles. Punkteprämien gibt es prinzipiell nicht. Was zählt ist die Konstrukteurs-WM. Erst dann klingelt die Kasse, von der Putzfrau bis zur Chefetage. 2020 hat Tost Platz 6 als Ziel ausgegeben. Man wurde trotz der Sternstunde von Monza nur Siebenter. Wettbewerb ist eben alles. In der „Race Bay“ steht permanent ein Formel 1-Bolide, um zwischendurch die Boxenstopps zu trainieren. Nur die Besten dürfen am Rennwochenende dann ans Auto. „Wir trainieren einmal am

Morgen um halb neun und dann am Nachmittag nochmals. Über dem Auto sind Kameras installiert, damit wir alle Abläufe genau analysieren können.“ Mittlerweile gehört die Truppe aus Faenza verlässlich zu den schnellsten beim Reifenwechseln.

WELTWEITER NACHWUCHS

Tost erhält im Jahr 21.000 Bewerbungen, vom Berufsanfänger bis zum erfahrenen Ingenieur. Die Zusammenarbeit mit „Formula Future“ bringt laufend frisches Blut in die Fabrik. An Rennwochenenden sitzen reihenweise Technikstudenten in der Fabrik, um rasch in größere Schuhe hineinzuwachsen. „AlphaTauri ist heute genauso eine Universität wie ein Rennteam“, hört man stolz. Die Mitarbeiter kommen mittlerweile aus 35 Ländern. Knapp die Hälfte sind eingesessene Italiener. 30% kommen aus England, der Rest aus allen Ecken der Welt, von Brasilien bis Neuseeland. Das Durchschnittsalter beträgt 36 Jahre. „Ich bin mit 65 der Älteste“, grinst Franz Tost. Und merkt an, dass 20 % der Belegschaft Frauen sind, von denen knapp die

Hälfte in Technik oder Produktion arbeitet. In 15 Jahren als Teamchef hat Franz Tost viel gesehen. Superstars wie Vettel und Verstappen hat er an die große Aufgabe herangeführt, Sternschnuppen wie Speed oder Alguersuari hat er verglühen sehen. Seine neueste Aufgabe heißt Yuki Tsunoda. Der japanische Rohdiamant wandelt noch zwischen den beiden Extremen. „Für ihn läuft im Cockpit der Film noch etwas zu schnell ab“, analysiert Tost trocken. Keine Spur von Schönrederei und kein Marketing-Geschwafel. Im Gschnitztal nennt man die Dinge halt beim Namen.

Andi Gröbl Trotz der harten Arbeit und dem engen Terminkalender, hat Tost meist ein Lächeln im Gesicht

Sieg: Pierre Gasly fuhr 2020 in Monza auf das oberste Treppchen

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